10. Die genau fixierte Chronologie der Itinerarien des Benjamin von Tudela und des Petachja von Regensburg und einige davon abhängige Daten.

[394] Der Schatz von historischen Tatsachen, den die תועסמ des Benjamin von Tudela und das בובס R. Petachjas von Regensburg liefern, kann nur dann richtig verwertet werden, wenn die Jahre, innerhalb welcher ihre Reise fällt, genau fixiert werden. Diese Präzision lassen aber die sonst vollkommen ausgestattete Ashersche Ausgabe von Benjamins Itinerarium und auch die anderweitigen kritischen Arbeiten darüber vermissen, obwohl der ganze gelehrte Apparat dazu von namhaften Gelehrten fleißig zusammengetragen wurde. In betreff des R. Petachja fehlt die kritische Untersuchung überhaupt; die genaue Fixierung der Reisezeit ist umso notwendiger, als die Notizenjäger viel Gewicht darauf gelegt und die Data zum Ausgangspunkte chronologischer Unbestimmtheiten gemacht haben. Sie geben an: diese und diese historische Persönlichkeit war zu dieser Zeit an dem und dem Orte, da Benjamin sie in dem Jahre nicht erwähnt. Es kommt also dabei auf Präzision an. Die Hauptmitarbeiter an Benjamins Itinerarium setzen nun dessen Reisezeit zwischen 1160-1171. Lebrecht, welcher dazu einen Exkurs über die Kalifen geliefert hat, ist geneigt, sie noch früher anzusetzen. Eine eingehende Kritik ergibt aber das Resultat, daß Benjamin nicht vor dem Jahre 1165 seine Reise angetreten hat. Und auf dieses plus oder minus von fünf Jahren kommt es bei manchen unbestimmt gehaltenen Tatsachen gerade an.

Die Beweise für meine Behauptungen sind folgende:

1. In Rom war Benjamin, als der Papst Alexander III. bereits im ruhigen Besitze des Pontifikats und der Hauptstadt war, d.h. nach dem 23. November 1165, dem Tage des Einzuges in Rom nach jahrelanger Verbannung. Folglich war Benjamin frühestens 1166 in Rom. Allzu lange dauerte sein Aufenthalt in den Städten, die er berührt hatte, keineswegs. Denn in Cilicien war er im Jahre 1166 oder 1167, da er noch von dem König Toros von Armenien spricht (1. p. 26), der im letztgenannten Jahre starb. [394] Man braucht daher seiner Reise von Tudela bis Rom höchstens ein Jahr zu geben.

2. In Antiochien war er nach dem Jahre 1163. Denn er gibt an, daß damals der Fürst Boemond III. oder Boemond von Poitou, mit dem Beinamen le baube, regierte, nach der glücklichen Emendation des Herausgebers von Ashers Itinerarium (Hr. Zedner): תנומאב יפיצנירפ תלשממ דואמ הרוצב ריע (איכוטנא) איהו אבובה ןיביתופה (statt der sinnlosen Lesart ןיצירפ תלשממ אפפה ןיביטיפה תנומא II, zu p. 26). Boemond III. regierte 1163-1200. Folglich kann Benjamin unmöglich im Jahre 1160 die Reise angetreten haben.

3. In Isfahan, der Hauptstadt Persiens, war er um 1170. Denn er erzählt ausführlich von der Niederlage des Sultans (Sinǵar) durch die Ghusen (I, p. 84-87), und gibt an, daß diese Tatsache 18 Jahre vorher stattgefunden. (ךרות לא רפוכ ץוג ינב) ואבשכ הנש ח"י םויהו יתמב סניו – םהילע ופא הרח סרפ ךלמ עמששכו – סרפ ןוראל וצרא לא טעמ. Der Kriegszug und das erste unglückliche Treffen Sinǵars gegen die Ghusen fanden im Jahre 1153 statt nach den Quellen bei d'Hosson (angeführt vom Editor II, 174 und bei Weil, Geschichte der Kalifen III, 278). Dieses Faktum fand also statt 18 Jahre vor Benjamins Aufenthalt in Isfahan, wo er es von dem jüdischen Gefangenen Mose aus der Gegend von Nischabur erzählen hörte (I. 88), d.h. 1170-71. Da er nun, wie die Herausgeber richtig angemerkt haben, vor dem Tode des letzten fatimidischen Kalifen in Ägypten war, so fällt seine Reise in Ägypten vor den 13. September 1171, mithin seine Reise in Persien 1170.

4. Damit hebt sich auch eine Schwierigkeit, welche namentlich Lebrecht vielfach ventiliert hat und die ihn zum Resultate brachte, Benjamin schon in dem Jahre 1140-1150 reisen zu lassen, was nach dem oben Angeführten ganz unmöglich ist. Die Schwierigkeit besteht darin, daß der Tourist ganz ausdrücklich von Saif-Eddin, dem Bruder Nureddins, Herrn von Moßul spricht, dessen Astronom ein angesehener Jude Joseph war. Saif-Eddin Ghasi starb nun 1149. Allein durch eine geringe und gerechtfertigte Emendation des Textes ist die Schwierigkeit gehoben. Man lese: 'רו ויחא ןב ןיד לא ףיז ךלמל הזוח אוהו ךלפ לא ןאהרב הנוכמה ףסוי קשמד ךלמ ןיד לא רונ לש, statt ןיד לא רונ לש ויחא. Saif-Eddin II., Sohn des Kotbeddin, Bruders von Nureddin, übernahm die Regierung von Moßul nach dem Tode seines Vaters 565 d. Heg. = 1170. Benjamin spricht also von Nureddins Neffen und nicht von dessen Bruder. Er war also in Moßul 1170, nicht früher. Aus allen diesen Punkten geht wohl mit Sicherheit hervor, daß man bisher Benjamins Reiseanfang um fünf Jahre zu früh angesetzt hat.

Weniger Anhaltspunkte bietet Petachjas Bericht für eine präzisierte Chronologie; ohnehin ist er nur im Auszug mitgeteilt, und die Partien sind bunt untereinander gewürfelt. Nur annähernd läßt sich die Zeit seiner Reise bestimmen. Damaskus gehörte damals schon Saladin, dem Sultan Ägyptens: – קשמדל ךלהו הילע לשומ םירצמ לש ךלמו. Diese Stadt, welche bis dahin einen eigenen Herrscher hatte, kam erst November 1174 in Saladins Besitz (Weil, Kalifen III, S. 363), also war Petachja im Orient nach 1174. Jerusalem war zur Zeit seiner Reise noch in den Händen der Christen: םילאעמשיה דיב םילשורי התיהשכ םדק ימיב, also vor Oktober 1187. Demgemäß muß man die Reise zwischen 1175-1185 setzen. Sehr wichtig wäre [395] es, wenn sich das Jahr genauer fixieren ließe, weil sich dadurch manche Vorgänge innerhalb der orientalischen Judenheit besser ermitteln ließen.

Zunächst läßt sich aus dem Umstande, daß Benjamin 1170 in Persien war, das Jahr bestimmen, in dem der Pseudomessias David Alrui auftrat, nämlich zehn Jahre vorher: דחא שיא (הירעמלאב) םש םק םינש רשע םויהו יאורלא דוד ומשו. Munk hat einen sehr interessanten Beitrag zu dessen Geschichte aus einer Schrift des Apostaten Samuel Ibn-Abbas geliefert. Durch dessen Güte bin ich in den Besitz einer Abschrift davon gelangt. Gegenwärtig ist sie abgedruckt als Anhang zur Übersetzung des Emek ha-Bacha p. בכ f. Nach diesem Stücke hieß der Pseudomessias ןבא ןאמילס ןב םחנמ יחורלא. An der Identität ist nicht zu zweifeln, und die Verschiedenheit der Namen spricht nicht dagegen, weil entweder der Name David oder der Name Menahem ein messianisch-symbolischer war. יאורלא ist sicherlich dasselbe wie יחורלא, und darf man diesen Beinamen um so weniger von Raï ableiten, als dieser Pseudomessias nicht von Raï, sondern von Amadia war. In beiden Berichten sind aber die Fakta nicht treu wiedergegeben. Benjamin flicht Wunder ein, wie er sie aus dem Munde der morgenländischen Juden vernommen, und der Apostat Samuel Ibn-Abbas machte eine Karrikatur daraus, um seine ehemaligen Religionsgenossen lächerlich zu machen. Aus dessen Angabe läßt sich indes entnehmen, daß das Datum 1160 richtig ist. S. Ibn-Abbas ging zum Islam über 1163 (Munk, Notice sur Joseph b. Jehuda p. 8 Note) und starb in Maraga um 579 der Hedschra = 1174 (Alkifti bei Casiri, Bibliotheca I. 440). Er schrieb also seine Schmähschrift gegen das Judentum zwischen 1163-1174, und in dieser sagte er von dem Auftreten des Pseudomessias: »was sich in unserer Zeit zutrug«: אננהמז יפ ירע אמ.

Wichtig ist dieses Datum für einige Persönlichkeiten, welche damals eine Rolle gespielt haben. Benjamin bemerkt, daß David Alrui Jünger des Exilarchen Chasdaï und des Lehrhausvorstehers Ali war: דוד דמלו ןואג ילע הבישיה שאר ינפלו יאדסח הלוגה שאר ינפל (יאורלא) דאדגבב בקעי (p. 77). Dieselben haben ihn auch nach seinem Auftreten beschworen, seine Aufwiegelei einzustellen (p. 80). Chasdaï, der Vater des von Benjamin so sehr gerühmten Exilarchen Daniel, und Ali, der Vater des durch seinen Antagonismus gegen Maimuni so berüchtigten Samuel Halevi, lebten also noch im Jahre 1160. Im Jahre 1170, als Benjamin in Bagdad war, fungierten bereits als Exilarch: יאדסח ןב לאינד und als Quasi-Gaon יולה ילע ןב לאומש (p. 60). Von dem letzteren bemerkt auch übereinstimmend damit Maimuni, daß er zu seiner Zeit, d.h. während seines Aufenthaltes in Ägypten, ordiniert worden sei: שאר הז וננמזב דדגבב ךמסנה יולה לאומש וניבר הבישי (Tractatus de resurrectione ed. Amst. p. 129a). Den Exilarchen nennt aber Petachja auffallenderweise stets Daniel ben Salomo: 'ר לש ויבא המלש 'ר ימיב םדוק היהש ךלמהו המלש 'ר תא בהוא היה לאינד, und an einer anderen Stelle: הלוג שאר לאינד לש ויבא המלש 'ר ימיב היהש ךלמהו. Um diese Angabe mit der Benjamins auszugleichen, müßte man annehmen, daß Daniels Vater zwei Namen geführt hat: Salomo-Chasdaï, oder vielleicht Ibn-Chasdaï. Aus Petachjas Worten geht mit Bestimmtheit hervor, daß die zweite Auflage des Exilarchats, welches seit Scheriras Zeit erloschen war, erst mit Daniels Vater restauriert wurde, weil der Kalif dessen Freund war, oder gar ein solcher Verehrer des Judentums gewesen sein soll, daß er im Begriffe war, sich dazu zu [396] bekennen, als ihn der Tod abrief: רמאו אלו – ותדב אלו טמחמב אל תושממ ןיאש ומע לכל (ךלמה) תמש דע רייגל קיפסה. Dieser Exilarch Salomo oder Chasdaï, Daniels Vorgänger, scheint schon in der Zeit, als Ibn-Esra in Bagdad war (1139), fungiert zu haben; derselbe berichtet nämlich im Kommentar zu Zachar. 12, 7: תולגה ישאר םהו – דדגבב םויה דוע דוד תיב סוחייה רפס םהלו הלודגו הבר החפשמ. Aber daß der damals regierende Sultan Ibn-Abdallah Mohammed Almuktafi irgendeine Vorliebe für das Judentum gehabt hat, ist aus anderen Quellen nicht bekannt. Auch von dem Kalifen in Daniels Zeit berichtet Benjamin, er sei judenfreundlich gewesen und habe hebräisch und die heilige Schrift verstanden. Wie dem auch sei, so hat wohl die Restauration des Exilarchats erst mit Salomo-Chasdaï begonnen.

Sein Nachfolger Daniel starb ein Jahr vor Petachjas Ankunft in Bagdad: היחתפ 'רה אבש םדוק תחא הנשו הלוגה שאר לאינד 'ר תמ. Hier wäre es gut, wenn man dies Jahr präzisieren könnte. Denn seit dieser Zeit verdunkelte sich wieder der künstlich erhaltene Glanz der Exilarchen. Daniel hinterließ nämlich keine Söhne, und zwei Vettern prätendierten die Würde, die nicht in Bagdad, sondern in Moßul residierten: ןיאו דוד תיבמ םיאישנ םתוא אלא הלוג שאר תויהל ןייוארה םשל (לאומש l.) לארשי יברב תצקמו דוד 'רב םירחוב םירשה תצקמו תונב םא יכ םינב ול ויה אל לאינד 'רלו – וושוה אל ןידעו. Von ihnen berichtet derselbe früher bei der Beschreibung Moßuls: דוד 'ר ומש דחא (השדחה הונינב) הב םיאישנ ינשו םיחא ינב ינש םה לאומש 'ר ומש דחאו. David, der die Würde behauptet hat, lebte noch um 1217; denn Charisi, der im Jahre 1216 in Jerusalem war, traf ihn noch in Moßul an (Pforte 46): שאר דוד יתיאר (רושאב) םשו םידוהיה הלוגה. Nimmt man an, daß Petachja frühestens 1175 im Orient war, so hätte dieser Quasi-Exilarch bereits 42 Jahre fungiert. Dieser und also auch sein Rival leiteten übrigens ihre Abstammung nicht von den echten Exilarchen, d.h. von dem König Jojachin und von der männlichen Linie des Davidischen Hauses ab, sondern von den palästinensischen Patriarchen, also von Hillel und der weiblichen Linie. So lautet die Genealogie in einer Bannformel, welche David über die Gegner des Samuel ben Ali geschrieben hat: ןב – – – הארתב לאילמג ןבר ןב – – הידוה ןב דוד ללה (Orient. Ltbl. 1854). Die Echtheit der Genealogie läßt übrigens viel zu wünschen übrig. Es scheint, daß die Gemeinde von Bagdad und noch viele andere orientalische Gemeinden weder den einen, noch den anderen Prätendenten des Exilarchats anerkannt haben, sondern daß sich das Schulhaupt Samuel ben Ali die Suprematie zugeeignet hat. Mehrere Bemerkungen Petachjas über denselben führen darauf: ידוהי לכו ךלמה ןיא יכ הבישיה שארל ותלגלוגל הנשל בהז ןתונ לבבבש הבישיה שאר אלא סמ םהמ לבקמ, und vorangehend: לכבו ןייד םהל ןיא לבב ץראבו ידמו סרפ ירעבו קשמדבו רושא ץרא לכב תושר ןתונו הבישי שאר לאומש 'ר שאר רסומש המ אלא ץראבו תוצראה לכב ךלוה ומתוחו ריעב תורוהל ןודל ריע םידורש םיתרשמ םידבע 'סכ ול שיו ונממ םיארי לכהו לארשי תולקמב םעה תא. An einer anderen Stelle: לאומש 'ר ןתנו ורייתיש םש אביש םוקמ לכב היחתפ 'רל ומתוחו בתכ י"ר המ לכו ומע הבישי שאר לש םתוח היחתפ 'ר ךילוהו – – ותוא ונממ םיאריו ןישוע ויה שקבמ היהש. Alle diese Funktionen, das Einziehen des Kopfgeldes, das Anstellen von Rabbinen, der Besitz eines allgemein anerkannten Insiegels waren Prärogative des Exilarchats, die sich also Samuel angemaßt haben muß.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1896], Band 6, S. 394-398.
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