1. Konfuzius und der häßliche Mensch

[72] Im Staate Lu lebte ein Mann mit Namen Herr des Buckels (Wang Tai), der nur Ein Bein hatte. Die Schüler, die ihm nachfolgten, waren ungefähr ebenso zahlreich wie die Kung Dsï's.

Da befragte einst Tschang Gi den Kung Dsï und sprach: »Der Herr des Buckels ist ein Krüppel, und doch sind seine Schüler so zahlreich, daß ihm die eine Hälfte der Leute von Lu zufällt, wie Euch die andere. Er ist mit ihnen zusammen, ohne sie zu belehren oder mit ihnen zu reden, und doch geht keiner von ihm weg, ohne reichen Gewinn davonzutragen. Gibt es denn wirklich eine Belehrung ohne Worte, eine unsichtbare Beeinflussung des Inneren? Zu welcher Art von Menschen gehört der Mann?«

Kung Dsï sprach: »Jener Meister ist ein Berufener. Ich habe es mir gerade vorgenommen und bin nur noch nicht dazugekommen, ihn zu meinem Lehrer zu machen. Wieviel mehr sollten die es tun, die noch nicht einmal so weit sind wie ich! Die ganze Welt möchte ich ihm zur Nachfolge zuführen.«

Tschang Gi sprach: »Jener ist ein Krüppel und ist selbst Euch über, Meister; wie weit muß er da erst den gewöhnlichen Menschen voran sein. Welche Gesinnung muß einer haben, um es dazu bringen zu können?«

Kung Dsï sprach: »Leben und Tod sind wohl wichtige Dinge, und doch können sie ihm nichts anhaben. Wenn Himmel und Erde zusammenstürzen würden, so brächte auch das ihm keinen Verlust. Er hat die unmittelbare Erkenntnis gewonnen und kann daher nicht mehr durch die Erscheinungen fortgerissen werden. Er beherrscht der Dinge Wandel, denn er besitzt ihren Urborn.«

Tschang Gi sprach: »Was heißt das?«

Kung Dsï sprach: »Vom Standpunkt der Sonderung betrachtet, gibt es Einzeldinge wie Leber und Galle, wie das Reich Tschu und das Reich Yüo; vom Standpunkt der Gemeinsamkeit betrachtet sind alle Wesen Eins. Wer es so weit gebracht hat, der ist in seiner Erkenntnis nicht mehr angewiesen auf die besonderen Sinneseindrücke von Auge und Ohr, sondern[73] sein Herz wandelt dort, wo das LEBEN Einklang der Dinge schafft. Er sieht die große Einheit und sieht hinweg über die Unvollkommenheit. So betrachtet jener Mann den Verlust seines Fußes, als hätte er einfach ein Stück Erde zurückgelassen.«

Tschang Gi sprach: »Jener Mensch arbeitet nur an sich selbst; aus seiner Erkenntnis gewinnt er seine Gesinnung; aus seiner Gesinnung gewinnt er die Beständigkeit seiner Stimmung. Wie kommt es nun, daß auch die andern so viel von ihm halten?«

Kung Dsï sprach: »Der Mensch besieht sein Spiegelbild nicht im fließenden Wasser, sondern im stillen Wasser. Nur Stille kann alle Stille stillen.

Auserwählte der Erde sind Kiefern und Zypressen, darum sind sie allein im Winter wie im Sommer grün. Ein Auserwählter des Himmels war Schun, der Vollkommene; er hatte das Glück, durch Vervollkommnung seines Lebens das Leben aller anderen vervollkommnen zu können. Die Bewahrung dieser uranfänglichen Vollkommenheit zeigt sich in ihren Früchten als Furchtlosigkeit. Ein einziger tapferer Held vermag es, einzudringen in neun feindliche Heere; das Streben nach Ruhm ist ihm der Ansporn zu solcher Tat. Wie erst wird ein solcher sein, der die Welt beherrscht und die ganze Natur in sich beherbergt! Der weilt als Gast in seinem Leib, und was Augen und Ohren ihm bieten, ist ihm ein Gleichnis. Die Einheit ist die Erkenntnis, die er besitzt und die seinen Geist unsterblich macht. Er wählt sich seine Zeit, wann er von hinnen fahren will. Die Menschen laufen ihm zu, aber wie sollte er gewillt sein, die Beschäftigung mit der Welt als seine Sache anzusehen!«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 72-74.
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