Cypern und Phönikien

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›Phöniker‹ – ein Beispiel, wie aus einem Gelegenheitsnamen der Glaube an ein ›Volk‹ entstehen kann, das es nie gegeben hat. In dieser Gegend, die mit einem Mitanniwort Kinachni, Kanaan hieß, haben verschieden sprechende Volkstümer gesessen. Seit der Hyksoszeit [gab es] Stadtfürstentümer an den Küsten und im Binnenlande. Seevölkereroberung. Und nun, nach dem Fall der ägyptischen Herrschaft und der Achäer, wird Sidon mächtig, später Tyrus, eine einzelne Stadt. Die jonischen Seefahrer nannten sie Levantiner: Phöniker.


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Phöniker: die alten Volkstümer der Küste waren mitannisch. Semitisch sprach die erobernde Herrenschicht. Es wurde dort zur Verkehrssprache, verbreitet, schriftgebunden, damit herrschend. Als die Seevölker die Küste herab gegen Ägypten zogen, haben sie selbstverständlich auch Tyrus [und] Sidon zu Land und zu Wasser angegriffen – wie sollten sie sonst weitergekommen sein? Das geschah etwa 1200.

Also sitzen auch in diesen Städten Verwandte der Etrusker, Philister usw. Sie haben wie diese die Verkehrssprache angenommen und den Handel fortgesetzt, auch aus eignem Talent. Deshalb sind Jonier, Phöniker, Etrusker zugleich Hansaleute der Antike. Karthago [ist] dem Geist nach halb antik, halb libysch. Da die erobernden Herren die Weiber der Unterworfenen nahmen, siegte deren Sprache. Das politische S[ystem] blieb. Phöniker und Jonier haben Emporien wiederaufgebaut. Der angebliche Unterschied in den Kolonien besteht nicht. In Etrurien gab es solche Tradition nicht: die Küste war im 2. Jahrtausend Objekt fremder Kolonisation gewesen. Tarent [wurde] von ›achäischen‹ (Kuppelgräber), nicht von dorischen [Siedlern] gegründet.[329]


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Die Tyrier (Syrer) suchen die alten Stützpunkte seit 1100 wieder: Zunächst Malta, Sizilien, Tunis. Dann Sardinien (der kyprische Bronzekandelaber!), wo die Seemacht der alten Stämme offenbar vernichtet war. Von ihnen stammen die Ba[rren] von Serra Ilixi [auf Sardinien], die ältesten phönikischen Funde im Westen!

Poulsen: Alle Nachrichten über Phöniker in Spanien und Tartessos sind spät und nebelhaft. Tarschisch war eben Tunis. Hier endete die Kaftiseefahrt. ›Tyrrhener‹ fuhren auch nach Etrurien, von Karthago her. Alte, enge Verbindung. Insel Plana bei Ibizza [ist] ›phönikisch‹. Bronzestatuetten, die Tonfiguren aus Syrien und Cypern ähnlich sind, 8./7. Jahrhundert (Bosch, Klio 22, 365). Im 7. Jahrhundert [wird] der Name Tarschisch von den Tyrern nach Andalusien übertragen (S. 366).


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Auf Cypern [kommen] Namen wie Tamassos und Nemessos [vor]. Die Bevölkerung [ist] der kilikischen (luvischen) verwandt. Hier ist die Wikingereroberung mißlungen: Im Gegensatz zu Rhodos und Milet ist die altägyptische Form der Schachtgräber allein herrschend geblieben (Fimmen 105). Cyprisch-arkadischer Dialekt. Epos der Cyprien ist im 10. Jahrhundert und später entstanden, also vordorisch, aber nachmykenisch. Alte Kultverbindung [von] Cypern mit vordorischem Lakonien, Argos, Achaia. Eine Priesterklasse hieß Achaiomanteis. Ilias XI, 19 ff: Agamemnon erhält von einem cyprischen Fürsten einen Brustpanzer.

›Phöniker‹, die Rothäute = nichtnordischer Menschenschlag? Phöniker nichtsemitisch, Kern: Seevolk (s. Reinach, Wilamowitz, auch Evans). Was im Westmittelmeer an minoischen Dingen erscheint, haben Seevölker dorthin verschleppt. Daunier, ein japygischer Stamm: Herodots Bericht über den Zug Minos' nach Sizilien, wo er stirbt. Die Mannen siedeln sich in Japygien an (VII, 171).[330]


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Als um 1200 die Barbaren alles niedertraten, die Bevölkerung zum großen Teil abschlachteten, die Dörfer verbrannten, kann die Seefahrt, also der Bestand einiger Küstenplätze, Militär, Kaufleute, Matrosen nicht verschwunden sein. Diese wilden Stämme mit ihrer Freude am Blutvergießen waren doch so klug, um den Vorteil einzusehen. Sie zwangen die Leute in ihren Dienst. Im Sprachgebrauch dieser Kreise erhielten sich die Begriffe Tartessos und Alaschia. So wurde ›karisch‹ Tart-essos [zu] ›phönikisch‹ Tarschisch. Die ›Karer‹ (Kereti) waren Westfahrer, nördlich von Kreta, die Tyrer südlich. Ist vielleicht die Bezeichnung Phöniker eine Übersetzung von Elysium, Morgenland (Beloch)? [Werden] Vogel und Palme damit als ›orientalisch‹ bezeichnet? Orientalen, Levantiner? Vgl. Pfirsich, Apfelsine, Quitte.


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Kypris: Auch in der Wikingerzeit sind die ›Hafenweiber‹ den Seeleuten bekannt und unentbehrlich. So die Kypristempel mit ihren Hierodulen. Aphrodite [ist] offenbar [ein] Kaftiname (Lakonien), Kypris der Name einer Göttin der Seevölker.


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Kypris: Diese kontrahierte Form ist in äolischer Aussprache entstanden und durch die homerischen Rhapsoden festgelegt worden. Die ursprüngliche Form muß (nach Kyparissia etc.) etwa Kupara gewesen sein (das ü ist jonische Aussprache). Vielleicht Kupära?


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Kypros nannten die Seevölker oder ältesten Griechen die Insel, wie in Messenien Stadt, Fluß, Berg Kyparissiai hießen, weil es dort überall Bordelltempel gab. An der syrischen Küste hieß die Insel Kittim. Auch[331] der alte Name Alasia war noch bekannt. Mit dem Namen Jadnana ist nichts anzufangen, weil wir nicht wissen, von wem die assyrischen Beamten den Namen hörten und ob sie ihn richtig verstanden haben. (Ähnlich Kat-patuku. Wer ist das?)


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Die griechisch sprechenden Stämme haben den Namen Alaschia nicht übernommen. Er blieb an der phönikischen Küste bekannt (Elissa). Diese Seefahrer mögen die Kyprisheiligtümer zum Namen der Inseln gemacht haben (ähnlich Minoa, Artemision, Apollonia, Athen (?), Delphinion, Potidaia). Kypris ist ein Name, der in Alaschia üblich war.


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Wenn Zeus, persisch baga, (phrygisch bog = Gott), wirklich mit fagus = Buche und quercus mit Perkun zusammenhängt, so beweist das, daß man nicht die botanische Gattung bezeichnen wollte, sondern die Dämonen der Waldmasse, des Rauschens in den Wipfeln – lange bevor man persönliche Götter und bestimmte Baumarten dachte. Fagus etc. bezeichnet gar nicht (stets) den gleichen Baum. Der Baumname [ist] also vom Gottesnamen abgeleitet, nicht umgekehrt! Erst spät [fand man] ein Interesse daran, die Baumart zu benennen. Ebenso Kyparissos, Cupressus [= Baum der Kypris].


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Ein ›Volk der Phöniker‹ hat es nie gegeben. Was man meint, ist die städtische Bevölkerung weniger Hafenstädte, unter denen bis 1200 etwa Sidon, später Tyrus maßgebend war. Diese Leute, oder vielleicht nur das regierende Patriziat, nannten sich ›Sidon und Tyrus‹. Man sprach zwar dieselbe hamitische Mundart, die in ganz Westsyrien von Aleppo bis Samaria verbreitet war, das Kinachni. Das ist nicht ›phönikisch‹, sondern eben kanaanäisch. Übrigens hieß die Gegend damals[332] Kanaan, wie die Tyrer selbst sich privatim nennen. Erst wir haben unter dem Einfluß der Theologie den Namen für Palästina eingeführt, weil ihn die israelitischen Beduinen antrafen, als einzelne ihrer Stämme über den Jordan zogen. Erst die jonischen Seehändler von Milet aus bezeichnen nach einem alten geläufigen Appellativ die Tyrer als Phöniker, die Rötlichen, d.h. die Morgenländer.


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Hera [ist] kein Name, sondern [eine] Anrede: Herrin. Wie Freya, Frouwe, Leda, Leto. Wenn im ›phönikischen‹ Bereich ebenso Baal und Baalat gebraucht wird, ist [das] ein Beweis für die Tatsache, daß die Seevölker der Oberschicht die semitische Sprache annahmen. Tyrus ist ›Seevölkerstadt‹.


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[Es ist] schon möglich, daß die Griechen ›Phöniker‹ ursprünglich in Kanaan ansetzten. Sie meinten Seefahrer aus dem Morgenlande (rot) oder [mit] rot gestrichenen Schiffen oder dergl. Dann verschob sich die Bezeichnung nach Tyrus. [Vgl.] Frankistan, Westindien.


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Kypris: Im Sturm durch die Wasserwüste gejagt, scheiternd ... Ich kann es mir so denken: Die Danaer lernten im Peloponnes, [in] Karthago, [auf] Kreta die Göttin Kuparis kennen, dann, als sie 1200 nach Alaschia kamen, fanden sie sie wieder – unter dem Namen ›Aphrodite‹, der damals noch anders klang. Danach nannten sie die Insel Kypros, Insel der Kupara.


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Um 1200 [wurden] die syrischen Städte von Seevölkern erobert, wie weiter im Süden von den Philistern. Eine Herrenschicht, die einheimische Sprache, Religion [und] Kultur annahm. Jetzt führt Tyrus.[333]

Politisch-sozial halten sich die Standesauffassungen des Nordens. Die führenden Familien haben dann im Westen und in Karthago gegründet und organisiert. Daher die Strukturverwandtschaft.


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An der Küste von Ugarit haftet zunächst, wie es scheint, der Name Alaschia, der auch in dem semitischen Sprachgebrauch lebendig blieb (Elissa), ohne daß man den ursprünglichen Sinn noch verstand (ein Wort wie ›Westindien‹). Dann kam offenbar ›Sidonier‹ [dafür] auf. Zur Jonierzeit aber war Tyrus der führende Seehandelsplatz, und danach wurde die Küste von den Joniern ›tyrisch‹ = Syrien genannt, wie weiter südlich Philistäa – Palästina.


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Enak, Pelasger (Ed. Meyer II, 2, 81): Zusammenhang zwischen Lydern, Philistern, Phönikern. Lyderkönig Akiamos (Akis Philisterkönig). ›Gründung‹ von Tyrus 1198 durch die Seevölker. -amos: Akiamos Akis, Perrhamos Paris, Pergamos. Ptolemos Ptolis. Lydische Seeherrschaft vor Troja – daran muß etwas Wahres sein. Das waren Tyrrhener (Pelasger). Bis 1198 ist Sidon Phönikien, von da an Tyrus. Die homerische Bezeichnung Sidoner stammt also aus der Zeit vor 1200.

Quelle:
Oswald Spengler: Frühzeit der Weltgeschichte. München 1966, S. 328-334.
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