10. Wertlosigkeit der Bücher

[152] Der Welt Wertschätzung des SINNS ist Wertschätzung der Bücher. Doch Bücher enthalten nur Worte. Es gibt aber etwas, wodurch die Bücher wertvoll werden. Was die Worte wertvoll macht, sind die Gedanken. Es gibt etwas, wonach sich die Gedanken richten; das aber, wonach sich die Gedanken richten, läßt sich nicht durch Worte überliefern. Die Welt aber überliefert um der wertvollen Worte willen die Bücher. Obwohl die Welt sie wertschätzt, sind sie in Wirklichkeit der Wertschätzung nicht wert, weil das, was sie wert hält, nicht wirklich wertvoll ist. So ist das, was man beim Anschauen sieht, nur Form und Farbe, was man beim Hören vernimmt, nur Name und Schall. Ach, daß die Weltmenschen Form und Farbe, Name und Schall für ausreichend erachten, das Ding an sich zu erkennen! Form und Farbe, Name und Schall sind wirklich nicht ausreichend, um das Ding an sich zu erkennen. Darum: »Der Erkennende redet nicht; der Redende erkennt nicht.« Die Welt aber, wie sollte die es wissen?

Der Herzog Huan (von Tsi) las in einem Band oben im Saal. Der Wagner Flach machte ein Rad unten im Hof.

Er legte Hammer und Meißel beiseite, stieg hinan, befragte den Herzog Huan und sprach: »Darf ich fragen, was das für Worte sind, die Eure Hoheit lesen?«

Der Herzog sprach: »Es sind der Heiligen Worte.«

Jener sprach: »Leben denn die Heiligen noch?«

Der Herzog sprach: »Sie sind schon lange tot.«

Jener sprach: »Dann ist also das, was Eure Hoheit lesen, nur Abfall und Hefe der Männer der alten Zeit?«

Der Herzog Huan sprach: »Was Wir lesen, wie darf ein Wagner das kritisieren? Wenn du etwas zu sagen hast, so mag es hingehen; wenn du nichts zu sagen hast, so mußt du sterben.«

Der Wagner Flach sprach: »Euer Knecht betrachtet es vom Standpunkt seines Berufes aus. Wenn man beim Rädermachen zu bequem ist, so nimmt man's zu leicht, und es wird nicht fest. Ist man zu eilig, so macht man zu schnell, und es paßt nicht. Ist man weder zu bequem noch zu eilig, so bekommt[153] man's in die Hand, und das Werk entspricht der Absicht. Man kann es mit Worten nicht beschreiben, es ist ein Kunstgriff dabei. Ich kann es meinem eigenen Sohn nicht sagen, und mein eigener Sohn kann es von mir nicht lernen. So bin ich nun schon siebzig Jahre und mache in meinem Alter immer noch Räder. Die Männer des Altertums nahmen das, was sie nicht mitteilen konnten, mit sich in's Grab. So ist also das, was Eure Hoheit lesen, wirklich nur Abfall und Hefe der Männer des Altertums.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 152-154.
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