Das iranische Hochland. Ethnographie

[896] 571. Die rauhen Gebirgsketten des Zagros, welche sich im Osten der Tigrisebene erheben, bilden den Westrand eines gewaltigen Hochlandes, dessen Ausdehnung von den Bergen östlich von Ninive bis zu den Höhen, welche das Industal begrenzen, etwa dreihundert Meilen beträgt. Im Süden bildet der Persische Meerbusen seine Grenze, im Nordwesten geht es in das armenisch-kleinasiatische Hochland über. Die Gebirge Armeniens setzen sich nach Osten fort und erheben sich im Süden des Kaspischen Meers zu gewaltiger Höhe. Weiter östlich wird das iranische Hochland durch im wesentlichen parallel verlaufende Gebirgszüge begrenzt, die in dem unwegsamen Paropanisos (Hindukuš) ihren Mittelpunkt haben. An diesen schließen sich weiter im Osten das Hochland des Pamir und die Randgebirge des großen zentralasiatischen Hochplateaus; nach Norden aber fällt Iran ab zu der unbegrenzten, den Norden Asiens wie Europas bildenden Tiefebene, die fast durchweg einen Steppencharakter trägt und an der Grenze Irans, im Gebiete des Kaspischen und des Aralsees, zum größten Teil eine völlige Wüste bildet. Zahlreiche Ströme fließen vom Hochlande hinab; aber teils werden sie von der Wüste aufgesogen, wie der Arios, der Margos, der Polytimetos (Zerefšân), teils erreichen sie zwar das Meer, wie der Oxos und Jaxartes, können aber in ihrem unteren Lauf, dem Euphrat vergleichbar, nur dem unmittelbar angrenzenden Lande und vereinzelten Oasen größere Fruchtbarkeit verleihen. [896] Im Osten ist den iranischen Randgebirgen die weite fruchtbare Ebene des Indus vorgelagert. Die Mitte Irans dagegen bildet eine große, fast völlig unbewohnbare Salzwüste, die sich im Südosten bis unmittelbar an das Meer erstreckt. Sie scheidet Iran in einen westlichen Teil-die Gebirgslandschaft Persis, die Ebene des südlichen, das Alpenland des nördlichen Mediens-und einen nordöstlichen Teil, dessen Zentrum der Paropanisos bildet (die Landschaften Chorasân, Afghanistan und Baktrien). Nur durch einen schmalen Streifen kulturfähigen Landes am Südrande des Kaspischen Meeres, in den Tälern am Elburs (vor allem das Tal des Gurgân, die Landschaft Hyrkanien) sind die beiden sonst völlig von einander gesonderten Gebiete verbunden.

572. In den westlichen Gebirgen Irans haben wir zahlreiche nichtindogermanische Stämme kennen gelernt: im Süden die Elamiten (Hatamti, Uvâdža) von Susiana (§ 363), weiter nördlich im Zagros die zum Teil semitisierten Gutaeer und Lulubaeer (§ 395), ferner die Kossaeer (Kaššu, § 456). An sie reihen sich im Hinterlande Assyriens und weiter nach Norden, in den Nairiländern der Assyrer, bis weit ins spätere Armenien hinein, zahlreiche andere kleine Völkerschaften, die zum Teil mit den Stämmen des Kaukasus zusammenhängen mögen (§ 475). Im nördlichen Medien bis zum Kaspischen Meer hin haben sich diese zum Teil sehr rohen Stämme (vgl. §§ 10 A. 11 A. 12 A.), die Tapurer, Amarder, Kaspier und vor allem die Kadusier oder Gelen (im heutigen Gîlân), bis in späte Zeiten behauptet; sie werden von den Iraniern und danach von den griechischen Geographen unter dem Namen Anariaken, d.i. »die Nichtarier«, zusammengefaßt. – Ebenso treffen wir im Südosten eine nichtarische Bevölkerung in den armseligen Stämmen der gadrosischen Wüste (Myken, Parikanier, Ichthyophagen oder Aethiopen), die sich bis auf die Gegenwart in Beludschistân in den Stämmen der Brahuis erhalten hat (vgl. Bd. III, § 9). Sie scheinen verwandt mit der dunkelfarbigen Urbevölkerung Indiens, den dravidischen und den kolarischen (Munda-) Völkern. Die dazwischenliegenden Gebiete, der [897] Hauptteil Irans und ebenso der Norden Indiens, sind dagegen in geschichtlicher Zeit der Wohnsitz eines großen, in zahlreiche Stämme zerfallenden indogermanischen Volks, das sich selbst Arier (ârja) nannte, d.i. wahrscheinlich »die Edlen« oder »Herren« (vgl. § 548 A.), im Gegensatz zu den fremden und von ihnen besiegten und geknechteten oder ausgerotteten Stämmen. Wir haben schon gesehen (§ 568), daß diese arischen Stämme sich weit in das im Norden vorgelagerte Steppenland am Aralsee und Kaspischen Meer ausgedehnt haben und von hier aus bis nach Europa vorgedrungen sind.


Ἀναριάκαι in Nordmedien: Strabo XI 6, 1. 7, 1 [sind die hier neben ihnen genannten Πάρσιοι, die von den Parrhasiern abgeleitet werden (!), die Parsua der Assyrer?]. 8, 8. Plin. VI 46. Ptolem. VI 2, 5; bei Polyb. V 44, 9 in Ἀνιαράκαι entstellt. Stadt Ἀναριάκη Strabo XI 7, 1 [daraus Steph. Byz.]. – Gaeli quos Graeci Cadusios appellavere Plin. VI 48; bei Strabo XI 13, 4 werden die Kadusier den Ἀριανοί entgegengesetzt, ebenso Steph. Byz. Ἀριανοί, ἔϑνος προσεχὲς τοῖς Καδουσίοις, Ἀπολλόδωρος δευτέρῳ. – Der Name Arier, ind. ârja, pers. arija, awest. airja [nicht zu verwechseln mit dem iranischen Stamm der Arîer Ἀρεῖοι, pers. Haraiva am Fluß Areios, j. Herirûd bei Hêrât], findet sich bekanntlich gleichmäßig bei den Indern und den Iraniern als allgemeiner Volksname; daher nennt Darius seine Sprache »arisch«, den Ahuramazda »den Gott der Arier«, sich selbst » einen Arier arischen Geschlechts«. Bei den Osseten hat er sich als Volksname erhalten (§ 568), bei den skolotischen Skythen liegt er in zahlreichen, mit Ario- gebildeten Eigennamen vor. Auch den Griechen ist er bekannt geworden: Herod. VII 62 οἱ Μῆδοι ... ἐκαλέοντο πάλαι πρὸς πάντων Ἄριοι. Aeschyl. choeph. 423 κομμὸς Ἄριος = Περσικός. Eudemos bei Damasc. de pr. princ. 125 Μάγοι καὶ πᾶν τὸ Ἄρειον γένος. Davon abgeleitet ist das als Landesname gebrauchte arjana, awest. airjana, mittelpers. Êrân, neupers. Irân, das auch den Griechen ganz geläufig gewor den ist; Eratosthenes, dem Strabo folgt, hat den Namen mit Unrecht auf Ostiran beschränkt, scheint ihn indessen bei Strabo I 4, 9 in umfassenderem Sinne zu verwenden. [Die viel umstrittene Landschaft Airjanem vaedžo, Vendidad I, 4 und sonst, identifiziert ANDREAS wohl richtig mit Chwaresm, dem Heimatland der Alanen oder Osseten (§ 568), an dem der Ariername speziell haftete; vgl. die Ἀριάκαι südlich vom unteren Jaxartes Ptol. VI 14, 14 (vgl. auch § 577 A.).] Da wir den Namen Arier als Bezeichnung für die ursprüngliche Einheit der Inder und Iranier verwenden müssen, bezeichnen wir, abweichend vom Sprachgebrauch des Darius, die westliche Gruppe und ihre Sprache als Iranier.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 896-898.
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