Erster Period. Ohne Grundsäze leben, oder in den Fesseln verderblicher Grundsäze durchs Leben rasseln, ist eine gleich erbärmliche Existenz. Jenes ist zweiflendes Schweben zwischen Seyn und Nichtseyn, und dieses ein beständiges Aechzen der Seele nach Freiheit – denn falsche Grundsäze tirannisiren die zur Wahrheit geschafne Seele ...
Dritter Period. Im Jahr 1756 gefiel es meinem Vater mich nach Nürnberg zu schiken, welcher Stadt er mit ungestümmerer Liebe anhieng, als je ein Grieche, Römer oder Schweizer seinem grössern Vaterlande. Ich nahm von Thilo Abschied – mein Dank flamme noch zu deiner Sternenwohnung ...
Vierter Period. Also 1758. im Herbste reiß' ich, von meinen Eltern begabt und geseegnet, von Aalen ab, um, wie man zu sagen pflegt, in Jena den Kurs der Wissenschaften zu absolviren, den noch nie ein Weiser, vom grösten Genius geführt, durch ...
Zweiter Period. Und so war ich nun in Nördlingen, siedlend in der niedrigen Hütte eines Chirurgen, Namens Seidel, eines gar bidern, rechtlichen und redseligen Mannes; bei karger Kost zufrieden, jung, gesund, wie ein lustiges Reh, hüpfend im Haine der Musen. Thilo ...
Sechster Period. Die Scene verändert sich, und ich erscheine als Hauslehrer in Königsbronn. Das geringe Einkommen meines Vaters machte mir diesen Ausflug nothwendig. Blezinger, ein Mann von dem unternehmendsten Geiste, der unter günstigen Umständen der Kolbert eines deutschen Fürsten hätte werden können, und ...
Fünfter Period. Die Musik ist der durch Weisheit geordneten Seele Labung; sie wekt Empfindungen, die unter dem Ernst der Geschäfte entschlummern – und doch wurde sie für mich eine Sirene, die mich durch ihren Zaubergesang oft in verschlingende Strudel lokte. Ich floh den Ernst ...
Siebenter Period. Ich überließ einem meiner Brüder, der sich ganz dem Unterrichte der Jugend gewidmet hatte, meine bisherige Stelle, um in Aalen und in den angränzenden Dörfern den Geistlichen im Predigen beizustehen. Bei dieser Gelegenheit fand' ich, daß wir Deutsche so gut als ...
Achter Period. Der berühmte Schulmann, jeziger Archidiakonus Bökh in Nördlingen, dessen Schriften so viel Religion und Menschenliebe athmen, wurde durch die Bande des Blutes mit mir verbunden. Ich besuchte ihn in Eßlingen, wo er Rektor war, und als Prediger und Lehrer der Jugend ...
Neunter Period. Ich war kaum von Eßlingen nach Aalen wieder zurükgekommen, als mich das Verlangen meiner mütterlichen Blutsverwandtschaft und meine eigne Neigung bestimmte, das Limpurgische zu durchstreifen. Das Land lag wegen der beständigen Zänkereien seiner verschiedenen Besizzer seit der Preußischen Invasion 1713 – wie eine ...
XIX. Ich war kaum in Ulm angelangt; so gieng ich zum dasigen Stadtamman Häkhel, der Taufpate meiner Kinder, und seit zehn Jahren mein unveränderlicher Freund war. Er ermunterte mich schon in Augsburg, als er von Wien zurükkam, wohin er nebst dem Baron Welser ...
XVII. »Wohin Kerl?« – ia, so dacht' ich, und die Welt lag weit offen vor mir, wie weiland vor Thomas Jones, als er seines Vaters Haus und Junker Westerns Burg verließ. Ich fuhr auf dem Postwagen, auf dem ein rundköpfiger und wanstiger Franziskaner saß. ...
Vierzehenter Period. Für einen Menschen von beruhigtem Gewissen, dessen Gedanken und Empfindungen auf der Seele so sanft hingleiten, als ein Kahn auf dem besänftigten Strome, ist nichts angenehmers, als eine Wasserfahrt. Dörfer und grasende Heerden an beeden Ufern, ehrwürdige Trümmer auf den Bergen, ...
Zwölfter Period. Ist es nicht Unverschämtheit, daß ich ein Leben wiederhole, und dem Leser vorzeichne, das man lieber, wo möglich in dikke Schatten hüllen sollte? Das dacht' ich anfangs auch, aber der Gedanke hieß mich fortfahren: Wenn mein Beispiel einen einzigen Jüngling ...
Sechszehenter Period. Und nun war' ich in München, dieser alten, feierlich prächtigen, von Menschen wimmlenden Stadt, der schon der große Gustav Adolf Räder wünschte, um sie nach Schweden rollen zu können. Mein edler Beschüzer wies mir eine Wohnung bei seinem ehmaligen Sekretar Käser ...
Elfter Period. Geißlingen liegt in einem fruchtbaren Thale, von felsichten Bergen gegürtet, hat Gesundbäder, herrliche Gegenden, Wiesen, Gärten, wohlfeile Lebensmittel, und beinah alles, womit der genügsame Weltbürger seine Pilgerhütte schmüken kann. Das erste Ansehen dieser Stadt fällt dem fühlenden Wanderer sonderbar auf ...
Fünfzehenter Period. Und nun saß 'ich im Reisewagen, an der Seite eines vornehmen Gesandten, unter dem Karakter eines Konvertiten. Die ganze Person des Baron von Leiden sprach zwar männlichen, aber nicht zurükschrekkenden Ernst. Sein Geist, an die Strenge der verschwiegenen Staatskunst gewöhnt, ...
Dreizehenter Period. Ich war indessen in Heilbronn angelangt und fand gleich einen Klubb von neuen Bekanntschaften, von der guten und schlimmen Art von mir. In Heilbronn ist schon weit mehr Deutschheit, als in Ludwigsburg, obgleich die vornehmen und halbvornehmen Innwohner daselbst eifersüchtig darauf zu ...
XX. Da flog ich nun an der Seite meines Führers über beschneite Gefilde weg; – weg von Freunden, die ich viele dunkle Monde lang nicht mehr sehen sollte – mit dem Dolche der Ahndung in der Seele. Ich hatte Mühe Tränen abzuhalten. »Es wird dir ...
XVIII. Eh ich mit dem Postwagen fortfahre, muß ich den Antheil noch preisen, den der warhaftig edle von Stetten an meinem Schiksal nahm. Er schikte mir seinen Bedienten nach, da ich schon vor den Thoren war, und ließ mich seiner Theilnahme und Unterstüzung versichern ...
Zehnter Period. Und nun war' ich in allem Ernst auf meine Beförderung bedacht. Einige Versuche waren mir bereits fehlgeschlagen; ich grif also nach der Leier, um mir bei dem Fürsten von Ellwang, der nicht nur die Pfarreien in Aalen, sondern noch verschiedener ungemein ...
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