6. Die angebliche kriegerische Bewegung der Juden Palästinas unter Justinian.

[408] Der byzantinische Chronograph Theophanes referiert, die Juden hätten im Anfang der Regierung Justinians gemeinschaftlich mit den Samaritanern einen Aufstand gemacht, die Christen totgeschlagen und sich einen König von samaritanischer Abkunft gewählt, mit Namen Julian. Diesen Bericht haben manche Historiker ohne Kritik nachgeschrieben und dann hinzugefügt: Als der Aufstand der Juden und Samaritaner gedämpft war, wären jüdische und samaritanische Flüchtlinge nach Persien gekommen und hätten den persischen König überredet, keinen Frieden mit dem Kaiser zu schließen, weil sie ihm [408] eine ganze Armee von Juden und Samaritanern zur Hilfe stellen wollten. Diese Angabe entbehrt aber jeder geschichtlichen Basis und beruht auf einem Mißverständnisse, das sich Theophanes hat zu Schulden kommen lassen. Die Hauptquellen über den Aufstand in Palästina, der Biograph des Abtes St. Saba, Cyrill von Skythopolis (in Cotelers monumenta ecclesiae graecae T. III, c. 70, S. 239) und Procop, beide Zeitgenossen Justinians, erzählen lediglich von dem Aufstand der Samaritaner gegen die byzantinischen Römer nnd erwähnen der Juden dabei mit keinem Worte (vgl. Procopius, historia arcana, c. 11). Selbst das Chronikon Paschale berichtet nur von dem Aufstande der Samaritaner: τούτῳ τῷ ἔτει Σαμαρειτῶν στασιασάντων καὶ ποιƞσάντων ἑαυτοῖς βασιλέα καὶ καίσαρα (ed. Bonn, p. 619.)

Der Irrtum entstand aus einer unverständlichen Konstruktion des Chronographen Malalas von syrischer Abkunft. Dieser barbarische Byzantiner, dessen Griechisch das unbeholfene Syrisch durchscheinen läßt, leitet den Aufstand der Samaritaner mit den Worten ein (Chronographia, p. 445): τῷ δὲ Ἰουνίῳ μƞνὶ τῆς ἑβδόμƞς ἰνδικτιῶνος ταραχῆς γενομένƞς ἐϑνικῆς, συμβαλόντων γὰρ τῶν Σαμαρειτῶν μεταξὺ Χριστιανῶν καὶ Ἰουδαίων κ. τ. λ. Der Sinn ist dunkel, bedeutet aber schwerlich, wie ihn die lateinische Version wiedergibt; Samaritanis enim Judaeisque cum Christianis conflictantibus. Denn der Kasus Ἰουδαίων ist nicht Genitivus absolutus, sondern wird gleich Χριστιανῶν von der Präposition μεταξὺ regiert. Eher kann der Sinn sein, daß die Samaritaner Christen und Juden angefallen haben. Und im ganzen Verlaufe der Erzählung spricht Malalas nur von den Samaritanern, daß sie viele Plätze in Skythopolis verbrannt haben πολλοὶ τόποι ἐνεπρἠσϑƞσαν Σκυϑοπόλει ἐκ τῶν αὐτῶν Σαμαρειτῶν), und daß 20 000 Samaritaner infolge dieses Aufstandes umgekommen seien. – Malalas' dunkle und schwerfällige Konstruktion hat nun sein Kopist, Theophanes, mißverstanden und daraus das Faktum gemacht, die Juden hätten sich an dem Aufstande der Samaritaner beteiligt (Chronographia I, p. 274): τῷ δὲ Ἰουνίῳ μƞνὶ Σαμαρεῖται καὶ Ἰουδαῖοι ἐν Παλαιστίνς βασιλέα Ἰουλιανόν τινα ἔστεψαν καὶ κατὰ Χριστιανῶν ὅπλα κινἠσαντες κ. τ. λ. Da, wo Theophanes seine Quelle nicht mißverstehen konnte, berichtet er auch nur von Samaritanern allein, daß Flüchtlinge derselben dem König Chosrau die Überlieferung des Landes und Hilfstruppen (Juden und Samaritaner) versprochen haben: ἀναπεισϑεὶς (ὁ Χοσρόƞς) ὑπὸ Σαμαρειτῶν τῶν προςφυγόντων αὐτῷ καὶ ὑποτιϑεμένων αὐτῷ προδιδόναι τὴν χώραν αὐτῶν πᾶσαν, τὴν Παλαιστίνƞν, ὡς ἔχοντες καὶ συμμαχίαν Ἰουδαίους τε καὶ Σαμαρείτας χιλιάδας πεντἠκοντα.

Wenn es noch eines Beweises bedürfte, daß die Juden an dem Aufstande der Samaritaner zu Justinians Regierungsanfang unbeteiligt waren, und den samaritanischen König Julian nicht anerkannt haben, so würde es aus einer unzweideutigen Tatsache gefolgert werden können. Cyrill von Skythopolis berichtet, der Kaiser Justinian habe den Samaritanern infolge ihrer Empörung die Strafe aufgelegt, daß sie keine Synagoge besitzen und kein Dispositionsrecht, über ihr Vermögen, zu testieren und zu schenken, haben sollten (a.a.O. p. 242). Ἰουστινιανὸς χρƞσάμενος τοῠ παύεσϑαι τὰς τῶν Σαμαρειτῶν συναγωγὰς καὶ πάσƞς τῆς πολιτείας ἀπελαύνεσϑαι καὶ μἠτε κλƞρονομεῖν τούτων ἰδίοις, μἠτε κατὰ δωρεὰς δίκαιον ἑαυτοῖς παραμένειν. [409] Übereinstimmend damit finden sich zwei Gesetze von Justinian, welche diese Rechtsbeschränkung der Samaritaner sanktionieren (Codex Justiniani L. I, T. V. Nr. 17 und 18): αὐτοκράτωρ Ἰουστινιανός. Αἳ τῶν Σαμαρειτῶν συναγωγαὶ καϑαιροῠνται ... Οὐ δύνανται δὲ διαδόχους ἔχειν ἐκ διαϑἠκƞς κ. τ. λ. – Nr. 19 desselben Titels, welches bestimmt, daß die ungläubig gebliebenen Kinder der Samaritaner, Manichäer, Montanisten, Ophiten und anderer Häretiker nicht erbfähig sind, ist datiert vom Jahre 530, hängt also mit dem Aufstande der Samaritaner zusammen: omnibus, quae nostrae constitutiones de poenis paganorum ... et Samaritarum ... causa constituerent, ex hac nostra lege confirmandis. Aus der Justinianischen Novelle 120, welche diese strengen Strafen gegen die Samaritaner aufhebt (vom Jahre 551), ersehen wir, daß sie infolge der Empörung verhängt worden waren. Σαμαρείτας γὰρ πρῴƞν ϑρασυνομένους καὶ κατεπαιρομένους Χριστιανῶν πολλοῖς μὲν ἐπιτιμίοις ἐσωφρονίσαμεν, ἑνὶ δὲ μάλιστα, τῷ μἠτε διαϑἠκας αὐτοὺς δύνασϑαι γράφειν κ. τ. λ.

Allen-diesen Strafen waren aber die Juden nicht unterworfen; sie durften ihre Synagogen behalten und über ihr Vermögen disponieren, ein Beweis, daß sie von Justinian und seinen Beamten nicht als Mitschuldige der Samaritaner betrachtet wurden. Daß die Juden gegen die Samaritaner bevorrechtet waren, erhellt aus dem Gesetze des justinianischen Kodex, vom Jahr 531 (l.c. Nr. 21). Es erklärt die Samaritaner gleich Manichäern, Montanisten und andern für unwürdig, auch untereinander als Zeugen aufzutreten, während es den Juden gleich andern Häretikern, die Fähigkeit, untereinander Zeugnis abzulegen, zuspricht: Inter se autem haereticis, vel Judaeis, ubi litigandum existimaverint, concedimus foedus permixtum, et dignos litigatoribus etiam testes introduci, exceptis scilicet his quos vel Manichaicus furor ... vel pagana superstitio detinet, Samaritis nihilo minus. ... Sed his quidem, i.e., Manichaeis ... et paganis nec non Samaritis ... omne testimonium, sicut et alias legitimas conservationes, sancimus esse interdictum. Die Samaritaner wurden im byzantinischen Reiche noch schlimmer behandelt, als die Juden, weil sie als Apostaten vom Christentum galten.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1909, Band 5, S. 408-410.
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