6. Kapitel. Das Zeitalter Ben-Adrets und Ascheris. (Fortsetzung.) (1270-1327.)

[169] Kaiser Rudolf von Habsburg und die Juden. Die Auswanderung der Juden aus der Rheingegend mit R' Meïr von Rothenburg. Der Großkhan Argun und sein Staatsmann Saad-Addaula. Die Haft des Meïr von Rothenburg und die Konfiszierung der Liegenschaften der ausgewanderten Juden. Leiden der Juden in England. Der Dominikaner-Proselyt Robert de Redingge und die Folgen seines Übertritts zum Judentume. Vertreibung der Juden aus England und der Gascogne. Saad Addaulas Erhöhung und Sturz. Unglückliche Folgen seines Sturzes für die morgenländischen Juden. Der Untergang Akkos. Isaak von Akko.


Die deutschen Rabbinen, von denen Salomo Petit unterstützt worden war, hatten keine Muße, sich um den Ausgang des Streites wegen Maimuni zu bekümmern. Sie waren mit den eigenen Angelegenheiten allzusehr beschäftigt. Es brachen nämlich während der Regierung des Kaisers Rudolf von Habsburg so schwere Leiden über die deutschen Gemeinden herein, daß mehrere derselben sich zu massenhafter Auswanderung entschlossen. Dieser Kaiser, der aus einem armen Ritter Herrscher des deutschen Reiches geworden war, trachtete zwar nicht nach ihrem Leben, aber desto mehr nach ihrem Gelde, da seine Kasse von Hause aus leer war, und er Mittel brauchte, die stolzen Fürsten zu beugen und die Hausmacht der Habsburger zu gründen. Juden haben zwar dem armen Grafen, dem eine Kaiserkrone unerwartet zugefallen war, bedeutende Summen vorgeschossen, unter anderen war Amschel Oppenheimer sein Gläubiger1; [169] aber dieses freiwillige Entgegenkommen genügte ihm nicht und hinderte ihn auch nicht, ihnen größere Summen abzuzwingen. Jeder Begünstigung, die er ihnen einräumte, und jedem Schutz, den er ihnen zukommen ließ, ging stets ein namhaftes Geldgeschenk voraus. Da Rudolf immer nur seinen Vorteil im Auge hatte, so folgte stets auf eine Gunstbezeugung gegen die Juden eine Beschränkung, um sie immer in der Hand zu haben.

Er bestätigte der alten Regensburger Gemeinde ihre Privilegien, die sie aus alter Zeit besaß, daß sie unter anderem eine eigene Gerichtsbarkeit in Zivilangelegenheiten haben und keines ihrer Mitglieder ohne Zuziehung eines jüdischen Zeugen eines Verbrechens angeklagt werden durfte2. Aber er erließ auch auf Veranlassung des Bischofs einen Befehl, daß die Regensburger Juden während der Osterzeit in ihren Häusern bleiben, sich nicht zur »Schmach des christlichen Glaubens« auf Wegen und Straßen blicken lassen und Türen und Fenster verschlossen halten sollten3. Kaiser Rudolf bestätigte für die österreichischen Gemeinden das Judenstatut4 des Erzherzogs Friedrich des Streitbaren, welches die Juden vor Quälerei und Totschlägerei schützen sollte (o. S. 89). Dagegen stellte er ein Jahr später den Wiener Bürgern ein Privilegium aus, welches die Unfähigkeit der Juden zu öffentlichen Ämtern feierlich erklärte5. Der Papst Innocenz IV. hatte die Juden von der Beschuldigung des Kindermordes zur Zeit des Passahfestes freigesprochen (o. S. 105). Der Papst Gregor X. (1271-78) hatte auf das Gesuch der Juden eine Bulle erlassen, daß sie nicht mit brutalem Zwange zur Taufe geschleppt und nicht an Leib und Gut geschädigt werden sollten. Der Kaiser Rudolf bestätigte den Inhalt der einen und der andern Bulle, »daß es nicht wahr ist, daß die Juden von dem Herzen eines toten Kindes zehren auf dem Passah-Tage.« Damit sie unter dem Schutze seiner kaiserlichen Gnade gesichert leben könnten, bestätigte und wiederholte er alle von den Päpsten zu ihren Gunsten gewährten Erlasse, daß namentlich die Juden lediglich durch rechtskräftiges Zeugnis von Juden und Christen verurteilt werden sollten6. Er beschützte sie auch hin und [170] wieder und belegte einige Mörder unschuldiger Juden in Lorch mit Strafe7. Nichtsdestoweniger kamen unter seiner Regierung, da die Deutschen von früherhin an Anarchie gewöhnt waren, eine große Menge Blutanklagen und Judengemetzel vor, welche der Kaiser teils unbestraft ließ, teils noch gut hieß.

Zur Osterzeit war ein totes Christenkind bei Mainz gefunden worden, und abermals entstand das lügenhafte Gerücht, die Mainzer Juden hätten es erschlagen. Es wurde zur Beglaubigung hinzugefügt, eine christliche Amme hätte es ihnen verkauft. Mit der Leiche des Kindes auf der Schulter fand sich ein Verwandter desselben, ein Ritter Gerbaldus Ring, mit einigen Genossen vor Mainz ein, Rache gegen die Juden, die Kindesmörder, schnaubend. Vergebens gab sich der Erzbischof Werner von Mainz, Erzkanzler des Reiches, die größte Mühe, die aufgeregte Menge zu beschwichtigen, einen regelmäßigen Prozeß gegen die Angeklagten einzuleiten und die Schuldigen zu ermitteln. Die vom Anblick der Leiche bis zur Raserei erhitzten Christen fielen ihre jüdischen Nachbarn am zweiten Ostertag (am vorletzten Passahtage, 19. April 1283)8 an, töteten zehn Personen und plünderten die jüdischen Häuser. Die Verfolgung wäre noch blutiger ausgefallen, wenn nicht der Erzbischof Werner tatkräftig zur Verteidigung seiner Juden aufgetreten wäre. Der Kaiser Rudolf soll später die Sache untersucht, das Urteil bestätigt und die Mainzer Bürger freigesprochen haben. Die den Juden geraubten Güter soll er haben einziehen lassen, aber nicht für seine eigene Kasse, sondern um sie unter die Armen zu verteilen. Er habe nämlich von dem durch Wucher erworbenen Gelde keinen Gebrauch machen und es auch nicht zu Kirchenzwecken verwenden lassen wollen9. Sonst war Kaiser Rudolf keineswegs so gewissenhaft. – An demselben Tage wie in [171] Mainz wurden sechsundzwanzig Juden in Bacharach erschlagen, darunter ein Jüngling Hiskija, dessen Vater einige Jahre vorher als Märtyrer in Lorch gefallen war10. Einige Tage später wurden in Brückenhausen sechzehn Juden erschlagen11 und drei Wochen vorher wurde ein Teil der Gemeinde von Mulrichstadt (Franken) verbrannt12. Zwei Jahre später (11. Oktober 1285) traf die Gemeinde von München13 herzzerreißendes Leid. Auch hier lautete die lügenhafte Anklage, die Juden hätten einem alten Weibe ein Christenkind abgekauft und es umgebracht. Ohne einen Urteilsspruch über den Täter abzuwarten, fiel die wütende Menge über die Juden her und erschlug alle, welche in ihre Hände gefallen waren. Die übrigen hatten sich in die Synagoge geflüchtet. Da schleppten die Bekenner der Religion der Liebe Brennstoff herbei, legten Feuer an das Bethaus und verbrannten darin hundertundachtzig Personen, Klein und Groß. – Nicht lange darauf wurden mehr als vierzig Juden von Oberwesel bei Bacharach und andere wieder in Boppard trotz ihrer Unschuld erschlagen (1286). Die Anklage gegen sie lautete, sie hätten einem frommen Manne, den das Volk »den guten Werner« nannte, heimlich das Blut abgezapft14. Die Leichtgläubigen behaupteten gar, seine Leiche habe einen Lichtschein von sich ausgestrahlt, wie denn dieser sogenannte Heilige Gegenstand der Wallfahrt in jener Gegend geworden ist. Der Kaiser Rudolph hat aber später die Heiligkeit des Mannes und die Beschuldigung der Juden an dessen Tode zunichte gemacht.

[172] Sicherlich war es die alljährlich sich wiederholende Verfolgung, die Unsicherheit ihrer Existenz, die Trostlosigkeit ihrer Lage, welche die Juden mehrerer Gemeinden bestimmte, den Staub Deutschlands abzuschütteln und mit Weib und Kind auszuwandern. Aus den Städten. Mainz, Worms, Speyer, Oppenheim und anderen in der Wetterau verließen viele Familien ihre festen Besitztümer, um übers Meer zu gehen. Und an ihrer Spitze stand der angesehenste Rabbiner Deutschlands, R' Meïr von Rothenburg, welcher wie ein Heiliger verehrt wurde. Auch er wanderte mit seiner ganzen Familie aus15, um nach Syrien (Palästina) zu gehen (Frühjahr 1286). Es hieß, ein Messias sei dort aufgetreten, welcher das unglückliche Israel erlösen wolle. Haben die Juden dieses geltend gemacht? Sollte der kabbalistische Schwärmer Abraham Abulafia, welcher in dieser Zeit in Sizilien als Prophet und Messias auftrat, einen messianischen Widerhall in den Herzen der deutschen Juden erweckt haben? Oder hatten sie von dem Glücke vernommen, in dem ihre Brüder unter einem mongolischen Herrscher lebten, der sie höher als die Mohammedaner stellte und die Befähigten unter ihnen zu Staatsstellen beförderte?

Der Orient sah damals nämlich mit Erstaunen einen jüdischen Staatsmann als die angesehenste Persönlichkeit am Hofe eines mongolischen Großkhans, dessen Gebiet sich vom unteren Euphrat und der Grenze von Syrien bis zum Kaspisee erstreckte. Die Mongolen oder Tataren hatten ein großes Reich in Persien gegründet, das nur dem Namen nach von dem Khanat der Mongolei und China abhängig war. Auf Hulagu, den Gründer dieses Reiches, und Abaka (Abagha), seinen Sohn, war sein zweiter Sohn gefolgt, welcher sich zum Islam bekannte und den Namen Ahmed annahm. Damit waren aber die persischen Mongolen unzufrieden; Ahmed wurde entthront und hingerichtet, und sein Nachfolger im persisch-mongolischen Reiche wurde Argun, Abakas Sohn (1284 bis 1291). Argun hatte eine entschiedene Abneigung gegen den Islam und eine besondere Vorliebe für Juden und Christen. Dieser Großkhan oder Il-Chan hatte einen jüdischen Leibarzt, Saad-Addaula (vielleicht Mardochaï Ibn-Alcharbija)16, einen Mann von reichen Kenntnissen, durchdringendem Verstande, politischer Einsicht und uneigennützigem Charakter17. Da er viel mit Mongolen [173] verkehrte, so verstand er ihre Sprache neben dem Arabischen. Er hatte eine schöne Gestalt, einnehmende Manieren und die Biegsamkeit eines Diplomaten. Er hatte auch Sinn für Poesie und Wissenschaft und wurde später ihr Beförderer. Als Arzt wohnte Saad-Addaula in Bagdad, wo Argun öfter seinen Hof hielt. Seine Kunstgenossen beklagten sich einst über ihn bei dem Großkhan, daß Saad-Addaula ein ruhiges Leben führe, während sie den Herrscher überall, wohin die Staatsgeschäfte ihn riefen, begleiten müßten. Darauf rief ihn Argun in sein Zelt, und das war die erste Staffel zu seinem Glücke und seiner Rangerhöhung. Als der Großkhan einst erkrankt und dann genesen war, unterhielt er sich mit dem Leibarzte, dem er seine Gesundheit verdankte, von Staatsgeschäften und erfuhr von ihm Dinge über den Stand der Einnahmen, welche die Statthalter und Höflinge aus Habsucht dem Großkhan geflissentlich verborgen hielten. Seit der Zeit wurde Saad-Addaula Günstling und Ratgeber und stieg von Stufe zu Stufe bis zum Range des höchsten Staatsbeamten.

Viele begüterte Juden der Rhein- und Maingegend waren bereits ausgewandert, R' Meïr von Rothenburg war mit seiner ganzen Familie bereits in der Lombardei angekommen. Er erwartete nur noch viele Gemeindeglieder, um mit ihnen und anderen Auswanderern in Italien ein Schiff zu besteigen, das sie nach dem Morgenlande in den Hafen der Sicherheit führen sollte. Unglücklicherweise wurde R' Meïr von einem getauften Juden (Knippe?) erkannt, welcher im Gefolge des Bischofs von Basel durch dieselbe Stadt zog. Auf Veranlassung des Bischofs nahm ihn der Hauptmann Meinhard von Görz gefangen, lieferte ihn aus, und der Kaiser Rudolf ließ ihn in den Turm von Ensisheim (im Elsaß) in Haft bringen (4. Tammus = 19. Juni 1286)18. Dem Kaiser war es nicht darum zu tun, den flüchtigen Rabbiner zu bestrafen, sondern ihn in Sicherheit zu bringen und seine Auswanderung zu verhindern, denn er fürchtete, durch die massenhafte Auswanderung der Juden würden die kaiserlichen Einnahmen von den Kammerknechten bedeutende Einbuße erleiden. R' Meïrs Haft war daher milde. Er durfte Besuch empfangen, Jünger unterrichten und sämtlichen rabbinischen Funktionen obliegen, nur durfte er den Ort nicht verlassen. – Die Häuser und Gründe der ausgewanderten Juden von Mainz und anderen Städten hatten sich die Bürger inzwischen als ein ihnen anheimgefallenes Erbe angeeignet. Der Kaiser betrachtete sie aber als sein Eigentum, als sein Erbe von den ihm zugehörigen Kammerknechten. [174] Er schrieb daher (6. Dezember 1286) an die Schultheißen von Mainz, Worms, Speyer, Oppenheim und der Wetterau, die Güter der übers Meer entflohenen Juden für ihn in die Hände des Erzbischofs Heinrich von Mainz und des Grafen Eberhard von Katzenellenbogen auszuliefern. Die Mainzer Bürger weigerten sich aber dessen und behaupteten ihr Recht auf das »Judenerbe«, das aus vierundfünfzig Häusern bestand.

Die deutschen Juden konnten sich aber nicht darüber beruhigen, daß ihr hochverehrtes Oberhaupt in Haft sein sollte, und schickten Deputierte an Kaiser Rudolf, als er sich (im Jahre 1288) in der Rheingegend befand. Da er damals, wie gewöhnlich, in Geldverlegenheit war, ließ er sich mit ihnen in Unterhandlungen ein. Die Juden boten ihm 20000 Mark Silbers, wenn er die Mörder der Juden von Oberwesel und Boppard (o. S. 172) zur Strafe ziehen, R' Meïr aus der Haft entlassen und ihnen Sicherheit gegen Metzeleien von seiten des Pöbels gewähren wollte. Der Kaiser ging darauf ein, belegte die Bürger von Oberwesel und Boppard mit einer Geldstrafe von 2000 Mark und trug dem Erzbischof von Mainz auf, zu predigen, daß der Leichnam des in Oberwesel erschlagenen Werner verbrannt und dessen Asche zerstreut werden sollte. Da dieser Mann aber schon von vielen Christen als Märtyrer und Wundertäter verehrt wurde, so fürchtete der Erzbischof einen Auflauf des Volkes und soll sich von 500 jüdischen Bewaffneten haben beschützen lassen. R' Meïr wurde dennoch nicht aus der Haft entlassen, sei es, daß der Kaiser aus der Verehrung der Juden für ihren Rabbiner Kapital schlagen und sie durch bedeutende Gelderpressungen ausbeuten wollte, oder, wie erzählt wird, daß R' Meïr nicht auf diese Weise befreit sein mochte. Er fürchtete nämlich, daß dieser Fall, durch Verhaftung von Rabbinen Geld zu erpressen, Nachahmung finden könnte; er blieb daher noch fünf Jahre in Haft. Hier beantwortete er die an ihn gerichteten Anfragen und verfaßte mehrere Schriften; unter seinen Augen arbeitete einer seiner zahlreichen Jünger, Simson ben Zadok, ein Ritualwerk aus. R' Meïr starb in der Haft, und seine Leiche ließen Rudolfs Nachfolger noch vierzehn Jahre unbeerdigt, um dadurch den Gemeinden Gelder abzuzwingen, bis es einem kinderlosen Mann aus Frankfurt, Süßkind Alexander Wimpfen, gelang, sie durch eine hohe Summe loszukaufen und in Worms zu bestatten. Der einzige Lohn, den der edle Wimpfen sich bedingte, war, daß seine Gebeine neben denen des frommen Rabbi liegen sollten. Wo nicht die Habsucht der Fürsten die Juden bis aufs Blut quälte, da tat es der Fanatismus. In der Champagne, die damals mit Frankreich vereinigt wurde, in der Stadt [175] Troyes, wo von Raschis Lehrhaus so viel Geistesgewecktheit ausgegangen war, fiel eine grausige Szene vor, welche selbst bei dem König von Frankreich Mißfallen erregte. Am vorletzten Tage vor Ostern (26. März 1288) überfielen mehrere Christen das Haus eines reichen, angesehenen und talmudisch gelehrten Mannes, Isaak Hütelein, und schleppten ihn mit seiner ganzen Familie vor das Tribunal der Dominikaner, wahrscheinlich wegen der falschen Anklage eines Christenkindermordes. Die Christen sagten geradezu, sie wollten an den Juden den Tod ihres Herrn rächen. Die Inquisition der Predigermönche verurteilte hierauf dreizehn Juden von Troyes, Männer, Frauen und Kinder, zum Feuertode. Vier Wochen später (24. April) bestiegen sie sämtlich mit dem jüdischen Bekenntnis im Munde den Scheiterhaufen, ohne auf das Zureden der Mönche zu hören, durch die Taufe ihr Leben zu retten. Mehrere Poetanen dichteten hebräische Elegien auf den Märtyrertod dieser dreizehn »Heiligen«, und einer derselben, Jakob ben Jehuda aus Lothringen besang sie in 16 Strophen in französischer Sprache mit gefühlvollen gut gesetzten Versen19. Daraufhin erließ der König Philipp der Schöne eine besondere Verordnung (17. Mai 1288), welche den Mönchen verbot, französische Juden wegen einer Klage, ohne vorhergegangene Untersuchung durch einen königlichen Beamten, zu verfolgen20.

Nicht lange darauf erfüllte sich das herbste Geschick an den Juden Englands. Sie waren womöglich noch unglücklicher als die deutschen Juden. Ehe sie verbannt wurden, mußten sie alle Stufen des Elends durchmachen. Bei der Thronbesteigung des neuen Königs Edward I. hatten sie alle Aussicht auf Sicherheit der Existenz, weil dieser, das Gegenteil seines Vaters, streng, aber auch gerecht war, ihnen nichts schenkte, aber sie auch nicht auszusaugen gedachte, und sie jedenfalls vor Anfällen von seiten des verblendeten Pöbels schützen konnte. Edward gab zwar nicht zu, daß sie sich in einer Stadt niederließen, wo früher keine Juden gewohnt hatten, und vertrieb diejenigen, welche vor seiner Krönung sich in Winchelsea niedergelassen hatten; aber er schärfte den Beamten dabei ein, daß ihnen an Leib und Vermögen kein Schaden zugefügt werden sollte21. Er ließ zwar die Judensteuer aufs strengste eintreiben und ermächtigte die Exekutoren, die Schuldner und Säumigen [176] mit Weib und Kind unbarmherzig aus dem Lande zu weisen22; aber er ließ auch Milde walten, wo er kein böswilliges Auflehnen argwöhnte. Er ließ wenigstens verarmten Familien, welche ihm die Abgaben nicht zahlen konnten, so viel, um notdürftig leben zu können. Als die Gemeinden der Gascogne, die noch zu England gehörten, wegen übermäßiger Teuerung ihre Leistungen nicht erschwingen konnten, bedeutete er seinen Connetable, sie bis auf weiteres zu schonen23. Edward sah streng darauf, daß die Juden seines Landes nicht willkürlich gequält und geschändet werden sollten. Es sollte weder ihnen, noch ihrem Vermögen irgend etwas zu Leid getan werden24. So hätten sie noch eine Zeitlang in gebeugter Haltung fortbestehen können, keuchend unter der Last der Abgaben, die unersättlichen Ansprüche des königlichen Schatzes durch Wuchertreiben zu befriedigen bemüht, wenn nicht ein geringfügiger Vorfall sie zum Gegenstand bitteren Hasses bei der Mönchswelt gemacht hätte.

In London lebte ein Dominikaner, Robert de Redingge25, welcher durch seine Kanzelberedsamkeit die Gemüter hinriß. Er hatte sich auch auf die hebräische Sprachkunde verlegt, deren Pflege von dem dritten Ordensgeneral, Raymund de Penjaforte (o. S. 120), so sehr eingeschärft worden war, um die Juden aus ihren Schriften bekehren zu können. Aber anstatt zu bekehren, wurde der Predigermönch Robert de Reddinge selbst bekehrt. Er empfand eine solche Liebe zum Judentum, daß er sich beschneiden ließ, den Namen Haggaï annahm und eine schöne Jüdin heiratete (Sommer 1275)26. Als er wegen seines Abfalles zur Rede gestellt wurde, verteidigte er seinen neuen Glauben mit warmen Worten. Der König Edward überließ seine Bestrafung dem Erzbischof von Canterbury. Wie es ihm erging, ist nicht bekannt, doch scheint es, daß er mit seiner Frau glücklich entkam. Die Dominikaner waren aber wütend darüber, da sie den Übertritt eines ihrer Glieder als Schandfleck an ihrem Orden betrachteten. Vom Volke und noch mehr von ihren sie tief hassenden Nebenbuhlern, den Franziskanern, aufs empfindlichste verspottet, suchten die Predigermönche Rache an den Juden zu nehmen. Da sie dem König nicht unmittelbar beikommen konnten, wirkten sie auf die bigotte, habsüchtige Königin-Mutter Eleonore, und es gelang ihnen. Sie machte den Haß der Dominikaner gegen die Juden zu einer persönlichen Angelegenheit und ruhte [177] nicht eher, bis die englischen Juden den Leidenskelch bis auf die Hefe geleert hatten. Zunächst vertrieb sie noch in demselben Jahre die Juden aus der ihr gehörigen Stadt Cambridge27 und nährte persönlich im ganzen Lande, besonders unter der christlichen Kaufmannschaft, den feindlichsten Geist gegen sie.

Nun begann fast gegen den Willen des Königs eine Reihe von Plackereien, welche unglaublich klingen würden, wenn sie nicht durch echte Urkunden bewahrheitet wären. Bis dahin hatte sich das Parlament gar nicht mit den Juden befaßt; sie galten als Leute des Königs, über die dem Volke und dem Adel keinerlei Befugnisse zustanden. Seit der Zeit, aufgestachelt von den Dominikanern und der Königin-Mutter, setzte das Haus der Gemeinen ein Statut durch (statute of judaism)28, welches den feindseligsten kirchlichen Geist atmet. Der Wucher wurde den Juden vollends untersagt. Wohnen durften sie nur in königlichen Städten und Burgen. Wenn sie Schulden exekutorisch einzuziehen hatten, durften sie nie mehr als die Hälfte des Vermögens dem Schuldner entziehen. Jeder Jude vom zwölften Lebensjahre an sollte dem König zu Ostern drei Pence zahlen. Wer dem zuwider handle, sollte bis zum nächsten Ostern aus dem Lande gewiesen werden. Das Haus der Gemeinen schärfte ferner das Tragen von Judenabzeichen ein, bestimmte Größe und Farbe desselben (gelb statt weiß) und untersagte ihnen jeden Verkehr mit Christen. Der König behielt sich indessen vor, daß sie, als nur ihm untertänig, Häuser und Höfe kaufen, Ländereien in Pacht nehmen und Handel treiben dürften. Wenn ein englischer Schriftsteller mit Recht bemerkt, daß die Juden in England ebenso wie ihre Vorfahren in Ägypten behandelt wurden, nur daß sie statt Ziegelsteinen Gold zu liefern hatten29, so trifft dieser Vergleich auch in dem Punkte zu, daß man ihnen nichts ohne Opfer bewilligte und doch von ihnen das Maß der Leistungen vollzählig verlangte. Denn selbst das Privilegium, Handel zu treiben, mußten sie sich vom Könige bewilligen lassen und dafür Geld geben30.

Bald bot sich den Feinden der Juden eine günstige Gelegenheit, mit schwerer Anklage gegen sie aufzutreten. Es zirkulierten in England falsche Münzen, die aus dem Auslande eingeführt worden waren; auch inländische Münzen wurden öfter beschnitten. Der Verdacht [178] fiel auf die Juden, daß sie die alleinigen Urheber und Verbreiter der Falschmünzerei wären. Infolgedessen wurden an einem Tage (Freitag, 17. Nov. 1278) sämtliche Juden Englands mit Frauen und Kindern verhaftet, in den Kerker geworfen und bei ihnen Haussuchung gehalten. Es zeigte sich zwar hinterher, daß auch viele Christen und sogar edle Männer Londons sich der Falschmünzerei schuldig gemacht hatten, und daß im ganzen Lande doch nur 293 Juden des angeschuldigten Verbrechens überführt wurden. Nichtsdestoweniger mußten über 10000 Juden darunter leiden, und während die angeschuldigten Christen bis auf drei für Lösegeld freigesprochen wurden, wurden die 293 Juden gehängt, andere zu ewiger Kerkerstrafe verurteilt und noch andere des Landes verwiesen und ihre Güter konfisziert31. Der Haß ruhte aber nicht; noch immer wurden die Juden angeklagt, falsche Münzen zu besitzen. Man bemühte sich, ihnen solche unterzuschieben. Gewissenlose Christen benutzten deren Schrecken, um mit der Drohung, sie anzugeben, ihnen Geld abzupressen. Edward, der diese Intrigen erkannte, erließ ein Gesetz (Mai 1279), daß Anklagen wegen Falschmünzerei nur bis Mai des nächsten Jahres erhoben werden könnten, und setzte so der Angeberei eine Schranke32.

Die Feinde der Juden ermüdeten aber nicht, neue Anklagen gegen sie zu schmieden. Bald hieß es, daß die Juden in Nothampton ein Christenkind gekreuzigt hätten. Dafür wurden viele Juden in London von Pferden auseinandergerissen und die Leichen an den Galgen gehängt (2. April 1279)33. Bald hieß es, daß die Juden das Kreuz, die katholische Religion, die Gottesmutter gelästert hätten. Der König erließ darauf ein Gesetz (1279), daß die Lästerer mit dem Tode bestraft werden sollten. Da Edward aber seine Leute kannte, so fügte er hinzu, daß die Strafe nur dann erfolgen sollte, wenn die Angeklagten durch unparteiische, ernste Männer des Vergehens überführt worden wären34. Um die Juden zu Lästerungen gewissermaßen zu reizen, ersannen die Dominikaner eine teuflische List. Sie gingen den König an, ihnen die Erlaubnis zu erteilen, Bekehrungspredigten für die Juden zu halten, überzeugt, daß der eine oder der andere unter ihnen vom Eifer für seine Religion hingerissen werden würde, ein verletzendes Wort zu gebrauchen. [179] Edward erteilte auf Antrag des Priors diese Bewilligung (1280) und bedeutete die Juden, die Predigten der Dominikaner ruhig, ohne Geräusch, Widerrede und Lästerung anzuhören35. Um die Bekehrung zu fördern, brachte der König sogar Geldopfer. Das wunderliche Gesetz, daß Juden, die zum Christentume überträten, ihr Vermögen an den Fiskus verlieren sollten, hob Edward zum Teil auf und bestimmte, daß sie die Hälfte behalten dürften. Er ließ ferner ein Haus zur Aufnahme armer Täuflinge aus jüdischem Stamm erbauen (house of converts) und wies Einkünfte dazu an, die aber größtenteils in die Taschen des Oberaufsehers flossen36. Ein scholastischer Philosoph jener Zeit schlug noch ein anderes Mittel zur Bekehrung der Juden vor. Der berühmte Franziskanermönch Duns Scotus (Professor in Oxford, später in Paris und Cöln), der seinen Geist mit den Gedanken des jüdischen Philosophen G'ebirol genährt hatte, meinte, es sei Pflicht des Königs, wenn er seinen christlichen Eifer betätigen wolle, jüdischen Eltern ihre Kinder gewaltsam zu nehmen und sie im christlichen Glauben erziehen zu lassen. Ja, noch mehr; es sei ganz in der Ordnung, die Eltern selbst durch Drohungen und Schrecken zum Empfang der Taufe zu zwingen37. Welche Achtung aber die Juden vor dem Christentum der weltlich gesinnten und herrschsüchtigen Päpste, der gewalttätigen Fürsten, der wollüstigen Mönche hatten, beweist ein eigentümlicher Fall. Eine Jüdin beklagte sich einst beim König, daß ihre und ihres Mannes Feinde sie ehrenrührig eine Getaufte genannt hätten, und sie bat, ihr Hilfe gegen diese Schmähung zu gewähren38.

Während die Königin-Mutter Eleonore bemüht war, im Auftrage der Dominikaner den König und das Volk gegen die Juden zu erbittern, wendete ihnen die Königin, ebenfalls Eleonore genannt, ihre Gunst zu. Sie bat den König, das erledigte Oberrabbinat der englischen Gemeinden ihrem Günstling Hagin (Chajim) Deulacres zu übertragen. Der König ging darauf ein und bestallte denselben als Oberrabbiner mit allen Befugnissen und Rechten, welche seine Vorgänger in England genossen hatten (15. Mai 1281)39.

[180] Als der König diesen Oberrabbiner von England für sich und seine Erben bestätigte, dachte er noch nicht daran, die Juden zu vertreiben. Allmählich gewannen aber die bigotte Partei und seine Mutter mehr Einfluß auf ihn und trübten seinen gesunden Sinn. Diese Partei in England, vermutlich die Dominikaner, traten mit schweren Anschuldigungen gegen die Juden vor dem neuerwählten Papst Honorius VI. auf, daß sie mit Christen nicht nur freundlichen Umgang pflegten, sondern die Rückkehr getaufter Juden zum Judentum beförderten, Christen an Sabbat und Feiertagen in die Synagoge einlüden, sie vor der Thora das Knie beugen ließen und sie überhaupt zu ihren Gebräuchen verlockten. Der Papst erließ darauf ein Sendschreiben an den Erzbischof von York und seinen Legaten, daß sie mit allen Mitteln diesem Unfuge steuern möchten (November 1286)40.

Am 16. April 1287 tagte eine Kirchenversammlung in Exeter, und diese wiederholte alle gehässigen kanonischen Bestimmungen gegen die Juden41. Vierzehn Tage später (2. Mai) ließ der König sämtliche [181] Juden Englands wiederum mit Frauen und Kindern verhaften, ohne daß man die Veranlassung dazu wüßte. Erst gegen eine bedeutende Summe Lösegeldes gab er ihnen die Freiheit wieder. Drei Jahre später (1290) erließ Edward aus eigner Machtvollkommenheit, ohne Zustimmung des Parlaments, von seiner Mutter dazu aufgefordert, ein Edikt, daß sämtliche Juden aus England verbannt werden sollten. Bis zum ersten November dürften sie ihre Habe zu Gelde machen; wer aber später noch auf englischem Boden betroffen würde, sollte gehängt werden. Doch vorher mußten sie alle Pfänder von christlichen Schuldnern ihren Eigentümern zurückerstatten. Ob sich die englischen Juden wegen der Verbannung allzu unglücklich gefühlt haben? Es war ihnen so zugesetzt worden, daß die Vertreibung ihnen vielleicht erwünscht war. Edward war noch milde genug, seinen Beamten aufs strengste einzuschärfen, sie bei ihrer Auswanderung nicht zu belästigen, und die Schiffer der fünf Hafenplätze zu bedeuten, sie nicht zu schrauben42. Obwohl die Frist erst am 1. November abgelaufen war, verließen die 16511 Juden43 Englands schon am 9. Oktober das Land, das ihre Vorfahren seit mehr als vier Jahrhunderten bewohnt hatten. Die liegenden Gründe, die sie nicht veräußern konnten, verfielen dem Könige. Trotz des Königs Warnung waren die ausgewiesenen Juden doch Mißhandlungen aller Art ausgesetzt. Ein Schiffskapitän, der mehrere Familien auf der Themse nach dem Meere bringen sollte, führte das Schiff auf eine Sandbank und ließ sie aussteigen, bis die Flut steigen würde. Als diese sich einstellte, bestieg er mit den Matrosen das Schiff, fuhr ab und rief den Verzweifelten höhnisch zu, sie sollten Mose anrufen, der ihre Vorfahren trocken durch das rote Meer geführt, sie austrockne Land zu bringen. Die Unglücklichen kamen in den Wellen um44. Dieser Fall kam zur Kenntnis des Richters, und die Urheber wurden als Mörder gehängt. Wie viele ähnliche Fälle mögen vorgekommen und ungestraft geblieben sein? – Auch die Juden der Gascogne, die zu England gehörte, wurden zur selben Zeit ausgewiesen. Die Verbannten begaben sich nach dem zunächst gelegenen Frankreich. Hier wurden sie von Philipp IV. (dem Schönen) anfangs aufgenommen. Bald aber erging ein Befehl vom König und Parlament gemeinschaftlich, daß die aus England und der Gascogne vertriebenen Juden bis zur Mitte der Fasten (1291) das französische Gebiet verlassen sollten45. So mußten [182] sie wieder zum Wanderstab greifen; ein Teil von ihnen begab sich nach Deutschland und ein anderer nach Nordspanien.

Als wenn das Mißgeschick sich wie ein Schatten an die Ferse der Söhne Jakobs geheftet hätte, um sie nicht einen Augenblick zu verlassen, schlug der kurze Sonnenblick des Glücks, den die Juden Asiens durch Saad-Addaula (o. S. 173) genossen, um dieselbe Zeit zu ihrem Verderben um. Dieser Leibarzt des Groß khans von Persien wurde nämlich, weil er auf die Betrügerei der Finanzbeamten aufmerksam gemacht, zuerst zum Kommissar ernannt und nach Bagdad gesandt, um den Stand der Einnahmen zu untersuchen und die betrügerischen Verwalter zur Rechenschaft zu ziehen (Ende 1288)46. Es gelang Saad-Addaula in kurzer Zeit die Einnahmen so zu ordnen, daß er dem Großthan Argun bedeutende Summen, auf welche er nicht gerechnet hatte, abliefern konnte. Argun, der das Geld liebte, war mit dem jüdischen Kommissar höchst zufrieden und zeichnete ihn durch Ehrenbezeugungen aller Art aus. Er reichte ihm selbst den Weinbecher – eine außerordentliche Gunst bei den Mongolen – schenkte ihm ein Ehrenkleid und ernannte ihn zum Obereinnehmer des Bezirkes von Bagdad. Da Saad-Addaula uneigennützig handelte und nur auf das Interesse seines Herrn bedacht war, so konnte er ihm immer größere Summen zustellen und erwarb sich dadurch immer mehr dessen Gunst. So ernannte ihn Argun endlich zum Finanzminister für das ganze iranische (persische) Reich und erteilte ihm den Ehrentitel Saad-Addaula, Stütze des Reiches (Sommer 1288). Er erhielt die Weisung, nur Juden und Christen zu Ämtern zu verwenden, da die mohammedanische Bevölkerung dem Großkhan wegen ihres rebellischen Sinnes verhaßt war. Es war natürlich, daß Saad-Addaula seine Verwandten besonders dabei berücksichtigte, weil er von ihrem Eifer am besten in seinem schweren Amte unterstützt wurde. So ernannte er zum Einnehmer von Irak einen seiner Brüder Fakhr-Addaula, ferner über Diarbekir und Umgegend einen andern Bruder, Amd-Addaula, und über Fars (Provinz Persien), Tebris und Adherbaiǵna seine Verwandten Schems-Addaula, Abu-Manßur und Lebid. Auch andere Juden beförderte er zu Ämtern, verwendete aber auch Christen dazu. Durch die Treue, mit der Saad-Addaula seinem Herrn diente, erlangte er so viel Vertrauen, daß fast alle Staatsangelegenheiten durch seine Hände gingen, und er auch ohne mit dem Großkhan Rücksprache zu nehmen, über sie entscheiden[183] durfte. Wahrscheinlich durch seine Vermittelung und auf seinen Rat knüpfte Argun diplomatische Verbindungen mit Europa an, sogar mit dem Papste. Durch die Hilfe der Europäer sollten die Mohammedaner aus Vorderasien und namentlich aus Palästina geworfen werden. Der Papst aber schmeichelte sich, daß Argun sich in den Schoß der katholischen Kirche werde aufnehmen lassen.

Der jüdische Minister verdiente auch die hohe Gunst, welche ihm Argun zugewendet hatte. Er führte in dem Reiche, in dem bis dahin Willkür und Mißbrauch der Gewalt geherrscht hatten, Gesetz und Ordnung ein. Die Bevölkerung des persischen Khanats bestand aus der Minderzahl der siegenden Mongolen und der Mehrzahl der besiegten Mohammedaner, und dadurch herrschte ein fortdauernder stiller Kriegszustand. Die mongolischen Krieger verhöhnten die Gerichtstribunale mit ihrem Schwerte. Die Richter selbst konnten nicht unparteiisch Recht sprechen, weil sie in steter Furcht vor den großen und kleinen Tyrannen lebten. Saad-Addaula bemühte sich, diesem Zustand ein Ende zu machen, und es gelang ihm, eine gewisse Ordnung in dem seit langer Zeit zerrütteten Reiche wiederherzustellen. Den militärischen Kommandanten wurde untersagt, sich in die Rechtspflege einzumischen, den Gerichtstribunalen wurde eingeschärft, die Schwachen und Unschuldigen zu schützen. Da die Mongolen noch keinen Rechtskodex aufgestellt hatten, so setzte Saad-Addaula die mohammedanischen Gesetze, so weit sie sich auf die zivile und peinliche Rechtspflege erstreckten, in Kraft. Das ruhige Volk segnete ihn wegen der Sicherheit des Lebens und des Eigentums, die es ihm zu verdanken hatte. Saad-Addaula beschützte auch die Wissenschaft, setzte den Gelehrten und Dichtern reiche Gehälter aus und ermutigte sie zu literarischen Leistungen. Er wurde daher von den Männern der Feder in Prosa und Versen besungen und gepriesen47.

Die morgenländischen Juden fühlten sich durch die Erhebung ihres Stammesgenossen zu der höchsten Staffel der Herrschaft gehoben und glücklich. Aus den entferntesten Ländern strömten Juden nach dem persischen Khanat, um sich in der Gunst des jüdischen Ministers zu sonnen. Sie sprachen wie aus einem Munde: »In Wahrheit zum Herrn der Erlösung und zur Hoffnung hat Gott für die Juden diesen Mann in den letzten Tagen erhöht«48. Die neuhebräische Poesie, welche im Morgenlande entstanden, aber aus Mangel an würdigen Stoffen zu einem unschönen Gelalle herabgesunken oder ganz verstummt [184] war, scheint sich zu seiner Zeit wieder aufgerafft zu haben, um seinen Ruhm zu verkünden. Ein unbekannter Dichter ist des Lobes voll von Mardochaï Ibn-al-Alcharbija, der in hohen Würden stand. Er singt von ihm, als dieser zurückkehrte, den Münzpalast (in Bagdad) in Augenschein zu nehmen:


»Ein glänzender Fürst ist Mardochaï,

Mächtig im Herrschen, beliebt bei König und Großen,

Ziehr er im fürstlichen Glanze aus,

Sänger empfangen ihn mit Liedern.

Er schützt mit seinem Fittiche das Volk Gottes

Und breitet seine Wolken darüber aus –

Sein Name ist im Munde der Großen und Kleinen.

Gott verlieh in seinen Tagen dem heiligen Volke die Herrschaft.«


Saad-Addaula hatte sich aber durch seine strenge Staatsverwaltung und seine Gerechtigkeits- und Ordnungsliebe viele und mächtige Feinde zugezogen. Die Mohammedaner, welche von jedem Amte ausgeschlossen waren, sahen mit verbissenem Imgrimm Juden und Christen, die sie als ungläubige Hunde zu verachten gewöhnt waren, im Besitze der Herrschaft. Sie wurden noch dazu von ihren Geistlichen und Gelehrten zum tiefsten Hasse gegen den jüdischen Staatsmann aufgestachelt, dem sie ihre Demütigung Schuld gaben. Diese verbreiteten nämlich, daß Saad-Addaula damit umginge, eine neue Religion zu stiften und den Großkhan Argun zum religiösen Gesetzgeber und Propheten zu verkünden. Um sie noch mehr zu fanatisieren, hieß es, Saad-Addaula träfe Vorbereitungen zu einem Zuge nach Mekka, um die geheiligte Stätte der Kaaba in einen Götzentempel zu verwandeln und die Mohammedaner zu zwingen, wieder Heiden zu werden. Der Orden der ismaelitischen Meuchelmörder, die Assassinen, welcher dazu organisiert war, die wirklichen oder vermeintlichen Feinde des Islams aus dem Leben zu schaffen, rüstete sich schon, Saad-Addaula und seine Verwandten heimlich aus dem Wege zu räumen. Indessen wurde ihm der Anschlag verraten und von ihm vereitelt. Auch unter den Mongolen hatte der jüdische Minister viele Gegner. Die militärischen Kommandanten waren gegen ihn aufgebracht, weil er ihrer Willkür gesteuert und sie gezwungen hatte, sich der Ordnung und dem Gesetze zu fügen. Auch in mongolischen Kreisen verschwor man sich gegen den jüdischen Minister. Es hieß, er habe einen Juden Neglib-Eddin nach Chorassan abgeordnet, um zweihundert der angesehensten Mongolen zu töten, und sein Verwandter Schems-Addaula, Verwalter in Schiras, [185] habe den Auftrag erhalten, viele Geistliche und Herren dieser Stadt aus dem Wege zu räumen.

Unglücklicherweise erkrankte Argun (November 1290) schwer, und seine Krankheit war ein Signal für die Unzufriedenen, sich gegen Saad-Addaula und seine Schützlinge zu verschwören. Vergebens bot der Minister alle Mittel auf, die Genesung des Khans herbeizuführen, denn er sah ein, daß dessen Tod auch den seinigen nach sich ziehen würde. Er schickte auch heimlich einen Boten an Arguns Sohn, daß er an den Hof eile, um sofort nach dem Ableben des Vaters das Zepter zu ergreifen. Bei diesen Vorkehrungen beschleunigten die mongolischen Großen, welche merkten, daß es mit Argun zu Ende ging, die Ausführung ihrer Verschwörung. Sie hieben Saad-Addaula den Kopf ab (März 1291) und töteten überhaupt sämtliche Günstlinge Arguns. Sieben Tage später starb Argun. Die Verschworenen sandten hierauf Boten in alle Provinzen aus, ließen die Verwandten Saad-Addaulas in Fesseln werfen, ihr Vermögen einziehen und ihre Frauen und Kinder zu Sklaven machen. Auch die mohammedanische Bevölkerung fiel über die Juden in allen Städten des Reiches her, um an ihnen Rache zu nehmen für die Demütigung, die sie von den Mongolen erfahren hatte. In Bagdad kam es zwischen den Mohammedanern und Juden zum Kampfe mit bewaffneter Hand, und es fielen auf beiden Seiten Tote und Verwundete.

Zwei Monate später wurde die große jüdische Gemeinde von St. Jean d'Acre (Akko), welche kurz vorher durch Salomo Petit in Aufregung geraten war (o. S. 165), vollständig aufgerieben. Der ägyptische Sultan Almalek Alaschraf unternahm einen Kriegszug, um die letzten Kreuzfahrer aus Palästina und Syrien zu vertreiben. Länger als einen Monat belagerte er die befestigte Stadt und eroberte sie auch mit Sturm (18. Mai 1291). Nicht bloß sämtliche Christen, sondern auch viele Juden, welche sich darin befanden, wurden hingerichtet. Andere gerieten in Gefangenschaft und darunter auch Isaak von Akko (demin Akko), ein eifriger, aber geistloser Kabbalist, welcher durch seine Offenherzigkeit wider seinen Willen die Strahlenkrone der Göttlichkeit, welche sich die Kabbala aufsetzte, als Mummenschanz erkennen ließ. Er hat in aller Naivetät die Blöße seiner Mutter aufgedeckt.


Fußnoten

1 Vgl. den Auszug aus einer Wetzlarer Urkunde bei Böhmer, Regesta imperii vom Jahre 1246-1313, p. 127 mit der Datumbezeichnung Juli 00. Darauf hat wohl das Responsum in Chajim Or-Saruas Respp. No. 229 Bezug: וריע ינבו םינשו םימי ריעב רדש ןבואר לע רציו ולגרוה אלו סמ םהילע ליטהל הצר יכ ףלאדור ךלמב ודרמ םיקוקז תואמ 'ד ןועמשל בייח היה ךלמהו – םואפכש דע םהילע ןועמשל (תתל 1.) רודל וכרצוהש ןבואר ריע לש םינוריעה קחדו םע בוח ושעי ןיעב ףסכ םהל ויה לאו ןיקוקז תואמ 'ד םתוא 'וכו םינש 'דל ןיקוקז תואמ 'ט ול תתל ןועמש.


2 Böhmer a.a.O. p. 66, No. 123 vom 16. Oktober 1874.


3 Gemeiner, Regensburgische Chronik I, S. 417. Pertz, Monumenta Germaniae, leges II, p. 426; Orient, Jahrgang 1843, S. 71 vom 4. Juli 1281.


4 Kurz, Österreich unter Ottokar und Albrecht I., Band II, S. 185, Beilage No. 11 vom 4. März 1277.


5 Rauch, Scriptores rerum austriacarum III, p. f.


6 Lacomlet, Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins II, No. 305. Orient, Jahrg. 1844, S. 320.


7 Böhmer a.a.O. p. 77, No. 261 vom 6. Juli 1276.

8 Die erste Veranlassung zu diesem Gemetzel berichtet die Urkunde bei Schaab, Diplomatische Geschichte der Juden, S. 32 ff. Das Gemetzel: die Annales Colmarienses (bei Urstisius, Scriptores II, Böhmer, Fontes II, 19), Pertz, Mon. Germ. XVII. p. 210 und das Mainzer Memorbuch (im Verzeichnis zu Anfang): יששה ףלאל ג"מ חספ לש יעיבשב אצנגמב חספב und weiterhin: השמ ןב קחצי 'ר – אצנגמב תושפנ 'י וגרהנ חספ לש 'זב ןקזה. Im Datum stimmen die beiden letztgenannten Quellen überein, falsch in den Annales Hirsaugenses II, 44 ein Jahr vorher. Überhaupt ist die Schilderung dieses Annalisten übertrieben: plures (Judaeos) occidunt, reliquos omnibus bonis spoliatos de Civitate (Moguntina) expellunt. Hinc generalis persecutio Judaeorum quasi per totam Germaniam secuta est.


9 Annales Hirsaugenses das. p. 45, auch bei Schaab a.a.O., S. 56. Diese Angabe ist nichts weniger als kritisch ermittelt.


10 Mainzer Memorbuch: וגרהנ (ג"מ חספ לש 'ז) םויב ובו גרהנה בקעי 'ר ןב היקזח רענה – – תושפנ ו"כ אכרכבב אכרולב.


11 Das. 25. Nissan.


12 Das. 2. Nissan.


13 Eberhard Altahensis bei Böhmer, Fontes a.a.O., S. 639. Das Mainzer Memorbuch gibt das Datum genau: וה ףלאל ו"מ 'ו םוי ןושחרמ ב"י ןכנומ יפורש. Vgl. Aretin, Geschichte der Juden in Bayern, S. 18 f.


14 Eberhard bei Böhmer a.a.O., S. 538. Chronicon Osterhoviense das. S. 554. Annal. brev. Wormat. (Mon. Germ. das. p. 210) annales Colmarienses das. S. 23. In letzter Quelle lautet das Datum: 1287 a Judaeis interfectus est »der guote Wernher« in Wesile prope Bacracum. Die zweite Quelle zu 1285: eodem anno Judaei in Bachrach bonum hominem – Wernherum – occiderunt. Eberhard gar 1288. Da aber auch der letztere hinzufügt: praeterito anno Judaei in Monaco civitate combusti, so muß das Faktum 1289 stattgefunden haben. Im Jahre 1288 beschwerten sich die Juden darüber beim Kaiser Rudolf (vgl. Note 9), woraus sich ergibt, daß damals auch die Juden des nahen Boppard gelitten haben. Das Mainzer Memorbuch hat etwas über die Verfolgung von Boppard, aber ist gerade hier ohne Datum: טרעבוב יגורה 'ר םחנמ ןב – הדוהי 'ר טרעבובמ היינש תריזג – – הנושאר הנושמ התימב גרהנהו עבטנהו לקסנה רפוסה קחצי vgl. Stobbe a.a.O., S. 282.


15 Vgl. darüber Note 9.


16 Vgl. Note 10.


17 So schildern ihn arabische und mongolische Quellen bei d' Ohsson, histoire des Mongoles III, chapt. II p. 31 ff. und Weil, Geschichte der Kalifen IV, S. 148 f.


18 Note 9


19 Arsène Darmstetter, extrait de la Roumania 1874, III. p. 443 f Renan, les Rabbins français p. 475 f.


20 Ordonnances des rois de France, T. I, p. 317.


21 Rymer, foedera (ed. London 1861), T. II, pars II, p. 516 vom 18. Juni 1273.


22 Rymer, Foedera, p. 518 vom 20. Okt. 1274; p. 560 25. Juli 1278.


23 Das. p. 523, 23. Mai 1275, Tovey, Anglia judaica p. 207.


24 Das. p. 598, und statute of Judaism bei Tovey a.a.O., p. 202.


25 Vgl. Note 11.


26 Das.


27 Note 11.


28 Mitgeteilt bei Tovey p. 200 ff.; Fortsetzung der Chronik von Florenz of Worcester (ed. London 1849) p. 214 f.


29 Tovey das. p. 199.

30 Das. 207.


31 Fortsetzung des Florenz of Worcester a.a.O., p. 220 f. Mattheu of Westminster, Flores historiarum (ed. Frankf.) p. 409; vgl. Pauly, Geschichte Englands IV, S. 32.


32 Rymer, Foedera a.a.O., p. 570.


33 Fortsetzung des Florenz of Worcester a.a.O., p. 222.


34 Bei Tovey p. 208.


35 Tovey p. 215. Rymer 576.


36 Das. 216 f., 218 f.


37 Duns Scoti quaestiönes in libros IV. Sententiarum, L IV quaestio, 9, § I. Guttmann in der Monatsschrift, Jahrg. 1893/94 (Neue Folge), S. 26 f.


38 Tovey p. 231.


39 Das. p. 59. Rymer, p. 591: Rex Justiciariis, vicecomitibus – salutem. Sciatis quod ad instantiam Carissimae consortis nostrae Alienorae Reginae Angliae et per assensum communitatis Judaeorum – – volumus et concedimus pro nobis et haeredibus nostris, quod Haginus filius Denlacres (Deulacres) Judaeus Londonensis, habeat et teneat tota vita sua officium Presbyteratus Judaeorum eorundem liberis consuetudinibus ad ipsum presbyteratum, sicut Haginus filius Mosei, quondam Judaeus London defunctus, vel alius ante ipsum officium illud prius tenuit. Volumus etiam quod ipsum Haginum filium Denlacres manuteneatis, protegatis et defendatis in officio praedicto. Et si quis ei super hoc foris facere praesumserit, id eisine dilatione, salva nobis emenda de foris factura nostra, faciatis emendari tanquam Dominico Judaeo nostro quem specialiter retinemus in officio. Der hebräische Name Chajim, Hajim wurde in England damals orthographiert: Hagyn, Hagym, Hagm, bei Tovey a.a.O., p. 34, 36. Der seltene Familienname Deulacres ist wohl identisch mit טראקליד und mit 'רכלד ןדרגובא in Schebet Jehuda No. 23. In den Tossaphot des R' Perez aus Corbeil findet sich eine Frage von einem Rabbi ישיורקלד. Alle diese Namensformen stammen wohl aus dem Lateinischen Deus-le-crescat (für והילדג). – Dieser Hajim Deulacres ist wahrscheinlich der Übersetzer der Geographie livre de Clergie ou image du monde, unter dem Titel (םלועה לצ 'ס (oder םלוע תומלצ). Ob dieser auch identisch ist mit dem םייח, welcher 1273 Ibn Esras chronologisches Werk ins Französische übersetzt hat, ist zweifelhaft. Vgl. Renan, les Rabbins etc. p. 502 f.


40 Die Bulle Honorius' IV. ist mitgeteilt Baronius (Raynaldus) annales eccles. anno 1286, No. 28. 29. Ein Passus darin ist merkwürdig: Nec omittit Judaeorum nequitia, quin orthodoxae fidei cultores quolibet die Sabbato ac aliis solemnitatibus eorundem invitet, ac instanter inducat, ut in synagogis ipsorum officium audiant, illudque juxta ritus sui consuetudinem solemnizent, rotulo involuto membranis seu libro, in quibus lex corum conscripta consistit, reverentiam exhibentes; quam ob rem plerique Christicolae cum Judaeis pariter judaizant.


41 Mansi. Concilia. T. XXIV. p. 830, canon 49.


42 Rymer a.a.O. p. 736. Tovey p. 242 ff.


43 Note 11.


44 Tovey p. 247 f.


45 de Laurière, Ordonnances des rois de France de la troisième race I, p. 317.


46 Quellen in Note 10.


47 d'Ohsson, Histoire des Mongoles III, Chapt. II.


48 Vgl. Note 10.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1897], Band 7, S. 187.
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