20. Müdigkeit der weißen Völker: Unfruchtbarkeit

[203] Sehr wenig, wie es zunächst scheint. Auch ihre Völker sind an der Kultur müde geworden. Im Feuer der hohen Form und im Ringen nach innerer Vollendung hat sich die seelische Substanz verzehrt. Vielfach ist nur noch Glut, oft nur Asche übrig, aber das gilt nicht überall. Je weniger ein Volk in den Wirbel vergangener Geschichte führend hineingezogen wurde, desto mehr Chaos, das Form werden kann, hat es bewahrt. Und wenn der Sturm großer Entscheidungen darüber hinbraust, wie 1914, schlagen die verborgenen Funken plötzlich als Flammen empor. Gerade in der germanischen Rasse, der willens stärksten, die es je gegeben hat, schlafen noch große Möglichkeiten.

Aber wenn hier von Rasse die Rede ist, so ist das nicht in dem Sinne gemeint, wie er heute unter Antisemiten in Europa und Amerika Mode ist, darwinistisch, materialistisch nämlich. Rassereinheit ist ein groteskes Wort angesichts der Tatsache, daß seit Jahrtausenden alle Stämme und Arten sich gemischt haben, und daß gerade kriegerische, also gesunde, zukunftsreiche Geschlechter von jeher gern einen Fremden sich eingegliedert haben, wenn er »von Rasse« war, gleichviel zu welcher Rasse er gehörte. Wer zuviel von Rasse spricht, der hat keine mehr. Es kommt nicht auf die reine, sondern auf die starke Rasse an, die ein Volk in sich hat.

Das zeigt sich zunächst in der selbstverständlichen, elementaren Fruchtbarkeit, dem Kinderreichtum, den das geschichtliche Leben verbrauchen kann, ohne ihn je zu erschöpfen. Gott ist nach dem bekannten Worte Friedrichs des Großen immer bei den stärkeren Bataillonen – das zeigt sich gerade hier. Die Millionen Gefallener des Weltkrieges waren rassemäßig das Beste, was die weißen Völker hatten, aber die Rasse beweist sich darin, wie schnell sie ersetzt werden können. Ein Russe sagte mir: »Was wir in der Revolution[203] geopfert haben, bringt das russische Weib in zehn Jahren wieder ein.« Das ist der richtige Instinkt. Solche Rassen sind unwiderstehlich. Die triviale Lehre von Malthus, die Unfruchtbarkeit als Fortschritt zu preisen, die heute in allen weißen Ländern gepredigt wird, beweist nur, daß diese Intellektuellen ohne Rasse sind, ganz abgesehen von der nachgerade trottelhaften Meinung, daß Wirtschaftskrisen durch Bevölkerungsschwund beseitigt werden könnten. Das Gegenteil ist der Fall. Die »starken Bataillone«, ohne die es keine große Politik gibt, geben auch dem Wirtschaftsleben Schutz, Kraft und inneren Reichtum.

Das Weib von Rasse will nicht »Gefährtin« oder »Geliebte« sein, sondern Mutter, und nicht die Mutter eines Kindes als Spielzeug und Zeitvertreib, sondern vieler: Im Stolz auf den Kinderreichtum, im Gefühl, daß Unfruchtbarkeit der härteste Fluch ist, der ein Weib und durch sie das Geschlecht treffen kann, redet der Instinkt von starken Rassen. Aus ihm stammt die Ureifersucht, mit der ein Weib dem andern den Mann zu entreißen sucht, den es selbst als Vater seiner Kinder besitzen will. Die geistigere Eifersucht der großen Städte, die wenig mehr ist als erotischer Appetit und den anderen Teil als Genußmittel wertet, das bloße Nachdenken über die gewünschte oder gefürchtete Kinderzahl verrät schon den erlöschenden Trieb der Rasse zur Dauer, der sich nicht durch Reden und. Schreiben wieder erwecken läßt. Die Urehe – oder was alte Volkssitte sonst an tiefverwurzelten Bräuchen kennt, um die Zeugung zu heiligen – ist nichts weniger als sentimental. Der Mann will tüchtige Söhne haben, die seinen Namen und seine Taten über den eigenen Tod hinaus in die Zukunft dauern und wachsen lassen, wie er selbst sich als Erbe des Rufes und des Wirkens seiner Ahnen fühlt. Das ist die nordische Idee der Unsterblichkeit. Eine andere haben diese Völker nicht gekannt und nicht gewollt. Darauf beruht die gewaltige Sehnsucht nach Ruhm, der Wunsch, in einem Werk unter den Nachkommen fortzuleben, seinen Namen auf Denkmäler[204] verewigt zu sehen oder zum mindesten ein ehrenvolles Gedächtnis zu erhalten. Deshalb ist der Erbgedanke von der germanischen Ehe nicht zu trennen. Wenn die Idee des Eigentums verfällt, löst sich der Sinn der Familie in nichts auf. Wer sich gegen die eine wendet, greift auch die andere an. Der Erbgedanke, der am Dasein jedes Bauernhofes, jeder Werkstatt, jeder alten Firma haftet, an ererbten Berufen,31 und in der Erbmonarchie seinen höchsten symbolischen Ausdruck gefunden hat, bürgt für die Stärke des Rasseinstinktes. Der Sozialismus greift ihn nicht nur an, sondern ist durch sein bloßes Vorhandensein schon ein Zeichen für dessen Niedergang.

Aber der Verfall der weißen Familie, der unentrinnbare Ausdruck großstädtischen Daseins, greift heute um sich und verzehrt die »Rasse« der Nationen. Der Sinn von Mann und Weib geht verloren, der Wille zur Dauer. Man lebt nur noch für sich selbst, nicht für die Zukunft von Geschlechtern. Die Nation als Gesellschaft, ursprünglich das organische Geflecht von Familien, droht sich von der Stadt her in eine Summe privater Atome aufzulösen, deren jedes aus seinem und dem fremden Leben die größtmögliche Menge von Vergnügen – panem et circenses – ziehen will. Die Frauenemanzipation der Ibsenzeit will nicht die Freiheit vom Mann, sondern vom Kinde, von der Kinderlast, und die gleichzeitige Männeremanzipation die von den Pflichten für Familie, Volk und Staat. Die gesamte liberal-sozialistische Problemliteratur bewegt sich um diesen Selbstmord der weißen Rasse. Es war in allen anderen Zivilisationen ebenso.

Die Folgen liegen vor unseren Augen. Die farbigen Rassen der Welt waren bisher doppelt so stark wie die weißen. Aber um 1930 hatte Rußland einen jährlichen Geburtenüberschuß von 4, Japan von 2 Millionen, Indien hat 1921–31 um 34 Millionen zugenommen. In Afrika werden die Neger bei ihrer ungeheuren Fruchtbarkeit sich noch gewaltiger vermehren, seitdem die europäische Medizin dort »eingebrochen« ist und die starke Auslese durch[205] Krankheiten verhindert. Demgegenüber haben Deutschland und Italien einen Geburtenüberschuß von weniger als einer halben Million, England, das Land der öffentlich empfohlenen Geburteneinschränkung, weniger als die Hälfte davon, Frankreich und das alteingesessene Yankeetum der Vereinigten Staaten keinen mehr. Das letztere, die bisher herrschende »Rasse« germanischer Prägung, schwindet seit Jahrzehnten rasch dahin. Die Zunahme der Bevölkerung liegt ganz auf Seiten der Neger und der seit 1900 eingewanderten Ost- und Südeuropäer. In Frankreich haben manche Departements seit 50 Jahren über ein Drittel der Bevölkerung verloren. In einzelnen ist die Geburtenzahl um die Hälfte niedriger als die der Todesfälle. Einige kleine Städte und viele Dörfer stehen fast leer. Von Süden her dringen Katalonen und Italiener als Bauern ein, Polen und Neger überall sogar in den Mittelstand. Es gibt schwarze Geistliche, Offiziere und Richter. Diese Zugewanderten, weit über ein Zehntel der Einwohnerschaft, halten mit ihrer Fruchtbarkeit allein die Kopfzahl der »Franzosen« annähernd auf der gleichen Höhe. Aber der echte Franzose wird in absehbarer Zeit nicht mehr Herr in Frankreich sein. Die scheinbare Zunahme der weißen Gesamtbevölkerung der ganzen Erde, so gering sie im Verhältnis zum Anschwellen der Farbigen ist, beruht auf einer vorübergehenden Täuschung: Die Zahl der Kinder wird immer kleiner, und nur die Zahl der Erwachsenen nimmt zu, nicht weil es mehr sind, sondern weil sie länger leben.

Aber zu einer starken Rasse gehört nicht nur eine unerschöpfliche Geburtenzahl, sondern auch eine harte Auslese durch die Widerstände des Lebens, Unglück, Krankheit und Krieg. Die Medizin des 19. Jahrhunderts, ein echtes Produkt des Rationalismus, ist von dieser Seite her betrachtet ebenfalls eine Alterserscheinung. Sie verlängert jedes Leben, ob es lebenswert ist oder nicht. Sie verlängert sogar den Tod. Sie ersetzt die Zahl der Kinder durch die Zahl der Greise. Sie kommt der Weltanschaung des panem[206] et circenses entgegen, indem sie den Wert des Lebens am Quantum der Lebenstage mißt und nicht nach deren Gehalt. Sie verhindert die natürliche Auslese und steigert dadurch den Rasseverfall. Die Zahl der unheilbar Geisteskranken ist in England und Wales seit 20 Jahren von 4,6 auf 8,6 vom Tausend gestiegen. In Deutschland beträgt die Zahl der geistig Minderwertigen fast eine halbe, in den Vereinigten Staaten weit über eine Million. Nach einem Bericht des früheren Präsidenten Hoover haben von den Jugendlichen Amerikas 1360000 Sprach- und Gehörfehler, 1000000 Herzleiden, 875000 sind schwer erziehbar oder verbrecherisch, 450000 geistig minderwertig, 300000 Krüppel, 60 000 blind. Aber dazu kommt die ungeheure Menge der geistig, seelisch und leiblich Unnormalen jeder Art, der Hysterischen, Seelen- und Nervenkranken, die gesunde Kinder weder zeugen noch gebären können. Ihre Zahl läßt sich nicht erfassen, aber sie geht aus der Zahl der Ärzte hervor, die davon leben, und der Masse von Büchern, die darüber geschrieben werden. Aus solchem Nachwuchs entwickeln sich das revolutionäre Proletariat mit dem Haß der Schlechtweggekommenen, und der Salonbolschewismus der Ästheten und Literaten, die den Reiz solcher Seelenverfassungen genießen und verkünden.

Es ist eine bekannte Tatsache, daß bedeutende Menschen selten erste und fast nie einzige Kinder sind. Die kinderarme Ehe richtet sich nicht nur gegen die Quantität, sondern vor allem auch gegen die Qualität der Rasse. Was ein Volk ebenso nötig braucht wie gesunde Rasse in sich selbst, ist das Vorhandensein einer Auslese von Überlegenen, die es führen. Eine Auslese, wie sie der englische Kolonialdienst und das preußische Offizierskorps – auch die katholische Kirche – heranbildeten, indem sie unerbittlich und ohne Rücksicht auf Geld und Abkunft nur die sittliche Haltung und die Bewährung in schwierigen Lagen gelten ließen, wird aber unmöglich, wenn das vorhandene Material nirgends über den Durchschnitt hinausragt. Die Auslese des[207] Lebens muß vorangegangen sein; dann erst kann die des Standes erfolgen. Ein starkes Geschlecht hat starke Eltern nötig. Etwas vom Barbarentum der Urzeit muß noch im Blute liegen, unter der Formenstrenge alter Kultur, das in schweren Zeiten hervorbricht, um zu retten und zu siegen.

Dies Barbarentum ist das, was ich starke Rasse nenne,32 das Ewig-Kriegerische im Typus des Raubtieres Mensch. Es scheint oft nicht mehr da zu sein, aber es liegt sprungbereit in der Seele. Eine starke Herausforderung, und es hat den Feind unter sich. Es ist nur dort erstorben, wo der Pazifismus der späten Städte seinen Schlamm über die Generationen wälzt, den müden Wunsch nach Ruhe um jeden Preis, ausgenommen den des eigenen Lebens. Das ist die seelische Selbstentwaffnung nach der leiblichen durch Unfruchtbarkeit.

Warum ist das deutsche Volk das unverbrauchteste der weißen Welt und also das, worauf man am stärksten hoffen darf? Weil seine politische Vergangenheit ihm keine Gelegenheit gab, sein wertvollstes Blut und seine großen Begabungen zu verschwenden. Es ist der einzige Segen unserer elenden Geschichte seit 1500. Sie hat mit uns gespart. Sie machte uns zu Träumern und Theoretikern in Dingen der großen Politik, weltfremd und blind, eng, zänkisch und provinzial, aber das läßt sich überwinden. Es war kein organischer Fehler, kein angeborener Mangel an Fähigkeiten, wie die Kaiserzeit beweist. Das tüchtige Blut, die Grundlage auch der geistigen Überlegenheit jeder Art, war da und blieb erhalten. Die große Geschichte ist anspruchsvoll. Sie verzehrt die rassenmäßig besten Elemente. Sie hat das Römertum in ein paar Jahrhunderten verzehrt. Als mit der Entdeckung Amerikas die nordische Völkerwanderung, die tausend Jahre vorher in Südeuropa zum Stillstand gekommen war, in großem Stile wieder begann und sich über die Meere hin fortsetzte, gingen die kraftvollen Geschlechter Spaniens von großenteils nordischer Abkunft nach drüben, wo sie kämpfen, wagen und herrschen konnten. Die wertvollste[208] Aristokratie spanischer Prägung saß um 1800 dort, und das starke Leben erlosch im Mutterlande. Ebenso hat sich die zum Herrschen berufene Oberschicht Frankreichs an der großen Politik seit Ludwig XIII. und nicht nur an ihr verbraucht – auch die hohe Kultur bezahlt sich teuer – und noch mehr die angelsächsische am englischen Weltreich. Was hier an überlegenen Geschlechtern vorhanden war, sandte die Männer nicht in die Kontore und kleinen Ämter der heimatlichen Insel. Sie folgten dem Wikingerdrang nach einem Leben in Gefahr und gingen überall in der Welt in zahllosen Abenteuern und Kriegen zugrunde, wurden vom Klima verdorben oder blieben in der Ferne, wo sie zum Beispiel in Nordamerika die Grundlage einer neuen Herrenschicht gebildet haben. Was übrig blieb, wurde »konservativ«, das bedeutet hier: unschöpferisch, müde, voll von unfruchtbarem Haß gegen alles Neue und Unvorhergesehene. Auch Deutschland hat sehr viel von seinem besten Blut in fremden Heeren und an fremde Nationen verloren. Aber der Provinzialismus seiner politischen Zustände stimmte den Ehrgeiz der Begabten auf das Dienen an kleinen Höfen, in kleinen Heeren und Verwaltungen herab.33 Sie sind hier ein gesunder und fruchtbarer Mittelstand geblieben. Der Adel blieb zum größten Teil höheres Bauerntum. Es gab keine große Welt und kein reiches Leben. Die »Rasse« im Volkstum schlief und wartete auf den Weckruf einer großen Zeit. Hier liegt, trotz der Verwüstungen der letzten Jahrzehnte, ein Schatz von tüchtigem Blut, wie ihn kein anderes Land besitzt. Er kann geweckt und muß durchgeistigt werden, um für die gewaltigen Aufgaben der Zukunft bereit und wirksam zu sein. Aber diese Aufgaben sind heute da. Der Kampf um den Planeten hat begonnen. Der Pazifismus des liberalen Jahrhunderts muß überwunden werden, wenn wir weiterleben wollen.

Wie weit sind die weißen Völker schon in ihn hineingeschritten? Ist das Geschrei gegen den Krieg eine geistige Geste oder die ernsthafte Abdankung vor der Geschichte[209] auf Kosten der Würde, der Ehre, der Freiheit? Aber das Leben ist Krieg. Kann man seinen Sinn verabschieden und es doch behalten? Das Bedürfnis nach fellachenhafter Ruhe, nach Versicherung gegen alles, was den Trott der Tage stört, gegen das Schicksal in jeder Gestalt, scheint das zu wollen: eine Art Mimikry gegenüber der Weltgeschichte, das Sichtotstellen menschlicher Insekten angesichts der Gefahr, das happy end eines inhaltleeren Daseins, durch dessen Langeweile Jazzmusik und Niggertänze den Totenmarsch einer großen Kultur zelebrieren.

Aber das kann nicht sein und darf nicht sein. Der Hase täuscht vielleicht den Fuchs. Der Mensch kann den Menschen nicht täuschen. Der Farbige durchschaut den Weißen, wenn er von »Menschheit« und ewigem Frieden redet. Er wittert die Unfähigkeit und den fehlenden Willen, sich zu verteidigen. Hier tut eine große Erziehung not, wie ich sie als preußisch bezeichnet habe und die man meinetwegen »sozialistisch« nennen mag – was kommt auf Worte an! Eine Erziehung, welche durch lebendiges Vorbild die schlafende Kraft weckt, nicht Schule, Wissen, Bildung, sondern seelische Zucht, die das heraufholt, was noch da ist, es stärkt und zu neuer Blüte bringt. Wir können uns nicht erlauben, müde zu sein. Die Gefahr pocht an die Tür. Die Farbigen sind nicht Pazifisten. Sie hängen nicht an einem Leben, dessen Länge sein einziger Wert ist. Sie nehmen das Schwert auf, wenn wir es niederlegen. Sie haben den Weißen einst gefürchtet, sie verachten ihn nun. In ihren Augen steht das Urteil geschrieben, wenn weiße Männer und Frauen sich vor ihnen so aufführen, wie sie es tun, zu Hause oder in den farbigen Ländern selbst. Einst packte sie Entsetzen vor unserer Macht – wie die Germanen vor den ersten römischen Legionen. Heute, wo sie selbst eine Macht sind, reckt sich ihre geheimnisvolle Seele auf, die wir nie verstehen werden, und sieht auf den Weißen herab wie auf etwas Gestriges.

Aber die größte Gefahr ist noch gar nicht genannt worden: Wie, wenn sich eines Tages Klassenkampf und Rassenkampf[210] zusammenschließen, um mit der weißen Welt ein Ende zu machen? Das liegt in der Natur der Dinge, und keine der beiden Revolutionen wird die Hilfe der andern verschmähen, nur weil sie deren Träger verachtet. Gemeinsamer Haß löscht gegenseitige Verachtung aus. Und wie, wenn sich an ihre Spitze ein weißer Abenteurer stellt, wie wir schon manche erlebt haben, einer, dessen wilde Seele im Treibhaus der Zivilisation nicht atmen konnte und in gewagten Kolonialunternehmen, unter Piraten, in der Fremdenlegion sich an Gefahren zu sättigen versuchte, bis er hier plötzlich ein großes Ziel vor Augen sieht? Mit solchen Naturen bereitet die Geschichte ihre großen Überraschungen vor. Der Ekel tiefer und starker Menschen an unseren Zuständen und der Haß tief Enttäuschter könnten sich schon zu einer Auflehnung steigern, die Vernichtung will. Auch das war der Zeit Cäsars nicht fremd. Jedenfalls: Wenn in den Vereinigten Staaten das weiße Proletariat losbricht, wird der Neger zur Stelle sein und hinter ihm werden Indianer und Japaner auf ihre Stunde warten. Das schwarze Frankreich würde in solchem Falle ebensowenig zögern, die Pariser Szenen von 1792 und 1871 zu übertreffen. Und würden die weißen Führer des Klassenkampfes je verlegen sein, wenn farbige Unruhen ihnen den Weg öffneten? Sie sind in ihren Mitteln nie wählerisch gewesen. Es würde sich nichts ändern, wenn Moskau als Befehlsgeber verstummen sollte. Es hat sein Werk getan. Das Werk setzt sich selbst fort. Wir haben vor den Augen der Farbigen unsre Kriege und Klassenkämpfe geführt, uns untereinander erniedrigt und verraten; wir haben sie aufgefordert, sich daran zu beteiligen. Wäre es ein Wunder, wenn sie das endlich auch für sich täten?

Hier erhebt die kommende Geschichte sich hoch über Wirtschaftsnöte und innerpolitische Ideale. Hier treten die elementaren Mächte des Lebens selbst in den Kampf, der um alles oder nichts geht. Die Vorform des Cäsarismus wird sehr bald bestimmter, bewußter, unverhüllter werden. Die[211] Masken aus dem Zeitalter parlamentarischer Zwischenzustände werden ganz fallen. Alle Versuche, den Gehalt der Zukunft in Parteien aufzufangen, werden rasch vergessen sein. Die faschistischen Gestaltungen dieser Jahrzehnte werden in neue, nicht vorauszusehende Formen übergehen und auch der Nationalismus heutiger Art wird verschwinden. Es bleibt als formgebende Macht nur der kriegerische, »preußische« Geist, überall, nicht nur in Deutschland. Das Schicksal, einst in bedeutungsschweren Formen und großen Traditionen zusammengeballt, wird in der Gestalt formloser Einzelgewalten Geschichte machen. Die Legionen Cäsars wachen wieder auf.

Hier, vielleicht schon in diesem Jahrhundert, warten die letzten Entscheidungen auf ihren Mann. Vor ihnen sinken die kleinen Ziele und Begriffe heutiger Politik in nichts zusammen. Wessen Schwert hier den Sieg erficht, der wird der Herr der Welt sein. Da liegen die Würfel des ungeheuren Spiels. Wer wagt es, sie zu werfen?[212]

Anmerkungen

1 Spengler meint nicht die so betitelte Erzählung, sondern die »Boxergeschichte« Kleists. Anmerkung des Verlags.


2 Einschließlich der Streitwagen, die nur in der Schlacht und nicht auf dem Marsche Verwendung fanden. Sie sind etwa ein Jahrtausend älter, in demselben Gebiet entstanden und haben überall, wo sie auftauchten, eine ungeheuere Überlegenheit über die damalige Kampfweise im Felde bewiesen, in China und Indien etwa seit 1500, in Vorderasien schon etwas früher, in der hellenischen Welt etwa seit 1600. Sie wurden bald allgemein verwendet und verschwanden, als die Reiterei, wenn auch nur als Spezialwaffe neben dem Fußvolk, zur dauernden Einrichtung wurde.


3 Es ist dieselbe Rasse, welcher der französische Bauer und Bourgeois und die Mehrheit der Spanier angehören, nachdem auch dort das nordische Element im Kriege und durch Auswanderung verbraucht worden ist. Die echt keltischen Stämme sind erst in der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. eingewandert, aus dem nördlichen Mitteleuropa, und es ist sehr die Frage, ob sie sich nicht nur sprachlich von den Germanen unterscheiden. Sie bildeten zur Zeit Cäsars den gallischen und britannischen Adel über einer weit zahlreicheren unterworfenen Bevölkerung, nicht anders als später die Franken, Sachsen und Normannen.


4 Selbstverständlich auch nicht als Vorzug, was man manchen Tröpfen immer wieder sagen muß. Lautes Lob der Armut ist genau so verdächtig wie Schmähen des Reichtums: Dahinter verbirgt sich der Ärger über die eigene Unfähigkeit, ihr ein Ende zu machen.


5 Nicht nur diese kleinbürgerlichen Hochstapler und Literaten, die Söhne des Uhrmachers Caron und des Steuerbeamten Arouet, sondern auch »de« Robespierre hat, noch zur Zeit der Nationalversammlung, widerrechtlich den Adelstitel geführt. Sie wollten zur Gesellschaft gerechnet werden, die sie zerstörten: ein charakteristischer Zug aller Revolutionen dieser Art.


6 Ebenso die sozialistischen Stücke und Romane der achtziger Jahre und die bolschewistischen nach 1918, die in allen Großstädten Westeuropas sich bei denen bezahlt machten, gegen die ihr Angriff gerichtet war.


7 Die Loyalisten, die nicht republikanisch gesinnten Amerikaner, wanderten daraufhin mehr oder weniger freiwillig nach Kanada aus.


8 In Deutschland kam es nicht dazu, weil eine eigentliche Hauptstadt mit dem Zubehör von Agitatoren, Winkelliteraten und Berufsverbrechern fehlte. Die Ideologen waren da. Man braucht nur an Georg Forster und andere zu erinnern, die in Mainz und dann in Paris als Jakobiner auftraten und für ihre Ansicht starben. 1793 mußten die politischen Klubs nach englisch-französischem Vorbild durch ein Reichsgesetz verboten werden.


9 Die bekannten Führer gehören sämtlich dem »Bürgertum« an. Owen, Fourier, Engels waren »Unternehmer«, Marx und Lassalle »Akademiker«, schon[213] Danton und Robespierre waren Juristen, Marat Mediziner gewesen. Der Rest sind Literaten und Journalisten. Es ist kein einziger Arbeiter darunter.


10 Das bald darauf aufgegeben wurde, weil es nicht die erhoffte Wirkung hatte. In Wirklichkeit ging es den französischen Bauern unter Ludwig XVI. besser als irgendwo sonst in Europa.


11 Der Aufstand kam auch in Lyon, Marseille, Toulouse, Creusot, Narbonne zum Ausbruch, also bezeichnenderweise im Süden.


12 Dasselbe drückt in Frankreich seit 1789 citoyen und bourgeois tatsächlich aus, den Willen der Stadt gegen das Land.


13 Man denke an Haeckel. Mommsens Römische Geschichte ist das Pamphlet eines Achtundvierzigers gegen »Junker und Pfaffen«, mit einer vollkommen irreführenden Darstellung der inneren Entwicklung Roms.


14 Als Schopenhauer in seinem Testament eine Summe für die Hinterbliebenen der Soldaten bestimmt hatte, die 1848 in Berlin gefallen waren – niemand sonst hatte an diese Opfer der Revolution gedacht –, erhob sich unter Führung von Gutzkow ein Literatengeschrei über diese Schmach. Aus demselben Geist stammt das Mitleid mit dem bolschewistischen Massenmörder Trotzki, als ihm die »bürgerlichen« Regierungen Westeuropas den staatlichen Schutz für den Besuch eines Kurortes verweigerten.


15 Friedrich Lenz, »Staat und Marxismus« (1921, 1924), hat nachgewiesen, daß Marx nur aus diesen Gründen gegen die Staaten der heiligen Allianz, vor allem Preußen und Rußland, kämpfte, bevor er um 1843 Sozialist wurde, und daß er viel später noch bereit war, seine eigene kommunistische Theorie vom industriellen Proletariat fallen zu lassen und durch eine ganz andre von der Bauernbewegung zu ersetzen, um sein Ziel der Zerstörung des Zarismus sicherer zu erreichen.


16 Um so mehr Arbeiter, die sich durch Fleiß und Begabung »hinaufgearbeitet« haben, finden sich im Unternehmertum. Bebel hat das mit wütendem Haß als Verrat an der Arbeiterklasse gebrandmarkt. Nach seiner Meinung führt der »zielbewußte« Weg des Arbeiters nur über den Parteisekretär zum Massenführer.


17 Und umgekehrt hat jede revolutionäre Bewegung die ganz ungewollte und oft gar nicht bemerkte Tendenz, kultische Formen anzunehmen. Der Kult der Vernunft in der Französischen Revolution ist ein bekanntes Beispiel. Das Mausoleum Lenins ist ein anderes.


18 Gerade diese Mode unter heutigen Rednern und Schreibern beweist, daß es sich um ein Schlagwort, einen leeren Begriff und um nichts weniger als den Ausdruck religiöser Erneuerung und innerlichen Erlebens handelt. Es gibt tiefe Religionen und religiöse Überzeugungen großer Menschen, die atheistisch, pantheistisch oder polytheistisch sind, in China, Indien, der Antike und heute im Abendland. Das altgermanische Wort god war ein Neutrum pluralis und ist erst von der christlichen Propaganda in ein Maskulinum singularis verwandelt worden. Wie man das undurchdringliche Geheimnis der Umwelt zu deuten versucht und ob man es versucht, hat mit dem Rang des religiösen Schauens und Verhaltens gar nichts zu tun. Aber hier verwechselt man religiös mit konfessionell, der Anerkennung bestimmter Lehren und Vorschriften, und mit klerikal, der Anerkennung der Ansprüche einer Priesterschaft. In Wirklichkeit hängt die Tiefe einer Religion von der Persönlichkeit dessen ab, in dem sie lebt. Ohne Laienfrömmigkeit ist selbst eine ausgesprochene Priesterreligion nicht lebensfähig.


19 Die liberale Formel the greatest happiness of the greatest number stammt von den englischen Materialisten des 18. Jahrhunderts, unter denen sich gläubige Theologen wie Paley und Butler befanden. Sie hat sich folgerichtig zu der bolschewistischen von der Herrschaft der proletarischen Masse weiterentwickelt. Vom angeborenen Rangunterschied der Menschen ist keine Rede mehr. Es kommt nur noch auf das Quantum – des Glücks wie der Glücklichen – an, nicht auf Qualitäten.


20 Er sagte 1847: »Im allgemeinen ist heutzutage das Schutzzollsystem konservativ, während das Freihandelssystem zerstörend wirkt. Es zersetzt die früheren[214] Nationalitäten und treibt den Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf die Spitze. Mit einem Wort, das System der Handelsfreiheit beschleunigt die soziale Revolution. Und nur in diesem revolutionären Sinn stimme ich für den Freihandel« (Anhang zum »Elend der Philosophie«).


21 In der Vorrede zur zweiten russischen Ausgabe des Kommunistischen Manifests (1882) stellen Marx und Engels eine Theorie der Evolution auf, die der im »Kapital« völlig widerspricht. Da soll der Weg zum endgültigen Kommunismus auf einmal statt über die absolute Bourgeoisherrschaft über das angebliche Gemeineigentum der Bauern, den »Mir« führen. Es gab hier weder Bourgeoisie noch Proletariat im westeuropäischen Sinne – deshalb formten die beiden Demagogen ihre »Überzeugung« nach der Masse, die sie gegen den petrinischen Staat mobil machen wollten. Die »Arbeiterführer« von Moskau haben dann aber, der westlichen »Wahrheit« folgend, den Kampf gegen den Bauern zugunsten einer kaum vorhandenen Arbeiterschaft aufgenommen.


22 Diese geistige Arbeit ist überhaupt nicht nach der Stundenzahl zu begrenzen. Sie verfolgt und tyrannisiert ihre Opfer während der Erholung, auf Reisen und in schlaflosen Nächten; sie macht ein wirkliches Freisein vom Nachdenken, ein Ab- und Ausspannen unmöglich und verbraucht gerade die überlegenen Exemplare vor der Zeit. Kein Lohnarbeiter geht an Überanstrengung oder durch Irrsinn zugrunde. Hier ereignet es sich in zahllosen Fällen: Dies zur Beleuchtung des demagogischen Bildes vom schlemmenden und faulenzenden Bourgeois.


23 Weil sie sich nicht verbieten lassen wollten, ihre Arbeitskraft voll auszunützen wie jeder Schneider und Tischler. Dies gesunde Gefühl bricht trotz der Agitation aller Arbeiterparteien immer wieder durch, in dem Wunsch nach Überstunden und Nebenbeschäftigung.


24 Dafür wird dann die kleine Sorge in Gestalt von »Problemen« der Mode, der Küche, des ehelichen und unehelichen Liebesgezänkes und vor allem der Langeweile, die zum Überdruß am Leben führt, zu lächerlicher Wichtigkeit emporgetrieben. Man macht aus Vegetarismus, Sport, erotischem Geschmack eine »Weltanschauung«. Man begeht Selbstmord, weil man das ersehnte Abendkleid oder den gewünschten Liebhaber nicht bekommen hat oder weil man sich über Rohkost und Ausflüge nicht einigen kann.


25 Abgesehen davon, daß in einem südlichen Lande mit halbtropischem Lebensstil und entsprechender »Rasse«, und außerdem mit schwacher Industrie, also unentwickeltem Proletariat, die nordische Schärfe des Gegensatzes nicht vorhanden ist. In England etwa hätte diese Art von Faschismus nicht entstehen und sich nicht behaupten können.


26 Das altgermanische Wort eigan bedeutet herrschen: nicht nur etwas »haben«, sondern unumschränkt darüber verfügen.


27 Von dem ererbten Bauernhof, der Werkstatt, der Firma mit altem Namen bis zur Erbmonarchie. Die Republik ist seit 1789 eine Form der Opposition gegen den Erbgedanken, nichts anderes.


28 Das Urteil Jugurthas über Rom.


29 Die Libyer und »Seevölker« durch die Ägypter des Neuen Reiches, die Germanen durch Rom, die Türken durch die Araber, die Neger durch Frankreich.


30 Und von den zwangsweise bekehrten Arabern und Juden, den Maranen, die man an ihren streng katholischen Namen: Santa Anna, Santa Maria, San Martin erkennt.


31 Deshalb gibt es Offiziers-, Richter- und Pfarrergeschlechter. Darauf beruhen Adel, Patriziat und Zünfte.


32 Ich wiederhole: Rasse, die man hat, nicht eine Rasse, zu der man gehört. Das eine ist Ethos, das andere – Zoologie.


33 Außer im Habsburger Staat, der das Deutschtum in seinen Grenzen ebenfalls ausgelaugt und verschwendet hat.[215]


Quelle:
Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung. München 1961, S. 203-216.
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