20. Der Aufstand der Juden unter Antoninus Pius und R. Simon ben Jochaï.

[436] Capitolinus erzählt und zwar unzweideutig, unter dem ersten Antoninus haben die Juden eben so wie die Germanen und Dacier abermals einen Aufstand gemacht, sind aber durch Statthalter und Legaten niedergeworfen worden (in Antoninum Pium, c. 5.) ... Germanos, Dacos atque Judaeos rebellantes contudit per praesides ac legatos. Es klingt sehr unwahrscheinlich, denn daß hier von den Juden in ihrem Stammlande, in Judäa, die Rede ist, versteht sich von selbst. Nun war dieses Land durch den Betarschen Krieg und das Hadrianische Verfolgungssystem fast entvölkert worden und sollte doch wieder einen noch so schwachen Aufstand auch nur versucht haben? Allzu unbedeutend muß er doch nicht gewesen sein, da die Kaiserannalen ihn des Aufzeichnens würdig befunden haben, woraus Capitolinus die Nachricht geschöpft hat. Schwiegen die talmudischen Quellen ganz und gar darüber, so müßte man diese Nachricht bezweifeln. Allein sie teilen aus dieser Zeit einige Notizen mit, die zwar nicht geradezu von einem Aufstande sprechen, aber die Wirkungen eines solchen ahnen lassen, oder richtiger nur als Wirkungen eines neuen erbitterten Verhältnisses zwischen Juden und Römern verständlich sind. Zur Zeit R. Simons ben Jochaï, d.h. zwischen dem Betarschen Kriege und R. Judas I. Patriarchat (138-165) wurde den Juden die Zivilgerichtsbarkeit entzogen, worauf dieser Tannaï bemerkte, er müßte Gott dafür danken, da er sich nicht zum Richter berufen fühle (Jerus. Synhedrin I. 18. a. und VII. 24 b.): תונוממ יניד ולטינ יאחוי ןב ןועמש 'ר ימיב ןודימ םיכח אנילד אנמחר ךירב יחוי ןב ןועמש ר"א .לארשימ (so die richtige Lesart; die erste Stelle hat falsch ימיב חטש ןב ןועמש). Man wird wohl einräumen, daß das Entziehen der Gerichtsbarkeit nur die Folge eines vorangegangenen Zerwürfnisses sein kann. Mit Recht stellt es der Talmud das. in eine Reihe mit dem Entziehen der peinlichen Gerichtsbarkeit vor der Tempelzerstörung unter der Herrschaft der Landpfleger.

Die zweite Notiz erzählt, infolge einer Delation über die Gesinnung der Tannaiten gegen die Römer sei R. Simon ben Jochaï zum Tode verurteilt worden, weil er sich mißliebig über die Römer ausgesprochen habe. Selbst R. José wurde aus seinem Wohnort verbannt, weil er sich schweigend verhalten, nur R. Juda, der sich lobend geäußert, wurde gerühmt oder erhöht (b. Sabbat 33. b.): ועמשנו םהירבד רפסו סירג ןב הדוהי ךלה ירופצל הלגי קתשש יסוי .הלעתי הליעש הדוהי ורמא תוכלמל גרהי הנגש ןועמש. Das Hauptfaktum ist historisch. An die Verurteilung Simons ben Jochaï knüpft sich seine Flucht, sein Aufenthalt in einer Höhle und sein Verbleiben darin bis zum Tode eines Kaisers. Alles faktisch, (wovon weiter unten). R. Josés Verbannung und zwar von Sepphoris [436] (ירופצמ statt ירופצל, wie schon Heilperin תורודה רדס richtig emendiert) nach Laodicea ist auch anderweitig bestätigt. Zu seinem Sohne, der sich später von den Römern als Häscher gebrauchen ließ, sagte man (b. Baba Mezia 84. a.): איקדולל קרע תא אייסאל קרע ךובא (dafür ist zu lesen: איסאל קרע תא איקדולל קרע ךובא). Dieselbe Äußerung gegen R. Josés Sohn liegt auch Jerus. Maassarot III. 50. d. zugrunde; אייקדולל ךל תלזאו תקרעד לע, nur ist die Stelle sehr korrumpiert und auf Simon ben Jochaïs Sohn bezogen. Die Härte gegen Männer friedlicher Beschäftigung, namentlich gegen Bar-Jochaï, der sich erst nach dem Tode eines Kaisers aus seinem Schlupfwinkel herauswagen durfte, zeugt eben so sehr wie der Verlust der Gerichtsbarkeit von einem abnormen, sozusagen kriegerischen Zustand.

Auf der andern Seite kann man denn doch über die Unwahrscheinlichkeit eines neuen Aufstandes unter Pius nicht hinwegkommen. Soll dieser Aufstandsversuch nicht gar als Tollkühnheit und Torheit erscheinen, so kann er nur in Hinblick auf eine kräftige Bundesgenossenschaft unternommen worden sein. Nun wissen wir aus Capitolinus und andern Relationen, daß sich der Partherkönig Vologeses noch im letzten Jahre des Antoninus Pius zum Kriege gerüstet und ihn unmittelbar nach dessen Ableben ausgeführt hat. Die Legionen wurden geschlagen, der römische Legat getötet, einige Provinzen verwüstet, der Statthalter von Syrien Cornelianus in die Flucht geschlagen, und Syrien stand auf dem Punkt sich gegen die Römer zu erheben. (Capitol. in Marcum c. 8.): Fuit eo tempore Parthicum bellum, quod Vologeses, paratum sub Pio, Marci et Veri tempore indixit, fugato Atidio Corneliano, qui Syriam tunc administrabat (in Verum c. 6). Nam cum interfecto legato, caesis legionibus, Syris defectionem cogitantibus, Oriens vastaretur, ille (Verus) in Apulia venabatur. Dieser parthische Krieg, welcher große Dimensionen annahm und von 161 bis 165 dauerte, sollte also noch beim Leben des Antoninus Pius ausbrechen. Aus einigen agadischen Winken läßt sich folgern, daß die Juden Palästinas, wenigstens R. Simon ben Jochaï auf die Intervention der Perser, d.h. Parther gerechnet haben. Dieser Tannaï predigte, wenn du ein persisches Roß in Palästina angebunden siehst, so hoffe auf das Eintreffen des Messias (Midrasch Threni Rabba p. 66. c.): ןב ןועמש 'ר ינת לש וילגרל הפצ לארשי ץראב רושק יסרפ סוס תיאר םא יחוי חישמ (ebenso Canticum Rabba 38. d., mit einem Zusatz: לארשי ץרא ירבקב רושק יסרפ סוס). Auch der vorsichtige R. Jehuda erwartete, daß die Römer, die Tempelzerstörer, durch die Perser, Parther, vertilgt werden würden (b. Joma 10. a.): 'ר םושמ ןנחוי 'ר רמא םיסרפ דיב לופיל םיבירחמ םידיתע יאעליא יברב הדוהי. Durch diese Beleuchtung erhält der Aufstand der Juden mehr Wahrscheinlichkeit. Sie haben ihn mit Hinblick auf eine Invasion von Seiten der Parther unternommen, scheinen aber zu früh damit vorgegangen zu sein, noch beim Leben des Antoninus Pius (März 161), und wurden vom Statthalter Syriens, vielleicht von eben jenem Cornelianus, rasch niedergeworfen. Entweder eben dieser Präside, oder der bald nach Beginn eingetroffene Mitkaiser Verus hat dann Strafen über die Juden ergehen lassen, sie der bürgerlichen Gerichtsbarkeit für verlustig erklärt und die Gesetzeslehrer, namentlich R. Simon ben Jochaï, bekannt als Römerfeind, verfolgt. Sein Höhlenleben wäre dann während Verus' grausigen Regiments in Syrien, in Antiochien, und Laodicea zu setzen, bis nach dessen Tode (Winter 169). Wir haben dadurch chronologischen Raum für seinen Höhlenaufenthalt – um 161-169. Man darf sich nicht daran stoßen, daß die talmudischen Nachrichten übereinstimmend diesen auf dreizehn Jahre ausdehnen. [437] Die Zahl 13 ist im Talmud durchaus als runde Zahl anzusehen und kehrt bei verschiedenen Nachrichten wieder, die daher nicht streng genommen werden darf. 13 Jahre verkehrte R. Akiba bei R. Elieser (Jerus. Pesachim IV. 33. b.); 13 Jahre litt R. Juda I. an einer Zahnkrankheit (J. Kilaim IX. 32. b., Genesis Rabba c. 43.; babl. Baba Mezia 85. a.); 13 Jahre war R. Seïra's Vater Steuereinnehmer (b. Synhedrin 25. b.), und noch viele andere Beispiele. Wenn wir also Simon ben Jochaïs Höhlenleben während Verus' Regiments setzen und ihn wieder nach dessen Tod zum Vorschein kommen lassen, so haben wir für seine anderweitige Tätigkeit Spielraum, für seine Lehrtätigkeit in Thekoa und für seine Reise nach Rom, um die feindlichen Dekrete aufheben zu lassen, alles nach Verus' Ableben, während der Alleinregierung Mark Aurels nach 169. Die Nachricht über R. Simons Reise nach Rom (Meïla p. 17), die Mitreise des Eleasar ben José und die Voraussetzung, eine verhängte Religionsverfolgung, ist historisch. Diese Verfolgung darf man nicht mit der Hadrianischen zusammenwürfeln (Rapoport, Erech Millin p. 20); sie betraf nur Ritualien, während die Hadrianische meistens die Lehrtätigkeit mit Strafe belegte; הרותב וקסעי אלש gilt nur von der hadrianischen. Ob sich die Nachricht, daß »nach dem Tode des Patriarchen Simon ben Gamaliel die Leiden sich mehrten« auf diese Verfolgung unter Verus bezieht, kann weder bejaht, noch verneint werden; wenigstens kann man diese Notiz nicht als chronologische Basis nehmen. Überhaupt ist die Stelle: הלע לאילמג ןב ןועמש 'ר תמשכ תורצה וברו יאבוג (V. אב)(Tosifta Sota Ende und daraus in Babli und Jerus. das.) ziemlich dunkel. Das Wort אבוג bedeutet im Talmud Heuschrecken und Perser d.h. Gueber, aber keineswegs Parther, wie Krochmal allzusicher annimmt (Chaluz II. p. 72. 92. No. 8). Es kann sich also nicht auf die Invasion der Parther unter Vologeses 161 beziehen; denn bis Palästina sind sie keineswegs gedrungen. [Vergl. Brann und Kaufmann, Monatsschrift I. p. 110].

Das Höhlenleben R. Simon ben Jochaïs, das die kabbalistische Mystik, um ihrem Ursprunge das für die Exstase günstige Halbdunkel einer geheimnisvollen Szenerie zu vindizieren, so sehr ausgebeutet hat, bietet ein interessantes Beispiel, wie die wundersüchtige Sage einen ganz einfachen, naturgemäßen Vorgang durch allmähliche Ansätze und Überarbeitungen in ein staunenerregendes Mirakel verwandelt. An fünf Stellen wird dieses Höhlenleben mit seinen Folgen erzählt (j. Schebiit IX. 38. d. Genesis Rabba c. 79. Midr. Kohelet zu 10. 8. M. Esther zu 1. 9.; b. Sabbat 33. b., welche hier, der Kürze wegen, der Reihenfolge nach mit A. B. C. D. E. bezeichnet werden sollen); aber jede derselben (mit Ausnahme von A.) hat hineingetragene Züge. deren Entstehung man mit Anwendung der Kritik leicht verfolgen kann. A. scheint mir die ursprüngliche Fassung zu haben, und sie soll bei der kritischen Operation zugrunde gelegt werden; am meisten Entstellungen enthält aber E. Die Nachricht in A. weiß nur von R. Simon allein, daß er sich dreizehn Jahre wegen einer politischen Verfolgung in einer Höhle verborgen gehalten: דבע יאחוי ןב ןועמש 'ר ןינש ג"י אתרעמב רימט, die übrigen lassen ihm von seinem Sohne Gesellschaft leisten. Die Örtlichkeit der Höhle bezeichnet B. näher, die Charuba-Höhle von Gadara: הרדגד ןיבורח (תרעמב); (A. hat dafür eine Korruptel המורתד ןיבורח תרעמב. C., אקפד). Gadara war neben Zalmon wegen seiner Johannisbrotbäume bekannt: הרודג יבורחו הנומלצ יבורח (j. Maassarot I. 1. Orlah I. 1.). Daß sich R. Simon von diesen daselbst in Fülle vorhandenen Früchten genährt, hält A. nicht der Mühe wert zu erwähnen; B. aber gibt es ausdrücklich an: יבורח ןילכוא ויה; C. D. mit dem Zusatze, daß er sich auch von den Datteln [438] genährt: ןיבורה ןירמתו; E. aber läßt schon durch ein Wunder Johannisbrotbäume entstehen und noch dazu eine Wasserquelle fließen: אימד אניעו אבורח והל ירביא אסינ שיחרתא. Daß R. Simon (und sein Sohn), um die Kleider für die Zeit des Gebetes zu schonen, nackt im Sande gesessen und sich den ganzen Tag mit dem Gesetzesstudium beschäftigt, weiß nur E. – Nach A. war die Veranlassung, daß der Flüchtling nach dreizehn Jahren Mut faßte, die Höhle zu verlassen, ein bedeutsamer Wink von einem Vogel, welcher der Schlinge entgangen war, wobei R. Simon von einer ungefähr vernommenen Stimme (לוק תב) das Wort »gerettet« (סומיד = dimissus) gehört, ohne daß das Bat-Kol als ein besonderes Wunder geltend gemacht wird: רמא ןינש ג"י ףוסל אתרעמד אמופ לע היל ביתיו קפנ אמלע עלק המ ימח קפנ אניל הרמא לוק תרב עמש היתדוצמ סרפ .םירפצ רצ ד"צ דח אמח תיבזתשיאו סומיד. Dieser Vorfall vergegenwärtigte ihm den Gedanken, daß der Mensch noch viel weniger ohne die göttliche Waltung untergehen könne: רמא אשנ רב ןכש לכ אדבי אל אימש ידעלבמ רופצ. C. B. D. lassen, um mehr Absichtlichkeit hineinzubringen, das Bat-Kol zweimal auftreten. Als er das Wort סומיד gesprochen, sei der Vogel gerettet und als es הלוקיפס (specula im Sinne von Gefangenschaft) habe vernehmen lassen, sei er gefangen worden (in C. und D. ist die Ordnung von unwissenden Kopisten umgekehrt worden). E. aber macht wiederum ein vollständiges Wunder daraus. Nach Ablauf von zwölf Jahren sei der Prophet Elias den beiden Flüchtlingen erschienen, um ihnen den Tod des Kaisers anzuzeigen, worauf sie die Höhle verließen; da sie aber erzürnt über das weltliche Treiben der Menschen, die sich mit Pflügen und Säen beschäftigten, anstatt dem ewigen Leben nachzuhängen, ihren strafenden Blick umherschweifen ließen und dadurch Verwüstungen anrichteten, habe ihnen das Bat-Kol bedeutet, sich wieder in die Höhle zu begeben, die sie erst nach Ablauf von zwölf Monaten, vom Bat-Kol dazu ermahnt, verlassen hätten. Ferner hat E. eine Wunderepisode von einem Dialoge, von welchem die übrigen nichts wissen, wie der Sohn mit seinem Blicke gestraft, und der Vater die Gestraften geheilt, wie R. Simons Schwiegersohn, der strenge R. Pinchas ben Jaïr, ihnen entgegengekommen, und über den Anblick ihrer rissig gewordenen Leiber betrübt gewesen. Die übrigen Stellen erzählen einfach, nachdem R. Simon vernommen, daß die Verfolgung aufgehört, habe er in den warmen Quellen von Tiberias gebadet, um seine von dem Höhlenleben zerrüttete Gesundheit wieder herzustellen: ןיסומיד הידהב יחסנו תוחינ רמא אילמ ןכדשד אמח דכ (אירבטד דקומד יומ אדהב) הירבטד. Aus Dankbarkeit für die in den tiberiensischen Bädern wieder erlangte Gesundheit habe er sich vorgesetzt, die auf Tiberias (seit dessen Erbauung durch Herodes Antipas) lastende Unreinheit zu beseitigen: – הנקת תושעל ןנא ןיכירצ רמא הירבט יכדנ רמא. E. hat den Umstand vom Baden in den warmen Quellen nicht, um aber ein Motiv für R. Simons Vorsatz zu haben, Tiberias rein zu erklären, hilft sie sich mit dem Wunder heraus: »Weil uns doch Wunder geschehen sind, will ich eine Veranstaltung treffen!« אתלימ ןיקתא לזיא אסינ שיחרתאד ןויכ. In Midrasch zu Ps. 17. ist die Sage gar getrübt, als wenn Simon ben J. ganz Palästina für rein erklärt hätte: דימ לארשי ץרא תא רהטו אצי. Die Operation der Reinerklärung wird in A. wie in den Parallelstellen ohne Wunder dargestellt (gegen Raschi). R. Simon habe Feigenbohnen (אסמרות = ϑέρμος) zerschnitten und sie in die Erde gesteckt; wo ein Leichnam unter der Erde gewesen, haben die Bohnen keine Wurzel geschlagen, und von da habe man die Leichname aufgesucht und hinweggeschafft: היהד ןה לכ קלקמו ץצקמו ןיסמרות בסנ הוהו ליעל ןמ היל קילס ףייט הוה אתימ (deutlicher nach B.): לכ [איתימ] ןיקפנו ןיקפמ [אסמרות] קילס אליטק הוהד ארתא; wo sich aber keine [439] Leiche befunden, seien die Bohnen in der Erde geblieben. B.: האמוט סש התיה אלש םוקמ לכז תדמוע אסמרות. E. war das Faktum entschwunden, daß Tiberias einst wegen Gräbern ein verunreinigter Ort gewesen; darum denkt er sich innerhalb Tiberias irgend einen zweifelhaft unreinen Platz, der den Ahroniden Verlegenheit gebracht; dadurch verliert aber die ganze Reinerklärung, wenn sie nicht die ganze Stadt betraf, an Wichtigkeit: האמוט קפס היב תיאד אתכוד אכיא יפוקאל םינהכל ארעצ והל תיאו. Das Zerschneiden von Feigenbohnen, sowie das Experiment bildet E. aus Mißverständnis in etwas ganz anderes um: יאה ל"א. לכ יכה ימנ והיא דבע !המורת יסמרות יאכז ןב ץצק ןאכ אבס הינייצ יפר הוהד יכיה לכו ,הירהט ישק הוהד יכיה. Das einzige Wunderhafte, das A. gleich den übrigen von R. Simon erzählt, ist der ihm beigelegte Fernblick durch den heiligen Geist, vermöge dessen er gewußt, daß ein Samaritaner, um ihn stutzig zu machen, einen Leichnam unter die Erde gelegt; ferner, daß auf sein Wort, der Leichnam möge über und der Samaritaner unter die Erde kommen, dieses Wunder eingetroffen sei. Diese Züge wollen aber keineswegs R. Simon eine besondere Wundertätigkeit zuschreiben; es wird auch von vielen Gesetzeslehrern erzählt, daß ihre Anwünschungen eingetroffen seien. Diesen Zug scheint sich die Sage aus dem Dogma hergeholt zu haben, daß, »was der Gerechte wünscht, lasse der Himmel in Erfüllung gehen.« (Vergl. Berachot 39. a. und j. das. 10. e. von Bar Kappara, 58. a. von R. Scheschet. Baba Batra 75. a. von R. Jochanan und noch an anderen Stellen.) Von derselben Art ist auch das Moment von dem spöttelnden Kinderlehrer Dinkaï aus Magdala. Derselbe hatte sich über R. Simon aufgehalten, weil er das an anderthalb Jahrhunderte als Gräberstadt gemiedene Tiberias rehabilitiert hat, worauf R. Simon versicherte, er sei im Besitze einer uralten Tradition, daß Tiberias einst die vermißte Reinheit erlangen werde: רהטיל הדיתע הירביטש יתעמש אל םא ילע אבי. Weil aber jener Dinkaï ihm keinen Glauben geschenkt, sei aus ihm bald ein Gebeinhaufen geworden. (Auch in diesem Punkte hat E. einen sagenhaften Zusatz.) Diese Sage von Dinkaï aus Magdala scheint anzudeuten, daß die Rehabilitation von Tiberias Widerspruch gefunden hat.

R. Simon ben Jochaï hat den Gründen der pentateuchischen Gesetzgebung nachgespürt und aus ihnen Konsequenzen für die Praxis gefolgert: שרד ןועמש 'ד ארקד אמעט (Kidduschin 68 b. und Parallelstellen) Da er die Theorie R. Akibas, daß die pentateuchischen Pleonasmen sinnvolle Andeutungen seien, nicht anerkannt, vielmehr sich R. Ismaels Ansicht zugeneigt hat, daß dieselben Sprachgebrauch seien (Baba Mezia 31. b.): םדא ינב ןושלב הרות הרבד (רבס) ןועמש 'ר, so könnte daraus zu schließen sein, daß derselbe an die Stelle von R. Akibas äußerlichen Deutungen aus Pleonasmen (ןייובר), die innerlichen durch Zurückführung auf die Gründe (םימעט) setzte. Die Anschauungsweise R. Simons war aber weit entfernt, mystisch zu sein, vielmehr so rationell, daß man später diese Art nicht zu billigen schien. J. Tosifta Peah (c. 1.) gibt nämlich R. Simon vier Gründe an, warum das Gesetz bestimme, האיפ vom Ende des Feldes zu geben: 'ר רמא ינפמ הדש ףוסב אלא האיפ םדא ןתי אל םירבד 'ד ינפמ ןועמש םיאמרה ינפמו ,ןיעה תיארמ ינפמו םיינע לוטב ינפמו ,םיינע לזג. Merkwürdigerweise ist an den Parallelstellen (Sifra P. Kedoschim I. 10, Sabbat 23. a.) anstatt des dritten Grundes םיאמרה ינפמ ein anderer eingeschoben: םושמ) ךדש תאפ הלכת אל הרות הרמאש םושמ (הלכת לב. Konsequent zählt j. Peah (IV. p. 18. b.) dieses Einschiebsel mit auf und läßt R. Simon fünf Gründe angeben: ונה ןיאמרה ינפמו – 'וכו םדא ןתי אל םירבד השמח ינפמ ש"ר םשב הלכת אל הרות הרמאש ינפמו. Diese Differenz scheint nicht aus einer Textesvariante, sondern nur aus einer[440] dogmatischen Tendenz entsprungen.29 Sobald das, wahrscheinlich aus Opposition gegen das gesetzesverleugnende Christentum entstandene, Dogma Platz gegriffen, daß die biblische Gesetzgebung keinen ethischen Zweck beabsichtige, sondern daß die Gesetze Selbstzweck seien: םימחר ה"בקה לש ויתודימ השועש ינפמ תוריזג אלא ןניאו (b. Berachot 33. b.; j.V. p. 9. c.), so mußte diese Ansicht an R. Simons kausaler Interpretation Anstoß nehmen und darum fügte man hinzu, neben den rationellen Ursachen sei das ein zureichender Grund, daß die Thora es einmal also bestimmt hat.

Das Thekoa, wo R. Simon ben Jochaï sein Lehrhaus hatte, (Sabbat 147. b.), kann unmöglich das judäische Thekoa sein, welches in einer wüsten Gegend lag, deren Unfruchtbarkeit und Öde, wie sie Hieronymus als Augenzeuge (Prolog zu Amos) schildert, sehr wenig einladend waren und für die Frequenz eines Lehrhauses wenig bieten konnten. Zudem war der Aufenthalt R. Simons (wie der meisten Tannaiten in der nach-akibaïschen Zeit) nicht Judäa, sondern Galiläa, wo er auch starb. Endlich wird Thekoa wegen des allerbesten Öls gerühmt: ןמשל אפלא עוקת, was doch sicherlich nicht von der Wüstenstadt Thekoa in Judäa gelten kann, wohl aber von einer in dem ölreichen Galiläa gelegenen Stadt. (Vergl. Josephus bellum judaic. II. 25. Tosafot zu Chagigah 25. a.). Ein Thekoa in Galiläa kennen Pseudo-Epiphanius (de vitis prophetarum) und Kimchi (Comment. in Amos Anf.); dorthin verlegen beide den Geburtsort des Propheten Amos, der erstere in den Stamm Zebulon: Ἀμὼς ὁ προφƞτὴς οὑτος ἐγένετο ἐν Θεκουὲ ἐν γῇ Ζεβουλών, der letztere in den Stamm Ascher: הלודג ריע עוקתו רשא ינב תלחנב. Aus welcher Quelle sie diese Angabe geschöpft haben, konnte ich nicht ermitteln. Aus der talmudischen Erklärung (Menachot 85. b.) scheint hervorzugehen, daß die weise Thekoerin nach dem Öllande Galiläa versetzt wurde.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1908, Band 4, S. 436-441.
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