Prospekt zur ersten Lieferung der ersten Auflage.

[3] Vielfache Erfahrung des Lehrens und Prüfens hat mich davon überzeugt, daß die Ausführung des mir von der verehrten Verlagsbuchhandlung nahegelegten Gedankens, die Geschichte der Philosophie in der Form eines Lehrbuchs zu behandeln, geeignet sein könnte, dem wesentlichen Zweck, den diese Wissenschaft im Zusammenhange unserer Universitätsbildung erfüllen soll, in nutzbringender Weise zu dienen. Denn es ist nicht zu verkennen, daß wir, trotz aller philosophischen Verarbeitung des historischen Materials, in dessen Auffassung noch häufig jener schematischen Aneinanderreihung begegnen, die da auswendig lernt: der hat das gesagt und der das und der das u.s.w. Und die große Betriebsamkeit, mit der sich in der Gegenwart das philosophie-geschichtliche Studium in die gelehrte Behandlung spezieller und speziellster Fragen zu verzetteln droht, ist – das darf man bei aller Achtung vor dem darauf gerichteten wissenschaftlichen Kraftaufwand sagen – wenig geeignet, hierin Abhilfe zu schaffen. Wir sind wieder in der Gefahr, in der Geschichte der Philosophie über das Historische das Philosophische zu vergessen.

Das Lehrbuch, welches ich deshalb hier dem Publikum und in erster Linie der akademischen Jugend biete, will ausdrücklich eine Geschichte nicht der Philosophen, sondern der Philosophie sein. Wie ich diese Geschichte auffasse, ist in der Einleitung gesagt und in dem Ganzen ausgeführt. Aber diese Aufgabe hat auch die Form des Buches bestimmt. Ich habe nicht nur das biographische, literaturgeschichtliche und bibliographische Material auf den denkbar knappsten Raum beschränkt, sondern ich habe mich auch von dem üblichen Schema, wonach die Geschichte der Lehren an die Reihenfolge der philosophierenden Persönlichkeiten geknüpft zu werden pflegt, frei zu machen gesucht, um in der Hauptsache nur eine Geschichte der Probleme und der zu ihrer Lösung erzeugten Begriffe zu geben. Zu diesem Behufe sind die notwendigsten Angaben über die persönlichen und literarischen Verhältnisse der Philosophen in kleinerem Druck den Gesamtübersichten der Entwicklung angefügt worden, mit denen ich jeden Teil, bzw. jedes Kapitel eröffnet habe. Dem Bedürfnis, alles über die einzelne Persönlichkeit Gesagte zusammenzufassen, bin ich durch ein sorgfältiges Namenregister entgegengekommen.

Aus demselben Zweck hat sich auch die Auswahl des Stoffes entschieden. Ausführlicher bin ich nur in der Entwicklung der Probleme und der[3] Begriffe geworden; nur kurze Erwähnung dagegen haben alle die rein individuellen Gedankenverschiebungen erfahren, welche zwar ein willkommener Gegenstand für gelehrte Forschung sein mögen, aber kein philosophisches Interesse darbieten.


Straßburg i.E., Herbst 1889.

Quelle:
Wilhelm Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 61912, S. III3-IV4.
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