§ 39. Des Mannes Umgang mit mehreren Frauen.

[317] Wie der König mehrere Frauen hat, so kann es auch bei einem Manne aus dem Volke sein: darum wird jetzt gehandelt von »des Mannes Umgang mit mehreren Frauen«. – Hier sagt (der Verfasser) im allgemeinen:


Hier gibt es einige Verse:

Ein Mann aber, der viele Frauen zusammenbringt, sei gleichartig gegen sie: er zeige keine Mißachtung und dulde keine Lügen.
[317]

»Er sei gleichartig«, richte seine Liebe nicht auf eine einzelne Person. – »Er zeige keine Mißachtung«: selbst Frauen, die der Vorzüge und der Schönheit ermangeln, vernachlässige er nicht; »und dulde keine Lügen«, Vergehen: sonst, wenn ihnen derlei nachgesehen wird, tun sie es wieder.


Das Wollustspiel oder ein körperliches Gebrechen oder eine vertrauliche Zurechtweisung der einen teile er den anderen nicht mit.


Eine andere Lesart hat: »Was der auf dem Lager Ruhenden behagt«. – »Er teile es den anderen nicht mit«, weil das die Veranlassung ist, daß die Frauen Abneigung empfinden.


Er lasse den Frauen nimmermehr freien Lauf, wenn es sich um eine Nebenbuhlerin handelt; und die ihn deshalb so tadelt, die belaste er gerade mit der Schuld.


»Er lasse den Frauen nimmermehr freien Lauf«, um Streitigkeiten zu vermeiden. – »Wenn es sich auch um eine Nebenbuhlerin handelt«: wenn auch ein Grund in Gestalt einer Nebenbuhlerin vorliegt. – Wenn sie ihn »so«, auf diese Weise, wegen seiner Nichtsnutzigkeit »tadelt«, mit Recht, wegen der Vernachlässigung, dann »belaste er sie gerade mit der Schuld« indem er sagt: ›Du bist der schuldige Teil, nicht sie!‹

Nun beschreibt (der Verfasser) den Umgang im einzelnen:


Er ergötze die Frauen, die eine durch heimliches Vertrauenerwecken; die andere durch offne Verehrung; wieder eine andere durch Ehrerbietung.


»Durch heimliches Vertrauenerwecken« diejenige, welche schamhaft ist; »durch offne Verehrung« diejenige, welche unter den Nebenfrauen eine hohe Stellung erlangen will; »durch Ehrerbietung« diejenige, welche Geist besitzt.


Durch den Besuch der Gärten, Genüsse, Geschenke, Verehrung ihrer Verwandten und durch heimliche Liebesdienste ergötze er jede für sich.


»Durch den Besuch von Gärten« diejenige, die das liebt; »durch Genüsse« diejenige, welche nach Genüssen lüstern ist; »durch Verehrung ihrer Angehörigen« diejenige, die sich in ihrem Herzen nach den Verwandten richtet; »durch heimliche«, im Geheimen geschehende »Liebesdienste«, diejenige, die die Wollust liebt.[318]

Nun gibt (der Verfasser) den Erfolg an, wenn man den Inhalt dieses Abschnittes beherzigt:


Eine junge Frau, die ihren Zorn besiegt und je nach dem Lehrbuche lebt, macht sich den Gatten untertan und steht über den Nebenfrauen.


»Die ihren Zorn besiegt«, das ist das Anzeichen für die Beherzigung des Lehrbuches, »und je nach dem Lehrbuche lebt«, was einer jeden für ein Lehrbuch zukommt: das Benehmen der einzigen Gattin, der ältesten Gattin usw.; »und steht über den Nebenfrauen« ...

Quelle:
Das Kāmasūtram des Vātsyāyana. Berlin 71922, S. 317-319.
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