V.

Geburt, Taufe und Konfirmation.

[624] 625. Welche amtlichen Anzeigen sind erforderlich? Die Geburt eines Kindes muß dem zuständigen Standesamt innerhalb der ersten acht Tage gemeldet werden. Die Anzeige hat auch zu erfolgen, wenn das Kind bei der Geburt tot ist oder gleich stirbt.

Der Vorname ist bei der Geburtsanmeldung mit zu nennen und wird in das Register eingetragen. Ist man sich über den Namen nicht einig, so meldet man nur die Geburt eines Kindes männlichen oder weiblichen Geschlechtes und kann den Namen innerhalb eines Monats nachmelden.

[625] 626. Sonstige Anzeigen. Es ist Sitte, im gelesensten Blatt der Stadt die Geburt eines Kindes durch eine kurze Annonce anzuzeigen. Man enthält sich dabei aller besonderen Freudenausdrücke oder weitläufigeren Benachrichtigungen. Man setzt also nicht ein:


»Die heute unter Gottes gnädiger Beihilfe nach sehr schwerer Entbindung erfolgte glückliche Geburt eines Sohnes beehren sich lieben Freunden hocherfreut anzuzeigen

N.N. und Frau.«


sondern:


»Die glückliche Geburt eines Sohnes beehren sich anzuzeigen

N.N. und Frau E., geb. M.«


Anzeigen wie:

»Hurra! Ein strammer Junge!« oder »Numero sechs glücklich da«, sind geschmacklos.

Die Anzeigen, die man seinen Verwandten und Bekannten sendet, läßt man auf einfache Karten oder schlichtes Briefpapier drucken und faßt sie ebenso einfach ab, wie die Zeitungsinserate. Anzeigen mit Monogramms oder Selbstanzeigen des Neugeborenen und andre Scherze gelten für unfein.

In einigen Kreisen, z.B. in Offizierskreisen, ist es Sitte, den Familien des Regiments die Geburt eines Kindes durch schriftliche oder auch mündliche Ansage zu melden.

[626] 627. Verhalten der Wöchnerin. Die Sitte verlangt, daß sich die Wöchnerin während der ersten sechs Wochen ganz zurückhält. Gestattet ihr der Arzt nach vier oder fünf Wochen eine Ausfahrt oder einen Spaziergang, so darf sie dennoch nicht Bekannte besuchen, von den Verwandten nur die allernächsten, also die eigne Mutter oder die Schwiegermutter. Ebenso empfängt die Wöchnerin während der sechs Wochen keinen Herrenbesuch. Damen der Verwandtschaft und Bekanntschaft darf sie empfangen, sobald der Arzt es erlaubt. Es ist Sitte, der Wöchnerin einen Blumenstrauß oder ein selbst angefertigtes Kleidungsstück für das Kind mitzubringen. In einigen Städten giebt man der Wärterin beim ersten Besuch ein Trinkgeld. Ist man mit einer Dame befreundet, so besucht man sie innerhalb der sechs Wochen. Steht man ihr ferner, so macht man die Gratulationsvisite sofort nach Ablauf dieser Zeit – noch später würde als eine Unhöflichkeit aufgefaßt werden.

[627] 628. Mündliche Glückwünsche. Es ist nicht nötig, seinen Glückwunsch in hochtrabende poetische Worte einzukleiden. Ein wirklich herzliches und warmes Wort wird der glücklichen Mutter willkommenersein. Auch soll der Besuch es vermeiden, von eignen oder andern besonders schmerzensreichen Kindbetten und ihren Folgen für Mutter und Kind zu erzählen. Eine Kranke soll aufgeheitert, nicht erschreckt werden. Daher zerstreue man alle Sorgen und rede tröstend zu. Daß die Wärterinnen und Pflegerinnen die Leidende gleichfalls mit schrecklichen Geschichten aus Krankenhäusern und -stuben unterhalten – wie sie mit Vorliebe thun! – ist durchaus zu verbieten. Auch dehne man den Besuch bei der Wöchnerin nicht zu lange aus.

[628] 629. Schriftliche Gratulation. Eine schriftliche Gratulation zur Geburt eines Kindes sendet man, so bald man die Anzeige empfangen hat. Es ist nicht höflich, auf Anzeigen spät zu antworten. Auch hier vermeide man schwülstige poetische Ergüsse – die bei nicht ganz Stil- und Federgewandten oft zu komischen Mißverständnissen führen können! – und begnüge sich damit, Mutter und Kind alles Gute zu wünschen. Schreibt man einen längeren Brief an die Wöchnerin, so enthalte man sich aller aufregenden und schmerzlichen Nachrichten. Die Kranke hat Zeit, trüben Gedanken nachzuhängen, und jede Erregung kann gefährlich werden. Bei der Gratulation für das Erstgeborne gleich ein vivat sequens einzuflechten, ist ebenso geschmacklos, wie bei der Anmeldung des vierten oder fünften gute Ratschläge oder ein mahnendes »Halt!« zu äußern. Diese Randbemerkungen werden verstimmen, können unter Umständen sogar übelgenommen werden.

[629] 630. Die Nottaufe. Ist das Kind bei der Geburt oder im Verlaufe der ersten Wochen in Lebensgefahr, so wird man die Nottaufe vollziehen. Diese kann, wenn kein Geistlicher schnell zu erreichen ist, vom Arzte, von der Hebamme, dem Vater des Kindes oder sonst einer erwachsenen Person christlicher Konfession vollzogen werden. Wenn Eile geboten erscheint, wird man die Taufe ohne viel feierliche Vorbereitungen vollziehen müssen und sich vielleicht darauf beschränken, auf den Tauftisch ein paar Lichter, eine Bibel und ein paar Blumen zu setzen. Auch wird die Nottaufe zuweilen vollzogen, wenn der traurige Fall eintritt, daß die Mutter bei der Geburt des Kindes ihr Leben verlor.

[630] 631. Der Taufakt. Die Taufe ist sonst eins der fröhlichsten Familienfeste und wird gern als Gelegenheit genommen, um Freunde und Bekannte festlich bei sich zu versammeln. Man wird sich nach der Zeit des Pastors richten müssen, um die Gäste zu einem Frühstück oder einem Diner zu bitten. Selbstverständlich bittet man auch den Geistlichen, an dem Festmahl teilzunehmen. Wo es in protestantischen Ländern nicht üblich ist, die Kinder in der Kirche zu taufen, wird man dem Tauftisch eine besondere Aufmerksamkeit widmen müssen. In vielen Gegenden ist es Sitte, das Kind innerhalb der ersten vier Wochen taufen zu lassen, in anderen wartet man, bis die Mutter soweit ist, daß sie durch die Vorbereitungen nicht angestrengt wird. Da meistens eine ältere Verwandte oder Freundin während der Zeit zur Hilfe im Hause ist, wird diese der Mutter das Arrangement der Tafel u.s.w. abnehmen.

[631] 632. Die Taufe im Hause. Man wird in einem größeren Zimmer, unter einem geeigneten Bild oder sonst in einer passenden Ecke, den Tauftisch so aufstellen, daß er von allen Seiten umgangen werden kann. Man schmückt ihn mit einer ganz herabfallenden Plüsch- oder Samtdecke und legt auf diese wieder eine schöne Spitzendecke oder eine feine Damastserviette, die man zu dem Zweck mit alten Spitzen umsäumt. Den Rand des Tisches umgiebt man mit einer Blumenguirlande oder setzt Vasen mit langstieligen Blumen, wie Lilien, Narzissen oder zartgefärbten Rosen auf. Dazwischen setzt man Leuchter mit brennenden Kerzen, eine Bibel oder sonst ein Buch, das der Pfarrer braucht, und stellt eine Schale mit Wasser, ein feines Handtuch daneben, bereit. Die Taufschalen vererben sich in alten Familien ebenso weiter, wie die Wiegen und die Taufkleider. Muß man ein Taufkleid anfertigen, so bevorzugt man ein ganz weißes aus dünnem Battist mit viel Säumchen- und Spitzenschmuck. Sehr hübsch ist es, auf den Saum einen Spruch, den Familiennamen oder das Wappen zu sticken und später das Datum der Taufe und den Namen des Kindes hinzuzufügen. Auch das »Taufhemdchen« wird in vielen Familien als Heiligtum bewahrt und ist dann gleichfalls mit Spruch oder Datum versehen.

Die Tafel für das dem Taufakt folgende Diner oder Frühstück schmückt man ebenfalls mit Blumen in zarter Farbe und bereitet den Gästen eine Ueberraschung durch kleine Geschenke oder Andenken an den Tag.

[632] 633. Taufzeuge. Wer nur als Taufzeuge geladen ist, braucht kein Geschenk zu machen, er sei denn der Familie oder der Mutter des Kindes verwandtschaftlich nahe oder wünsche sich zu revanchieren. Die Aufmerksamkeit wird in einer Blumengabe für die Mutter bestehen oder einem kleinen Silbergeschenk für das Kind. Sehr hübsch ist es, wenn einer der Gäste dem Kinde eine schöne Bibel verehrt, in die das Datum der Taufe und die Namen aller Anwesenden geschrieben werden.

[633] 634. Taufpaten. Zum Paten dürfen nur mündige Personen bestimmt werden; unmündige sind durch Erwachsene zu vertreten. Es gilt immer als eine Auszeichnung, Gevatter stehen zu dürfen, und man lehnt die Ehre nicht ohne triftigen Grund ab. Eine grundlose Zurückweisung der angebotenen Patenstelle wird als eine Beleidigung aufgefaßt. Selbstverständlich wird man sich nicht zum Paten Leute wählen, mit denen man durch kein Band verknüpft ist und deren man sich nur ihres Reichtums, ihres Namens oder ihrer Stellung wegen versichern möchte. Eine Bitte an solche Personen gälte mit Recht als Aufdringlichkeit und Unverfrorenheit. Wiederum wird man sich aber Paten wählen, von denen man hoffen kann, daß sie dem Kinde wenigstens mit Rat oder Schutz zur Seite stehen und die vielleicht später einmal, wenn es nötig sein sollte, Vormund werden und die Stelle der Eltern ersetzen können. Man sollte die Stelle des Paten daher weder leichtsinnig besetzen, noch ohne Ueberlegung annehmen. Man übernimmt nicht nur für den Tag die Rolle einer wichtigen Person, sondern man verspricht, über die Zukunft des Kindes mitzuwachen und mitzuhelfen, es zu einem brauchbaren und tüchtigen Menschen zu erziehen. Die Patenrolle auf eine leere Formsache herabzudrücken, ist unrecht, wer gar keine Verpflichtung übernehmen will, sollte die Ehre unter irgend einem Vorwande ablehnen. Das Kind erhält meistens den Namen des Hauptpaten als Rufnamen, die der übrigen Paten als Nebennamen, oder die Paten werden nur im Taufzeugnis aufgeführt.

Der Pastor muß das Kind auf dieselben Namen taufen, die in das standesamtliche Register eingeschrieben sind und ihm vorgelegt werden müssen. Veränderungen, Fortlassungen oder Zusätze sind verboten, da hierdurch bei Erbschaftsregulierungen etc. Irrtümer und Schwierigkeiten vor Gericht entstehen können.

[634] 635. Katholische Taufen. Da auch Andersgläubige oft zu katholischen Taufen hinzugezogen werden, so hat dies in großstädtischen Gemeinden und in solchen in der Diaspora nach und nach zu einem Ausgleich der äußeren Formen in der Weise geführt, daß beispielsweise ein evangelischer Pate kaum einen Unterschied zwischen dem katholischen und dem evangelischen Taufakt finden wird. Abgesehen von dem im weißen Chorhemd und in weißer Stola fungierenden Geistlichen und von dem Gebrauch, gleichzeitig mit dem Täufling auch eine brennende Kerze zu halten, ist alles dasselbe. Das apostolische Glaubensbekenntnis, welches der Pate für den Täufling zu sprechen hatte, wird erlassen resp. nur von dem katholischen Paten gesprochen. Ein rechtgläubiger Pate ist bei allen Taufen Bedingung. Die in vielen evangelischen Gemeinden übliche Praxis, nach welcher namentlich Eltern besserer Stände ihre Kleinen bei sich im Hause taufen lassen, kennt die katholische Kirche nicht, mit einziger Ausnahme der Nottaufe, welche aber auch Eltern oder sonstige Angehörige des Kindes, ja selbst fremde katholische Laien vollziehen dürfen, und die hier wohl nicht in Betracht kommt. Für die Mutter eines katholischen Täuflings ist es unbedingtes Erfordernis, ihren ersten Ausgang nach dem Kindbett zur Kirche zu richten. Es gilt das für Reich und Arm, dagegen ist es in besseren Kreisen nicht Usus, daß die Mutter dem Taufakte beiwohnt. Die Hebamme bezw. Amme trägt das Kind, für welches die dogmatische Vorschrift besteht, absolut weiß gekleidet zu sein, und sonst begleiten lediglich die Paten das Kind; der Vater nur, wenn er – wie das häufig vorkommt – Pate seines eigenen Kindes ist. Die letztere Praxis widerspricht vollkommen dem kirchlichen Begriffe der Patenschaft. Diese bedingt, daß die Paten nach dem Tode oder bei sonstiger Unfähigkeit der Eltern für das leibliche und geistige Wohl des Täuflings zu sorgen haben. Dieser gute praktische Sinn der Patenschaft wird eigentlich nur noch in den ganz orthodoxen Gegenden Süddeutschlands und namentlich auch in den österreichischen Ländern geübt. Im übrigen ist er mehr oder minder zu einem Formalismus herabgedrückt worden, der vielfach auch zu dem Nonsens geführt hat, daß die Küster und Kirchendiener die Patenschaft »in Vertretung« übernehmen. Die etwaigen Kosten des Taufaktes – von Unbemittelten werden dieselben kirchlicherseits nicht erhoben – tragen natürlich die Eltern des Täuflings. Der Pate hat nur die aufgestellten Almosenteller zu berücksichtigen. Ein Zwang liegt nicht vor, aber er wird schon der guten Form wegen ein Scherflein geben. Letzteres variert je nach dem Vermögen oder der gesellschaftlichen Stellung des Paten zwischen einem Nickel und blinkendem Golde. Es wird alles genommen.

[635] 636. Patengeschenke. Hier sei auch noch das heikle Thema der Patengeschenke berührt. Die Modeder sogenannten Patenbriefe ist durchaus abgekommen und wird wohl nur noch in polnisch-hinter-wäldlerischen Landstrichen von kleinen Leuten goutiert. Andererseits lehnt sich auch der feine Geschmack nachgerade auf gegen die stereotypen silbernen Becher und Eßbestecks. Dafür einen hübschen und geeigneten Ersatz zu finden, muß dem Geschmacke des einzelnen überlassen bleiben, wobei auch die soziale Stellung der Eltern nicht außer Betracht zu lassen ist. Das Patengeschenk kurz vor dem Taufakte dem Kinde unter das Kopfkissen der Wiege zu legen, ist ganz altmodisch und oft auch nicht unbedenklich. Man sende das Geschenk am Morgen des Tauftages mit schriftlichen, auf den Täufling bezüglichen Wünschen an die Eltern; sehr hübsch ist es auch, eine Blumenspende für die Mutter beizufügen.

[636] 637. Die Konfirmation. Die Konfirmation ist ein durchaus protestantischer Begriff und seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts als Ersatz der Firmelung in der evangelischen Kirche allgemein üblich. Sie drückt die Erneuerung des Taufbundes aus. Die katholische Kirche unterscheidet hier zwei ganz verschiedene kirchliche Akte, welche beide die Erneuerung des Taufbundes nicht eigentlich zum Gegenstand haben. Der evangelischen Konfirmation kommt am nächsten die »Einsegnung« oder richtiger das »Fest der ersten heiligen Kommunion« (Abendmahl), für welches in manchen Gegenden – aber durchaus fälschlich – der Ausdruck Konfirmation auch katholischerseits gebraucht wird. Die katholische Einsegnung ist lediglich die nach vorgängigem Unterricht in den Glaubenswahrheiten erfolgende Zulassung zu der Beichte und dem Sakrament des Altars (Abendmahl). Dieselbe erfolgt meist in wesentlich jüngeren Lebensjahren als die Zulassung evangelischer Kinder zur Konfirmation; nämlich im 12. und 13. Lebensjahre und manchmal noch früher.

[637] 638. Die Firmelung. Das eigentliche katholische Sakrament, aus dem die evangelische Kirche ihre Konfirmation hergeleitet und entwickelt hat, ist die Firmung oder Firmelung. Es ist das die Mitteilung des heiligen Geistes durch Handauflegung, Gebet und Salbung und wird nur durch einen Bischof vollzogen. Ganz sonderbarerweise ist dieses eigentliche Sakrament in Nord- und Mitteldeutschland fast gänzlich abgekommen. Man beschränkt sich auf die Einsegnung, und nur verschwindend wenig Jünglinge und Mädchen (es giebt aber Firmlinge, welche dreißig und mehr Jahre alt sind) machen von dem Sakrament Gebrauch, wenn der Firmbischof ihren Ort berührt. Je weiter südlich, desto mehr verschwindet die Einsegnung und macht der Firmung Platz, mit der dann in Oesterreich beispielsweise die Zulassung zur ersten heiligen Kommunion verbunden wird. Einsegnung und Firmung fallen da also in eins zusammen – was ideell und praktisch auch das einzig Richtige sein dürfte.

Abgesehen von Oesterreich, wo der »Göt«, der Firmpate, dem Firmlinge gegenüber ähnliche Verpflichtungen übernimmt wie bei der Taufe und zum äußeren Zeichen dessen den Firmling den ganzen Firmtag über wie sein eigen Kind im Hause behält (und ihm auch die traditionelle erste Uhr schenkt), abgesehen von Oesterreich also, sind von Andersgläubigen nur gesellschaftliche Pflichten zu erfüllen. Je nach den Beziehungen zu den Eltern: schriftliche Glück-und Segenswünsche, eventuell persönlicher Besuch mit Blumen, wenn es sich um ein Mädchen handelt, oder irgend ein Andenken. So vorsichtig man sonst mit dem Schenken von Schmucksachen sein muß – hier sind sie angebracht. Knaben werden auch mit geeigneten Büchern beschenkt, bei deren Auswahl man katholischen Familien gegenüber besondere Sorgfalt walten lassen muß. Sehr taktlos wäre es, eine Bibel zu schenken; auch bei der Auswahl von Klassikern muß man vorsichtig sein.

[638] 639. Konfirmandenfeier. In evangelischen Familien hat die Feierlichkeit der Konfirmation einen sehr weltlichen Charakter angenommen, der im Gegensatz zur Bedeutung des Tages steht und nur dazu beiträgt, den Sinn der Kinder zu verwirren und auf Aeußeres abzulenken. Kein Onkel und keine Tante erscheint, ohne eine mehr oder minder kostbare Gabe in der Hand zu tragen, und die Konfirmandin sieht Broschen und Armbänder, der Konfirmand Manschettenknöpfe und Crayons sich ohne Zahl auf dem blumengeschmückten Tisch anhäufen. Bleibt der Beschenkte all den blanken Versuchungen gegenüber ernsthaft, so heißt es: »Wie undankbar – er scheint sich gar nicht zu freuen!« Giebt er dagegen seinem kindlichen Entzücken über all diese ungeahnten Schätze Ausdruck, so wird er ermahnt: »Nicht zu lebhaft und laut – das schickt sich heute nicht!« Aber das Kind zum Mittelpunkt einer geräuschvollen Feier zu machen, schickt sich noch viel weniger. Der Konfirmand soll soviel Glauben haben, daß er mit voller Ueberzeugung das für ihn am Tauftage abgelegte Gelübde wiederholt. Daß man ihn dafür, besonders wenn er den Ernst des Tages noch gar nicht begreift, mit Geschenken überhäuft, die seine Eitelkeit großziehen, ist einer der vielen Widersprüche, die sich durch die Verbindung kirchlicher Feiern mit weltlichen ergeben. Will man dem Kinde ein Andenken daran geben, daß die sorglose Jugend nun beendet ist, so ließe sich das ja mit dem 15. oder 16. Geburtstag oder mit dem Abgang von der Schule vereinigen. In protestantischen Ländern tragen die Konfirmandinnen meistens schlichte, schwarze, die katholischen Kommunikantinnen dagegen stets weiße Kleider. Die Knaben tragen dunkle Anzüge, nicht mehr Fracks, wie es früher Mode war.

Quelle:
Baudissin, Wolf Graf und Eva Gräfin: Spemanns goldenes Buch der Sitte. Berlin, Stuttgart [1901], S. 624-639.
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