3. Untertänige Bevölkerungen anderer Polis

[138] Sparta hatte seine eigentliche Lebensaufgabe in Gestalt des Unterhaltens seiner Geknechteten: der Nichtspartiaten im Eurotastale und der Messenier; zu diesem Zweck wurde das ganze Dasein im Innern gestimmt und auch die auswärtige Politik hing sehr wesentlich davon ab. Nun hatte die dorische Wanderung ohne Zweifel eine Menge ähnlicher Gewaltverhältnisse überall begründet; viele kräftige Poleis mögen ihre nächsten Umwohner – unterworfene Griechen oder Halbbarbaren – in Knechtschaft gebracht haben, aber keine einzige vermochte wie Sparta ihr ganzes inneres und äußeres Leben auf die Behauptung dieser Lage dauernd zu orientieren. An Härte gegen die Unterworfenen hätte es nicht gefehlt, wohl aber an der nötigen Konsequenz im eigenen Kreise und an der nötigen Eintracht und Lebenseinheit. In den Zeiten, aus welchen unsere sehr unvollständigenA25 Kunden hierüber stammen, waren diese Zustände ohnehin meist im Aufhören begriffen oder schon erloschen und wurden kaum mehr verstanden. Beharrlich und einigermaßen deutlich erweisen sie sich nur auf Kreta und in Thessalien, während man anderswo nur Vermutungen darüber hat, wie weit jene Unterworfenen halbfrei oder unfrei, Teilbesitzer, Erbpächter oder nur frohnpflichtige Knechte oder Taglöhner auf dem den Bürgern gehörigen Landgebiet gewesen. Ohne bürgerliche Rechte und beliebig von der Polis aus beherrscht, waren sie nicht im Stande das Interesse der Schreibenden rechtzeitig auf sich zu lenken. Wir lassen dahingestellt, wie es sich des Nähern verhalten habe mit den Orneaten und Gymneten um Argos, den Kynophalen in Korinth, den Kittelträgern (Katonakophoren) um Sikyon, den Staubfüßlern (Konipoden) um Epidauros. In Betreff Kretas glaubt man die verschiedenen Abstufungen der Knechtschaft noch in den einzelnen überlieferten Bezeichnungen zu erkennen; jedenfalls hatte die Insel, als sie dorisiert wurde, Lebensformen angenommen, welche mit denjenigen von Lakedämon viele Ähnlichkeit hatten, und wenn auch eine politische Vielheit entstand, und die kretischen Städte sich befehdeten, so rief doch keine die Hörigen der andern zum Abfall auf, im Allgemeinen aber schien der Gehorsam derselben schon dadurch gesichert, daß die Insel keine unmittelbaren Nachbarn hatte187. In Thessalien sind die sogenannten Penesten die alte perrhäbische und magnetische Bevölkerung, die sich beim Einbruch der Thessaler zur Dienstbarkeit hergab, nur um auf der altgewohnten Scholle bleiben zu dürfen188; gegen eine Quote des Landertrages[138] versprach man ihnen, sie weder wegzuführen noch zu töten. Manche waren, wie hie und da Leibeigene im neuern Rußland, reicher als ihre Herrn, indem die herrschende Kaste ihr Leben in Saus und Braus hinbrachte189. Immerhin übten die Herrn von Thessalien und Kreta wenigstens keinen Druck nach außen wie Sparta, welches ringsum alles zur Heeresfolge und oligarchischen Einrichtungen zu zwingen suchte, um daheim ungestörten Druck zu üben, auch begehrten Jene nicht »Erzieher Griechenlands« zu sein.

Die Kolonien seit dem VIII. Jahrhundert sind wohl zum Teil entstanden, weil unterworfene oder gedrückte griechische Bevölkerungen ihren Poleis zu entrinnen entschlossen genug waren. Angelangt am fremden Strande aber, machten sie es oft nicht anders als ihre heimischen Unterdrücker – freilich gegen Barbaren oder Halbbarbaren, welche zu einem rechtlosen, wenn auch nicht besitzlosen Untertanenvolk wurden. Hie und da soll dies sich in Güte entschieden haben: als das pontische Heraklea entstand, begaben sich die umwohnenden Mariandynen freiwillig unter die Herrschaft der Herakleoten als der »Gescheitern« (συνετωτέρων), gegen Garantie des Lebensunterhaltes und des Nichtverkaufes in die Fremde190. Byzanz dagegen behandelte seine Bithynier wie Sparta die Heloten191, und um Syrakus lebten die Kallikyrier oder Killikyrier in einer ähnlichen Dienstbarkeit.

Aristoteles192 verwirft das ganze Verhältnis: es sei nicht möglich mit solchen Untergebenen auf einen richtigen Fuß zu kommen; bei gelinder Behandlung werden sie übermütig und begehren gleiche Stellung mit den Herrn, bei harter sind sie voll Verrat und Haß und verbinden sich gelegentlich mit zurückgesetzten Klassen in der Stadt selbst. So hielten einst die Kallikyrier mit dem syrakusischen Demos zusammen zur Austreibung der Geomoren, bis Gelon diesen half, die Kallikyrier unterwarf und bei diesem Anlaß Herr von Syrakus wurde193; selbst die so glimpflich behandelten Penesten erhoben sich öfter, wenn ihre thessalischen Herrn durch Kriege mit Nachbarn in Anspruch genommen waren. Aristoteles findet wenigstens wünschbar, daß solche Untertanen194 Barbaren und nicht[139] geknechtete Menschen griechischen Stammes seien; daneben aber deutet er auch schon die Auskunft an, durch welche inzwischen Ersatz geschafft worden war: die gekauften Sklaven, welche jetzt mehr und mehr im Gebiet einer Stadt den Feldbau besorgten und zudem fast lauter Nichtgriechen waren.[140]


Quelle:
Jakob Burckhardt: Gesammelte Werke. Darmstadt 1956, Band 5, S. 138-141.
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