Literatur.

[481] Die Ansicht, daß die Begründung des mittelalterlichen Kriegswesens auf Vasallität und Lehen viel früher zu datieren sei, als man bis dahin in Deutschland angenommen, habe ich mir schon ganz im Anfang meiner Studien über die Geschichte der Kriegskunst gebildet und gelegentlich in einem Aufsatz im Jahre 1881 ausgesprochen, daß Karl Martell die Schlacht bei Tours gewonnen habe mit den Lehnsleuten, die das fränkische Heer bildeten (vgl. meine Historischen und Politischen Aufsätze S. 126 [190]). Auf die Auslegung der karolingischen Kapitularien, die dieser Auffassung zu widersprechen scheinen, wird im nächsten Bande einzugehen sein.

BORETIUS in seinen »Beiträgen zur Kapitularienkritik« hat hier Licht gebracht und die Grundlagen geschaffen. Aber es ist immer noch viel zu viel des alten Irrtums stehen geblieben. Auch die wertvolle Abhandlung von BRUNNER, »Der Reiterdienst und die Anfänge des Lehnswesens«, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ.[481] Abt. Bd. 8 (1897) ist doch in dem Hauptpunkt abgeirrt, indem sie den Reiterdienst von dem speziellen Bedürfnis des Kampfes gegen die Sarazenen und des Lehnswesen wieder speziell aus dem Bedürfnis des Reiterdienstes ableitet. Nicht das Reitertum ist das Eigentliche und Primäre dieses Kriegswesens, sondern der Einzelkämpfer, der Qualitätskrieger unter Verflüchtigung des taktischen Körpers. Das ist richtig entwickelt von ROLOFF in einer Abhandlung in den »Neuen Jahrbüchern für das klassische Altertum«, 1902, S. 389.

Die einschlagenden Ansichten von WITTICH sind verfehlt.

Von hohem Wert ist die Arbeit von Oskar Dippe: »Gefolgschaft und Huldigung im Reiche der Merowinger«, Kieler Dissertation (Wandsbek 1889). Auch Dippe geht aber in der Heraufrückung der Vasallität noch nicht weit genug. Er glaubt den Niedergang des merowingischen Königtums und damit das Aufkommen einer neuen Aristokratie erst vom Tode König Dagoberts i. J. 639 datieren zu dürfen. Richtig ist, daß dieser König, ebenso wie sein Vater Chlotar II., noch eine starke königliche Gewalt persönlich ausgeübt hat. Aber das geschah doch nur unter zeitweiliger Zurückdrängung der rivalisierenden Aristokraten. Es ist nur naturgemäß, daß die beiden Mächte Königtum und Aristokratie sich noch eine Zeitlang ponderierend die Wage hielten. Man darf nicht sagen, wie Dippe es tut: als das Königtum niedergegangen war, kam die Aristokratie empor sondern beide Vorgänge sind komplementär, und indem wir sehen daß das Königtum schwach ist, muß die Aristokratie schon da sein. Schwäche des Königtums und Stärke der Aristokratie sind nur verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache. Das Edikt von Paris 614 redet hier eine ganz unmißverständliche Sprache.

S. 1 sagt Dippe: »Was die Leihe anbelangt, so ist die Frage über ihren Ursprung und ihre geschichtliche Bedeutung durch frühere Arbeiten bereits gelöst; als sicheres Ergebnis derselben ist zu betrachten, daß das Lehnswesen die notwendige Folge einer wirtschaftlichen Umwälzung war, die schon unter den Merowingern die altgermanische Selbständigkeit der kleinen Bauern zu vernichten begann.«

Die Umwälzung ist keine bloße wirtschaftliche, sondern noch mehr eine politische, aus der Kriegsverfassung entspringende. Nicht die »altgermanische Selbständigkeit der kleinen Bauern« wurde vernichtet, sondern indem die alten Germanen Bauern wurden, verloren sie zugleich ihr Kriegertum und ihre Selbständigkeit.

Guilhiermoz, »Essai sur l'origine de la noblesse en France au moyen age« (Paris, Alphonse Picard et fils 1902, 502 Seiten) ist ein im höchsten Grade beachtenswertes Buch; es beruht auf einem Quellenstudium breitester Art und vollkommener Beherrschung der Literatur; die Forschung ist methodisch, energisch und durchsichtig, die Form von französicher Eleganz.[482]

Auf ganz verschiedenen Wegen sind wir in wesentlichen Punkten zu den gleichen Ergebnissen kommen.

Auch Guilhiermoz sieht die Vasallität nicht als ein im fränkischen Reich, sei es nun im 7. oder 8. Jahrhundert, neu entstandenes Institut an, sondern erblickt in ihr die Fortbildung des Buccellariats. Auch er hält die pueri des sechsten Jahrhunderts für die deutschen »Degen«.

Die ersten Spuren von bewaffneten Freien im Dienst von Privaten weist er (S. 21) bereits im 3. Jahrhundert in Rom nach. Die Staatsmänner, die unter den Söhnen des Theodosius das römische Reich regierten, Rufinus und Stilicho, waren die Ersten, die in größerer Masse und ständig sich mit einer nur von ihnen abhängigen, eigenen Truppe umgaben.

Die Erklärung des Wortes »buccellarii« als »Brotleute« verwirft Guilhiermoz, ohne aber eine andere an die Stelle zu setzen. Es ergibt sich nämlich, daß das Wort ursprünglich gar nicht auf Privatsoldaten, sondern auf eine kaiserliche Truppe angewandt wird und auf die Privatsoldaten erst übertragen worden ist. Das dürfte in der Tat die übliche Erklärung ausschließen; bestehen bleibt aber, daß es ursprünglich vermutlich ein Spitzname war, dessen Ursprung für uns nicht mehr erratbar sein mag.

Wie es sich nun auch mit dem Namen verhalte, die Hauptsache ist, daß das Institut Guilhiermoz nunmehr als ein rein römisches erscheint, und sind die Buccellarier aus rein römischer Wurzel entsprossen, so sind es auch ihre Nachkommen, die Vasallen. Selbst die Antrustionen der merowingischen Könige, die man bisher allgemein für ihre Gefolgsmänner im alten Taciteischen Sinne gehalten hat, will der französische Autor nur als gewöhnliche Soldknechte ansehen.

Guilhiermoz ist hier der direkte Antipode von Seeck, der, wie wir oben sahen, umgekehrt in der Erscheinung des Buccellariats das recht eigentliche Eindringen der germanischen Ideen und des germanischen Wesens in das römische Reich erkennen will, indem er die Buccellarier als Gefolgschaften ansieht.

Ich möchte demgegenüber den vermittelnden Standpunkt, wie ich ihn oben im vierten Buch gezeichnet habe, festhalten. Kriegsdienst für Sold und die Vorstellung, daß der Söldner dem Herren, dem er geschworen, Treue schuldig sei, ist eine allgemein menschliche Erscheinung, keine spezifisch germanische. BRUNNER, D. Rechtsgesch. II, 262, Anm. 27, geht deshalb etwas zu weit, wenn er sagt, »die Stellung des westgotischen Buccellarius ist trotz des römischen Namens in wesentlichen Zügen die des germanischen Gefolgsmannes«. Unter den Buccellariern Stilichos waren z.B. auch Hunnen. Guilhiermoz hat also, was diese angeht, formell Recht. Aber wenn Brunner und Seeck in die gemeinen Buccellarier zu viel von der Gefolgschaftsidee gelegt haben, so verfehlt es Guilhiermoz nach der anderen Seite, indem er auch den Antrustionen den Gefolgschaftscharakter abspricht, so daß Chlodwig und seine Söhne diese germanische Urerscheinung ganz hätten fallen lassen. Die nächste Umgebung der merowingischen Könige,[483] d.h. die Antrustionen, waren ganz unverkennbar eine Gefolgschaft, und deshalb scheint es mir auch keinem Zweifel zu unterliegen, daß in dem nach römischen Rechtsbegriffen konstruierten Söldnertum tatsächlich sehr viel von dem Geist der germanischen Gefolgschaft lebte. Auch dieser Begriff ist ja nicht ausschließlich germanisch, sondern findet sich auch bei anderen Völkern. Aber es ist keine Frage, daß er bei den Germanen besonders stark ausgeprägt war und daß er im ganzen Mittelalter eine höchst bedeutsame, ja führende Rolle gespielt hat. Wir müssen also schließen, daß er auch im fünften Jahrhundert bei den Germanen sehr lebendig war. Wenn der Gallier Rufinus und der Germane Stilicho die ersten römischen Staatsmänner waren, die Buccellarier in ihrem Dienst hatten, so ist das doch wohl kein Zufall; die Menge dieser Krieger mag nichts wesentlich anderes als Söldner sein, die Anführer werden doch von dem germanischen Gefolgschaftsgefühl gegen ihren Herrn erfüllt gewesen sein und davon auch etwas auf die Masse übertragen haben. Ja, wenn Guilhiermoz feststellen zu können glaubt, daß die Wiege des Buccellariats die scholae waren, die Konstantin I. einrichtete, so erinnert auch das uns wieder daran, daß eben Konstantin es gewesen ist, der das römische Heer definitiv germanisierte. Beweisen lassen sich solche Zusammenhänge nicht eigentlich. Aus den Rechtsformen (Handschlag u. dgl.) ist wenig zu folgern, und die Urkunden und Zeugnisse besagen nichts; der große durchgehende Zug ist darum doch unverkennbar, und Brunner (D. Rechtsg. II, 262) dürfte mit dem Ausdruck, das gallisch-römische Privatsoldatentum sei der germanischen Gefolgschaft »angeglichen« worden, das Richtige getroffen haben.

Der Fehler bei Brunner ist nur, und darin bin ich zu demselben Ergebnis gekommen wie Guilhiermoz, daß er den Faden, der von den Buccellariern zu den Vasallen hinüberleitet, viel zu dünn werden läßt, so daß er manchmal ganz abzureißen scheint; die »Unfreien« im Gefolge der merowingischen Großen spielen bei ihm eine viel zu starke Rolle.

Bezüglich des Ursprungs der Landleihe will Guilhiermoz einen Zusammenhang mit der Säkularisation nicht ganz leugnen, kommt jedoch insofern zu einem ähnlichen Ergebnis wie ich, als auch er den Akzent auf den Zweck der Vergabung legt. Auch von diesem Institut zieht er Verbindungslinien hinüber in das römische Recht. Er weist darauf hin, daß ja auch schon nach westgotischem Recht der Herr seinem Manne »in patrocinio« ein Eigentum gab mit Vorbehalt und Einschränkungen. Ich überlasse es den Rechtshistorikern, sich hiermit auseinanderzusetzen, für unseren Zweck kommt ja auf die Rechsformen und ihren Ursprung nicht so viel an. Das Entscheidende ist, daß nicht ein halb zufälliger Umstand, wie die Säkularisation, sondern ein inneres sachliches Bedürfnis das so unendlich folgenreiche Institut der Landleihe hervorgebracht hat. Wenn Guilhiermoz hierin zwar meinen Anschauungen nahe gekommen ist, sich aber doch von der herrschenden Auffassung nicht ganz losgelöst hat, so liegt das daran, daß sein Studiengang ihn nicht auf das Moment geführt hat, das zuletzt notwendig das maßgebende[484] sein mußte, das Postulat der Kriegführung, man kann direkt sagen, das taktische Postulat, der Zusammenhang, der stets und zu allen Zeiten zwischen Taktik und Kriegsverfassung besteht: die Epoche verlangte Einzelkrieger, die Qualitätskrieger waren (nicht exerzierte taktische Körper); solche Krieger vor der Verbauerung und Einbürgerung zu bewahren, hat der Herr kein anders Mittel, als ihren Besitz von der Fortdauer der Leistung abhängig zu machen, d.h. ihnen ihr Land nicht zu Eigentum, sondern bloß zu Lehen zu geben.

Schon im Jahre 1898 ist erschienen: A History of the art of war, the middle ages from the fourth to the fourteenth century, by CHARLES OMAN M. A. F. S. A. fellow of All Souls College, Oxford. (London, Methuen & Co., 36 Essex street W. C.), 667 S. Das Buch, das mir erst im Jahre 1901 bekannt geworden ist, ist gedacht als der zweite Band einer allgemeinen, auf vier Bände angelegten Geschichte der Kriegskunst. Der Verf., der sich bereits früher durch Studien auf dem Gebiete des mittelalterlichen Kriegswesens sehr vorteilhaft bekannt gemacht hat, hat also ganz dasselbe Bedürfnis der Ergänzung für die Geschichtswissenschaft empfunden wie ich, und unsere Werke werden einander parallel gehen. Das Buch Omans ist gelehrt und von gesunden Grundanschauungen; die Gründe, weshalb wir trotzdem in den Partien, die jetzt schon dieselben Zeiten und Völker behandeln, zu abweichenden Ergebnissen gelangt sind, liegen so deutlich vor Augen, daß ich es nicht für nötig gehalten habe, auf Auseinandersetzungen im einzelnen einzugehen.

Der erste Nationalökonom, der bemerkt hat, daß auch für die Wirtschaftsgeschichte aus der »Geschichte der Kriegskunst« etwas zu holen sei, ist, so weit ich sehe, MAX WEBER gewesen. Aber wie es zu gehen pflegt: das erste Verständnis ist leicht ein Mißverständnis.

Weber hat richtig erkannt298, daß es in der griechisch-italischen Welt in der vorklassischen Zeit einen Ritterstand gab und daß dieser Ritterstand auch der Träger des sich entwickelnden Verkehrs und des Kapitalismus war, während noch Ed. Meyer annahm, daß zuerst Leute aus den niederen Ständen, ohne Grundbesitz, Seefahrer geworden seien.299 Vermöge der militärisch-wirtschaftlichen Präponderanz entwickelte sich eine ständische Differenzierung und ein Herrschaftssystem, das Weber als Stadt-Feudalismus bezeichnet, da die Herren nicht wie die mittelalterlichen Ritter auf dem Lande, sondern ausschließlich in den Städten wohnten und von da aus die Bauernschaft beherrschten.

Der Einfall, den Begriff des »Feudalismus« auch auf diesen antiken Ritterstand auszudehnen, ist nicht übel, muß aber mit Vorsicht behandelt werden. Denn zum Feudalismus, wie wir nun einmal gewohnt sind, das[485] Wort zu gebrauchen, gehört doch wohl die Stufenfolge der Abhängigkeiten, der »Heerschild«, den das Altertum nicht kennt, während umgekehrt das kapitalistische Moment, das dem antiken Rittertum anhaftet, dem was wir sonst unter »Feudalismus« verstehen, nicht nur fremd, sondern sogar entgegengesetzt ist. Weber will sogar die spartanische Verfassung zum Feudalismus nehmen.

Wie man sich nun auch ausdrücke, die Hauptsache ist der Ursprung dieser Standesbildung und die Erklärung der Verschiedenheit zwischen dem antiken und dem mittelalterlichen Rittertum.

Weber leitet die Formierung eines besonderen Kriegerstandes aus ökonomischen und technischen Gründen ab. Die Masse der Bevölkerung sei wegen der Notwendigkeit intensiverer Arbeit am Boden militärisch nicht mehr disponibel und der Technik der Berufskrieger gegenüber wehrlos gewesen. Beides ist unrichtig. Ökonomisch unabkömmlich ist die Masse in den Großstaaten, deren Kriege monate- und jahrelang dauern. In Kantonsstaaten aber, wo die Feldzüge der Massen nur wenige Tage dauern, ist die Arbeit kein Hindernis, und trotzdem hat das antike Rittertum sich in Kantonsstaaten gebildet. Die Technik aber, wenn schon nichts Gleichgültiges, ist im Rittertum doch nur etwas Sekundäres; Reiten kann vielfach auch der Bauer, und von einer eigentlichen Fechtkunst hören wir im Mittelalter sehr wenig. Bei schwereren Schutztrüstungen ist sie nicht so entscheidend. Wenigstens ebenso wichtig ist das ökonomische Moment der Beschaffung der besseren Waffen, Schutz- wie Trutzwaffen. Das eigentliche Wesen aber liegt nicht hier, sondern in den psychischen Momenten, dem kriegerischen Ehrbegriff, der Zuversicht, der Tapferkeit, die in der Masse, sobald sie die Barbarei hinter sich hat, immer sehr gering ist, in einem Kriegerstande aber zu hoher Kraft entwickelt wird. Diese kriegerische Gesinnung kann man nicht unter den Begriff »Technik« subsumieren, am wenigsten, wie Weber meint (S. 53, Sp. 3), einer von auswärts zu importierenden.

Das wesentlichste technische Moment in dieser Entwicklungsweise ist die Ausbildung des Kampfes zu Pferde. Dieser hat allerdings, wie oben ausgeführt, unzweifelhaft zur Bildung des italischen Rittertums viel beigetragen – aber eben nur beigetragen. Das griechische Eupatridentum, das Weber ganz richtig als identisch mit dem römischen Patriziertum auffaßt, hat noch nicht zu Pferde gefochten. Freilich auch der homerische Streitwagen war gewiß schon eine Hilfe, aber daß »die Einführung des Pferdes«, wie Weber S. 177 sagt, »die mittelländische ritterliche Gesellschaft geschaffen« habe, ist eine unzulässige Übertreibung.

Noch weniger zutreffend ist, beiläufig bemerkt, die Behauptung an derselben Stelle, daß die eiserne Waffe (statt der bronzenen) das entscheidende Moment in der Bildung der Hopliten-Phalanx gewesen sei und daß dies die antike »Bürgerpolis« geschaffen habe. Was richtig ist in dieser Kombination wird durch die Übertreibung wieder falsch.[486]

Die falsche Ableitung des Ritterlichen aus dem Ökonomisch-Technischen leitet über zu der falschen Erklärung des Unterschiedes zwischen dem antiken und dem mittelalterlichen Ritter. Weber führt ihn darauf zurück, daß die antike Kultur Küstenkultur gewesen sei, die mittelalterliche binnenländisch; der Seeverkehr habe den Stadtfeudalismus geschaffen; in Zentral-Europa mit seinem Landverkehr sei der Feudalismus weit stärker auf ländlicher Grundlage aufgebaut worden und habe deshalb die Grundherrschaft erzeugt. Das ist falsch sowohl in den Voraussetzungen wie in den Folgerungen. Die Antithese Webers von Küstenkultur und Binnenkultur haben wir oben schon in anderem Zusammenhang als irrig dargetan. Der antike Verkehr war nicht so ausschließlich Seeverkehr, wie Weber meint: selbst Athen war in der Zeit, wo die Eupatridengeschlechter sich ausschichteten, keine eigentliche Seestadt. Zentral-Europa aber, insbesondere Gallien, hatte in seinen Flüssen Verkehrswege und Verkehrsmöglichkeiten, die der See, die diesen Ländern ja auch keineswegs fehlt, wenig nachstanden. Schließlich ist es auch nicht richtig, daß der mittelalterliche Feudalismus sich nur oder gerade in den Ländern entwickelt habe, die des Seeverkehrs entbehrten. Spanien und Italien, die im Mittelalter ebenso sehr an der See lagen, wie im Altertum, haben im Ganzen und Großen dieselbe Form des Feudalismus wie Frankreich und Deutschland. Die Angelsachsen auf ihrer Insel mitten im Meer entwickeln hingegen diesen Feudalismus nicht, die seefahrenden Normannen aber sind seine Hauptträger. Mit See und Land, See- und Landverkehr hat der Feudalismus also sowohl im Altertum wie im Mittelalter ich will nicht sagen nichts, denn schließlich wirkt alles auf alles, aber doch nur wenig zu tun. So einfach sind diese großen welthistorischen Erscheinungen überhaupt nicht zu erklären, und am wenigsten aus bloßen Naturbedingungen, wirtschaftlichen und technischen Verhältnissen.

Auf eine spezielle Auseinandersetzung mit W. ERBEN »Zur Geschichte des karolingischen Kriegswesens« (Hist. Zeitschrift, Bd. 101, S. 321) glaube ich verzichten zu dürfen und mache nur darauf aufmerksam, daß der Autor von meiner Auffassung abweicht, und mit sich selbst in Widerspruch gerät. Während er auf S. 330 sich das karolingische Heer »zumeist« aus deutschen Bauern zusammengesetzt denkt, meint er S. 333, daß der wirkliche Effekt des allgemeinen Aufgebots hinter dem Wortlaut der Gesetze stark zurückgeblieben sein möge, und daß weder die Zahl der Bauern, welche tatsächlich an den Feldzügen Karls des Großen teilnahmen, noch die Rolle, die sie neben und unter den gleichzeitig ausrückenden Vasallen spielten, genau zu erkennen sei. Die Frage, woher in den romanischen Gebieten, die doch vor der Einverleibung Sachsens und Bayerns vielleicht fünf Sechstel des karolingischen Reiches bildeten, die deutschen Bauern gekommen sind, oder ob hier die seit vielen Jahrhunderten des Krieges entwöhnten romanisch- keltischen Bauern aufgeboten wurden, wird gar nicht aufgeworfen. Der Verfasser erkennt an, daß das Neue bei mir nur darin besteht, daß ich die Auffassung, die ohnehin allgemein angenommen ist, daß nämlich die persönliche[487] Dienstleistung in eine Steuerleistung umgewandelt worden sei, früher datiert und anders motiviert habe; er erkennt weiter an, daß diese andere Motivierung die richtigere ist; er will schließlich, daß es für den militärischen Fachmann schwierig, ja »vielleicht unmöglich« sei (S. 330), von dem Wesen und den Leistungen des karolingischen »Volksaufgebots«, den »Bauernheeren« ein Bild zu gewinnen – trotz Allem soll die wörtliche Auslegung der Kapitularien bestehen bleiben, denn (S. 334) »das in Kriegs- und Verwaltungssachen so erfahrene Urteil des Herrschers (Karl) und seines Hofes, das den Kapitularien zu Grunde lag, wiegt alle Bedenken moderner Sachkritik reichlich auf«. Das ist wieder das, was ich früher einmal »theologische Philologie« genannt habe, – credo, quia absurdum.

Unverkennbar scheint mir schließlich, daß der Verfasser die »Geschichte der Kriegskunst« zunächst nicht vollständig, sondern nur stückweise zu Rat gezogen hat; das Kapitel über die normannische Kriegsverfassung in England und wie Kapitularien dieser Könige, die für die richtige Interpretation der karolingischen Kapitularien von so großer Bedeutung sind, sind nicht verwertet worden.

Der Verfasser erklärt sich ja schließlich (S. 334) mit den weiteren Partien meines Buches im ganzen einverstanden. Aber ich sehe nicht, worauf sich das beziehen kann, ohne den Verfasser mit sich selbst in Widerspruch zu bringen: denn daß Jemand, der sich meine Auffassung des Rittertums, seines militärischen Charakters und Wertes, wirklich zu eigen gemacht hat, in den Aufgeboten Karls des Großen noch Bauern sehen kann, halte ich für unmöglich.

FEHR, D. Waffenrecht der Bauern im Mittelalter (Zeitschr. d. Savigny-Stift. f. Rechtsg. Bd. XXXV, Germ. Abt. S. 118) schließt sich Erben an und glaubt dessen Beweisführung zu verstärken durch Hinweis auf das Kapitulare von 811 (Boretius I, 165 cap. 5), welches klagt, daß die pauperiores aufgeboten und die Wohlhabenden zu Hause gelassen würden. Diese »peuperiores« seien Kleinbauern. Weshalb Bauern? Auch im Kriegerstande gab es Reiche und Arme, und daß »populus« nicht die ganze Volksmasse, sondern das Kriegsvolk ist, glaube ich nachgewiesen zu haben.[488]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2.
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