Mutter Thorheit, ein Fest zu Dijon.

[224] Fast sollte man glauben, daß die angenehmen Künste, und selbst solche, die sich oft bis ins Gebiet des Erhabenen schwingen, manchmal einen sehr unedlen Ursprung gehabt haben. Thespis war, wie bekannt, der erste Erfinder des Drama; mit Hefen beschmiert zog er mit seinem Karren von Stadt zu Stadt, und hatte noch einige lustige Possenreisser bei sich, die auf diesen wandelnden Bühnen Verse zum Lobe des Bacchus, und oft Satyren auf Leute in Aemtern, absangen. Und doch waren es Possen dieser Art, welche vor den Meisterstücken der Sophoklesse und Euripidesse hergingen, und diesen das Daseyn gaben. Wer weiß, wenn die Narren- und Eselsfeste sich länger in Dijon erhalten hätten, ob nicht zuletzt Dinge dadurch erzeugt worden wären, die sogar die Achtung von geschmackvollen Kennern verdient hätten. Der gelehrte Präsident, Brüchier, und der berühmte Monoyer haben es ihrer nicht unwürdig gefunden, die Geschichte dieser Feste zu beschreiben. Wir wissen, aus der Beschreibung das[225] letztern, daß am Tage des Eselsfestes ein Esel, mit einem schönen Chormantel behangen, seinen Platz, so zu sagen sitzend, im Chor der Chatedralkirche von Dijon einnahm; daß die Chorherren sich Einer nach dem andern vor ihm beugten und dazu anstimmten:


Orientis partibus,

Adventavit afinus

Pulcher et fortissimus etc.


worauf das Volk antwortete:


Eh, eh, eh, Sire âne chantez,

Car belle bouche vous avez,

Eh, eh, eh, Sire âne,

Eh, eh, eh, Sire âne,

Eh, eh, eh, Sire âne chantez!


Die Mitglieder der Narren- und Eselsfeste traten in der Folge zusammen, nur eine einzige Gesellschaft unter dem Namen der Brüderschaft der Mutter Thorheit, la confrairie de la mère follie, auszumachen. Der Ursprung dieser sonderbaren Societät verliert sich im vierzehnten Jahrhunderte. Es scheint, daß sie nach dem Muster der Gesellschaft errichtet wurde, welche[226] Adolph, Graf von Cleve, gegen das Jahr 1381. in seinen Staaten stiftete. Dem sey wie ihm wolle, genug, der Zweck der Dijoner Gesellschaft war einzig Freude und Vergnügen. Sie bestand aus mehr denn fünf hundert Personen aus allen Ständen. Sie gaben ihre Schauspiele zur Zeit des Carnevals; dann strichen die Brüder, als Winzer verkleidet, auf Karren durch die Straßen der Stadt, und sangen gewöhnlich Gassenhauer, wider die Sitten und Gebräuche gerichtet, die eben Mode waren. Sie hielten ihre Versammlungen in dem Saale eines Ballspielhauses. Die drei letzten Tage des Carnevals trugen auf Requisition des Fiskals der Brüderschaft, welcher der grüne Fiskal hieß, alle Brüder grün-, gelb- und rothscheckige Kleidungen, und Mützen von derselben Farbe, mit zwei Hörnern, an deren Ende Schellen befestigt waren; in der Hand aber führten sie eine Narrenkappe mit einem Narrenkopfe geziert. Das Haupt der Gesellschaft wurde Mutter Thorheit genannt, und hatte seinen Hofstaat, seine Schweizerwache, seine Leibwache zu Pferde, seine Justiz- und Hausbedienten, seinen [227] Kanzler, und seinen Oberstallmeister. Seine Urtheilssprüche wurden vollzogen; es konnte davon bloß direkte ans Parlament appellirt werden. Sein Fußvolk bestand aus zweihundert Mann, und hatte eine grüne, mit Narrenköpfen besäete Fahne, mit der Umschrift: »Der Narren Menge ist unzählbar.« Die Fahne der Brüderschaft hatte zwei Wimpel, von rother, grüner und gelber Farbe, woraus wahrscheinlich in der Folge die Tracht des Hanswurst entstanden ist: es war darauf eine sitzende Frauensperson vorgestellt, die eine grüne und gelbe Mütze mit Schellen aufhatte, und in obige drei Farben gekleidet war; sie hielt in der Hand eine Narrenkappe, mit einem Narrenkopfe und einem Hörnerpaare geschmückt; unzählige kleine, eben so aufgesetzte Narren krochen unter ihrem Rocke hervor. Wer in die Gesellschaft aufgenommen wurde, erhielt ordentliche Bestallungsbriefe, von der Mutter Thorheit und dem grünen Schreiber, dem Sekretair der Brüderschaft, unterschrieben und mit ihrem Insiegel petschirt.

Wenn die Glieder dieser originellen Gesellschaft sich versammelten, um mit einander zu speisen, [228] so gab jedes Mitglied seine Schüssel, die immer etwas Sonderlingsches haben mußte; dabei wußten sie es so einzurichten, daß selten zwei Schüsseln einander gleich waren. Bei feierlichen Gelegenheiten hatte die Brüderschaft große gemahlte Karren in ihrem Zuge, auf welchen wunderlich gekleidete Personen Spottgedichte vor den Thüren der Vornehmsten der Stadt hersagten. Das Gefolge war sehr zahlreich. Vier Heroldr eröffneten den Marsch, dann kamen: der Hauptmann der Leibwache, die Karren, dann die Mutter Thorheit, vor der zwei Herolde hergingen. Sie saß auf einem weißen Zelter, und wurde von sechs Staatsdamen und sechs Edelknaben begleitet, welche auf Eseln ritten, und zwölf Bediente zu Fuß um sich hatten, die Pferdeschwänze trugen, womit sie die Fliegen scheuchten, und die Mutter Thorheit fächelten. Hierauf erschienen die Fahnenträger, sechszig Hausbediente, die Stallmeister, die Falkeniere, der Großjägermeister der Fähndrich, funfzig Reuter, der grüne Fiska und zwei Räthe; die Schweizerwache machte den Schluß. Wer in diese Gesellschaft treten wollte, [229] mußte in Reimen auf die gleichfalls gereimten Fragen antworten, welche ihm der grüne Schreiber vorlegte. Nach der Aufnahme setzte man ihm die dreifarbige Mütze auf, und wies ihm einen Gehalt auf imaginirte, nicht existirende, Gefälle an.

Man besitzt noch die Aufnahme-Akte von Heinrich von Bourbon, Prinzen von Conde, und ersten Prinzen vom Geblüt, in diese Gesellschaft. Ein Edikt Ludwig's XIII. vom 21sten Juny 1636 hob diese Gesellschaft unter dem Vorwande auf, daß sie die Ruhe der Stadt Dijon störte. Sie hat in der Folge unter der Gestalt und der Benennung des Regiment de la Calotte wieder aufzuleben gesucht, allein die Zeit des Lacheus war vorüber, und sie erreichte auch in dieser Gestalt gar bald ihre Endschaft.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 224-230.
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