2. Der Gesandte

[63] Dsï Gau, der Herzog von Schê, war im Begriff, als Gesandter nach dem Staate Tsi zu gehen.

Da befragte er den Kung Dsï und sprach: »Der Auftrag, den mir mein König gegeben hat, ist äußerst schwierig. Die Behandlung, die mir als Gesandtem in Tsi zuteil werden wird, wird zwar an äußerlichen Ehrenbezeugungen nichts zu wünschen übrig lassen; aber die Verhandlungen werden nicht vorwärts gehen. Kann man selbst einem gewöhnlichen Menschen nichts gegen seinen Willen abnötigen, wieviel weniger einem Fürsten! Ich bin sehr in Aufregung darüber. Ihr, o Meister, habt mir einst gesagt: bei allen Geschäften, groß oder klein, wird man sich des Erfolges freuen können, wenn man den rechten SINN nicht vermissen läßt. Andernfalls wird man, wenn das Werk nicht gelingt, in seiner Stellung Schaden erleiden.

Erzwingt man aber das Gelingen, so wird man Schaden nehmen an seiner Gesundheit, und nur der, der die Kräfte des LEBENS besitzt, wird es fertigbringen, ohne Schaden zu bleiben beim Gelingen und Mißlingen. Ich halte mich bei meiner Nahrung im allgemeinen an die Einfachheit und bin nicht wählerisch. Ich bin ein Mensch, der auch bei heißem[63] Wetter nicht auf Kühlung aus ist. An dem Tage aber, an dem ich in der Frühe den Befehl erhalten hatte, mußte ich abends Eiswasser trinken, so heiß war mir's geworden. Ich habe die eigentliche Erledigung der Geschäfte noch gar nicht begonnen und habe schon Schaden genommen an meiner Gesundheit. Gelingt das Werk nun nicht, so werde ich noch dazuhin Schaden erleiden in meiner Stellung. Das ist doppelter (Schaden) und mehr, als einer, der seinem Herrn dient, auf sich nehmen kann.

Wißt Ihr, Meister, mir nicht einen guten Rat?«

Kung Dsï sprach: »Zwei große Gebote gibt es auf Erden. Das eine ist das Gebot der Natur, das andere ist das Gebot der Pflicht. Die Liebe des Sohns zu seinen Eltern ist Gebot der Natur; sie läßt sich nicht aus dem Herzen reißen. Der Gehorsam des Beamten gegen seinen Fürsten ist Pflicht, die uns, wohin wir gehen, zur Seite bleibt. Groß nenne ich die Gebote, weil man sich ihnen nirgends auf der ganzen Welt entziehen kann. Darum zeigt sich die höchste Kindesliebe darin, daß man sich im Dienst der Eltern befriedigt fühlt, ganz unbekümmert um die äußeren Umstände, und völlige Treue darin, daß man sich im Dienst des Fürsten befriedigt fühlt, ganz unbekümmert um die Sendung, die wir zu vollbringen haben. Die höchste Tugend der Unterwerfung unter das Gebot der Pflicht äußert sich darin, daß man sich selbst (den Geboten) der eigenen Vernunft unterwirft und seine Befriedigung findet in der Erkenntnis ihrer unbedingten Verpflichtung, ohne sich durch Leid oder Freude, die sich vor unseren Augen zeigen, irre machen zu lassen. Jedes Glied der menschlichen Gesellschaft hat als Beamter oder Sohn solche unbedingten Verpflichtungen. Wer sich darnach in seinen Taten richtet und darüber sein eigenes Leben verleugnet, hat keine Muße mehr, auf die Stimme des Selbsterhaltungstriebs oder der Furcht vor dem Tode zu hören. In dieser Gesinnung mögt Ihr immerhin an Eure Arbeit gehen.

Darf ich außerdem Euch meine Erfahrungen mitteilen. Bei der Vermittlung des Verkehrs zwischen Staaten kommt es darauf an, daß man dem eigenen Staate gegenüber sich treu verbunden weiß und dem andern Staat die Botschaft gewissenhaft[64] übermittelt. Zur Übermittlung der Botschaft bedarf es eines Gesandten. Die schwierigsten Botschaften auf der ganzen Welt sind die Mitteilungen gegenseitiger Verstimmung. Handelt es sich um Freundschaftsbezeugungen, so übertreibt man leicht die freundschaftlichen Beteuerungen; handelt es sich um Mißstimmung, so übertreibt man leicht die Ausdrücke der Abneigung. Jede Art von Übertreibung aber ist Unwahrheit. Durch Unwahrheit aber erregt man statt des Glaubens Argwohn, und Argwohn bringt den Überbringer der Botschaft in Gefahr. Darum lautet eine Maxime: Beschränke dich auf Übermittlung der Tatsachen und halte dich von überflüssigen Worten fern, so wirst du es recht machen!

Noch etwas: Bei Ringkämpfern kann man beobachten, daß sie anfangs ganz offen und ehrlich zuwege gehen, aber schließlich kommt es meist zu hinterlistigen Angriffen. Wenn sie in Aufregung kommen, lassen sie sich leicht zu unerlaubten Kniffen hinreißen. Bei Zechgelagen geht es anfangs ganz ordentlich und manierlich zu, aber schließlich kommt es meist zu unordentlichen Auftritten. Wenn die Leute in Aufregung kommen, führt das Vergnügen zum Übermaß. So geht's bei allen Sachen: anfangs ist man aufrichtig, aber schließlich wird man meist gemein. Aus kleinen Ursachen entstehen große Folgen. Es fallen Worte, die dem Winde gleichen, der die Wellen erregt, und was dabei herauskommt, ist Verlust an Sachlichkeit. Wind und Wellen sind leicht erregt, Verlust der Sachlichkeit bringt leicht Gefahr. Dann stellt man im Ärger unbegründete Behauptungen hin; es folgen Spitzfindigkeiten und einseitige Ansichten, wie ein Tier, das dem Tode nahe ist, nicht auf seine Laute achtet, sondern wilde Schreie ausstößt. Dadurch entsteht auch im andern Teil der Haß. Treibt man einen zu sehr in die Enge, so ist die sichere Folge davon, daß jener auch mit Übelwollen uns begegnet, ohne daß man weiß, wie es zugeht. Hat man aber auf diese Weise die klare Erkenntnis der Lage verloren: wer will sagen, was dann das Ende sein wird! Darum heißt eine Maxime: Weiche nicht ab von deinem Auftrag; suche nichts voreilig zustande zu bringen! Über seine Richtlinie hinausgehen ist[65] Übertriebenheit; Abweichen von dem Auftrag und voreiliges Bestreben, zu einem Abschluß zu kommen, gefährdet die Lage. Der Wert eines guten Abkommens beruht auf seiner Dauer. Ist aber Unheil angerichtet, so läßt es sich nicht mehr ändern: das mahnt zur Vorsicht. Nun aber braucht Ihr in der gegebenen Lage einfach Eurem Gefühl zu folgen und Euer Gewissen zu befriedigen, indem Ihr tut, was Ihr nicht lassen könnt. Das Beste, was Ihr tun könnt, um dem Befehl Eures Fürsten nachzukommen, ist, daß Ihr Euer Leben in die Schanze schlagt; darin besteht die ganze Schwierigkeit.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 63-66.
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