Auf der Wohnungssuche.

[7] »Ein Heim suchen, ist eine Heimsuchung,« sagte einmal eine geistreiche Frau. Viele Menschen werden diesen Ausspruch unterschreiben, denn es ist wahrlich nicht leicht, eine Wohnung zu finden, welche allen Ansprüchen, die wir an sie stellen (und wären dieselben auch ganz bescheiden), genügt. Von Wichtigkeit aber, auch der Gesellschaft gegenüber, ist unsere Wohnung allerdings: sie gehört mit zu den Formen, den äußeren Umgebungen, welche unsere Stellung innerhalb dieser Gesellschaft kennzeichnen.

Unsere erste Erwägung ist natürlich der Geldbeutel: mehr als den fünften Teil unseres Einkommens werden wir nicht auf die Wohnung verwenden dürfen. Dann stellt sich uns die Frage dar: Nehmen wir ein kleines Haus zum Alleinbewohnen, oder eine Etage? Wir haben die ersteren im Auslande, besonders in England kennen gelernt, auch in manchen deutschen Städten, z.B. in Bremen; in neuerer Zeit werden sie, probeweis, in den meisten größeren Städten nach englischem Muster gebaut.[7]

Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Familienhäuser große Vorzüge besitzen. Wie heimelt einen beim Eintritt schon der blumengeschmückte Vorplatz, das schön gemalte, teppichbelegte Treppenhaus an! Das ist so privat, so individuell! Und dann sind wir Alleinherrscher darin, unabhängig und ungeniert: die Familie über uns belästigt uns nicht (wie in der Mietkaserne) durch den Lärm ihrer Kinder, die unter uns beklagt sich nicht über die Klavierübungen unserer Töchter. Das alles ist ohne Zweifel sehr angenehm. Jedoch bequem sind diese Familienhäuser nicht. Die sechs bis acht Zimmer verteilen sich in drei Etagen, die Wirtschaftsräume liegen im Souterrain; daraus ergibt sich natürlich ein fortwährendes Treppauf-, Treppablaufen aller Bewohner, und der dienstbare Geist – denn unsere Verhältnisse erlauben nicht mehr als einen – müßte wirklich die Eigenschaft der Geister besitzen, an verschiedenen Orten zugleich zu sein, um alle an ihn gestellten Anforderungen zu befriedigen.

Sind wir also nicht reich genug, uns ein Haus zu erlauben, das sich nicht nur mager in die Höhe reckt, sondern auch einigermaßen in die Breite dehnt; haben wir nicht die Mittel, mehrere Dienstboten zu halten, die den Verkehr zwischen den verschiedenen Stockwerken vermitteln, so scheint es uns zweckmäßiger, uns mit einer Etagenwohnung zu begnügen. Abgesondert, wie sie meist durch einen verschließbaren Vorplatz ist, kann man darin, wenn man will, ohne irgend welchen Verkehr mit den Hausbewohnern leben; und die Rücksichten, die man gegen die Inhaber der übrigen Etagen zu nehmen hat, nun, die sind gegenseitig und tragen zur Civilisation der Menschheit bei! Daß sich oft auch durch das Zusammenwohnen in einem Hause recht angenehme Beziehungen anknüpfen, haben hoffentlich schon viele Etagenbewohner erfahren.

Die nächste Frage ist: Welches Stockwerk sollen[8] wir wählen? Nehmen wir eine Wohnung im Erdgeschoß, so ist sie leicht kalt, auch kann man, wenn es nicht ein sogenanntes »Hochparterre« ist, die Fenster nicht offen halten, da die Leute von der Straße hinein sehen. Die erste Etage, in Deutschland »Bel-Etage« genannt (denn in Frankreich existiert das Wort so wenig, wie das »Parterre« für Erdgeschoß), ist angenehmer, aber auch die teuerste des Hauses, und die Zimmer über dem Hausflur sind natürlich fußkalt; die zweite Etage, über der in größeren Städten sich meist noch eine dritte befindet, ist die wärmste: sie würden wir, wenn der Geldbeutel uns nicht noch höher hinauf weist, wählen.

Auch auf die Himmelsgegend ist wohl zu achten. Die Wohnung darf natürlich nicht nach Norden liegen, wo uns kein Sonnenstrahl findet; auch der volle Süden ist nicht angenehm, mehr wohl die Ostseite, auf welcher auch die Blumen am besten gedeihen. Ferner muß die Wohnung gesund sein: also werden wir nicht gern in ein neues, noch nicht ausgetrocknetes, oder in ein sehr tief liegendes, noch auch in ein auf der Höhe alleinstehendes, allen Winden ausgesetztes Haus ziehen; praktisch eingerichtet muß sie sein, z.B. nicht, wie das bei älteren Wohnungen oft der Fall ist, für fünf bis sechs Zimmer nur einen oder zwei Eingänge haben; hell muß sie sein: das berühmte Berliner »dunkle Zimmer« gehört zu den Eigentümlichkeiten einer Großstadt, um die wir sie nicht beneiden, aber auch den langen, schmalen, halbdunklen Gang, der sich auch in kleineren Orten findet, lieben wir nicht. So sind die Anforderungen an eine Wohnung gar mannigfaltiger Art, und immerhin werden wir noch auf manches verzichten müssen: in einer großen Stadt wohl auf das so wünschenswerte Gärtchen, in einer kleinen auf Wasser-und Gasleitung, um nur in der Hauptsache unsere Wünsche befriedigt zu finden.[9]

Ist das aber glücklich geschehen, so nimmt


Quelle:
Calm, Marie: Die Sitten der guten Gesellschaft. Stuttgart 1886, S. 7-10.
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