Vormittagssitzung.

[395] VORSITZENDER: Einen Augenblick, Dr. Pelckmann. Vielleicht könnten Sie mir etwas behilflich sein.

Im Hinblick auf ein Schreiben vom 15. August 1946 an den Gerichtshof, das von den meisten Verteidigern für die Organisationen, jedoch nicht von Dr. Servatius, glaube ich, unterzeichnet ist, wäre der Gerichtshof dankbar, wenn die Verteidiger für die Organisationen ihm mitteilen könnten, wie lange ihrer Meinung nach diejenigen, die noch ihre Dokumente und eidesstattlichen Versicherungen vorzulegen haben, dazu brauchen werden. Weiterhin möchte der Gerichtshof wissen, in welcher Reihenfolge sie ihre Plädoyers halten wollen und ob sie bereit sind oder ob sie rechtzeitig bereit sein werden, sie zu halten, da der Gerichtshof äußerst interessiert und nicht bereit ist, den Vortrag dieser Plädoyers aufzuschieben.

Daher hält es der Gerichtshof jetzt für richtig, sich soweit wie möglich zu vergewissern, ob die Plädoyers rechtzeitig fertig sein werden.

Ich sehe eben, daß Dr. Kubuschok nicht hier ist. Dr. Pelckmann ist hier, und vielleicht kann er uns darüber Auskunft geben, soweit es ihn und Dr. Servatius betrifft.


RA. PELCKMANN: Ich nehme an, Herr Präsident, daß mein Vortrag heute vielleicht noch zwei Stunden in Anspruch nehmen wird. Ohne dem Herrn Kollegen Laternser vorgreifen zu wollen, glaube ich, nimmt sein Vortrag, wie er sagte, einen Tag in Anspruch. Wie lange der Vortrag der SA dauert, weiß ich nicht. Und zur Frage, wie weit wir mit den Plädoyers sind, kann ich nur grundsätzlich das sagen, was in dem Schreiben gesagt ist. Wir sind natürlich durch die Beschäftigung mit der Beweisaufnahme, mit der Zeugenvernehmung hier bis vor einigen Tagen und dann mit der Vorlage der Dokumente und Affidavits sehr beschäftigt gewesen. Aber ich glaube, daß wir alle ab Beginn nächster Woche, ab Montag also, anfangen können zu plädieren.

Soviel ich weiß, ist mein Kollege Dr. Servatius – ich weiß nicht, ob er hier ist, ja... An sich wäre Herr Kollege Servatius bereit, schon jetzt zu plädieren. Wir hatten ja in dem Schreiben angekündigt, daß wir die Einreichung der Plädoyers – wie ja bei uns wohl auch gewünscht wird – am Ende der Woche vornehmen könnten – wenn wir vielleicht drei Tage rechnen für die Herstellung der Übersetzungen und der Vervielfältigungen, könnte man eventuell, wenn [395] der eine oder andere Kollege dieses Manuskript schon am Freitag einreichen könnte, schon am Montag beginnen mit den Plädoyers oder Herr Kollege Servatius schon am Ende der Woche. Ich persönlich, wenn ich das sagen darf, wäre vor Montag nicht bereit zu plädieren.


VORSITZENDER: Sie wären am Montag bereit?


RA. PELCKMANN: Nicht vor Montag.


VORSITZENDER: Darf ich die Verteidiger für die Organisationen darauf aufmerksam machen, daß das Schreiben am 15. August an den Gerichtshof gerichtet wurde, das heißt vor sechs Tagen, so daß Sie also sechs Tage Zeit hatten, um ihre Plädoyers fertigzustellen. Ich habe auch jeden einzelnen Verteidiger für die Organisationen darauf aufmerksam gemacht, daß es unnötig und eine Vergeudung der Zeit des Gerichtshofs ist, soviel Zeit mit Erörterungen über ihre eidesstattliche Versicherungen und andere Dokumente in Anspruch zu nehmen. Sie hätten viel besser daran getan, diese Zeit zur Vorbereitung ihrer Plädoyers zu verwenden. Aber ich entnehme Ihrem Vorbringen... vielleicht werden Dr. Servatius und auch Dr. Laternser dem Gerichtshof mitteilen können, ob sie mit uns darin übereinstimmen, daß die Verteidiger für die Organisationen höchstwahrscheinlich Montag bereit sein werden, ihre Plädoyers zu halten und uns nicht um einen weiteren Aufschub ersuchen werden. Dr. Servatius, höre ich, ist bereit, sofort zu beginnen.


RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Ich darf vielleicht nur das eine noch sagen. Daß wir jetzt die Dokumente und Affidavits etwas länger kommentieren, als es dem Gericht nötig erscheint, liegt daran, daß das Gericht folgendes gesagt hat, soweit ich mich richtig erinnere: Als die Plädoyerzeit auf drei Stunden festgesetzt wurde, wurde zugleich gesagt, die Anwälte werden aber Gelegenheit haben, die tatsächlichen Ausführungen gerade bei der Vorlage der Affidavits und Dokumente zu bringen, so daß die Zeit von drei Stunden für das Plädoyer und für die anderen Ausführungen übrigbleibt. Daraus haben wir entnommen, daß wir Gelegenheit haben, die sogenannte Würdigung der Beweise jetzt bei der Vorlage der Dokumente und Affidavits zu bringen.


VORSITZENDER: Ja. Aber die Verteidiger für die Organisationen müssen sich doch vor Augen halten, daß eine Zusammenfassung aller dieser eidesstattlichen Versicherungen uns schriftlich vorliegt; daher ist eine einfache Wiederholung der Zusammenfassung, die uns schriftlich vorliegt, natürlich vollkommen wertlos.

In der Abwesenheit von Dr. Laternser, der, wie ich sehe, jetzt anwesend ist, haben Sie gesagt, Sie glaubten, Dr. Laternser würde einen Tag für diese Dokumente benötigen.


[396] RA. PELCKMANN: Ja, er sagte mir gestern abend, er wird einen Tag wohl brauchen.


VORSITZENDER: Ich möchte hören, was er selbst zu sagen hat. Dr. Laternser! Ich habe in Ihrer Abwesenheit gesagt, daß der Gerichtshof dieses Schreiben vom 15. August – das also vor sechs Tagen geschrieben wurde – erhalten hat und nun wissen will, wie lange die Verteidiger für die Organisationen glauben, für ihre Dokumente zu benötigen, und ob sie bereit wären, gleich darauf ihre Plädoyers zu halten. Dr. Pelckmann antwortete darauf, daß er noch zwei Stunden und Sie wahrscheinlich einen Tag brauchen würden.

Ich glaube nicht, daß der Gerichtshof gewillt ist, einen ganzen Tag Erläuterungen zu den Dokumenten anzuhören.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich glaube, daß ich sicher einen Tag benötigen werde. Ich bitte, dabei folgendes zu berücksichtigen. Die Amerikanische Anklage hat zum Beweisvorbringen zwei Tage, die Russische Anklage hat zum Beweisvorbringen gegenüber dem Generalstab viele Tage benötigt, und ich glaube, wenn dem mir an sich schon gesteckten Rahmen zur Beibringung des Beweismaterials größere Schwierigkeiten, gegenüberstanden und ich dann lediglich einen Tag, also einen Bruchteil derjenigen Zeit benötige, den die Anklage zum Beweisvorbringen gegen den Generalstab benötigt hat, daß das dann doch nicht zuviel sein wird.


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Sie lassen die Tatsache völlig außer acht, daß wir die Kommissionen eingesetzt haben und daß Sie nicht nur einen Tag, sondern viele Tage lang vor diesen Kommissionen erschienen sind.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich habe bei der Kommission die Affidavits vorgelegt, und zwar ist dort das Vorbringen der Affidavits mehr formeller Art gewesen. Was ich mit meinem Beweisvortrag bezwecke, ist lediglich, eine gewisse Ordnung in den Beweisvortrag zu bringen, damit das Gericht sieht, zu welchen Anklagepunkten die einzelnen Affidavits vorgelegt werden sollen.


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich möchte den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß Dr. Laternser neun oder zehn Tage lang vor der Kommission über den Generalstab erschienen ist und daß er überdies auch hier vor diesem Gerichtshof Zeugen aufgerufen hat, ich weiß nicht, wie viele es waren, ich glaube zwei oder drei.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Das ist nicht ganz richtig. Ich habe mehrere Tage gebraucht, um Zeugen zu verhören, also zur Durchführung des rechtlichen Gehörs, nicht aber zur Vorlage der Dokumente. Und ich muß doch durch diesen Beweisvortrag in der Lage sein, dem Gericht diesen schriftlichen Beweis in einer gewissen [397] Ordnung vorzutragen. Im anderen Fall kann er gar nicht zur Auswirkung kommen.


VORSITZENDER: Sie sagen, Sie sind nicht in, der Lage, sie in einer gewissen Reihenfolge vorzubringen. Nun, niemand verlangt von Ihnen die eidesstattlichen Versicherungen in der Reihenfolge, in der die Dokumente numeriert sind, vorzulegen; aber Sie können sie doch vermutlich nach Gruppen ordnen, es sei denn, sie alle behandeln verschiedene Gegenstände. Ich setze voraus, daß Sie eine sehr große Zahl von eidesstattlichen Erklärungen haben und nehme als sicher an, daß ziemlich viele davon den gleichen Gegenstand behandeln. Man kann doch leicht in ganz kurzer Zeit – in einer Stunde vielleicht – diese Liste von eidesstattlichen Erklärungen durchsehen, um festzustellen, welche eidesstattlichen Erklärungen dasselbe Thema behandeln und sie danach in Gruppen ordnen. Das ist doch ganz einfach, unter keinen Umständen wird der Gerichtshof bereit sein, der Verteidigung mehr als einen halben Tag für die Vorlage der Dokumente Ihrer oder einer anderen Organisation zu bewilligen.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Darf ich noch etwas sagen zu diesem Punkt?


VORSITZENDER: Dr. Laternser?


DR. LATERNSER: Ich bitte doch das Gericht zu berücksichtigen, daß insbesondere von der Russischen Anklagebehörde mehrere Tage lang die schwersten Vorwürfe gegenüber der militärischen Führung erhoben worden sind, und ich bitte, daß ich ungefähr die gleiche Gelegenheit habe, gegen diese Vorwürfe mein Vorbringen...


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Herr Dodd hat eben angeführt, daß Sie neun oder zehn Tage lang vor der Kommission erschienen sind; hier erscheinen Sie auch schon seit zwei Tagen. Wir haben die sehr gute und sorgfältige Arbeit der in der Kommission eingesetzten Richter schriftlich vor uns. Augenblicklich liegt mir ein Dokument vor - ich weiß nicht, ob es der Reihenfolge nach numeriert ist oder nicht ganz der Reihenfolge nach, aber jedenfalls geht es bis zur Zahl 3172 – das sind Affidavits, die zusammengefaßt wurden. Ich behaupte nicht, daß es aufeinanderfolgende Nummern enthält. Aber auf alle Fälle ist es ein sehr dicker Band von Affidavits, der von diesen in der Kommission tätigen Richtern schriftlich zusammengefaßt wurde.

Sie, als Verteidiger der Organisationen, hatten Gelegenheit, den von dem Vorsitzenden der in der Kommission eingesetzten Richter abgefaßten Bericht über diese Affidavits zu lesen, und soviel ich weiß, haben Sie sich gegen keine der Ausführungen in diesem Bericht ausgesprochen. All dies liegt dem Gerichtshof vor; meiner Meinung nach hat der Gerichtshof den Organisationen größtmögliche [398] und vollkommen ausreichende Gelegenheit gegeben, vor dem Gerichtshof gehört zu werden, und der Gerichtshof ist der Ansicht, daß er über dieses Thema genügend gehört hat. Er wird daher bei der von mir verkündeten Entscheidung bleiben.

Bitte, Dr. Pelckmann.


RA. PELCKMANN: Hohes Gericht! Ich fasse jetzt die letzte Gruppe der individuellen Affidavits zusammen, und zwar bringe ich zunächst ein Affidavit Nummer 108. Es beweist...


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich unterbreche, aber wir sind uns noch nicht ganz im klaren. Sir David und ich glauben, daß hier ein Mißverständnis über die Lage, in der sich Dr. Pelckmann befindet, vorliegt. Wir entnehmen seinen Worten, er werde am Montag nur bereit sein, sein Plädoyer zur Übersetzung vorzulegen, und wir glauben, der Gerichtshof habe ihn dahingehend verstanden, er sei am Montag bereit, sein Plädoyer zu halten, das sich dann um weitere drei Tage verzögern wird.


VORSITZENDER: Gewiß, Dr. Pelckmann, ich habe Sie dahingehend verstanden, daß Sie Ihr Plädoyer am Montag halten können. Es muß nicht unbedingt am Montag gehalten werden, da natürlich das Plädoyer von Dr. Servatius vor Ihrem kommt. Vermutlich werden – wenn Sie nicht untereinander andere Abmachungen treffen – die Plädoyers in der Reihenfolge gehalten werden, in der die Dokumente vorgelegt und Zeugen vernommen wurden. Zweifellos können Sie untereinander Vereinbarungen treffen, mit denen der Gerichtshof gern einverstanden sein wird, wenn der eine fertig sein sollte und der andere nicht, aber der Gerichtshof erwartet, daß keine Verzögerung eintritt.


RA. PELCKMANN: Ja, ich glaube auch, Euer Lordschaft, daß das gehen wird. Wie in dem Schreiben angekündigt, werden wir die Manuskripte zur Vervielfältigung und zur Übersetzung bis zum Ende der Woche abliefern. Also, wenn ich es zum Beispiel am Freitag nachmittag abliefere, dann, glaube ich, kann ich am Montag nachmittag sprechen oder am Dienstag vormittag. Und wenn Herr Kollege Servatius...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Das ist alles gut und recht, aber die Übersetzungsabteilung besteht auch aus Menschen, und ich sehe gar nicht ein, warum sie am Sonntag arbeiten soll. Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube, mich zu erinnern, daß Sie Assistenten haben, die Ihnen helfen und die Sie wohl schon seit dem 15. August, dem Tage, an dem dieses Dokument vorgelegt wurde, unterstützt haben. Wie ich schon hervorgehoben habe, war das vor sechs Tagen. Teile dieser Rede könnten doch jetzt bereits fertig und der Übersetzungsabteilung zugeleitet worden sein.

[399] Aus einer mir soeben übergebenen Liste ersehe ich, daß Sie vier Assistenten haben, Dr. Babel vier Assistenten und vier Sekretärinnen hat und daß Sie einen Mitverteidiger und eine Sekretärin haben. Ich kann nicht verstehen, warum das Plädoyer oder wenigstens Teile davon der Übersetzungsabteilung noch nicht übergeben worden sind. Das gleiche gilt auch für die anderen Verteidiger der Organisationen.


RA. PELCKMANN: Wir sind ja noch immer an der Beweisaufnahme, Herr Präsident, nur darauf will ich hinweisen. Mir ist es bisher nicht möglich gewesen, ein vollständiges Plädoyer vor dem Ende der Beweisaufnahme fertigzustellen, auch nach meinen praktischen Erfahrungen nicht.

Aber, darf ich einen Vorschlag machen, Herr Präsident, um es ganz genau zu fixieren.

Ich kann das Manuskript meines Plädoyers für die Übersetzungsabteilung am Freitag nachmittag abliefern, und ich kann wahrscheinlich schon vorher einen erheblichen Teil liefern.


VORSITZENDER: Ich will nur feststellen, daß ich im Namen des Gerichtshofs von der Übersetzungsabteilung nicht verlangen werde, mehr zu arbeiten, als der Offizier, dem diese Abteilung untersteht, für angemessen hält; und der Gerichtshof erwartet, daß die Plädoyers ohne Aufschub gehalten werden. Ist das klar?


RA. PELCKMANN: Ich beschäftige mich gerade mit dem Affidavit SS-108. Es wird damit klargestellt, daß die SS mit der Aktion zur Erfassung von Arbeitskräften nichts zu tun hatte.

Die Affidavits Nummer 102 und 103 beweisen, daß der sogenannte »Freiwillige Selbstschutz«- abgekürzt FS –, der von der Anklage als Fünfte Kolonne betrachtet wird, in der Slowakei und im Sudetenland keine Verbindung mit der SS hatte und niemals bewaffnet war.

Die Affidavits Nummer 106 und 111 beschäftigen sich mit der Natur des Organisationsbuches der NSDAP und mit der des NS-Jahrbuches. Die Anklage zitiert aus diesen Büchern zum Beweise für offizielle Ansichten der Partei. Diese Affidavits besagen jedoch, daß das Organisationsbuch und das NS-Jahrbuch keine offiziellen Verlautbarungen waren und daß sie deshalb auch nicht Beweise liefern für Organisationsfragen.

Das Affidavit SS-109 beschäftigt sich mit dem Vorwurf der Anklage, die SS-Männer seien bei Verbrechen durch das Regime gedeckt worden. Es beweist, daß bei Straftaten von SS-Angehörigen vor Einrichtung der eigenen SS-Gerichtsbarkeit im Jahre 1939, daß bei diesen Straftaten, soweit sie bekanntgeworden, sind, die SS-Führungsstellen dafür gesorgt haben, daß der ordentlichen Justiz [400] keine Schwierigkeiten entgegengesetzt wurden bei der Strafverfolgung.

Schließlich eine letzte Gruppe: Affidavit Nummer 90, Nummer 30, Nummer 91 und Nummer 92. Das Affidavit Nummer 30 liegt in Übersetzung – französischer Übersetzung zunächst nur – vor. Es ist eine Erwiderung auf die Anklagebehauptung, daß die gesamte SS-Organisation und ihre Mitglieder gewußt haben oder hätten wissen müssen, daß die SS eine verbrecherische Organisation sei. Die Affidavits sagen dagegen nur als Beispiel, daß zwischen dem ausländischen Diplomatischen Korps und der SS außerordentlich gute Beziehungen bestanden haben, so daß die SS-Angehörigen, die davon hörten, nicht annehmen konnten, daß diese Organisation verbrecherisch sei.

Ich darf mich jetzt noch kurz beschäftigen mit den Affidavits, die ich am Eingang erwähnt habe, von denen eine Zusammenfassung nicht vorliegt.

VORSITZENDER: Was haben Sie damit gemeint, daß es eine Gruppe sei, ich habe sie aufgeschrieben als 90, 31 oder 30, oder vielleicht beide und 92. Nach dem mir vorliegenden Dokument wurden die Affidavits Nummer 90, 91 und 92 zurückgezogen. Ist da ein Fehler unterlaufen?


RA. PELCKMANN: In der Kommission hatte ich den Antrag gestellt, sie zuzulassen, und die Anklagebehörde hatte sie nicht zulassen wollen. Es ist darüber nach meiner Erinnerung nicht beschlossen worden von der Kommission, sondern die Entscheidung ist zurückgestellt worden. Nun habe ich allerdings vor zwei Tagen gehört, daß Herr Colonel Neave, der, glaube ich, damals der Kommission vorsaß, notiert hat, sie seien endgültig nicht zugelassen worden. Das ist mir neu, und wenn das der Fall sein sollte, dann würde ich die Entscheidung des Hohen Gerichts erbitten, ob diese Affidavits zugelassen werden können. Diese Entscheidung braucht ja nicht sofort gefällt zu werden.


VORSITZENDER: Sie haben sie eben als Gruppe angegeben. Stehen sie in irgendeiner Beziehung zu Nummer 30? Nummer 30, sagen Sie, bezieht sich auf das Verhältnis der SS zum auswärtigen Diplomatischen Korps. Beziehen sich 90 und 92 auch darauf?


RA. PELCKMANN: Jawohl, 30 ist auch bewilligt worden und liegt auch in der französischen Übersetzung vor. Die englische Übersetzung...


VORSITZENDER: Gut. Wir werden über den Antrag beraten. Wir können wohl annehmen, daß 90 und 92 dasselbe Thema behandeln, stimmt das?


RA. PELCKMANN: Ja, ungefähr.


[401] VORSITZENDER: Das genügt mir, ich will nicht mehr darüber hören.


RA. PELCKMANN: Ich beschäftige mich jetzt noch einmal mit den Affidavits 68, 64 und 69. Ich muß die Anklagebehauptung widerlegen, daß das System der Mißhandlungen, Einzeltötungen und Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern der ganzen SS zur Last gelegt werden muß, weil, wie die Anklage behauptet, sie der großen Masse der SS-Leute bekanntgewesen seien. Die zu dieser Frage sehr aufschlußreichen wichtigen Prozeßakten über die Verfahren der alliierten Militärgerichte gegen Angehörige der Konzentrationslagerkommandanturen wie auch gegen Wachmannschaften – zum Beispiel die Prozesse Belsen, Mauthausen, Dachau, Neuengamme, Celle, Rastatt – diese Prozeßakten habe ich ja nicht erhalten können. Nun hat mir eine systematische Durchprüfung der Zeugen und eines Teils der Affidavits aus den Lagern ermöglicht, Tatsachen festzustellen zur Widerlegung der Anklagebehauptung.

Der Herr Präsident hat auch in der Verhandlung am 29. Januar erklärt, daß er Zeugen und Beweismaterial von der Verteidigung gerade zu den Anklagepunkten hinsichtlich der Konzentrationslager erwarte. Der Herr Präsident hat an demselben Tag auf die Frage des Herrn französischen Anklagevertreters Dubost, ob das Gericht überzeugt sei, daß in allen Lagern die gleichen furchtbaren Zustände herrschten, wie zwei Zeugen bis dahin bekundet hatten, geantwortet: »Wenn Sie das beweisen wollen, Herr Dubost, dann ist es nötig, aus jedem der Hunderte von Lagern einen Zeugen vorzuladen.« Ich berufe mich auf das Sitzungsprotokoll, und deswegen habe ich nun zum Zwecke der Verteidigung eine Anzahl von Affidavits von Wachmännern, Kommandanturangehörigen und Lagerinsassen und auch von unbeteiligten Besuchern der Konzentrationslager überreicht zum Beweise des Gegenteils. Ich verweise jetzt nur auf ein mir sehr wichtig erscheinendes Affidavit, Nummer 68.


VORSITZENDER: Warum sagen Sie uns nicht, welche Affidavits das sind. Das wollen wir doch von Ihnen hören. Sie sagen uns jetzt, indem Sie sich auf eine von mir im Januar abgegebene Erklärung berufen, Sie hätten sich Affidavits aus jedem Lager beschafft. Nun, welche Affidavits sind das? Sie können uns doch leicht sagen, welche Gruppen von Affidavits das sind, nicht wahr?


RA. PELCKMANN: Diese Gruppen, Herr Präsident, habe ich ja schon gestern erwähnt. Ich wollte nur noch einmal die Bedeutung...


VORSITZENDER: Wenn Sie sie gestern erwähnt haben, warum kommen Sie heute wieder auf sie zurück?


RA. PELCKMANN: Um die Bedeutung des Affidavits Nummer 68, das ich Ihnen erläutern werde, herauszustellen.

[402] Es ist ein Affidavit von einem Konzentrationslagerkommandanten, und ich kann verstehen, daß bei der allgemeinen Stimmung das Gericht diesem Kommandanten sehr mißtrauisch gegenüberstehen würde. Ich bitte aber trotzdem, dieses sehr ausführliche Affidavit lesen zu wollen, und zwar beschäftigt es sich gerade mit den organisatorischen Fragen, die für die Frage: »Wer überhaupt war an Verbrechen und an der Behandlung von KZ-Häftlingen beteiligt, und wer konnte davon wissen«, sehr wichtig sind. Dieses Affidavit erläutert zum Beispiel die Stellung des Wirtschafts-Verwaltungshauptamts, Amtsgruppe D. Bei diesem schwierigen Namen bitte ich, darauf achten zu wollen, daß dieses Amt wieder nicht zu verwechseln ist mit dem Reichssicherheitshauptamt. Es sind Verwechslungen schon vorgekommen auch bei der Zusammenfassung der Zeugenaussagen vor dem Gericht. Ich möchte nun an diesem Beispiel erläutern, wie wichtig es ist, die Organisationsfragen des KZ-Wesens an Hand dieses Affidavits 68 noch einmal prüfen zu wollen. Aber auch die anderen Abschnitte dieses Affidavits sind sehr wichtig. Die anderen wichtigen Affidavits sind Nummer 64 und 69. Es sind Bekundungen ebenfalls von SS-Richtern, die genauso wie der Zeuge Morgen beteiligt waren an den Untersuchungen gegen KZ-Verbrecher. Von dem Zeugen Morgen selbst liegen noch die Affidavits Nummer 65, 66 und 67 vor.


VORSITZENDER: Warum gibt er zwei eidesstattliche Erklärungen an einem Tag ab?


RA. PELCKMANN: Verzeihung, ich habe nicht verstanden, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Ich frage, warum er zwei eidesstattliche Erklärungen an einem Tage abgegeben hat? Warum nicht nur eine?


RA. PELCKMANN: In diesen Tagen, an denen sich die Arbeit häufte, es waren Kommissionsvernehmungen, es waren Zeugenvernehmungen – der Zeuge Morgen war erst ganz zum Schluß angekommen – mußte ich dafür sorgen, daß die Affidavits so schnell wie möglich vorgelegt wurden, und deswegen habe ich das ganze Thema von ihm in verschiedenen Affidavits...


VORSITZENDER: Gut, setzen Sie fort.


RA. PELCKMANN: Es ist lediglich ein technischer Grund, Euer Lordschaft. Daß also dieser Komplex der KZ-Untersuchungen, der nach meiner Ansicht hier für das Gebiet über das KZ-Wesen und die Schuldfrage der übrigen SS sehr wichtig ist und sehr aufschlußreich gewesen ist; deswegen bitte ich, diese eidesstattliche Versicherung dieser beiden Richter zur Ergänzung noch hinzuzufügen und eingehend zu würdigen. Ich werde mich damit in meinem Plädoyer beschäftigen.

[403] Schließlich bitte ich das Hohe Gericht, das Affidavit Nummer 70, das im ganzen Wortlaut übersetzt worden ist und viele Seiten umfaßt, auch vollständig lesen zu wollen. Es liegt weder die französische noch die englische Übersetzung vor. Dieses Affidavit gibt einen Durchschnitt aus einem Lager mit 2800 SS-Insassen wieder, und zwar umfassen diese Insassen Vertreter aus den meisten Dienststellen, aus den meisten Standarten der Allgemeinen SS, aus allen Gebieten Deutschlands und Vertreter von etwa 30 Divisionen, Oberkommandos und Ersatzeinheiten der Waffen-SS. Außerdem bietet dieses Affidavit einen guten Durchschnitt durch den Mitgliederbestand zu den verschiedensten Zeiten, auf die es ja nach dem Beschluß des Gerichts vom 14. Januar auch ausschlaggebend ankommen dürfte. Höchste Dienstgrade sind gerade dort nicht vertreten, sondern es ist vertreten der sogenannte kleine Mann.

Aus den ähnlichen Gesichtspunkten, weil diese Beweisaufnahme mit Affidavits ja die große Masse der SS erfassen soll, bitte ich um das geneigte Gehör des Hohen Gerichts auch für die Würdigung und Auswertung der 136000 Affidavits, die ich zusammengefaßt habe. Für die Bewertung dieser Affidavits insbesondere ihre Glaubhaftigkeit, ist die Tatsache wichtig, daß sie sehr früh niedergeschrieben worden sind, und zwar ohne juristische oder sonstige Erläuterungen. Die SS-Angehörigen sprechen sich nur jeweils über einen oder mehrere Punkte aus, die ihnen zunächst am nächsten lagen und sie am meisten interessierten. Daß über bestimmte Punkte nichts gesagt wird gerade bei diesen Affidavits, liegt wieder daran, daß der kleine SS-Mann ganz naturgemäß nur ein begrenztes Blickfeld hatte und über viele Dinge gar kein Urteil hatte. Über solche Punkte konnten sie infolgedessen nichts schreiben.

Herr Justice Jackson hat ausgeführt, daß die zahlreichen Affidavits der SS-Angehörigen nur als ein Ausfluß der Interessen an ihrem persönlichen Schicksal zu werten seien. Aber dagegen will sich diese Zusammenfassung wenden. Das Blickfeld des einzelnen ist im allgemeinen begrenzt, und da der einzelne nicht mehr aussagen kann, als er zu übersehen vermag, gewinnen diese Affidavits gerade durch die Summe dieser kleinen einzelnen Teilchen den großen Wert, den ich ihnen als Verteidiger der Masse der SS und nicht irgendwelcher oberer Führer beimesse. Sie geben ein klares Bild, welche Vorstellungen die Reden und Erklärungen und Lehren der höheren Führung in den Köpfen der breiten Masse erweckten, welche Handlungen sie daraus herleiteten.

Nur dieses Bild und nur dieser Querschnitt zeigt dann, inwieweit man bei der SS von einer kollektiven Kriminalität, wenn das juristisch überhaupt möglich ist, sprechen kann, und diese Ausführungen sind auch wichtig für die Frage der Conspiracy. Auch diese Zusammenfassung, darauf darf ich noch hinweisen, liegt[404] bisher in Übersetzung noch nicht vor. Diese Zusammenfassung besteht aus verschiedenen Gruppen. Darf ich zunächst die Gruppe I kurz streifen?

Gruppe I beschäftigt sich mit den Motiven des freiwilligen Eintritts in die SS, und zwar unterschieden nach Eintritt vor 1933 und nach 1933 in die Allgemeine SS und freiwilliger Eintritt in die Waffen-SS. Zum Eintritt vor 1933 haben sich 12749 Affidavits ausgesprochen. 12671 davon versichern, daß ihr Eintrittsmotiv allein Idealismus und Vaterlandsliebe gewesen sei. 78 Affidavits geben verschiedene andere Motive an, Überführung aus anderen Gliederungen, zum Beispiel Überführung von ländlichen Reitervereinen in die Reiter-SS und ähnliches. Die Tatsache, daß sich [*1]über das Motiv des Beitritts nach der Machtübernahme nur 804 Männer äußern, beweist, daß schon nicht mehr in dem Maße wie vor dem 30. Januar 1933 die Leute aus reinem Idealismus und aus wirklicher Freiwilligkeit eingetreten sind.

Zum Eintritt in die Waffen-SS äußern sich nur wenige Affidavits. Von 488 Männern sagen 406, daß es sich bei der Waffen-SS um eine ausgesuchte, junge Truppe gehandelt habe. Andere sagen wieder, sie hätten doch ihrer Wehrpflicht genügen müssen und hätten sich dann lieber für die Waffen-SS entschlossen. Aus vielen geht hervor, daß die Waffen-SS sich als vierter Wehrmachtsteil fühlte. Aus anderen, auch vielen, geht wieder hervor, daß sie Volksdeutsche waren und daß Volksdeutsche, wie ich gestern an Dokumenten bewiesen habe, nur in der Waffen-SS Wehrdienst leisten konnten. Einige meldeten sich zur Waffen-SS, weil sie später im Polizeidienst Verwendung finden wollten nach dem Kriege.

Die Gruppe II habe ich zusammengefaßt zur Frage: Gesetzlicher Zwang zum Eintritt in die Allgemeine SS und Einziehung zur Waffen-SS.

Hier sagen 67 Affidavits, daß die Dienstangleichung der Polizei sie zu einem Dienstgrad der Allgemeinen SS gebracht hätte. Der Rest der übrigen Affidavits ist von Studenten und Hochschullehrern oder Mitgliedern des Postschutzes, des Reichsnährstandes, Behördenangestellten, Reichskriegsopferversorgung und auch Erziehern. Auch Ehrenführer fallen darunter. Hinsichtlich der Einziehung zur Waffen-SS liegen 4042 Äußerungen vor. Davon 1806 Volksdeutsche und 1826 von anderen Wehrmachtsteilen oder Polizei zur Waffen-SS Versetzte, also zwangsweise Kommandierte. Interessant ist die Frage der Zugehörigkeit zur Allgemeinen SS bei Waffen-SS-Mitgliedern. Die Leute der Waffen-SS sind nach dieser Statistik – es sind 246 Waffen-SS-Mitglieder – zur Waffen-SS eingezogen worden, und zwar durch das Wehrbezirkskommando, also durch die Bezirkskommandos der normalen Wehrmacht. Nur ein Fünftel von ihnen gehörte der Allgemeinen SS an. Weitere wesentliche Feststellungen [405] sind: Bereits 1939 nahmen Wehrbezirkskommandos zwangsweise Einziehungen zur Waffen-SS vor. Der Zeuge Brill hat sich auch darüber geäußert. Und ebenso, Wehrbezirkskommandos nahmen Einziehungen zur Bewachung der Konzentrationslager vor durch Einberufung zur Waffen-SS. Weiter zwangsweise Übernahme von Mitgliedern des Reichsarbeitsdienstes zur Waffen-SS. Auf eine andere Art wurde die Konzentrationslagerbewachung seitens des Arbeitsamtes gestellt. Durch sogenannte Not dienstverpflichtung brachte das Arbeitsamt die Leute zur Konzentrationslagerbewachung, und von dort wurden sie zwangsweise in die Waffen-SS übernommen. Kleinere Punkte sind die zwangsweise Überstellung von Postbeamten der Reichspost zur Fronthilfe Deutsche Reichspost und zur SS-Feldpost.

Die Gruppe III umfaßt in ihrer ersten Unterteilung alle die Affidavits, die Angaben enthalten über die Vorstellungen, die die SS-Angehörigen von den Absichten und Zielen ihrer Führung hatten...


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Sprechen Sie noch immer von Gruppe I?


RA. PELCKMANN: Nein, Euer Lordschaft, ich bin bei der Gruppe III. Die Gruppe II...


VORSITZENDER: Wo hat Gruppe II angefangen?


RA. PELCKMANN: Ja, ich will es eben sagen, die Gruppe II hat angefangen mit der Zusammenfassung: Gesetzlicher Zwang zum Eintritt in die Allgemeine SS und...


VORSITZENDER: Das haben Sie aber nicht gesagt. Soweit ich die Übersetzung gehört habe, habe ich alle von Ihnen genannten Zahlen notiert, und ich dachte, daß sie alle zur Gruppe I gehören.


RA. PELCKMANN: Ich bitte sehr um Entschuldigung. Ich glaube, es gesagt zu haben. Vielleicht ist es nicht ganz durchgekommen.


VORSITZENDER: Nun sind Sie bei Gruppe III, nicht wahr?


RA. PELCKMANN: Jawohl.


VORSITZENDER: Setzen Sie fort.


RA. PELCKMANN: Sie beschäftigt sich mit der Schulung, die die SS-Angehörigen erhielten. 55303 SS-Angehörige erklären, daß sie in dieser Schulung keine Anhaltspunkte für eine verbrecherische Zielsetzung finden könnten. Es wäre eine Erziehung zur charakterlichen Sauberkeit gewesen, zur Anständigkeit, zu Kameradschaftlichkeit und vorbildlicher Lebensführung. Bemerkenswert ist, daß bei alledem keiner der SS-Männer in Zusammenhang mit der Schulung Hitlers Buch »Mein Kampf« erwähnt. Die Statistik wird erweisen, daß die Masse der SS-Mitglieder dieses Buch überhaupt nicht gelesen hat.

[406] 289 Affidavits äußern sich zur Bewertung der Rassenlehre. 223 sehen darin keine Erziehung zum Rassenhaß, zur Vernichtung anderer Rassen oder zur Bildung einer Herrenrasse, sondern sehen nur darin eine Forderung einer Trennung und Scheidung der Rassen voneinander. 57 Affidavits sehen in der Lehre den Zweck, eine Auslese der Besten des Volkes zu schaffen. Verschiedene Affidavits betonen, daß die Rassenlehre die Achtung vor anderen Völkern in sich schloß.

Das Problem der Kolonisierung und Germanisierung wird in keinem Affidavit als Problem der sogenannten Schulung erwähnt.

Sehr viele Affidavits beschäftigen sich mit der Frage, ob die Allgemeine SS zum politischen Soldatentum erzogen wurde. 20010 Affidavits stehen dafür zur Verfügung. 15461 Affidavits schreiben der Allgemeinen SS keinen militärischen Charakter zu. Sie führen zum Beispiel folgende Gründe an:

Sie hätten niemals eine militärische Ausbildung in der Allgemeinen SS genossen, die Dienstgrade der Allgemeinen SS wurden in der Wehrmacht nicht anerkannt. Es waren keine Waffen vorhanden, sogenannte Planspiele, sogenannte taktische Spiele, taktische Erörterungen waren verboten. Geschossen wurde nur mit Kleinkalibergewehren, es waren nicht genügend Gewehre vorhanden.

1053 Affidavits bestätigen die Aussage verschiedener Zeugen hier, daß im Krieg ein Dienst in der Allgemeinen SS überhaupt nicht mehr oder nur noch ganz vereinzelt stattfand, am Schluß des Krieges und während des Krieges überhaupt nicht mehr.

Zur Frage der psychologischen Kriegsvorbereitungen bestätigen 3304 Affidavits, daß sie weder an Krieg gedacht noch geglaubt haben. Auf den Junkerschulen – wird in verschiedenen Affidavits erklärt – wurde die Ablehnung des Krieges gelehrt, da er eine sogenannte »negative Gegenauslese« schaffe. Und auch in der Verfügungstruppe wurde der sogenannte Geländedienst, also ein mehr militärischer Dienst, erst nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht aufgenommen.

127 Affidavits bestätigen, daß von der Allgemeinen SS kein besonderer Gehorsam gefordert wurde, daß heißt kein Eid, der nach seiner Form zu mehr verpflichtet hätte als die Wehrmacht oder die Beamten.

Über die Erziehung der SS-Männer berichten 2674 Affidavits. In 3138 Affidavits wird versichert, daß Befehle gegen die Menschlichkeit ihnen nicht bekanntgeworden sind, geschweige denn gegeben wurden.

Die zweite Unterteilung dieser Gruppe III soll die Frage beantworten, was den Mitgliedern als tatsächliches Ziel der Führung erkennbar war. Die Frage geht darauf hinaus, ob ein [407] Widerspruch zwischen der theoretischen Schulung und der praktischen Handlungsweise der Führung zu erkennen war. 688 Affidavits beschäftigen sich mit der Frage, ob die Macht in Deutschland durch Unterdrückung der politischen Gegner erlangt werden sollte. Dahin fällt auch die Frage, ob die Vernichtung des Judentums als Ziel der Führung für die SS-Angehörigen erkennbar war. Von 1637 Affidavits, die überhaupt dieses Problem berühren, bekunden 1593, daß das Judenproblem nicht durch Totschlagen oder durch die sogenannte »Endlösung« zu lösen war und daß sie davon – von diesen Absichten der Führung – keine Kenntnis hatten. Sie weisen darauf hin, daß den SS-Angehörigen die Vornahme von Einzelaktionen gegen Juden verboten gewesen sei.

Zahlreiche Mitglieder berufen sich zum Beweis dafür auch darauf, daß zahlreiche Verurteilungen zum Tode oder auch zu hohen Zuchthausstrafen wegen Verbrechen gegen jüdische Personen oder jüdisches Eigentum ausgesprochen worden seien.

Eine weitere Frage lautete, ob den SS-Angehörigen als tatsächliches Ziel der Führung die Beherrschung Europas durch Kriege erkennbar war. 12596 Affidavits versichern, daß weder Äußerungen der SS-Führung noch Erklärungen Hitlers die Beherrschung Europas als Ziel der SS erkennen ließen.

Eine wichtige Gruppe erscheint mir die nächste, IV. Sie faßt die Affidavits zusammen, die sich zur Frage der Beteiligung der SS-Angehörigen an den Verbrechen beschäftigen, die in der Anklage behauptet sind.

Die erste Frage untersucht die Teilnahme an dem KZ-Wesen. 2866 Affidavits sind hierzu abgegeben worden. Sie stammen meist von Wachtposten, einige auch von ehemaligen KZ-Häftlingen, einige vom Küchen- und Werkstattpersonal. Sie beschäftigen sich mit der Behandlung der Häftlinge und mit dem Verhalten des Wachtpersonals. Sie zeigen natürlich nur, wie die Wachtposten von ihrem Blickfeld aus die KZ-Verhältnisse und das Häftlingsleben sahen. Sie geben einen Querschnitt durch fast sämtliche Konzentrationslager und Arbeitslager. Sie vermitteln ein anschauliches und einheitliches Bild von der Unmöglichkeit, sich einen Einblick in die Verhältnisse zu verschaffen, selbst für solche, die in der Nähe der Lager und der Häftlinge tätig waren. Sie geben ein einheitliches Bild über den Grad der Unkenntnis über die Zustände in den Lagern und auch über die Gründe hierfür, nämlich die Anordnungen äußerster Geheimhaltung. 2385 Affidavits bekunden, daß dauernd Belehrungen gegeben wurden über das Verhalten des Bewachungspersonals. Es werden Beispiele von Bestrafungen wegen Mißachtung dieser Vorschriften, insbesondere wegen Mißhandlungen angeführt. Sehr aufschlußreich ist die Bemerkung vieler Affidavits, daß das Verhältnis zwischen Wacht- und Kommandanturpersonal nicht nur kühl war, sondern sogar sehr gespannt.

[408] Häftlinge selbst, deren Affidavits vorgelegt werden, bestätigen, daß eine große Schuld an den Mißständen den eigenen Häftlingskapos zur Last fällt, die selber häufig Verbrecher waren.

Die Frage der Beteiligung von SS-Angehörigen an sogenannten Massenvernichtungen, also in Vernichtungslagern, die von den Konzentrationslagern wohl zu unterscheiden sind, wird in den Affidavits überhaupt nicht berührt. Wir haben ja von verschiedenen Zeugen gehört, daß diese Lager ein ganz besonderes Leben führten und mit nur sehr wenigen SS-Männern oder Männern in SS-Uniform belegt waren.

Ich komme zu einem anderen Punkt. Einen Querschnitt durch alle bekannten Divisionen der Waffen-SS bieten 8242 Affidavits zur Frage der völkerrechtswidrigen Behandlung von Kriegsgefangenen. 4306 bestätigen die Durchführung ständiger Belehrungen über korrektes Verhalten vor jedem Einsatz. Zahlreiche Affidavits bringen auch gerade Beispiele von besonders guter Behandlung von Kriegsgefangenen.

13613 Affidavits beschäftigen sich mit der Frage der völkerrechtswidrigen Behandlung der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten. Es lagen dazu keine Befehle vor; es wurden ständige Belehrungen über korrektes Verhalten vorgenommen. Die Masse der SS-Angehörigen kann nur von einem guten Verhältnis zur Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete berichten. In keinem Affidavit wird von der Beteiligung der SS an der Aussiedlung oder an Verschleppungen zur Sklavenarbeit gesprochen. In wenigen Erklärungen wird darauf hingewiesen, daß der Arbeitseinsatz keine Angelegenheit der SS gewesen sei.

Nur ganz wenige Affidavits berühren das Gebiet der biologischen Experimente. Sie stammen von Leuten aus dem KZ-Wesen. Diese wenigen sagen, sie hätten gehört, daß sich die Häftlinge freiwillig zu Versuchen gemeldet hätten.

1271 Affidavits beschäftigen sich mit dem sogenannten Röhm-Putsch. Die Allgemeine SS sei an den Vorgängen, nicht beteiligt gewesen. Ein Teil wäre alarmiert gewesen, aber nicht bewaffnet und nicht eingesetzt.

Zum 9. November 1938 bilden 4407 Affidavits einen Querschnitt durch die verschiedensten Einheiten der SS, durch Oberabschnitte, Abschnitte und Standarten der SS, durch fast alle Städte Deutschlands und alle Gegenden. Es wird mit besonderer Eindringlichkeit erklärt, daß gerade die SS an diesen Ausschreitungen nicht teilgenommen habe.


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Ich nehme an, daß Sie jetzt die Zusammenfassung der 136000 eidesstattlichen Versicherungen verlesen, stimmt das?


[409] RA. PELCKMANN: Jawohl.


VORSITZENDER: Wörtlich?


RA. PELCKMANN: Ja, Euer Lordschaft, wenn die...


VORSITZENDER: Ich habe Sie gefragt, ob Sie es jetzt wörtlich verlesen.


RA. PELCKMANN: Sowie die Übersetzung...


VORSITZENDER: Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich habe Sie gefragt, ob Sie wörtlich verlesen.


RA. PELCKMANN: Nein, ich gebe nur ein Resumé, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Ich glaube, wir schalten jetzt eine Pause ein.


[Pause von 10 Minuten.]


RA. PELCKMANN: Euer Lordschaft! Ich bedauere sehr, daß die Übersetzung gerade dieser Zusammenfassung nicht vorliegt. Sie würde dem Hohen Gericht das Verständnis und die Eingliederung dieses Stoffes natürlich sehr erleichtern.

Die Gruppe V befaßt sich mit der Feststellung der allgemeinen Unkenntnis der Masse der SS-Mitglieder. 96257 Affidavits stehen zur Verfügung. Sie sagen, daß der Masse der SS-Angehörigen die ihr zur Last gelegten Verbrechen vor der Kapitulation nicht bekannt waren. Sie sagen das allgemein und sagen es aber auch in besonderer Stellungnahme zu den allgemeinen Verbrechenskomplexen. Eine Tatsache ist dabei besonders wichtig und wird besonders hervorgehoben. Zur Zeit, als die Verbrechen ein verbreiteteres, ein größeres Ausmaß annahmen, nämlich gerade während des Krieges, stand die Masse der SS-Mitglieder an der Front und konnte schon deshalb von diesen Vorkommnissen keine Kenntnis erhalten. Denn gerade der Horizont des Mannes an der Front ist erfahrungsgemäß besonders eng.

Die nächste Gruppe ist die Gruppe VI. Sie beschäftigt sich mit der Behauptung der Anklage, die SS sei eine Einheit gewesen. Die erste Frage lautet, ob die Teilorganisationen eine wirkliche Einheit bildeten. Hierzu nehmen 5700 Affidavits Stellung. Die eine Hälfte läßt erkennen, daß das Bewußtsein mangelte für das Vorliegen eines Zusammenschlusses zur Durchführung einer Verschwörung. Die andere Hälfte weist darauf hin, daß gerade die Waffen-SS sich nicht aus der Allgemeinen SS grundsätzlich rekrutierte. Sie betont also die Trennung zwischen Allgemeiner SS und Waffen-SS. Die zweite Frage lautet, ob die Angehörigen der einzelnen Teilorganisationen über die Tätigkeiten der anderen Teile orientiert waren. Die Bedeutung dieser Frage konnte von den SS-Mitgliedern nicht ohne Erläuterungen erkannt werden, und deswegen beschäftigen [410] sich nur wenige Affidavits damit. Die wenigen Affidavits bestätigen, daß die Tätigkeit der verschiedenen Hauptämter der SS völlig getrennt verlief und Personalunion nur in der Person Himmlers bestand. Einige Affidavits weisen darauf hin, daß zum Beispiel gerade bei den KZ-Mannschaften diese Mannschaften sich aus den verschiedensten Bestandteilen zusammensetzten. Viele Affidavits betonen, daß die angeordnete Geheimhaltung – einmal der Führerbefehl Nummer 1, der oft zitiert worden ist, und auch Sondervorschriften – eine Orientierung der einzelnen Teile untereinander ausschloß. In einem anderen Teil der Affidavits wird gesagt, daß die Allgemeine SS einerseits und die Polizei und der SD andererseits keine Einheit bildeten.

Sehr aufschlußreich sind die Affidavits, die sich mit der Zusammensetzung der Leibstandarte 1934 beschäftigen. Weniger als 10 Prozent der Mitglieder dieser Leibstandarte waren zugleich Mitglieder der Allgemeinen SS. Ein großer Teil dieser eidesstattlichen Versicherungen sagt, daß es im Kriege praktisch keine Allgemeine SS gab. 342 Affidavits beschäftigen sich mit zahlreichen Nebengruppen der SS. Diese übten in Wahrheit nur engbegrenzte, speziale, fachliche Tätigkeiten aus, waren mit Durchführung angeblicher SS-Ziele nicht befaßt und standen mit der Allgemeinen SS nur in losem Zusammenhange. Hierunter fallen die SS-Reiterstürme, die sich – wie die SA-Rei terstürme – dem Reitsport widmeten, Motorstürme, also Automobilisten, ferner SS-Helferinnen, die in gleicher Weise wie Wehrmachtshelferinnen nur im Kriege zur Nachrichtenübermittlung verwendet wurden, die SS-Sportgemeinschaften, der Lebensborn, Sanitätseinheiten zur ersten Hilfeleistung, Fronthilfe der Deutschen Reichspost, Nachrichteneinheiten und so weiter.

Affidavits Gruppe VII nehmen zur Frage Stellung, wie die Einstellung der SS zur Kirche war. 3174 Affidavits liegen vor, die an Hand von verschiedenen positiven Feststellungen damit schließen, daß nach ihrer Überzeugung eine Verfolgung der Kirche durch die SS-Führung nicht gewollt gewesen sei.

Unter VIII sind 127 Affidavits zusammengefaßt, die die Tatsache bekunden, viele Ämter Himmlers hätten mit der SS nichts zu tun gehabt und weiter, zwischen Himmler und der SS sei besonders im Laufe des Krieges eine Entfremdung eingetreten.

435 Affidavits sind zusammengefaßt unter IX. Sie beschäftigen sich mit dem Verhalten der Gegenseite während des Krieges und nach der Kapitulation.

Diese Affidavits enthalten auf Grund eigener Erlebnisse der SS-Männer Feststellungen über Völkerrechtswidrigkeiten, die im Kampfe von anderen Seiten geschehen sind. Unter Angabe von Ortsnamen, unterteilt nach Kriegsschauplätzen, Nationalität des [411] Gegners und Art der Übergriffe. Die Aufstellung soll erweisen, daß solche Übergriffe im Kriege eben schlechthin nicht unterbunden werden können und daß deshalb aber nicht auf ein System geschlossen werden darf. Sie sollen dazu dienen zu zeigen, daß den deutschen Truppen – insbesondere der Waffen-SS – bei Vorliegen einzelner Völkerrechtswidrigkeiten, die, wie die Affidavits teilweise sagen, auch bestraft worden sind, ein System nicht zur Last gelegt werden kann.

Die letzte Gruppe ist X; umfaßt eine Sammlung von 57 Affidavits, die die tatsächlichen, persönlichen Eindrücke von Ausländern über die SS schildern. Aus der Anerkennung gerade dieser ausländischen Persönlichkeiten, die im Kreise der SS bekannt wurden, schloß der SS-Mann, daß die Gesamthaltung der SS nicht verbrecherisch sein könne, sondern daß sie von der allgemeinen Weltmeinung nicht beanstandet wurde. Es sind verschiedene Persönlichkeiten aufgezählt auf Grund besonderer Vorfälle, und es sind geschildert die Meinungen von Amerikanern, Engländern, Russen, von bekannten Persönlichkeiten: Daladier, Chamberlain, Lord Rothermere und auch Chaim Weizmann. Und schließlich überreiche ich noch – und erläutere sie nicht weiter – eine Statistik, die auf Grund eines Rundschreibens verfaßt worden ist. Damit bin ich am Ende meines Urkunden- und Affi davitsvortrags.


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Sind Sie der nächste?


DR. LATERNSER: Zunächst überreiche ich die Liste derjenigen 14 Zeugen, deren Aussagen vor der Kommission ich zu verwerten gedenke, sowie die Protokolle über ihre Vernehmung.

Ich habe weiter eine vollständige Liste der der Kommission überreichten Affidavits angefertigt und überreicht. Die Liste befindet sich in einem Bande, der dem Gericht in englischer Übersetzung vorliegt. Es ist diejenige Liste, die Herr Präsident bereits heute vormittag einmal erwähnt haben. Ich habe die Liste nach Sachgebieten geordnet und mit einem Inhaltsverzeichnis versehen. In ihr befinden sich die Nummern der Affidavits, Name des Ausstellers und kurze Inhaltsangabe des Affidavits. Auf diese Weise läßt sich das umfangreiche und nach meiner Meinung besonders wertvolle Beweismaterial gut erfassen.

Die Grundlage für die Beurteilung des angeklagten Personenkreises bildet der Aufbau der obersten Wehrmachtsführung. Zu diesem Zwecke überreiche ich das Dokument Mil-2, das Sie auf Seite 12 und 13 des ersten Dokumentenbandes finden. Aus der Skizze auf Seite 13 ergibt sich das tatsächliche Unterstellungsverhältnis innerhalb der obersten Wehrmachtsfüh rung. Die Vorlage dieses Dokuments ist deshalb zum Gegenbeweis erforderlich geworden, weil die von der Anklage vorgelegte Zeichnung über [412] den Aufbau der Wehrmachtsführung – und zwar US-531 und 532 – in verschiedenen Punkten unzutreffend ist und hierdurch immer wieder zu Mißverständnissen geführt hat.

Über die Zuständigkeit für die Kriegführung überreiche ich das Dokument Mil-3. Es handelt sich dabei um eine größere Skizze. Die Skizze auf Seite 13 zeigt den Aufbau, und mit dieser Skizze will ich die Abgrenzung der Verantwortlichkeit zwischen den militärischen Führern und den anderen Organen der Kriegführung zeigen.

Aus dieser Skizze ergibt sich: Erstens: Klare Trennung der militärischen Kriegführung, für die die militärischen Führer verantwortlich zu machen waren, von der weltanschaulichen politischen Kriegführung, die von Hitler und seinen Organen unternommen wurde. Die militärischen Befugnisse dieser Verantwortung sind blau gezeichnet, der Bereich der weltanschaulich politischen Führung rot.

Die Skizze ergibt zweitens die Verteilung der Befehlsbefugnisse und damit der Verantwortung zwischen militärischen und politischen Führern. Die sachliche Verteilung derselben zeigt die Aufgaben, die die militärischen Führer hatten – sie sind blau gezeichnet – und die Aufgaben, die in anderen Händen lagen – sie sind rot. Die Skizze zeigt weiter, welche Aufgaben auch in den unter der militärischen Territorialhoheit stehenden Operationsgebieten von anderen Faktoren, also nicht den militärischen Führern, verantwortlich durchgeführt wurden. Also: Unterhöhlung der Befehlsgewalt der militärischen Führer auch in den Operationsgebieten.

Die gebietsmäßige Verteilung der Gewalt und damit auch der Verantwortung ergibt sich ebenfalls aus dieser Skizze. Den militärischen Führern unterstanden nur die eng begrenzten Operationsgebiete, das heißt die Länder und Landesteile, in denen militärische Operationen durchgeführt wurden und solange diese andauerten. In allen anderen Gebieten war die ausübende Gewalt völlig in den Händen der politischen Führung, die rot gekennzeichnet ist.

Noch ein Hinweis zu dieser Skizze. Die schwarz gezeichneten Gebiete und die Verantwortung der Wehrmachts- und Militärbefehlshaber berühren den angeklagten Personenkreis nicht, weil diese militärischen Befehlshaber nicht unter die Anklage fallen. Die Richtigkeit der Skizze ist eidesstattlich versichert durch General Winter vom Wehrmachtführungsstab.

Nachdem ich den Aufbau der Wehrmachtsführung als Grundlage gegeben habe, wende ich mich dem angeklagten Personenkreis und der Art seiner Zusammensetzung zu. Die Anklage hat den Personenkreis in einer Liste...


[413] VORSITZENDER: Dr. Laternser! Der Gerichtshof möchte gern wissen, ob die drei Farben in dieser Skizze verschiedene Bedeutung haben, nämlich blau die Armee bedeutet, rot die politischen Kräfte und noch eine andere unbestimmbare Farbe, eine Mischung von rot, blau und schwarz, einen unbestimmten Teil, der halb politisch und halb militärisch ist.


DR. LATERNSER: Jawohl, Herr Präsident, das ist richtig. Die dritte Farbe soll schwarz sein, und diese schwarz gezeichneten Gebiete zeigen Gebiete der Wehrmachts- und Militärbefehlshaber. Das sind nicht Frontoberbefehlshaber, sondern militärische Befehlshaber, die eine gewisse territoriale Gewalt hatten, und ich habe mir erlaubt hinzuzusetzen, daß diese Art der Befehlshaber, deren Gebiete schwarz eingezeichnet sind, nicht unter den angeklagten Personenkreis fallen.


VORSITZENDER: Bedeutet das, daß zu dem von Ihnen schwarz gezeichneten Teil auch rückwärtige militärische Dienststellen gehörten, die nicht an den Operationen beteiligt waren? Es bedeutet also nicht, daß schwarz etwas mit politischer Einflußnahme zu tun habe?


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Diejenigen, die diese Befehlsbefugnisse hatten, fallen nicht unter den angeklagten Personenkreis, denn...

Die Anklage hat den Personenkreis in einer Liste US-778 zusammengefaßt. Diese Urkunde finden Sie auf den Seiten 15 bis 22 in meinem Dokumentenbuch, und sie zählt 129 Personen zu diesem Kreis.

Ich überreiche nunmehr das Dokument Mil-4, dem drei Tabellen angefügt sind, die an Hand des Anklagedokuments US-778 aufgestellt wurden.

Ich bitte Sie, sich zunächst Tabelle I, und zwar Seite 24 des Dokumentenbuches, zuzuwenden. Aus dieser Tabelle ergibt sich beispielsweise: Erstens, daß am 1. März 1933 nur einer der unter die Anklage fallenden Führer in einer hohen Stellung war, zweitens: am 1. März 1938 waren es nur sieben, drittens: am 1. September 1939, also bei Kriegsbeginn, 22. Viertens: Es interessiert ferner, daß, wie sich aus der Spalte 8 ergibt, im November 1944 die Höchstzahl mit 52 erreicht war und daß fünftens insgesamt nur neun Generale und Admirale während des ganzen Krieges in einer der angeklagten Stellungen waren.

Die Tabelle II, Seite 25, ist eine graphische Darstellung über die Dauer der Zugehörigkeit der durch die Anklage betroffenen Generale zu der angeblichen Gruppe. Sie ersehen aus den Spalten 2 bis 5, daß eine lange Zugehörigkeit nur eine Einzelerscheinung war. Sie ersehen weiter aus Spalte 9, daß die Höchstzahl von 21 [414] zwei bis zweieinhalb Jahre lang eine unter die Anklage fallende Stellung innehatten, während insgesamt 61 Personen lediglich während eines Zeitraumes von weniger als einem Jahr zur angeblichen Gruppe gehörten. Diese Zahl von 61 ergibt sich aus der Addition der Spalten 12 bis 18.

Auch die Tabelle III, Seite 26 des Dokumentenbuches, zeigt insbesondere durch die Spalten 4 und 5, daß von 129 Generalen und Admiralen 100 weniger als zwei Jahre hohe Stellungen inne hatten, also der weit überwiegende Teil der betroffenen militärischen Führer.

Ich überreiche nunmehr das Dokument Mil-6. Eine Abschrift befindet sich auf den Seiten 27 bis 33 meines Dokumentenbuches I.

Dieses Dokument besteht aus einer Namensliste sämtlicher betroffener Führer. Aus der Liste ist zu ersehen, wie viele der militärischen Führer sich zur Zeit wichtiger Ereignisse in Stellungen befanden, die unter die Anklage fallen. Das Gericht ersieht aus Seite 27 beziehungsweise 29, daß erstens am 1. März 1933, also zur Zeit der Machtänderung, ein General, zweitens am 5. Februar 1938, dem Stichtag für diese Anklage gegen diese militärischen Führer, nur sechs Generale und drittens am 1. September 1939 dreiundzwanzig Generale von den in der Liste der Anklage – US-778 – aufgeführten Personen in betroffenen Dienststellungen waren.

Bemerkenswert ist hier vor allen Dingen, daß am 1. November 1944, also zu einem Zeitpunkt, an dem es sich im wesentlichen noch um die Verteidigung der Landesgrenzen handelte, die Höchstzahl der gleichzeitigen Zugehörigkeit erreicht wird. Es handelt sich dabei um 49 Generale.

Mit dem Dokument Mil-7, von dem sich Abschrift auf den Seiten 34 bis 40 des Dokumentenbuches I befindet, will ich eine andere Betrachtung der betroffenen Personen geben. Die Liste 2 auf Seite 36 bis 40 zeigt die Zugehörigkeit zur angeblichen »Gruppe« während einzelner Perioden. Aus der ersten Spalte der Liste ergibt sich, daß vor Juni 1941 33 Generale in Stellungen gekommen waren, die unter die Anklage fallen. Von diesen leben nur noch 21 Generale. Bis zum Fall von Stalingrad im Februar 1943, also in der Periode noch laufender Offensivoperationen, kamen 27 weitere Generale in Anklagestellungen. Vom Februar 1943 bis Kriegsende, in einem Zeitraum also, in dem es sich nur noch um strategische Defensive, später um reinen Defensiv- oder Existenzkampf handelte...


VORSITZENDER: Sie sagten etwas darüber, daß nur eine gewisse Anzahl von diesen Leuten noch am Leben sei. Das geht aus der Tabelle aber nicht hervor.


[415] DR. LATERNSER: Herr Präsident! Das wird sich aus einer späteren Tabelle ergeben, auf die ich dann verweisen werde.

Ich sagte, daß in der letzten Periode vom Februar 1943 bis Kriegsende weitere 69 militärische Führer in Anklagestellungen kamen.

Ich will mit diesem Dokument beweisen, daß erstens von den 129 betroffenen Offizieren nur insgesamt 33, das sind 25 Prozent an der Vorbereitung von Kriegen und deren Beginn teilgenommen haben können; zweitens 69 Generale, das sind über 50 vom Hundert der Betroffenen, können an Angriffsplanungen nicht teilgenommen haben. Drittens 40 Generale, das sind 30 vom Hundert, sind erst in Anklagestellungen gekommen, als es sich nur mehr um die Verteidigung der Landesgrenzen handelte.

Aus Ziffer 5, Seite 35, ersehen Sie, daß von 129 Generalen 80 früher Generalstabsoffiziere waren, 49 dagegen nicht.

Ich wende mich nunmehr dem Dokument Mil-8 zu, das sich auf den Seiten 41 bis 48 des Dokumentenbuches I befindet.

Mit diesem Dokument möchte ich dem Gericht verschiedenartigen Beweis erbringen:

Erstens: Aus den ersten drei Spalten der Liste 3, auf Seite 43 bis 48, ersehen Sie die Zahl der Toten, die Zahl derjenigen, die einzeln angeklagt sind oder wurden und die Zahl solcher Offiziere, die nur mit der Führung einer Armee beauftragt waren, also nicht endgültig eine unter die Anklage fallende Dienststellung innehatten.

Die Summe dieser drei Spalten ergibt die Zahl 56, die auf Seite 41 errechnet ist, um die sich sonach die Anzahl der 129 betroffenen Offiziere mindert und damit auch die praktische Auswirkung eines Urteils, das sich somit höchstens auf 73 Personen erstrecken könnte.

Zweitens: Die letzten beiden Spalten der Liste ergeben die Anzahl derjenigen Offiziere, die vor Kriegsende aus ihren Stellungen ausgeschieden sind, sei es auf Befehl, durch Tod oder Gefangenschaft. Es sind 70 Generale und Admirale von der Gesamtheit von 129. Dabei möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichts...


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß es sehr wichtig ist, aber die letzte Spalte, die den Grund angibt, scheint nicht mit der bis jetzt gegebenen Aussage übereinzustimmen. Vielleicht ist es eine Fehlübersetzung. Ich weiß es nicht. Generalfeldmarschall von Brauchitsch und der in der letzten Spalte aufgezeigte Grund... es scheint, der Grund ist uns bereits gesagt worden.


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich werde die beiden Spalten noch erläutern und dem Gericht angeben, was in dieser Liste unter den Begriff »Ungnade« alles fallen soll. Die Erklärung habe ich vorgesehen, daß ich sie dem Gericht geben möchte. Ich wollte die[416] Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken, daß sich aus den beiden Spalten ergibt, daß allein 36 Generale zumindest wegen schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten mit Hitler, zum Teil auch wegen aktiven Widerstandes gegen ihn aus den Stellungen gekommen sind. Wie sich hier aus der bei dieser Liste befindlichen eidesstattlichen Erklärung zur Erläuterung dieser Liste ergibt, wird unter der Angabe »Ungnade« eine schwerwiegende Meinungsverschiedenheit zwischen dem betroffenen Offizier und Hitler verstanden.


VORSITZENDER: Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß General von Brauchitsch gegenüber, als er als Zeuge hier war, keine dahinzielende Frage gestellt wurde.


DR. LATERNSER: Ich glaube, mich erinnern zu können, Herr Präsident, daß er von tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen sich und Hitler gesprochen hat.


VORSITZENDER: Es ist ein englisches Wort, und es scheint mir ganz und gar unangebracht zu sein. Fahren Sie fort.

DR. LATERNSER: Unter dieser Zahl von 36 Generalen, die aus ihren Stellungen wegen Meinungsverschiedenheiten ausgeschieden sind, befinden sich auch, wie aus der Liste ersichtlich, der wegen Beteiligung am 20. Juli 1944 zum Tode verurteilte Generaloberst Höppner, der gleiche General, der nach Ansicht des Berichtsverfassers der Urkunde L-180 eine besonders enge Zusammenarbeit...


VORSITZENDER: Dr. Laternser! Ich sehe, daß dasselbe Wort auf den Angeklagten Raeder angewandt ist, und meine Bemerkung trifft gleichfalls auf ihn zu. Ich bemerke, daß es auch auf ihn zutrifft.


DR. LATERNSER: Ich bitte, nach der Pause zu diesem Punkt nochmals kurz Stellung nehmen zu dürfen.


VORSITZENDER: Ja natürlich, setzen Sie jetzt bitte fort.


DR. LATERNSER: Ich habe darauf hingewiesen, daß sich in der Liste auch der Name des Generaloberst Höppner befindet, der wegen Beteiligung am 20. Juli zum Tode verurteilt worden ist – es ergibt sich aus den letzten beiden Spalten – und ich wollte das Gericht in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß das derselbe General ist, der nach Ansicht des Berichtsverfassers der Urkunde L-180 eine besonders enge Zusammenarbeit mit der Einsatzgruppea gehabt haben soll.

Ich überreiche nunmehr das Dokument Mil-9, das sich auf Seite 49 bis 54 des Dokumentenbuches I befindet. Ich verweise lediglich darauf, daß sich aus dieser Liste diejenigen 31 Offiziere ergeben, die nur weniger als sechs Monate in einer unter die Anklage fallenden Dienststelle gewesen sind. Die meisten dieser Offiziere waren, wie sich ebenfalls aus dieser Liste ergibt, nicht zu [417] Oberbefehlshabern ernannt, sondern lediglich mit der Führung der Geschäfte beauftragt.

Ich gehe nunmehr zu Dokument Mil-10 über, auf das ich die besondere Aufmerksamkeit des Gerichts lenken möchte. Es befindet sich auf den Seiten 55 bis 61 des Dokumentenbuches I.

Aus diesem Dokument kann das Gericht ersehen, welche Dienstgrade die einzelnen von der Anklage betroffenen Offiziere zur Zeit besonderer Ereignisse gehabt haben, zum Beispiel bei Kriegsbeginn. Diese Zusammenstellung läßt sonach ganz klare Schlüsse zu, inwieweit die unter die Anklage fallenden Offiziere auf diese Ereignisse entscheidenden Einfluß hatten.

Wie aus der ersten Spalte der Liste 5, Seite 58 bis 61, errechnet werden kann – das Ergebnis finden Sie auf Seite 55, Ziffer 1 – bekleideten am 1. September 1939, also bei Kriegsbeginn, von den gesamten 107 noch lebenden Generalen und Admiralen insgesamt 47 noch den Rang eines Stabsoffiziers. Sie waren also Major, Oberstleutnant oder Oberst. Insgesamt 48 waren noch Generale niederen Ranges, und von diesen gesamten 107 unter die Anklage fallenden Generalen waren nur sieben Spitzendienstgrade, wovon fünf Generaloberste und zwei Feldmarschälle waren. Von fünf der Lebenden sind bestimmte Angaben nicht vorhanden.

Auf die weiteren Zusammenfassungen bei früheren Ereignissen, errechnet auf den Seiten 56 und 57, verweise ich lediglich.

Hinsichtlich der Zusammensetzung der angeblichen Gruppen muß ich noch auf folgendes aufmerksam machen:

Auch die Inhaber der Dienststellung: Stellvertretender Chef des Wehrmachtführungsstabes werden – offenbar nach Affidavit 6 des Generaloberst Halder, US-533 – durch die Anklage erfaßt.

Ich verweise hinsichtlich der Aufgaben und Bedeutung dieser Stellung auf das Kreuzverhör Halder vor der Kommission, Seite 3309 des Protokolls. Danach haben die Inhaber dieser Stellung nicht entscheidend an strategischen Fragen gearbeitet. Ihre Dienststellung hat auch nicht im entferntesten der Bedeutung entsprochen, die die übrigen unter die Anklage fallenden Stellungen hatten.

Damit habe ich die Beweise für die Art der Zusammensetzung des angeklagten Personenkreises beendet.

Die Anklage ist der Meinung, daß der angeklagte Personenkreis eine organisationsähnliche »Gruppe« gebildet hat.

Die zum Beweis hierfür von der Anklage vorgelegten Affidavits Nummer 1 des Generaloberst Halder, US-531, und Nummer 2 des Feldmarschalls von Brauchitsch, US-532, haben nicht den ihnen von der Anklage gegebenen Sinn.

Hierzu verweise ich erstens auf das von mir durchgeführte Kreuzverhör des Generaloberst Halder vor der Kommission, und [418] ich bitte das Gericht, eine Stelle aus dieser Vernehmung zur Verlesung bringen zu dürfen, damit dieser Punkt im Protokoll geschlossen erscheint.

Auf Seite 3298 befindet sich folgende Angabe, und ich zitiere:

»Durch Dr. Laternser:

Frage: In Ihrem Affidavit Nr. 1 gebrauchten Sie viermal das Wort ›Gruppe‹. Stammt dieser Ausdruck ›Gruppe‹ von Ihnen?

Antwort: Nein. Er war im Text, dem mehrfach geänderten Text enthalten, in dem ich ihn habe stehenlassen.

Frage: Haben Sie diesen Ausdruck ›Gruppe‹ in ähnlichem Zusammenhang vorher schon gebraucht, daß Sie also die militärischen Führer als ›Gruppe‹ bezeichnet haben?

Antwort: Nein.

Frage: Welchen Sinn haben Sie diesem Wort ›Gruppe‹ gegeben im Augenblick, als Sie die Erklärung unterzeichnet haben?

Antwort: Ich habe mir nicht allzuviel Gedanken bei diesem Wort gemacht. ›Gruppe‹ ist der Begriff für Anzahl.

Frage: Sie meinen also mehrere Generale, oder meinten Sie einen bestimmten Personenkreis, der zu einem bestimmten Zweck fest zusammengefaßt ist?

Antwort: Eine Anzahl von Generalen, die man vielleicht als führende Generale bezeichnen kann.

Frage: Die Anklagebehörde legt nun nachträglich den in Ihrer Erklärung befindlichen Ausdruck ›Gruppe‹ so aus, als ob eine Organisation der militärischen Führer bestanden habe. Hat es jemals eine derart behauptete organisatorische Gruppenbildung gegeben?

Antwort: Nein.«

Zweitens: Den Feldmarschall von Brauchitsch habe ich zu dem Affidavit Nummer 2 hier vor diesem Gericht gehört.

Die Anklage hat dafür, daß die Frontoberbefehlshaber angeblich der tatsächliche Beraterkreis des Oberkommandos gewesen seien, das Affidavit Nummer 5 des Generaloberst Blaskowitz, US-537, vorgelegt.

Ich verweise auf das übersetzte Affidavit Generalstab Nummer 55, in dem Generaloberst Blaskowitz auf meine Anforderung hin eine auslegende Erklärung für das von ihm der Anklage erteilte Affidavit gibt.

Nach diesem mir gegebenen Affidavit waren die Oberbefehlshaber kein Beraterkreis, sondern lediglich wie in jeder Armee [419] Einzelberater im eigenen Befehlsbereich. Die Deutung also, die die Anklage dem Affidavit Nummer 5 gibt, ist sonach nicht richtig.

Ich verweise weiter auf die Affidavits Nummer 1 bis 55, aus denen sich ebenfalls die Beweise dafür ergeben, daß die höchsten militärischen Stellen keine organisationsähnliche »Gruppe« gebildet haben.

Besondere Beachtung bitte ich, den Affidavits 1 bis 4 in der Liste zu schenken, die übersetzt worden sind, aus denen ich aber Stellen nicht verlesen möchte.

Daß Marine und Luftwaffe mit den Generalen des Heeres keine »Gruppe« gebildet haben, ergibt sich aus den Affidavits Nummer 3145, 12 und 3097 des Generaladmirals Schniewind und der Generale Stumpff und Koller. Insbesondere aus dem Affidavit 3145 des Generaladmirals Schniewind kann das Gericht alles dasjenige entnehmen, was für die Marineoberbefehlshaber und deren Beurteilung erforderlich erscheint.

Des weiteren verweise ich auf die Zeugenaussagen sämtlicher vor der Kommission vernommenen Generale, die gleichfalls das Vorhandensein einer »Gruppe« leugnen.

Besonders wichtig erscheint die Vernehmung des Generals von Buttlar zu sein, der auf Seite 11285/86 des englischen Textes des Gerichtsprotokolls darüber Bekundungen macht, auf welche Weise Berufungen in die unter die Anklage fallenden Dienststellungen erfolgten.

Damit beende ich meinen Beweisvortrag über die Frage, ob eine »Gruppe« vorgelegen hat oder nicht.

Ich wende mich nunmehr kurz der Beweisführung über die allgemeine Einstellung der betroffenen Generale zu.

Die in der grundlegenden Anklagerede des Herrn Justice Jackson behauptete allgemeine Einstellung der Generale hat einen unsicheren Boden. Herr Justice Jackson bezieht sich hierzu auf Dokument 1947-PS. Bei diesem Dokument 1947-PS, das für die Rede aufbauenden Charakter hat, soll es sich um einen angeblichen Brief des Generaloberst von Fritsch handeln, den dieser am 11. Dezember 1938 an eine Baronin von Schutzbar-Milchling gerichtet und in dem er geschrieben haben soll, daß drei Schlachten gewonnen werden müßten, nämlich erstens gegen die Arbeiter, zweitens gegen die katholische Kirche und drittens gegen die Juden.

Trotz mehrfacher Anforderung habe ich weder das Original noch eine Photokopie dieses Dokuments einsehen können. Ich erhielt die Mitteilung, daß es mir zugänglich gemacht würde, falls es aufgefunden worden sei.

Ich verweise gegenbeweislich das Gericht auf das übersetzte Affidavit Nummer 180 der Baronin von Schutzbar-Milchling, die in [420] diesem erklärt, daß sie den angeblichen Brief des Generaloberst von Fritsch niemals erhalten habe.

Wenn dieses Schlüsseldokument 1947-PS bis zum Schluß der Verhandlung nicht vorgelegt werden kann – ich betone, es ist bisher noch nicht vorgelegt, aber verwendet worden – müßte – was ich hiermit ausdrücklich beantrage – der Teil der Anklagerede des Herrn Justice Jackson gestrichen werden, der auf dieses Dokument, das ja nicht vorgelegt worden ist, Bezug nimmt.

VORSITZENDER: Wenn das Dokument nicht bewiesen worden ist, wird ihm der Gerichtshof keine Beachtung schenken. Wenn es nicht zum Beweise vorgelegt wurde, ist es völlig unnötig, ein Dokument vorzulegen, das die Existenz des ersten Dokuments bestreitet. Wir werden diesen Teil nicht zur Kenntnis nehmen.

Ich entnehme Ihrer Erklärung, daß Justice Jackson auf einen Brief Bezug genommen hat. Dieser Brief ist als Beweismittel nicht vorgelegt worden. Wenn dieser Brief als Beweismittel nicht vorgelegt worden ist, so wird der Gerichtshof dem, was Justice Jackson in seiner Rede darüber gesagt hat, keine Beachtung schenken, und es ist völlig unnötig, daß Sie ein Affidavit beibringen, das die Existenz des Briefes bestreitet. Ist das klar?


DR. LATERNSER: Ja, aber es ist doch verwertet worden, Herr Präsident. Herr Justice Jackson hat diesen angeblichen Brief...


VORSITZENDER: Sie haben uns nun gesagt, er hätte nicht verwertet werden sollen, weil er nicht als Beweismittel vorgelegt worden ist. Wir wollen in solchen Dingen genau sein und Hinweise auf Dokumente nur dann zulassen, wenn diese als Beweismittel vorgelegt worden sind.


DR. LATERNSER: Für das Mißtrauen, das Hitler der militärischen Führung entgegenbrachte, sind in diesem Verfahren bereits mehrfach Beweise erbracht worden. Ich verweise das Gericht auf Affidavit 200, ausgestellt von Generalleutnant Engel, einem Offizier, der längere Zeit in der nahen Umgebung Hitlers war und das wachsende Mißtrauen Hitlers beobachten konnte. Ich will aus diesem Affidavit nichts zitieren.

In diesem Zusammenhang verweise ich weiter auf das Affidavit Nummer 3182 des Generals Warlimont, der ebenfalls vielsagende Aussprüche Hitlers wiedergibt, auf die ich zur Abkürzung nur Bezug nehme.

Bezüglich der Einstellung der militärischen Führer zur Partei und deren Methoden verweise ich nur beispielsweise auf das übersetzte Affidavit Nummer 175, in dem der damals zuständige Offizier, Generalmajor Seegers, den Kampf schildert, der von militärischer Seite um Belassung der jüdischen Offiziere geführt worden ist.

[421] Ich verweise weiter auf den Inhalt der Affidavits 160 bis 177, aus denen sich viele Einzelheiten über die unpolitische Stellung der militärischen Führung ergeben.

Zur Frage der Aufrüstung möchte ich ergänzend nur auf das Affidavit Nummer 126 verweisen, in dem General Berlin bekundet, daß der Generalstab aus dem Programm 1933/1934 die Entwicklung schwerster Steilfeuer-Artillerie mit der ausdrücklichen Begründung gestrichen hat, daß Deutschland keine Angriffskriege führen wolle.

Ich verweise weiter auf das Affidavit Nummer 127 des Generalmajors Hesselbarth, aus dem sich ergibt, daß bei Kriegsbeginn die vorhandenen Waffen und Geräte für die im Mobilisierungsfalle aufgestellten Einheiten nicht vollzählig vorhanden waren. Auf den weiteren interessanten Inhalt dieses Dokuments verweise ich.

Die Anklagebehörde hat zur Frage der Absichten der Aufrüstung für die Luftwaffe ein Dokument L-43, GB-29, vorgelegt, aus dem sich angeblich die Aufbauabsichten der Luftwaffe ergeben sollen.

Ich verweise auf den Inhalt des Affidavits Nummer 101 des damaligen Generalstabschefs, Generaloberst Stumpff, der ausdrücklich bekundet, daß es sich dabei um eine private Organisationsstudie des Generals Kammhuber handelt.

Inhaltlich verweise ich auf die Affidavits Nummer 102 bis 152, aus denen sich, belegt durch viele Einzeltatsachen auf den verschiedenartigsten Gebieten, ergibt, daß jedenfalls von Seiten der militärischen Führung bei der Durchführung der Aufrüstung Angriffskriege nicht ernstlich erwogen wurden.

Ich verweise weiter auf den Inhalt der Affidavits 181 bis 205, aus denen sich, ebenfalls belegt durch eine Menge von Einzelheiten, ergibt, daß ausländische Offiziere an deutschen Ausbildungskursen und Übungen teilgenommen haben, daß die Lagen bei Kriegsspielen und Übungsreisen nur auf die Verteidigung abgestellt waren und daß sich auch der Dienstplan auf der Militärakademie, die ja für die Ausbildung der Generalstabsoffiziere bestanden hat, hauptsächlich mit der Verteidigung befaßte.

Was die bewußte Beteiligung der militärischen Führer an Angriffskriegen anbelangt, will die Anklage beweisen, daß die militärischen Führer frühzeitig von den Plänen Hitlers unterrichtet gewesen seien und führt hierzu das Hoßbach-Protokoll vom 5. November 1937 an, 386-PS, US-25.

Ich verweise auf die eidesstattliche Erklärung des Verfassers dieses Protokolls, General Hoßbach selbst, über das Zustandekommen dieses Dokuments. General Hoßbach gibt in dem Affidavit 210, das er mir zugesandt hat, ausdrücklich an, daß er sich bei der Besprechung keine Notizen gemacht und die Niederschrift erst einige Tage später vorgenommen habe. Das Dokument ist übersetzt.


[422] VORSITZENDER: Sagt er in dem Affidavit, ob ihm eine Abschrift der Aufzeichnungen gezeigt wurde oder ob er irgendwelche Bemerkungen dazu zu machen wünsche?


DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich muß offen gestehen, daß ich bei der Fülle des Materials das im Augenblick nicht sagen kann. Ich möchte sowieso darum bitten, jetzt zu unterbrechen. Ich kann das dann dem Gericht mitteilen, wenn ich es nachgesehen habe. Ich möchte auch noch einige Kürzungen vornehmen, die sich dann später sicher rentieren werden.


VORSITZENDER: Gut.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 21, S. 395-424.
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