Bronzezeit, Streitwagen, Heldentum

[274] 5


Streitwagenstämme [wandern] donauaufwärts bis nach der Ostsee. Neubildung von indogermanischen Sprachen, Herrenschicht. Davon kennen wir nur, was sehr viel später als Schriftsprache erscheint: Hellenisch – Italisch – Keltisch – Germanisch. [Es gab] sehr viel mehr. Das sind Neubildungen. Aufgescheuchte Stämme infolge des Streitwagenvorstoßes nach allen Seiten hin fliehend: nach Frankreich, Italien, Balkan. Gleichzeitig lebten in Hellas und Italien ›Illyrier‹ zu beiden Seiten der Adria (Norden). Dorer und Latiner – etwa einen schon bestehenden Dialekt annehmend? Was wissen wir davon?


6


Sturm der Streitwagenstämme, an Vehemenz etwa mit dem Sturm des Islam zu vergleichen, den wir genau kennen. Auch darin, daß er Herrschersprachen verbreitet hat: – [dort] Arabisch –, hier Indogermanisch (neben Altai-uralisch). Das Arabische war Schriftsprache, an ein Buch gebunden, und hat sich deshalb in relativer Einheit erhalten. [Das] ›Indogermanisch‹, nur gesprochen, zerfiel sofort in Mundarten.


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Um 2000: Mit diesen Urvölkern des Nordens, den Heldenstämmen, von einem sittlichen Heldentum, Pathos der Distanz, Idee von persönlicher Tapferkeit, Gefolgstreue und Mannesmut, tritt eine neue Blüte in die Menschenwelt ein: In Ägypten und Babylonien war menschliche Größe etwas mit den furchtbaren Göttern und Sternen über sich, der Erde unter sich. Mit den Söhnen kalter Länder, den harten, an Entbehrung gereiften, durch Entsagen gewachsenen, tritt das Ideal ihrer eigenen Schöpfung ein: der Staat, das eigene Volk, das Vaterland. So empfanden Ramses und Hammurabi nicht. Die sonnenwarmen[275] Seelen des Südens lieben nicht, was sie nicht am Entbehren achten gelernt haben. Heimatliebe ist Liebe zur kargen Heimat. In China, Indien und am Mittelmeer wird diese Liebe schöpferisch: Das Land der Wahl, die neue Heimat ist es, an welcher das Herz hängt. Keine Ehrfurcht vor Göttlichem ändert es, daß eine tiefe Ehrfurcht vor der eigenen Schöpfung besteht. Man nennt den Himmelsgott, aber man meint den Gott, dem man seine eigene Heimat innerlich geweiht hat. Der homerische Stolz: Göttern, die man neben sich sieht, ist man verwandt.


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Eine gemeinsame Stammheimat der Indogermanen auf Grund ihrer Sprachverwandtschaft anzunehmen ist Unsinn: Als wollte man annehmen, daß die Urspanier, Franzosen, Portugiesen, Italiener, Rumänen um 500 vor Chr. in der Campagna nebeneinander ›gesessen‹ und dann ausgewandert wären: die Rumänen also, ›wie der Name beweist‹, die einstigen Bewohner der Stadt Rom, die Portugiesen – portus – von Ostia gewesen seien.


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Die großen nordischen Völkerströme: Um 1200 Bildung des Keltentums – Vernichtung der Hethiter – Phrygische Ströme – Israel (Aram) vom Ararat her – Ende der Kassiten – Troja – Vernichtung der mykenischen Hochsitze?

Um die Mitte des 2. Jahrtausends beginnt die Nord-Süd-Völkerwanderung von Aramäern (Reallexikon), seit 1400 immer mehr nach Syrien und Babylon hinab (Abrahamsage). Zerstörung von Knossos. Dorer. Ausbildung der ›Germanen‹ um 1000? Achäer, Danaer. Mitte des 2. Jahrtausends Mitanni, Arier bis Chatti, Palästina, Pandschab. Um 1670 (Meyer: Isaraeliten S. 447) Aera von Tanis, danach Hebron etwa 1700 ›gegründet‹, Hyksosburg. Mitte des 2. Jahrtausends Assur, Aram, Chatti, Mykene, Troja. Hebron viermal Zentrum, als Kirjath Arba, Philister (1200), Hebron = Chabiru-ni nach 1200. Aramäisch durch Abram 1500. Hethitisch um 1700. 1700 Chatti von[276] Chana aus in Babylon, Hyksos (Chian) in Ägypten. ›Kain gründet Henoch‹.


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Streitwagen haben Bedeutung nur im Kampf. Auf der Wanderung entscheidet das Tempo der Fußgänger, aber die Pferde zogen Lasten, also immerhin größere Beweglichkeit. Bei Reitervölkern Tempo des Pferdes. Voraussetzung, daß entweder die Weiber mitritten oder mit dem Wagentroß folgten oder daß man keine Weiber mitführte. Die Geschwindigkeit der Reitertrupps in der Ebene ist das Mehrfache der Fußgänger (damals noch nicht ›Marsch‹, sondern langsamer Gang).


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Bronzezeit = Streitwagen. Donau- und Weichselstraße. Nordeuropäische Rassetypen, darunter die blonden (mindestens zwei, Paudler). ›Germanen‹ nur Sprachbezeichnung, wie ›Kelten‹. Summen der Stämme, welche die Herrensprache der Streitwagenleute mit eigenem Wortschatz (See, Schiff), [eigener] Aussprache und Betonung zu einer Gruppe von Stammesdialekten entwickelt haben, während andere die keltischen, italischen und sicher noch andere, verschollene herausbildeten. Die Sprache schuf durchaus kein Gemeinschaftsbewußtsein, auch in der Völkerwanderung nicht, so wenig als es das unter Kelten, Umbrern, Dorern gab. Es ist falsch, Funde aus dem 2. Jahrtausend mit solchen Sprachgruppen zu identifizieren, sie können ebenso keltisch wie germanisch oder [anders] sein. Sie sind einfach nordeuropäisch. Reiterstämme des I. Jahrtausends (Skythen, Sarmaten etc.) wieder [an] Donau und Weichsel – sie setzten keltisch-italisch sprechende Stämme in Bewegung: Kelten, Indo-Skythen, China, Perser, Meder, Amazonen, Makedonen?!? Die Kelten und zum Teil Italiker haben also an der mittleren und oberen Donau gesessen. Seitdem erst – Mitte des I. Jahrtausends v. Chr. – bildet sich die germanische Stammesgruppe deutlich heraus, lokal, ein Teil der vorwiegend nordisch-blonden Rassen. Mongoloide Typen auch Westeuropa,[277] auch Sprache, die wir danach als finnisch, altaisch bezeichnen. Sicher weit verbreitet.


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Die Streitwagenstämme dringen auch nach Italien und zum Peloponnes vor, bestattend, [in] Mittelitalien bis Malta. [In] Mykene sporadisch altindogermanische Sprachen, dem Indisch-Iranisch-Persischen nahestehend. Infolge des Sturmes nach Mitteleuropa sind Stämme von dort, darunter ›hellenische‹ Dialekte, in Bewegung geraten, z.B. Dorer und Nordwestgriechen. Der arkadisch-kyprische Dialekt besiegt etwa im 13. Jahrhundert die Kuppelgräberleute, sehr bald darauf [sind] die Dorer Nordwestgriechen (1100). Vorher die Streitwagenstämme, von denen die Illyrer und Thraker [und ähnlich wie sie] Sprechende stammen (natürlich sind auf dem Balkan daneben auch ganz andere Sprachen geredet worden, vom Typus des Etruskischen, Kaukasischen, Finnischen). Was an Endungen, Wurzeln usw. auf dem Balkan gesammelt ist, gehört zu sehr vielen verschiedenen Sprachfamilien. Das Venetische z.B. (centum), [das] Messapische (satem), [das] Albanische.


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Diese ungeheure nordeurasische Kriegerflut ist eine Epoche der Weltgeschichte. Der Süden ist für immer passiv geworden. Das nordische Wollen macht von jetzt an Geschichte. Daß eine Hochkultur rund tausend Jahre umfaßt, ist kein Rechenexempel mit genauen Zahlen – das wäre nur Mathematik, also Abstraktion –, sondern es ist ein Ausdruck der Tatsache, daß zu jeder Art von Leben Dauer gehört. Das Menschenleben hat eine normale Dauer, und demnach sind die Begriffe Jugend, Alter, Kindheit, Greisentum nicht Zahlenwerte, sondern erlebte Dauergestalten. Wie bei Tieren und Pflanzen. Hochkulturen sind seßhaft, bäuerlich, also pflanzenhaft. Das Bauerntum ist seßhaft (festes Haus), die Stadt ist es in höchstem Range (cd). Die Nation [ist] also eine seßhafte Organisation. Deutsche gibt es seit dem 10. Jahrhundert. Geschichte machen aber die Elemente (Adel, einzelne),[278] in denen die uralte Beweglichkeit nachlebt. Nicht Korallen, sondern Fische. Hochkulturen sind Städte über dem Bauerntum. Die Stadt geht von der Burg aus, dem seßhaft gewordenen Adel. Tendenzen der Beweglichkeit: Kreuzzüge, Seefahrten, Söldner (seit 1100!), Abenteurer.


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Norden – Individualismus: Das Ich als Mitte der Welt erleben. Freiheit des Willens als ethische Selbstverständlichkeit. Erst deshalb ist sie als Problem in die Theologie und Philosophie der nordischen Hochkulturen eingegangen, wo man sie zu beweisen sucht. Dieses Bedürfnis des Beweisens ist ein Zeichen von Schwäche des Rasseinstinktes. Gleichviel, ob man sich das bewiesen hat oder nicht, man fühlt sich nicht sicher.

Von diesem freien Willen gibt man etwas auf durch Verpflichtung, Treue, Gefolgschaft – gegen Lohn, Beute, Ehre. Zahlreicher als das Beispiel der Treue in der frühnordischen Dichtung sind die des Treubruchs (Hagen, Kriemhild, Philoktet etc.), China, Türken, Hunnen. Auch der Krieg (von kriegen, nehmen): jeder für sich. Ilias. Beute des einzelnen. In jeder Schlacht, die planmäßig sein mußte, wegen der Streitwagen, Gefahr, daß der einzelne aus der Reihe springt, der Beute wegen. Die Schilderung der Ilias ist falsch. Die Rhapsoden verherrlichen Einzelkämpfe.


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Diese Streitwagenstämme, wandernd, frei, erobernd, herrenhaft, sind im Osten ins Hoanghotal ebenso eingedrungen wie im Westen ins Donautal und haben hier wie dort die seßhafte Bevölkerung unterworfen, beherrscht, seelisch umgestaltet. Aus politischen Gründen, das Geschichtliche werden wir nicht mehr feststellen können, ist ihre Sprache (Schrift) untergegangen, in Westeuropa haben sie sich erhalten und zur Schöpfung von Sprachen neben andren, die später verschollen sind, zu der keltisch-italischen, hellenischen, germanischen geführt, die sich durch neue geschichtliche Ereignisse zu Sprachfamilien[279] ausgebildet haben, von denen wieder die keltische fast verschwand, die italische – aus einem einzigen Stadtdialekt! dem von Rom – zu einer neuen Sprachfamilie von Weltgeltung sich entwickelt hat, ebenso von der germanischen nur die angelsächsische.


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Mit dem Streitwagen beginnt die Taktik des Kämpfens als Kunst, die ›Schlacht‹ statt der regellosen Schlägerei. Wer einen Streitwagen führte, mußte über die Verwendung, Haltung, Vorteile nachdenken und vordenken. Dieses Denken hebt den ›Offizier‹ von der ›Mannschaft‹ ab, scheidet die vornehme von der gemeinen Waffe und Art des Kämpfens. Die homerischen Dichter, die sicher nie selbst auf einem Streitwagen gestanden haben, schildern nur aus der urmenschlichen Freude am Töten und Beutemachen heraus und geben deshalb kein Bild des wirklichen Kämpfens, – wie auch heute die Dichter mehr Einzelschicksale als durchdachte Schlachten schildern (dies erst bei Stendhal, Tolstoi, Zola).


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Die [Streitwagen-]Stämme hatten einen Kriegeradel: Streitwagenbesitzer. Reich an Beute [bedeutete] adlig, arm [bedeutete] schlecht. Spätere Bauernstämme haben Bodenadel – Hofbesitzer gegen Knechte, Verachtung derer, die keine Scholle besitzen. [Der] ägyptische Adelige [ist] Beamte, der babylonische Priester. Diese ursprünglichen Gestalten des Distanzbewußtseins haben sich im Laufe der Jahrtausende verwischt, traten aber noch in der abendländischen Frühzeit deutlich hervor: Ritter, Großbauern, Beamte (Justiz in Frankreich), Priester (Rom). [Spannung von] Adel [und] Priestertum.


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Neues Lebensgefühl: Westen [und] Süden [sind] lässig, politisch defensiv, daher [sind hier die] Priester der Adel. [Der] Norden [ist][280] expansiv, tatkräftig, [daher sind hier die] Adeligen Priester. Seitdem [gibt es] Weltgeschichte als Eroberungsgeschichte. Die Weltgeschichte wird aktiv, zielbewußt. Mit den Streitwagen kommt dieser Geist auch nach Ägypten und Babylon [zur Zeit] der Zivilisation [dieser ersten Hochkulturen]: Assyrer, Ägypter, Kassiten, Hyksos.


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Poseidon, die dämonische Steppe, verkörpert in den Herden wilder Pferde, die in ihrer Schnelligkeit das Unendliche symbolisieren. Als der Mensch sich diese Schnelligkeit zu Diensten nahm, um seinen eigenen, auch aus der weiten Landschaft geborenen Hang zum Schweifen zu befriedigen, wird das Pferd selbst irgendein Numen. Nicht das Pferd ist Poseidon oder ihm ›heilig‹ – so logisch unterscheiden Theologen, nicht das urwüchsige Weltgefühl der Völker –, Steppe, Poseidon und Pferd sind dem Sinne nach verwandt, so erlebt. Ebenso das Meer, die andre Unendlichkeit auf der Erde. Der Steppenmensch und der Seefahrer [haben] eine verwandte Seele (Rasse). Deshalb machen die Steppenstämme den Poseidon zum Meergott, das Pferd zum Flusse – sie erlebten da ihre Weite und Schnelligkeit.


20


Wir müssen mit einer doppelten Völkerwanderung rechnen, 1. mit der von Norden her aus Südrußland (Reallexikon) infolge Drucks von Asien her und Mitteleuropa infolge Drucks von Rußland her, und 2. aus dem Westmittelmeer, Spanien, Nordafrika, auch von Afrika auf Spanien. Für beides ist der Ursprung in der Wüstenbildung, die fortschreitet, zu suchen. Im Ostmittelmeer treffen sie zusammen: Schachtgräber und Kuppelgräber. Ebenso in Italien, Sizilien, gegen Ägypten. Für die einen ist bezeichnend: Höhlengrab (Kuppel), Megalithbau, Totenreich, Geburtsgöttin, Pfeil und Bogen, für die andren: Bestattungshügel, ›Totenteil‹, Streitaxt, Streitwagen, Pferd. Die Turscha und Schardana sind Nordvölker, weil sie nicht den Bogen[281] führen wie die Libyer und Spanier. Die Kombination von Streitwagen und Bogenkampf hat sich erst in Vorderasien vollzogen und von dort nach Ostasien verbreitet. Seit der dorischen Wanderung gilt der Bogen als feige Waffe.


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Idee, das Wildpferd zur Steigerung der eigenen Geschwindigkeit zu verwenden. Die übliche Art, vom ›Haustier‹ zu reden, verschleiert das Wichtigste. Es ist das erste und einzige ›Haustier‹, dessen Bewegung nicht im Schreiten, sondern im Galopp besteht. Andre wurden gezähmt, weil sie Fleisch, Wolle etc. lieferten. Dies nur des Tempos wegen. Anderswo war das Pferd ein Jagdobjekt – es wurde gegessen. Hier ist keine Rede von Nahrung, nur von Tempo. Deshalb wurde es ethisch nicht als geprügelter Sklave, nicht als Objekt der Nahrung, sondern als Kampfgenosse, Kamerad empfunden. Das einzige Tier von militärischer Bedeutung. (Elefant, die wandernde Festung. Kamel, der Lastträger.)


22


[Der] Streitwagen ist indogermanisch – zentraleurasisch. Eine Expansionstendenz, die plötzlich im Wagen die Möglichkeit einer Waffe sieht. Bronzegeräte. In der Ilias wird gelegentlich die Streitaxt erwähnt. Der Streithammer (Stein, Thorhammer) geht metallisch in die Doppelaxt über. Labrys. Steinwurf als Waffe (Brynhild, Ajax). Reiter von Homer ignoriert, im jungindogermanischen Mitteleuropa (Wald) [sind sie] ohne Bedeutung (Römer, Griechen, Kelten, Germanen), desto mehr bei den zentraleurasischen Stämmen (Turk, Skythen). Reiten als Kriegsmittel ist später erfunden als der Streitwagen, aber an derselben Stelle. Züchtung eines leichten Reitpferdes anstelle des schweren Zugpferdes.


23


Hier tritt zum ersten Mal westlich des Ural der Streitwagen als Waffe in Erscheinung, eine gewaltige Schöpfung des taktischen[282] Denkens, der Verwendung des Tempos eines Tieres als Waffe. Das hat den Landkrieg vollkommen umgestaltet. Nächst dem Seeschiff ist dies die folgenreichste Erfindung. Das hat zu einer neuen Idee der Macht, zu neuen Formen von Völkern, zu ganz neuen Tendenzen der Geschichte geführt. Die Weltgeschichte des 2. Jahrtausends hat dadurch ihre überwiegende Bedeutung in der Gesamtgeschichte der Menschen gewonnen und den Gang der Geschichte seitdem bestimmt. Als Ganzes ist das noch nie gesehen worden. Man hat nur Seiten und Teile dieser ungeheuren Umwälzung von einzelnen Fachwissenschaften aus, einseitig und viel zu klein, behandelt: die ›Bronzezeit‹ in Nordeuropa, die Tripoljekultur und ihren Untergang, die Hyksos- und Kassitenzeit, die Zeit des Rigveda, der Entstehung der chinesischen Kultur, das Eindringen indogermanischer Sprachsysteme auf westeuropäischen Boden – vielleicht auch verschollener Systeme, von denen die kaukasische, ural-altaische und vielleicht noch andre Sprachen sonst zeugen, die mitgerissen worden sind, in der Kunst [die Zeit] der Ausbreitung des ornamentalen Stils von Irland bis Korea. Aber dahinter [steht] eine Erscheinung der Erdgeschichte, deren Zusammenhänge mit all diesen Tatsachen überhaupt noch nicht beachtet ist: die Ausbreitung des Wüstengürtels, wie im Westen die Sahara, in der Mitte Arabien, im Osten die Wüste von Persien bis zur Mongolei. Es wird später der Ort sein, über die Zeit dieser Erscheinung zu reden, welche die Menschengeschichte sah. Es genügt hier, daß derselbe Bevölkerungsdruck, der von Nordafrika aus nach Osten geht, von Arabien aus die Akkader und andere Stämme mit semitischer Sprache nach Norden trieb. Denn die Ausgangsgebiete der nord-eurasischen Kultur lagen dort, wo der Flugsand später die Siedlung verschüttet hat.


24


Berufskrieger: Nicht als ob sich anderswo nicht auch ein Stamm gegen Sold vermietet hätte. Der Unterschied ist, daß er soviel verdienen wollte, um dann in Ruhe leben zu können – Rentnerideal. Hier aber war der Krieg die Atmosphäre des Lebens, in der man allein atmen[283] konnte. Friede war leeres, vergeudetes Dasein, Strohtod war schimpflich. Sich verliegen. Wenn man keinen Herrn hatte, suchte man einen, in dessen Gefolgschaft man kämpfen konnte. Der Streitwagen war eine Waffe, in der man jahrelange Erfahrung besitzen, Berufskrieger sein mußte. Die Schilderung der Ilias kann schon deshalb nicht ganz richtig sein, weil damals diese Waffe schon überholt war.


25


Nordische Urvölker (Stämme) haben eine andre Struktur als Atlantis und Kasch. Christensen 232 ff: Darius nennt sich Sohn der Vištaspa (Familie), Achämenide (Geschlecht), Perser (Stamm), Arier (Volk). Ähnlich die Römer. Die Eroberungen und Wanderungen erfolgten zum Teil von einzelnen Geschlechtern, nicht von ganzen Stämmen (Achämeniden, Claudier, Anak, Mykene).


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Es klingt den ›Hakenkreuzohren‹ nicht angenehm, ist aber geschichtliche Tatsache, daß wandernde Herrenvölker die eroberten Gebiete nicht ausmordeten, um Acker und Weide für sich zu haben (obwohl sie ihre Freude an Mord und Brand austobten), sondern die Bevölkerung zu Untertanen machten. In solchen Reichen gibt es kein ›Volk‹, sondern Herren und Untertanen – Metöken, Leibeigene, Klienten, die man wie eine Viehherde pflegt, damit sie Erträge liefern. Aufsässige und Gefährliche werden getötet (Heloten, Israel, Rom), – die schönen Weiber genommen, tüchtige Kerle in die eigene Sippe geholt.


27


Um 1500: die Heldenvölker: Wir wissen nichts von der leuchtenden Kraft dieser hellen Menschen, licht in Antlitz und Seele, von ihren Königen, von den großen Schlachten, den todesmutigen Niederlagen, dem Opfertod der reichen Dörfer und blutgetränkten Ebenen. Verschollen[284] sind die Sänge von samtenem Gram und smaragdenem Glückstaumel am Abend eines blutigen Sieges. Da die Leichen der Freunde und Söhne! Die Ehrfurcht vor dem Göttlichen in der eigenen Brust! Kaum läßt die Ilias und manches im Mahabharata ahnen, was vorher erlebt wurde. Wenn je der Menschenfrühling Seelen erschauern Heß, so war es hier. Ein sittliches Hochgefühl schmiedete diese Rassen, prägte diese Gesichter, diese Haltung des Leibes, diesen Schwung der Arme, diesen Schritt. Über blaue Meere fuhr ihr Kiel, in Wäldern von Steineichen und Tamarisken betteten sie sich, selig der Wärme, der Sonne. Sie blühten auf in diesem warmen Land.


28


Nicht sentimental. Zuerst kommt das Ich. Ob jemand selbst Führer oder Gefolgsmann sein will, beschließt er selbst. Die Treue ist nur deshalb eine so oft genannte Tugend, weil sie selten ist. Der Verrat beherrscht die tatsächliche Geschichte. Auch in der Sage: Siegfried und Baldur. Segestes, Heinrich der Löwe, Wittekind – alle [sind sie] große Verräter um ihres privaten Zieles willen. Rom (Coriolan), Hellas (Alkibiades). Herr sein, sein eigenes Interesse wahrnehmen um den Preis des Todes. Starke Leidenschaft. Alles, die isländischen Sagas, die Edda, das deutsche Epos, die germanische Geschichte, [ist] voll von Verrat, Hinterlist, Überfall [und] Imstichlassen.


29


Über die Gebiete am Ägäischen Meer ergossen sich im 2. Jahrtausend immer neue kleine Scharen von Eroberern, von Nordafrika her, von Südrußland, zuletzt von Nordeuropa. Daraus entwickelten sich überall Herrenschichten – Äoler, Achäer, Danaer, Dorer, aus diesen und ihren Unterworfenen zuletzt die ›Hellenen‹. So geschah das, und nicht durch ›Einwanderung der Griechen‹, die vorher irgendwo anders ›gesessen‹ hätten.

Der bräunliche Menelaos – der Beiname beweist erstens, daß das als Ausnahme auffiel, zweitens, daß es möglich war. Die negroiden[285] Typen von Olympia! ξανθος Geschmack der Rhapsoden, Seltenheitswert. Auf den Bildern ohne Ausnahme braune Männer mit schwarzem Haar.


30


Die erste Schicht (Südrußland, Streitwagen) kennt die See oder lernt sie kennen. Sehr beweglich. Die libysche Zeit von Mykene war nur maritim. Die zweite indogermanische, mitteleuropäische Schicht, zu der auch Kelten und Römer gehören, war seßhaft, ackerbauend, Landratten. (Dorer, geometrische Zeit.) Sie bedienten sich wohl der Schiffe, wie Angeln, Vandalen, Goten, aber sie hatten kein seefahrendes Ideal wie die Nordwikinger und ›Jonier‹. Auch die Hethiter sind Landratten. Die ›Seevölker‹ nicht. Sie gleichen den Isländern. Kamen sie von der Nordsee? Die südrussische Schicht vor allem Pferde- und Rinderhirten. Steppe. Die mitteleuropäischen waren vor allem Waldbauern, arbeitend, Bauern, πελαγος – weite Fläche, Steppe, Meer.


31


Bronzezeit im Norden (nachsehen Scheltema, Schuchhardt, Reallexikon): Von zwei Seiten kommen Bronzesachen: atlantische Seekultur und Südosten. Aber die einen brachten keinen ›Stil‹ mit, nur die andren (?). Also war die zweite [Bewegung] eine Eroberung durch neue Stämme. Nicht das Material, sondern die neuen Menschen haben die Weltanschauung (Kultur) der Bronzezeit gemacht.


32


Drei halbnordische, eurasische Kulturen. Diese Streitwagenvölker sind für uns namenlos. Wir wissen nichts von ihren Sprachen. Nur ihr Ethos, ihre Seele ist aus ihren Waffen zu erkennen. In Indien brechen sie mit arischer Sprache ein, offenbar auch die Kassiten. Aber die Hyksos? Mykene? Dschou? Man vergleiche das Durcheinander der Völkerwanderung: Goten ein Sammelname (s. Kaufmann),[286] und Alanen (Sarmaten) – Gotalanen mit Hunnen sich mischend. Bulgaren!


33


Die Westleute bis nach Bohuslän, Megalith. Es ist also falsch, die ägäischen Sachen mit norddeutschen durch eine Wanderung zusammenzubringen; sie sind letzte Ausläufer von Westen her. Hier muß das ›Nordische‹ überhaupt näher behandelt werden. Nordische landschaftlich bedingte und gebundene ›Rasse‹, d.h. Einheit des Lebens, die alles Artfremde assimiliert, (denn das ist das Zeichen starker Rasse. Senile verlieren sich an Fremdes!). Indogermanisch ist Sprache = Geist. Sprachen werden grammatisch von fremdem Denken umgeprägt, der Wortschatz vom Leben, die Aussprache von der Landschaft. Dazu kommt die nordeurasische Kultur. In Nordeuropa treffen sich West und Nord – See und Land, Ebene. Nordseeküste mehr westlich, Binnenland mehr asiatisch. Herrenstämme.


34


Pelasgerzeit: Diese Stämme mit ihren Pferden seit 2000 – ›Tataren‹ von Karpathen bis Arkadien. Nicht indogermanische Sprachen. Sie haben die Tripoljekultur (Spirale, kein Pferd) vernichtet, wie Dschingiskhan und Lenin. Die Tripoljekultur, nach Süd und West ausweichend, die westindogermanische Sprache durch Mischung schaffend, [ist] meist verschollen. πυρ und ignis ([ist] eins davon Kultwort der Totenverbrennung?).


35


Die Heldenkultur hat keine religiöse Gnade. Was man dafür hält, ist die Ehrfurcht vor dem Mächtigen in der Natur, vor der Allgewalt des Schicksals, aber nicht die knechtische Furcht und Zerknirschung vor ›Jemand‹. Im Nibelungenlied gibt es keine Religion. Den Pfaffen wirft Hagen in den Fluß. Der Herrgott ist bei den stärkeren Bataillonen. Den Mutigen hilft Gott. Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. Und[287] ebenso Luther: Die persönliche Rechtfertigung ist die Abdankung Gottes. So hatte es Paulus nicht gemeint. Nur Kalvin! Wenn sie nicht fressen wollen, so mögen sie saufen.

Die geisternde Natur, Thor, Wotan, Freya sind vorhanden, und man ehrt sie, aber als Mächte neben den Menschen. Das Schicksal nimmt man trotzdem selbst in die Hand, auch wo man fühlt, daß man ein bittres Los gezogen hat. Aber da ist niemand – für den Mann –, dem man bettelnd etwas Besseres abringt. Man sieht der Tatsache ins Auge und stirbt groß.


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Heldentum: Den Strohtod sterben – das verächtlichste für den Helden, der das gefährliche Schicksal Hebt. So war es im 2. Jahrtausend. Die Ilias, unter seßhaften Nachfahren gesungen, enthält schon nicht mehr die Kühnheit des Weltenstolzes der alten Bardengesänge, aus denen die Gestalt des Ajax und Goliath hervorging.

Was für ein Schritt: Von der tiefen Angst vor dem doch endlich unabwendbaren Tode bis zur Liebe eines Todes in Größe! Das geschah früher als die andre Wandlung: die Angst vor den Göttern zur Liebe Gottes. Dem Heiligen geht der Held vorauf. Die Verwandlung des höchsten religiösen Typus vom mächtigen Zauberer und Priester zum innerlichen Heiligen folgt erst aus der seelischen Wandlung dessen, den die Gefahr tapfer macht, zu dem, der aus Tapferkeit die Gefahr aufsucht. Der Heilige beginnt im 1. Jahrtausend v. Chr., dort wo der Held die Seele vorbereitet hat.


37


Heldenkultur: Damit geht die Führung menschlicher Schicksale an eine Art Mensch über, welche das Schicksal Hebt. Die Hochkulturen, deren beste Schicht das Leben als Problem entdecken sollte, um es zu pflegen, und die nun alt und innerlich fertig geworden in der Sonne des ewigen Sommers liegen, sind nun das Objekt von andren, welche das Leben wagen.[288]

Diese Schardana, russische Gesichter, Regimenter am Hofe und bald vielleicht Herren, nachdem der Pharao den Dolch in die Rippen bekam. Diese Philister, die Frau und Kind auf ihren Ochsenkarren packen und drauflos ziehen. Waren die Hyksos schon solche Nordmänner, die erst Burgen in Kanaan und dann in Ägypten besaßen? Ein Bild taucht auf: Die Enaksöhne, so deutlich wie zur Normannenzeit. Eine Handvoll Abenteurer.

Seitdem gibt es außer Staaten und Kirchen noch ein drittes bewegliches Etwas, das als seelische Macht in der Geschichte gilt: das ›Heer‹, die Seele des Heeres, die von Führern geschaffen wird oder sich ihre Führer zeugt, Heere, die zu Völkern und Staaten werden, die Welt mit dem Schwert pflügen, jauchzend über die Bürger und Fellachen hinschreiten und die Städte zu Fackeln ihres Weges machen: Wikingerflotten, Söldnertrupps, all diese Mitanni, Chabiri, Kreti. Die Welt vom Rücken des Pferdes herab betrachten, nicht von den Stufen des Tempels aus, reitend, nicht kniend. Und so geht es nun durch Jahrtausende. Wagenkampf, Schwert, Seeschlacht! Nur einmal noch ist der Kampf auf dem Wasser überboten worden: die Luftschlacht. Damit tritt der höhere Mensch in das tragische Zeitalter ein: groß, um an Seelengröße zu enden!


38


[Ich will] ein Bild zeichnen von der Art, wie damals ›Völker wanderten‹, nicht die Kindereien heutiger Gelehrter. Als Beispiel nehme ich Israel nach Wellhausen (Beduinentyp), Normannen (Wikingertyp), Goten, Galater (Stähelin). Schildern, anschaulich: Der ›große Haufe‹ sitzt mitten zwischen Weibern, Leuten, [soundsoviel] Köpfe. Die einzelnen Stämme kümmern sich nicht umeinander. Von ›Volk‹ ist keine Rede, weder bei Siegen noch [bei] Opfern. Der geographische Horizont reicht drei Dörfer weit. Erst was dahinter kommt, erregt Angst.

Beispiele nennen, wie sich flüchtige Verbände zu einem vorübergehenden Zweck zusammenfanden – das sind keine ›Völker‹, sondern bei den Angreifern Verbände mit Schwur und Namen, bei den Opfern[289] ›Bevölkerungen‹, deren Benennung belanglos ist. All die ›Namen‹, die heute als Völker gelten, sind nur so etwas.

Rasse ist völlig gleichgültig. Gad, Dan z.B. sind keine Beduinen, Odoaker führt nicht nur ›Germanen‹; ebenso sind die ›Hunnen‹ alles mögliche. Der Besitz einer Sprache kommt ihnen gar nicht zum Bewußtsein. Sie gewöhnen sich bald, die der Landeseinwohner zu lernen, und merken es nicht. Nachher erobern sie neue Länder, und die neuen Inschriften zeigen diese Sprache.

Quelle:
Oswald Spengler: Frühzeit der Weltgeschichte. München 1966, S. 274-290.
Lizenz:

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