Nachmittagssitzung.

[596] OBERST POKROWSKY: [zum Zeugen Jodl gewandt] In der Gerichtsverhandlung haben Sie sehr wichtige Aussagen gemacht. Sie gaben zu, daß die Soldaten der Roten Armee im Jahre 1941 bei Wjasma den faschistischen Eindringlingen fanatischen Widerstand geleistet haben. Viele von ihnen gerieten nur deshalb in Kriegsgefangenschaft, weil sie zu erschöpft waren, um sich zu bewegen. Damit haben Sie die riesige Anzahl von Toten unter den russischen Kriegsgefangenen erklärt. Ist es so?

JODL: Das ist so bezüglich der Gefangenen, speziell aus dem Kessel von Wjasma.


OBERST POKROWSKY: Können Sie sich vielleicht auch an andere Gründe entsinnen, die Ihnen bekannt sind und die den Massentod russischer Kriegsgefangener herbeigeführt hatten?


JODL: Andere Gründe sind mir nicht bekanntgeworden.


OBERST POKROWSKY: Dann will ich Ihr Gedächtnis ein bißchen auffrischen und Ihre Aufmerksamkeit auf einen kurzen Auszug aus unserem Dokument USSR-353 lenken. Es ist ein Brief Rosenbergs an den Oberbefehlshaber der Wehrmacht; er war direkt an das OKW gesandt. Der Brief ist vom 28. Februar 1942. Ich will Ihre Aufmerksamkeit auf einzelne kurze Auszüge aus diesem Dokument lenken.

Auf der ersten Seite sind bei Ihnen, glaube ich, folgende Sätze unterstrichen:

»Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland ist im Gegenteil eine Tragödie größten Ausmaßes... Ein großer Teil von ihnen ist verhungert oder durch die Unbilden der Witterung umgekommen. Tausende sind auch dem Fleckfieber erlegen.«

Ich lasse einige Sätze aus und gehe zur nächsten Seite über:

»Einige einsichtige Lagerkommandanten haben diesen Weg auch mit Erfolg beschritten.«

Vorher handelte es sich darum, daß die Bevölkerung bereit war, die Kriegsgefangenen aus eigenem Antrieb mit Lebensmitteln zu versorgen.

»In der Mehrzahl der Fälle haben jedoch die Lagerkommandanten es der Zivilbevölkerung untersagt, den Kriegsgefangenen Lebensmittel zur Verfügung zu stellen und sie lieber dem Hungertode ausgeliefert... Ja, in vielen Fällen, in denen Kriegsgefangene auf dem Marsch vor Hunger und Erschöpfung nicht mehr mitkommen konnten, wurden sie vor den Augen der entsetzten Zivilbevölkerung erschossen und die Leichen liegen gelassen.«

[596] Und weiter unten:

»Es sind Äußerungen vernommen worden wie: ›Je mehr von diesen Gefangenen sterben, desto besser für uns‹.«

Und noch etwas weiter auf Seite 3:

»Es wäre naiv anzunehmen, daß die Vorgänge in den Kriegsgefangenenlagern der Sowjetregierung hätten verborgen bleiben können. Wie aus der Zirkularnote Molotows ersichtlich, besitzen die Sowjets tatsächlich eine ausgezeichnete Kenntnis von den oben geschilderten Zuständen...«

Haben Sie die entsprechende Stelle gefunden?

JODL: Ja, habe ich gefunden.

OBERST POKROWSKY: Nun, wußten Sie wirklich nichts über diese Gründe des Massensterbens?


JODL: Nein, ich habe den Brief erst hier im Gericht gehört.


OBERST POKROWSKY: Ich frage Sie nicht über den Brief, Angeklagter Jodl. Ich frage Sie über die Gründe des Massensterbens der Sowjetkriegsgefangenen. Sie wußten also nicht, daß solche Gründe ein Massensterben verursachten?


VORSITZENDER: Ist dieses Dokument unterschrieben?


OBERST POKROWSKY: Das Dokument trägt keine Unterschrift. Es ist ein erobertes Dokument unter der Nummer 081-PS. Es gehört zu den von den USA eroberten Dokumenten und wurde uns von der Amerikanischen Anklagebehörde zwecks Vorlage vor dem Gerichtshof ausgehändigt.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich habe Ihre Antwort nicht gehört.

JODL: Ich wußte von diesen Gründen des Massensterbens nichts. Sie sind auch vollkommen falsch, das weiß ich. Denn ich kann die Zahl der sowjetischen Kriegsgefangenen und ihr Verbleiben aus meiner Erinnerung ungefähr zahlenmäßig aufschlüsseln.

OBERST POKROWSKY: Gut. Wir wollen jetzt diese Frage von einem anderen Standpunkt aus behandeln. Ist Ihnen der Name von Graevenitz bekannt?


JODL: Graevenitz? Ja, der Name ist mir bekannt.


OBERST POKROWSKY: Hat er nicht im OKW gearbeitet?


JODL: Er war, wenn ich mich nicht täusche, im Allgemeinen Wehrmachtsamt und ein Untergebener von dem General Reinecke.


OBERST POKROWSKY: Diesmal sind Sie ganz genau, Sie haben recht. Kennen Sie den General Österreich?


JODL: Nein, diesen General kenne ich nicht.


[597] OBERST POKROWSKY: Diesen Namen haben Sie auch niemals gehört?


JODL: Er ist mir nicht in Erinnerung.


OBERST POKROWSKY: Dieser General war Chef der Abteilung für Kriegsgefangene in einem Ihrer Wehrkreise. Vielleicht erinnern Sie sich an die Aussage dieses Generals bezüglich der Anweisung über die russischen Kriegsgefangenen, die er von Graevenitz im OKW erhalten hatte. Ihnen wird jetzt das Dokument USSR-151 vorgelegt.

Auf der fünften Seite des deutschen Textes finden Sie die Stelle, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte:

»Ende 1941 oder Anfang 1942 wurde ich wiederholt nach Berlin zur Besprechung der Kommandeure der Kriegsgefangenen der Wehrkreise befohlen.

Die Besprechung leitete der neue Kommandeur der Kriegsgefangenenabteilung beim Hauptquartier des OKW, Generalmajor von Graevenitz.

Während der Besprechung wurde die Frage der Behandlung der Kriegsgefangenen erörtert, die infolge der Verwundung, Ermattung und Krankheiten lebens- und arbeitsunfähig waren. Auf Vor schlag des Generals von Graevenitz äußerten sich zu dieser Frage mehrere anwesende Offiziere, darunter Ärzte, die erklärten, daß man solche Kriegsgefangene im Lager oder im Lazarett konzentrieren und sie vergiften sollte. An Hand der Besprechungen erteilte General von Graevenitz den Befehl, die lebens- und arbeitsunfähigen Kriegsgefangenen zu töten und zu diesem Zweck den medizinischen Personalbestand zu verwenden.«

Wußten Sie etwas darüber?

JODL: Darüber wußte ich gar nichts. Ich kann zu dem Dokument keine Stellung nehmen, es hat mit mir nichts zu tun. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was hier gesagt worden ist, aber General von Graevenitz, der wird es doch ganz sicher wissen. Ich hatte mit den Kriegsgefangenen nichts zu tun. Das war ein anderes Amt, General Reinecke.

OBERST POKROWSKY: Von Graevenitz steht für seine Aussage ein. Er war ein Vollzugsorgan; er führte die Anweisung des OKW durch und gab auch die entsprechenden Richtlinien heraus. Sie sagen, daß Sie darüber nichts wußten?


JODL: Das habe ich nicht gesagt.

Der General von Graevenitz ist kein Untergebener von mir. Ich hatte mit ihm keinerlei Besprechungen. Ich habe ihn vielleicht zweimal in meinem Leben gesehen. Ich war für Kriegsgefangene nicht verantwortlich und nicht zuständig.


[598] OBERST POKROWSKY: Gut, dann werden wir zur letzten Fragengruppe übergehen. Es sind nur noch einige wenige Fragen. Der Angeklagte Keitel hat im Kreuzverhör vor dem Gerichtshof und in der Voruntersuchung – diese Aussagen stammen, glaube ich, aus der Voruntersuchung – behauptet, daß Sie uns genauere Auskunft über Weisungen für die Vernichtung von Leningrad und Moskau geben würden. Sie haben hier vor dem Gerichtshof ausgesagt, daß diese Weisungen aus zwei Gründen gegeben wurden. Erstens, weil General von Leeb über das Durchsickern der Leningrader Bevölkerung durch die Frontlinien berichtete; zweitens wurden sie als Vergeltung für Kiew erlassen.


JODL: Nicht Repressalien, sondern die berechtigte Sorge, daß dasselbe, was uns in Kiew passierte, sich auch in Leningrad ereignen würde; und der dritte Grund war die Ankündigung des sowjetischen Rundfunks, daß sich das ereignen würde.


OBERST POKROWSKY: Gut! Für mich ist nur wichtig, festzustellen, daß Sie den Erlaß dieser Weisung mit dem Bericht von der Leningrad-Front und der Angelegenheit von Kiew verknüpften. Ist das richtig?


JODL: Ich habe es nicht damit verbunden, sondern die tatsächlichen Ereignisse haben zwangsläufig die Entscheidung des Führers in dieser Hinsicht beeinflußt; und das waren seine Begründungen, die er persönlich angegeben hat.


OBERST POKROWSKY: Nun gut, vielleicht werden Sie sich daran erinnern, wann das Oberkommando diese Mitteilung von Leeb erhalten hat. In welchem Monat war es?


JODL: Das war in den ersten Tagen – meiner Erinnerung nach in den ersten Tagen des September.


OBERST POKROWSKY: Sehr gut. Vielleicht erinnern Sie sich auch daran, wann die deutschen Truppen Kiew besetzt hatten. War das nicht vielleicht Ende September 1941?


JODL: Meiner Erinnerung nach ist Kiew Ende August besetzt worden, ich glaube am 25. August – um diese Tage herum. Aber ich kann es nicht...


OBERST POKROWSKY: Nicht am 22. September, Angeklagter?


JODL: Das ist ganz ausgeschlossen, denn wir haben ja ein Dokument hier, einen Bericht über die Vorkommnisse aus Kiew, dessen Datum ich auswendig nicht weiß. Es ist das Dokument 053-PS. Aus dem muß ja das Datum hervorgehen.


OBERST POKROWSKY: Eben in diesem Dokument handelt es sich um den 23. und 24. September. Aber nehmen wir mal an, es war im August. Würden Sie sich vielleicht daran erinnern, wann [599] Hitler zum erstenmal geäußert hatte, man solle Leningrad dem Erdboden gleichmachen?


JODL: Verzeihung, ich habe mich die ganze Zeit im Datum geirrt. Das Dokument ist ja das Dokument C-123. Der Befehl des Führers ist ja vom 7. Oktober, also kann Ihre Angabe richtig sein. Ich war um einen Monat falsch gelegen. Die Einnahme von Kiew war tatsächlich Ende September. Die Nachrichten, die wir von Leeb bekamen, sind in den ersten Oktobertagen gekommen. Ich habe mich getäuscht, tut mir leid.


OBERST POKROWSKY: Bitte, das spielt keine Rolle. Ich möchte nur, daß Sie sich daran erinnern, wann Hitler zum erstenmal kategorisch erklärte, daß er Leningrad dem Erdboden gleichmachen würde. Das ist mir wichtig.


JODL: Ja, Sie beziehen sich dabei auf das Dokument der Kriegsmarine, der Seekriegsleitung, nehme ich an?


OBERST POKROWSKY: Ihnen wird gleich das Dokument L-221 vorgelegt und die Stelle gezeigt wer den, wo bei einer Besprechung im Führerhauptquartier am 16. Juli 1941 folgendes gesagt wurde:

»Das Gebiet um Leningrad wird von den Finnen beansprucht; der Führer will Leningrad dem Erdboden gleichmachen lassen, um es dann den Finnen zu geben.«

Haben Sie die Stelle gefunden?

JODL: Ja, die Stelle habe ich gefunden.

OBERST POKROWSKY: Das war am 16. Juli 1941, nicht wahr?


JODL: Das Dokument ist niedergeschrieben am 16. Juli 1941, ja.


OBERST POKROWSKY: Es war doch lange vor dem Tag, an dem Sie die Mitteilung aus dem Raume Leningrad erhielten.


JODL: Das war drei Monate früher, ja.


OBERST POKROWSKY: Es war auch lange vor dem Tag, an dem irgendwelche Explosionen oder Brände in Kiew stattfanden. Ist das richtig?


JODL: Vollkommen richtig.


OBERST POKROWSKY: Deshalb ist es sicher auch nicht zufällig, daß Sie in dem von Ihnen verfaßten Dokument und bei Ihren Aussagen erklärten, daß der Führer erneut entschieden habe, Leningrad dem Erd boden gleichzumachen. Das war nicht sein erster Beschluß.


JODL: Nein, diesen Beschluß – wenn es ein Beschluß war –, die Äußerungen in dieser Besprechung, habe ich erst hier im Gericht gehört. Ich habe an dieser Besprechung nicht teilgenommen. Ich weiß auch nicht, ob die Worte so gefallen sind. Meine Bemerkung, daß der Führer erneut entschieden hat, das bezieht sich auf seinen [600] mündlichen Befehl, den er kurz vorher – vielleicht einen oder zwei Tage vorher – an den Oberbefehlshaber des Heeres gegeben hatte; und daß darüber schon die Rede war, das geht daraus hervor, daß ich mich in diesem Befehl auf ein Schreiben des Oberkommandos des Heeres vom 18. 9. beziehe. In diesem Zusammenhang ist das Wort »erneut« zu verstehen. Die Tatsache war mir unbekannt. Ich habe das erst hier im Gericht gehört. Daß diese Besprechung überhaupt erst stattgefunden hat, habe ich erst im Gericht vernommen.


OBERST POKROWSKY: Sehr gut! Der Gerichtshof wird wahrscheinlich die Frage, wann Hitler diese Erklärung zum erstenmal gemacht hat, genau beurteilen können.

Sie behaupteten, daß Ihnen über die Vergeltung gegen die Juden nichts bekannt war?


JODL: Nein.

OBERST POKROWSKY: Trotzdem haben Sie sich eben auf das Dokument 053-PS bezogen.


[Dem Angeklagten wird das Dokument überreicht.]


Es ist ein Bericht von Koch, der von ihm persönlich unterschrieben ist. Vielleicht bestätigen Sie, daß dort ganz klar erwähnt wird, daß wegen der Brände in Kiew, für welche Koch die Zivilbevölkerung verantwortlich macht, die ganze jüdische Bevölkerung der Stadt vernichtet wurde; und zwar insgesamt 35000 Menschen, darunter mehr als die Hälfte Frauen. So heißt es in dem Bericht. Ist das richtig?

JODL: Das ist mir wohl bekannt, aber ich habe dieses Dokument erst hier im Dokumentenraum gefunden; ich habe es als ein gutes Beweismittel für die Vorgänge in Kiew benützt. Die Tatsache dieses Schriftstückes selbst war mir bis zu meinem Auftreten in Nürnberg nicht bekannt. Es ist auch nie an das OKW gegangen. Also jedenfalls ist es niemals in meine Hände gekommen. Ob es je abgeschickt worden ist, das weiß ich nicht.

OBERST POKROWSKY: Sie wußten auch nicht, daß Juden vernichtet wurden, nicht wahr?


JODL: Das glaube ich heute absolut. Darüber kann kein Zweifel mehr sein. Das ist bewiesen.

OBERST POKROWSKY: Sehr gut. Im Dokument 1780-PS, Beweisstück Jodl-3, das von Ihrem Verteidiger vorgelegt wurde, auf Seite 6 Ihres Dokumentenbuches in der letzten Niederschrift, die sich auf dieser Seite befindet, ist folgendes zu lesen:

»Ein großer Teil der älteren Generale wird gehen...«

Das ist aus Ihrer Tagebucheintragung vom 3. Februar 1938. Erinnern Sie sich daran?

JODL: Aus meinem Tagebuch, jawohl.

[601] OBERST POKROWSKY: Soll man es so verstehen, daß das Ausscheiden aus dem Militärdienst jederzeit möglich war, das heißt, daß jeder General, wenn er wollte, aus dem Militärdienst ausscheiden konnte. Das sagen Sie doch hier?


JODL: Zu der damaligen Zeit, glaube ich, ist das durchaus möglich gewesen. Im Jahre 1938 kannte ich keinen Befehl, der das verboten hat.


OBERST POKROWSKY: Gut. Im Dokument Jodl-64 Beweisstück Jodl-11, das von Ihrem Verteidiger hier verlesen wurde, finden wir eine Stelle, die aus irgendeinem Grunde im Protokoll nicht aufgenommen wurde und die ich jetzt zitieren möchte. Es ist die Aussage des Generals von Vormann. Er sagt unter Eid aus, daß Sie und General Hammerstein in Bezug auf Hitler öfters Ausdrücke wie »Verbrecher« und »Scharlatan« gebraucht hatten. Bestätigen Sie die Richtigkeit dieser Aussage, oder hat Vormann vielleicht falsch ausgesagt?


JODL: Ich glaube nach meinem besten Wissen und Gewissen, daß er zwei Dinge vermischt hat. Ich habe zwar sehr oft von dem Führer gesprochen, daß ich ihn für einen »Scharlatan« hielte; ihn für einen »Verbrecher« zu halten, dazu hatte ich keinerlei Anlaß und Grund. Den Ausdruck ›Verbrecher‹ habe ich oft gebraucht, aber nicht bezüglich der Person Hitlers, die ich damals noch gar nicht kannte, sondern bezüglich der Person Röhms. Den habe ich wiederholt – nach meiner Ansicht – als einen Verbrecher bezeichnet, und ich glaube, daß Vormann diese Äußerungen hier etwas durcheinanderwirft. »Scharlatan«, das habe ich öfters gesagt, das war damals meine Auffassung.


OBERST POKROWSKY: Also Sie hielten Röhm für einen Verbrecher und den Führer für einen Scharlatan. Ist das richtig?


JODL: So ist es richtig. Das war damals meine Auffassung. Röhm kannte ich, aber Adolf Hitler kannte ich nicht.


OBERST POKROWSKY: Womit kann man es erklären, daß Sie führende Posten in der Militärmaschinerie des Deutschen Reiches annahmen, nachdem ein Mann, den Sie selbst als einen Scharlatan bezeichneten, zur Macht gekommen war?


JODL: Weil ich mich dann im Laufe der Jahre überzeugt habe – wenigstens in den Jahren 1933 bis 1938 –, daß er kein Scharlatan war, sondern eine gigantische Persönlichkeit, die letzten Endes allerdings zu einer infernalischen Große geworden ist, aber eine Größe war er damals unbedingt.


OBERST POKROWSKY: Sie erhielten das goldene Parteiabzeichen, das Ehrenzeichen der Hitler-Partei?


JODL: Das habe ich schon ausgesagt und bestätigt, ja.


[602] OBERST POKROWSKY: In welchem Jahre haben Sie das Abzeichen erhalten?


JODL: Am 30. Januar 1943.


OBERST POKROWSKY: Das war also, nachdem Sie die Schlußfolgerung gezogen hatten, daß Hitler kein »Scharlatan« sei? Haben Sie meine Frage gehört?


JODL: Ja, in der damaligen Zeit war mir klar geworden, daß er, wie ich vorhin sagte, eine gigantische Persönlichkeit war, wenn auch mit gewissen Vorbehalten.


OBERST POKROWSKY: Und nachdem Sie zu dieser Schlußfolgerung gekommen waren, haben Sie das goldene Parteiabzeichen erhalten. Ich danke Ihnen.

Ich habe keine Fragen mehr an diesen Angeklagten, Herr Vorsitzender.


DR. NELTE: Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichts auf das Dokument USSR-151 lenken, das von Oberst Pokrowsky vorgelegt worden ist. Ich bitte, dieses Dokument nur zuzulassen, wenn der General Österreich als Zeuge zum Kreuzverhör bestellt wird. Zur Begründung darf ich darauf hinweisen:

  • 1. Das vorgelegte Dokument enthält die Überschrift »Aussagen«, ohne zu erkennen zu geben, vor welcher Stelle diese Aussagen gemacht worden sind.

  • 2. Das Dokument enthält keine Angabe des Ortes, wo die Niederschrift erfolgt ist.

  • 3. Das Dokument ist kein Affidavit, obwohl es nach dem letzten Absatz von dem General von Österreich eigenhändig niedergeschrieben worden ist, also auch mit einer Versicherung an Eides Statt hätte versehen werden können.

Bei der Schwere der Anklagen, die in diesem Dokument gegen die Verwaltung des Kriegsgefangenenwesens enthalten sind, ist es meines Erachtens notwendig, anzuordnen, daß dieser General hier erscheint.

VORSITZENDER: Ja, setzen Sie fort.

DR. NELTE: Das ist meine Begründung für den Antrag. Ich bemerke nur noch abschließend, daß der General von Graevenitz nicht lebt, jedenfalls nicht auffindbar gewesen ist. Ich habe ihn für den Angeklagten Keitel gesucht, um ihn als Zeugen hier vorführen zu können.


VORSITZENDER: Stimmt es, daß dieses Dokument schon früher, im Februar oder im März, als Beweismittel angeboten worden ist?


[603] DR. NELTE: Es ist mir weder in Erinnerung noch ist es – das weiß ich bestimmt – durch die Dokumentenabteilung zugeleitet worden. Ich habe dieses Dokument hier zum erstenmal gesehen.

Aber vielleicht kann Herr Oberst Pokrowsky darüber Auskunft geben.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird Ihren Wunsch in Erwägung ziehen.


DR. NELTE: Darf ich nur noch darauf aufmerksam machen, daß das die Niederschrift vom 28. Dezember 1945 ist, also anzunehmen ist, daß der General Österreich von der Stelle, die das entgegengenommen hat, auch vorgeführt werden kann.


OBERST POKROWSKY: Herr Vorsitzender! Ich glaube, daß ich einige Auskunft über das Dokument erteilen kann. Es ist von der Sowjet-Delegation am 12. Februar 1946 vorgelegt und als Beweismaterial von dem Gerichtshof angenommen worden.


VORSITZENDER: Einen Augenblick, Oberst Pokrowsky! Ist es damals ins Deutsche übersetzt oder im Gerichtssaal verlesen worden?


OBERST POKROWSKY: Ich habe eben ein Memorandum von unserer Dokumentenabteilung erhalten. Das Dokument ist am 13. Februar während der Vorlage des Beweismaterials über die Kriegsgefangenen durch mich überreicht worden.

Das ist alles, was ich darüber habe. Ich persönlich vermute, daß es damals selbstverständlich ins Deutsche übersetzt war. Ich habe fast keine Zweifel darüber. Wir können es auch leicht feststellen.


VORSITZENDER: Will ein anderer Verteidiger den Angeklagten wieder verhören?


PROF. DR. EXNER: Ich möchte zunächst eine Frage stellen, die durch die Befragung der Verteidiger neuerlich aufgeworfen wurde und, wie mir scheint, einer Erklärung bedarf:


[Zum Zeugen gewandt:]


Einer der Verteidiger hat Sie an die Photographien erinnert, die uns hier von Greueltaten in den besetzten Gebieten gezeigt worden sind, und Sie sagten, diese Bilder sind echt.

Was meinen Sie damit?

JODL: Ich wollte damit sagen, daß es sich nicht um eine Photomontage handelt, in der nach meinen Erfahrungen die russischen Propagandisten Meister waren, sondern daß es sich um Aufnahmen tatsächlicher Geschehnisse handelte. Aber ich wollte sagen, daß die Bilder keinen Beweis lieferten, ob es sich überhaupt um Greueltaten handelte, wer sie begangen hat. Dadurch, daß sie bei Deutschen gefunden worden sind, ist sogar anzunehmen, daß es sich um Aufnahmen handelt, die von der Gegenseite begangen worden[604] sind, also durch Tito-Kräfte, vielleicht auch durch Ustaschen; denn seine eigenen Greueltaten nimmt man im allgemeinen nicht auf, wenn überhaupt welche begangen worden sind.

PROF. DR. EXNER: Ja! Der englische Herr Ankläger hat ein neues Dokument vorgelegt. 754-PS, über Zerstörungen beim Rückzug in Norwegen. Warum haben Sie in diesem doch rein militärischen Führerbefehl geschrieben:

»... Der Führer hat den Vorschlägen des Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete zugestimmt und befohlen...«, und so weiter.

Warum haben Sie besonders hineingeschrieben: »Auf Vorschlag«, und so weiter?


JODL: Ich hatte in meiner Befehlsgebung eine Art geheimen Code für die Oberbefehlshaber. Wenn ein Befehl in Übereinstimmung zwischen dem OKW und dem Führer entstanden war, dann begann ich ihn mit den Worten: »Der Führer hat befohlen...«

Wenn ein Befehl speziell vom Führer ausging, dann begann ich ihn mit einer Präambel. Diese Präambel erhielt die Begründung durch den Führer, eine Argumentation und erst nach der Präambel schrieb ich dann: »Der Führer hat daher befohlen.«

Und wenn ein Befehl auf Vorschlag einer nichtmilitärischen Stelle vom Führer erzwungen wurde, dann setzte ich grundsätzlich dazu: »Der Führer hat nach Vorschlag dieser oder jener zivilen Stelle entschieden.« Dann wußten die Oberbefehlshaber schon, um was es sich handelte.


PROF. DR. EXNER: Haben Sie diesen Befehl 754-PS ohne jeden Einspruch und Widerstand entworfen?


JODL: Dieser Befehl ist ganz ähnlich zustande gekommen wie der Kommandobefehl. Einer der zivilen Adjutanten des Führers hat mich unterrichtet, Terboven wünsche den Führer zu sprechen. Er hätte einen Konflikt mit der Wehrmacht in Norwegen wegen der Räumung Nordnorwegens von der Zivilbevölkerung. Bevor er, der zivile Adjutant, die telephonische Verbindung mit Terboven herstellte, wolle er mich unterrichten. Daraufhin ließ ich sofort durch meinen Stab beim Oberbefehlshaber in Norwegen-Finnland anfragen. Ich erfuhr, daß der Wehrmachtbefehlshaber in Norwegen diese Vorschläge Terbovens ablehne und nicht in diesem Ausmaße für möglich hielt. Inzwischen hatte Terboven mit dem Führer gesprochen. Ich brachte dem Führer dann Vorstellungen, daß in diesem Umfange erstens der Befehl, diese Absicht Terbovens, gar nicht ausführbar sei und zweitens in diesem großen Maße auch nicht nötig sei. Man solle es dem Generaloberst Rendulic überlassen, was er aus militärischen Gründen zerstören wolle und müsse oder nicht. Aber durch Terboven aufgeputscht hat der Führer dann mit [605] diesen Argumenten, die ich dann niederschreiben mußte, den Befehl erzwungen. Ausgeführt ist er in diesem Umfange nicht; das geht auch aus dem Bericht der Norwegischen Regierung hervor und aus persönlichen Aussprachen zwischen mir und meinem Bruder.


PROF. DR. EXNER: Etwas anderes. Bei Entwürfen und Vorschlägen, die dem Führer vorzulegen waren, haben Sie oft Bedenken geltend gemacht und Argumentierungen vorgebracht. Da fällt nun auf, daß Sie meist nicht völkerrechtliche oder moralische Bedenken anführen, wenn auch Völkerrechtswidriges oder ähnliches auf dem Spiele stand, sondern meist Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte und opportunistische Erwägungen. Können Sie uns kurz sagen, warum Sie sich so verhalten haben?


JODL: Ich habe das bei meiner Begründung über die Formulierung des Vorschlags, nicht aus der Genfer Konvention auszutreten, schon gesagt.


PROF. DR. EXNER: Nämlich?


JODL: Man mußte diese Form wählen, um überhaupt beim Führer etwas zu erreichen.


PROF. DR. EXNER: Ja, das genügt mir.

Nun, Sie sagten gestern...


MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Ich erhebe hiergegen lediglich im Interesse der Zeitersparnis Einspruch. Es handelt sich hier um genau dasselbe Thema, über das der Angeklagte schon gestern ausgesagt hat; es ist meines Erachtens eine bloße Wiederholung.


PROF. DR. EXNER: Es war heute von diesem Gespräch in Reichenhall die Rede. Bitte, erzählen Sie uns kurz, wieso es dazu gekommen ist, daß Sie in Reichenhall solche Angaben gemacht haben oder in Reichenhall solche Anordnungen getroffen haben, wie Sie das heute angaben?


JODL: Über das Gespräch mit dem Führer habe ich schon berichtet.


PROF. DR. EXNER: Ja. Es handelte sich nur um Vorkehrungen...


VORSITZENDER: Dr. Exner! Der Angeklagte hat uns eben gesagt, daß er darüber schon ausgesagt hat.


PROF. DR. EXNER: Ja, über das Gespräch, welches vorangegangen ist; aber über das Gespräch in Reichenhall haben Sie weiter nichts angegeben.


JODL: Nein, über das Gespräch in Reichenhall habe ich mich noch nicht geäußert.


PROF. DR. EXNER: Also, nur kurz bitte.


[606] JODL: Dieses Gespräch in Reichenhall – die Orientierung der drei Offiziere meines Stabes – hat Warlimont etwas anders wiedergegeben, als ich es ausgesagt habe. Er vermischt hier Früheres und Späteres, und das ist auch nicht verwunderlich, denn er lag ja nach dem 20. Juli. bis zu seiner Gefangennahme mit einer schweren Gehirnerschütterung und völliger Gedächtnistrübung krank zu Hause und war bis zu seiner Gefangennahme nicht mehr dienstfähig. Daß meine Schilderung richtig ist, geht aus den Niederschriften im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung einwandfrei hervor, wo es hieß, daß diese Divisionen nur nach dem Osten verschoben würden, um einem Zugriff Rußlands auf die rumänischen Ölfelder entgegenzutreten.


PROF. DR. EXNER: Ich möchte einen Punkt richtigstellen, der mir scheint, irrtümlich vom Herrn russischen Ankläger vorgebracht wurde. Er sagte, daß Göring und Keitel den Krieg gegen Rußland nicht als einen Präventivkrieg erkannt haben. Im Protokoll der Sitzung vom 15. März, nachmittag (Band IX, Seite 385) steht, daß auch Göring den Krieg für einen Präventivkrieg gehalten hat und daß er mit dem Führer nur insofern verschiedener Ansicht war, als er einen anderen Zeitpunkt für diesen Präventivkrieg gewählt hätte. Keitel war im wesentlichen gleicher Ansicht.

Ferner hat der Herr russische Ankläger uns ein Dokument vorgelegt, 638-PS. Ich weiß nicht, welche Zahl er als Exhibit angegeben hat. Ich verstehe nicht recht, inwiefern dies mit Jodl zusammenhängt und bin auf die Idee gekommen, daß das vielleicht mit der Unterschrift zusammenhängt. Es hat nämlich hier unterschrieben ein »Joel«, der aber jemand vollkommen anderer ist als Jodl. Ich wollte nur auf diesen Punkt aufmerksam machen. Vielleicht ist einfach ein Irrtum im Namen hier unterlaufen.

Die Anklage hat ferner von einer Bemerkung des Angeklagten über das Verkehrtaufhängen von Partisanen und so weiter gesprochen...


VORSITZENDER: Dr. Exner! Sie haben jetzt einfach eine Erklärung zu diesem Dokument abgegeben, wozu Sie kein Recht haben. Wenn Sie etwas durch Beweismittel beweisen wollen, dann müssen Sie den Zeugen befragen. Sie haben gesagt, daß Jodl mit dem Dokument nichts zu tun hat und die Unterschrift darauf nicht die Jodls, sondern die eines anderen ist. Warum haben Sie nicht den Zeugen darüber gefragt?

Ich höre eben, daß schon bewiesen worden ist, daß es kein Dokument Jodls ist.


PROF. DR. EXNER: Die Übertragung war am Vormittag schlecht; ich erinnere mich nicht, daß ich es gehört habe.

Ich weiß nicht, ist es jetzt in diesem Zusammenhang zulässig, daß ich aus einem Fragebogen etwas vorlese? Es ist nur eine Frage [607] und eine Antwort im Zusammenhang mit dieser Bemerkung von dem Aufhängen von Gefangenen und so weiter. Ist das zulässig vorzutragen?


VORSITZENDER: Jawohl, wenn es eine Frage betrifft, die durch das Kreuzverhör aufgeworfen wurde.


PROF. DR. EXNER: Ja. Der Herr russische Ankläger hat die Frage aufgeworfen, ob der Angeklagte hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen – im Zusammenhang mit der Bandenvorschrift – die Bemerkung gemacht hat, daß man ja solche Bandenangehörige im Kampf auch vierteilen darf.

Da heißt es:

»Frage: Ist es richtig...«

Ja, ich muß angeben, das ist mein Dokument Jodl-60, Beweisstück Jodl-7, Seite 189 des dritten Bandes meines Dokumentenbuches; ein Fragebogen von General Buhle, aufgenommen in Amerika drüben.

Dann heißt es:

»Frage: Nach einem Stenogramm haben Sie auch an dem Lagevortrag am Abend des 1. Dezember 1942 teilgenommen, an dem es zu einer langen Auseinandersetzung des Führers mit Jodl kam wegen Bekämpfung der Partisanen im Osten. Ist das richtig?

Antwort: Ich habe an dieser Besprechung teilgenommen, das Datum weiß ich nicht mehr genau.«


VORSITZENDER: Welche Seite sagten Sie, Dr. Exner?

MR. ROBERTS: Herr Vorsitzender! Es ist die dritte Seite im dritten Buch oder das dritte Dokument im dritten Buch.


PROF. DR. EXNER: Es ist Seite 189.

Ich habe jetzt die Frage 4 vorgelesen. Jetzt lese ich die Frage 5 vor:

»Frage: Ist es richtig oder nicht, daß dabei Jodl vom Führer die Rückgabe der bei ihm entworfenen Vorschrift über Bandenbekämpfung verlangte?

Antwort: Es ist richtig.

6. Frage: Ist es richtig oder nicht, daß in diesem Entwurf das Niederbrennen von Dörfern ausdrücklich verboten war?

7. Frage: Ist es richtig oder nicht, daß der Führer dieses Verbot beseitigt wissen wollte?

Antwort: Da ich den Entwurf der Vorschrift nie in Händen hatte, weiß ich nicht sicher, ob das Niederbrennen von Dörfern ausdrücklich verboten war. Es ist aber anzunehmen, denn ich entsinne mich, daß der Führer sich gegen [608] einzelne Anordnungen der Vorschrift auflehnte und das Niederbrennen der Dörfer verlangte.

8. Frage: Ist es richtig oder nicht, daß der Führer auch deshalb Bedenken gegen den Entwurf hatte, weil er wünschte, daß den Soldaten, die sich unmittelbar im Kampf mit den Partisanen befänden, keine Beschränkungen auferlegt würden? Nach dem Protokoll hat hieraus Jodl die Bemerkung gemacht:

›Davon ist hier gar keine Rede. Sie können im Kampf machen, was sie wollen, sie aufhängen, verkehrt aufhängen oder vierteilen, darüber steht nichts drin. Die einzige Einschränkung betrifft die Repressalien nach dem Kampf in jenen Gebieten, in denen Banden gearbeitet haben...‹

Antwort: Es ist richtig, daß der Führer grundsätzli che Bedenken wegen dieser Beschränkungen hatte. Die Bemerkung Jodls ist dem Inhalt nach richtig. Des genauen Wortlauts kann ich mich nicht entsinnen.

9. Frage: Ist es richtig oder nicht, daß auf diese Bemerkung hin die Anwesenden (Führer, Keitel, Kranke und Sie selbst) einschließlich des Führers lachten und der Führer seinen Standpunkt aufgab?

Antwort: Es ist wahrscheinlich, daß wir auf die Bemerkung Jodls alle gelacht haben. Ob der Führer danach seinen Standpunkt tatsächlich aufgegeben hat, weiß ich nicht sicher. Es erscheint mir aber möglich.

10. Frage: Wie wurden also die Ausdrücke ›hängen, verkehrt aufhängen, vierteilen‹ aufgefaßt?

Antwort: Die Ausdrücke ›hängen, verkehrt aufhängen, vierteilen‹ konnten im Zusammenhang nur als ironische Bemerkung aufgefaßt und so verstanden werden, daß nach der Vorschrift den Soldaten im Kampf keine weiteren Beschränkungen auferlegt werden sollen.

11. Frage: Können Sie etwas sagen über die grundsätzliche Einstellung Jodls zur Verpflichtung der Wehrmacht, sich im Kriege an die Bestimmungen des Völkerrechts zu halten?

Antwort: Die grundsätzliche Einstellung Jodls kenne ich nicht. Ich weiß nur von meinem und Jodls unmittelbarem Vorgesetzten Keitel, daß dieser stets bemüht war, sich an die Bestimmungen des Völkerrechts zu halten...

12. Frage: Haben Sie je erlebt, daß Jodl den Führer zu einem Befehl anregte, der dem Völkerrecht widersprach?

Antwort: Nein.«


VORSITZENDER: Von dem, was Sie zuletzt erwähnt haben, ist nichts im Kreuzverhör behandelt worden.

[609] PROF. DR. EXNER: [zum Zeugen gewandt] Haben Sie mit Kriegsgefangenen etwas zu tun gehabt?


JODL: Ich hatte mit Kriegsgefangenen gar nichts zu tun. Das war das Allgemeine Wehrmachtsamt, das damit zu tun hatte.


PROF. DR. EXNER: Und jetzt eine letzte Frage:

Die Anklage behauptet – und in dem gestrigen Verhör der Anklage ist das wiedergekommen –, es bestehe oder habe eine Verschwörung der politischen und militärischen Führer bestanden, um Angriffskriege zu führen, und Sie seien ein Mitglied dieser Verschwörung gewesen.

Können Sie abschließend dazu noch etwas sagen?


JODL: Es gab keine Verschwörung...


VORSITZENDER: Dr. Exner! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß diese Frage wirklich nicht im Kreuzverhör aufgeworfen wurde. Außerdem hat er darüber schon ausgesagt. Er hat schon einmal erklärt, daß er an der Verschwörung nicht teilgenommen hat. Es hat keinen Sinn, diese Aussage zu wiederholen.


PROF. DR. EXNER: Es ist gestern wieder ein enger Konnex mit der Partei und den Parteileuten behauptet worden, und es hängt ja mit der Verschwörung zusammen; daher hätte ich die Frage für zulässig gehalten.


VORSITZENDER: Er hat schon gesagt, daß er an der Verschwörung nicht teilgenommen hat.


PROF. DR. EXNER: Dann habe ich keine weiteren Fragen.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich wollte mich nur dem Widerspruch, den Herr Dr. Nelte gegen die schriftliche Aussage des Generalleutnants von Österreich eingelegt hat, anschließen. Ich nehme auf seine Begründung Bezug. Das ist alles.


MR. BIDDLE: Angeklagter Jodl! Sie haben – ich glaube vorgestern – über die Zahl der SS-Divisionen gegen Ende des Krieges gesprochen. Erinnern Sie sich daran?


JODL: Ja.


MR. BIDDLE: Ich glaube, Sie haben gesagt, daß es gegen Ende des Krieges 35 waren. Stimmt das, ungefähr 35?

JODL: Wenn ich mich recht erinnere, sagte ich zwischen 35 und 38.


MR. BIDDLE: Richtig. Ich möchte jetzt über einen Punkt Klarheit haben. Sie sprachen nur von Divisionen der Waffen-SS, nicht wahr? Nur von Waffen-SS?


JODL: Ja, nur Waffen-SS. Es waren allerdings...


MR. BIDDLE: Waren diese vollkommen in das Heer eingegliedert und unterstanden sie dem Heer?


[610] JODL: Für den taktischen Einsatz waren sie den Befehlshabern der Wehrmacht unterstellt, aber nicht disziplinär. Ihr Disziplinarvorgesetzter war und blieb Himmler auch im Einsatz.


MR. BIDDLE: Waren sie nur in Disziplinarangelegenheiten Himmler unterstellt?


JODL: Er wurde auch als ihr praktischer Oberbefehlshaber betrachtet, was sich dadurch äußerte, daß über den Stand der Divisionen, über ihre Ausrüstung, ihre Verluste sehr häufig oder fast ausschließlich Himmler persönlich dem Führer berichtete.


MR. BIDDLE: Wann wurden sie in die Wehrmacht eingeschaltet? Wann? In welchem Jahr?


JODL: Sie wurden in die Wehrmacht eingeschaltet mit Kriegsbeginn, im Augenblick des Polenkrieges.

MR. BIDDLE: Nun noch eine Frage über Rußland. Ich will nur sehen, ob ich Ihre Ansicht ganz richtig verstanden habe.

Sie fürchteten einen Einfall Rußlands in Deutschland? Richtig?


JODL: Ich rechnete zu einem bestimmten Zeitpunkt entweder mit einer politischen Erpressung auf Grund des großen Aufmarsches oder mit einem Angriff.


MR. BIDDLE: Angeklagter! Bitte, ich habe Sie gefragt, ob Sie einen Angriff Rußlands befürchteten. Das war doch einmal der Fall? Nicht wahr?


JODL: Ja, ich befürchtete ihn.


MR. BIDDLE: Gut! Wann war das?


JODL: Das hat begonnen durch...


MR. BIDDLE: Wann befürchteten Sie einen Angriff? Wann haben Sie zum erstenmal diese Befürchtung gehegt?


JODL: Diese Befürchtung habe ich zum erstenmal im Sommer 1940 auf Grund der ersten Besprechungen mit dem Führer auf dem Berghof am 29. Juli gehegt.


MR. BIDDLE: Von diesem Moment an bestand also vom militärischen Standpunkt aus für Sie die Notwendigkeit, zuerst anzugreifen, nicht wahr?

JODL: Nachdem man die politische Klärung durchgeführt hatte, erst dann; bisher war es nur eine Vermutung.


MR. BIDDLE: Wie konnten Sie es sich leisten, auf eine politische Klärung der Lage zu warten, wenn Sie einen sofortigen Angriff befürchteten?


JODL: Aus diesem Grunde haben wir auch zunächst die Defensivmaßnahmen verstärkt bis Frühjahr 1941; bis dahin sind nur Defensivmaßnahmen ergriffen worden. Erst im Februar 1941 begann der Aufmarsch für den Angriff.


[611] MR. BIDDLE: Nun noch eine Frage; folgendes ist mir nicht ganz klar: Haben Sie während dieses Angriffs den Rat gegeben, daß Deutschland angreifen sollte oder daß Deutschland nicht angreifen sollte? Was war Ihr Rat? Sie haben diese Gefahr kommen sehen, was haben Sie daraufhin unternommen?


JODL: Ich habe auch zu diesem Problem wie zu den meisten anderen dem Führer eine schriftliche Unterlage eingereicht, indem ich auf die ungeheure militärische Auswirkung eines solchen Entschlusses hingewiesen habe, von dem man zwar weiß, wie dieser Feldzug angeht, von dem aber kein Mensch sich eine Vorstellung machen könne, wie er enden würde...


MR. BIDDLE: Das haben wir alles schon gehört. Darauf wollte ich nicht eingehen. Ich wollte nur eines wissen: Sie befürchteten, daß Rußland angreifen würde? Wenn das wahr war, warum haben Sie nicht geraten, sofort anzugreifen? Sie fürchteten, Rußland würde angreifen, und trotzdem sagen Sie, daß Sie geraten haben, nicht in Rußland einzumarschieren. Das verstehe ich nicht.


JODL: Das ist nicht der Fall. Ich habe nicht geraten, nicht einzumarschieren, sondern ich habe nur gesagt, wenn es kein anderes Mittel gibt und wenn es wirklich kein politisches Mittel gibt, diese Gefahr abzuwenden, dann sehe auch ich nur die Möglichkeit des Präventivangriffes.


MR. BIDDLE: Danke sehr, das ist alles.


VORSITZENDER: Der Angeklagte kann auf die Anklagebank zurückgehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Dr. Exner?

PROF. DR. EXNER: Ich habe vier Zeugen dem Gericht vorzuführen, beginne aber mit einer Bitte: Darf ich es mit Rücksicht auf mein krankes Bein meinem Kollegen Jahrreiss überlassen, diese vier Zeugen auszufragen?

VORSITZENDER: Ja gewiß, Dr. Exner!

Der Gerichtshof bittet mich jedoch, Ihnen mitzuteilen, Dr. Exner, daß wir es nur als Ausnahme von unserer allgemeinen Vorschrift, nach der nur ein Verteidiger vor Gericht auftreten und die Sache eines Angeklagten vertreten darf, gestatten, daß ein anderer Verteidiger die Zeugen verhört. Wir wollen Ihnen zuliebe diese Ausnahme machen.


PROFESSOR DR. HERMANN JAHRREISS, STELLVERTRETENDER VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN JODL: Dann rufe ich mit Erlaubnis des Gerichts als ersten Zeugen den General Horst Freiherr von Buttlar-Brandenfels.


[612] [Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE HORST FREIHERR VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Horst Freiherr von Buttlar-Brandenfels.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir den Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Sind Sie während des Krieges im Wehrmachtführungsstab tätig gewesen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja.


PROF. DR. JAHRREISS: Seit wann?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ich war vom 1. Januar 1942 bis zum 15. November 1944 im Wehrmachtführungsstab.


PROF. DR. JAHRREISS: In welcher Stellung waren Sie da?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ich war dort als 1. Generalstabsoffizier des Heeres tätig und hatte als Abteilungschef die Operationsabteilung Heer.


PROF. DR. JAHRREISS: Ich lasse Ihnen jetzt zunächst ein Dokument vorlegen, 823-PS, Exhibit RF-359, im Dokumentenbuch Jodl, zweiter Band, Seite 158. Würden Sie die Güte haben, sich das einmal anzusehen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Soll ich das ganze Schriftstück durchlesen?

PROF. DR. JAHRREISS: Es liegt mir zunächst daran, daß Sie sich einen Überblick verschaffen. Wer ist der Aussteller?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Das Schriftstück ist vom Wehrmachtführungsstab, Abteilung Qu, Gruppe Verwaltung, ausgestellt worden.


PROF. DR. JAHRREISS: Von wem ist es unterschrieben?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Das ist von mir unterschrieben.


PROF. DR. JAHRREISS: Von Ihnen selbst. Inwiefern hat dieses Dokument mit dem Angeklagten Jodl zu tun?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Das Dokument hat mit dem Angeklagten Jodl überhaupt nichts zu tun.


PROF. DR. JAHRREISS: Ja, wenn Sie einmal bitte auf der ersten Seite oben rechts bei den Abzeichnungen sehen, da ist ein Buchstabe, der wie ein »J« gelesen werden könnte.


[613] VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Das muß ein Irrtum sein, denn der Buchstabe ist genau derselbe, der unten bei der Abzeichnung der Vortragsnotiz auch steht. Und diese Abzeichnung ist von dem Chef der Quartiermeisterabteilung gemacht, dem Oberst Polleck.


PROF. DR. JAHRREISS: Oberst Polleck.


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Wenn Sie auf die zweite Seite unten sehen, sind zwei Abzeichnungen, die erste Abzeichnung muß erfolgt sein von dem Referenten. Ich kann es nicht genau erkennen, ich halte es für die Abzeichnung des Oberverwaltungsrates Niehments.


PROF. DR. JAHRREISS: Sie meinen den Buchstaben, hinter dem das Datum steht, 4. oder 9., ja?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Nein, der obere.


PROF. DR. JAHRREISS: Der obere?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Der obere! Der untere Buchstabe ist die Unterschrift, die Abzeichnung von dem Oberst Polleck. Das Schriftstück ist dann, nachdem es dem Chef des OKW vorgelegen hat, an mich zurückgegangen, ist oben nochmals von mir abgezeichnet worden und ist dann von mir für die Quartiermeisterabteilung ausgezeichnet, das ist oben das unterstrichene »Qu«. Dann ist es von dem Chef »Qu« nochmals abgezeichnet, dahinter steht Verwaltungsgruppe, und ist dann von dem eigentlichen Bearbeiter nochmals hier abgezeichnet. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, daß es sich hier ja um Kriegsgefangene handelt, und das war ein Arbeitsgebiet, mit dem Jodl eigentlich nie befaßt war. Wir hatten ja im Wehrmachtführungsstab in der Quartiermeister- und Organisationsabteilung mehrere Arbeitsgebiete, die, trotzdem sie aus seinem Stabe kamen,...


PROF. DR. JAHRREISS: Einen Augenblick, Herr Zeuge! Ich habe nichts dagegen, daß Sie uns hier instruieren, aber ich möchte noch zur Sache kommen. Es sind Randbemerkungen an diesem Schriftstück, sehen Sie das?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja.


PROF. DR. JAHRREISS: Ist da eine von Jodl dran?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Nein! Die sind abgezeichnet mit dem Buchstaben »K« für Feldmarschall Keitel.


PROF. DR. JAHRREISS: Die Französische Anklage behauptet nun aber, daß es sich hier um Bemerkungen Jodls zu dieser Kriegsgefangenenfrage handle. Wenn ich Sie recht verstanden habe, wollen Sie sagen, das sei aus Zuständigkeitsgründen gar nicht möglich?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Abgesehen davon, daß keinerlei Abzeichnung von Jodl auf diesem Dokument zu sehen ist, ist es auch [614] aus Gründen der Bearbeitung nicht wahrscheinlich, daß Jodl überhaupt eine Kenntnis von dieser Sache hat.


PROF. DR. JAHRREISS: Ist es nicht richtig, Herr Zeuge, daß diese Abteilung »Qu« Jodl unterstand?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Das ist an sich richtig. Aber in der Abteilung »Qu«, ebenso wie in der Abteilung »Org.«, gab es verschiedene Arbeitsgebiete, von denen sich der Generaloberst abgesetzt hatte und die von den Abteilungschefs entweder unmittelbar oder über den Stellvertretenden Chef mit dem Chef OKW bearbeitet worden sind.


PROF. DR. JAHRREISS: Sie sagen, die Kriegsgefangenenfragen gehörten hierher. Stimmt das?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Hierher gehörten unter anderem auch die Kriegsgefangenenfragen.


PROF. DR. JAHRREISS: Welche anderen Aufgaben hatte diese Abteilung »Qu«?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Die Abteilung »Qu« hatte in ihrer Hauptsache oder in ihrer ersten Abteilung »Qu-1« eine reine Versorgungsaufgabe und überwachte die Versorgung der dem OKW unmittelbar unterstellten Kriegsschauplätze. In ihrer zweiten Abteilung beschäftigte sie sich hauptsächlich mit der Militärverwaltung, und in der dritten Abteilung mit allgemeinen Fragen, wie zum Beispiel hier das Kriegsgefangenenwesen, Völkerrechtsfragen und ähnlichem.


PROF. DR. JAHRREISS: Nun habe ich noch eine Frage zu diesen organisatorischen Dingen. Waren alle Abteilungen des Wehrmachtführungsstabes im Führerhauptquartier?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Nein, wir hatten auch zum Beispiel die »Organisationsabteilung«, eine Organisationsabteilung, die nicht im Hauptquartier, sondern in der Gegend von Berlin untergebracht war.


PROF. DR. JAHRREISS: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wurden also die Geschäfte der Abteilung »Qu« sozusagen an Jodl vorbeigeführt und mit dem Chef des OKW bearbeitet?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Nicht in allen Fragen, sondern in einer gewissen Anzahl.


PROF. DR. JAHRREISS: Also die Kriegsgefangenenfragen sicher?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Die Kriegsgefangenenfrage sicher.


PROF. DR. JAHRREISS: Danke. Welche Stellung, Herr Zeuge, hatten Sie bei Kriegsausbruch?


[615] VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ich war bei Kriegsausbruch 2. Generalstabsoffizier in der Zentralabteilung des Generalstabs des Heeres.


PROF. DR. JAHRREISS: Wenn Sie etwas langsamer sprechen wollen! Und welche Aufgabe hatten Sie da?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Meine Abteilung bearbeitete die Mobilmachungs-Stellenbesetzung der höheren Kommandobehörden.


PROF. DR. JAHRREISS: Auch die der Generalstabsoffiziere des OKW?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Jawohl, auch der.


PROF. DR. JAHRREISS: Herr General! Wissen Sie, wer für den Mobilmachungsfall ab 1. Oktober 1939 als Chef Wehrmachtführungsstab vorgesehen war?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja, es war für diese Stelle für das nächste Mobilmachungsjahr der General von Sodenstern vorgesehen.


PROF. DR. JAHRREISS: Habe ich das so zu verstehen, daß, wenn der Krieg nach dem 1. Oktober – sagen wir am 5. oder 6. – ausgebrochen wäre, dann Jodl überhaupt nicht Chef des Wehrmachtführungsstabes geworden wäre?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ich weiß nicht genau, wann das neue Mobilmachungsjahr 1939 und 1940 datumsmäßig begann. Von diesem Zeitpunkt an war...


MR. ROBERTS: Diese Aussage ist meines Erachtens für keine hier vorliegende Frage erheblich. Die Antworten mögen vielleicht ziemlich interessant sein, aber sie sind absolut unerheblich.


VORSITZENDER: Auch ich verstehe nicht, worin die Bedeutung dieser Aussage jetzt bestehen soll.


PROF. DR. JAHRREISS: Herr Präsident! Wenn die Anklage recht hat, daß der Angeklagte Jodl zu einer Gruppe von Verschwörern für eine Welteroberung gehört und wenn diese Verschwörergruppe den deutschen Staatsapparat als Mittel für ihre Ziele in ihre Hand gebracht hat, wie die Anklage sagt, dann muß es doch eine etwas seltsame Staatsordnung sein, wenn man Verschwörer terminsmäßig auswechselt. Insofern meine ich, müßte das schon zur Erwägung des Gerichts gestellt werden.


VORSITZENDER: Hat er das Datum seiner Auswechslung schon ohne Kreuzverhör angegeben? Er ging zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Wien und kam zu einem anderen Zeitpunkt zurück. Niemand hat das bestritten.

PROF. DR. JAHRREISS: Herr Präsident! Das ist aber eine andere Frage. Der Angeklagte Jodl hat gesagt, daß er, wenn der [616] Mobilmachungsfall vor dem 1. Oktober eintrat, Chef Wehrmachtführungsstab war, dann mußte er aus Wien nach Berlin kommen. Jetzt sagt der Zeuge, daß das nur bis zum neuen Mobilmachungsjahr war und daß dann einfach der andere kam, wenn der Krieg 14 Tage später ausbrach. Ich denke doch...


VORSITZENDER: Das ist doch sicher ziemlich weit herbeigezogen. Sie zeigen nur eine Vermutung, was hätte geschehen können, wenn etwas anderes geschehen wäre. Das hilft uns nicht sehr viel.


PROF. DR. JAHRREISS: Herr Präsident! Das, was der Zeuge sagt, ist doch keine Vermutung. Er sagte nur, daß diese wichtige Stelle personell ganz in der Routine verfügt war, schon datumsmäßig. Nur dies war darzutun.

Darf ich fortfahren, Herr Präsident?


VORSITZENDER: Nein! Aus Zeitersparnisgründen und um den Prozeß zu beschleunigen, entscheidet der Gerichtshof, daß Sie darauf nicht weiter eingehen können.


PROF. DR. JAHRREISS: Herr Zeuge! Wenn ich Sie jetzt nach einem Tätigkeitsgebiet frage, von dem Sie eben gesprochen haben, so geschieht es, weil ich annehme, daß Sie da besondere Sachkenntnis haben. Ist es richtig, daß Sie mit der Bandenbekämpfung dienstlich zu tun hatten?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja. Meiner Abteilung ist die Federführung im Bandenkampf etwa vom Spätsommer 1942 an übertragen worden, und die taktischen Grundlagen für den Bandenkampf sind dann auch bei meiner Abteilung von diesem Zeitpunkt an bearbeitet worden.


PROF. DR. JAHRREISS: Ist Ihnen das Merkblatt für die Bandenbekämpfung vom Mai 1944 bekannt?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja, das Merkblatt ist in meiner Abteilung zusammengestellt.


PROF. DR. JAHRREISS: Ist es das erste gewesen, oder hat es vorher schon eine Regelung für den Bandenkampf gegeben?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja. Im Herbst 1942 ist eine kurze, allerdings lückenhafte Anweisung für die Bandenbekämpfung herausgegangen. Wir hatten damals noch verhältnismäßig wenig Erfahrungen, und da der Bandenkampf im Frieden nicht vorhergesehen war, war es natürlich, daß erst weitere Erfahrungen nachher gesammelt werden mußten.


PROF. DR. JAHRREISS: Mich interessiert nun in diesem Zusammenhang besonders der Bandenkampf im Osten und Südosten, für den die Anklage hier eine ganz bestimmte Auffassung vorgetragen hat. Ist es richtig – wie es hier mehrfach geschehen ist –, von einem Bandenkrieg zu sprechen?


[617] VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Nach der Ausdehnung und Gefährlichkeit, den der Bandenkampf örtlich und zeitlich begrenzt angenommen hat, ist das richtig.


PROF. DR. JAHRREISS: Soll das heißen, daß die Erscheinungen dieses Kampfes über das, was man sich so unter Franktireurwesen vorstellt, hinausgingen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Im Umfange ja, in den Methoden nein.


PROF. DR. JAHRREISS: Was heißt das, im Umfange?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Unter Umfang verstehe ich die räumliche Ausdehnung der durch den Bandenkampf betroffenen Gebiete.


PROF. DR. JAHRREISS: War es also territorial etwas Außergewöhnliches oder menschenmäßig?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Der Banden kampf war sowohl in seiner territorialen Ausdehnung wie auch hinsichtlich der daran beteiligten Menschen zweifellos außergewöhnlich.


PROF. DR. JAHRREISS: Wissen Sie, Herr Zeuge, ob es in diesen Banden im Osten und Südosten viele Juden gegeben hat?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ich kann mich nicht entsinnen, daß in den vielen hundert Meldungen, die ich über den Bandenkampf bekommen habe, überhaupt einmal von Juden die Rede gewesen ist. Wenn in den Banden Juden waren, kann das nur in einem beschränkten Umfange der Fall gewesen sein.


PROF. DR. JAHRREISS: Es ist aber hier behauptet worden, daß dieser Bandenkampf geführt worden sei zur Ausrottung der Juden, stimmt das?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Davon ist mir nie etwas bekanntgeworden.


PROF. DR. JAHRREISS: Oder zur Ausrottung der Slawen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Auch hiervon ist mir nie auch nur andeutungsweise etwas gesagt worden. Diese Auslegung hätte ja auch der Absicht der militärischen Führung vollkommen widersprochen.

PROF. DR. JAHRREISS: Wieso?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Die militärische Führung hatte ein ausgesprochenes Interesse daran, hinter allen Fronten ein befriedetes Land und eine produktive Bevölkerung zu haben; alle Maßnahmen, die dahin zielten, sind von der Militärbehörde sehr begrüßt worden. Wir hatten jeden Soldaten, den wir im Bandenkampf festlegen mußten, an der Front dringend notwendig.


[618] PROF. DR. JAHRREISS: Ist denn nun im Osten die Politik so geführt worden, wie es die Wehrmachtführung für ihre Zwecke sich wünschte?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Zweifellos ist das nicht der Fall gewesen, denn die Wehrmacht hätte gerade auch im Interesse ihrer Freiwilligenverbände sehr gerne eine anders gerichtete Politik im Osten gesehen. Von uns selber aus ist versucht worden, den Banden die Spitze zu bieten, um eine unblutige Befriedung des Landes mit eigenen Mitteln zu erreichen. Es sind dort große Propagandaaktionen gemacht worden, die veranlassen sollten, daß die Banden von dem Bandenkrieg abließen. Teilweise sind auch Sonderverhandlungen mit vereinzelten Banden geführt worden, die auch örtlich und zeitlich begrenzt zu recht guten Erfolgen geführt haben.


PROF. DR. JAHRREISS: Kennen Sie einen General von Pannewitz?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja, der General von Pannewitz war Kommandeur der 1. Kosaken-Division.


PROF. DR. JAHRREISS: Wann bitte?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Das muß im Laufe des Jahres 1943 gewesen sein.


PROF. DR. JAHRREISS: Ist es richtig, daß dieser General als Kommandeur dieser 1. Kosaken-Division, dieser Freiwilligen-Division, im OKW einmal Beschwerde geführt hat über Schwierigkeiten, die er in seiner Division hätte?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ja, der General von Pannewitz ist ein alter Regimentskamerad von mir und hat mich im Hauptquartier besucht. Er hat mir damals im Sommer 1943, oder es kann auch im Herbst gewesen sein, eingehend über den Stand der Aufstellungen und der Schwierigkeiten berichtet, die er insbesondere auf Grund der Ostpolitik der Regierung mit der moralischen Festigung seines Verbandes gehabt hat. Er beklagte damals insbesondere, daß die Politik der Regierung kein nationales Ziel für seine Division aufzeigen könnte; er hatte auch gewisse Beschwerden über Schwierigkeiten, die die Angehörigen seiner Division, die sich teilweise in Trecks befanden und angesiedelt werden sollten, damals hatten.


PROF. DR. JAHRREISS: Ist Jodl mit der Sache befaßt worden?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Jawohl. Ich habe damals dem Generaloberst nach dem Besuch den Inhalt des Gespräches vorgetragen und habe ihn gebeten, im Interesse unserer Freiwilligen-Verbände hier einen Einfluß auszuüben.


PROF. DR. JAHRREISS: Auf wen einen Einfluß?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Einen Einfluß auf den Führer auszuüben.


[619] PROF. DR. JAHRREISS: Aber Sie sagten mir doch, das wäre gar nicht Jodls Zuständigkeit gewesen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Der Generaloberst Jodl hat mir...


VORSITZENDER: Dr. Jahrreiss, worin soll die Erheblichkeit der Tatsache liegen, daß ein General, der eine Kosaken-Division kommandierte, mit der moralischen Festigung Schwierigkeiten hatte? Was hat dies mit diesem Fall zu tun?


PROF. DR. JAHRREISS: Herr Präsident! Das ist eine vorbereitende Frage gewesen. Die eigentliche Frage kommt jetzt, denn es geht um die Frage der Zuständigkeitsverteilung der Verantwortlichkeit. Ich war jetzt eben dabei, aus dem Zeugen das für mich Entscheidende herauszufragen.

Herr General...


VORSITZENDER: Aber welche Bedeutung haben denn die vorbereitenden Fragen für die eigentliche Frage? Was kann ein Besuch dieses Generals damit zu tun haben? Was ist die eigentliche Frage?


PROF. DR. JAHRREISS: Herr Präsident! Wenn ich das begründen soll, muß ich dem Zeugen sagen, was er mir sagen soll; dann aber wird meine Frage eine suggestive Frage.


VORSITZENDER: Nun, das ist vor diesem Gerichtshof nichts Ungewöhnliches.


PROF. DR. JAHRREISS: Jawohl, aber ich wollte diesen Fehler nicht begehen.


VORSITZENDER: Gut, setzen Sie fort, Dr. Jahrreiss; der Gerichtshof hofft, daß Sie nicht zuviel Zeit auf die Vorfrage verwenden, die zur eigentlichen Frage führt.


PROF. DR. JAHRREISS: Verzeihung, ich habe nicht verstanden.


VORSITZENDER: Ich sagte, der Gerichtshof hofft, daß Sie nicht zuviel Zeit auf diese Vorfragen verwenden werden, ehe Sie zur eigentlichen Frage kommen.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich kann die Befragung des Zeugen sehr abkürzen aus dem Grunde, weil ich im Besitze einer eidesstattlichen Erklärung dieses Zeugen bin.


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Warum stehen Sie denn am Mikrophon?


DR. LATERNSER: Ich dachte, Mylord, Dr. Jahrreiss sei mit der Befragung fertig, er hätte keine Fragen an den Zeugen mehr.


PROF. DR. JAHRREISS: Herr Präsident! Das ist ein Mißverständnis. Der Zeuge hat meine Fragen praktisch schon beantwortet.


[620] VORSITZENDER: Er hat sie beantwortet?


PROF. DR. JAHRREISS: Ja, er hat schon geantwortet. Ich wollte nur noch etwas mehr herausholen, aber...


VORSITZENDER: Dann sind Sie also fertig, Dr. Jahrreiss?


PROF. DR. JAHRREISS: Ja. Ich habe jetzt keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen zu stellen.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich kann die Befragung außerordentlich abkürzen, weil ich im Besitze einer eidesstattlichen Erklärung des Zeugen bin, die er am 20. Mai 1946 abgegeben hat. Ich beabsichtige, wenn ich an der Reihe bin, diese eidesstattliche Erklärung dem Gericht dann vorzulegen. Damit mir aber dann nicht vorgehalten werden kann, daß ich bei der Anwesenheit des Zeugen durch Befragung diesen Sachverhalt hätte feststellen sollen, will ich jetzt den Zeugen fragen, ob der Inhalt der nur gegebenen eidesstattlichen Erklärung vom 20. Mai 1946 zutreffend ist.

Herr Zeuge! Ist der Inhalt der mir gegebenen eidesstattlichen Erklärung vom 20. Mai 1946 zutreffend?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Der Inhalt ist zutreffend.


DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Kennen Sie den General Heusinger?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: General Heusinger ist mir bekannt.


DR. LATERNSER: Die Anklage hat im Verfahren gegen den Generalstab ein Affidavit Nummer 20, Exhibit US-564, vorgelegt, und auf Seite 2, Ziffer 4, gibt dieser General folgendes an; ich zitiere:

»Es war schon immer meine persönliche Ansicht, daß die Behandlung der Zivilbevölkerung im Operationsgebiet und die Methoden der Bandenbe kämpfung im Operationsgebiet der obersten politischen und militärischen Führung eine willkommene Gelegenheit bot, ihre Ziele durchzuführen, nämlich die systematische Reduzierung des Slawen- und Judentums.«

Ich möchte Sie nun fragen, können Sie sich erklären, wie General Heusinger zu dieser Meinung gekommen sein kann?

VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Ich habe mit dem General Heusinger eng zusammengearbeitet und sehr oft mit ihm auch über Fragen des Bandenkrieges gesprochen.

DR. LATERNSER: Ja.


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Mir gegenüber hat er nie eine Äußerung in dieser Hinsicht getan, und ich kann mir diese Äußerung von ihm auch nicht erklären, weil sie den grundlegenden Ansichten der militärischen Führung über die Führung des Bandenkrieges absolut widerspricht.


[621] DR. LATERNSER: Danke schön. Warum wurde die Gesamtführung des Bandenkampfes im Osten 1943 und in Italien um die Wende 1943/1944 durch Befehl des Führers auf Himmler übertragen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Es ist schon immer die Ansicht des Führers gewesen, daß der Ban denkrieg vorwiegend eine polizeiliche Aufgabe ist, und die Polizeikräfte zu seiner Durchführung geeigneter sind als die teilweise überalterten Sicherungskräfte des Heeres, die wir für diese Aufgaben zur Verfügung stellen konnten. Wieweit es Himmler darauf ankam, hier eine neue Machtposition zu bekommen, weiß ich nicht, auch nicht wieweit er dem Führer das suggeriert hat.


DR. LATERNSER: Wie stellte sich das OKW, und zwar der Wehrmachtführungsstab, zu diesem Befehl Hitlers?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Es muß hierbei zunächst betont werden, daß für das Operationsgebiet eine Änderung nicht eintrat. Das Operationsgebiet ist bis zum Schluß auch in der Bandenbekämpfung unter dem Befehl der Oberbefehlshaber geblieben. In den übrigen Gebieten war dem Wehrmachtführungsstab diese Regelung nicht unangenehm, weil wir hofften, daß der Reichsführer-SS in der Lage sein würde, von seinen uns meist unbekannten Reserven etwas in diesen Gebieten einzusetzen und wir Kräfte für die Front freibekamen.


DR. LATERNSER: Entsinnen Sie sich, Herr Zeuge, daß der Oberbefehlshaber Südwest dringend darum gebeten hat, ihn von dieser Maßnahme, also der Übertragung der Bandenbekämpfung von ihm auf Himmler, auszunehmen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Es ist mit dem General Westphal fernmündlich öfter über diese Fälle gesprochen worden. Ich halte das für möglich, daß er das damals angeregt hat.


DR. LATERNSER: Sie selbst haben mit dem Oberbefehlshaber Südwest darüber nicht gesprochen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Mit dem Chef?


DR. LATERNSER: Mit dem Chef, ja. Sie waren vor dem Kriege, wie Sie eben ausgesagt haben, in der Zentralabteilung des Generalstabs des Heeres. Wie mir bekannt ist, wurde auch dort die Besetzung der höheren Führerstellen bearbeitet. Ich möchte Sie nun fragen, nach welchen Grundsätzen wurden die Oberbefehlshaber von Heeresgruppen und Armeen ausgewählt?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Die Stellenbesetzung erfolgte nach der Befähigung und nach dem Dienstalter, wobei die Friedensstellenbesetzung das Gerippe für die Mobilmachungs-Stellenbesetzung bildete.


DR. LATERNSER: Erfolgte diese Stellenbesetzung der höheren Führer also rein nach militärischem Gesichtspunkt?

[622] VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Die Stellenbesetzung erfolgte rein nach militärischen Gesichtspunkten. Es wurden auch ausgeschiedene Offiziere, von denen einige nach meiner Überzeugung auf Grund eines politischen Druckes ausgeschieden waren, für den Mobilmachungsfall in verantwortlichen Stellen wiederum eingesetzt. Ich möchte hier als Beispiel den General von Leeb, den General von Kressenstein, den General von Kleist, den Generaloberst von Hammerstein anführen.


DR. LATERNSER: Und diese eben genannten Offiziere waren vor Ausbruch des Krieges bereits verabschiedet, aber für den Mobilmachungsfall für höhere Kommandostellen vorgesehen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Jawohl.


DR. LATERNSER: Ist der Zentralabteilung, die also diese Stellenbesetzung vorzunehmen hatte, jemals bekanntgeworden, daß die militärischen Führer eine Gruppe gebildet hatten mit dem Ziel, Angriffskriege zu führen und in diesen Angriffskriegen das Völkerrecht nicht zu achten?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: In der Zentralabteilung war uns von einer derartigen Gruppenbildung nichts bekannt. Ich kann hier vielleicht ausführen, daß in den Jahren 1937 bis 1939 ein großer Teil der Generalstabsoffiziere den Oberstleutnant von Zielberg und mich auch – als Personalbearbeiter der Generalstabsoffiziere – aufgesucht haben und mit uns gesprochen haben. Diese Offiziere waren zum großen Teil Chefs und Ia's des Truppengeneralstabs, also die vertrauten und verantwortlichen Berater der Kommandeure und Befehlshaber. Diese Offiziere waren ebenso wie der Befehlshaber Teilnehmer des ersten Weltkrieges und haben uns gegenüber als Ansicht immer nur geäußert, daß dem deutschen Volk ein zweiter Krieg erspart bleiben müßte. Trotz aller positiven Einstellungen zu den Erfolgen des Führers war zunächst eine gewisse Besorgnis über die Politik und besonders über die schnelle Aufrüstung des Heeres, die eine sorgfältige Arbeit erschwerte, festzustellen.

Nach den Münchener Verhandlungen hat das Zutrauen sehr zugenommen, und die Offiziere waren durchweg der Ansicht, daß es dem Führer auch weiter gelingen würde, den Frieden zu erhalten.


DR. LATERNSER: Und wie war dann die Einstellung der höheren Führer zu Hitler nach dem Münchener Abkommen?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Nach dem Münchener Abkommen war Ich aus den Gesprächen mit den Generalstabsoffizieren der Auffassung, daß sie durchweg der Ansicht waren, daß der Führer durch seine Politik auch weiterhin den Frieden erhalten würde. Ich entsinne mich, daß ich noch am 25. oder 26. August sah, daß der Führer im Hauptquartier in Zossen ein Gespräch mit Oberstleutnant von Zielberg und einigen anderen Offizieren hatte und damals diese [623] Offiziere noch der Auffassung waren, daß es nicht zum Kriege kommen würde und es nur darauf ankäme, die politischen Unternehmen des Führers dadurch zu ermöglichen, daß man die Truppen fest am Zügel halten müsse, damit nicht durch das Weglegen der Gewehre ein politisches Malheur geschehe.


DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Das genügt bezüglich dieser Frage. Nun hinsichtlich der Ardennenoffensive im Dezember 1944. Von wann ab wurde diese Offensive vorbereitet?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Soweit mir erinnerlich ist...


VORSITZENDER: Wie kann das nach einer Kriegsdauer von fünf Jahren erheblich sein?


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich will als nächste Frage die Frage an den Zeugen richten: Wer von den Oberbefehlshabern und ab wann diese von der Offensive benachrichtigt worden sind; das ist wichtig, um festzustellen, wie die Zusammenarbeit innerhalb dieser Gruppe gewesen ist. Ich bitte, diese Frage zu zulassen, das ist die vorletzte; die ebengenannte wird die letzte Frage sein.


VORSITZENDER: Gut. Setzen Sie fort.


DR. LATERNSER: Von wann ab wurde die Ardennenoffensive vorbereitet?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Soweit mir erinnerlich ist, haben wir mit den ersten Vorbereitungen etwa im September 1944 begonnen.


DR. LATERNSER: Wann wurden die Oberbefehlshaber von den Absichten orientiert, und wurden auch Oberbefehlshaber vor Beginn der Offensive benachrichtigt, soweit sie nicht beteiligt waren?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Die letzte Frage kann ich verneinen. Die erste Frage kann ich datumsmäßig nicht angeben. Ich weiß jedoch, daß von der Obersten Führung bereits Truppenverschiebungen in dem beabsichtigten Aufmarschraum der Offensive erfolgten, bevor der verantwortliche Oberbefehlshaber West unterrichtet war und daß er dadurch mehrfach Rückfragen an uns stellte und Aufklärung über diese Bewegungen haben wollte.


DR. LATERNSER: Der Oberbefehlshaber West, der nachher diese Offensive zu leiten hatte, war über die Bewegungen und Verlegung von Divisionen zu diesem Zweck in seinem Raum vorher nicht orientiert?


VON BUTTLAR-BRANDENFELS: Zu einfach! Nachher wurde er natürlich orientiert.


DR. LATERNSER: Ich danke. Ich habe keine weiteren Fragen zu stellen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

8. Juni 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 15, S. 596-625.
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