II. Abraham Usque.

[540] Dieser ist bisher nur als Editor und Druckereibesitzer in Ferrara bekannt gewesen, in dessen Offizin spanische, portugiesische und hebräische Schriften erschienen sind von 1551/52 bis 1558 (vergl. de Rossi de Typographia Hebraeo-Ferrarensi p. 28 ff. und 62 ff.). Bei ihm erschien auch die berühmt gewordene Ferrarensische Bibel alten Testaments, die erste spanische Übersetzung derselben, mit gothischen Buchstaben gedruckt. Auf dem letzten Blatte ist angegeben: con industria y diligencia de Abraham Usque Portugues, estampada en Ferrara à costa y despesa de Yom Tob Atias, hijo de Levi Atias, Español, en 14. de Addar de 5313. Diese spanische Bibel, welche von sehr vielen beschrieben und besprochen wurde, von Bartolocci, Richard Simon, Vogt, Wolf, Nicolaus Antonio, Clement, Knoch, Osmont, de Bure, Creveña, de Rossi und Rodriguez de Castro, bietet ein Rätsel dar, welches bisher nur schlecht gelöst wurde. Denn es existiert eine ganz gleiche Bibel mit denselben Typen, demselben Format, in demselben Orte gedruckt und in demselben Jahre und Tage vollendet, die aber ediert wurde von Duarte Pinel auf Kosten des Geronimo de Vargas. Es finden sich nämlich zum Schlusse einiger Ferrarensischen Bibelexemplare die Worte: con industria y diligencia [540] de Duarte Pinel Portugues, estampada en Ferrara à costa y despesa de Jeronimo de Vargas Español, en primero de Março de 1553. Der erste März 1553 entspricht gerade dem 14. Adar 5313. Dasselbe Druckwerk ist also zu gleicher Zeit zweimal erschienen und hat verschiedene Editoren und verschiedene Patrone gehabt, bald Abraham Usque und Jom-Tob Atias und bald Duarte Pinel und Geronimo de Vargas. Außer dieser Verschiedenheit fällt noch eine andere auf. Einige Exemplare sind dem Herzoge Ercole II. von Ferrara gewidmet, und unter der Widmung sind Duarte Pinel und de Vargas gezeichnet, andere wiederum sind Gracia Naßi dediziert, und unter der Dedikation sind Jom-Tob Atias und Abraham Usque unterschrieben. Woher diese Verschiedenheit bei sonstiger völliger Gleichheit? Einige Exemplare bieten indes noch eine allerdings unbedeutende Differenz. Die Usqueschen Exemplare (so wollen wir die einen nennen) übersetzen den Vers Jes. 7, 6 הרה המלעה הנה durch: he la moça concibien, die Pinelschen Exemplare dagegen durch: he la virgen concibien. Man sieht wohl ein, daß die Übersetzung: »die Jungfrau wird schwanger werden,« zugunsten der christlichen Dogmatik veranstaltet wurde. Daraufhin haben die meisten der genannten Bibliographen angenommen, die Pinelsche Ausgabe sei für Christen, die Usquesche dagegen für Juden ediert worden.

Diese Hypothese hat aber Rodriguez de Castro (Bibliotheca Española I, p. 402 ff.) gründlich widerlegt. Er, als Spanier, war kompetent zu erklären, daß das spanische Wort moça ebensogut »Jungfrau, Mädchen« bedeutet, wie virgen. Mit Recht fragt er ferner, wenn die Pinelsche Übersetzung für Christen veranstaltet worden wäre, warum denn nicht auch andere Verse im Sinne der christlichen Exegese übersetzt sind, wovon aber keine Spur vorhanden ist, vielmehr bieten sämtliche Exemplare denselben Text nur mit Ausnahme dieser einzigen Variante. – Gegen die Hypothese von zwei Editionen verschiedener Editoren für Juden und Christen läßt sich überhaupt viel einwenden. Es ist nicht denkbar, daß überhaupt damit eine Edition für Christen veranstaltet worden wäre; denn gerade die angeblich christliche, die Pinelsche Edition, erhielt das päpstliche Imprimatur, und bekanntlich perhorreszierte damals der offizielle Katholizismus nichts mehr, als die Übersetzung der Bibel für Christen. Ferner sagt auch diese Ausgabe, wie die andere, daß sie die »alte, bei den Juden übliche Übersetzung beibehalten hat«: fue forçado seguir el lenguaje, que los antiguos Hebreos Españoles usaron; sie hat also auf ein jüdisches Publikum gerechnet. Ferner, abgesehen davon, ob auch die Pinelsche Edition die Haftarot enthält (was die Bibliographen ungewiß lassen), so enthält sie gleich ihrer Zwillingsschwester mehreres, was nur für Juden Wert hat und nur ihnen verständlich ist. 1. Im Eingange nach dem Prologe ein Register der Richter, Könige, Propheten und Hohenpriester und ein Summarium der Jahre von Adam bis zum Jahre 4280 mundi entnommen dem םלוע רדס: sumario de los años desde Adam hasta el año 4280 del mundo, sacado de Seder Olam. 2. Beide enthalten die Angabe der Lektionsabschnitte für den einjährigen Zyklus תוישרפ; mit Genesis beginnt Parascha Nr. 1 und läuft fort bis Parascha הכרבה תאזו. 3) Beide geben gewisse masoretische Indizien, die Zahl der Verse »Pesuchim«, die Hälfte der Bücher »la mitad«. Wozu das alles für Christen? Rodriguez de Castro, obwohl er alle diese Momente übersehen hat, erschüttert mit Recht die Hypothese von der Konfessionsverschiedenheit der beiden Editionen der Ferrarensischen Bibel, ohne jedoch eine bessere an ihre Stelle zu setzen. Denn seine Hypothese von einem Sozietätsverhältnis zwischen [541] Usque-Atias einerseits und Pinel-de Vargas anderseits zur Herausgabe der spanischen Bibel ist nicht stichhaltig.

Das Rätsel läßt sich aber leicht lösen, wenn man eine Eigentümlichkeit dabei ins Auge faßt. Ist es denn Zufall, daß je der Herausgeber ein Portugiese und je der Patron ein Spanier war? Man erwäge: con industria ... de Duarte Pinel Portugues, con iudustria de Abraham Usque Portugues; à costa ... de Jeronimo de Vargas Español, à costa ... de Yom Tob ... Atias Español. Erwägt man dieses, so kommt man sofort darauf, daß Duarte Pinel und Abraham Usque eine und dieselbe Person war, und ebenso der Patron de Vargas und Jom-Tob Atias. Beide waren Marranen, die als Christen den einen und dann nach ihrem Rücktritt zum Judentume den andern Namen geführt haben, wie so viele andere. Die Ferrarensisch-spanische Bibel hat nicht zwei Editionen, sondern nur eine einzige von einer einzigen Person, Pinel-Usque, herausgegeben, auf Kosten eines und desselben marranischen Juden, de Vargas-Atias. Aber warum ist der Prolog in einigen Exemplaren mit den spanischen Namen und in anderen mit den jüdischen Namen unterzeichnet? Diese Frage ist leicht zu beantworten. Die spanische Bibel ist unter den Auspizien des Herzogs Ercole II. von Ferrara ediert worden, wie das Titelblatt der Pinelschen Exemplare angibt: con privilegio de illustrissimo señor duque de Ferrara und die Dedikation: se imprimió por mandado y consentimiento de vuestra Excellencia. Sie wurde ferner der Zensurbehörde vorgelegt und von ihr geprüft und genehmigt: vista y examinada por el officio de la Inquisicion. In der Widmung an den Herzog heben der Editor und sein Sozius es ausdrücklich hervor, daß die Bibelübersetzung die Zensur passiert hat – und flehen ihn auch um Schutz gegen verleumderische Zungen an: debaxo de cuyo sublime favor navegaremos por el tempestuoso marque las detractores lenguas pueden levantar. Wenn die Marranen auch in Ferrara geduldet wurden, so durften sie wohl in einem offiziellen Akte nicht geradezu als Juden auftreten. Daher mögen die Herausgeber, Pinel und de Vargas, in den Exemplaren, welche der Zensur und dem Herzoge vorgelegt und dem letztern gewidmet werden sollten, ihre jüdischen Namen verschwiegen und auch den Anstoß vermieden haben, den das Wort המלע in Jesaias, durch »junge Frau« wiedergegeben, erregen könnte. Sie setzen daher dafür geradezu virgen in einigen Exemplaren, um die Zensur zu befriedigen. Aber sie hatten ebensoviel, wo nicht noch mehr, der edelherzigen Doña Gracia Naßi zu danken, und wollten auch ihr ein Zeichen ihrer Erkenntlichkeit durch eine Dedikation geben. Hier, en famille, durften sie die Maske fallen lassen, sich geradezu Abraham Usque und Jom-Tob Atias nennen und das Wort moça statt virgen gebrauchen, welches wie המלע eine vox media ist, ebensogut »Jungfrau« wie »junge Frau« bedeuten kann. Mit einem Worte, die Ferrarensisch-spanische Bibel ist nur für Juden ediert, und es sind von ihr zweierlei Exemplare abgezogen worden, offizielle für die Augen des Herzogs und der Zensur und nichtoffizielle für die der Juden.

Nach dieser Auseinandersetzung ist an der Identität von Abraham Usque und Duarte Pinel einerseits und von Jom-Tob ben Levi Atias und Geronimo de Vargas anderseits nicht zu zweifeln. Daraus folgt, daß beide Marranen waren – der erstere aus Portugal und der letztere aus Spanien. – Der erstere war nicht bloß Druckereibesitzer in Ferrara, sondern auch Schriftsteller. Denn Nikolaus Antonio führt von Pinel eine Schrift an: Eduardi Pinelli Lusitani latinae grammaticae compendium. [542] Ejusdem tractatus de Calendis, gedruckt Lissabon 1543. In diesem Jahre scheint Abraham Usque noch in Portugal als Marrane gelebt zu haben. Rodriguez de Castro schreibt ihm zwar noch einen Traktat über die jüdischen Riten für das Neujahr zu; es ist aber ein Irrtum, wozu ihn Wolf verleitet hat. Es ist weiter nichts, als orden de Rosch-ha schana, d.h. ein רוזחמ, das Abraham Usque ediert hat. – Es sei noch zum Schlusse hervorgehoben, daß auch Abraham Usque wie Salomo Usque in Beziehung zu Doña Gracia Naßi stand, indem er mit seinem Sozius ihr die Bibel gewidmet hat.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1907, Band 9, S. 540-543.
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