III.
Mein Aufenthalt in Paris. – Zweite Verheirathung. – Abreise nach Deutschland.

[177] Der schöne Mai verging, zum 23. wurde meine Abreise festgestellt. Zwei nach Frankreich zurückkehrende Emigranten, Herr von Dempmartin, und die Marquise von St.-Prix, erbaten sich mich mitzunehmen. Ich würde angenehm und billig gereist sein, allein da mir Frau von Genlis geschrieben hatte, daß mich General Bournonville kostenfrei nach Paris entsenden würde, glaubte ich dies letztere vorziehen zu müssen. Ich habe bereits oben erwähnt, wie bitter ich in dieser Hinsicht getäuscht wurde.

Ich nahm einen kleinen Koffer mit, in welchem die Gedichte der Karschin nicht fehlen durften. Da ich mich für zeitlebens versorgt hielt, kamen nur einige Kleidungsstücke nebst der nothwendigen Leibwäsche in das Köfferchen. Meine damalige Briefsammlung beschränkte sich auf die allerliebsten Morgenbillets von Jean Paul, sowie schöne Briefe von Gleim, von Frau Karoline von Berg und einigen andern. Jedes Blatt war für mich ein Juwel. Uebrigens war ich nicht heiter bei den Anstalten[177] zu meiner Abreise. Trennungsschmerz fing an mich heiß zu beklemmen und trübe Ahnungen lagerten sich wie Wolken vor meinem Blick; doch die Stimme der Täuschung überbot jede andere und wurde durch die Briefe der Frau von Genlis gewinnend und mächtig. Meine liebe Mutter war etwas heftig. Von Frau von Genlis hatte ich nur Schmeichelworte vernommen. Paris war mir von vielen Seiten her als der Ort gepriesen worden, wo Jugend und Talent unfehlbar Glück machen müßten. Dann wähnte ich, meiner damals erst 48 Jahre alten Mutter Ersatz bieten und ihre Tage verschönern zu können. Mir ahnte nicht, daß ihr die Trennung das Herz brechen würde. Zugleich glaubte ich mich der Liebe der Frau von Genlis so gewiß, daß ich mir nicht denken konnte, sie würde nur noch Gefühl für Kasimir haben, und daß der muntere freundliche Knabe irgend darauf ausgehen würde, mich in Schatten bei ihr zu stellen. Frau von Genlis hatte mich in ihren Briefen sehr gedrängt, mit meiner Abreise zu eilen, weil sie nach einem Badeort reisen müßte. Sie hat mir späterhin eröffnet, daß sie diese Reise nur vorschützte, damit ich die meinige aufschieben sollte; sie zögerte mit der Erfüllung der Worte, weil sie selbst in ihren Erwartungen von der Rückerstattung ihres Vermögens getäuscht worden war. Auch Kasimir mochte ein Zuwachs der häuslichen Bedürfnisse unwillkommen sein. Meine treuherzige deutsche Natur glaubte nur den Worten der Frau von Genlis. Ich las ihre Briefe dem General Bournonville; ich hätte in seinem Gesicht lesen sollen, was er eigentlich meinte, indem er bei jedem Briefe, der fertig gelesen war, mit großer Kälte sagte: »Das ist sehr gut geschrieben!« Ich hielt den erfahrenen Mann für beschränkt und gemüthlos. Er mußte mich für verständiger gehalten haben[178] als ich war, indem er meinte, ich würde ihn verstehen. Mein ganzer Kreis in Berlin bewunderte diese Briefe, und glaubte in ihnen die Gewähr einer glücklichen Zukunft für mich zu finden. Diese redlichen Seelen dachten nicht an Täuschung, und sollten sie an der Genlis gezweifelt haben, so würde ihr heißer Wunsch, mich glücklich zu wissen, über jede Bedenklichkeit gesiegt haben.

Die theure Karoline von Berg verlangte von mir die Stunde meiner Abreise genau zu erfahren, diese war auf 3 Uhr nachmittags festgestellt. Meine Mutter kam bis an das Leipziger Thor, wo der Reisewagen bereit stand, mich aufzunehmen. Sie zerfloß fast in Thränen in meinen Armen; sie sprach noch einige fromme Abschiedsworte. Ich konnte nicht sprechen. Sie rief noch drei mal: »Denk' an mich!« und enteilte, indeß ich in den Wagen gehoben wurde. O welche bittere Abschiedsstunde! Schon schlug Reue ihre Krallen tief in mein Herz; ich weinte, als wollte ich mich in Thränen auflösen. Da hielt plötzlich der Wagen. General Bournonville kam an den Schlag geritten. »Wie!« rief er uns zu, »Sie weinen? und Sie verlassen ein Land voll Sand und Fichten, um in das schönste Land der Welt zu ziehen!«

Ich vermochte nicht ihm eine Silbe zu antworten. Er warf mir zwei ungeheuere Düten Zuckerwerk in den Schos, wünschte freundlich glückliche Reise und eilte davon. Noch lange mußte ich weinen. Erschöpft schlummerte ich zuletzt ein und erwachte erst in Leipzig, wo mir mein Reisegefährte eine Suppe reichen ließ und wo ich meiner Mutter einige Zeilen schrieb. Nun ging es weiter. In Kassel bemerkte ich beim Durchfahren freundliche Straßen, funkelnde Scheiben von Spiegelglas[179] an den Fenstern; und am Thore hohe klapperdürre Soldaten, frisirt und gepudert mit ellenlangem Zopf. Der Schnitt ihrer Uniform glich nicht der preußischen. Mitten in meinem Kummer belustigten sie mich.

Ich hatte auf dem ganzen Wege viel geschlafen, und fing nun erst an, Berge zu bemerken, die mit runden bewaldeten Kuppen hier und da aus den Thälern hervorragten, sie beklemmten mich. Ich hatte von Bergen gelesen, aber nie daran geglaubt; sie kamen mir fabelhaft vor. Die raschen Gäule führten mit beflügelten Schritten den Wagen weiter und weiter fort, so leicht flog er dahin; aber schwer drückte sein Inhalt auf Europa. Dünne Blätter, die das Geschick Deutschlands in sich faßten, lagen darin gepackt. Mein Reisegefährte war redselig, er lud mich ein, mich an seine Schulter zu lehnen, und erzählte mir mancherlei, wovon ich das Meiste vergessen habe, manches nicht verstand, und vieles noch heute wiederzuerzählen nicht für gut finde.

In einem Walde überraschte uns ein furchtbares Gewitter. Mein Gefährte äußerte: »Wir könnten hier leicht zu Grunde gehen!« Doch ich war in einer Stimmung, die mich für die Gefahr gleichgültig machte. Die Nacht der alten Bäume von Blitzen durchzuckt, das Rauschen des Regens, welches Donnerschlägen und Sturmwirbeln melodisch nachklang und mit Grausen füllte, war mir Musik. Mein Begleiter sagte: »Ich weiß nicht weit von hier eine Forstwohnung, wenn Sie bange sind, so können wir dort rasten; aber ich käme einige Stunden später zum Minister Talleyrand, der ungeduldig meiner Depeschen entgegenharrt.« »Und ich«, rief ich aus, »käme einige Stunden später zu Frau von Genlis.« So fuhren wir denn weiter.

Der Himmel klärte sich auf. Wir kamen andern[180] Tags zur Abendzeit an den Rhein. Wer hat nicht auch aus der Ferne für den Klang dieses Namens empfunden! Welche Vorstellungen knüpfen sich daran! Wir stiegen aus und erwarteten die Fähre. Ich sah nicht ohne Schauder den Kahn, der mich hinüberführen sollte zu Frankreichs Ufern, und nicht ohne Wehmuth labte ich mich am herrlichen Schauspiel der Gegend um mich her. Welche segensreichen Fluren, vom Busen des kräftigen Stroms getränkt; welch ein lachender Himmel über uns! Das Korn in den weiten Gefilden stand über Manneshöhe. Ich beugte mich nieder, küßte das Ufer, pflückte eine manneshohe Kornähre ab und barg sie in ein Taschenbuch. O, wie manche moralische Größe muß so klein geknickt und den Verhältnissen angepaßt werden. Daran dachte ich damals nicht. An den Bäumen, die hier und da auf dem Acker standen, glühten schon reife Kirschen, und vollaufgeblühte Rosen sandten uns ihre Düfte entgegen. Hier, wo vor kurzem noch die Schrecken des Kriegs wütheten, wo der Huf der Rosse die junge Saat zerknickte, standen nun schon lebendige Hecken, und wogende Kornfelder und neues Leben sproßten mir überall entgegen. Es war ein schöner Frühlingsabend, dessen sanfte, balsamisch laue Lüfte liebkosend an mein junges Herz drangen und es erquickten. Ich weidete mein trunkenes Auge an der Pracht um mich her. Ein Hügel am Ufer, auf dessen Spitze die Trümmer einer friedlichen Hütte, vom Kriege zerstört, über die Gegend hinschauten, lockte mich an. Ich stieg hinauf und sah nun in ihrer ganzen Majestät die beiden Ufer des Rhein von Gebirgen und dunkler Waldung und schimmernden Städten bekränzt, in üppiger Fruchtbarkeit prangend.

Ich blieb angefesselt stehen, mein Auge schwelgte im Anblick der idyllischen Landschaft und der weiten Wasserfläche,[181] es sog begierig die Bilder der Natur ein, die wie die Hoffnung sich immer von neuem verjüngt und mit Blüten schmückt, und die jungen Keime auch unter kaltem Schnee der künftigen Sonne entgegenpflegt.

Unendlich göttliche Liebe, wie hast du der menschlichen Seele den Balsam bereitet, der ihre Leiden mildert und aus allen Quellen der Natur ihr entgegenströmt! Jedes Lüftchen weht Trost, jeder Lichtstrahl ist erquickend, und Muth und Glauben quellen dem Leidenden entgegen aus dem unendlichen Schatz des Lebens um ihn her. Wer mag sich bei Genuß und Leben einsam und verlassen fühlen, und sich hoffnungslos von den Menschen wenden, die alle wie er lieben, leiden, genießen und sterben, und ihm die Hand reichen werden, wenn sein Glaube nicht wankt?

»O, meine Mutter!« seufzte ich, da ich die Fähre bestieg, mir ahnte, daß ich sie nicht wiedersehen würde, und meine Thränen flossen, bis ein Blick zum Himmel, zu den ewigen Sternen, deren Strahlen schon durch die Dämmerung brachen, meine Seele zum Gefühl ihrer Unendlichkeit erhob und ihre Bangigkeit stillte.

Ich war nun auf französischem Boden, in den neueroberten Landen. Die traurigen Spuren der Verwüstung ruhten noch auf allen Städten, aber die Einwohner waren froh und lebten unter Trümmern so ruhig wie in festen Plätzen. Wir landeten in Oppenheim, und rasteten in einem Hause am Ufer. Nichts war so interessant als das Gespräch und die Haushaltung dieser jungen Eheleute von beiden Nationen. Die Frau sprach kein Französisch, der Mann kein Deutsch, und der junge Knabe verstand weder Vater noch Mutter. Ein wahres Bild vom Thurm zu Babel, wenn alle nicht in herzlicher Eintracht gelebt hätten. Ach, die[182] Menschen sind im Willen einiger als in Worten. Wenn keiner des andern Sprache verstände, würde er desto mehr sein Herz belauschen, und die Menschen könnten einander näher treten. Worte sind's, Worte allein, welche die Welt verwirren. Doch es soll ja nicht sein, daß Frieden und Eintracht auf Erden wohnen.

Tief bewegt verließ ich das Rheinufer. Es gehörte damals zu Frankreich und es überkam mich ein Gefühl, als wäre diese Grenze eine ewige, wie Frau von Staël sie späterhin nannte. In Metz schlug mir mein Begleiter vor, ein Mittagsmahl einzunehmen. Ich hatte vor Unwohlsein, Gemüthsbewegungen und Reisehast noch keine Mahlzeit gehalten. Die Tafel in dem Hotel, wo wir abgestiegen, war stark besetzt; der Kaffee wurde uns im Saal aufgetragen. Auf die Frage der Wirthin, wie er mir schmecke, bezeugte ich mein Wohlgefallen darüber. Sie lächelte fein, und ich bemerkte, daß ein ältlicher Stabsoffizier dasselbe that. Die Wirthin flüsterte:

»Es ist echt arabischer Mokka. Einer meiner Gäste, der ihn aus Aegypten mitgebracht hat, hegt den Wunsch, daß Sie ihn gut finden mögen.« Ich fühlte mich erröthen, und traute nicht mich im Saale umzusehen. Der Offizier nahm neben dem Sopha Platz. Er flüsterte: »Er kommt aus Aegypten, der köstliche Trank! Ich erlaube mir ihn selten, aber heute« – er hielt inne und schwieg verlegen. Ich sah zum ersten male einen Krieger Napoleon's. Aegyptens Sonne hatte seine Stirn gebräunt, sein lockiges Haar gebleicht. Seine Augen glänzten von Heldenfeuer. Er neigte sich zu mir und sprach leise: »Sie gehen nach Paris! Ihr Reisegefährte hat mir schon alles gesagt, der ist ein braver Mann und nimmt großen Antheil an Ihnen. Sie gehen zu einer Frau, von der ich viel gehört habe; ich fürchte, Sie[183] werden bei ihr nicht glücklich sein!« Ich wollte ihn unterbrechen. Er bat mich sanft, ihn anzuhören. »Noch sind Sie nicht fern von ihrem geliebten Vaterlande, von einer Mutter, deren Armen Sie sich mit Thränen entrissen haben. Sagen Sie ein einziges Wort, Ihre Frau Mutter soll bald in Ihren Armen sein, und Sie tauschen ein sicheres Los gegen ein ungewisses ein. Bleiben Sie in meiner Nähe.« Ich konnte nicht sprechen. »Soll ich Fürsprecher für mich herbeiholen, soll ich meine Redlichkeit durch wackere Freunde beglaubigen lassen? Ich bin zu allem bereit, was Ihnen Vertrauen einflößen kann.« Ich schwieg, denn eine mächtige Stimme erhob sich in mir für den schönen ernsten Mann. Mein Reisegefährte stand auf von seinem Sessel und trat zu mir. Ich blickte ihn fragend an, er verstand mich. »Einen Rath habe ich Ihnen nicht zu geben, folgen Sie Ihrem Herzen.« Ich brach mein Schweigen. »Mein Herz«, sagte ich, »entscheidet für die edle Frau, die Mutterstelle an mir vertreten will. Ich darf die Hoffnungen nicht täuschen, die sie auf mich gesetzt.« Tiefe Wehmuth umschattete die schönen Züge des Generals. »Verzeihen Sie mir!« sprach er, »ich war zu rasch, zu unbesonnen, seit ich Sie erblickt, glaubte ich, ich dürfe Sie nicht von mir lassen. Ich hätte Ihre Adresse neben Ihrer Spur verfolgen sollen.« Ich lächelte und hätte ihm gern laut gesagt, daß er etwas zu spät anfange dies einzusehen.

Mein Begleiter bemerkte, daß die Pferde angespannt seien und wir fort müßten. Mein Abschied von dem Manne war kurz und ernst. Ich las tiefe Beschämung in seinen Blicken. Als er mich an den Wagen begleitete, rief er mir zu: »Vergessen Sie mich nicht, ich meine es redlich; darf ich Ihnen schreiben?« Ich verneinte. Die[184] Räder rasselten fort. Noch heute weiß ich nicht, ob ich recht gethan habe.

Am 2. Juni 1801 kamen wir in Paris an. Tausend dunkle Vorstellungen von dieser Stadt trug ich im Gemüthe und keinen einzigen deutlichen und wahren Begriff. Es hatte mich gereizt, den Helden unserer Zeit von Angesicht zu Angesicht zu sehen und sein ruhmvolles Streben in der Nähe zu betrachten. Sonst aber hatte ich keine Absicht als diejenige, im Umgang mit der geistreichen Frau, auf deren Ruf ich hierher gekommen war, mich zu bilden und zu einer neuen thätigen Lebensbahn zu bereiten.

Wie süß bildete ich mir die Idee unsers Verhältnisses aus! Sie hatte mir feierlich verheißen, mir Mutter zu sein, und so hatte ich voll Vertrauen die eigene Mutter, Heimat und Freundinnen der Jugend in der Ferne lassen können.

Mein Begleiter schlug mir vor, außerhalb der Mauern um die Barrièren herum zu fahren und durch die herrliche Straße von Neuilly über den Pont-royal den Weg nach der Rue du Bac zu nehmen, wo er seine Depeschen einreichen wollte.

»Fahren wir denn nicht auf der Stelle zu Frau von Genlis?« fragte ich. »Nein! Sie müssen in meinem Hause absteigen, Ruhe genießen, sich umkleiden und erfrischen.« Ich sah ein, daß dies alles sehr vernünftig war, und folgte.

Herrn Besançon's artige Frau empfing uns herzlich. Ich sank in ein Sofa und schlief schnurstracks ein. Erst um 12 Uhr folgte ich der Einladung zu einem Gabelfrühstück, und lehnte nachher nicht die Bemühungen der guten Besançon ab, die alles aufbot, die Raupenhülle der Reisekleidung in ein heiteres Schmetterlingsgewand umzuschaffen. Mir war sonderbar zu Muthe. War es[185] meine Erschöpfung, die Aufregung der überschnellen Reise, war es Ahnung – ich weiß es nicht. Aber in den Augenblicken, wo die Salonthür der Frau von Genlis mir geöffnet wurde, da klang es um mich her wie Sturm und Donner; mir war es, als öffne sich eine ungeheuere Kluft zu meinen Füßen, und als müßte ich darin untersinken.

Frau von Genlis trat mir aus ihrem Schreibzimmer rasch entgegen, schlang die Arme um mich und rief mir zu: »Nun, da sind Sie ja mein Kind! Und meine Bouquet, wie geht es ihr?« Dieser Empfang kam mir sehr kühl vor. Er war es auch! Herr Besançon empfahl sich der Frau von Genlis mit wenigen Worten. Sie bemerkte, daß ich vor Mattigkeit in Gefahr war umzusinken, wies mir ein freundliches Zimmer neben dem Salon an, und ermahnte mich auszuruhen. Schweigend leistete ich Folge. Die Dienerin zerstörte unbarmherzig das ganze künstliche Werk der Frau Besançon, und verhieß, mich wieder anzukleiden, wenn es zu Tische ginge, man würde mir zu Gefallen heute um 5 Uhr essen, auch erwarte man Gäste.

Ich war noch immer in meiner Betäubung und lechzte nach Ruhe. Als ich um 5 Uhr zur Tafel kam, empfing mich Frau von Genlis, indem sie mir zwei ihrer Freunde vorstellte. Sie nannte den jüngern dieser Männer Corvin, den ältern gar nicht; doch wurde ich ihm zur linken gesetzt, und zur rechten Corvin. Der blauäugige Herr zu meiner rechten fiel mir durch seine nordische Gesichtsbildung auf. Dünnes gelocktes Haar umspielte seine hohe Stirn und seine eingesunkenen Schläfe. Nie war ein Blick offener, ein Lächeln wehmüthiger. Ich bemerkte, daß er seine Tabacksdose neben sich auf den Tisch stellte, sie war so schlicht wie die[186] ganze Kleidung des Inhabers. Unwillkürlich heftete ich meine Augen darauf. Auf dem Deckel bemerkte ich ein Gemälde, wo sturmdurchwühlte Wellen ein fast zertrümmertes Schiff unter schwarzem dichtumwölkten Himmel umherschleuderten. Oben standen die Worte: »Armes Vaterland!« »Polen!« rief ich mit tiefer Bewegung aus. Des edeln Mannes Hand ergriff die meinige, und mit einem sanften Druck seufzte er kaum hörbar: »Kosciuszko.« Mich durchbebte ein Schauder. Ich hatte den Helden vor mir, für den meine junge Seele geglüht; und es hatte einer Minute bedurft, ihn mir zum Freund zu machen. Kosciuszko's Begleiter war der General Kosakowski, er wollte in Paris Corvin genannt werden. Er war höchst geistreich und liebenswürdig, Kosciuszko mit ganzer Seele ergeben und ein großer Bewunderer der Frau von Genlis, überhaupt talentvoller Frauen. Er hatte auf seinen Reisen Elisa von der Recke kennen gelernt, und verehrte sie sehr. Er umringte Frau von Genlis mit der zartesten Aufmerksamkeit, welche sie mit einiger Gleichgültigkeit empfing. Leon Lombard von der französischen Colonie, den Frau von Genlis schon in Berlin gekannt, ein junger Mann von Kopf und ästhetischer Bildung, stand ihr näher als der liebenswürdige Pole Corvin.

Feiner Weltton und richtiger Takt zeichnen den Franzosen und Polen von guter Familie vor andern Nationen aus und gelten zuweilen für hohe harmonische Bildung, wie die Folie den Glanz des Edelsteins erhöht und auch wol den falschen für einen echten gelten läßt, wenn nicht ein echter Kenner ihn prüft. Corvin war ein echter Edelstein à jour gefaßt. Die zarte Huldigung, die er ausgezeichneten und liebenswürdigen Frauen zollte, ging vom Herzen aus und war rein. Er vereinigte[187] viele Kenntnisse mit gebildetem Geschmack und mit Anspruchslosigkeit. Er besaß ein schönes Kunstcabinet, welches er gern seinen Freunden zeigte. Ich erinnere mich von tausend Gegenständen, die hier den Künstler und den wissenschaftlich Gebildeten, den Naturforscher und den Gelehrten anzogen, nur noch eines: es war ein kleines Denkmal in Marmor abgebildet nach dem Monumente Abälard's und Heloisens, das im Museum der Augustiner errichtet war und die Körper der zwei Liebenden umschloß. Mit unbeschreiblichen Mühen und Unkosten hatte Corvin von jedem eine Fingerspitze erobert, diese lagen im Sarkophag des unvergeßlichen Paares.

Corvin war eine der erkorenen Naturen, die rein und innig dem Schönen in allen seinen Gestaltungen huldigen, und die vom Glück begünstigt ihrem Geschmack und ihrer Neigung leben können. Wir sahen ihn oft mit seinem Freunde Kosciuszko und bei werthen polnischen Familien.

Frau von Genlis hatte beschlossen, nach Versailles zu ziehen, sie glaubte dort zu sparen; allein es gelang ihr nicht. Doch ihre Freunde arbeiteten so eifrig für sie, daß ihr der erste Consul eine schöne Wohnung im Arsenal einräumen ließ. Ehe wir hinüberzogen, führte mich Frau von Valence in das Theater. In der italienischen Oper entzückte mich die Strinasacchi in den Meisterwerken von Cimarosa und Paesiello, die von Geist und Laune überströmen und nicht mehr geschrieben werden können; denn die harmlose Blütezeit der Kunst und der Menschheit ist vorüber, die der Ueberbietung und Ueberreizung ist an ihre Stelle getreten. Die Menschheit dieser Zeit gleicht solchen Jahren, in welchen es keinen Frühling gibt; ihre Jugend hat gleich Sommer.[188]

In der italienischen Oper, von der ich eben sprach, nahm mich die Aufmerksamkeit auf die Sängerin Strinasacchi so ein, daß ich für ihre Mitsänger kein Auge noch Ohr hatte. Die Strinasacchi war klein, wohlgenährt und rund, ihre Gesichtszüge formlos. Die Augen hatten Mühe gehabt, sich in der Fleischmasse des Gesichts Platz zu machen; aber wenn sie sang, wurde sie schön, ihre Seele trat in den Blick dieser Augen, ihre Lippen umspielte das Lächeln der Anmuth, die feine zierliche Hand begleitete harmonisch ihre Bewegungen.

Die Loge, in welche mich Frau von Valence führte, war im zweiten Rang und gehörte irgendeinem Minister. In jenem italienischen Theater hatten die Logen keine Brüstungen; die ganze Gestalt der Zuschauer drinnen war sichtbar, sodaß eine elegante Toilette und seidene Strümpfe und Schuhe unerlaßlich waren; der Anblick war reizend. Der erste Consul begünstigte die erste italienische Gesellschaft sehr. Als der Director klagte, daß das Publikum kalt dagegen sei, rief er aus: »Ich will Ihr Publikum sein!« Und er hielt Wort. In der italienischen Oper bemerkte ich eines Tags eine schöne Frauengestalt, von der ich die Augen nicht abwenden konnte, sie war reizend, obwol die Form, rund und voll, nicht jungfräulich genannt werden, konnte. Man mußte wünschen, man hätte sie zehn Jahre früher gesehen. Das blendende Angesicht war bestrahlt von großen schwarzen Augen, die zu den schönsten gehörten, welche mir je in die Seele geleuchtet. Schmelzend, glühend, feurig, sanft, ein ganzes Leben der Wonne und des Schmerzes war darin zu lesen. Der schwellende Mund schien noch von den Küssen zu träumen, die er eben empfangen; über die hohe Stirn rundeten sich schwarze Locken, welche sie mehr offenbarten als verhüllten und die herrliche Form des[189] Nackens sichtbar ließen. Ein amaranthfarbiges Kleid, nach damaliger Mode griechisch geheißen, ließ Hals und Busen frei, und entzog dem Blicke nicht die entzückenden Arme von blendender Weiße. Lange fesselten mich die zarten Hände, die mit dem elfenbeinernen chinesischen Fächer spielten, den sie bei der großen Hitze vielfach beschäftigten. Drei Schnüre der auserlesensten Perlen umwanden den Hals und senkten sich mit einem smaragdnen Schlosse tief herab bis zum Gürtel. »Perlen bedeuten Thränen!« dachte ich, und als mir der Name der schönen Frau genannt wurde, wußte ich auch, daß diese entzückenden Augen viel Thränen vergossen hatten. Es war Madame Tallien, geborene Gräfin Cabarrus, nachherige Prinzessin Moritz von Chimay, die durch die Irrgewinde der republikanischen Schreckenszeit und durch die Nacht des Kerkers wandeln mußte, ehe sie unter dem stillen Himmel des Consulats im Hermelinmantel einen Fürstensitz an der Hand eines der liebenswürdigsten Männer bestieg. Die Familie des Prinzen Caraman, welcher Madame Tallien anfangs unwillkommen schien, gewann sie innig lieb.

Nicht oft in Irrgewinden zeigt sich ein Weg, der zu einem Fürstensitze und zur Glückseligkeit führt. Josephine Beauharnais fand sogar einen zum Kaiserthron. Dieselben Kerkermauern, welche die schöne Spanierin umfingen, breiteten auch ihre Nacht um Josephinen aus. Beider Thränen vermischten sich oft auf ihren bleichen Wangen. Robespierre's Untergang rettete beider Leben. Bekanntlich war Josephinen im Kloster, wo meine verstorbene Schwägerin Baronin Prony, damals Fräulein von La Poix de Freminville, zugleich mit ihr erzogen wurde, von einer Zigeunerin der Thron von Frankreich geweissagt worden. Die Baronin Prony, meine Schwägerin[190] hat mir selbst erzählt, wie die reizende Creolin Tascher de la Pagerie, damals siebzehnjährig, sich im Klostergarten befand, wo eine Menge liebenswürdiger Gespielinnen sie umringten.

Ein altes dürres zerlumptes Weib, mit olivengelber verschrumpfter Haut, hatte die Pförtnerin zu gewinnen gesucht, daß diese sie in den Garten zu den schönen Kostgängerinnen des Klosters ließ. Anfangs erschreckte ihr Anblick die Fräulein, sie wollten davonlaufen, doch die Alte rief ihnen zu: »Bleiben Sie einen Augenblick, ich trage Ihr Schicksal unter meinen Lumpen!« Die Alte ließ bei dem allgemeinen Stillstand ihre Augen wie Feuerräder im Kreis umherrollen, sie starrte zuletzt Josephinen an, eine dunkle Glut überflog ihre dürren Wangen. Sie neigte sich tief vor Josephinen und bat um ihre Hand, welche ihr mit Widerwillen gereicht und überlassen wurde.

»Hier ist«, rief sie, »die Ehrenlinie, die mit einem scharfgezogenen breiten Strich bis an den Arm geht, auf ihrer Spitze wiegt sie eine Krone.« Sie beugte ein Knie. »Empfangen Sie von mir zuerst die Huldigung, Majestät! Königin von Frankreich!« »Geh, wahnwitzige Alte!« rief Josephine, und drehte ihr den Rücken, indem sie ihr rasch ihre Hand entzog. Doch die Zigeunerin richtete sich in die Höhe und herrschte ihr mit feierlichem Tone zu: »Du, die du einst über alle gebieten wirst, mußt heute der alten Zigeunerin gehorchen! Her die Hand! Ich habe dir mehr zu sagen.« Josephine wurde blaß und zitterte. Sie reichte der Wahrsagerin nochmals die Hand. »O schöne milde Hand!« rief diese mit weicher Stimme, »du würdest, könntest du, das Gold aller Welt ausspenden. O gesegnete Hand, des Scepters würdig. Warum, ach! warum mußt du dich[191] so früh im Sarge falten? Noch feucht von den Thränen, die du auf dem Sterbebette vergossen, noch schimmernd von den Huldigungen der Mächtigsten der Erde: warum liegst du nun im Staube zu den Füßen des Throns, auf welchem du einst geglänzt?«

Die Zigeunerin ließ die Hand der zitternden Josephine los und wendete sich zu den übrigen Damen. Doch die Glocke des Klosters erschallte. Erschrocken und verdrießlich stäubten sie alle auseinander. »Auch ich erfuhr nichts«, schloß Frau Baronin Prony ihre Erzählung. Doch Josephine wurde oft mit der Wahrsagung der Zigeunerin geneckt. Sie lächelte wehmüthig und sprach: »Mir kommt die Sache gar nicht lächerlich vor. Jedermann sagt, es wird Revolution geben; da kann der Mann, den ich heirathen werde, bei einer Schilderhebung zum König ausgerufen werden, – vielleicht dauert die ganze Herrlichkeit keine 24 Stunden.« Die Alte hatte in einem so schmerzdurchdrungenen, so feierlichen Tone gesprochen, daß man wol sah, sie glaubte an alles, was sie sprach, dadurch überzeugt man die Hörer am besten.

Frau von Genlis vereinigte in Paris nur wenig Menschen um sich. Ihre treuesten Anhänger waren die zwei obengenannten Polen. Kosciuszko blieb ernst und wehmüthig; wenn er sich erheiterte, konnte man dennoch bemerken, daß dem Spiel seines Geistes eine dunkle Folie unterlag. Wenn er in sanften Augen bei der Erwähnung seines Landes einen feuchten Glanz bemerkte, so wurde es ihm so wohl ums Herz, wie es ihm auf dieser Welt nur werden konnte. Er lebte auf dem Lande bei werthen Freunden aus der Schweiz gebürtig, traulich, wie das geehrte Haupt einer liebevollen Familie. In große Gesellschaften war er nicht zu bringen. »Es fühlen so wenig Leute für Polen«, sagte er, wenn er sich[192] entschuldigte nicht hingehen zu wollen; »ich merke das gleich, die Luft beklemmt mich, da wo kein Herz für unser Unglück schlägt, oder gar da, wo dem Manne gehuldigt wird, der mit einem Augenwink unser Schicksal umgestalten könnte.« Viele Polen dagegen schwärmten für Napoleon. Was er vermocht hätte, und nicht that, galt ihnen für die That, die er unterließ. Es genügte ihnen vor der Hand die Möglichkeit, daß er das große Werk nur so lange aufschiebe, als es Zeit bedürfe, es zur Reife zu bringen.

Unter den polnischen Familien, die bei Frau von Genlis einheimisch wurden, bemerkte man mit einigem Antheil die liebenswürdige Parandier, eine Polin von Geburt, die einem ausgezeichneten Franzosen ihre Hand gegeben. Sie war geschmückt mit vielen Geistesvorzügen und mit einem durchaus schönen Herzen. Ihr Mann war Legationssecretär bei der französischen Gesandtschaft in Berlin, an deren Spitze der Abbé Sieyès stand. Der erste Consul pflegte den ehemaligen Häuptern der Revolution glänzende Wirkungskreise anzuweisen, weil niemand so gern wie jene Freiheits- und Gleichheitsmänner das Treiben der Menschen von oben herab mit ansieht. Napoleon stellte seine Marionetten, wohin ihr Herz begehrte, aber er behielt die Fäden in den Händen, an denen er sie bewegte, und gelegentlich wieder unter die Massen mischte. Es gelang ihm mit den meisten, allein nur schwer mit Sieyès, und niemals mit Talleyrand. Weder Napoleon noch andere Hochbegabte sahen oder fühlten die Fäden, an welchen sie tanzten, wenngleich die Führer selbst mit großer Gewandtheit sich von ihm leiten zu lassen schienen. Das erste Sühnopfer, das er binden ließ und zu den Stillwaltenden schleppte, war die edle hochherzige Staël.[193]

Als sie nach Erscheinung ihres Romans »Delphine« von Gensdarmen begleitet über die Grenze mußte, glaubte Napoleon, die Religion und die Tugend in Frankreich zu retten. Die Priester aber hatten ganz andere Dinge in Sicherheit zu bringen als diese, und es gelang ihnen. Nur selten trägt die Wahrheit den Sieg über List und Lüge davon.

Auch Frau von Genlis war im Spiele, doch sie wußte es nicht. Aelter als Frau von Staël, wollte sie ihr dennoch auch in der Liebe bei Talleyrand den Rang ablaufen; dies wurde ihr nicht schwer, weil beide Damen nicht jung und schön genug waren, ihn zu fesseln. Seine Eitelkeit allein war bei diesen Verhältnissen im Spiele; er huldigte dem Talent der beiden Frauen allein, und verbarg schlau unter der Maske der Sentimentalität seine eigentlichen Absichten. Für diese war Frau von Staël zu redlich. Frau von Genlis war vor dem Fall Philipp Egalité's zu selbstisch, zu lebhaft mit eigenen Planen beschäftigt, um zur Maschine zu dienen. Erst als ihre Schicksale sie mürbe gemacht, als die Leiter zum Emporkommen für sie zertrümmert war und ihre Bestrebungen sich demüthiglich auf die Bedingungen des Lebens beschränkten, konnte sie für seine Plane wirken. Er benutzte ihren alten und neuen Haß gegen ihre große Rivalin, die man zwar im eigensten Sinne nicht so nennen kann; denn sie stand viel zu hoch und viel zu rein gegen Frau von Genlis, um auf diesem einzigen Felde, wo diese schlagfertig stand, gegen Frau von Staël zu kämpfen. Noch kaum im Altern begriffen, hatte sie schon die Fahne des Kriegs gegen den Philosophen aufgestellt und den Fehdehandschuh hingeworfen; er wurde nicht aufgenommen. Frau von Staël, die sich von jeher in die Reihen der Kämpfer für Licht und Wahrheit gestellt,[194] verfolgte die Bahn nach ihrem Ziele mit Muth und Beharrlichkeit, und klimmte empor, indeß Frau von Genlis den ebenen Weg nach der entgegengesetzten Richtung nahm. Noch heute ist das Los des Kampfes, der vor so vielen Jahrzehnden begann, unentschieden, er ist heftiger als je; schwankt er in der Ungewißheit des Sieges fort, so wird Erschlaffung erfolgen; auf welche Seite er sich neige, droht er Verderben, denn es ist mit beiden Parteien zu weit gekommen.

Nicht lange war Frau von Genlis in Paris, als der erste Consul sie beauftragen ließ, ihm jede Woche einmal zu schreiben. Er nahm sich einige Notizen aus diesen Schriften in seine Schreibtafel, und verbrannte sie dann bis auf die letzte Silbe. Diese Briefe wurden bei ihr abgeholt; niemand hat je erfahren, was darin stand.

Frau von Genlis wußte, daß ich durch Fessler und Rambach aufgefordert worden war, für ihre Zeitschrift »Eunomia« mitzuwirken und Artikel aus Paris einzusenden. Der Buchhändler Friedrich Maurer, der sich im Namen der zwei Herausgeber bei meiner Mutter dieses Auftrags entledigte, hatte den Titel zu dieser Schrift vorgeschlagen: »Empfindungen und Erfahrungen einer jungen Deutschen in Paris.« Ich, die ich noch kein Buch, geschweige denn einen Titel abgefaßt hatte, fing Feuer bei diesem Vorschlag, besonders da mir Herr Maurer bedeuten ließ, ich möchte diese Aufsätze in »Sterne's Manier« schreiben. Ei, der las sich so leicht, es mußte ja federleicht sein, so zu schreiben wie er, und sechs Thaler der Druckbogen! Das Geld konnte die liebe Mutter behalten. Wer war glücklicher als ich. Frau von Genlis fragte mich: »Worüber wollen Sie denn schreiben?« »Ei über alles!« gab ich zur Antwort. Sie lächelte. »Nun[195] z.B., worauf alle Deutschen gespannt sind, über den ersten Consul.« – »Sie thäten klüger, ihn gar nicht zu nennen.« – »Das ist ja jetzt unmöglich!« rief ich aus. Und ich hatte recht; sie sah dies selbst ein. »Schreiben«, bemerkte sie, »wollen alle, vorzüglich die jungen Leute. Keiner bedenkt, daß das gerade darum, weil es so leicht ist, seine Schwierigkeiten hat. Man muß doch erst nachdenken können, Erfahrungen gesammelt haben, sich über sich und andere Rechenschaft geben, unterrichtet sein. Von dem allen sehe ich nichts bei Ihnen.« Diese Worte schlugen meinen Muth nicht nieder. »Ich soll ja nur aufschreiben, was ich sehe und höre!« rief ich aus. »Wohl, aber es kommt auf die Stelle an, von welcher aus man sieht und hört. Glauben Sie mir Helmina, bleiben Sie davon!« Mir traten die Thränen in die Augen, schluchzend sagte ich: »Meine Mutter in Berlin hat nichts zu essen, ich muß ihr Brot verdienen.« Sie war gerührt, klopfte mir die Backen und sagte mit sanftem Tone: »Nun, so schreib denn, meine Taube; Gott wird deinen Fleiß segnen!« So schrieb ich denn, und es wurde gedruckt. Wie stolz, wie glücklich fühlte ich mich, und was ich geschrieben hatte, entzückte mich. Unbedenklich mußte es alle Leser entzücken. O frischer Muth der Jugend, rosenwangig wie sie! Du, den nichts beugen kann, der über nichts erblaßt, wo bist du hin? Wer darf dich Leichtsinn heißen, wer dich Uebermuth schelten?

Meine Begriffe von Paris waren durch das einförmige Leben der Frau von Genlis sehr abgeblaßt, und mein Leben in ihrem Hause hatte bittere Unannehmlichkeiten in Menge. Ich habe schon anderswo einige davon berührt, und will sie hier nicht aufs neue in ihrem Umfang schildern.[196]

Ich habe seitdem den Schöpfer dieser Widerwärtigkeiten wieder angetroffen, er war das Werk der Erziehung, die er genossen; seine Anlagen waren reichhaltig, sein Talent für Musik ging im gewissen Sinn seiner Zeit voraus, unübertrefflich reizend und zart, eine Frucht ohne Kern, aber mit berauschender Schale. Ich habe Maru, Nadermann, Madame Laval und einige andere mit Entzücken gehört; aber ich möchte Kasimir wieder hören. Es ist etwas Heinrich Heine'sches in seinen Melodien; wer ihn gehört hat, wird mich verstehen.

Meine liebste Erholung in Versailles waren die einsamen Spaziergänge im schönen Wiesenthale, am Fuße des Waldes in Meudon. Hier im Schatten der Eichen, am Fuße der grauen Weiden, wo der stille Bach seinen Silberlauf durch das blumige Gefilde mit traulichem Rieseln verfolgte, mochte ich den Druck meiner Sorgen minder fühlen; erwärmt vom liebevollen Hauch der Natur, erhob sich meine Seele zu sanften Ahnungen, und kehrte zurück in das stille Land der Erinnerung, sich an ihren blassen Bildern wehmüthig zu ergötzen. Dies Thal ist wahrlich mit allen Reizen der Natur geschmückt: die dichten Gänge der Waldung von Eichen und Birken, die malerischen Anhöhen, bekränzt mit blühenden Büschen und hohen Ulmen, die würzigen Düfte, die aus dem Boden hauchen – wie hätte ich mich da nicht wohl und heiter fühlen können, als wäre ich im Vaterlande? O, das Haus meiner Qualen lag versteckt hinter den Anhöhen, und das Andenken der erlittenen Schmerzen blieb zurück am Eingang des Hains, wie wenn ihm die Schutzgöttinnen der Waldung den Eintritt versagten. Selbst der Winter konnte dem lieben Thal nicht alle seine Reize rauben. An den Eichen blieb das Laub, die Wiese blieb grün und blumig und das Klima mild.[197] Das Erwachen des Frühlings hier in der Einsamkeit geschah in all seiner Pracht, und ich genoß es jeden Morgen und jeden Abend in seinem liebevollen Entfalten. Alles war Freude um mich her. Blumen und Laub schienen Empfindung zu haben von ihrem süßen Erwachen zum neuen Leben, und die gaukelnde Heerde, der muntere Hirte mit der Schalmei, das Rauschen des Windes in den Zweigen mischte sich mit fröhlicher Lebendigkeit in die tausendfachen Gesänge der Vögel, und im sanften Accord zu den Liebesklagen der holden Nachtigall. Lange ließ ich mich hinnehmen von der süßlockenden Stimme der Natur, die zur Freude ruft und zum Genuß. Aber ach! wenn ich an dich dachte, meine leidende Mutter, und an euch, ihr Lieben in meinem Vaterlande, so fühlte ich mich übermannt von unendlicher Sehnsucht, und meine Seele wünschte sich ungeduldig zur unerreichbaren fernen Heimat, und im Gefühle des Druckes der Nothwendigkeit, die mich in Fesseln hielt, sehnte ich mich nach dem Tode und erflehte vom Himmel eine Gruft unter den Blumen dieses Thales.

Eine hohe Lindenallee, die bei meiner Ankunft in voller Blüte stand, führte nach dem Luxemburg uns hinüber und linker Hand nach dem durchaus zerstörten Karthäuserkloster: es waren nicht einmal Trümmer, sondern nur Staub; nicht die Zeit hatte es zermalmt, sondern die Revolution. Ich, die ich schon bei der alten Post in Berlin in der Heiligengeiststraße, bei der Burgstraße, dem alten königlichen Schlosse gegenüber, mit schaudervoller Wonne die ersten Tropfen aus dem Becher der Romantik geschlürft hatte, ich konnte mich hier auf einen Stein niederlassen, der einer Ruine gehörte. Einige magere Grashälmchen sproßten daraus hervor, ich[198] pflückte sie zum Andenken. Es war mir dabei zu Muthe, wie dem Wanderer sein mag, der auf einem Schlachtfelde umherstreift, von welchem Leichen weggeräumt sind, und das eben gekehrt worden; es ergreift nicht, es läßt dem Schmerz keinen Raum, und doch ist einem unheimlich dabei zu Muthe. Die Schrecken schweben noch alle auf der ruhig gewordenen Stätte, doch sie sind erstarrt und nackt. Der Zustand der Gemüther war ebenso. Die Greuel hatten ausgetobt, die Blutspuren waren weggeschwemmt, aber die Stimmung war nüchtern und trübe. Das Bedürfniß der unaufhörlichen Aufregung war geweckt worden und lebte sein todbringendes Leben; denn ertödtet waren heilsame Gefühle. Verflacht war das Dasein, ohne daß sich die Gesellschaft oder das Volk ihrer eigentlichen Stimmung bewußt waren, noch sie eingestanden hätten, wenn man sie errieth.

Zuweilen machte Frau von Genlis, nicht ohne einige Schüchternheit, eine flüchtige Bemerkung über den eigentlichen Zustand der Dinge. Sie war höchst unzufrieden mit dem ersten Consul, bis er sich ihrer mit Geldhülfe kräftig annahm. Sie wünschte inbrünstig die Orleans zurück; daran war aber damals nicht zu denken. Napoleon war zu klug, um sie zurückzuberufen, und die Familie Orleans würde schwerlich dabei etwas gewonnen haben. Wenn solch ein unsicheres Pfand für die Zukunft auch der Zustand der Dinge gab, so war es doch eins und man wollte es nicht verschleudern. Viel schwankende Gemüther wurden durch das Concordat beruhigt. Viele Anhänger der Freiheiten und Annehmlichkeiten, welche man seit der neuen Gestaltung der Dinge für errungen und haltbar ansah, zogen eine Menge Menschen in die Zauberkreise süßer Hoffnungsträume.

Noch immer war alles erlaubt, was gefiel, und noch[199] immer gefiel alles was erlaubt war. Noch immer standen an den Mauern und Hausthüren die entsetzenvollen Worte, welche Zügellosigkeit und Blutdurst dahin geschrieben, man las sie noch in den kleinen Städten, in entlegenen Vorstädten und Gassen von Paris, obwol sie von lebhaften und stattlichen Plätzen und Häusern beinah unwahrnehmbar weggebeizt wurden. Paris war ein Augiasstall, als Napoleon die Zügel der unbändigen Massen ergriff. Er that es mit Besonnenheit und Kraft. Er schonte nichts und niemand als das Kleine, er wußte warum. Er bereitete eine neue Gestaltung der Dinge vor, welche niemand ahnte, und welche auf lange Zeit ihm und den Seinigen schädlich wurde, ohne daß er es ahnen konnte. Hierbei waren Hände im Spiel, die dem großen Mann unsichtbar blieben. Vor ihm lagen zwei Wege, an deren äußerstem Saum er stand. Der eine war der redliche, offene, gerade; der andere war der, welchen er betrat. Er führte ihn nicht zum Heile und Europa nicht zum Frieden, er führte abwärts. Es war das gaukelnde Irrlicht, das auf Sümpfen tanzt. Man sieht jetzt, wohin es die Welt verlockt hat. Frau von Genlis hatte Verstand genug, um die Dinge kommen zu sehen; sie seufzte darüber, vielleicht minder aus Patriotismus, als weil sie kein Mittel fand sich auf glänzendem Wege bedeutend zu machen. Ehe die Revolution ausbrach und bei ihrem Ausbruch war sie lenkende Gewalt. Philipp Egalité wollte ernten, wo er nicht gesäet hatte, er war sinnlich und bequem. Mit allen Kräften seines Wesens ersehnte er die Macht und das Geld, verließ sich aber auf den Geist, die Kraft und die Schlauheit seiner Gefährtin. Daß ihn seine dunkle Bahn zu demselben Ziele führen würde, wo das Blut seiner Verwandten floß, glaubte er nicht. Er hatte den[200] Thron im Auge und hielt den blutigen Sumpf, durch den er waten mußte ihn zu erreichen, nicht für undurchdringlich, nicht für bodenlos, fürchtete nicht, im Hafen selbst noch zu scheitern. Dies sind die Wege der göttlichen Vorsehung! Nur reine strenge Bahnen können zum Ziele führen. Der Stieg der Lüge und Heuchelei kann nicht von Dauer sein.

Mit einem Gefühle, in welchem sich Grauen und Schmerz verschmolzen, erzählten mir zu jener Zeit die Bewohner von Paris, welche ich kannte, von den gräßlichen Begebenheiten der Schreckenstage. Diese Erzählungen machten eigentlich nicht tiefen Eindruck auf mich, sie kamen mir vor wie märchenhafte Sagen, welche mir die höflichen, zierlichen, freundseligen Menschen, die mit mir sprachen, zur Kurzweil erzählten. Die jungen Männer, Frauen und Mädchen aus den mittlern und untern Klassen, die mir der Zufall entgegenführte, waren sehr für den Helden des Tags eingenommen. Vor ihrem Geistesblick rollte die Hoffnung einer neuern schönern Zukunft auf; sie glaubten, Frankreich habe einen Aufschwung genommen, es ginge nun bald allen Völkern voran, nachdem bei blutig erkämpftem Frieden, bei stillem heitern Himmel die süßen Früchte der Freiheit reiften. Paris hieß ihnen die Welthauptstadt! Sie waren stolz darauf, daß es ihre Heimat war. Der erste Consul begünstigte mit großer Vorliebe das Maschinenwesen. Höhern Zwecken gewidmet, sollte der Mensch nicht mehr selbst Maschine sein. Englands Kunstfleiß sollte überboten werden; zugleich auch wollte ihn Napoleon lähmen, damit Frankreich die goldenen Früchte genösse, die so viele Jahrzehnde hindurch England an sich gerissen; auch sollte die Aufgabe der menschlichen Thätigkeit veredelt werden. Zeit war durch die neue Einrichtung für die Jugend[201] so viel gewonnen, um sich zu großen Meistern in den freien Künsten auszubilden. Zeit, aber die Mittel nicht. Wie manches echte Talent zerschellte im Staube. Wie mancher hoffnungsvolle Dichter, Schriftsteller, Publicist ging im Elend unter! Besonders die letztern waren zu beklagen. Die Parteien mußten Sammethandschuhe anziehen, um nach keiner Seite hin unsanft zu berühren. Geoffroy, ehemaliger Geistlicher, dessen »Journal des Débats« in kurzer Zeit an der Spitze stand, hatte das Glück gehabt, den rechten Ton zu treffen, der belehrend, ergötzlich, scharf und zu rechter Zeit schonend war. »Der Publicist«, das »Journal von Paris«, schlugen denselben Weg ein wie Geoffroy, allein nicht ganz mit demselben Glück, noch mit derselben Befähigung. Geoffroy, der geheime Begünstigungen erfuhr und geheime Aufträge hatte, suchte mit vieler Geschicklichkeit Mücken zu Elefanten zu machen, nämlich, er wußte die Aufmerksamkeit der Massen seiner Leser auf Gegenstände zu ziehen, welche keine verdienten. Wichtige Momente gingen durch diese Kunstgriffe unbemerkt vorüber, und ehe man es sich versah, waren entscheidende Zwecke erreicht, die man gar nicht geahnt hatte. Talleyrand, der bewunderungswürdigste Geist seiner Zeit, war die Seele aller Bestrebungen, durch welche die Menge wieder gezähmt werden und wieder in das alte Gleis hineintappen sollte. Seine Aufgabe war keine leichte, war keine schöne; sie gelang ihm auch nur theilweise. Die Nation ist eine edle, sie dürstet nach Ruhm und Ehre, sie dürstet nach Vergeistigung, sie ersehnt den Fortschritt; doch der Druck von oben war zu gewaltig, der bessere Theil des Volks mußte unterliegen. Talleyrand meinte es in materieller Hinsicht gut mit dem Volke. Er gab ihm zu essen und zu arbeiten. Der kriegerische Hang des französischen[202] Volks war vielleicht weniger ein angeborener als ein durch die Ereignisse des letzten Jahrzehnds erzeugter. Mit wenigen Ausnahmen waren alle militärischen Größen aus dem Schos des Volks hervorgegangen. Jeder Conscribirte, der zum ersten mal die Muskete ergriff, fühlte schon auf seiner Brust nach seinen künftigen Orden umher. Hatte doch Murat auf der Landstraße an der Thür eines dumpfigen Wirthshauses den Reisenden die Pferde gehalten: der schöne Bube, dem sich früh schon ein zarter Flaum über die geschwellten Lippen kräuselte, durch dessen seidenartig behaarte Brust einst mörderische Kugeln pfeifen sollten und sie zerreißen, die jetzt so freudig wallte! Ja, der Krieg allein konnte diese thatendürstende Jugend auf die Höhe des Lebens hinschwingen.

Wenn der Krieger von der Zukunft träumte, so sah er nur das große Ehrenkreuz auf seiner benarbten Brust, oder er fühlte die brennenden Todeswunden, die auf dem Bette der Ehre bluteten, und fühlte das Wehen der Lorbern auf seiner Stirn; an einen dritten Fall dachte er nicht: an den des spurlosen Dahinsinkens auf dem Schlachtfelde unter dem feindlichen Kugelregen, oder des Verschmachtens auf der Landstraße bei stechenden Sonnenpfeilen, oder des langsamen Schmerzenstodes einsam auf dem Wahlplatze, wenn Maden in den Wunden seinen Körper zernagen und sein brennender Gaumen vergebens nach Wasser lechzt. Der ruhmsüchtigen kriegerischen Jugend wurden bald die Schranken breit geöffnet; wer nicht gutwillig hineinwollte, der mußte. Mit Zittern sahen die Mütter einen Knaben an ihrer Brust. Schon in seinen ersten Nahrungstrank fielen ihre Thränen und sie weinten bei seinem Aufblühen und Reifen. Nur zuchtvergessene Mädchen freuten sich, wenn sie eines[203] Knaben genasen, denn sie empfingen wöchentlich Brot und Geld, das frische Fleisch für die Schlacht aufzufüttern.

»Haben Sie vergessen«, fragte Napoleon einen Wohlmeinenden, der wegen seiner Kriegszüge und des ungeheuern Verlustes von Soldaten Bedenklichkeiten äußerte, »daß ich alle Monate zehntausend Mann daranzuwenden habe?«

Napoleon hatte alle Künstler und Kunsttreibenden von der Conscription ausgeschlossen; dies war für viele ein mächtiger Anreiz, sich der Kunst zu widmen, denn sie waren sicher, aus der Laufbahn, zu welcher hin der Genius sie drängte, nicht weggerissen zu werden. Am besten hatten es die Beflissenen der Kochkunst. Denn Paris war kein Sparta und der Kamin kein Kanonenfeuer! Am Ziel einer blutbesprengten Laufbahn sank der Goldregen in Strömen auf das vom Beifall bekränzte Haupt der Kriegführer, und ihre letzten Jahre sollten behaglich dahinfließen. Auch Melpomenens und Thalia's Jünger und Terpsichore's Lieblinge erlangten ein heiteres, ja ein glänzendes Los. Der Ruhm vergaß sie nicht und das Publikum liebte sie. Napoleon erhöhte die Preise ihrer Bemühungen, denen er mit Antheil zusah; allein er machte ihnen den Kummer, daß nicht mehr applaudirt werden durfte, sobald er in seine Loge trat. Ich habe schon irgendwo über die störende Unart des Beifallklatschens und Herausrufens gesprochen, und vorgeschlagen, man sollte das Brüllen und Toben der Bewunderung aus Theatern und Concertsälen verbannen, aber nach jeder Production sollten sich die Zuhörer zu einem Ehrengeschenk für die vortrefflichsten Künstler und Künstlerinnen vereinigen; indeß habe ich bisher tauben Ohren gepredigt.[204]

Napoleon hatte Sinn für Verfeinerung der Lebensgenüsse. Vielleicht kannte er Goethe's »Faust« und murmelte leise vor sich hin: »Knurre nicht, Pudel; zu den himmlischen Tönen, die jetzt meine ganze Seele umfassen, will der thierische Laut nicht passen.« Doch er konnte ja kein Deutsch! Das war eine Anomalie, durch welche vielleicht eine Säule seines Thrones Schaden litt. Hätte er Deutschland und Deutsch verstanden, er würde der größte Monarch aller Zeiten geworden sein. Auch würde er Deutschland nie mit Krieg überzogen haben.

Friedrich Schlegel äußert irgendwo, der beste Gewinn, den die Franzosen von ihren Eroberungskriegen gezogen hätten, sei: »daß sie eine gute Portion Deutschheit dabei erlangt«. Es war dem aber nicht so! Sie waren Gegenfüßler, und zwar stöckischer als je in dieser Hinsicht. Sie nannten sich die »große Nation«, und gewöhnten sich nach und nach, alles was sie berechtigen konnte, sich so zu heißen, von sich abzustreifen und auf den Mann der Gegenwart und der Zukunft zu übertragen. Die Verderbnisse riefen alle Aenderungen herbei, die zum Herabsinken wirken mußten. Gerüchte verbreiteten sich, die absichtlich erfunden wurden, um ihn herabzuwürdigen, die aber mit dem größten Wohlgefallen aufgenommen wurden. Die Schlechten ruhten nicht, bis sie in der Meinung den Halbgott zum Menschen gestempelt hatten. Zum Menschen mit allen seinen Schwächen und Irrthümern, den sie sich gleichzustellen wagten. Die Unbefangenen gewannen ihn um so lieber, je mehr sie glaubten, er sei ein Mensch wie ein anderer.

In harmloser Liebenswürdigkeit und anmuthiger Sitte konnte das Haus des Generals Bonaparte nicht überboten werden. Josephine, mit mächtigen Zaubern bewaffnet, übte ihr Talent, die Gemüther hinzureißen[205] und sie zu fesseln, mit einer Kunst aus, die ganz Natur zu sein schien; der gewinnendste dieser Zauber ging aus ihrer Herzensgüte hervor, denn gütiger war nie ein geschaffenes Wesen. Das Bedürfniß zu erfreuen, zu beglücken, beherrschte sie ganz. Alle die, denen sie wohlthat, mußten sich für Verpflichtete halten; kindlich gab sie sich selbst im Zauber der Gegenwart hin, ganz ohne Absichtlichkeit. Diese glückliche Zeit erblaßte, es wurde alles anders um Josephinen her, sie aber war dieselbe geblieben. Die Rose duftete nicht unbefangener, als Josephine Vergnügen um sich her verbreitete. Den Frauen gefiel sie durch Weiblichkeit und durch die gute Art und Weise, womit sie alles zu beseitigen wußte, was ihnen in ihrer Erscheinung noch von der Revolutionszeit anklebte.

Der erste Consul wollte die Fabriken heben, vor allen Lyon. Wie gern entschlossen sich die Damen, nur noch in Seide und Seidenblonde bei seiner Gemahlin zu erscheinen, sobald sie einen Wink dazu gegeben! Es wurden Shawls vom feinsten Tuch mit goldener Schnureinfassung und Puscheln getragen. Eine Dame hatte den ihrigen auf die Lehne ihres Stuhls gehangen, sie war aufgestanden und plauderte mit einer Bekannten. Erst als ihr Stuhl leer war, schien Madame Bonaparte den Shawl zu bemerken, und sagte: »Wie unanständig ist das, da hat ein Herr seinen Ueberrock hier gelassen.« Das nächste mal nun erschienen alle Damen in Kaschmirshawls oder in den köstlichsten Seidentüchern aus Lyon.

Josephine besaß gründliche Kenntnisse; Botanik war ihr Lieblingsstudium. Sie vereinigte mit dem ausgebildetsten Kunstgeschmack die holde Anmaßungslosigkeit, die den Frauen so gut kleidet und in Frankreich überhaupt[206] sehr geschätzt ist, ich möchte sagen gefordert wird. In Gesellschaft sprechen die Frauen wenig, ehe sie das dreißigste Jahr erreicht haben. Dichterinnen, Künstlerinnen, Schriftstellerinnen überhaupt machen Ausnahmen von dieser Regel. Unverheirathete junge Damen dürfen weder Augen noch Zunge haben. Der erste Blick auf einen Mann gehört ausschließlich der Liebe, er bleibt im Schrein des Herzens, bis die Empfindung es erschließt. Man sollte glauben, diese Zurückhaltung brächte Langeweile hervor. Doch man würde sich irren, auch die stumme Liebe, von der kein Dritter weiß, findet Mittel sich Luft zu machen, und blitzt hervor unbemerkt von den Anwesenden; das Regen eines Fingers schreibt sich in das Herz eines geliebten Gegenstandes; ein Hauch, ein kaum vernehmbarer Seufzer enthüllt sie, sodaß es niemand anders weiß. Den scharfen Beobachter mahnt dies holde geheime Spiel wie das der Spanierinnen mit ihrer Mantille, der sie eine Sprache zu geben wissen; denn der mächtigen Liebe muß alles dienen! Der Herzog Adrian von Montmorency, ein schöner junger Mann, dessen rosiges Haupt wie von reinem Golde umlockt war, hatte eine Braut im Kloster, die ihm in zwei Jahren angehören sollte. Vergebens flehte er ihre Verwandten und die seinigen an, die Vermählung zu beschleunigen; denn er war schon bald 18, die Geliebte bald 14 Jahre alt. Am Sprachgitter durfte er die Angebetete sehen, und in Gegenwart der Oberin und einiger Nonnen mit ihr sprechen. Jede tausendäugig wie Argus! Sie beneideten die schöne liebeglühende Braut um ihr nahes Glück. Adrian klagte die Familien der Grausamkeit an; man verlachte seine Klagen und wußte seine Besuche im Kloster immer mehr zu beeinträchtigen. Dennoch siegte die Liebe! Adrian fand Mittel, seine Geliebte aus[207] dem Kloster zu entführen, ohne daß sie ein Wort darüber wechselten. Er flüchtete mit ihr nach England und kam triumphirend zurück mit seiner angebeteten Gemahlin. Er konnte sich denken, daß sein Wagestück Beifall fand, weil es gelungen war. Doch es zeigte sich bald, daß die künstliche Steigerung, welche seine Leidenschaft, durch die Schwierigkeiten, die ihr entgegenstanden, unaufhörlich angefacht, nun in sich selbst versinken mußte, als sie keinen Kampf mehr zu bestehen hatte. Das junge Ehepaar wurde gleichgültig gegeneinander. Es wandelte friedlich Arm in Arm durch den Pfad des Lebens, und Adrian würde seine Erkaltung gegen seine Gemahlin noch offener als er that an den Tag gelegt haben, wenn er sich nicht vor der Welt darüber geschämt hätte. Es ging ihm ungefähr, wie es jetzt den Völkern geht; sie ersehnen nur, was sie nicht besitzen; sollten sie es jemals erreichen, sie würden es wieder von sich werfen!

Ich gebe diesen flüchtigen Umriß der damaligen Stimmung und Farbe der Gesellschaft, weil aus dieser Erläuterung für den Denkenden zu schließen ist, wie alles kam, was nachher geschah, und warum die Franzosen so wankelmüthig erscheinen. Sie sind es nicht! Nicht vom Volke ging alles Fluchwürdige aus! Was bei Ausbruch der Revolution und in der Schreckenszeit geschah und vielleicht noch geschehen kann, wird auch nicht aus seinem Herzen entspringen, sondern seinen Ursprung in der Verderbniß der höhern Klassen haben. Doch, was auch die Zukunft ihm bringen möge, es muß zu einem entscheidenden Resultat führen. Dies große, feurige, beseelte Volk wird sich läutern und vergeistigen oder ganz zu Grunde gehen. Noch ist der Franzose zu entflammen, der Deutsche kaum[208] noch mehr. Noch fühlt sich der Franzose als Volk. Nicht so der Deutsche; bei ihm steht das Ehrenvolle hoch und kräftig, aber einzeln da, emporragend, unerschütterlich; aber zwischen ihm und der Gemeinheit liegt nichts in der Mitte, denn jede Erhebung erzeugt Besorgnisse ohne Zahl und Maß, und jede Schnellkraft drückt ihr Dämpfer.

Frau von Genlis war weit entfernt davon, mit mir oder der jungen Stephanie, welche eben aus dem Kloster der Ursulinerinnen kam, oder mit Kasimir, ihrem angenommenen Sohne, von Gegenständen dieser Art zu sprechen. Sie wurde nicht in die Kreise des ersten Consuls noch der Marschälle gezogen, keine Art von Gunstbezeigung wurde ihr zu Theil, sie schien auch keine zu erstreben. Ihre Lebensweise schien aus ihrer Wahl hervorzugehen. Sie hatte wohl berechnet, daß dies das einzige Mittel war, früher oder später emporzukommen. Der Trotz des ersten Consuls gegen Frau von Staël, deren Grundsätze er verwarf und welche er haßte, weil er glaubte, diese geistreiche Frau sehe zu klar und zu tief, um sich über ihn zu täuschen, erweckte bald einige Sympathie zwischen dem Oberhaupt des Staats und der fruchtbaren Schriftstellerin, die sich behutsam und mit raschen Schritten der Bahn näherte, welche sie für angemessen hielt einzuschlagen. Sie suchte in ihren Schriften Frau von Staël zu verdächtigen und zu verkleinern. Auf den gesunden Sinn der Bessern machten diese Versuche keinen Eindruck, aber bei der Partei, der sie sich anzuschließen strebte, erweckten sie Gunst und Beifall. Frau von Genlis hätte nun in Paris bleiben können, doch sie hielt es für vorsichtiger, sich auf einem Umweg ihrem Zweck zu nähern. Sie entfernte sich von Paris, wo sie viele Gegner hatte, um bei ihrer Rückkehr mit mehr Nachdruck aufzutreten.[209]

Geräuschlos zog sie fort. Ihre dürftigen Umstände dienten ihr zum Vorwand. Paris verursachte Geld- und Zeitverlust, in Versailles konnte sie billig leben und ihre gewonnene Zeit zu Geld machen. Indeß war ihr Kreis nicht zahlreich genug, um sie zu stören. Der Schriftsteller Fievée, bekannt als Publicist und durch ein niedliches Romänchen: »Susettens Aussteuer«, und sein Freund Theodor Leclerc waren ihre eifrigsten Besucher. Fievée hatte eine Haft im Tempelthurm bestanden, sein Vergehen war ein sehr geringes. Frau von Genlis kannte ihn und bat ihn durch eine Vorstellung an den ersten Consul los. Sie machte darin seine Arglosigkeit und sein Talent geltend. Dem ersten Consul lag daran, sich geschickte Federn zu gewinnen. Fievée hatte Charakter. Er mußte zwar seine frühere Bahn verlassen, doch er trat nicht in die neuere über. Der junge Theodor Leclerc, dem die Lesewelt manches Ergötzliche, unter anderm die beliebt gewordenen dramatisirten Sprichwörter dankt, ging an der Hand seines Freundes Fievée auf dem geebneten, hier und da umblümten Wege fort, der niemand verschlossen war, und bei sinnreichem Nachdenken und Talent auch Anlaß zu einer geschickten Persiflage gab, die geistreichen Lesern zugute kam. Die beiden Freunde verlangten nicht in das Schloß, doch sie vermieden auch den Weg zum Tempel; sie waren die einzigen Besucher der Frau von Genlis, welche auch in Versailles öfters erschienen. Selbst Kosciuszko und Corvin blieben aus.

General Valence kam nie nach Versailles, seine Gemahlin desto öfter, begleitet von Leonce Lombard oder auch von ihren aufblühenden Töchtern Rosamunde und Felicie. Rosamunde hätte für eine Deutsche gelten können. Sie war blond und frischwangig, ihre blauen[210] Augen glänzten heiter und freudig; üppig schlängelten sich ihre vollen blonden Locken um das Blumenbeet ihres Angesichts. Sie war das Bild ihres Vaters und wie er hoch und schlank gebaut. Ihre Schwester Felicie hingegen glich ihrer Großmutter Genlis, sie war lebhaft und geistvoll, ein angenehmes Kind, der es auch an Gutmüthigkeit nicht fehlte. Die Großmutter hatte Sinn für ihre Liebenswürdigkeit, doch beide Kinder waren ihr etwas fremd geblieben, und es blieb dabei.

Des Generals Valence's improvisirte Ehe konnte keine glückliche sein. Seine schöne junge Frau, die auch Geist und Gemüthlichkeit besaß, wurde durch sein Verhältniß zu Frau von Montesson in ihren zartesten Gefühlen gekränkt. Nach wenigen Jahren eines schalen Ehelebens entzog ihr der Sturm der Zeit und der Krieg des Gemahls Gegenwart. Valence war Adjutant vom General Dumouriez und nahm an dessen Uebergang zum Feinde Theil. Durch die freundliche Gesinnung Josephinens zur Frau von Montesson kam er wieder in Gunst, und konnte seinen Kindern das der Nation verfallen gewesene Vermögen seines Schwiegervaters, des enthaupteten Grafen Sillery, retten.

Frau von Genlis hatte einen Bruder, Namens Ducrest, der voller Geist und Erfindungskraft war. Ihm dankte der erste Consul die flachen Schiffe, mit denen er England anfallen wollte; man weiß, wie diese Unternehmung mislang. Dieser Bruder der Frau von Genlis war arm geboren und geblieben. Der einzige Sprößling seiner ersten Ehe, Cäsar Ducrest, kam 1807 auf der Seine um. Er war voll Gemüth und Geistesgaben, eines schönern Todes werth. Seine Tochter aus zweiter Ehe Georgetta, war eine gewinnende Erscheinung, voll Lebhaftigkeit und künstlerischen Anlagen; auch sie[211] kam mit ihren Aeltern nach Versailles. Das liebenswürdige Paar Parandier wohnte schon seit längerer Zeit dort, so auch die Besitzerin eines schönen Hauses und prachtvollen Gartens, Madame Lemoniers, die Witwe eines der verdienstvollsten Gelehrten Frankreichs; sie war jung, lieblich und geistbegabt. Sie liebte ihren zweiundsiebzigjährigen Onkel mit der wärmsten Bewunderung und innigsten Zärtlichkeit. Sie erklärte ihm und ihren Aeltern, sie würde keines andern Mannes Hand annehmen, und da ihre Familie ihr Schwierigkeiten entgegensetzte, flüchtete sie sich zu ihm hin, wurde seine Gattin und lebte glücklich. Sie hatte sich vorgenommen, keine zweite Heirath einzugehen und blieb lange ihrem Vorsatz treu. Wir besuchten sie oft. Frau von Genlis war in der Botanik sehr erfahren, und freute sich des pflanzenreichen Gartens ihrer Freundin. Unser Wohnhaus lag neben dem ehemaligen Hotel de Vergennes, in dessen schattenreichem Garten ein klares Gewässer ganz mit Blumen umgeben uns junge Welt sehr entzückte. Wir durften dort im Kahn umherfahren. Hotel und Garten waren das Eigenthum eines alten ehemaligen Armeelieferanten, der, wie alle seines Standes, die Kunst verstanden hatte, schnell reich zu werden. Wir besuchten seinen Garten oft und immer mit Genuß. Frau von Genlis fand ihn abscheulich, sie liebte die französischen Gärten in Lenotre's Stile nicht, ich auch nicht; aber welch junges frisches Herz erfreut sich nicht an grünen Bäumen und blauer Flut!

Im geräumigen Hause, das Frau von Genlis mit uns bezog, war es schlecht um mein Zimmer bestellt. An den Wänden hingen zerrissene Tapeten herunter und es stand beinahe gar nichts darin; doch ich war getröstet, wenn ich Tinte, Feder, Papier und einen Schreibtisch[212] hatte. Ja, wenn ich nur Ideen und Bilder besessen hätte! Frau von Genlis baute gar keine Hoffnungen auf meine Anlagen zum Schreiben, und wenn es nach ihr gegangen wäre, so würde ich ganz davongeblieben sein. Sie hatte damals recht. Sie meinte es überhaupt ehrlich, wenn sie Rath gab.

Versailles war zu der Zeit ziemlich öde. Der erste Consul hatte dort ein Lyceum für Heranwachsende hinbeschieden. Ein Gelehrter, Namens Belin de Ballu, war Director desselben. Kasimir mochte fühlen, daß ihm Gymnasialunterricht nothwendig sei, vielleicht auch stach ihm die Uniform in die Augen. Er verlangte von seiner Pflegemutter, auf ein halbes Jahr dort eingeschrieben zu werden. Dem blonden Knaben mit feiner Haut und brennenden schwarzen Augen stand die grüne goldverzierte Uniform allerdings sehr hübsch, allein der Unterricht behagte ihm nicht lange, und er hing die Uniform an den Nagel, übte fleißiger als je sein Harfenspiel, zuerst auf einer kleinen klanglosen Harfe nur wegen der Fingersetzung, bis er nach und nach zum Instrumente selbst überging. Stephanie, eine liebliche junge Freundin, genoß auch den Unterricht bei Frau von Genlis. Kasimir machte dieser sehr viel zu schaffen.

Frauen sollten nicht Knaben erziehen wollen.

Ueberdem schrieb sie um Brot, und es blieb ihr keine Zeit, ihrem Pfleglinge die Kenntnisse beizubringen, die sie selbst besaß. Der Knabe war auch nicht sehr lüstern danach, er liebte das Umherstreifen lebhaft, und die Einsamkeit eines ganz freudenlosen Hauses konnte ihm nicht zusagen. Die Folge seines Unbehagens war gegenseitige Erbitterung, die nicht selten gegen Frau von Genlis selbst losbrach. Ich und Stephanie vernahmen durch den Kamin die bittern Worte, welche sich[213] der Pflegling und seine Wohlthäterin sagten; sie thaten uns in der Seele weh, denn wir beide liebten Frau von Genlis aufrichtig und freuten uns herzlich ihrer Mittheilungen, am meisten, wenn sie uns den Plan einer Erzählung, welche sie schreiben wollte, entwarf, oder uns eine vorlas, die sie eben verfaßt hatte. Sie schrieb schnell und besonnen, und arbeitete alles, was sie schrieb, vorher im Kopfe aus, nie machte sie ein Concept. Buffon hatte ihr diesen Grundsatz eingeprägt, damit der Gedanke in seiner Ursprünglichkeit auf das Papier käme. Musterhaft war ihr Fleiß. Sie stand nachts um 2 Uhr auf und setzte sich an den Schreibtisch, ohne etwas zuvor genossen zu haben. Um 8 Uhr legte sie sich wieder zu Bett bis 10 Uhr, wo man sie mit ihrem Frühstück weckte, das allein aus Früchten bestand. Kein Wein, kein Kaffee kam über ihre Lippen, höchstens Orangenblütenthee mit Milch und Eierdotter; sie bereitete sich einige stärkende Mittel. Solange man jung ist, glaubt man nie altern zu können, sonst würde ich mich wol um ihre Arznei gekümmert haben. Sie starb mit 89 Jahren im vollen Genuß ihrer Geisteskräfte, ohne vorhergehende Krankheit. In ihrer Todesnacht hatte sie noch an Ludwig Philipp zwei Vorstellungen geschrieben. Die eine zu Gunsten Kasimir's, für den sie eine Pension erflehte; die zweite enthielt eine Bitte für eine arme Familie, die sich, wie so viele thaten, an sie gewendet hatte. Beide schrieb sie im Vorgefühl des herannahenden Todes. Sie starb einsam, man fand sie dahingeschieden in ihrem Bette. Stets spendete sie so viel Wohlthaten, daß man nur noch sechs Sous bei ihr fand. Frau von Valence eilte an ihr Todtenbett, und bemerkte bald, daß kein Betttuch da war sie einzusargen; sie erfüllte diese und andere Pflichten an der Dahingeschiedenen.[214]

Hiermit bin ich aber der Zeit, wo ich mich in ihrem Hause befand (1801) und dem Lauf der Geschichte vorausgeeilt und nehme den Faden jener Tage wieder auf. Ich werde noch öfters Gelegenheit haben, von Frau von Genlis zu sprechen, und nicht ermangeln, sie ihrem ganzen Wesen nach treu zu schildern. Wer sie kannte, wird sie in diesem Bilde treuer und lebendiger dargestellt finden als in ihren wohlbekannten Memoiren, in welchen vieles Unwahre steht, manches Ueberflüssige verzeichnet ist und die Geschichte ihrer Zeit überaus lückenhaft behandelt worden, ohne daß man entdecken konnte warum; doch Frau von Genlis, gleichwie die Herzogin von Abrantes, waren der Wahrheit fremd, die Lüge hatte sich ihrer bemächtigt. Ich sage das nicht, weil sie über mich gelogen haben, und will nicht deshalb den Stab über sie brechen, sondern betrachte dies Unglück wie jede andere moralische Krankheit und trauere darüber. Nur eine Gestalt aus der Vergangenheit stand ihr treu zur Seite. Es war der Leibarzt Philipp Egalité's, der brave Vater meiner lieben Stephanie, welche eine vortreffliche Erziehung in dem Ursulinerinnenkloster genossen. Ihre natürlichen ausgezeichneten Geistes- und Gemüthsanlagen waren dort harmonisch ausgebildet worden. Ihr Vater hatte sie zu fernerer Ausbildung der Frau von Genlis anvertraut. Kein Umstand aus dem Leben der Frau von Genlis, solange sie in Frankreich war, konnte ihm entgangen sein, er war ihr deshalb nicht minder ergeben. Napoleon hatte ihn an die Spitze der Aerzte als Director des Hospitals seiner Garde gestellt. Alyon bewunderte und liebte den ersten Consul wegen seiner väterlichen Fürsorge für das Wohl seiner Soldaten; auch war es ihm vielleicht nicht gleichgültig, daß er sämmtliche Wundärzte und Aerzte der Armee[215] zum Offiziersrang erhoben, und ihnen den Titel »Gesundheitsoffiziere« beigelegt hatte. Auch verschiedene Prärogative des Offizierstandes waren ihnen zugetheilt worden. Viele freuten sich ihrer schönen Uniform, welche auch Alyon nicht gleichgültig war; sie war theegrün mit Gold gestickt, und wurde nur bei außerordentlichen Gelegenheiten getragen. Der erste Consul liebte in allem Pracht und Stil, allein das römische Costüm der Deputirten, wiewol es sehr hübsch war, mußte ihm lächerlich erscheinen, denn er schaffte es ab. Das Römer- und Griechenthum blieb ausschließlich David und seiner Schule, während der ägyptische Stil in Möbeln und Geräthschaften herrschend blieb.

Mit Wonne kehrten die Franzosen wieder zum Franzosenthum zurück und die Französinnen zur Schnürbrust, die alle äußerlichen Mängel des Körperbaues beseitigte, kaum bemerkbar ihre Herrschaft wieder einnahm und zur Wespe umschuf, was erst Grazie gewesen. Josephinen stand die verlängerte Taille sehr schön, sie erlebte nicht mehr die Wespenmetamorphose und noch weniger die Nürnbergerspitzen-Taillen mit den Wespen und spitzen Schneppen hinten und vorn. Der Reifrock und die Pariser Poschen werden nicht ausbleiben, wenn es so fortgeht. Die Modenveränderungen sind der fressende Krebs, der am Wohlstand und an der Bildung des Menschengeschlechts zehrt! Denn die Männer sind zu Modengecken geworden, wie die Frauen und die Kinder auch. Besonders in Paris scheint die Eitelkeit der Kinder ein uraltes Erbtheil zu sein. Ich sah einmal zwei niedliche Mädchen durch den Tuileriengarten gehen; die eine faltete den Rock ihres Kleides mit großer Sorgfalt zusammen, und fragte dann das Schwesterchen: »Anna, ist auch mein Bein zu sehen?« Dies war sehr zierlich geformt,[216] Anna bejahte, und die Kleine war zufrieden. Eine andere, von deren schönen Augen man schon gesprochen hatte, sagte: »Die Sonne thut meinen schönen Augen weh!«

Noch im Frühling 1802 stand an allen Wänden geschrieben: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, oder der Tod.« Man übte die Vorsicht, diese Inschriften nur einzeln zu vertilgen. Die Stadt bot übrigens auch ohne sie den traurigsten Anblick dar, sie war so gut wie verwüstet, sah verwildert aus. Um das prachtvolle Schloß her schwebten gleichsam mit dunkeln Flügeln die Geister der alten Schreckenstage. Ihr Schwirren und Sausen schien neues Unheil zu verkünden, das noch schlief und sich in Träumen regte. Im Winter würde ich in Versailles vergangen sein vor Langeweile, wären nicht Parandies dort gewesen und hätte ich nicht die deutsche Familie von Gräfe dort gefunden. Der Oberst war Erzieher des unvergeßlichen Georg von Mecklenburg-Strelitz, seine liebenswürdige Gemahlin hatte die ersten Jahre der vier Schwestern des Prinzen geleitet. Drei hübsche Kinder umgaben Gräfe, von denen mir das eine durch eine unverkennbare Aehnlichkeit mit der Königin Luise von Preußen auffiel. Als ich meine Verwunderung darüber äußerte, sagte der Oberst: »seine Gattin sei zu der Zeit, wo sie die kleine Luise unterm Herzen trug, mit der Königin von Preußen sehr beschäftigt gewesen, und liebe sie unaussprechlich, daher die Aehnlichkeit!« Es war dem nicht so, sondern Luise war das Pfand einer ersten Liebe des Prinzen Georg. Als sie 17 Jahre wurde, verlor sich diese Aehnlichkeit. Gräfe war durch seine Hofkabale von seiner Stelle beim Prinzen Georg entfernt worden. Erst viele Jahre nachher, als ich die frechsten und empörendsten aller Hofkabalen, die es jemals gegeben, an mir[217] selbst erfuhr, konnte ich mir denken, was der vortreffliche Mann gelitten haben muß. Er sprach nie darüber; erst durch andere erfuhr ich sein Verbrechen: er hatte einige Pappeln umhauen lassen, die ihm die Aussicht hemmten. Die Schmähsucht verbreitete, daß ihm die Pappeln hinderlich gewesen wären, die Fenster der Wohnung einer stillgeliebten hohen Dame zu erblicken. Aus solchen Fäden wurde der Lügenknäuel gedreht, aus dem sein Netz bereitet wurde. Der Erbprinz war keinen Augenblick in Zweifel über ihn. Ich habe die Briefe gelesen, die er ihm schrieb, sie sind voll Geist und Herzigkeit. Oberst Gräfe lebte vergnügt im Schos seiner Familie und einer ländlich freundlichen Natur. Er konnte mit Karl Lappe sagen:


Stadt oder Land, nur nicht zu eng die Räume,

Ein wenig Himmel, etwas Grün der Bäume,

Zum Schatten vor der Sonne Brand.

Nicht an das Wo ist Seligkeit gebunden;

Wer hat das Glück noch außer sich gefunden?

Stadt oder Land! Die Außenwelt ist Tand!


Theurer Sänger Lappe! lebst du? Birgt das Dach deiner neuen Hütte in Pütte Glückseligkeiten deiner werth? Sind deine Söhne wie du, deine Töchter der Mutter gleich? O, möchten die stillen Wünsche aller Guten, die dich unsichtbar umschweben, in Erfüllung gehen! Deutscher Sänger, dessen seelenvolles Lied vom Geklingel künstelnder Reimhascher übertäubt wird und der den Kampf mit dem Leben freudig besteht! Vor mehreren Jahrzehnden baute dir Liebe dein Häuschen wieder, das in Asche lag. Heutzutage würde es in Asche liegen bleiben. Und auch damals gab es für dich nur einen Castelli. Denn[218] von allen Redacteuren von Journalen und Verlegern von Taschenbüchern, die Karl Lappe mit seinen entzückenden Liedern geschmückt, sind ihm wol nur die wenigsten honorirt worden: »weil es nur Gedichte sind!« Ferdinand Castelli war der einzige, der dem Sänger dankbar war. Er pränumerirte auf 25 Exemplare der Gedichtsammlung für den Neuaufbau der Hütte in Pütte. Für manchen Herausgeber und Verleger sind die Dichter Citronen zum Ausdrücken und Wegwerfen. Amphion machte die Steine beweglich, die sich zum Bau Thebens fügten; unsere Verleger verstehen dagegen unsere Lieder festzumachen, um sich ihre Paläste zu bauen. Möchten sie doch! Der Dichter bedarf keines andern Palastes, als das Feenschloß der Phantasie; aber in der Noth ihn verlassen, das setzt die Verleger den schlesischen Fabrikherren gleich.

Wenn ich zur Familie Gräfe ging, mußte ich mitbringen, was ich seither geschrieben hatte. Es waren meist Uebersetzungen nach Novellen der Frau von Genlis, die ich für musterhaft hielt und die ohne Zweifel Verdienst haben. Unvergeßlich wird der Lesewelt z.B. die Novelle »Fräulein von Clermont« bleiben; auch die Erzählung »Der Malencontreux« ist höchst eigenthümlich; man kann das von vielen ihrer Schriften nicht sagen. Letzteres Werk deutet darauf hin, was in ihrem eigenen Herzen vorgegangen sein mag, ehe die Revolution ihre Schwingen entfaltete. Auf eine so feine als geistreiche Weise ist die Unsitte und Nichtigkeit des französischen Hofes, wie er zur Zeit der Regentschaft bestand, hier gerügt. Menschen-, Welt- und Hofkenntniß sind hier in einer seltenen glänzenden Vereinigung zu finden. Die Witzpfeile sind mit treffender Hand abgeschnellt und gehen bis in das Mark. Man sieht, daß die Verfasserin das Gute erkannte und ersehnte, und eine bessere Zeit aus den Trümmern des Hergebrachten[219] aufbauen wollte. Ob sie nachher im Strudel der Zeit mit fortgerissen, durch Leidenschaft verblendet, das, was sie zuerst absichtslos erstrebte, nun selbstsüchtig zur Erreichung eigenen Vortheils anzuwenden bemüht war, ist noch unentschieden, und mögen wir das Beste von ihr denken, da das Schlechte nicht bewiesen ist.

Eines Tages war ein Brief gekommen, mit dem bekannten Namen eines Republikaners Soulavie unterschrieben. Der Brief war in einem freien Tone abgefaßt, schien auf große Vertraulichkeit in politischen Dingen und gemeinsame Wirksamkeit für die Sache der Republik hinzudeuten, und verlangte eine neue Zusammenkunft, um wiederum die frühern Verhältnisse anzuknüpfen. Frau von Genlis war über diesen Brief in der höchsten Bestürzung; sie versicherte feierlich, den Verfasser nie gekannt zu haben und nichts von ihm wissen zu wollen. Ein Bekannter kam an demselben Tage von Paris, setzte einige Zeilen in diesem Sinne abgefaßt, auf, welche sie unterschrieb, und es war vom Bürger Soulavie keine Rede mehr, er meldete sich nicht mehr. Kurz nach dieser Aufregung sagte sie uns einmal von den ersten Schritten, welche sie im Auftrage des damaligen Herzogs von Orleans mit Hülfe Sheridan's für die Revolution gethan. Sie hatte eine große Anzahl Ringe mit Brillanten, Saphiren und Rubinen, den drei Nationalfarben, bekommen, nur sie nach England zu bringen; diese wurden an alle Gleichgesinnten verschenkt, und dienten zum Erkennungszeichen. »Ich liebte die Revolution«, sagte Frau von Genlis, »damals konnte man sie lieben!« Dies sind die einzigen Worte, welche sie jemals in unserer Gegenwart darüber ausgesprochen. Ueber den Ersten Consul äußerte sie sich mit schwer verhaltenem Unwillen. Ueber die Ermordung der Prinzessin von Lamballe[220] sprach sie edle Worte des Mitleids aus. Madame Elisabeth hieß sie einen reinen Engel der Tugend und des Erbarmens. Marie Antoinette wurde auf eine Weise erwähnt, die schonend sein sollte, ebendeshalb aber nur schärfer einschnitt. Ueber Ludwig XVIII. und die Herzogin von Angoulême beobachtete sie ein schmerzliches Stillschweigen; doch Ludwig XVI. kam schlimm weg. Es gab keine Lächerlichkeit, keine Unsitte, keine pöbelhafte Gewohnheit, welche sie dem seligen Märtyrer nicht aufgebürdet hätte. Auch Necker's Andenken litt unter ihrer Zunge, nicht minder das seiner edeln Gemahlin und seiner genialen Tochter, von welcher sie nicht müde wurde, Lächerlichkeiten zu berichten und Schriften herabzuwürdigen, welche sie als sittenverderbend und unsinnig darstellte.

Die vierzehnjährige Stephanie, Kasimir, der dem Knabenalter kaum entwichen, und die achtzehnjährige Helmina hatten den berühmten Namen der Frau von Staël nie zuvor aussprechen hören; wir wunderten uns, erstaunten über so viel widerliche Gewohnheiten einer Frau, welche uns Frau von Genlis selbst als höchst geistvoll schilderte. Wenn sie den Köcher ihrer Giftpfeile auf jene abgeschossen, pflegte sie sich zu mir zu wenden, und sagte mit unverkennbarer Erbitterung: »Sie, Helmina, haben manche der Fehler der Frau von Staël, werden aber nie ihren Geist haben!« Ich weiß nicht, warum dieser Tadel mich stolz machte, und ich vertheidigte mich darüber nicht; er dünkte mir gehässig und benahm mir den Begriff, den ich von der Gerechtigkeitsliebe und der Klarheit des Urtheils, die ich ihr ehemals zugetraut, gefaßt hatte. Sie erzählte von Necker's Gattin einen kleinen Charakterzug, den ich nicht vergessen habe. Madame Necker habe bei der Aussicht auf einen baldigen [221] Tod ihrem Gemahl eine große Anzahl Briefe geschrieben, welche sie numerirte und einem Freunde anvertraute, der sie in verschiedenen Zwischenräumen an ihn absenden sollte. Ich fand die Idee sinnreich und eigenthümlich. Frau von Genlis fand darin Ziererei, Anmaßung und sogar Grausamkeit. Sie sagte: »Diese Briefe mußten Wunden aufreißen!« Ich habe kein Urtheil darüber, halte aber meine Empfindung für die richtigere. Ich kenne manche gefühlvolle Frau, die dasselbe gethan hätte wie Madame Necker, wenn es ihr eingefallen wäre. Wie vieles hat nicht eine liebende Gattin auf dem Herzen, für welches der Ausdruck durch das Leben beeinträchtigt wird und was erst über dem Grabe besprochen werden kann. Das Grab trennt ja weder die Liebe noch den Zusammenhang mit dem geliebten Gegenstande. Mich hat Gott gewürdigt, mir hiervon die unumstößlichsten Beweise zu geben – ein mächtiger Trost, eine süße Erquickung, ein unumwölkter Blick in das schönere Dasein, dem wir entgegenreifen, das wir nie aus den Augen verlieren sollten; denn, o! wir finden uns wieder! Das Wie und Wo weiß der Allmächtige! Die menschliche Vernunft auf unsern Pilgerwegen kann uns kein Licht darüber geben. Unser Licht sei Christi Lehre!

Wir waren nicht lange vor dem Namenstage der Frau von Genlis in Versailles angekommen. Ich hatte ein kleines Spiel dazu entworfen. Fievée schrieb es um, und dichtete dazu ein Lied, welches Stephanie singen sollte.

Kasimir hatte die Hauptrolle. Frau von Genlis sollte damit überrascht werden, weswegen wir das kleine Spiel auf das sorgfältigste mit Kasimir durchgingen und einübten. Fievée war sehr zufrieden mit der Darstellung.[222] Eine kleine Gesellschaft war zugegen; die Anwesenden merkten bald, daß Kasimir's Rolle einstudirt sei. Am 14. Juli hatte sich Dr. Alyon seine Stephanie und mich erbeten, um uns zum Feste der Eroberung der Bastille zu führen. Es war das letzte dieser Art, und wurde mit großem Pomp begangen. Es gab großes Concert im Freien, Revolutionshymne und Chöre, große Tafel in den Elyseischen Feldern für die Invaliden, Maste mit bedeutenden Preisen für die geschickten Aufklimmer, heroische Ballete, Feuerwerk und noch viel anderes mehr, um das glückliche Volk zu ergötzen, welchem auch noch Geflügel, Schinken und Wurst ausgetheilt und volle Becher Weins dargereicht wurden. Es war die Büchse der Pandora, die herabgeschüttet wurde, aber auch Angenehmes enthielt. Die Menge war äußerst zufrieden. Das Tuilerienschloß, noch vor wenigen Jahren der Aufenthalt des Entsetzens und Jammers, war vom Fuß bis zur Thurmkuppel ganz mit Flammenzügen gezeichnet, und bot einen prachtvollen Anblick dar. Einen betäubenden Dampf verbreiteten die Pyramiden mit Talglampen besetzt, welche den ganzen Garten erleuchteten. Am verletzbarsten für das Gefühl der Gutgesinnten war die fabelhaft prächtige Ausschmückung des Revolutionsplatzes. Hier hatten unzählige unschuldige Opfer geblutet. Hier hatte auch Philipp von Orleans seinen Geist ausgehaucht. Feierte man nun das Andenken dieser Greuelthaten oder den endlich errungenen Frieden? Die Zukunft hat bewiesen, daß das Mene Mene Tekel Upharsin dieser Flammenschrift dem Belsazar jener Zeit galt, und daß Babylon von der Zukunft nur neuen Jammer zu erwarten hatte. Kurz vor Anbruch des Tags erloschen die Lampen, das Tuilerienschloß stand starr und düster wie eine stumme Drohung da. Die[223] vergnügungssüchtige Menge verlor sich schweigend, übersättigt von Genüssen. Das Wort »Gallisches Kaiserthum« stieg wie aus dem Boden empor, und kreiste durch die Massen. »Was heißt das?« fragte ich meinen Führer. »Sie hören ja«, antwortete dieser, »es ist ein Gallicismus!«

Ich war zu müde zu noch andern Fragen, und wir begaben uns sehr abgespannt nach Hause. Andern Tags bemerkten wir nur Erschlaffung und Trübsinn. Jedermann wußte, was dies zu bedeuten hatte, aber niemand sprach darüber. Frau von Genlis ermahnte mich mit Freundlichkeit, nicht wieder ein solches Volksfest mit anzusehen; ich entschuldigte mich mit der Nothwendigkeit zu schreiben, um Geld für meine Mutter zu verdienen. Sie ließ die Entschuldigung gelten, zweifelte aber am Erfolg. Ich erkrankte indeß schwer an den Masern. Frau von Genlis zog auf drei Wochen aus dem Hause, damit Stephanie und Kasimir nicht auch erkranken sollten. Ich schrieb aus Langeweile eine kleine Geschichte, die mir ganz allerliebst vorkam. Fessler nahm sie gern in die »Eunomia« auf. Ich hatte sie aus meinem eigenen Französisch übersetzt. Ich wurde gesund, und der Frühling kam, er brachte mir Blumen und Lieder. Ich durfte morgens in das schöne Wiesenthal nahe an unserm Hause gehen; es war sehr lieblich und hätte verdient, besser besungen zu werden.

Im März erhielt Frau von Genlis die langersehnte Nachricht, daß ihr der Erste Consul eine schöne Wohnung im Arsenal bewilligt habe. Wir zogen im Triumph hinein, wir sahen mit Recht in dieser Begünstigung den Vorläufer mancher andern. Auch Parandies kamen nach Paris. Sie hatten die Hoffnung aufgegeben, daß Frau von Genlis auf ihre Lage Einfluß üben[224] könnte oder vielmehr wollte; denn sie behaupteten, daß sie es könnte. Sie nahmen sich meiner sehr herzlich an und wollten mir ein freundliches Zimmer in ihrer Wohnung bereiten, unüberlegterweise schlug ich es aus.

Schon lange war die Rede davon gewesen, daß ich mir eine Bahn brechen müßte, um nicht länger bei Frau von Genlis zu sein. Sie hatte mich nach Polen schicken wollen; ich empfand Scheu vor dem fremden Lande, dessen Sprache mir unbekannt war. Diese Scheu war um so kindischer, als ich mehrere polnische Familien kannte; doch ich konnte nach den Erfahrungen, die ich in Frankreich gemacht hatte, den Gedanken an Abhängigkeit, und wäre es auch die mildeste von allen, nicht mehr ertragen. Ehrgeiz und Neigung bestimmten mich, eine literarische Laufbahn zu suchen; diese sollte mir auf unerwartete Weise geöffnet werden. Ich hatte mich nach einer lutherischen Kirche umgesehen, womöglich nach einer deutschen; diese befand sich im Hotel der schwedischen Gesandtschaft.

Ich ging dorthin, denn ich hatte in Paris keine einzige deutsche Familie, die mich hätte dorthin führen können. Ich gerieth in einen prächtigen Gartensaal, der offen stand. Unwillkürlich hefteten sich meine Blicke auf den großen Kaminspiegel, der das junge Maigrün und die Blütenpracht des Gartens zurückstrahlte. Beim Hineinsehen bemerkte ich einen Mann, der, den Garten entlang kommend, sich nach dem Hause hinbewegte. Seiner Kleidung nach zu schließen, mußte es der Pastor sein. Er war im jugendlichen Mannesalter, seine Gesichtsbildung sprach Freundlichkeit und Offenheit aus. Ich suchte ihm unbemerkt in das Haus nachzufolgen, und befand mich nun an der Stätte, wo die Andacht gehalten wurde, in der Mitte der Gemeinde und der[225] Kanzel gegenüber. Ein klarer einfacher Vortrag, Frömmigkeit athmend und trostreich für ein leidendes Herz, nahm mein ganzes Gemüth hin. Es wurde mir wohl und bang dabei; hatte ich mir doch viel vorzuwerfen, und ging ich doch einer ungesicherten Zukunft entgegen. Geldlos, heimatlos, verwaist, ohne Freunde, beinahe ohne Bekannten in der fremden Stadt – was sollte aus mir werden? Ich konnte es nur Gott anheimstellen und der Hoffnung Raum geben, die mir verhieß, es würden sich unter den mehr als hundert Menschen, die mich umgaben, alle gleichen Glaubens, gleicher Sprache, doch wol einige Seelen finden, die sich mir nähern und befreunden könnten. Nach beendetem Gottesdienst kam der Pastor von der Kanzel und näherte sich mir. Nach einigen freundlichen Worten lud er mich zu sich ein, bat um meine Adresse und gab mir die seinige. »Wir wohnen sehr entfernt voneinander«, fügte er hinzu. »Die Essenszeit ist meine freieste; bestimmen Sie mir einen Tag, wo Sie kommen können, ich werde einige Freunde zu mir laden.« Ich versprach wie er verlangte, und entfernte mich, durchdrungen von seiner Güte und tief bewegt von Freude und Hoffnung. So mag dem zu Muthe sein, der mit den Fluten kämpft und plötzlich einen Zweig erfassen kann, an welchem er sich ans Land schwingt!

Ich eilte nach dem Arsenal zurück, wo ich schon seit mehreren Wochen nicht mehr das Mahl der Frau von Genlis theilte. Sie ließ nämlich schon lange Zeit nicht mehr zu Hause kochen. Ich kaufte einiges Obst und etwas Brot, nur genug, um mein Leben zu erhalten.

Ich brachte den größten Theil des Tags auf der Bibliothek des Arsenals zu, oder nahm ein Buch mit in den Baumgarten des Gebäudes. Ein kleiner Nachen[226] führte mich nach dem gegenüberliegenden botanischen Garten, dort suchte ich den großen Blumenmaler Vanspandonk auf, zu welchem mich die liebenswürdige Gräfin Miecilska hingeführt hatte. Gern gab er mir Unterricht im Blumenmalen. Als ich unter seiner Anleitung eine Rose beinahe vollendet hatte, gab er mir dieselbe mit, und weil die Schildwachen alle den Befehl hatten, keine Blumen herauszulassen, so schrieb er mir ein Zettelchen mit den Worten: »Lassen Sie eine Rose durch!« Vanspandonk's Unterricht hätte mir sehr ersprießlich werden können, und würde mir eine bequemere Laufbahn eröffnet haben, als Schriftstellerei. Allein meine Gesundheit machte einen Aufenthalt auf dem Lande für mich wünschenswerth, und es bot sich ein günstiger Anlaß dar, auf einige Zeit von Paris zu scheiden, den ich ergriff, wiewol mir Paris seit kurzem sehr theuer geworden war. Ich hatte einen ausgezeichneten jungen Mann kennen gelernt: Johann Gottfried Schweighäuser, Sohn des verdienstvollen Hellenisten dieses Namens. Alles vereinigte sich, ihn mir theuer zu machen: seine Geistesgaben, seine wissenschaftliche Ausbildung, sein Herzensadel, seine sittliche Würde. Ich schrieb meiner Mutter von der Wahl, die ich getroffen, und von den Aussichten meines Verlobten in die Zukunft. In zehn Jahren konnte er erst hoffen angestellt zu werden. Allein was sind denn zehn Jahre einem liebenden glaubenden Herzen! Meine Mutter warnte mich vor dieser Liebe. Nahe dem Grabe, wie sie war, konnte sie nicht mehr jugendlich fühlen, und sie betrübte mich, ohne mich in meinem Entschluß wankend zu machen. Es kam jetzt nur darauf an, für meinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ich besaß nichts in der Welt, doch dies kümmerte mich keinen Augenblick. Meine Schriften wurden gut aufgenommen[227] und anständig honorirt, was bedurfte es mehr! Schweighäuser, ein gewandter und geistreicher Publicist, stand mit Cotta, dem großartigsten aller Verleger seiner Zeit, in Verbindung. Dieser hatte ihm vorgeschlagen, die Redaction der französischen Miscellen zu übernehmen, welche er nach dem Muster der englischen Miscellen zu stiften gesonnen war.

Da Schweighäuser die Hofmeisterstelle beim Marquis Le Voyer angenommen hatte, konnte er die Verbindlichkeit mit Cotta nicht eingehen, und kam auf den Gedanken, mich für diese Redaction anzubieten. Er schrieb Cotta hierüber, wie nur ein Liebender schreiben kann. Cotta schlug ein, nachdem er mehreres von mir gelesen hatte. So war ich denn Herausgeberin einer Zeitschrift, die von Wichtigkeit und Einfluß werden sollte – und kannte kaum zehn Straßen von Paris. Ich war, wie von Marcell in den Hugenotten steht, ein roher Diamant, gefaßt in Eisen, aber ich war doch ein Edelstein!

Meine gute Mutter hatte mich daran gewöhnt, niemals an mir zu zweifeln. Der Werth des Geldes war mir zeitlebens unbekannt geblieben. Cotta hatte sechs Louisdor für die Redaction der Miscellen angeboten; damit dünkte ich mich reich und schrieb frohlockend meiner Mutter von der Sache. Nur die Kleinigkeit, wovon ich vom Monat Juli 1802 bis Januar 1803 leben sollte, war noch zu bedenken, doch auch hier waltete mein guter Stern.

Ein greiser Schweizer ließ sich bei Frau von Genlis vorstellen. Ich war zugegen. Als er erfuhr, ich sei die Enkelin der Karschin, die er gekannt und bewundert, erglühte er mit freudiger Ueberraschung. »O, Sie müssen mich einmal in meinem Wohnhause besuchen, und mein Gast sein!« rief er aus. »Das kann geschehen, sobald[228] Sie es wünschen«, sagte ich mit Frau von Genlis zugleich, und sofort wurde der Tag angesetzt, wo mich Graf von Escherny nach Versailles abholen sollte. Wie froh war ich, wie gerührt; meinte ich doch, der Segen der Großmutter habe hier über mich gewaltet. Auch diese Gunst des Schicksals konnte ich noch vor ihrem Sterben der lieben Mutter mittheilen. Soll ich hier noch anführen, daß eine wunderbare Mittheilung aus der Geisterwelt mir eine Gewaltthat der Frau von Genlis verkündete? Graf Lucchesini, der preußische Gesandte, dessen gastliches Haus allen Landesgenossen offen stand, hatte geglaubt mir nicht verschweigen zu dürfen, daß Frau von Genlis gegen ihn und mehrere Personen geäußert habe, ich sei ohne Zufluchtsort in Paris umhergeirrt und sie habe mich aus Mitleid aufgenommen, könne mich aber nicht mehr behalten, weil ich mir selbst meinen Weg bahnen müßte, um meine Zukunft zu sichern. Mit meiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit rief ich aus: »Das ist erlogen!«

»Oho«, sagte Graf Lucchesini mit verweisendem Blick, »das ist leichter gesagt als bewiesen!« – »Und nicht schwerer zu beweisen als zu sagen!« sagte ich. »Ich besitze alle Einladungsbriefe der Frau von Genlis, zu ihr nach Paris zu kommen!« – »Die bringen Sie mir, junge Dame, die muß ich lesen!« – »Morgen früh, Herr Gesandter!«

Ich entfernte mich höchst aufgeregt, suchte alsbald im Arsenal meine Briefe zusammen, und nahm mir vor, sie nebst einigen von meiner Mutter dem edeln Pastor Gambs zu bringen. Ich muß an dieser Stelle anführen, daß das Arsenalgebäude abends verschlossen wurde. Es enthielt nur die Wohnung des Portiers, und die der Frau von Genlis, über welcher mein Zimmer[229] lag. In diesem anmuthigen Gemach, an welchem die Seine vorüberfloß und das einen malerischen Theil von Paris beherrschte, waltete eine herzerhebende Erinnerung aus der Vorzeit.

Heinrich IV. pflegte hier mit Sully täglich einige Stunden in trautem Gespräch zuzubringen. Diese Erinnerung begrüßte mich, so oft ich mein Zimmer betrat.

An jenem verhängnißvollen Morgen wurde ich geweckt, weil ich zu hören glaubte, daß jemand mit starken Schritten der Eingangsthür, welche verschlossen war, nahte und gewaltsam hineinwollte. Ich kleidete mich schnell an und ging nach der Thür; die Hausflur war einsam, nirgends regte sich etwas. Ich verschloß wieder die Eingangsthür und ließ den Schlüssel wie vorhin im Schlosse stecken. Kaum saß ich auf meinem Bette und las, als derselbe Lärm wieder begann, sehr oft wieder anfing, und allemal aufhörte, wenn ich Anstalt machte, nach der Thür zu gehen. Ich kleidete mich nun an und ging aus, meine Briefe nicht vergessend. Graf Lucchesini las sie mit mir, sehr erstaunt und entrüstet; er versprach mir in allem, was ich unternehmen würde, behülflich zu sein, und entließ mich. Ich eilte nun zu meinem Freunde, Pastor Gambs, der mit seiner holden Gattin die Briefe durchlas. Mittags kamen Schweighäuser und die Familie Pfeffel zum Kaffee. Es wurde musicirt. Die herrliche Stimme der liebenswürdigen Gambs schien mir noch zu übertreffen, was ich sonst Entzückendes gehört. Es ist ganz etwas anderes um die Töne einer geliebten Freundin, als um Theater- oder Concertmusik, denn bei ihr singt alles mit, ihr Werth und ihre Liebe für uns, alles steht im Einklang. Selbst die süßen Kinder, die wie Amorinen oder Engel um die holde[230] Mutter herstanden, erhöhten den Reiz und den Genuß dieser Stunde. Ich habe später die schöne und liebenswürdige Herzogin von Kent in ihrem Familienkreise gehört, und von neuem empfunden, wie so anders Tugend und Sitte den Kunstgenuß erhöhen, den eine unbekannte Künstlerin uns gewährt. Es ist selten, und himmlisch überraschend, wenn die Rose auch Veilchen ist.

Als ich Nachmittag wieder ins Arsenal kam, erschrak ich heftig, ich fand die Eingangsthür meines Zimmers offen, Briefentwürfe, die auf dem Tische gelegen hatten, entwendet oder zerstreut, alles, was ich besaß, aus Schrank und Kommode heraus- und durcheinandergeworfen. Ich eilte hinunter. Meine geliebte Stephanie entdeckte mir alles, was geschehen war. Sie vertraute mir, daß Frau von Genlis ihre eigenen Briefe an mich gesucht hätte, um sie zu vernichten. Ich war empört darüber, durfte aber Stephanie nicht verrathen und behielt meine Briefe fortan in der Tasche. Nachdem mir Frau von Genlis nicht ohne sichtbare Beschämung erklärt hatte, sie habe sich durch den Augenschein vergewissern wollen, daß ich unsern gegenseitigen Freunden und Bekannten keine Klagen über sie schriebe, gab sie mir meine Briefe freundlicher zurück, als ich sie empfing. Nun erst dachte ich an das Vorzeichen, welches mir am frühen Morgen zu Theil geworden. Die starken Schritte, die sich meiner Thür nahten, das Eindringen von außen eines Schlüssels in mein Thürschloß, das Rütteln am Schlosse, welches ich gehört, bezeichneten deutlich das Beginnen, welches wahrscheinlich in denselben Augenblicken, wo ich dies Geräusch vernahm, im Sinne der Frau von Genlis aufgährte: in meine Zimmer einzudringen und meine Briefe zu durchsuchen. Mehrere Vorgänge ähnlicher Art, die ich erlebte, haben mich beim Nachdenken davon überzeugt,[231] daß Vorsätze, die ein Mensch in leidenschaftlicher Aufregung faßt, sich auf diese Weise dem Gegenstande solcher Gedanken und Plane kundgeben.

Nicht lange nach diesem Vorgang kam Graf von Escherny, mich nach Versailles abzuholen. Ich hatte noch etwa fünf Sous in meinem Vermögen, denn meine Wäscherin hatte bezahlt werden müssen. Ich besaß zwei Kleider, einige Kragentücher, einen Strohhut und drei Paar Strümpfe, die ich sorgfältig ausgebessert hatte. Die Lieder meiner Großmutter Karschin lagen in meinem Kofferchen nebst der Bibel und einigen Kleinigkeiten, nicht zu vergessen der Briefe meiner Mutter und einiger andern der theuersten und edelsten Freundinnen. Graf Escherny war schweigsam und tief bewegt; er hatte der Karschin ein liebendes Andenken bewahrt und sagte zu mir: »Theures Kind, ich lasse Sie nicht wieder!« Aber ich hatte einen Verlobten und vor mir eine Laufbahn, die ich für glänzend hielt; denn in früher Jugend beherrscht uns der Wahn, und ein Glück, das wir nicht mühsam errungen, hat wenig Reiz für uns.

Der einfache Obstgarten bei Graf Escherny, voll Blumen und Früchte, umgab drei Theile des Hauses und prangte mit der Fülle herrlichen Obstes. Der Graf führte mich in seine Bibliothek, die zugleich ein Wohnzimmer abgeben sollte, sie war groß und reichhaltig; dann fragte er mich, ob er mich nicht seinen Damen vorstellen sollte, und führte mich in zwei Zimmer des untern Geschosses, wo mir eine ältliche Dame mit einem jungen Mädchen an der Hand entgegentrat. Beide empfingen mich mit auszeichnender Freundlichkeit. Das junge Mädchen war hoch und schlank gewachsen, ihr Körperbau vereinigte Zierlichkeit und Würde im hohen Grade, ihre vollen goldblonden Locken umwallten einen[232] Hals von Alabaster. Arm und Hände waren tadellos. Sie trug ein griechisches Kleid von gedrucktem Musselin, eine weiße gestickte Pelerine und Sommerschuhe. Ihre hohe leuchtende Stirn überthronte zwei strahlende Augen, zwei rosige Wangen und einen Purpurmund, der zwischen dem Schwellenden und dem Feinen das Gleichmaß hielt; ihre Züge drückten Ernst und Heiterkeit aus, ihr ganzes Wesen trug das Gepräge hohen Standes und sittiger Gewöhnung. Ihre Gouvernante drückte Freude darüber aus, daß wir eine Zeit lang unter demselben Dache wohnen sollten. Graf Escherny fügte hinzu, daß Gouvernante und Fräulein anvertraute Pfänder seien, die schon einige Jahre in seiner Behausung lebten und nie ausgingen. Ich kann mich nicht entsinnen, auf welche Weise der Graf zu verstehen gab, seine Pflegebefohlene sei eine königliche Prinzessin von Schweden. Ich habe nie weiteres darüber erfahren können, und unsere Verhältnisse blieben in den Schranken der wohlwollenden Höflichkeit. Der Graf hatte oft Gesellschaft, und die zwei Damen erschienen darin. Es sind mir in meinem Leben noch manche ähnliche Erscheinungen zu Theil geworden, deren Leben gleichsam in Chiffreschrift geschrieben war: man sah die Buchstaben, aber man hatte den Schlüssel nicht.

Ich wohnte noch nicht lange beim Grafen Escherny, als eine sonderbare Erscheinung vor seinem Hause vorfuhr und sich am Arm eines alternden Herrn heraufbegab. Die Dame trug ein hohes gepudertes Toupet aus der Regentschaft, aber am Rand mit gesteckten Locken, mit Rosen von Porzellan umkränzt. Ihr ganzer Anzug entsprach dem Anzug jener Tage, ein ungeheuerer Blumenstrauß steckte an ihrer Brust. Die dunkle seidene[233] Levite senkte sich über ein pfirsichblütenes, mit Seidenspitzen garnirtes Unterkleid. Ihr Begleiter trug einen rehfarbenen Rock, schwarze gestickte Sammtweste, feine schwarze Unterkleider, seidene Zwickelstrümpfe und Corduanschuhe mit vergoldeten Schnallen. Seinen verflachten und verschwenkten Zügen fehlte es gleichwol nicht an dem Ausdruck einer gewissen negativen Gutmüthigkeit; seine Augen konnten groß und schwarz gewesen sein, jetzt waren sie gar nichts mehr, sie hatten keinen Blick. Auch der Mund war aus seinem Angesichte nicht mehr herauszufinden: er hatte Lippen, die ehemals geschwellt werden wollten, aber von Küssen ohne Glut und Weihe platt gedrückt worden. Seine zollhohe Stirn strahlte nicht von Licht oder Gedanken, und es würde schwer gehalten haben, für die Nuance seiner Gesichtsfarbe einen Namen bezeichnend zu finden. Die Dame war Fanny Beauharnais, die Witwe eines Oheims von Josephinens erstem Gemahl. Ihr Begleiter war der Herr von Cubières, der in Versen und Prosa schrieb und nicht ohne alles Talent war. Man hieß ihn Dourat Cubières, späterhin nannte er sich Palm Eseaux. Ich erkundigte mich bei mehreren, warum er diesen Namen trüge, man gab mir überall die Antwort: weil er seinen Namen nicht mit Ehren führen könne; mehr erfuhr ich nie. Einige Jahre später, als Fanny Beauharnais als echte Tante Josephinens zu ihrer bescheidenen Chrysalide schlüpfte, und ihren gemüthlichen Kreis von Dichtern und Dichterlingen abdankte, mag sich die Sprache über Cubières geändert haben. Graf Escherny bewillkommnete die Beauharnais mit unverkennbarer Freude, nicht wegen ihrer Verwandtschaft mit der Gemahlin des Ersten Consuls, sondern weil sie eine der gutmüthigsten und geistvollsten Frauen war, die man sehen konnte. Sie[234] erwies mir besondere Freundlichkeit und führte mich nach St.-Cloud, welches der wachthabende General mit großer Bereitwilligkeit zeigte. Er war ein feiner Mann, der in Aegypten gewesen war.

Nach Versailles zurückgekehrt, fanden wir viele Gäste, unter welchen sich Mesmer, dem ich zur Seite gesetzt wurde, angelegentlich mit mir unterhielt. Sein treuherziges Wesen, seine kräftigen wohlausgeprägten Züge, seine hellen Augen gewannen die Gemüther. Es fiel auf, daß ich nichts von den Speisen berührte, welche auf der Tafel standen. Ich erklärte ihm, daß ich überhaupt die Eßlust verloren, vermuthlich weil ich mich seit diesem Frühjahr nur mit rohem Obst und Brot genährt hätte, auch wegen scharfen Sonnenstichs an heftigem Kopfweh litte. Augenblicklich und unbemerkt von den Gästen stillte Mesmer mein Kopfweh durch beruhigende Striche mit seiner flachen Hand. Ich drückte ihm mein Erstaunen über die schnelle und kräftige Hülfe aus. Er lächelte bedeutsam und sagte: »Meine Striche haben so schnell gewirkt, wie es jedesmal geschieht, wenn ich mit einem Leidenden in Rapport stehe. Die rohe Masse verspottet mich. Kotzebue hat ein Pasquill über mich geschrieben, welches als Lustspiel über die Bühne geht und die Lacher auf seiner Seite hat. Gleichwol findet der Magnetismus Anhänger und Bewunderer! Der Nervenäther übt seinen gewaltigen Einfluß auf Leidende. Es ist durch mich bewiesen, daß die menschliche Natur bis auf einen gewissen Grad des Einflusses der Sinne, auch des Organismus der Sinne entbehren kann, und daß der Geist der mächtigste Lenker aller Functionen des Körpers ist; während des magnetischen Schlafes, wie man diesen wunderbarsten aller Zustände heißt, entweicht aus dem Körper alles, was in ihm geistig wirkt, wahrnimmt,[235] empfindet; sein ganzer geistiger Bestandtheil, sein Bewußtsein, und die Schranke sinkt fort, welche im gewöhnlichen wachen Zustande seinen Geistesblick für die Gegenwart und Zukunft hemmt. Sowie man aber den Hellseher durch beruhigende Striche aufweckt, verschwindet aus seiner Erinnerung alles, was er gehört, gesehen und gesprochen; die Fesseln der Erde empfangen ihn aufs neue und er weiß nicht mehr, daß sie abgesunken waren: er hat mit Geistesaugen alles gesehen, was denen des Fleisches verborgen bleibt und was der geschickteste Arzt nur aus äußern Zeichen entnehmen kann, und auch der nicht immer, ohne sich zu irren. Wie mancher hat z.B. in der Leber gesucht, was in ganz andern Bestandtheilen des Körpers hauste. Nur der Magnetismus kann die dem fleischlichen Auge stets unsichtbaren Fäden wahrnehmen, welche das Uebel in den verschiedenen Theilen des Körpers fest verstricken und ihm Dauer geben. Ich sage Ihnen das in der Laiensprache, weil Sie die Kunstsprache nicht verstehen würden.« – »Wenn dem so ist«, fiel ich Mesmer ins Wort, »so muß der Magnetismus und seine Anwendung der wichtigste Fortschritt des Menschengeistes sein.« Wiederum überflog ein Lächeln wie ein Glanz des Meisters Züge. »Wenn Sie schweigen können«, sagte er, »so will ich Ihnen nächstens mehr sagen.« Doch dieser Tag erschien nicht. Eine unaufschiebbare Reise entfernte Mesmer von mir. Ich blieb im Dunkel zurück, bis späterhin die Bekanntschaft mit erleuchteten Magnetiseurs und Magnetisirten mir einiges Licht gab; und ich bemerke demnach, daß die Menschheit sich selbst dereinst klarer sein wird, wenn der Magnetismus erst sein volles Licht über das Leben verbreitet. Ich danke diese Ueberzeugung wichtigen Erlebnissen, bei denen keine Einbildung und keine Täuschung obwalten[236] konnte, und jenem unvergeßlichen Abend, wo ich aus Mesmer's Gespräch die ersten Kunden seiner Wissenschaft schöpfte. Niemand war stupider ungläubig als ich hinsichts des Magnetismus, soviel Enthüllungen mir auch zu Theil wurden. Friedrich Schlegel hatte wichtige Entdeckungen in dieser Wissenschaft gemacht, die er mir mittheilte; so auch mein verstorbener Freund Karl Schnorr von Karolsfeld. Auch mein Freund, der Hauptmann Stirle von Holzmeister, ließ mich eine kostbare Thatsache erfahren: Seine junge liebenswürdige Gemahlin, eine hohe, schlanke und kräftige Gestalt, sanft und heiter von Natur, versank zuweilen in Schlummer, den man für einen magnetischen Schlaf erkannte. Eine zufällig an sie gerichtete Anrede ihres Gemahls wurde auf eine Weise beantwortet, die unverkennbar enthüllte, daß sie Somnambule sei. Sie gerieth in diesen Zustand, wenn irgendetwas einen lebhaften Eindruck auf sie gemacht hatte; unter anderm Musik. Nach dieser Entdeckung suchte ihr Gemahl sie vor allem zu bewahren, was sie lebhaft und tief aufregen konnte. Dennoch befragte er sie in solchem Zustande über die Gesundheit seiner erkrankten Mutter und die Mittel ihr zu helfen; sie gab dieselben klar und umständlich an, und erhielt sie noch sieben Jahre am Leben, nachdem sie schon am Rande des Grabes gewesen. Ich habe seit meiner Entfernung von Wien keine weitere Nachricht von ihr, und muß die Vorsorge ehren, mit welcher ihr Gemahl sie vor einem magnetischen Schlaf zu bewahren wußte, und nur den behutsamsten Fragen Raum gab. Professor Schelver, der sinnreiche Naturphilosoph, hatte tiefe Blicke in das Wesen des Magnetismus gethan. Justinus Kerner und sein Sohn Theobald scheinen mir noch weiter als ihr Vorgänger darin[237] eingedrungen zu sein und den Schleier der Isis noch kräftiger gehoben zu haben.

Madame Fanny Beauharnais gab der Unterredung mit Mesmer keinen Raum mehr zur Ausdehnung; ihr war Erheiterung Bedürfniß und das Nachdenken eine Last. Sie wendete das Gespräch auf den Gegenstand, der ihr jetzt der angenehmste war zu besprechen: auf den Consul, Josephine, Eugen, Hortense und die kleine Stephanie Beauharnais, Tochter des Senators, welche sie das gescheidteste und lebhafteste aller Kinder nannte, die sie gesehen. »Sie ist eine Sylphide, eine Grazie«, rief sie aus, und ihre großen blauen Augen erglänzten wieder im Jugendstrahle; »es scheint, daß der Erste Consul auf Stephanie große Hoffnungen baut, denn er hat schon viele ansehnliche Freier zurückgewiesen; er hat recht: die europäischen Throne heißen sich zwar noch ›von Gottes Gnaden‹, aber sie sind es nicht mehr. Man sagt, Schweden sei dem General Bernadotte zugedacht! Der Erste Consul scheint keine Krone für sich zu verlangen, er spendet sie lieber aus!« – »Aber das gallische Kaiserthum!« wandte Hippolyte von Murat, der geistreiche Verfasser des ›Unsichtbaren Prinzen‹ ein. »Ich glaube nicht daran«, sagte Fanny. »Der Name Franzose ist ein Theil des Wesens der Nation geworden! Ihn verbannen heißt den Begriff einer Menge seiner Eigenschaften vertilgen. Wer ist närrischer und wer gescheidter als der Franzose! Wer ist leidenschaftlicher verliebt und wer wankelmüthiger! Seine Thorheit ist seine Weisheit, sein leichter Sinn seine Consequenz! Er beherrscht die Moden, die Gebräuche, die Sitten, weil er überhaupt die Welt beherrscht! Hoch leben die Franzosen!«

Bei der Pause, die Fanny Beauharnais jetzt im Gespräch[238] machte, begann Graf Escherny Anstalten zu einem Concert zu treffen, das den Beifall der Anwesenden stürmisch gewann. Escherny's Stimme war wie sein Geist jung geblieben. Seine anwesenden musikalischen Freunde führten mit bewunderungswürdiger Präcision die beliebtesten Musikstücke jener Zeit aus. Der Rest des Abends entfloh wie auf Flügeln. Fanny Beauharnais sagte zu Graf Escherny: »Ich bemühe mich vergebens herauszufinden, ob es Ihr Geist oder Ihr Herz ist, welche der Geselligkeit in ihrem Hause soviel Reiz geben!« – »Nicht doch, liebenswürdige Fanny«, versetzte der Graf, »meine Gäste sind es!« Fanny Beauharnais hatte mehrere hübsche Novellen und das damals noch unvergessene Buch über den falschen Abälard geschrieben. Einem Manne würde man dies Buch leichter verziehen haben, aber nur eine Frau konnte es schreiben, wiewol es keine Frau hätte schreiben sollen, so harmlos es eigentlich ist. Es gehört in die Uebergangszeit der Licenz zur Sitte, und ist kunstfertig geschrieben. Vielleicht würde es bei allem Talent, das darin athmete, bei der ungeheuern Menge der Productionen des Geistes vergessen worden sein, wenn nicht Fanny Beauharnais zur Familie des Ersten Consuls gezählt worden wäre, und wenn die Damen hätten gestehen dürfen, es gelesen zu haben; denn es ist ganz Natur und Wahrheit und vollkommen eigenthümlich. Es wäre nicht möglich gewesen, die Klippen, in welche sich die Verfasserin hineingewagt hatte, behutsam zu umschiffen; aber es bleibt einmal wahr, daß sich eine Frau auf solche Klippen nicht hinwagen darf.

Zu kurz für das Vergnügen, welches die gemüthliche Beauharnais in dem Kreise des Grafen verbreitete, war ihr Aufenthalt in diesem Hause. Der Abschied von ihr[239] wurde mir schwer. Ich erfuhr, daß sie Thränen über mein Schicksal vergossen. Prophetische Thränen, warum waret ihr keine Worte!

Friedrich und Dorothea Schlegel besuchten mich bei Graf Escherny im Laufe des Sommers. Es gefiel ihnen dort; vor allem aber, als unser freundlicher Wirth alten edeln Rheinwein auftischte und Deutschlands Poesie und Literatur dabei hoch leben ließ, ging Friedrich das Herz auf.

Graf Escherny war in den Zeiten gebildet, wo die französischen Philosophen, wie man sie nannte, wo Rousseau, Voltaire, Helvetius, Condorcet, Diderot u.s.w. sich einigemal in der Woche im Hause des Barons Holbach, wenn nämlich Rousseau in Paris war und Lust hatte hinzugehen, vereinigten. Bekanntlich hing dieser Kreis mit dem Necker'schen Hause zusammen. Necker's junge Tochter schöpfte dort Belehrung, Licht und Wärme für ihren Geist. Nie war ein weibliches Wesen noch in der Knospe so reichhaltig und vielverheißend, und nie wurde das Pfand solcher Verheißung glorreicher gelöst als durch sie. Rührend ist ihre kindliche Liebe, die Denkmale davon thun dem Herzen wohl; denn nichts erhebt mehr die Bewunderung vor einem Genius wie dem ihrigen, als diese Zärtlichkeit, die aus dem heiligsten und reinsten Quell der Liebe entspringt und mit der Liebe zu Gott verwandt ist.

Echte Religiosität war das Grundelement der Frau von Staël und die Quelle ihres Denkens und Thuns; diese wird in dem Maße seltener, als Scheinheiligkeit und Wortprunk grassiren. Die meisten thun sich damit genug, und volle Kirchen zeigen oft von der Abwesenheit der Seelen. Frau von Staël konnte in einem gewissen Sinne mit Maria Stuart sagen: »Ich habe menschlich[240] jugendlich gefehlt!« Und ein großer Theil ihrer Landsleute hatte sie unbarmherzig büßen lassen, gleichsam als ob nicht der himmlische Vater auch auf Irrwegen eine liebende Seele zu sich führen könne. Als wenn nicht Christus am Kreuz dem Reuigen verheißen hätte: »Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!« Die Reue findet den Weg in den Himmel besser als der eigengerechte Dünkel, und nur die Demuth gefällt dem Herrn. Die Werke der Frau von Staël und selbst die der Philosophen ihrer Zeit führen nur den auf Irrwegen, der sie nicht versteht.

Allmählich rückte der Herbst heran. Vergebens strebten die prunkenden Blätter die Fülle der Sonnenblumen, auf die sie herabzitterten, zu ersetzen. Ich mußte wegen der Vorbereitung zu den französischen Miscellen nach Paris zurück. Auch mein Freund Schweighäuser, den ich oft in Versailles gesehen, durfte nicht säumen, zu Graf Voyer d'Argenson zu reisen, denn es gab dort Söhne, denen er bald mit Liebe anhing. Auch befand sich dort eine junge Verwandte des Hauses von entzückender Schönheit und Liebenswürdigkeit. Sie machte tiefen Eindruck auf ihn; mein Bild schwand in Schatten! Wie ein Eishauch wehte es mich aus seinen Briefen an. Vielleicht wäre mein Schmerz und der Wankelmuth eines Mannes, der mir als ein Inbegriff aller Vollkommenheiten erschienen war, heftiger gewesen, wenn nicht zu eben der Zeit die Briefe meiner Mutter mir angekündigt hätten, daß sie bald sterben müsse, und mein Herz von der bittersten Reue, daß ich sie verlassen hatte, so ganz erfüllt gewesen wäre, daß kein anderes Gefühl darin Raum fand.

Ich glaube die Homöopathen haben es dem Lenker aller Dinge abgelernt, einen Schmerz durch einen größern[241] zu heilen. O, wenn es damals Eisenbahnen gegeben hätte, wie würde ich zur Mutter geeilt sein! Meine Liebe hätte dann Mittel dazu gefunden, mich mit ihr zu vereinen.

Vanderbourg, der lange im gräflich Stolberg'schen Hause gelebt hatte, wo ihm die Erziehung der Söhne anvertraut war, lernte mich durch Vermittelung seines Freundes Schweighäuser kennen. Er war ernst und geistvoll, doch ein wenig pedantisch. Er tadelte meine Dichtungen, weil sie nicht regelrecht waren, und meine Prosa, weil sie zu arm an Bildern und Gedanken war.

Uebrigens nahm er sich meiner sehr freundlich an; er bemerkte sehr richtig, daß ich in Paris nicht allein leben könnte, und schlug mir eine Pension bei dem deutschen Buchhändler Henrichs vor. Der Aufenthalt in diesem Hause hatte manche Annehmlichkeit. Madame Henrichs war musikalisch, hatte oft Abendgesellschaften und bezeigte mir Freundlichkeit. Viele Deutsche kamen hin. Ich lernte dort Sylvestre de Sacy kennen, der wegen der Gründlichkeit seines Wissens für einen Deutschen gelten konnte.

Graf Schlabrendorf, den in der Schreckenszeit sein Stiefel vom Tode gerettet hatte, ließ sich bei mir einführen. Er wollte die Enkelin der Frau kennen lernen, die er noch in den Knabenjahren gekannt und verehrt. Wiederum ein Segen vom Himmel, der von der Karschin auf mich überging. Hätte ich nur Geist genug gehabt, meinen edeln schlesischen Landsmann zu verstehen! Er hatte unendliche Nachsicht mit mir. Ich aber war so sehr von mir selbst erfüllt, so selbstzufrieden, daß ich mir nicht einmal Mühe gab ihn zu verstehen. Dagegen beschäftigten sich Friedrich und Dorothea von Schlegel so anhaltend und liebreich mit mir, daß es ihnen gelang,[242] mich für die Kunst zu entwickeln. Die große Nachsicht für mich, die bei ihnen wirkte, hemmte jedoch jede andere Bestrebung zu meinem Besten. Ich werde meine Mittheilungen über Friedrich und Dorothea von Schlegel, die in Theodor Mundt's »Freihafen« und »Pilot« stehen, aus der Urschrift, die mir nicht ganz glücklich abgeändert scheint, wiederherstellen und in gegenwärtiges Werk verflechten. Manche damals aus Gründen zurückgelegte Stellen des Manuscripts sollen hier wieder Aufnahme finden.

Dem Grabe so nahe, wie meine Jahre und meine Leiden mich gebracht, erscheint es als Gewissenssache, nichts von dem zu verhehlen, was der Welt als Vermächtniß gehört.

Schweighäuser war wieder nach Paris gekommen, für alle seine Freunde befremdend verändert; nur seine rege, biedere Gutherzigkeit war dieselbe geblieben. Einige Monate nach seiner Zurückkunft entdeckte mir Oberst von Gräfe, daß unser Freund in schlechten Händen sei, und indem er mir enthüllte, was ich nicht ahnen konnte, machte er mir zur Pflicht, ihn zu warnen. Ich that es mit Besonnenheit und herzlicher Zuneigung. Er misverstand meinen schwesterlichen Eifer, dem er späterhin volle Gerechtigkeit widerfahren ließ. Dennoch hat mir seine Entrüstung durch ihre Ausbrüche bei meinen Freunden empfindlich geschadet.

Das Schlimmste bei der Sache war, daß ich Schweighäuser's Freundschaft aufs Spiel gesetzt hatte, ohne meine liebevolle Absicht zu erreichen; denn er zappelte lange in dem Netze, in welches er gerathen war. Ich habe seitdem oft bemerkt, daß der gröbste Betrug am unfehlbarsten wirkt, und zwar besonders auf edle Naturen. Und mit diesen Worten sei ein Schleier auf die traurige Begebenheit geworfen, die den edeln jungen Mann allen[243] denen entfremdete, welche ihn herzlich ehrten und liebten, seine Laufbahn störte, seine Familie kränkte, seine Gesundheit zerrüttete und ihn nach langen entsetzlichen Leiden früh in das Grab stürzte.

Die empörenden Umstände dieser Begebenheit werden mir zartfühlende Leser gern erlassen, sie gehören nicht für das unentweihte Auge der blühenden Jugend, der ich dies Vermächtniß an die Nachwelt am angelegentlichsten widme. Ich glaube jedoch eine ernste Warnung nicht zurückhalten zu dürfen und einer Unthat erwähnen zu müssen, von der ich viele Opfer weiß, an deren Möglichkeit aber nur wenige glauben; es ist die Bereitung eines Getränks, dessen Genuß die vortrefflichsten Menschen sich selbst entfremdet, die Sinne verwirrt und die heftigste Leidenschaft für die Vergifterin erzeugt, die es ihrem Opfer beigebracht hat. Möge niemand diese Warnung belächeln, sie ist auf Wahrheit begründet und so wichtig, daß ich es für Gewissenspflicht halte, noch öfters darauf zurückzukommen. Mögen verdienstvolle Aerzte sie beherzigen und als Menschenfreunde eine neue Spur zu Maßregeln entdecken für Wissenschaft und Sittlichkeit! Viele würden sich an meiner Stelle enthalten, einen solchen Gegenstand zu berühren, um sich nicht lächerlich zu machen; allein die Pflicht, der Wahrheit zu huldigen und die Jugend vor Gefahr zu warnen, muß alle Rücksichten überbieten. Und wenn von allen, die mich lesen, auch nur eins gerettet wird, so ist mein Lohn schon überschwenglich.

Bei Erwähnung der Deutschen von Auszeichnung, die mich in Henrichs' Wohnung aufsuchten, darf ich den Kapellmeister Reichardt nicht übergehen, welcher der Tondichtung des deutschen Liedes Schwung und Eleganz verlieh. Seine Oper »Brennus« habe ich nie gehört:[244] sie hatte classischen Stil, wurde bewundert, ging aber nicht zu Herzen. Seine Lieder auch nicht, so lieblich sie sonst waren; die, welche er von den meinigen wählte, waren seine schönsten. »Myrtill, wenn deine Lippen mich berühren«, ein Lied an den Mond und einige Frühlingslieder sollten auf unsere Zeit noch übergegangen sein.

Ich sah Reichardt oft. Er begleitete mich in die große Oper, und machte mich auf die schönsten Stellen belehrend aufmerksam. Er liebte den Gesang der Madame Branchu und nannte nicht mit dem größten Unrecht die Madame Maillard Braillard. Das Publikum ging eigentlich des Ballets wegen in die große Oper, die Logen füllten sich erst, wenn sie aus war. Duport entzückte das Publikum. In der »Wiederkehr des Zephyr« war Duport der Zephyr, mit unvergleichlicher Anmuth und Leichtigkeit. Vestris wurde durch ihn verdunkelt. Madame Gardell war eine Psyche, die keine fünf Loth zu wiegen schien. Clotilde, die classische Tänzerin, wirkte pantomimisch, sie war keine Marie Taglioni, jedoch eine würdige Vorläuferin derselben.

Damals hatte die Bühne noch keine Elßler, und das Publikum spannte nicht die Pferde vom Wagen der Balletgöttinnen aus, wenn sie in die Thore der Städte einzogen. Mich ließ zeitlebens das Ballet fast immer kalt, ich konnte nie die Unnatur darin verschmerzen.

Fanny Elßler und ihre Schwester Therese sah ich nur, wie sie beinahe noch Kinder waren. Meiner Freude an der Vigano kann ich nicht recht trauen, weil ich selbst noch ein Kind war, als ich sie sah. Madame Duport tanzte nicht mehr, als ich nach Wien kam. Ihr Töchterchen Luise, damals siebenjährig, riß uns in improvisirten Solotänzen in ihrer Wohnung zur Bewunderung[245] hin; doch ihre liebenswürdige Mutter mußte sie durch Zerstreuungen von dieser Uebung abwenden, denn das Kind wurde jedesmal krank, wenn sie getanzt hatte.

Zum Erstaunen ist das Fortglimmen des Geniusfunkens in der Brust der Kinder hochbegabter Künstler. Nach allem, was ich hier beobachtet, dünkt es mich jedoch noch erstaunender, wenn aus dem Schos einer schlichten Familie ein solches Phänomen hervorgeht.

Hienieden wird uns Sterblichen das geistige und seelische Walten in uns und der übrigen Welt wol zeitlebens ein Räthsel bleiben, und nächst dem Glauben und der göttlichen Vorsehung ist auch dies ein Pfand der Fortdauer nach dem Tode und der Unvergänglichkeit unsers psychischen Seins, für dessen Entwickelung und Vervollkommnung nur die Ewigkeit Raum hat.

Armer Schiller! Wie konntest du deine »Resignation« dichten? Und mit welchem reuezerrissenen Herzen mußt du später darauf hingeblickt haben!

Zu meinen theuersten Freunden in Paris gehörte Achim von Arnim, einer der wenigen, die mich mit einem Bruderherzen liebten, meine unbeschirmte Lage nie durch selbstische Anmaßungen kränkten. Arnim war des schönsten Loses werth und des blütenreichsten Kranzes, den ihm gewiß auch in den spätesten Zeiten die Liebe des Volks winden wird. Im Umgang suchte er seinem tiefen regen Gefühl hier durch Spott, der selten anmuthlos war, dort durch Ernst einen Damm zu setzen. Er hegte unüberwindlichen Abscheu gegen Entwürdigung, und strebte unablässig nach Vervollkommnung und Schönheit des innern Menschen. Arnim kam viel mit mir und Schlegels zusammen. Er gerieth oft in Streit mit Friedrich Schlegel, und kam mir alsdann etwas[246] bitter vor; sein schönes Herz glich jedoch bald alles wieder aus.

Zu unsern Freunden gehörte auch Wallenberg, ein junger vortrefflicher Arzt, der Schlegel's Collegia über deutsche Poesie besuchte. Seine Excerpte waren unklar; dies lag mitunter am Vortrag. Friedrich Schlegel goß aus seinen Ideenvorrath leuchtende Gedanken; doch er hatte den Standpunkt seiner Zuhörer nicht berechnet. Er glaubte, sie ständen wo er stand, und seien gereift wie er.

Graf Hardenberg, Reventlow und seine engelschöne Gemahlin, Baron Bülow, nachheriger Staatsminister, der große gelehrte Däne Oersted, sein kunstliebender Landsmann Neergard, der treffliche Arzt Dr. Harbauer, damals Leibarzt des Generals Clarke, und eine Menge der ausgezeichneten Zeitgenossen Friedrich Schlegel's besuchten seinen Hörsaal. Nicht alle hörte ich nennen, denn manche hospitirten blos, und waren deshalb nicht minder willkommen. Einer der ausgezeichnetsten Zuhörer Schlegel's war Charles Villers, der berühmte Freund der deutschen Sprache, der den Franzosen ihre Geheimnisse erschloß, ihre Schönheiten offenbarte, ihren Geist faßlich machte. Er und Frau von Staël waren die siegreichsten und beharrlichsten Kämpfer für deutsche Poesie und Philosophie in Frankreich.

Villers' geistvolle Freundin Rodde, geborne Schlözer aus Lübeck, verherrlichte oft Schlegel's Kreis durch ihre Gegenwart. An solchen Abenden las Schlegel nichts vor; sein Gespräch mit diesen beiden Gästen war unser Genuß. Madame Rodde war schön, edel, großartig und gedankenreich. Man wußte, welche Richtung ihr Vater ihrer Erziehung gegeben. Er ließ sie auf der Universität unter seiner Aufsicht studiren. Mit siebzehn Jahren ihres Alters krönte der Doctorhut ihr rosiges Haupt. Man[247] bewunderte sie als das gelehrteste und zugleich das bescheidenste der weiblichen Wesen.

In unsern Tagen ist es den Frauen mit der Wissenschaft minder Ernst als mit der Poesie, obschon es aus vielen Gründen wünschenswerth wäre, daß sie sich Kenntnisse erwürben; denn diese wären der Weiblichkeit weit angemessener, ihrem Berufe als erste Erzieherin der Menschheit viel entsprechender und keine Nahrung der Eitelkeit, wie bei vielen die Koketterie mit Reimgeklingel ist.

Friedrich Schlegel meinte, meine eigenste Bestimmung sei die lyrische Poesie; doch sei es wünschenswerth, daß ich nicht unter meinem Namen dichte, daß ich niemals in Prosa schriebe und nur der höchsten Begeisterung im Liede Raum gäbe. Ich wollte, ich hätte seinem Rath gefolgt; doch ich verstand ihn nicht recht, denn er erklärte ihn mir nicht.

Ich glaube nicht, daß die Welt jemals über die Frauen in das Klare kommt! Die Begriffe von Weiblichkeit werden zu sehr mit denen vom Weibischen verwechselt. Es wird einem weibischen Wesen leichter zu entzücken und zu fesseln als einem weiblichen. Das weibische Weib ist halb Thier, halb Engel! Das weibliche Weib ist Engel, auf Erden nicht heimisch! Die Elemente seines Wesens sind Liebe, Treue, Zartheit. Es will zart berührt sein! Der Schmetterlingsstaub seiner Psychenschwingen ist leicht zu verletzen. Ich habe es für einen schweren Irrthum erkannt, daß man glaubt, echte und strenge Geistesbeschäftigungen entfremdeten eine Frau der Weiblichkeit. Im Gegentheil bilden sie mit dem Geist das Gemüth zugleich, und befähigen sie zu dem großen Beruf, die frühesten Erzieherinnen der Menschheit zu sein.

Meine Geistesausbildung war in Berlin noch unreif[248] geblieben. Wir hatten keinen gediegenen männlichen Umgang. Baron Hastfer hatte mich dadurch gewonnen, daß ich ihn für einen sehr gebildeten Mann hielt. Besonders hatte es mir von ihm gefallen, daß er viel über die Unsterblichkeit nachdachte. Er versicherte, darüber viel in einer Nacht gesonnen zu haben, wie der unerschaffene Gott den Menschen zum Dasein gerufen und die unermeßliche Ordnung der Sonnen und Welten hervorgebracht, die nichts vor ihm gewesen seien, wie der Raum ohne Grenzen, die Zeit ohne Anfang noch Ende sei. Er sagte das mit andern Worten, die voll Begeisterung waren, und fügte hinzu, er habe sich nach diesen Betrachtungen wie leblos gefunden und sei erst spät wieder zur Besinnung gekommen; dann habe ihn Entzücken und Schmerz bestürmt, sodaß er sich nur gewaltsam diesem Zustand entreißen konnte.

Baron Hastfer's Freund, Ludwig von Voß, ein junger Artillerieoffizier, dem der Himmel viel Gaben verliehen hatte, gab meiner Mutter recht, wenn sie ihm sagte: man müsse mich denken lehren, eben weil ich augenscheinlich Gedanken hätte, diese aber nicht zu regieren wüßte! Voß übernahm dies schwere Werk. Es schien anfangs zu gedeihen, doch er mußte ablassen, weil meine Mutter die unselige Idee gefaßt hatte, sie müßte bald sterben und wollte mich doch vorher versorgt wissen.

So einsam wir lebten, hatten sich doch schon früh Männer um meine Hand beworben, die mich vielleicht glücklich gemacht hätten, wenn ich nie den Richardson gelesen hätte. Ich machte zu große Anforderungen. Neigung hatte ich nicht für Baron Hastfer, allein er wußte mich und meine Mutter durch den Anschein von Bildung, den er sich gab, zu täuschen, hatte einiges Vermögen,[249] und war beinahe zwölf Jahre älter. Meine Mutter glaubte, er würde mich schätzen und leiten, statt dessen hat er meine aufblühende Jugend verkümmert und verbittert.

Von Bemühung für die Ausbildung eines so jungen Wesens konnte keine Rede sein, wo die Beschäftigungen mit meiner Aussteuer, der häuslichen Einrichtung, den gesellschaftlichen Verhältnissen, die uns urplötzlich über den Kopf wuchsen, die unsere Zeit und Besinnung in Anspruch nahmen, es unmöglich machten, dafür zu sorgen. Ich habe schon berührt, wie die Zuneigung und vorgefaßte gute Meinung unsers Kreises mich bethörten. Frau von Genlis trug viel zu meiner Verblendung bei. Sie hat mich nachher mehr gedemüthigt, als sie mich anfangs ohne Grund erhoben; und es hat vieler Züge aus dem Kelch des Unglücks bedurft, ehe ich begann, an mir selbst zu arbeiten.

So war ich denn nach Paris gekommen, wie eine noch unreif abgenommene Frucht, die auf einer Seite besonnt worden, auf der andern in Schatten gelegen hatte.

Schlegels hatten mich zu lieb, um recht zweckmäßig auf mich zu wirken, vielleicht setzten sie voraus, daß Leben und Geschick mich ausarbeiten würden. Friedrich wies mir den Weg zu reichhaltiger Beschäftigung. Nicht ruhmlos habe ich ihn durchwandelt! Dorothea's Genius und Gemüth wirkten bedeutend auf mich. Leider gerieth ich in einen zu reichgewebten gastlichen Kreis. Ich sah die berühmtesten Dichter und Künstler mit ihren vorzüglichsten Leistungen. Ich begann eine weite Uebersicht über die Geschichte der Kunst, und glaubte in allen Dingen des Lebens auf dem rechten Wege zu sein.

Friedrich Schlegel nahm Stunden im Persischen bei seinem Freunde Chézy. Eines Tags führte er Dorothea[250] und mich in die herrliche Manuscriptsammlung der Bibliothek ein, die schon öfter ihre Namen gewechselt, zu jener Zeit aber die Nationalbibliothek hieß; denn das Kaiserthum stand noch auf dem Halme! Wir traten in den ersten Saal, wo der junge Orientalist an einem Tisch am Fenster arbeitete. Seine Erscheinung war von überraschender Schönheit. Die Seele, die aus seinen schönen Zügen leuchtete, verlieh seiner Anmuth einen überirdischen Glanz. Das regelmäßige Oval seines Hauptes war von dunkelbraunen Locken umwallt. Seine großen blauen Augen strahlten von Geistesglanz, die schönen gewölbten dunkeln Augenbrauen, die langen schattigen Wimper, die sanft gebogene Nase, der feine Purpurmund, die warmen Töne des bräunlichen Angesichts, bildeten ein harmonisches Ganzes, das so lebhaft an den Orient mahnte, daß man glauben konnte, man lese in diesen herrlichen Zügen ein schönes orientalisches Gedicht. Auch der Wuchs des jungen Mannes entsprach der vollendeten Schönheit seiner Erscheinung. Er brannte für Poesie und liebte leidenschaftlich die deutsche Sprache. Er hatte schon einigemal von mir reden hören, und bezeigte große Freude, mich auf der Bibliothek zu sehen. Mit allen ihren Schätzen vertraut, brachte er die bedeutendsten derselben Dorothea und mir zum Anschauen. Friedrich und meine Freundin liebten vorzüglich die Kunst des Mittelalters, Geist und Sinn der Altvordern, welche sie von ihrer poetischen Ansicht aus beurtheilten.

Diese Liebe entsprang aus dem Bedürfniß, eine schöne deutsche Zeit aus voller Seele mit Bewunderung und Glut zu umfassen und über ihre Vorzüge ihre crassen Uebelstände zu vergessen. Ein so edler Antrieb mußte genußreiche Früchte tragen und richtige Würdigung für[251] alle Meisterwerke jener Zeit erwecken. Goethe und Friedrich Schlegel ist es beizumessen, daß der ausgebildete und großartige Geschmack an dem Baustil und den Kunstwerken des Mittelalters jetzt so mächtig vorherrscht.

Schon 1842 waren am ganzen Rhein keine Trümmer mehr zu finden, die nicht im Begriff standen, in ihrer alten Herrlichkeit neu hervorzuglänzen. Dies Beispiel wird in allen Ländern Nachfolge wecken, und es kann nicht fehlen, daß auch der Geist jener Zeiten neu emporsteigt. Möge es dann nur der gute Geist jener Tage sein, geheilt von Misständen. Die Folterwerkzeuge sind zertrümmert, mögen nicht Seelenfoltern an ihre Stelle treten! Die Raubritter sind ausgestorben, mögen räuberische Beamte nicht geduldet werden! Die christliche Religion ist reformirt worden, mögen die Tractätchen und die Umtriebe der Jünger Loyola's sich nicht allzu sehr an ihrer Stelle verbreiten! Möge jeder Fortschritt ein Vorschritt sein! Und keine Rückkehr eine Umkehr! Nur echte Frömmigkeit kann uns den Klauen ihrer heuchlerischen Schwester, der Scheinheiligkeit, entreißen; mögen wir sie mehr und mehr üben. Die Welt ist an des Abgrunds Rande, nur Licht von oben kann unsere Schritte leiten.

Wir verbrachten einen herrlichen Morgen. Chézy, ein Inbegriff aller Liebenswürdigkeit, feinen Sitte und ästhetischen Bildung, beschäftigte sich sehr angelegentlich mit mir. Beim Nachhausegehen scherzten Schlegels darüber. Wem gelüstet es nicht nach dem Salz solcher Neckereien? Es wetteifert mit der Süßigkeit jedes Liebesgefühls. Ich war stolz auf die Huldigung eines solchen Mannes wie Chézy. Ach! es wurde alles anders wie es in der Knospe war, und ich trug[252] große Schuld daran. Wäre ich das geworden, was Natur und Himmel von mir gewollt, wie hätte ich ihn beglücken müssen – denn er liebte mich von ganzem Herzen.

Zu dieser Zeit lernte ich Frau von Krüdener kennen, die damals mit Julie, ihrer Tochter und mit ihrem sechzehnjährigen Sohn nach Paris gekommen war und dort ein Haus machte. Sie suchte Dorothea und mich auf, um uns für die Uebersetzung ihrer »Valérie« zu gewinnen. Dorothea gab mir den zweiten Theil dieser Dichtung (so nenne ich dies Werk, obwol es nicht in Versen geschrieben war), und bearbeitete den ersten mit aller ihrer Treue, Gediegenheit und Klarheit, ich meinen Theil mit großer Innigkeit, aber strafbarer Willkür. Die Schuld hiervon lag zum Theil im Original. Der zweite Theil der »Valérie« hatte mehr Gepränge und flacheres Gepräge. Frau von Krüdener hatte gehofft, durch dies Werk die Gesellschaft zu retten; denn auch in ihren Blütentagen empfand sie, was für eine Wunde in ihrem Innern blutete. In ihrem Werk war ein Theil ihres eigenen Lebens enthalten, doch im romantischen Gewande und ohne daß sich die Verfasserin dazu bekannte. Die Darstellung war anmuthig, die Sprache zierlich, man könnte sagen meisterhaft. Unsere Uebersetzung wurde nicht gedruckt. Frau von Krüdener, die uns oft besuchte, ließ uns die Misgriffe, die größtentheils von mir herrührten, nicht entgelten. Sie zog besonders mich in ihre Gesellschaften, mit denen sie musikalische Leistungen, Declamationen und mimische Darstellungen vereinigte. Dorothea war an ihr Haus gefesselt und schlug beinahe immer die Einladungen der Frau von Krüdener ab. Auch Schlegel zog es vor, im Familienkreise zu bleiben. Seine Dorothea, sein Pflegesohn[253] Philipp Veit, seine Freunde Sulpice und Melchior Boisserée und Bertram, die vielen Besuche von Dichtern, Gelehrten und wissenschaftlichen Freunden, die sein Haus belebten, machten ihn gleichgültig gegen die Kreise einer belletristischen Frau, die nur unterhaltend waren.

Bei Frau von Krüdener fand sich auch Lorenzo Bartolini ein, der späterhin mit dem Herzog von Lucca, Felix Bacciochi und dessen Gemahlin, der geistreichen ältesten Schwester Napoleon's, nach Florenz reiste.

Jedes Künstlerherz muß wärmer schlagen, wenn der Name Bartolini genannt wird. Sein Marmor ist Leben, seelendurchzucktes Leben, jedes seiner Gebilde Wahrheit und Natur. Schade, daß ich noch nicht reif genug war, ihn vollkommen zu verstehen, als er mich im Museum umherführte. Frau von Krüdener war sehr für ihn eingenommen. Kleine Schwachheiten, die sie nicht verhehlte, entstellten sie ein wenig. Sie sagte unter anderm, daß sie in Florenz mit dem Zirkel wäre ausgemessen worden, und daß jeder Theil ihres Körpers genau mit den der Venus von Medicis übereingekommen wäre. Sie stützte Bartolini gegenüber ihre blendend weißen Füße auf die Feuerböcke, nur um dem Künstler die Augenweide zu gewähren, Füße mit ungekrümmten Zehen zu sehen, die vielleicht einzig in ihrer Art waren. Solche kleine Flecken entstellen nicht eine so edle Natur! Das Ungewöhnliche ist nicht immer das Unstatthafte! Frau von Krüdener war nicht in dem Fall, daß man den gewöhnlichen Maßstab der weiblichen Welt an sie hätte anlegen können. Sie hat bewiesen, daß sie eine selbststrenge Natur war.

In der Neujahrsnacht 1803 drückte mich das Gewicht aller trüben Erinnerungen meines Lebens, sodaß ich die Feier dieses Tags mit heißen Thränen beging.[254] Vor allem schmerzte es mich, daß mir in so früher Jugend durch die Verstimmung, welche zwischen der Großmutter und Tante väterlicherseits und meiner Mutter herrschte, mein Vater entrissen wurde, der ebenso wie meine gute Mutter an dieser Trennung unschuldig war. Nach einigen rührenden Briefen, die ich noch besitze und die mein Vater seiner gekränkten Gemahlin geschrieben hatte, um ihre Liebe und Verzeihung zu gewinnen, welche sie jedoch mit standhafter Weigerung beantwortete, weil Freunde die Regung ihres liebevollen Herzens durch überklugen Rath hemmten, hatte mein Vater, schmerzlich und unheilvoll gekränkt, nichts wieder von sich hören lassen. Da im Kriege 1797 viele Offiziere, die denselben Namen trugen, den Tod gefunden hatten, glaubte meine Mutter, daß auch mein Vater unter den Gebliebenen sei. Sie hielt sich nun für eine Witwe, und ich war im Ernst eine Waise. Oft schon in meiner Kindheit hatte ich dies entsetzliche Geschick beweint, denn man ergibt sich viel leichter in Gottes Willen, wenn uns der Tod einen Gatten, einen Vater oder sonst einen unserer geliebtesten Angehörigen entreißt, als wenn die Bosheit der Menschen uns des theuersten Gutes beraubt. Nunmehr war ich im fremden Lande, so ganz ohne Stütze und Trost, und dachte mir in jener Nacht: mein Vater könne doch wol noch leben, aber vielleicht sterbend nach mir verlangen. Dies Bild, welches meine Einbildungskraft wie in das Leben rief, ängstigte mich fürchterlich. Ich fand nach einem langen Gebet Hoffnung und Muth, und schrieb in jener Nacht eine kindliche Bitte auf, die ich meinem würdigen Freunde Pastor Gambs andern Tags zur Beförderung in die hamburger Zeitung brachte, und drei Wochen später erhielt ich von der Post einen liebevollen Brief meines[255] Vaters, der, nachdem er den Abschied aus dänischen Diensten genommen, sich eben in Hamburg befand und meinen Aufruf gelesen hatte. Ich sollte zu ihm kommen, allein die Aussicht, in Frankreich eine glückliche Ehe zu schließen, hielt mich davon ab. Mein Entzücken, mein Dank zu Gott war unbeschreiblich. Ich war den Tag freudematt und segnete die Schmerzen jener Nacht, welche so süße Frucht getragen hatten.

Im Hause, wo Schlegels wohnten, wurden einige Zimmer frei; sie lagen im Garten, den ein schönes Treibhaus und zwei Reihen hoher herrlicher Bäume schmückten. In der Mitte stand ein wohlbestelltes Blumenbeet. Ueber den Bäumen erhoben sich die Hügel Montmartre mit ihren Wohnhäusern und Gärten. Mehrere Häuserreihen von Paris bildeten schöne Linien, welche auch den ganzen Beifall eines uns besuchenden jungen Malers fanden. Der Horizont war weit, malerisch begrenzt, die Aussicht schön; aber sie trug einen Charakter der Traurigkeit. Das Grün der hohen Bäume war nicht frisch, die Blumen hätten aus Papier geschnitten sein können, nur das Treibhaus erfreute mich im Herzen. Die Pflanzen darin waren zart, transparent und trugen schöne Blüten. Ich pflegte darin zu arbeiten, so angenehm auch meine Zimmer waren. Abends tranken wir den Thee bei mir. Ich habe unsere Hausgenossen schon erwähnt, die Brüder Boisserée und ihren Freund Bertram, sämmtlich aus Köln am Rhein gebürtig.

Es hatte sich eines Tags getroffen, daß ich allein zu Hause geblieben war. Der Portier kam, drei Herren zu melden; diese traten ein, ganz weiß gepudert mit Taubenflügeln und Zöpfen, in Fracks, seidenen Strümpfen und Schuhen mit goldenen Schnallen. Ihre Haltung[256] war steif. Sie erregten meine muthwillige Laune so sehr, daß ich sofort beschloß, eine Neckerei an ihnen zu üben. Die Gelegenheit bot sich augenblicklich und sie fragten, ob sie die Ehre hätten, die Frau Dr. Schlegel vor sich zu sehen? Ich sagte ja! Bertram rief aus: »Das Gerücht hat Sie uns nicht ganz schön beschrieben, Frau Schlegel!« – »Es hätte auch unrecht gehabt, dieses zu thun«, versetzte ich mit niedergeschlagenen Augen. Ich lud die Herren ein, Schlegel hier zu erwarten, und knüpfte ein lebhaftes Gespräch mit ihnen an, bei welchem mir jedoch etwas bang ums Herz wurde, denn meine Rolle war keine leichte. Nach etwa einer guten Viertelstunde öffnete sich die Thür. Friedrich und Dorothea traten ein. Ich behielt meine ernste Miene bei und sagte mit großer Trockenheit zur Schlegel: »Jetzt bin ich lange genug du gewesen, nun sei du's einmal wieder.« Die Schlegel, die solche Possen von mir gewohnt war, errieth sogleich, was geschehen war, und glich die Sache aus. Auch die Kölner waren bald zufrieden gestellt. Sie gingen mit Friedrich Schlegel allein in sein Wohnzimmer und sprachen lange mit ihm, indeß ich mit Dorothea den Thee bereitete.

Friedrich Schlegel kam allein zurück, sehr heiter; wir erfuhren von ihm, daß diese Herren von morgen an unsere Hausgenossen sein würden, daß sie Friedrich's wegen nach Paris gekommen seien, ein Collegium von ihm zu hören, welches sie hart in Gold vorausbezahlt, wozu sie mich sogar einladen ließen. So wurden mir feurige Kohlen auf mein Haupt geladen, und ich bereute meinen Muthwillen aufrichtig. Die kölner Freunde erschienen andern Tags mit Titusköpfen, in Kleidern vom modernsten Schnitt. Bertram sah mich beim Eintritt mit vielsagender Miene an. Ich sah, daß er mich[257] beschämen wollte; es gelang ihm, doch war meine Strafe mild.

In wenigen Tagen eröffnete Schlegel sein Collegium. Sein ganzes Auditorium bestand aus vier Köpfen, davon ein einziger, der meinige, noch ziemlich leer war; gleichwol war Schlegel mit meinem Nachschreiben zufrieden. Unsere Stunden waren sehr belebt, der Geist durchwehte sie wie eine angenehme Zugluft.

Auf Chodowiecki's Bücherbretern standen Hefte, in denen ich eines Tags umherblätterte. Friedrich Schlegel's Zeitschrift »Athenäum« war in meinen Händen. Führt einen Tauben in ein Concert, oder einen Blinden vor ein Gemälde, oder ein buttiges Kind in einen Hörsaal, wo der Geist von der Lippe des Redners strömt, so habt ihr die Wirkung, welche das »Athenäum« auf mich machte. Ich hatte Aphorismen von Friedrich Schlegel aufgeschlagen: »Das hat ein Wahnsinniger geschrieben!« rief ich aus und blieb dabei, bis ich ihn in Paris kennen lernte und so nach und nach begriff, daß es eine andere Welt der Ideen gebe, als die in meinem Dunstkreis lag.

Schweighäuser hatte mir eine Einladung von Schlegels gebracht. Ich ging hin und fand Menschen, wie ich mir noch keine geträumt hatte. Dorothea ganz Seele und Geist, Schlegel ganz Witz und Feuer. Beide kamen mir wahrhaft liebevoll entgegen. Dorothea hatte meine Großmutter Karschin gekannt; sie war des großen Mendelssohn Tochter, in ihrem Busen loderte die strahlende Flamme, die in ihrem Volke lebt, aus ihren Augen blitzte sie empor. Sie war freudig und stark, großartig und mild, duftend wie eine Blume, saftig wie eine Frucht, feurig wie ein Mann, zartfühlend wie ein Weib. Ich konnte ihr Wesen und ihre Vorzüge nicht in den paar Stunden schätzen, die wir am ersten Abend bei ihr[258] zubrachten, aber ich fühlte mich unbeschreiblich angezogen. Sie erkannte und verstand schnell mein Herz. So schnell als Dorothea sah Friedrich Schlegel ein, was mir fehlte, und es ergötzte ihn. Meine Unkunde aller Dinge des Lebens war ihm neu und erfreulich; er drehte mich gleichsam in seiner Hand herum, wie ein Bildhauer einen Marmorblock, den er beschauen will. Er schlug die Masse etwas hoch an, doch wendete er allen Fleiß darauf und verließ sich dabei auf Genius und Natur. Die Milde und Anmuth Dorothea's wirkten nur wohlthuend und sanft auf mich. Ich fühlte ihre Ueberlegenheit nicht, ich überließ mich der Wirkung, welche beide auf mich machten ohne Nachdenken. Durch ihre Liebenswürdigkeit hoben sie mich sich gegenüber. Daß der Standpunkt eigentlich unhaltbar für mich war, fiel mir nicht ein. Es gab einige Ursachen, wegen welcher es ihnen in verschiedenen Beziehungen lieb war, mich zu gewinnen; es würde mir heilsam gewesen sein, wenn das nicht der Fall gewesen wäre und wenn sie ihre Herzensgüte minder hätten vorwalten lassen; doch es war nun einmal so, und ohne es zu wollen, wirkten sie zum Theil unheilsam auf mich, was ich in der Folge erkannt habe. Friedrich Schlegel war unharmonisch, theils in den Elementen seines Wesens, theils in der Verschmelzung derselben. Dorothea brachte Licht in das Chaos seines Innern, sie weckte in ihm Großes und Herrliches; er war gleichsam ihre Schöpfung. Liebe, wie noch kein Weib sie schöner empfunden, begeisterte sie bei ihrer Wirksamkeit. Es war nicht sein Genie, welches sie zu hoch anschlug, sondern die Wirkung des Genies auf die Welt, die sie unrecht beurtheilte. Friedrich Schlegel war, wie alle, die berufen sind, einen Fortschritt zu begründen, seiner Zeit vorausgeeilt, und hatte nicht Kraft genug,[259] sie mit sich voranzubringen. Weil die Geliebte für ihn die Welt war, so glaubte er auch, die Welt empfinde für ihn und erkenne ihn an, wie die Geliebte es that; natürlich mußte er mit ihr zerfallen. Eine so kolossale überströmende Natur konnte nicht verloren gehen; aber nicht minder bedauernswürdig war sein Fall von der schwindelnden Höhe, zu welcher er sich in der Jugend hinaufgeschwungen. Friedrich Schlegel wurde der Welt und seiner Zeit unbeschreiblich mehr, als sie je anerkannt hat; doch wird sie es in der Folge noch anerkennen. Gleichwol hat er nicht sich allein, sondern auch der guten Sache geschadet, und das nicht allein durch seine Eigenschaften und Vorzüge, sondern auch durch seine Fehler und Misgriffe.

Novalis würde sein Schutzengel gewesen sein, wenn ihn nicht der Tod zu früh entrissen. Was Novalis war, das sagte niemand so schön und einleuchtend wie die Thränen, die Friedrich Schlegel um ihn vergoß. Dies Andenken hielt ihn empor. Die Welt würde ihn in Trümmer zerschlagen haben, trotz Dorothea's gewaltiger, großartiger und reiner Liebe, wenn nicht dieser schöne Schmerz noch lange mächtig in seiner Brust gewaltet hätte. Friedrich Schlegel und seine Freunde schlugen ihre Gegner nicht hoch genug an. Wer die Massen für seine Meinung gewinnen will, darf den Feind nicht mishandeln; denn es lebt in ihnen ein Gefühl des Rechts und Unrechts, welches die Bessern auf die Seite des Gekränkten hinüberzieht. Unsere großen Geister, unser Schiller, Goethe, Herder, Jean Paul begnügten sich, das Schlechte vorzugsweise dadurch zu bekämpfen, daß sie das Rechte übten. Dies ist die würdigste und siegreichste Waffe. Man darf nicht fürchten, daß Ungeschmack und krankhafte Richtungen der Kleingeister das Echte und[260] Kräftige besiegen, denn früher oder später ringt es sich wieder strahlend aus dem Kampfe hervor.

In den Jahren 1802–4 erschien mir Friedrich Schlegel meiner oberflächlichen Wahrnehmung nach einklanglos und in seinem Wesen die entschiedensten Gegensätze offenbarend: weich wie ein Kind und schroff wie ein Gigant, hinwogend im Aether wie ein Adler und wühlend im Boden nach Vergnügungen, die ganz irdischer Natur waren. Er war zu sehr von Selbstgefühl erfüllt, zu fleißig und zu bequem, um Schritte zu machen, die ihn zur Erreichung einer Absicht hätten führen können. Er glaubte vielleicht auch, daß sich alles von selbst finden und fügen müsse. Es ist auch kaum möglich, daß der Mensch sich zersplittern kann, den ein inbrünstiges Streben beseelt, daß er zugleich Gott dienen und den Götzen opfern kann. Es ist überschwer, aus seinen Himmeln heraus in Frack und Glacehandschuhen und durch Vorzimmer Lakaien Rede stehen. Besser läßt sich's mit zehn Monarchen reden, als mit einem halben Lakaien. Am Schreibtisch ist jeder tüchtige Mensch ein Gott; aber was ist er im Vorzimmer?

Dorothea's versorglicher liebender Sinn wußte die Häuslichkeit ihres stillen wohlgeordneten Lebens angenehm zu gestalten. Immer war's bei ihr heimlich und traulich, angemessen und freundlich. Musterhaft und angestrengt übte sie häuslichen Fleiß. Noch heute verstehe ich nicht, wo und wie sie Zeit zum Schreiben fand. Allein die Getreue, deren flinke Hand Friedrich's Wäsche nähte und in Stand erhielt, war auch die Copistin aller seiner Schriften, und schuf selbst fortwährend Großartiges und. Schönes. Sie arbeitete dazumal vieles vom (nicht erschienenen) zweiten Theil des »Florentin« auf das herrlichste aus, schrieb für die »Europa« gediegene[261] Aufsätze, die meist mit D unterzeichnet sind, übersetzte den Merlin im gedrängten trefflichen Auszuge, führte eine ausgebreitete Correspondenz und fand noch Zeit, die merkwürdigsten Gegenstände in Paris zu betrachten, Concerte und Theater zu besuchen, neue Schriften zu lesen, die Abende durch Geselligkeit zu erheitern, durch Vorlesungen zu beseelen. Hinreißend las sie und war immer stark, freudig und heiter, ihrer selbst mächtig und immer wohlthätig.

Ihre Schwester Henriette, die Rahel in ihren Briefen das »Feinste und Tiefste« nennt, hatte einen stillern Zauber, einen gehaltenern Ernst, war weniger hingebend und bedachtvoller auf alle Aeußerlichkeiten, indeß es innerlich vielleicht nichts Glühenderes und Reichhaltigeres, noch Zarteres gab als sie. Beide Moses Mendelssohn's Töchter, königlicher Geistesabkunft, würdig des Bluts in ihren Adern.

Die Poeten sind die wahren enfants gatés du ciel. Dafür müssen sie auch in der Welt leiden.

Die seltene Vortrefflichkeit geistiger Höhe und Ausbildung Dorothea's, der Zauber ihrer rein gemüthlichen Liebenswürdigkeit gewann ihr bald der kölnischen Freunde höchste Zuneigung und wahrhaft kindliche Ehrfurcht. Ganz gutmüthig und nicht minder unverständig, wunderte ich mich darüber, daß es mir nicht ungefähr ebenso erging, freute mich aber darüber, weil Dorothea, die mir so unendlich liebe, Freude daran hatte.

Jener Zeitraum hatte viel Schönes selbst für mich, der es an Sinn und harmonischer Ausbildung mangelte, ihn gründlich für mich zu benutzen, und die, hineingeschnellt in pariser Kreise sehr verschiedener Art, von einem wahren Fieberdurste nach vielbewegter Geselligkeit, nach Kunstanschauungen und frischem Lebensgenuß verzehrt, dem Ernst, der Strenge und Abscheidung unsers[262] häuslichen Kreises, in welchem Friedrich Schlegel sich nun gefiel, im Grunde störend entgegenstand; indeß ich noch besonders durch meinen damaligen Religionsindifferentismus oder vielmehr decidirten, aber kühlen Protestantismus die kölnischen Freunde verletzend, eigentlich von allen im Stillen aufgegeben, mich nur durch meine unverkennbare Anhänglichkeit und Treue zu Dorothea, zumeist wol durch ihr tieferes Eindringen in meine eigenste Natur, durch ihre Zuneigung erhielt.

Friedrich Schlegel goß scharfe Lauge über mich aus, aber er ätzte mich wund und besserte nichts. Bittere Opposition trat ein.

Napoleon, späterhin bei seiner Reise nach Köln mit Josephine vom Häuflein der Frommen verehrt, geliebt, war damals verhaßt. Die römische Partei sah in ihm einen Feind des Klerus, der die heilige Kirche trotz des Concordats über den Haufen zu stoßen bemüht war und das Cölibat der Priester aufheben wollte. Diese Idee muß damals auch in unserm Kreise die Gemüther erbittert haben gegen Napoleon, denn Friedrich Schlegel, der, seit ich ihn kannte, über ihn nie eine Meinung geäußert, fing im Winter 1804 an, ihn herabzusetzen und mit Unwillen von ihm zu sprechen. Er sagte auch zuweilen lachend: »Wir würden nächstens einmal in Hamburg mit der Familie Bonaparte an der Table-d'hôte speisen!« Natürlich war ein Vorgefühl des Falles nach solchem Aufschwung, doch was alles Ungeheueres dazwischen lag, ahnte der Verkündiger nicht, noch minder, daß er 1810 selbst die Vermählung der Kaisertochter Marie Luise mit Napoleon besingen würde. Dieses Gedicht ist schön, Ahnung der gewitterschweren Zukunft blitzt hindurch; doch die frommen Wünsche des Dichters, die wie Trost diese Schwüle durchwehen, sind[263] unerfüllt geblieben. Mir war damals vor Enghien's Tode Napoleon der glorreichste der Helden, der Herrlichste der Geschaffenen; die Hierarchie, wie frühere Jahrhunderte sie gekannt, und gewaffnet zu Bluthochzeit, Inquisition, Hexenmord und Auto da Fé, und wie sie nun getroffen von Joseph's flammendem Schwerte seit mehr als zehn Jahren im Todeskampfe lag, schien mir gelähmt sonder Kraft zu künftigem Unheil, auf ewig hinabgeschleudert von der Menschheit Brust, die sie wie ein Alp der Hölle eine lange Nacht hindurch mit bösen Träumen gemartert. In poetischer Beziehung fand ich Legenden, Visionen, Mysterien als Sinnbilder schön, groß, erhaben; aber wie Novalis von einer Zukunft spricht, wo der Krieg in das Schachspiel gebannt sein wird, so glaubte ich in einer Zeit zu leben, wo alle hoch und rein poetischen Elemente der katholischen Religion nun einzig der Kunst gehörten, in ihr sich offenbarten und auf das Leben der Völker nur durch dies Organ rein ethisch und geistig und keine Freiheitsrechte des Innern noch des Aeußern der menschlichen Gesellschaft verletzend einwirkten.

Friedrich Schlegel hingegen – der uns seit Anbeginn unserer Bekanntschaft die Stellen in Tieck's »Zerbino«, wo der Dichter sich über den Protestantismus lustig macht, oftmals und mit besonderm Feuer vorgetragen, über den mir auch Dorothea früherhin bisweilen geäußert: er habe Absicht, katholisch zu werden, was ich weder begriff noch glauben konnte – unterließ nun seit einiger Zeit, seiner Begeisterung für die indischen Büßer Luft zu machen, und pries dagegen die Idee des Papstes als die höchste und vollkommenste, welcher die Menschheit jemals gehuldigt. So fremdartig klang dies in meine Unwissenheit, Unbekümmertheit, Zuversichtlichkeit[264] des bleibenden Bestandes der Dinge, wie sie damals lagen, hinein, daß ich weder darüber nachdachte, noch mir die Worte Schlegel's merkte. Sie würden vielleicht an mir vorübergerauscht sein, wie Millionen andere, wenn er nicht unaufhörlich gesprochen hätte davon: wie das Heil der Welt nur noch im Papstthum liege, wenn es wieder in vollem Glanze und als alldurchdringende Gewalt erstände, wohin es auch kommen müsse und unausbleiblich kommen werde.

Dorothea schwieg zu solchen Aeußerungen, wie sie früherhin zu der Lobpreisung der indischen Büßer geschwiegen und in meiner Gegenwart wenigstens überhaupt nur still zu lauschen pflegte, wenn irgendein neuer Gegenstand, der Friedrich durchwühlend aufregte, durch ihn zur Sprache und wiederholt zur Sprache kam. Sie hatte auch anderthalb Jahre früher nichts gesagt, als ihr Gemahl geäußert: der »Alarkos« sei noch lange nicht undurchdringlich genug dargestellt und er hätte beim Dichten nur mehr Opium nehmen sollen, so würde er das erreicht haben, was er mit dem »Alarkos« gewollt.

War das nun Ernst? Ich hielt es nicht dafür, die übrigen Aeußerungen ebenso wenig. Schlegel sagte vieles aus reiner Ironie. Er sagte auch mit vollem Bewußtsein und absichtlich, blos zur Ergötzung, viel Unverständiges, wie ein Reicher, der zum Spaß Scheidemünze aus den Fenstern unter das Volk wirft. Ueberhaupt war das Eckige und Schroffe, das öfters bei ihm hervortrat, Willkür; denn wenn er irgend Lust dazu hatte, konnte er die feinste und anmuthigste Haltung annehmen und durchweg behaupten, sodaß ich fest glaube, daß ihm diese die natürlichste war.

Sorgfältig verschwieg ich bei der Stimmung gegen Napoleon, die ich um mich her wahrnahm, das Unternehmen[265] einer Napoleonide in Stanzen, die ich seit November 1803 auf Anregung einiger Freunde des Ersten Consuls zu dichten begonnen. Er selbst wußte darum und ließ mir öfters etwas darüber sagen, ohne daß ich ihm deshalb nahte, denn er hatte Wohlgefallen daran, daß dieses Gedicht aus reinem Antriebe hervorginge, und wollte auch, die Welt sollte es als Erzeugniß wahrer Begeisterung anerkennen. Er gab zum Theil auch den Plan an. Meine Waghalsigkeit war so groß, daß ich mich dem Werke für gewachsen hielt; es sollte eine Art »Gerusalemme liberata« werden. Die Hölle gegen Frankreich gerüstet, der Königsmord durch sie eingegeben, das böse Princip losgelassen, um den jungen Helden, Frankreichs Retter und das ganze Volk zu verderben – das sollte ich personificiren, individualisiren und eine Person damit bezeichnen, die mir lange Zeit nur in einzelnen Zügen geschildert wurde, doch ungenannt blieb, und die ich erst kurz vor Aufhören der Arbeit entdeckte. Diese nämlich unterließ ich seit Enghien's Todestage und trug in vollstem Ernste einem Freunde Napoleon's auf, ihm zu sagen, daß ich sie nun nicht vollenden könne. Sicher ist das unbestellt geblieben. Man glaubte wahrscheinlich, ich würde mich eines Andern besinnen; doch man irrte sich, es war aus mit jener Begeisterung. Wenn ich jetzt noch die zusammengelesenen Fragmente dieser Arbeit ansehe, so thut es mir nicht leid darum; sie war schwach. Es fehlte ihr an innerm Gehalt und äußerer Vollendung. Nur die Einleitung würde ich noch heute nicht verwerfen.

Viel Ueberwindung kostete es mich, wenn mir etwas gelungen schien, es Dorothea nicht mitzutheilen. Sie bezeigte stets herzliches Mitgefühl für das Gelingen von allem, was ich unternahm, selbst wenn auch nur ein[266] Funke darin war. Sie wußte auch überzeugend und freundlich das Schlechte als solches zu bezeichnen und es verwerfen zu machen. Es that so wohl an ihr, daß es ihr mit der Wahrheit so innig Ernst war. Viel hat sie an mir gethan und kann nichts dafür, daß ihr nicht mehr gelang. Sie war aufrichtig, aber zu wohlwollend nachsichtig, um mich gegen angeborene Leichtigkeit, die ärgste und gefährlichste Feindin des Talents, eben weil sie manches heilsam Hemmende ohne weiteres über den Haufen wirft, zu warnen. Nur eine höchst unbewußt hervorspringende Aeußerung Dorothea's fällt mir ein:

Sie hatte etwas für die »Europa« geschrieben und konnte eine in einer gedankenreichen Periode gebliebene Lücke nicht ausfüllen, fand das Bindungswort nicht, welches ich augenblicklich glücklich einschaltete, indem ich gegen die Klippe zu eine geschickte Umbiegung anwandte, bei welcher kein Wort für das nothwendige Bezeichnen des Gedankens verloren ging. »Es ist erstaunlich«, sagte Dorothea, »und ich weiß nicht, wie es zugeht, die Sophie Bernhardi, du, ihr seid so glücklich, ihr habt gleich die Form und ich habe die Gedanken.« Ich lachte und meinte: sie habe doch das Beste.

Friedrich Schlegel erklärte mich (damals ohne eigentlichen Grund, aus bloßem Verstehen und Vorausblick) für eine echt poetische, rein lyrische Natur, und äußerte den Wunsch, mich in einer anmuthigen, sorgenfreien Lage zu wissen, wo ich nur, wenn der Augenblick mich begeistere, ein Lied dichtete, aber nie mit meinem Namen drucken ließe, sondern eine Chiffre wählte. Er hatte vollkommen recht, doch mein Schicksal wollte es nicht so, und zugleich war ich nicht unempfindlich für den Klang eines Namens, der mein eigen sein müsse. In der[267] »Europa« unterzeichnete ich mich nicht und erlebte den Spaß, daß Kotzebue in einem und demselben Blatte mich als Herausgeberin der Miscellen pries und erhob, und die Verfasserin eines jener Aufsätze in der »Europa« heruntermachte, ohne zu ahnen, daß ich es sei.

Meine Anhänglichkeit für Dorothea machte es mir schmerzlich, daß wir uns trennen mußten. Denn im Frühling 1804 verließ Friedrich Schlegel Paris mit seinen neuen Freunden, und Dorothea sollte ihm in einigen Wochen nach Köln nachkommen. Dort wurden beide katholisch. Im November 1804 kam Friedrich Schlegel zurück. Wir sahen uns oft. Er war ganz wie ich ihn 1802 gekannt, schien mir zu seinen frühesten Stimmungen entschieden wiedergekehrt und sprach kein Wort über Religionssachen. Er blieb fast den ganzen Winter in Paris und besuchte es 1807 von neuem, begleitet von seinem Bruder, den er uns zuführte. Dann sah ich ihn nicht wieder bis 1823, wo ich nach Wien mußte, um die Schwefelbäder für meinen Sohn in Baden zu benutzen. Dorothea fand ich noch ganz so wie sie war, Schlegel hatte sich auffallend verändert und war auf das schleunigste ergraut und gealtert. Er hatte eine schöne thatkräftige Jugend unter schweren Sorgen zugebracht. Bei seinen ungeheuern Kenntnissen und Fähigkeiten wurde es ihm schwer, einen Wirkungskreis zu ermitteln. Er wußte und erstrebte zu vielerlei. Die Mittelmäßigkeit kommt überall und jederzeit durch, ist überall willkommen. Von Deutschland war er fern, er hätte dort bleiben sollen. Frankreich war durchaus untauglich für ihn; echte gründliche Wissenschaft blieb dort unbeachtet.

Napoleon brauchte Geld und Menschen. Er behielt[268] sich vor, zu günstiger Zeit geistige Hebel in Bewegung zu setzen. Er war kein Ludwig Philipp. Er ordnete seine großen Zwecke dem Bedürfniß des Augenblicks unter. Zu allererst sollte Europa eine große französische Provinz werden, Asien ein gefügiger Bundesgenosse, Afrika unter französischen Einfluß dergestalt sich schmiegen, daß es gleichfalls nur wollen dürfte, was Frankreich gestattete. Nach wohldurchdachten Planen erzielte Napoleon eine solche Weltherrschaft Vielleicht würde sie für die Welt ersprießlich gewesen sein, denn dem Geiste muß sich alles beugen. Wenn die Welt Napoleon verstanden hätte, wenn in dem Busen der Masse das heilige Feuer geglüht hätte, so würde er gesiegt haben, seinen Handlungen lag keine Persönlichkeit zum Grunde. Er blieb in dieser Hinsicht unverstanden; er opferte sich selbst, er glaubte dadurch Nacheifer zu wecken. Immer klarer wird sein Bild aus der Vergangenheit hervortreten. Auch Friedrich Schlegel verstand Napoleon nicht, er war ihm abhold, weil er ihn nur mit dem Auge des Leibes betrachtete; weil er so wenig wie die übrige Welt begriff, wie rücksichtslos er die Gegenwart opfern mußte, um das Heil einer großen Zukunft zu begründen.

Von meiner weiblichen Ansicht Napoleon's kann hier nur wenig die Rede sein. Der Mann fühlt denkend, das Weib denkt fühlend! Mein Unwille über den Mord des Herzogs von Enghien erwuchs aus der allgemeinen Empörung, welche diese That erregte. Ich bereue meine Thorheiten, die von diesem Unglück herrührten, sie warfen einen Schatten auf meinen Namen. Doch ich bin wol nicht die einzige in diesem Jahrhundert, die sich über Napoleon geirrt hat. Der Ostracismus, der Schmähungen, Jammer und Elend über ihn gehäuft,[269] bis seine irdische Natur unterlag, ist dem Geiste nach derselbe, der je und alle Größe angefeindet, alle Keime des Heils zertreten, auf breiten Schultern die Gemeinheit emporgehalten hat.

Ein vortrefflicher Freund Friedrich Schlegel's besuchte uns oft, es war der berühmte Indianist Hamilton, der Ostindien viele Jahre lang bewohnt und dort eine Eingeborene zur Gattin und einen hoffnungsvollen Sohn besaß. Er gab Friedrich täglich drei Stunden lang Unterricht im Sanskrit. Die Freude, einen solchen Schüler zu haben, war seine Belohnung; denn Friedrich Schlegel begriff mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und belehrte seinen Meister von seiner Seite. Alexander Hamilton war so wenig wie Schlegel ein trockener Gelehrter. Was er von der Wissenschaft erlangte, ging in seine Seele, sein Gemüth und seine Phantasie über. Man könnte dieses mit Recht von allen Indianisten sagen.

Das Studium des Sanskrit bereichert, läutert und erhebt das ganze Wesen des Menschen, es bemächtigt sich seiner ganz und gar, läßt nichts anderm mehr Raum, von keinem andern wird es in sittlicher Hinsicht in seinen Wirkungen übertroffen. Goethe hat darüber gewichtige Worte geschrieben, man findet sie in Hirzel's »Sakuntala«, die der edle dankbare Gelehrte seinem Meister Chézy zugeeignet hat. Eine süße Befriedigung gewährten Chézy die wenigen dankbaren Schüler, für die er Vater und Freund war, und sie gehören zu den Vortrefflichsten. Die Nachwelt wird den Undankbaren die gehörige Stelle anweisen.

Das Lokal des Museums Napoleon, nämlich der obere Stock, in welchem die Gemälde aufbewahrt wurden, sollte verändert werden. Man brach die Wölbung durch, um den[270] Saal von oben zu beleuchten. Mich dünkte, als ob die Beleuchtung bei dieser neuen Einrichtung nicht gewönne. Die damals anwesenden Künstler verloren sehr viel bei dieser Umgestaltung, sie mußten auf lange Zeit der Räume entbehren, auf welchen ihre Staffeleien stehen konnten. So mancher, der seinen Lebensunterhalt oder seine Vervollkommnung dem Copiren der alten Meisterwerke verdankte, mußte nun müßig gehen. Auch die Fremden verloren viel dabei. Nur eine Abtheilung von Kunstwerken stand offen. In einem großen dunkeln Saale standen herrliche Gemälde übereinander, dick bestäubt, weil der Staub aus den Löchern, die in die Decke des Museumsaals geschlagen worden, durch alle Ritzen und Fugen in das Behältniß drang, wo die Gemälde standen. Ich führte Frau von Wolzogen, Schiller's Schwägerin, die seelenvolle Verfasserin des Romans »Agnes von Lilien«, einer schönen Schrift über Karl von Dalberg und anderer classischer Werke, hinein; sie weinte.

Als der große Saal des Museums wieder geöffnet werden konnte, war er von oben beleuchtet und mit karmoisinrothen seidenen Vorhängen drapirt. Dies war grell und gefiel wenigen. Zu Gemälden gehört eine einfache graue oder graugrüne Farbe für Hintergrund und Umgebung. Die Heizung war durch sogenannte erwärmte Luft hervorgebracht. Ich war wol nicht die einzige, der es um die großen, guten, alten Oefen leid that, die eine gleichmäßige sanfte Wärme durch den ganzen Raum verbreiteten, und wo man Sonntags Veteranen antraf, die in ihrem gewöhnlichen Costüm um die Oefen her saßen und mit unbeschreiblicher Lust die Kunstwerke betrachteten. Sie verstanden sie nicht, die guten Alten, aber mehrere von ihnen hatten eine Freude daran;[271] denn manche waren dabei gewesen, wie die Städte erobert wurden, wo sie ehemals geprangt. Diese hielten sich für Miteigenthümer der Bilder, und die alte Inschrift, die noch aus den Zeiten der Republik daran klebte, störte sie nicht in der Freude des Genusses. Sie hieß: »Bürger genießt, aber rührt nichts an!« Es ist nicht zu leugnen, daß diese Menschenmasse Staub aufwühlte, auch wol verstohlen Taback rauchte. Wenn das ein Aufseher bemerkte und die kleine Pfeife confisciren wollte, fand er Gegenwehr. »Ohne uns wären die hübschen Bilderchen nicht da!« hieß es dann. Die Vernünftigen unter den Aufsehern stellten den Opponenten vor, daß die schönen Sachen, welche man ihrer Tapferkeit dankte, auch schön erhalten werden müßten! Die braven Veteranen sahen dies ein und man schüttelte sich die Hände. Auch versprach man, recht vorsichtig und sauber in den Museumssaal zu kommen und sich recht ruhig darin zu verhalten, damit es schön bliebe. Bei der Ankunft der eroberten Kunstschätze wurden keine solchen Rücksichten empfohlen. Die mit Pöbel untermengte Masse begriff nur schwer, daß man die Schätze der Kunst schonen und bewahren müsse; doch seit Napoleon die Zügel der Regierung ergriff, wurde Ordnung. Viele Söhne des Volks sind wie die Kinder, die sich beim Empfang schöner Sachen schon auf die Stunde freuen, in welcher sie beschließen, sie zu zerstören. Jedes Moment der Zeit hat seinen Silberblick: dieser erstrahlte damals, als die braven Krieger sich im Museum versammelten, als man Stolz und Freude über die errungenen Kunstschätze aus ihren Augen leuchten sah. Der Anblick war gemüthlich und herzerhebend. Es wird einem jetzt nicht mehr so dabei zu Muthe sein. Minder als diese Veränderung konnte man es billigen, wenn[272] späterhin die Arbeiter in Jacken und Mützen unter Ludwig Philipp aus dem Tuileriengarten herausgewiesen wurden, den sie ihm doch erobert hatten, und ebenso wenig, wenn im Sommer das Publikum abends, wo die Lüfte kühler wehen, scharenweise aus dem Tuileriengarten und dem Luxemburg nicht ganz sanft herausgetrieben wurde. Ludwig Philipp büßte schon damals viel von seiner Popularität ein; denn auch er hatte, wie andere Bourbons, von der Geschichte nichts gelernt.

Ich war in Paris in den Tagen angelangt, wo die letzten süßen Tropfen der Neige des Freiheitsbechers ausgeschlürft wurden und man ihn wie einen andern Theaterbecher in die Coulissen schleuderte, während seine bittersten Hefen noch auf dem Boden geblieben waren. Mir scheint, als seien sie noch nicht ausgeleert. Man kennt die Misgriffe der obersten Gewalt seit dem Sturze Napoleon's: sie mußten ihre Wirkung thun. Durch das gewaltsame Einlenken in die alten Gleise wurde das Volk entsittlicht und heuchlerisch, es wußte nicht mehr wohin mit seinen Bedürfnissen von Liebe und Anhänglichkeit; es fühlte das Schwanken des Bodens, der zerbersten mußte unter jedem Thron, der seit dem Consulat aufgerichtet wurde. Es wendete entmuthigt den Blick von einer unsichern Zukunft ab, die keine Aussicht auf dauernde Gestaltung mehr bot. Es haschte nach Strohhalmen wie der Ertrinkende im Kampf mit den Wellen. Bei der allgemeinen Unbehaglichkeit verlor selbst der Gedanke an eine neue Schreckenszeit seine Schrecknisse; diese verfehlte auch nicht zu erscheinen, nur nicht in ihrer frühern Gestalt und nicht ganz so furchtbar wie in den neunziger Jahren. Auch wurde Gott nicht noch einmal abgeschafft, und der Feind war unvergleichlich[273] milder, als ehemals der eingeborene Terrorist. Wenn nicht im Gemüth der Frommen die Ueberzeugung lebte, daß Gott das Böse nur zuläßt, um in den Geschaffenen die Kräfte zum Guten reicher zu entwickeln, so könnte man Zweifel in die Gerechtigkeit der lenkenden Gewalt setzen. Denn es ist offenbar, daß es nicht das Volk, das ursprünglich gute, ist, welches den Fluch auf Frankreich herabgezogen, der noch immer nicht gelöst ist, und daß in späte Zukunft hinein Millionen für das büßen müssen, was vor mehr als sechzig Jahren geschehen.

Ich kann nicht unerwähnt lassen, welch ein Ahnüngsschauer mich durchzuckte, als ich 1810 im Palast des Fürsten Schwarzenberg die Vorbereitungen zum Feste sah, welches derselbe als Nachfeier der Vermählung dem kaiserlichen Paare Napoleon und Marie Luise gab.

Ueber einem ziemlich tiefen trockenen Bassin wurde der Ballsaal aus Tannenbretern errichtet. Der Unternehmer des Baues hatte um zwanzig Francs theurere eichene Breter in Vorschlag gebracht, diese würden sich nicht so schnell entflammt haben und nicht so schnell zusammengebrannt sein. Hölzerne Armleuchter von geschmackvoller Form, zierlich vergoldet, waren an den mit Seide bekleideten Wänden angebracht. Jedermann bemerkte, daß sie etwas zu kurz waren. Eine der Kerzen steckte schief, die Flamme ergriff während des Tanzes die ölgetränkten Blumenfestons, welche den Saal schmückten. Im Nu stand die ganze Guirlande am Plafond umher in Flammen. Die Bekleidung der Wände, die harzigen Tannenbreter entzündeten sich mit solcher Gewalt, daß alle Versuche, der Flamme Einhalt zu thun, vergeblich waren. Wasser war nicht schnell genug zu haben. Nach[274] Ausbruch der Flamme wurde den Gästen bedeutet, sich zu beiden Seiten des Saals aufzustellen und den Kaiser ungehindert mit seiner Gemahlin durchzulassen; dies geschah in möglichster Eile. Von oben fielen flammende Splitter auf die Gäste herab, und im Moment, wo das kaiserliche Paar den Garten erreicht hatte, stürzten die Gäste mit aller Gewalt heraus. Es würden sich die meisten gerettet haben, wäre nicht unter ihnen der Boden eingestürzt. Viele der Heruntergefallenen wurden jämmerlich zerquetscht, auf andere stürzten die Flammen von oben herab, andere jammerten unter den Schritten derer, die sich retten konnten. Muthige Männer, unter ihnen Varnhagen von Ense, zogen die halbzermalmten Opfer aus dem qualmenden Bassin.

Der Kaiser kam schnell von der Begleitung seiner Gemahlin zurück und ordnete mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit die Anstalten zur Rettung an. Er bemerkte Varnhagen in einem entsetzlichen Zustande mit flammenden Kleidern, alle Anwesenden durch heldenmüthige Todesverachtung mit sich fortreißend, sodaß er nach dem Platz hinschickte, wo Varnhagen beschäftigt war, um zu erfahren, wer der tapfere Jüngling sei. Ihm wurde berichtet, es sei August Varnhagen, ein österreichischer Offizier, der gegen die französische Armee muthig gekämpft habe. Der Kaiser verlor ihn aus den Augen, vielleicht auch aus dem Gedächtniß, denn die Schreckensnacht zermalmte die Besinnung und ließ keiner andern Vorstellung Raum, als der des furchtbaren unheilbringenden Augenblicks. Ein sinnloser Pöbel rottete sich zwar furchtsam und feig, aber dennoch in Masse zusammen, und faselte wahnwitzige Worte. Vom edeln Fürsten Schwarzenberg rührte nach des Pöbels Meinung das Unglück her. Er habe den vertrauensvollen Kaiser in diese[275] Räume verlockt und die verheerende Hochzeitsfackel entzündet. »Denn o! das Schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn!«

In eine Schilderung des Zustandes der zermalmten, von der Flamme fast ganz verzehrten und noch in Todesqualen wimmernden Frauen und Männer vermögen wir nicht einzugehen. Was nur zwei Jahre später auf der Brücke der Beresina Eisblöcke, Sturm und Fluten gethan, das war hier durch die Flammen geschehen, nur in kleinerm Maßstabe. Die liebenswürdige Fürstin Pauline Schwarzenberg wurde andern Tags vermißt. Das unvergleichliche Mutterherz hatte die Fürstin wieder unter die rauchenden Trümmer hineingerissen. Ihre zwölfjahrige Tochter wollte sie retten, doch der Rauch erstickte sie und die Flamme schlug über sie zusammen. Sie hatte nicht gesehen, die unglückliche Frau, daß ihr gerettetes Kind ohnmächtig, aber unversehrt aus der Flamme dicht an ihr vorbei herausgetragen wurde; es ist dieselbe Prinzessin, die im Jahre 1848 als damalige Fürstin Windischgräz bei dem Aufstand in Prag von dem Schuß eines rasendes Weibes durch ein Fenster ihres Zimmers tödlich getroffen wurde. Die wohlangebrachte Strenge des Fürsten Schwarzenberg bewahrte alle anwesenden Kinder vor dem Flammentod. Sie alle standen vor Ausbruch des Feuers im prächtigen phantastischen Aufzug an den Thüren des Saales, um eine dramatische Dichtung, die sie auswendig gelernt hatten, vorzutragen. Sie freuten sich alle darauf, denn gewiß gewährte die Gruppe der geschmückten Kinder einen bezaubernden Anblick. Der Fürst bemerkte die Anstalten, die zu dieser Vorstellung gemacht worden und schickte die Kinder unverzüglich in ihre Schlafzimmer, indem er sich etwas hart über die Begierde äußerte, auch[276] beim Feste zu figuriren. Diese Strenge, die etwas unzeitig geschienen haben mag, rettete die lieben Kinder vom Tode. Die Gefahr war ihnen so nahe gewesen, daß die Fenster ihrer Zimmer von der Hitze sprangen.

So endete dies verhängnißvolle, unheilweissagende Fest, das so prachtvoll und fröhlich begonnen hatte. Die liebenswürdige Fürstin von der Leyen, ein Mitglied der Tascher'schen Familie, litt mehrere Tage vor ihrem schmerzvollen Ende unbeschreiblich. Ihre Eingeweide lagen offen. Es wurde versichert, daß Varnhagen von Ense sie aus den Flammen herausgezogen. Niemand ahnte, daß all dieses Weh nur eine Vorfeier künftigen nahen Unheils war, das über die Herrscherfamilie, über Frankreich, ja über die Welt hereinzubrechen bestimmt war, und zu welchem eine schiefgesteckte Kerze den ungeahnten Anlaß gegeben.

Freund Bartolini schlug uns eines Morgens vor, sein Atelier im Louvre zu besuchen; wir gingen hin, um seinen Entwurf zur Rückseite der Medaille zu betrachten, welche Napoleon für die Eroberung von England schlagen lassen wollte, wiewol England noch unerobert war. Napoleon rechnete damals auf den Erfolg der Landung mit den platten Fahrzeugen des Herrn von Ducreste, wie schon erwähnt. Seine tapfern Krieger würden damals seinen Erwartungen entsprochen haben; aber die Elemente waren seinen Eroberungsplanen, wie späterhin in Rußland, entgegen.

Napoleon's Kopf, von Bartolini gemodelt, war des großen Künstlers würdig; auf keiner Medaille habe ich ihn so schön gesehen. Die Kehrseite stellte Hercules vor, der das dreiköpfige Ungeheuer erwürgt. Sie war von classischer Schönheit. Uns, die wir sie bewunderten,[277] ahnte es gleichwol, daß die Siegesmedaille etwas zu früh entworfen wurde. Bartolini zeigte uns noch andere Entwürfe seiner fleißigen Meisterhand. Er suchte das Ideal in der höchst naturgetreuen Wahrheit der Auffassung.

Indem wir uns seiner Entwürfe freuten, trat unvermuthet Denon in das Atelier. Bartolini hatte ihm gesagt, daß wir ihn heute besuchen wollten; er war ungeduldig uns kennen zu lernen. Nach den ersten gewöhnlichen Höflichkeitsformeln der Begrüßung lud uns Denon ein, ihn in seine Wohnung zu begleiten, die auch im Louvre befindlich war. Er bat uns dort zu einem auserlesenen Frühstück, welches sogleich aufgetragen wurde. Grüne Austern, noch aus dem Geschlecht der Urwelt, wurden schüsselweise aufgetragen. Den Beschluß machte schwarzer Kaffee, auf arabische Weise bereitet und aus Aegypten mitgebracht. Nachher zeigte uns Denon einen Theil der merkwürdigen Dinge, die seine Sammlung schmückten. Ein Gedanke nur von einem Fuß, dunkelbraun und wunderzierlich gestaltet, lud unsere Blicke ein: er war aus den Pyramiden, und hatte einer Tochter des Pharao gehört, vielleicht derselben, die sich den kleinen Moses vom Ufer des Nil herbringen ließ; er war einbalsamirt, wie man leicht denken kann.

Der Streit über das größere Alterthum der Aegypter oder Indier war damals noch nicht angeregt, denn in Paris kannte nur Alexander Hamilton das Sanskrit. Indeß Fr. W. Schlegel es mit seiner Hülfe muthig erfaßte, aber nicht eigentlich in die Tiefen der Geheimnisse der Sprache eindrang, hatte sich der junge Chézy ganz im Stillen derselben bemeistert, wollte aber nicht eher an das Licht, bis er sie ganz besaß, und machte seine Mutter und mich nicht eher zu Vertrauten, bis er nicht mehr[278] weit vom Gipfel der erklommenen Höhe stand. Auch seinem Freunde Sacy hatte er solange alles verschwiegen. Sein thatkräftiger Geist hatte eine neue Bahn ersehnt und gefunden. Schlegel, glücklicher als er, konnte eine edle Freundeshand ergreifen, um sich leiten zu lassen; Chézy mußte sich selbst gegnügen. Sylvestre de Sacy sagte von ihm: »Man könnte meinen, er habe das Sanskrit erfunden, denn alles habe er errathen müssen, was er davon entdeckt!« Ich weiß nicht wie es zuging, daß sich Chézy nicht mit dem Mahâbhârata beschäftigte, sondern vorzugsweise den Râmâyana wählte, der doch bei weitem nicht so alt, echt, noch so schönheitsreich ist wie jener. Auch Wilhelm von Schlegel und andere Gelehrte haben den Mahâbhârata minder beachtet, als den Râmâyana. Unter den persischen Dichtungen hatte Chézy die sinnigste Auswahl getroffen, und das zarte tiefempfundene Gedicht von Dschamy, »Metschnun und Laila«, erkoren. Zwei andere beliebte Dichter hatten den Stoff bearbeitet. Sylvestre de Sacy reichte Chézy's Uebersetzung des ebengenannten Gedichts zur Mitbewerbung um den Preis ein, den der Kaiser auf die beste Uebersetzung einer orientalischen Dichtung gesetzt hatte; er betrug dreitausend Francs, wurde Chézy zuerkannt, aber nie ausgezahlt. Chézy hatte von dieser Arbeit die Druckkosten zu zahlen, und blieb unbelohnt. Er hatte kein Vermögen, dieser Schlag fiel ihm hart. Ich schrieb einen Bericht über sein Werk, von welchem der Orientalist Hartmann eine schöne Uebersetzung gemacht. Ich begleitete Chézy in die Bureaux der Journaldirection. Nach großen Bedenklichkeiten nahm ihn endlich das »Journal de Paris« auf. Ein Redacteur, ich weiß nicht mehr welcher, gab den höflichen Bescheid: »Man würde das Werk in seinem Blatte recensiren, wenn es sich der[279] Mühe lohnte!« Chézy kehrte sehr niedergeschlagen von diesem fruchtlosen Wege zurück. Ungefähr ein Jahr darauf fanden wir im »Publicist« einen gediegenen Aufsatz über das verdienstvolle Werk. Der Buchdrucker Baladé sendete die Rechnung ein. Silvestre de Sacy zahlte auf Vorschuß die Druckkosten. Das waren die Ermuthigungen, die der junge Gelehrte empfing. Seine andern Arbeiten liegen noch unbenutzt in den Koffern seiner Witwe. Vielleicht war es der Mangel an Erfolg für die persischen Dichtungen und arabischen Werke, was Céhzy bewog, das Studium des Sanskrit zu ergreifen. Das Hauptziel seiner Bestrebungen wurde dabei erreicht.

Die Opfer, die er diesem Studium gebracht, habe ich zum Theil bezeichnet. Der vortreffliche Guisset vermochte ihren Umfang zu empfinden und erkannte sie öffentlich an, aber vergebens. Die unglückliche Witwe des Mannes, dem Frankreich einen Anspruch mehr auf Ruhm verdankt, mit welchem wesentliche bleibende Vortheile für das Land verbunden sind, hat nichts als eine Pension von jährlich 1200 Francs. Nicht alle Witwen haben sich in Frankreich so zu beklagen.

Bei den hier geschilderten Zuständen, die ich aus der Nähe beobachtete, ist begreiflich, daß Poesie und Kunst nicht freudig aufblühen konnten. Die früher zu hoch gespannten Saiten sprangen oder erschlafften. Nur die Schauspielkunst gedieh zu einer bis dahin unbekannten Höhe. Lekain war kein Talma gewesen, die Clairon keine Duchesnois. Schon das Costüm jener frühern Zeit, welchem erst Talma historische Wahrheit und classische Anmuth verliehen, war der Darstellung ungünstig gewesen, und es war im allgemeinen die Bühne allein, wo noch Leidenschaft walten durfte und große Zeitmomente[280] gefeiert wurden. Der Erste Consul brachte seine meisten Abende im Theater zu. Das Trauerspiel zog ihn mehr an, als Drama und Lustspiel. Er war auch nicht unempfindlich gegen Erscheinungen wie die Georges, dieses wunderschöne Geschöpf, welches so ganz das leibhafte Ebenbild ihrer Erzieherin, der berühmten Raucourt, war, daß man sie allgemein für ihre Tochter hielt. Die anmuthige Mars flößte ihm Geschmack am Lustspiel ein, denn sie besaß nicht allein eine Fülle von Lieblichkeit, sondern auch die Feinheit und den Geist, den Molière's Meisterwerke erfordern. Der Erste Consul ließ den Tartufe, den Misanthropen, und selbst die barocken und burlesken Producte des großen Dichters im Costüm der Zeit aufführen, in welcher sie geschrieben worden. Man weiß, wie sehr dies entzückende Costüm alle andern übertrifft, die man seit jener denkwürdigen Zeit gesehen; doch die Männer allein beobachteten es treu. Die Damen erlaubten sich starke Abweichungen. Aus Koketterie ließen sie sich pudern, die Kleider mit ziemlich kurzer Taille machen, legten auch wol die langen Manschetten ab u.s.w. Auch in den römischen und griechischen Trauerspielen trieben die meisten ein solches Unwesen mit scharlachfarbigen und zipfeligen Draperien, daß sie sich neben Talma's strenger Erscheinung buntscheckig ausnahmen. Aber wenn nicht etwa die Georges und Duchesnois auftraten, wurde beinahe nur auf Talma hingeblickt. Es war ein eigenes Schicksal, daß die vielbewunderte Georges beinahe lauter Fleisch war, und die große Duchesnois beinahe lauter Seele. Doch des Ersten Consuls Anwesenheit wirkte auf Georges wie Pygmalion auf Galathea, und beseelte den Marmor. Josephine beschützte vorzugsweise die Duchesnois, sodaß sich zwei Parteien für die zwei Künstlerinnen bildeten.[281]

Der Eifer dieser leidenschaftlich bewegten Parteien kam der Politik zugute, und wurde künstlich angefacht, um die Gemüther beinahe ausschließlich mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen. Duchesnois, von der man beinahe nichts sah als Augen und Knochen, hatte gleichwol bedeutende Anbeter und eine mächtige Partei im Publikum. Es war, als hätte man es sich zur Aufgabe gemacht, die große seelenvolle Künstlerin für die Ungunst der Natur zu entschädigen. Keine Schilderung aber reicht an die Macht ihrer Blicke, sie wurde durch den Ton ihrer Stimme nur erreicht, nicht überboten, und dennoch hatten Liebe und Schmerz nie in süßern Tönen über die Welt hingebebt, in aller Gewalt und Fülle ihrer blühenden Reize so himmlisch entzückt.

Man weiß, daß die Georges verbannt wurde; das Warum kann uns gleichgültig sein. Die Duchesnois blieb als Siegerin auf dem Wahlplatz. Der Parteienstreit hatte die Glut angefacht, die ihre Bewunderer für sie empfanden; doch die alles ausgleichende Zeit brachte die Verehrung der Künstlerin bald wieder auf ihre frühere Höhe, und ihre unübertrefflichen Leistungen gewannen beim friedlichen Genuß noch reinere und richtigere Verehrung. Von den übrigen Mitgliedern des Schauspiels wäre manches zu sagen, was ihre Kunstgenossen und das Publikum vielleicht mit großem Antheil lesen würden; sie bildeten ein beachtungswürdiges Ganzes. Das feine Schauspiel und Lustspiel war wenigstens damals in Frankreich auf der Spitze, und gewährte einen Genuß, den man in solcher Vollkommenheit in andern Ländern vergebens suchen würde. Kotzebue's »Menschenhaß und Reue« wurde auf dem französischen Theater aufgeführt, wohin bekanntlich ein Witzbold einen Regenschirm mitnahm, ihn dort aufspannte, um, wie er sagte,[282] sich vor den Thränen zu schützen, die von den Logen herabströmten. Die Dramen, welche am meisten wirkten, waren aus dem Deutschen übersetzt, und füllten die Kasse, so ungebildet und rauh auf den kleinern Theatern auch der Vortrag der Schauspieler war. Das Theater am St.-Martinsthor wendete viel auf die Ausstattung: dies lockte alle herbei, die im Theater blos Augenweide suchten. Die andern Boulevardtheater waren etwas besser organisirt, als das des St.-Martinsthors. Man fand feinere Gesichter, zierlichere Haltung, bessere Organe. Zur ersten Aufführung eines Stücks drängten sich die Damen vom besten Ton. Mochte aber das Stück noch so sehr gefallen haben, so ging doch keine von ihnen zum zweiten mal hinein.

Aus den Novellen der Frau von Genlis wurden öfters Stoffe dramatisirt; es freute sie sehr. »Der grüne Friesrock« war eins der beliebtesten. Im ganzen waren es damals sechzehn Theater, die jeden Abend dem Publikum offen standen; jetzt sind es noch mehr, nur daß jetzt die kleinern mühsam ihr Leben fristen. Man glaube nicht, daß es damals das Vergnügen an der Kunst war, welches die Theater so füllte, es waren die unzähligen und nur zum geringsten Theil löbliche Anlässe, die in einer übergroßen Stadt wie Paris Zuschauer hineinlockten. Mehrere dieser Theater hatten Musik und zogen durch frische Stimmen Zuhörer herbei. Es lag dem genußsüchtigen Theil des Publikums mehr an Unterhaltung überhaupt, als an echt künstlerischen Leistungen. Die komische Oper, wo einige Talente ersten Ranges glänzten, war immer gefüllt. Die italienische Gesellschaft, des Ersten Consuls Liebling, fand weniger Antheil als sie verdiente, wurde jedoch insofern Mode, weil man sich dort nur in vollem Staat zeigen konnte. Die[283] Prachtlogen waren sehr theuer und alle voraus gemiethet. In den Logen dritten Ranges hörte man am besten, und man konnte sich um 30 Sous einen hohen und echten Kunstgenuß verschaffen. So füllte sich denn die Kasse durch die Prunksucht der Prächtigen und Reichen und durch die Ersparnisse der kunstsinnigen Unbemittelten. Der Bodensatz des Publikums rauchte und schnapste in den Kaffeehäusern und Spielhäusern letzten Ranges, im allgemeinen in den Räumen, wo es in den langen Winterabenden Licht und Wärme gab. Selten verging ein Abend in Paris, wo nicht alle öffentlichen Orte angefüllt gewesen wären. Der Beobachter, der Denker dagegen liebte das Théâter français über jedes andere. Hier athmete alles den reinsten Kunstsinn, hier war die Schule des Lebens und der Weltkenntniß, hier brachte die französische Nation ihren dramatischen Dichtern ein Opfer des glühenden Enthusiasmus auf hundertjährigen Altären; der Hang zu den dramatischen Dichtern der vorigen Jahrhunderte war so unbeschränkt und entschieden, daß er zu einem ziemlich ungerechten Vorurtheil Anlaß gab. Jede neue Erscheinung in diesem Fache hatte gegen ein großes Mistrauen zu kämpfen; die Nation schien dem zu zürnen, der die Höhen zu erklimmen strebte, zu welcher sich Corneille, Molière, Racine emporschwungen. Neue Trauerspiele und andere dramatische Arbeiten in Versen wurden gestürzt, herniedergerissen, ehe sie noch zu Ende gespielt wurden. Dieses Herrschen des Vorurtheils, dieses Uebergewicht der Mehrheit der Stimmen verhinderte oft, daß gute Stücke den verdienten Beifall erlangten, und machte, daß jeder sich vor einer großen dramatischen Arbeit scheute. So wurde das höhere Streben der Geister unterdrückt, und ehe sie noch gelüftet, versanken dem Genius die kraftvollen Schwingen. Auch die[284] Rücksichten auf die politischen Zustände erzeugten große Bedenklichkeiten bei den Theaterdirectionen, die aus Mücken Elefanten machten. Man würde diese Vorsichtsmaßregeln höchstens Ortes belacht haben, wenn man nur um sie gewußt hätte. Der Erste Consul fühlte sich sicher, und war es; zwar in der Straße Nicaise rettete ihm blos das Glas Wein das Leben, welches sein Kutscher zu viel getrunken hatte; allein es dauerte lange, bis Frankreich ihm entfremdet wurde und er gezwungen ward, durch allerhand Maßregeln sich zu schützen.

Es wurden auf dem Théâtre français einige neue Lustspiele in Prosa, Uebersetzungen von Kotzebue, gegeben, die mit Beifall gesehen wurden; allein der Ruhm dieser Stücke war ephemer, und nur um manche Lücke auszufüllen und den Schauspielern nach der angreifenden schweren Darstellung der großen dramatischen Arbeiten eine Pause zu gönnen, wurden sie aufgeführt; denn die Mühe beim Spielen dieser Stücke verhielt sich zu der höhern Schauspielkunst wie der Traum zum Leben. Diejenigen Schriftsteller, welche nicht nach Lorberkränzen in Thaliens erstem Tempel strebten, sondern sich begnügten, auf dem Pfade der Mittelmäßigkeit einige Blümchen zu pflücken, arbeiteten für jene zweimal zehn Theater in den entlegenen Theilen der Stadt, die unbesucht von Kunstverständigen und von der großen Welt ihre friedliche Existenz der Dämmerung dankten, die sie umgab. Hier, wo keine Höhe stattfand, gab es keinen Fall! So raffinirt in den Haupttheatern der Geschmack war, so hoch dort die Kunst gestiegen, so vernachlässigt waren mehrere kleine Theater. Hier gab es für Leidenschaft und Gefühl keinen andern Ausdruck als Contorsion und Geschrei; und warf ein ungünstiges Schicksal ein von der Natur mit Talent[285] und Fähigkeit begabtes Wesen in diese Grabgewölbe des Geschmacks und der Kunst, so erlangte es weiter keine Bildung, sondern der geistige Funken in ihm glimmte ungenützt fort. Selbst die so allgemein anerkannte französische Anmuth und weibliche Grazie verleugnete sich hier, und man fand mit Verwunderung, wie in derselben Stadt, wo der Kunstsinn so fein und wahr, doch daneben das Rohe, Unästhetische und Niedrige sein Wesen treiben konnte. Wiewol die Theater Louvois und Vaudeville dem Théâtre français nachstanden, konnte man sie nicht zu den ebenerwähnten rechnen, da man hier nicht eine Tendenz nach hoher idealischer Schönheit bemerkte, sondern blos nach Belustigung, Satire und Anmuth, und so verlangte man nicht mehr als hier geleistet wurde. Das Theatre Louvois hatte mit dem Théâtre français ähnliche Ansprüche, nur daß es in allem eine Stufe niedriger stand und nicht über seinen Standpunkt hinausstrebte. Das Théâtre Vaudeville war ein hübsches Théâter, und weder mehr noch weniger als dies. Das, was man in feiner Organisation am meisten tadelnswerth finden konnte, war das ermüdende Einerlei der Musik, die aus lauter Vaudevillemelodien bestand.

Das Théâtre Faydeau oder die komische Oper befriedigte sehr durch eine gute Besetzung und eine sinnige Auswahl von Opern zweiter Gattung, wiewol man Malvina von Méhul und einige andere zu den Werken erster Klasse rechnen könnte. Elleviou und Martin waren Künstler ersten Ranges: Elleviou vereinigte eine schöne Tenorstimme mit einer einnehmenden Gestalt, einem gefühlvollen, wohldurchdachten Spiel; Martin war weniger von der Natur begünstigt, allein seine Stimme war schön und seine Methode auch gut. Die Demoiselles St.-Aubin, Piegemmit, Gavoudon erfreuten durch[286] Gestalt, Spiel und Stimme; doch waren damals die Forderungen des Publikums an die Oper zweiten Ranges nicht so groß, wie sie jetzt sind.

Montansier war ein Theater, das vielleicht kein Vorbild hatte und keine Nachahmung finden konnte. Ein günstiger Wind schien eine Auswahl von talentvollen Subjecten zusammengeweht zu haben; es war harmlos wie das Leopoldstadttheater in Wien, als ich es kannte. Brunet war ein Künstler, wie man ihn nicht leicht auf den Bretern findet: unerschöpfliche Laune, heiterer Scherz, köstliche Dummheit, frische Natur! Freilich waren auch die Stücke so geschrieben, daß ein solches Talent ein reiches Feld fand, sich zu entwickeln. »Jocrisse's Verzweiflung« ist in seiner Art ein Meisterstück. Ich habe es auf deutschen Bühnen von guten Komikern nicht unergötzt gesehen; allein das volksthümliche Französische konnte der deutschen Vorstellung nicht eingeimpft werden. Uebrigens wurden die Theaterstücke von Montansier eigens für die dortigen Schauspieler geschrieben, wie ein Componist für verschiedene Sänger schreibt. Es war viel Ironie in den Rollen. Brunet erlaubte sich zuweilen, einen beißenden Ausfall gegen die Regierung, sogar gegen die ersten Machthaber loszulassen. Zuweilen hatten die Getroffenen selbst gelacht, da konnten sie nicht mehr zürnen; zuweilen aber verbrühte er sich die Zunge und kam in Theaterarrest. Dann ließ er sich ein paar Körbe Champagner und einige Tausend Austern holen, lud seine besten Freunde ein, und war lustiger als je. Der große Künstler Raimund in Leopoldstadt war tiefer und genialer als Brunet, und zwar in einem andern Sinne als dieser, er war poetisch. Brunet war nur natürlich, doch diese Natur war Poesie. Tiercelin, sein Mitspieler, stand ihm trefflich bei; doch er verhielt sich nur wie eine[287] gute Folie zum Edelstein. Auf die Frauen dieses Theaters kann ich mich gar nicht erinnern; allein sie verdarben nichts – ein Beweis, daß sie gute Schauspielerinnen waren. Frau von Krüdener fuhr einmal mit mir hin; sie hatte jemand mitgenommen. Wen denn? Der Jemand war stumm, taub, blind und ließ die reizende, gefühlvolle geistreiche Liefländerin gewähren. Mit einem Worte, es war Friedrich Schlegel's Trauerspiel »Alarkos«, welches ich mußte lesen lassen, während die Subjecte als Chirurgen im »Eingebildeten Kranken« von Molière zur Carnevalsergötzlichkeit bewaffnet durch alle Logen liefen und den Kranken verfolgten; mit welchem Instrumente, kann man errathen, ich brauche es wol nicht erst näher zu bezeichnen. Frau von Krüdener mußte lachen. Der »Alarkos« wurde zugeschlagen und nicht wieder vorgenommen. Ich getraute mich nicht, Friedrich Schlegel, der ohnehin der Krüdener nicht günstig war, diese Entweihung seines Stücks zu erzählen.

Als der Erste Consul erzählen hörte, daß die Opera Buffa keine Fortschritte in der Gunst des Publikums mache, äußerte er, nicht ohne ein leichtes Stirnrunzeln: »So will ich ihr Publikum sein!«

Seine Schwestern gingen hin, weil man durch die vergoldeten Gitterstäbe der Bogen ihre zierlichen Füßchen sehen sollte. Josephine ging hin, weil Napoleon dies Theater liebte, das von ihm reichlich unterstützt wurde.

Frankreich war eigentlich in Paris concentrirt: in den mittäglichen Provinzen wenigstens vermißte man ganz das Leben, den Geschmack und die Pracht, welche die Stadt vor so vielen andern großen Städten Europas charakterisirte. Noch war dort alles kleinlich, pedantisch, steif, und nur selten wurden dort Talente[288] ausgebildet. Selten verweilten dort ausgezeichnete Gelehrte und Künstler. Die Geistlichkeit und die Industrie der Manufacturen schienen jedoch die Provinzen belebter zu machen, als sie seit der Revolution waren. Der Glanz des geistlichen Standes stand wieder strahlend da, und seines Glückes alte Zeiten kehrten wieder. Schon ward in den Provinzen alles aufgeboten, um dem geistlichen Stande ganz seine alten Prärogative wieder zu schaffen, und die Heerde bereitete mit Pracht und Ueberfluß die Wohnungen ihrer Hirten.

Was in Paris als Seltenheit erkannt und geschätzt ward: Zutrauen, zuvorkommendes Wohlwollen, Häuslichkeit, das fand man in den Provinzen fast im allgemeinen. Dort und besonders in den mittäglichen Provinzen stimmten Natur und Geschick die Menschheit zur Heiterkeit und Güte. An jenen friedlichen Ufern, wo selten nur der Glanz stolzer Paläste sich in den ungetrübten Spiegeln des silbernen Stromes malte, wo das Schwert des Kriegers nicht klang, wohnten Vertrauen, Unschuld, Liebe, Treue und Frömmigkeit. Heilige Bande der Pflicht fesselten dort die Bewohner an Gatten und Kinder und an den stillen häuslichen Herd. In den furchtbaren Zeiten der Revolution, wo Religion und Menschlichkeit im Staube gedrückt schmachteten, gab es im Innern der mittäglichen Provinzen allein Gottesfurcht und Menschenliebe. Der Landmann baute das fruchtreiche Feld, unbesorgt ließ er die Stürme wüthen; Arbeit und Gebet waren seine Schutzengel, sowie sie die des betriebsamen Bürgers waren. Ueberhaupt schien die rührende Unschuld und Güte der Charaktere den Mangel an feiner Bildung des Geschmacks und der Geistesfähigkeiten in den Provinzen aufwiegen zu sollen; allein die Güte des Herzens und Charakters ist auch eine[289] Bildung, sie ist das Werk der Natur und des innern Wirkens der Gemüthsfähigkeiten, während die andere das der Kunst und äußerer Erfahrungen ist.

Die Naturmenschen möchte ich der einfachen Blüte oder den primitiven Blumen vergleichen, die wie bekannt einfach waren und Früchte trugen, bis Umstände und Kunst sie verdoppelten und für den Anbau in Gärten als Schmuck anwandten und zugleich unfruchtbar machten. Die einfachen Blüten haben weniger Glanz, weniger Duft und Schönheit, aber sie sind die Vorgänger genußreicher Früchte. Die Menschen, bei denen innere und äußere Bildung in harmonischem Gleichgewicht liegen, sind unstreitig die höhern Menschen. Wer aber würde bei der Wahl zwischen beiden die innere Bildung nicht vorziehen? Sie, die so rührend und schön die äußere Bildung oft ersetzt, wogegen sie selbst durch nichts ersetzt werden kann.

Die Naivetät und unbefangene Gutmüthigkeit junger Provinzialinnen gewährten ein sehr angenehmes Schauspiel. Blühend und heiter wie der Frühling, aufrichtig, fleißig, verschämt, sind sie, besonders in Paris, wo das Gute sich als Ausnahme befand, ein herzerfreuender Anblick. Wenige unter ihnen waren schön, allein der Glanz der frischen Jugend und ihr unschuldiger heller Blick machten sie reizend. Unter den Schönen zeichneten sich die Auvergnatinnen aus. Fast alle sind schlank, leicht und schön gebaut; ihre Carnation ist sehr frisch und blühend, ihr Haar schwarz wie die Nacht; ihre Augen sind groß, schwarz und funkelnd, und ihre Zähne blendend weiß. Die Normänninnen sind gewöhnlich blond. Unter ihnen gibt es ausgezeichnet schöne Gestalten und Züge, sie haben mit den Sachsinnen einige Aehnlichkeit. Die Frauenzimmer aus der Provence und Languedoc haben in der Mehrheit weniger[290] schöne Gestalten; allein die Ausnahmen unter ihnen sind dafür auch desto köstlicher, da sie das schmachtende süße Feuer der südlichen Temperatur mit idealischen Zügen vereinigen. Die schönen Mädchen und Frauen aus den Provence, Languedoc sind Madonnengestalten. Das edle Oval ihres Gesichts, der Schnitt ihrer großen dunkeln Augen, die südliche Carnation ihrer Gesichtsfarbe, der Reichthum ihres wallenden Haars, die Feinheit und der antike Schnitt ihrer Züge und das zarte Ebenmaß ihres Wuchses machen sie unendlich reizend. Die Männer in diesen Provinzen, sowie in allen mittäglichen Ländern, sind in der Regel nicht groß. Die Burgunderinnen sind ziemlich klein und stark von Gliedern, die Champagnerinnen auch. Die Lothringerinnen sind gewöhnlich blond und kastanienbraun, wenige sind brünet. An ihnen habe ich bemerkt, daß sie sich noch immer zu den Deutschen rechneten und den Parisern, Normannen u.a. den Namen Franzosen als Unterscheidungszeichen gaben. Sie sprachen zum Theil ein ziemlich verständliches Deutsch, welches sie in ihrem Lande standhaft beibehielten, und beobachteten in allem deutsche Sitten und Manieren.

Das Hofwesen Ludwig's XV. war gleichsam nach dem Vorbilde Ludwig's XIV. und seiner Regentschaft zusammengesetzt, und diese Mischung trug viel dazu bei, daß jene hohe Achtung sank, welche Ludwig XIV. denjenigen, die ihn umgaben, einzuflößen gewußt hatte. Ludwig XVI. ist der Vorwurf gemacht worden, daß es ihm an innerer Energie und an Herrschertalent gefehlt habe; unsere Nachkommen werden gerechter gegen ihn sein! Ich breche hiervon jetzt ab, weil zu viel zu sagen wäre.

Marie Antoinette wurde nicht minder ungerecht[291] beurtheilt. Sie hatte ein deutsches Herz, und war gehaßt von der Partei, gehaßt von Orléans, Graf Artois, dem es nicht gelungen war sie zu verführen, gehaßt von allen solchen Franzosen, die eine deutsche Natur nicht verstehen, von allen Nachlallern solcher beschränkten Köpfe. Um sie richtig zu beurtheilen, mußte man den Herzog Matthieu von Montmorency von ihr sprechen hören; ihn, den feurigen Republikaner, der sein Wappen zerbrach und nur noch Bürger heißen wollte, für sie aber in den Tod gegangen wäre; denn er nannte sie unschuldig, großsinnig, würdevoll, eine wahre Mutter ihres Volks, einen Inbegriff aller Huld, Güte und Aufrichtigkeit.

Es wird eine Zeit kommen, wo man die ungeheuere Trilogie, Königthum, Republik, Kaiserthum aus dem rechten Gesichtspunkte betrachten wird. Noch bis heute sind sie nur durch bunte Gläser angeschaut. Die Wahrheit der Thatsachen, die seit einem halben Jahrhundert und darüber zu uns gelangt sind, verbürgt uns nicht die Wahrheiten der Ansichten, gibt kein Licht über die Beweggründe der Handelnden und Leidenden; diese kennt der Höchste allein, nur seine allmächtige Hand kann sie enthüllen.

Die Versammlung des Wohlfahrtsausschusses war vielleicht die erste große Macht, die es versuchte, ohne Hofhaltung zu regieren. Da aber ihre Gewalt sich auf so viele Blutbefehle gründete, so blieb es noch unentschieden, inwiefern ein solcher Versuch an sich gelingen könnte, und besonders, ob Frankreich und die Pariser, deren Stadt und Land überall den Stempel des alles auf einen Punkt vereinigenden Luxus trug, damit zufrieden sein würden. Das Directorium schien wenigstens diese Frage entschieden als verneinend betrachtet zu haben,[292] denn zum größten Verdrusse aller damaligen Jakobiner wurde sogleich eine ziemlich steife Etikette eingeführt, und manche Form beobachtet, die man noch nie vielleicht vorher mit solcher Strenge durchgesetzt hatte.

Wie weit aber diese unvollkommenen Versuche durch die damaligen Einrichtungen des Ersten Consuls übertroffen wurden, ließ sich nur durch den Augenschein deutlich einsehen. Wer könnte, wer möchte das Gepränge, das Steife und die Langeweile einer Gesandtenpräsentation herzählen? Wer die Formalitäten, mit welchen den achtzehnten jedes republikanischen Monats fremde Herren und Damen der Madame Bonaparte vorgestellt wurden? Wer könnte die mannichfaltigen Bemerkungen über das Klima des Landes der Fremden wiederholen, wodurch jener erste und classische Gegenstand aller Conversationen, das »Wetter«, in neuen Formen abgehandelt wurde? Nach der Präsentation frug jedermann, mit wem der Consul gesprochen, was er jedem gesagt hätte? Der Begünstigte wurde tiefer begrüßt als der Vorbeigegangene, und jede nicht ganz gewöhnliche Phrase wurde zu einem Bonmot verdreht, so weit sie auch ihrer ursprünglichen Natur nach davon entfernt war. In allem wurde der ehemalige Hof nachgeahmt. Jeden Sonntag fuhren die Mitglieder der constituirenden Gewalten nach St.-Cloud, um sich dem Oberhaupte des Staats darzustellen; nur die Abendgesellschaften waren zahlreicher als dort, weil natürlicherweise diese mächtige Regierung mehr gesucht wurde, als die Ludwig's XVI. In diesen Gesellschaften führten die Männer Gespräche, die Damen spielten unter sich und ohne Geld; dies war des Ersten Consuls Wunsch. Dieser zeigte sich nur selten, und unterhielt sich meistens in seinem Cabinet mit einigen ausgesuchten Personen,[293] oder arbeitete. Sonderbar war der Contrast zwischen der Simplicität seines persönlichen Lebens, seiner Speisen und Kleidungsstücke, mit der Prachtliebe, die ihn umgab. Man sollte beinahe glauben, diese sei eher eine Folge seiner Grundsätze als seiner Neigungen gewesen. Wer aber möchte sich vermessen, den Verborgenen und Vielseitigen durchschauen zu wollen.

Die schöne vortreffliche Récamier war in London, als ich nach Paris kam. Der Ruf sagte so viel von ihr, daß ich freudig den Anlaß ergriff, den die Einladung ihres Gatten mir bot, sie kennen zu lernen. Cotta hatte mich nämlich an das Haus Récamier adressirt. In meiner gänzlichen Unbekanntschaft mit Geschäften, steckte ich den Creditbrief von 1000 Francs, der mir von Cotta zugeschickt worden war, wie einen Pfeifenstiel in meinen Sack. Ich meinte, Récamier würde schon wissen, was damit zu machen sei. Dies war auch der Fall, denn er setzte das Papier sogleich in Geld um. Ich wußte gar nicht wohin mit dem Geld, und sann ängstlich darauf, es wieder los zu werden.

Ich wählte einen einsamen Theil eines Tisches im Bureau, um Abtheilungen zu bewerkstelligen. Ich hatte Fünffrankenthaler empfangen; diese boten eine große Mannichfaltigkeit dar, welche seitdem noch weit mannichfaltiger geworden. Man hatte damals noch keinen kaiserlichen Thaler, keinen Ludwig XVIII., keinen Kaiserthaler von 1815 aus den Hundert Tagen, keinen Karl X., keinen Ludwig Philipp, keine neue Auflage der alten Republikthaler in neuer Gestalt, keinen Ludwig Napoleon, sondern nur solche mit den republikanischen Insignien, z.B. »Die Nation, das Gesetz und der König«, wobei das Bildniß des unglücklichen Königs Ludwig's XVI. jedoch noch auf Sechsfrankenstücken und ohne Lilien.[294] Ich betrachtete sie wehmuthsvoll. Ich weiß nicht, wie viel hundert Francs ich für Schlegel absonderte und besonders einwickelte. Eine bedeutende Summe ging für die Forderungen des Buchhändlers Hennrich's ab, der bereits auf die unbescheidenste Weise mich um mein Kostgeld gemahnt hatte. Noch andere Sümmchen zahlte ich für die kleinen Gläubiger, bei denen ich schuldete, weil ich ganz ohne Geld lebte. Für einen höchst bescheidenen Shawl, den Madame Bonaparte auf der Rücklehne ihres Sessels nicht einmal bemerkt haben würde, und der nicht warm hielt, so auch für ein braunseidenes Kleid mit langen weißen Aermeln, wie sie damals Mode waren, ging beinahe der ganze Rest dieser tausend Francs auf, die Herr Récamier mit großer Sorgfalt in einen Sack gesteckt hatte. In seinem Comptoir waren aller Augen mit Wohlgefallen auf mich gerichtet. Ich trug ein schwarzes Trauerkleid und schwarze Schleifen im Haar. An einen Hut hatte ich nicht gedacht. Keine Bedenklichkeiten über Tracht und Zierlichkeit waren mir angekommen. Mein Haar vom feinsten Golde, meine hellen blauen Augen, mein rosiger Mund mit sanft gerundeten Lippen, meine schneeweiße Haut, mein schlanker Wuchs waren für mich Schmucks genug. Eitel war ich nicht; ganz unbefangen, schien mir für meine Erscheinung das genügend, was mir die Natur gegeben hatte, und ich glaubte nichts anderes für meine Existenz zu bedürfen als das Wohlgefallen, das in aller Blicken, die auf mich gerichtet waren, mir entgegenstrahlte. Von Récamier fuhr ich zu Schlegel. Nach traulicher Begrüßung legte ich meinen Sack auf den Tisch, zählte ein Packet vor Schlegels aus, und mit den Worten: »Ihr braucht doch Geld?« schob ich es vor Dorothea zusammen. Dorothea lächelte und sagte zu Friedrich: »Schau! Die bringt[295] uns Geld.« Wir blieben den Tag über zusammen, denn es war Sonntag!

Abends kamen die deutschen Freunde; Schlegel las Shakspeare's »Wie es euch gefällt« mit seiner ausdrucksvollen Stimme. Aus seinem Lächeln, seinen Blicken ging erst das rechte Verständniß der Dichtung auf. Ich pries den Vorleser; »da sollten sie erst Tieck hören!« rief er wehmüthig aus. Es wurde mir späterhin vergönnt, diesen Wunsch des Freundes erfüllt zu sehen; doch wenn auch Tieck mit größerer Kunstfertigkeit las, wie vielleicht niemand gelesen noch lesen wird, so klang mir dennoch Friedrich Schlegel's Vortrag hinreißender. Tieck las so schön er wollte, Schlegel so schön er konnte, mit bewußtloser Liebe und Innigkeit. Die Dichtungen klangen aus ihm hervor, wie das Sausen aus den Wipfeln der Bäume, wie der Wellenklang aus den Fluten, wie jede harmonische Stimme aus dem Busen der Natur. Es war die Aeolsharfe, die der Hauch Gottes bewegt, und die Gesetzen folgt, welche noch nie ein Musiker verstanden.

Ich werde soeben gewahr, daß ich im allgemeinen zwar chronologisch die Begebenheiten meines Lebens aufzähle, aber in Einzelheiten Absprünge mache; man vergebe es mir! Jene Zeit war zu übervoll, zu ergreifend, um sie gewissermaßen in Tabellen zu fassen. Zuweilen verschmolz ein Eindruck in den andern, zuweilen wurde es mir unmöglich gemacht, Consequenz zu bewahren.

Denon's Gespräche waren Ausströmungen einer Seele, die ganz von Napoleon Bonaparte erfüllt war, und von dem Cultus ihres Helden keinen Augenblick ruhte. Napoleon's Bild und die Feier des Schönen in allen Sphären der Natur und der Kunst erfüllten ganz dessen Herz und Sinn. Selten, vielleicht nie, war eine auserkorene Natur zu einem Wirken und einem Lose[296] bestimmt, die dem seinigen glichen. Noch habe ich keinen Weltmann gekannt, der so einfach und glänzend für die Freundschaft und für die feinsten Pflichten der Geselligkeit ausgebildet gewesen wäre; der die höchste Schicklichkeit so zart und in Einklang mit der beglückenden Hingebung verband; der das Bestreben alle, die ihm nahten, zu beglücken, die Sorge, nie einen Freund zu verletzen, so treu, so unbemerkbar geübt hätte; der sein Ich so bescheiden in Schatten hüllte, daß er es nur vor den Augen der Freundschaft funkeln ließ; den fremdes Verdienst so erfreute, und liebevolle Anerkennung so tief bewegte; der so nachsichtsvoll und weise die Gemüther rührte, indem er sie belehrte und beglückte.

Denon's Abende gehörten ausschließlich dem Ersten Consul oder seiner Familie; denn nicht immer war er zu Hause, zuweilen auch in seinem Cabinet bei der Arbeit. Er kam dann auf kürzere oder längere Zeit in das Familienzimmer, und plauderte von dem, was eben sein Gemüth beschäftigte. Fremde wurden an solchen Abenden nicht angenommen. Denon war dem Ersten Consul, was die Oase in der Wüste dem Wanderer. Er brachte ihm frische Lebensluft und labende Erquickung.

Erinnerungen von überstandenen Gefahren strahlten ihm aus Denon's Lächeln und Blick; auch der Rosenduft mancher geheimen süßen Stunde wehte ihm aus seinen Worten entgegen. Ich habe das Bildniß seiner Auserkorenen aus Aegypten oft betrachtet: ruhend auf schwellenden Polstern, die silberne Pfeife zwischen Rosenlippen, bläst sie die ätherischen Wölkchen des Dampfes vor sich hin. Eine solche Schöne denkt im Rauchwölkchen – was sollte sie mit Gedanken? Ich habe noch keine Spur gefunden, daß die Orientalinnen dichteten oder schrieben; sie schreiben mit Blumen und dichten mit[297] Küssen! Der Ruhm hat keinen Reiz für sie; auch seine Stacheln kennen sie nicht, und haben keine Vorstellung von der Schmach mancher weiblichen Berühmtheit. Napoleon fühlte sich sehr glücklich am Herzen seiner ägyptischen Geliebten. Unter den Bedingungen ihres Daseins konnte sie im wahren Sinne des Wortes weiblich sein. Sie ließ Geistesblitze schießen, wie am Abend das Wetter leuchtet! Eben hat mich mein Gedächtniß getäuscht; ein schönes Gedicht von Anvary umfaßt drei Strophen, welche er als das Werk seiner Geliebten bezeichnet. Sie sind geistvoll und innig.

Napoleon sprach mit Denon wie der Geist zum eigenen Herzen. Er durfte laut denken. Auch Denon dachte laut ihm gegenüber. Oft vertraute ihm der Erste Consul, was in dem Augenblick sein Herz am tiefsten bewegte, seinen Geist am regsten beschäftigte. Denon fand Consequenz in Handlungen seines hohen Freundes, welche die Welt von ihren Gesichtspunkten aus bitter tadelte. Ich habe kein Urtheil darüber, einmal, weil ich keine Politik verstehe, und wieder einmal, weil Napoleon's Wesen trotz aller Aufschlüsse, die er selbst darüber gab, wol noch in späten Zeiten unbegreiflich sein wird. Die Zukunft allein kann ihn verständlich machen, wol noch besonders, weil er sich zuweilen selbst nicht verstand.

Ich schrieb damals, wie schon bemerkt, an einer Napoleonide. Ach, wie unreif ist diese geblieben! Ich rühmte mich in meinen Aurikeln, daß ich diese Dichtung zerrissen und den Tyrann verabscheut habe. Ich gestehe dies alles hier nicht zu meinem Vortheil, nur zur Steuer der Wahrheit, zum Zeichen und Denkmal meines Unrechts und meiner Reue. Ich war nicht die Einzige auf Erden, die den Schöpfer tadelte, weil der Kürbis nicht am Wipfel[298] eines Eichbaums gewachsen ist – aber dennoch muß ich mich bitter tadeln.

Horace Sebastiani, ein Corse, der bei Napoleon in großer Gunst stand, war beinahe so innig wie Denon in seine Plane eingeweiht. Horace war ein thätiger Geist, feurig, vermessen, und dennoch besonnen, weitumschauend, vielumfassend, rastlos unermüdet in seinen Bestrebungen. Er war und blieb Josephinen ergeben. Der Erste Consul hatte ihm kurz vor seiner Thronbesteigung eröffnet, daß er sich von Josephinen trennen müsse. Er that es mit herzzermalmendem Schmerz. Er that unrecht, und fühlte es, hatte aber nicht moralische Kraft genug, der bessern Stimme in der eigenen Brust, dem innern Richter zu folgen. Horace Sebastiani setzte eine Vorstellung im Namen seines Corps auf, und ließ sie von seinen Kriegern unterschreiben. Sie war ergreifend, überzeugend und nachdrucksvoll; doch der geistreiche und gefühlvolle Verfasser wurde verbannt. Josephine wußte nicht um den Grund seiner Ungnade.

Horace Sebastiani war der Vater der unglücklichen Herzogin von Praslin, die zu der Zeit, von der ich spreche, noch nicht geboren war. Ihre liebenswürdige Mutter, geborne von Coigny, war früh gestorben. Der Schmerz des Verlustes ihrer Mutter überzog wie ein Gewölk den Frühling des Fräulein Sebastiani. Sonst aber schien alles dem Glücke des jungen Paars zu lächeln, welches im zartesten Alter verlobt wurde. Man weiß, wie entsetzlich diese Hoffnungen getäuscht wurden. Das schreckliche Los der jungen schönen Herzogin von Praslin bewies aufs neue die Tücke des falschen Glücks und den Wankelmuth der Männerherzen, die nicht gottergeben sind und der Welt leben, und die Begünstigungen des Glücks durch Geburt und Reichthum für[299] eine Bürgschaft seiner Dauer halten. Die Herzogin von Praslin liebte ihren Gemahl, sie hat vor ihrer Ermordung tausend Tode gelitten. Vergebens strebte sie, ihre eignen Rechte und die ihrer unschuldigen Kinder emporzuhalten, ihr entflohenes Glück wieder zu erringen, ihren Gemahl zu sich zurückzuführen. Alle ihre Bestrebungen scheiterten an den Ränken einer Verworfenen, die den Bethörten in den Abgrund riß. Er mordete sein liebevolles Weib, die zärtliche Mutter seiner drei Kinder! Er mordete sie auf die listigste und ruchloseste Weise.

Dann als er sah, daß ihn die Hölle verwies und das Schaffot seiner wartete, entzog er sich dem Blutgerüst durch den Tod. Es hieß, Verwandte hätten ihn dazu bewogen, um den glänzenden Namen seines Geschlechts der Schmach des Henkertodes zu entziehen.

So glauben Bethörte die Ehre zu retten, indem sie dem Sklaven des Verbrechens, dem gottvergessenen Lüstling und Mörder noch einen Schatten der Ehre retten; denn die Welt begnügt sich mit dem Schein!

Es waren drei Männer in Frankreich, welche die Gabe feinen Gesellschaftstons im höchsten Grade besaßen, unter denen Fürst Talleyrand der geistreichste war. Unter bessern Einflüssen als diejenigen waren, die seine Handlungen bestimmten, wäre er nicht allein das Musterbild zarter Weltsitte, sondern auch einer der besten Menschen gewesen. Ich pflegte im Scherz zu sagen: Frau von Staël habe ihm einen Unterrock angezogen; denn jedermann erkannte Talleyrand's treues Bild in der meisterhaften Schilderung der Madame de Vernon im Roman »Delphine«. Sie opfert Leonce und Delphine mit fanatischer Kälte, ohne daß die Liebenden sie verachten oder hassen könnten. Vielleicht war es auch Talleyrand selbst, der die edle Staël mit Napoleon entzweite,[300] welcher sie für seine Todfeindin hielt, weil er sie nicht verstand.

Ich bin gezwungen, an diesem Ort in meine Darstellung blicken zu lassen; doch werden mich viele verstehen, welchen die damaligen Sachlagen bekannt sind. Auch muß ich über den Tod des jungen Prinzen weniges schreiben, der einen ewigen Schatten auf Napoleon wirft. Talleyrand hat den Verdacht, diese That vorausgewußt zu haben, durch ein Wort von sich abgewälzt, das höllisch klingt, in welchem ich aber nur tiefe Wehmuth erblicke. Auf Napoleon's Frage: »War denn der Tod des Prinzen Enghien ein Verbrechen?« antwortete Talleyrand: »Sire! Die That war schlimmer als ein Verbrechen, sie war ein Fehlgriff.«

Es ist bekannt, daß Josephine und Hortense Napoleon's Knie unter strömenden Thränen umfaßten, und ihn anflehten, den edeln Prinzen nicht umbringen zu lassen. Ich schweige über die Beweggründe seiner That, welche er seiner Vertrauten enthüllte und welche ich durch diese erfuhr; sie waren politischer Natur, auch selbstisch. Napoleon glaubte es Frankreich, ja der Welt schuldig zu sein, seine Stellung zu sichern, damit der künstlich aufgethürmte Bau seiner Gewalt nicht zusammenstürzte und der Stamm der Bourbons durch den Fall seines herrlichsten Zweigs jede Hoffnung auf Wiederherstellung entschwinden sähe. Eines langen Zeitraums hatte es bedurft, ehe Napoleon's ergebenste Freunde und Verehrer sich über diese Begebenheit beruhigen konnten.

Eine neue tiefe Wunde brachten die Begebenheiten aus der Vendée den Vaterlandsfreunden. Ich schreibe hier nicht Geschichte, sondern erwähne nur der Eindrücke, welche die Begebenheiten machten. Abwendung der Gemüther von ihm, der seine großen Plane für seine Dynastie[301] und sein Land nur durch Liebe und Hingebung seines Volks ausführen konnte, war die erste Frucht seiner Thaten. Es ist anzunehmen, daß mächtige Triebfedern, selbst seinem scharfen Blick unbemerkbar, Einfluß auf seine Handlungen hatten, und daß sein Untergang das künstliche Werk der Feinde Frankreichs war.

Der Winter war durch die schaudervollsten Begebenheiten bezeichnet; die Chouans, an ihrer Spitze George Cadoudal, der tapfere Royalist, der treue Anhänger des alten Herrscherstammes, hatten sich gegen Napoleon verbündet. George Cadoudal und elf seiner Mitverschworenen waren im tiefsten Geheimniß nach Paris gekommen, um Hand an ihren Plan zu legen. Georg Cadoudal gelang es oft, sich Napoleon zu nähern. Er war kein Meuchler; man wollte sich des Kaisers bemächtigen, und ihn entführen. Oft war George Cadoudal unter allerhand Verkleidungen in den Tuilerien, doch Napoleon hatte so wohlüberdachte Maßregeln getroffen, daß es weder möglich gewesen wäre, ihn zu ermorden, noch sich seiner zu bemächtigen. Lajolais verrieth den ganzen Plan, obgleich er selbst die Verschworenen dazu angespornt hatte, die ohne ihn vielleicht nie nach Paris gegangen wären. General Moreau, der makellose Feldherr, voll Genius und Tapferkeit, und General Pichegru waren auf irgendeine Weise Mitwisser des Geheimnisses; es ist unbekannt geblieben, in welchem Grade. Niemand glaubte, daß sie schuldig seien, beide waren edel und tugendhaft; allein es war möglich dies zu sein und dennoch Napoleon zu verkennen und zu verfolgen. Pichegru und Moreau hatten Frankreich glorreiche Siege erkämpft, das Volk liebte beide.

Napoleon hatte 1802 jemand gefragt, wer etwa seinen Verlust würde ersetzen können, wenn es gelänge ihn zu[302] ermorden. Der Befragte gab die unbesonnene Antwort: »Dies könnte Moreau allein!« Die Frage war in einem Tone und mit einem Blicke begleitet, als sei sie aus zärtlicher Bekümmerniß für Frankreich hervorgegangen. Wer weiß, ob dies nicht der Fall war! Denn der Versuch mit der Höllenmaschine hatte tiefen Eindruck auf Napoleon gemacht. Jedenfalls hatte ihm die Antwort eine schmerzliche Wunde geschlagen. Sein Benehmen gegen Moreau war nicht das frühere, und Moreau's Schwiegermutter und Frau, deren Stolz sie unbeliebt machte und die sich vom Betragen der Familie Napoleon's verletzt fühlte, hatte Verdacht erweckt, den einige unbesonnene und unüberlegte Reden nährten. Pichegru muß Mitwissenschaft von der Verschwörung gehabt haben. Es gelang der Regierung, sich mit einem Schlag der zwölf Verschworenen und zugleich Moreau's und Pichegru's zu bemächtigen, und sie nach dem Temple zu bringen. Die Verhaftung war nicht ohne Blutvergießen vor sich gegangen. Cadoudal's Bundesgenossen wurden gefoltert. Pichegru fand man einige Nächte nach seiner Gefangenschaft erdrosselt mit seinem Schnupftuch. Lajolais wurde, wie ich späterhin erzählen werde, begnadigt.

Eines Abends nach diesem schaudervollen Vorgang hörte ich die Hausthür aufgehen, Schritte schallen, ein seidenes Gewand rauschen und Schlegel's Stubenthür ohne vorhergehendes Klopfen öffnen; es mochte um 10 Uhr sein. Wenige Minuten vergingen, und ich hörte wiederum die Thür aufgehen, es wurde kein Wort gesprochen, ich vernahm nur noch leise leichte Schritte, das Rauschen des seidenen Gewandes, das ich früher vernommen und das mich noch mehr als das erste mal mit unerklärbarem Schauer durchdrang. Einige Minuten darauf schlüpfte Dorothea in mein Zimmer. »Weißt[303] du, wer eben hier war?« flüsterte sie mir schüchtern zu. – »Ich kann es mir nicht denken.« – »Eugenia!« gab sie zur Antwort. – »Wer? Eugenia? Und du hast sie mir nicht zugeführt?« Ich machte eine Bewegung nach der Thür hin. »Sei nur ruhig!« rief Dorothea mich zurückhaltend, »morgen kommt sie zum Frühstück!« Ich schüttelte den Kopf und sagte schmerzlich: »Sie kommt gewiß nicht!« Allerdings kam sie nicht. Eugenia, wie sie Schlegels zu nennen pflegten, war die Heldin des Stücks »Die natürliche Tochter« von Goethe. Es war die Prinzessin Luise von Bourbon-Conti, welche Schlegels genau kannten. Sie hatte unweit von Weimar mit ihrem Scheingatten unter dessen Namen auf ihrem kleinen Landgute gewohnt. Man sah sie nur zu Pferde, ganz in Amazonentracht, oder mit der Flinte in der Hand. Ich konnte damals von Dorothea nicht mehr erfahren. Als ich Dorothea in Frankfurt aufsuchte, fragte ich sie, ob sie mir nichts von Eugenia sagen möchte? Sie gab nun zur Auskunft: daß die Prinzessin an diesem verhängnißvollen Abend Zuflucht von ihr verlangt. Sie hätte ihr mit blutendem Herzen diese Bitte abschlagen müssen, doch sie hätte vor der Möglichkeit gezittert, daß die Polizei Eugenia auf den Fersen sei. »O hättest du sie mir nur zugeführt!« rief ich aus. »Und was ist aus ihr geworden?« »Sie ist in Mainz im Gefängniß umgekommen«, antwortete Dorothea.

Frau von Helf, eine französische Dichterin in Paris, sagte mir dort, sie habe Eugenia gekannt, die in Mainz gelebt habe. Dies war 1835. Diese Eröffnung war keine Erfindung, denn Frau von Helf ist wahrheitsliebend und wacker. Sie hatte seit ihrer Abreise von Mainz die Prinzessin nicht wieder gesehen, noch von ihr gehört. Wahrscheinlich hatten ihr Freunde aus dem Gefängniß[304] geholfen, und man hatte sie für todt ausgegeben. Wahrscheinlich auch war sie in Paris 1804 an demselben Abend, wo sie bei Schlegels Zuflucht gesucht, in die Hände der Polizei gefallen. Daß sie im Complot mit George Cadoudal gewesen und deshalb nach Paris gekommen, scheint keinem Zweifel unterworfen zu sein. Der Proceß Cadoudal's und seiner Verbündeten wurde langwierig und erst im Hochsommer spruchreif. Ueber Paris hatte sich bleiches Entsetzen gelagert; man sah kein freudiges, ja kein ruhiges Gesicht mehr. Die Legitimisten hofften auf ein Ereigniß, ohne ihre Hoffnung auf irgend eine Vermuthung gründen zu können. Der blos leidende Theil der Bevölkerung, der nichts fürchtete, nichts hoffte und nur nach Ruhe lechzte, lebte sich in dumpfer Ergebung hin. Die Gefühlvollen und Denkenden, die patriotisch Gesinnten, zwangen sich zur Ruhe, zur Unthätigkeit, aber niemand war es wohl zu Muth. Ahnung lag auf den Gemüthern wie eine Gewitterwolke. Man tanzte nicht auf einem Vulkan, aber der Lavaboden unter den Füßen war schwül und die Luft schwer! Gehen wir jedoch zum Winter 1804 zurück.

In diesem Winter fehlte es nicht an glänzenden Festen und großen Lustbarkeiten. Die Preise der Lebensmittel fingen an gewaltig zu steigen. Der Handel schmachtete. Napoleon hatte viel englische Waaren verbrennen lassen, doch, als wären sie von Amiant oder Asbest, gingen sie unversehrt aus heimlichen Kanälen wieder aus den Flammen hervor. Viel brave Kaufleute verloren dabei, einzelne geschickte Schufte gewannen. In Paris, wo seit undenklichen Zeiten Betrug und Hinterlist mit Glück betrieben worden, war dies ein Leichtes.

Das Publikum zahlte unter anderm den Stab feinsten Perkal mit 50 Francs; er war das Werk englischer[305] Maschinen und Kunstfertigkeit und galt für französisches Produkt. Die englische Spannung entfremdete die Reisenden jener Nation, und die in der Welt verbreitete Stimmung verscheuchte noch andere von Paris.

Sulpice Boisserée litt an einem Hautübel, welches anfangs entweder ungeschickt behandelt oder versäumt worden war und ihn sehr marterte. Friedrich Schlegel, dem alle Versuche fehlschlugen, sich in Frankreich emporzubringen, dem sein weitverbreiteter Ruf, seine großen Fähigkeiten und seine gründlichen Kenntnisse nicht halfen, in Frankreich eine Laufbahn zu erringen, beschloß dies Land zu verlassen. Die Brüder Boisserée und Bertram ebneten seinen Reiseweg und bewogen ihn, sie nach Köln zu begleiten. Sein Scheiden verödete das Haus nicht für mich, denn mir war Dorothea über alles in der Welt theuer, und dies Beisammensein ausschließlich mit ihr hatte einen eigenthümlichen Reiz für mich. Sie war mir eine gütige zärtliche Schwester. So innig ich ihr ergeben war, fühlte ich doch erst in ihrer Abwesenheit recht ihren Werth und was ich mit ihr verlor.

Frau von Genlis hatte sich mir von neuem sehr zugewandt, ich war viel mit ihr beisammen. Ihr in Mittheilungen aus früherer und auch wol jetziger Zeit bestehender Verkehr mit Napoleon wurde sehr lebhaft betrieben. Ihre langen und zahlreichen Briefe kamen in seine Hand und wurden aufmerksam gelesen. In abgekürzter Schrift, die nur ihm selbst zu entziffern gelang, kam ein Auszug davon in seine Schreibtafel, dann verbrannte er sie sofort mit eigener Hand. Schade darum! Allein niemand sollte wissen, was er wußte, was er durch sie erfahren. Da sie sah, daß ich mit mehreren Familien des neuen Hofs, der sich zu gestalten anfing, bekannt geworden, eröffnete[306] sie mir, daß sie einen Wunsch hege, zu dessen Erfüllung ich ihr vielleicht behülflich sein könnte: sie möchte in Aufträgen der Regierung zu literarischen Zwecken Reisen machen. Ich erfüllte meinen Auftrag mit großem Eifer; unter anderm beim Herzog von Bassano, der, sowie seine schöne Gemahlin, mir sehr gewogen war. Er hörte mich mit Antheil an und äußerte auf verbindliche Weise: »Wenn Sie, Madame, die Sie seit so vielen Jahren diese Frau kennen, aus Ueberzeugung so günstig sich für sie ausdrücken, so wird etwas für sie geschehen.« Die Folge bewies, daß meine Verwendung gefruchtet hatte. Ich holte sie am Sonntag darauf zu einer Spazierfahrt nach dem Wald von Romainville. Diese merkwürdige Frau, in deren Gewalt es stand, alles zu sein, was sie wollte, für so lange als sie es wollte, war an jenem schönen Tage ganz Zärtlichkeit, ganz Vertrauen. Sie erzählte mehr Merkwürdiges aus ihrem Leben, als in ihren Memoiren steht. Auch brachte sie mich zu einem Entschlusse, der mir in seinem Wesen ganz fern lag. Sie stellte mir vor, ich solle den jetzigen Augenblick zur Begründung meiner künftigen Existenz benutzen und mir durch meine wohlwollenden Bekannten bei Hof eine Stelle auszumachen suchen, z.B. als deutsche Gouvernante bei einem Kinde einer der Schwestern Napoleon's, wobei das, was ich in der Literatur bereits geleistet hätte, besonders mein Eifer für Religion und Moral, sowie meine Kunstkenntnisse mächtig in das Gewicht fallen würden! Ich folgte ihr. Die Sache mislang; jedoch stand in allen deutschen Zeitungen, ich sei Vorleserin bei Josephinen, der nachmaligen Kaiserin. Dies Los wäre wirklich beneidenswerth gewesen! Es war indeß nur die Rede von der kleinen schönen Prinzessin Lätitia, Tochter des[307] Marschalls von Frankreich, Joachim Murat. Die einzige Frucht meiner Vorstellung bei diesem war der interessante Anblick und das Gespräch mit Madame Murat, mit Hortense und den lieblichen Kindern. Madame Murat war bei meiner Ankunft nicht zu Hause, sie kam mit Hortense von Napoleon her. Hortense's große himmelblaue Augen strahlten vor Freude, und die seelenberauschenden Blicke ihrer Schwägerin erglänzten in sanften Thränen. Accordée! riefen sie aus und verschwiegen uns Anwesenden nicht: daß sie von Napoleon durch ihre Fürbitte die Begnadigung eines der Mitverschworenen der Vendée, des Adjutanten Lajolais, erlangt hätten; er käme nun nicht auf das Schaffot, wie seine elf Mitgenossen, George Cadoudal und die andern Häupter der Verschworenen. Unschuldig war Lajolais insofern, da er niemand verrathen hatte, als seine Mitschuldigen; durch ihn war im Stillen die ganze Sache an das Licht gezogen worden. Er war der Form wegen mit in das Gefängniß gekommen, mit verurtheilt worden. Lajolais' Mutter war nach Paris gekommen und hatte, wie ihr gerathen worden war, bei Madame Murat und Hortense für ihren Sohn um Erbarmen gebeten. Wohlmeinende Freunde hatten ihr Muth zugesprochen. Die beiden jungen Prinzessinnen wußten nicht, daß sie nur Rollen in einem Schauspiel ausgefüllt hatten, in welchem sie die einzigen Getäuschten waren.

Madame Murat war in der heitersten Stimmung, sie trug sie in das Gespräch über, welches sie mit mir führte. »Es wird mich freuen«, sagte sie, »wenn meine Wahl auf Sie fallen kann. Als Dichterin müssen Sie ein schönes Deutsch sprechen. Ich habe gute Meinung von den Deutschen; sie sind liebend und aufrichtig. Die Frauen und Mädchen sind sittlicher als die Französinnen.[308]

Doch ich möchte noch über eins beruhigt sein: Haben Sie Liebe zu Kindern? Diese Eigenschaft ist seltener als man glauben sollte. Und doch möchte man meinen, man könnte nicht anders als Kinder lieben!« Die Versicherungen, welche ich Madame Murat gab, schienen sie gänzlich hierüber zu beruhigen und einen für mich günstigen Eindruck auf sie zu machen. Sie entließ mich mit den freundlichsten Worten.

Es ist etwas ganz Eigenes um Hofgunst. Hofluft berauscht vielleicht auch die vernünftigsten Menschen, sie überfirnißt Schwächen und Flecken der Thronenden; sie ist ein feines Gift, welches auch tödlich werden kann. Wer nicht durch Geburt und Verhältnisse gezwungen ist, sie einzuathmen, der bleibe davon. Ich habe in meinem Leben nicht allein diejenigen gekannt, welche die höchsten Personen umgaben, denen ich zu nahen das Glück hatte; sondern auch diese selbst, und sie sind mir verehrungswürdig und liebenswerth erschienen. Zuweilen waren jedoch ihre Umgebungen nicht im Einklang mit ihnen. Der Hof ist die Schule der Heuchelei. Es trifft sich, daß die edelsten der Throneskinder sich durch den falschen Glanz geheuchelter Liebe und Treue blenden lassen und dem Besten unrecht thun. Der Neid ist das Wechselfieber der Hofleute; sie ergrimmen still bei jeder Gunstbezeigung, die einem andern zugewendet wird. Sie selbst legen den Maßstab ihrer Beurtheilung an die übrige Menschheit unrichtig an; sie glauben nicht an Menschenwerth, und daran sind oft die Menschen selbst schuld. Sie suchen den Gebietern dieselbe Meinung vom Menschengeschlecht beizubringen, die sie gefaßt haben, und das nicht immer mit Unrecht. Sie können bei diesen Gesinnungen des Mistrauens, der Misgunst nicht glücklich sein. Zwei habe ich gekannt, die längst ein Grabstein[309] deckt. Eine gehörte zu den vorzüglichsten ihres Geschlechts, voll Geist, Gemüth, Gesinnung, Freude am Schönen und Guten. Ich nenne sie nicht; die trauernde Liebe, die an ihrer Gruft weint, wird sie errathen. Auge in Auge, Hand in Hand mit ihrer vortrefflichen Gebieterin, bohrte sie sich einen Dolch in das Herz, weil sie wähnte, nicht wie ehemals von ihr geliebt zu sein. Eine andere, Oberhofmeisterin, die der feinfühlendsten, sanftesten und geistvollsten Thronestochter beigesellt war, verzehrte sich in Unmuth und Kummer über die Huld, welche ihre Dame einer edeln Frau zuwandte, die ein Inbegriff aller Vollkommenheiten war. Eifersucht und Neid bemächtigten sich der Unglücklichen in dem Maße, daß sie ihre Gebieterin mit hämischem Spott verletzte. Sie fragte sie unter anderm, wie alt sie sei. »Sechzig Jahre«, war die Antwort. »Ein schönes hohes Alter«, sagte die Oberhofmeisterin mit giftigem Blick und Lächeln, »und noch Leidenschaften!« Natürlich mußte sie verabschiedet werden. Sie beschloß ihr Leben in der Verbannung des Hofs. Spott und Hohn trennt alle Bande; der Dolchstich verletzt minder tödlich, wenn die Waffe nicht vergiftet ist.

Der neue Hof Napoleon's war bald vollzählig beisammen, niemand ließ sich dazu einladen. Die Familie Napoleon wurde förmlich belagert. Die Veränderlichkeit der Glückslaunen, der Wechsel der Dinge bis auf den heutigen Tag, jede Lehre des Schicksals, geschrieben mit Flammen, Blut und Thränen, war in den Wind geschlagen. Niemand dachte daran, daß am politischen Horizont die neue Sonne eine Nebelsonne sein könnte! Luxus und Titelsucht stiegen auf eine fabelhafte Höhe. Der Allgewaltige, der zu diesem allen den Anlaß gegeben und zum Vorwand diente, erschien dem Auge des[310] Denkers um so kleinlicher, als er nach Größe und Hoheit rang. Lange vor der wirklichen Thronbesteigung waren alle Bildersammlungen, Archive und selbst die unbedeutendsten Scharteken des ganzen Reichs bis auf das kleinste Blatt durchsucht worden, um die Costüme für alle, die repräsentiren mußten, zu bestimmen. Eine Menge Künstler wurden zu solchen Arbeiten verwendet; es waren auch einige von denen dabei, die die rothe Mütze getragen.

So jung ich damals war, erstaunte ich in Kummer und Sorge über die Chamäleonsnatur der damaligen Franzosen. Sie kamen mir vor wie die Bauern in Gellert's Erzählung von der Pfarrerswahl. Sie lächelten: »Ach ja, Herr Amtmann, ja!«

Meine Anstellung bei Hof zerschlug sich aus verschiedenen Gründen; der eigentlichste war vielleicht der Umstand, daß man mir's gleich ansah, ich tauge nicht bei Hof. Der Anfang war, daß ich auf dem Lande dei Madame Récamier wohnte, die man gleichfalls nicht mit günstigen Augen betrachtete, denn sie war der Frau von Staël sehr ergeben. Ich empfing einen sehr freundlichen, achtungsvollen Brief von der Oberhofmarschallin Madame Murat, und blieb den Sommer über bei Madame Récamier, wo ich sehr fleißig arbeitete. Sie besaß ausgezeichnete Freunde und Freundinnnen, die Familie Marmont, welche ihr von Herzen ergeben war, die Familie Bernadotte, Prinz Eugen, den Senator Regnaut St.-Jean d'Angely und seine wunderschöne Gemahlin. Sie vereinigte bei sich in den Bällen und Soiréen die angesehensten Diplomaten zugleich mit den Gelehrten und Künstlern vom ersten Rang, und die ausgezeichnetsten Männer aller Nationen. Ihre Schönheit wurde zuweilen bestritten, aber die Güte ihres Herzens nie. Was[311] ihren körperlichen Reiz anbelangte, konnte man sie eher hübsch als schön nennen; doch die unnennbare Anmuth ihres Wesens, der Zauber ihres Blicks, der feuchte Glanz ihrer Wunderaugen machten sie schön. Ich begleitete sie zuweilen zu einer Sitzung bei dem berühmten Miniaturmaler Gurin, um sie durch Vorlesen zu erheitern.

Das erste mal, als wir zum Meister hinfuhren, bemerkte ich, daß sie ihren Augenbrauen ein stärkeres Braun aufgetragen hatte, als die Natur gethan, und ihren frischen Purpurlippen einen dunklern Farbenton. Erstarrt blickte sie mich an, und ließ mich gewähren, als ich ihr mit einem Batisttuche die falschen Farben behutsam abnahm. Endlich fragte sie: »Warum das, Helmina?« Ich antwortete: »Weil die Natur schon alles für Sie gethan hat, um die Lieblichkeit und den Einklang Ihrer Farben herzustellen.« Sie überlegte ernsthaft eine Weile, was ich ihr gesagt hatte und gab mir recht. Ihre Sanftmuth war die eines Kindes, auch ihre Heiterkeit und ihr holder Ernst nicht minder. Hierin lag ein Gewinn und ein fesselnder Reiz, der ihr aller Herzen gewann. Selten war ein weiblich Wesen Kind und Blume wie sie.

In jenem verhängnißvollen Sommer beschäftigte Moreau's Proceß die Gemüther; er gesellte sich zu den übrigen Vorgängen, gleichsam um die Schrecken der frühern Monate des Jahres zu vervollständigen. Ich lernte Moreau's Bruder, den Advocaten, bei Madame Récamier kennen. Seine Offenheit war so unumschränkt, als sein Herz edel und tief empfand. Nie werde ich vergessen, was er über Frankreich und dessen Zukunft sagte. Wozu es wiederholen? Die Zeit hat bewiesen, daß er wahr gesprochen. Zum Weissagen bedarf es nicht einer besondern Himmelsgabe; wer gut denkt und richtig[312] fühlt, hat dadurch schon einen sichern Blick in die Zukunft.

Der Kreis in Clichy war anmuthig und ausgezeichnet. Degerando, der Philosoph und werkthätige Geist für die Volksklasse, und seine höchst liebenswürdige Gemahlin verbrachten den Sommer dort. Ihr schönes Kind, der kleine Gustav, wurde dort durch seine liebevolle Mutter getäuscht. Es war nicht der erste fromme Betrug, den sie übte. Die Elsasserin, die dem Kleinen die Brust gab, mußte einen grünen Schleier sich überhängen, denn der Kleine wollte durchaus nur die Mutterbrust. Es war schwer, ihn zu täuschen, er bestrebte sich immer, den Schleier wegzuziehen, es schien, als wenn der Mutterblick ihn beim Einsaugen fehle, und als bedürfe er dessen, um das volle Glück, das einzige, was dem Menschen unverkümmert zu Theil wird, ganz zu genießen.

Damit diese Stelle nicht misverstanden werde, bin ich hier eine Erläuterung schuldig. Frau von Degerando bewohnte mit ihrem Vater, einem Baron Rathsamhausen, das Landschloß ihres Vaters im Elsaß. Sie war noch im ersten Aufblühen ihres Frühlings und unvermählt, als die Revolution ausbrach und auch der gutmüthigen, friedlichen Bevölkerung jener Gegend ihre Greuel mitbrachte. Die Bauern wollten das Schloß verwüsten und plündern. Annette erfuhr davon, eilte ihnen entgegen, warf sich ihnen zu Füßen und beschwor sie, den Greis und seine Häuslichkeit zu schonen und ihn friedlich sterben zu lassen. Sie theilte ihr weniges Gold unter den Wütherichen aus, und endlich gelang es ihr, sie zu rühren und Reue in ihrem Herzen zu erregen. Baron Rathsamhausen war ihnen stets ein gütiger Herr gewesen, sie hatten das Fräulein stets so sehr verehrt als geliebt.[313] Sie versprachen ihr, sie gewähren zu lassen und ihrem Vater mit keiner Miene zu enthüllen, was vorgegangen war. Annette mußte alle Diener, ausgenommen einen alten getreuen, wegsenden. Auch keine weibliche Dienerschaft behielt sie mehr. Mit der ersten Morgendämmerung stand sie auf, besorgte das Hauswesen, dann die Küche und fand allerhand Vorwände, um es ihrem Vater erklärlich zu machen, daß nur Andreas die Speisen hereinbrachte und vorlegte. Zwei Pferde und den Wagen hatten die Bauern unberührt gelassen. Man fuhr nach Tische spazieren und mehr als ein ergrauter Bauer, der ihnen begegnete, bückte sich zu dem Gutsherrn und küßte ihm die Hand wie in frühern Tagen. Baron Rathsamhausen lebte wie früher und erlosch sanft, unbekannt mit der Lage der Dinge. Oft hatte Annette für Geld gearbeitet und die geringste und gröbste Arbeit nicht verschmäht, damit ihr Vater nur seine vier Schüsseln auf den Tisch bekam.

So viel Tugend und Liebe wurde belohnt, als wenn es sich der Himmel zum Augenmerk gemacht hätte, Annette das schönste Glück zu bereiten. Uebrigens war der Kreis, der Annette im Schloß Clichy umgab, auserlesen und in Einklang miteinander.

Lemontey, ein geistvoller Schriftsteller, erheiterte die Gesellschaft ungemein; er gab die niedlichsten Gesellschaftsspiele an und spendete sinnreiche Lieder und Gedichte. Michel Beer, ein beredsamer Advocat von Wissenschaft und Talent, war ein Oheim des berühmten Meisters der Töne Meyerbeer. Er gerieth mit mir in Streit wegen einer Kindesmörderin aus der Nachbarschaft von Schloß Clichy, die überwiesen war. Michel Beer wollte sie retten. Madame Recamier unterstützte ihn eifrig, die Verbrecherin kam nicht auf das Schaffot. Auch ich[314] würde heute milder für sie gestimmt sein als ich war. Noch viele andere Namen schmückten diesen Kreis. Die zwei Creolinnen, Zoe und Virginie, deren eine späterhin zur Kaiserin Josephine kam, erst vierzehnjährig damals, entzückten aller Blicke. Man denke sich zwei Rosenknospen an einem Stengel, zwei unschuldvolle Wesen, die nur eben erst vom Himmel heruntergeflattert schienen. Camille Jordan und Mathieu von Montmorenci erschienen nicht in diesen Abendgesellschaften, sie waren zu ernst und zu beschäftigt; auch Degerando verließ selten am Abend sein Studirzimmer. Die Unterhaltung war gemüthlich, ungezwungen. Madame Recamier hatte für jeden ihrer Gäste sinnige Worte, wohlwollende Blicke, und wenn sie auch nur lächelte, so sprach dies Lächeln zum Herzen. Sie hatte ein so eigenthümliches Wesen, daß man zuweilen vergaß, daß sie eine Französin war. Denn nicht mit Unrecht hat Frau von Genlis bemerkt, daß Französinnen Wiederholungen voneinander sind. Soweit ich mich auf Engländerinnen verstehe, finde ich, daß diese das noch weit mehr sind.

Der geistbegabte Kunstkenner Sommariva, der eine bedeutende Gemäldesammlung in seinem Landschloß aufzuweisen hatte, erschien zuweilen im Salon der Madame Recamier. Er gab uns ein Diner und dadurch Gelegenheit, seine Kunstschätze zu bewundern. Ich habe sie in meinem Werke »Kunst und Leben in Paris seit Napoleon I.« beschrieben. Im ganzen ist beinahe jede Beschreibung eine undankbare Mühe, der Leser liebt mehr, sich aus einigen Zeilen eine Vorstellung zu machen, bei der seine Phantasie thätig ist. Die liebenswürdige Madame Michel, damals Gattin eines Mannes, den kein Ehrenmann ohne Unwillen nennen konnte, hatte uns alle auf ihr Landschloß St.-Brice geladen. Dies Schloß war ein[315] leuchtendes Centrum aller modernen Pracht. Der Garten prangte mit Wunderblumen und mit vollwüchsigen hohen Bäumen. Die Einrichtung des Schlosses war fürstlich. Der Speisesaal glänzte von kostbarem Geräth. Als wir nach Hause fuhren, sagte Madame Recamier mit ihrer gewöhnlichen bezaubernden Naivetät und Kindlichkeit: »Wie ist's, wir haben von Gold gegessen, aber nicht wahr, es schmeckt besser bei mir und geht auch nicht so langweilig zu?« Ich setzte da hinzu, sie hätte recht.

Denon lud Henriette Mendelssohn und mich ein, in einem seiner kleinen Zimmer, die auf die Seine herausgingen, ein glänzendes Feuerwerk anzusehen, welches auf der Brücke der Eintracht abgebrannt werden sollte. Es war in der That ein herrlicher Anblick, doch mitten im Genuß schlug die eiserne Brücke um, auf deren rechte Seite sich die Zuschauer gedrängt hatten. Wer schwimmen konnte, kam mit dem Leben davon. Die Stimmung nach solchen lärmenden Festlichkeiten, besonders noch wenn sie durch Unfälle getrübt worden, ist höchst unerfreulich. Wann wird man dahin gelangen, solche Ergötzlichkeiten in Brot und Arbeit zu verwandeln, wo sie das Volk ungefährdet genießen kann? Allein ich dächte, man könnte dieser faden Bergnügungen satt sein. Wie so anders könnte es erfreuen, wie müßte es rühren und beseligen, wenn so eine Familie, begleitet von gleichgesinnten Freunden, in die Hütte des Dürftigen träte, diese erquickte, kleidete, speiste, tränkte, das Auge naß von Rührung, die Hand von Dankesthränen. Auch Bälle, Concerte u. dgl. m. zum Besten der Armen haben meinen Beifall nicht. Hoffentlich wird eine Zeit erscheinen, wo es eines solchen Magnets nicht bedarf, um eine Masse Menschen für eine gute Handlung zu einem Zweck auf einen Punkt zu concentriren. Wir[316] sind nun beinahe 50 Jahre weiter, doch steht noch alles dies auf dem alten Fleck. Wir waren noch lange bei Denon geblieben, und konnten keinen Wagen bekommen, uns zurückzubringen. Wir brachten Henriette nach Hause und traten beherzt unsern Weg nach Schloß Clichy an. Todtenstille herrschte auf dem Felde und die Bewohner des Schlosses waren in Schlummer. Die Nacht war hell und ruhig. Die Bilder des geräuschvollen Abends traten in scharfen Umrissen vor meine Seele, bange Ahnungen bewegten mich. Ach, sie waren verheißungsvoll. Welche Begebenheiten hatten den Schluß des vergangenen Jahres und die ganze Dauer des jetzigen bezeichnet! Was für Gestalten waren der Büchse Pandorens entschlüpft, wenn sie sich einen Augenblick lüftete!

Anfang November, wo Juliette Recamier Clichy verließ, vertauschte ich den Aufenthalt unter ihrem gastlichen Dach mit dem in einer kleinen englischen Pensionsanstalt, welche mir meine Freundin Gambs zugewiesen hatte. Friedrich Schlegel kam nach Paris und eröffnete mir, daß er des Aufenthaltes in Köln herzlich satt wäre, so liebreich und edel seine Freunde Boisserée für ihn gesinnt seien. Er hoffte noch auf einen Wirkungskreis in Paris, allein es war keiner zu ermitteln.

Napoleon gehörte fast ausschließlich der Politik. Er wollte die Welt von Englands industrieller Herrschaft befreien, zuerst Rußland unterjochen, dann England vernichten. Vielleicht hatte er recht. Wissenschaftliche Unternehmungen wurden beiseite geschoben.

Ich hatte die »Französischen Miscellen« unüberlegterweise schon lange abgegeben, verdiente aber doch fleißig durch meine Arbeiten; allein die bestimmte, wenn auch bescheidene Einnahme für die erstern fiel weg. Friedrich Schlegel hatte unrecht gehabt, mich zu bewegen, darauf[317] zu verzichten. Ich schrieb indeß willkommene Beiträge für Schweighäuser, arbeitete Uebersetzungen aus dem Altfranzösischen für Schlegel und that, kurz gesagt, Alles, was in meinen Kräften stand, um mich vor Mangel zu schützen, und es gelang mir. Lange vor seinem Erscheinen hatte ich mein Werk: »Kunst und Leben in Paris seit Napoleon I.«, begonnen. Durch das Anschauen der vielen Gegenstände, die dies Werk umfaßt, ging viel Zeit darauf, doch es erwarb allgemeinen Beifall und mein Name wurde dadurch weit verbreitet. Ich gab auch Friedrich Schlegel Beiträge zu seiner »Europa«, er nahm sie mit Freuden und bat mich immer um neue; ich gab sie meist anonym. Die »Europa« war ein gediegenes Blatt, sie fand nur kein Publikum, das sie verstehen konnte; es standen herrliche Aufsätze von Dorothea Schlegel darin, z.B. über die »Delphine« der Frau von Staël. Dies Werk bedurfte einer Kritik von oben herunter. Man wird wol verstehen, daß ich mit diesem Wort nicht Dorothea über Goethe zu stellen meine, allein eine denkende Frau wie sie, schwingt sich immer zu einer geistigen Höhe hinauf, welche Männer erst erklimmen und zuweilen versäumen, sie zu besteigen. Dies gilt besonders bei Beurtheilungen des weiblichen Wesens, welches ein Mann nie in seiner ganzen Ausdehnung begreift. »Der Mann ist der reißende Strom, auf welchem kein Bild ruhen bleibt! Das Weib ist die spiegelnde stille

Flut, welche jeden Gegenstand festhält und ihm harmonischen Schimmer verleiht!«

In der Zeit, von welcher ich jetzt schreibe, waren Friedrich und Wilhelm schlegel uneins; sie entzweiten und versöhnten sich noch öfters seitdem: zwei Brüder, welche sich ehemals so zärtlich geliebt und so treu im Einverständniß für deutsche Geisteserhebung und Poesie gewirkt[318] hatten. Zum Glück erfuhr der literarische Pöbel nichts davon. Die edle Staël war Vermittlerin. Der Hauptgrund des Zwistes lag darin, daß Friedrich Schlegel und Dorothea katholisch geworden. Im Stillen hätte Wilhelm Schlegel gern dasselbe gethan, doch Frau von Staël gab es nicht zu, sie bekämpfte seinen Entschluß mit allen Waffen ihrer Ueberlegenheit, mit aller Glut ihres Eifers für die gute Sache. Friedrich drang immer heftiger und tiefer in die Irrgewinde seines Glaubenswechsels. Da sein Jugendfeuer verraucht war, so verknöcherte er sich in Systemen und Dogmen; dabei wurde er zum Genießer. Einzelne Blitze der Phantasie kreuzten sich in ihm, um die Verwirrung seines Innern heller ins Licht zu setzen. Der Anblick war der schöner alter Schloßtrümmer, die in Flammen lodern; Bäume und Blüten, die sich noch aus dem sinkenden Bau erhoben hatten, werden mitten im Frühling von der Flamme verzehrt und verkohlt, und bringen keine Frucht.

Friedrich gelangte nach Wien. Er war dort willkommen. Die gemüthlichen Oesterreicher sahen ihn still trauernd in seinen neuen Wirkungskreisen und blieben ihm hold, nicht allein wegen dessen, was er früher gewesen, sondern wegen der Größe, die immer noch seinen Fall begleitete. Wir kommen wieder auf ihn zurück.

Da ich dies Werk nur entwerfe, um große Erinnerungen aufzufrischen, unbekannte Züge zu enthüllen und theuer erkaufte Wahrheiten zu verbreiten, so wird mir verziehen werden, wenn ich über einen Theil meiner Vergangenheit einen Schleier werfe.

Chézy's Mutter war streng katholisch, Tochter eines verdienstvollen Oberingenieurs, Namens Pollin, einfach und arbeitsam erzogen. Sie schloß die Verbindung mit ihrem Bräutigam mit Zuversicht in Gottes Huld und[319] Vaterliebe. Die strengste Sparsamkeit, der unermüdetste Fleiß, die reinste Frömmigkeit walteten in der kleinen Haushaltung des liebevollen Paars vor. Vater Pollin war ein sehr geschickter Ingenieur, der im Stillen durch rastlose Bemühungen die Wissenschaft weiter brachte. Anton Leonhard von Chézy war der Spätling dieser Ehe, das jüngste von 17 Kindern, die bestimmt waren, Erde und Paradies um die Wette zu bevölkern. Schon hatte sein Vater die herrliche Brücke von Neuilly erbaut, deren Entwürfe, Pläne und Modelle in Wort und Zeichnung vor mir liegen, indeß der Ruhm dieses Werks seinem Chef, dem Herrn Perronnet, anheimfiel. Schon hatte sich Brücke an Brücke im schönen Frankreich unter Chézy's Entwürfen und Leitung erhoben und Hafen an Hafen war durch seine Einsicht und Wissenschaft in Stand gesetzt worden, noch künftig der Zerstörung und Verheerung der Zeit und der Fluten Trotz zu bieten, als der Lieblingswunsch des würdigen Alten erfüllt wurde und der Sohn zur Welt kam, der die großen Gedanken, die er noch im Busen trug, ausführen sollte. Denn dem wissenschaftlich Thronenden liegt seine Dynastie nicht minder am Herzen, als dem, der einen Thron der Erde behauptet! Hier liegt die Erbfolge nicht in den Zufälligkeiten der Abkunft, sondern der Geist bestimmt sie allein.

Das blühende Knäbchen mit himmelblauen strahlenden Augen und goldblonden Locken, das der sinnige Meister Boilly in seiner vollen Schönheit auf die Leinwand warf, Zirkel und Globus in den rosigen Händchen, weidete nach 14 Monaten seiner Geburt als Erbprinz der Wissenschaft und des Ruhms die Augen der zärtlichen Aeltern. Allein das Schicksal wollte es anders: es wies ihm ein anderes Reich des Wissens an und leitete den durchdringenden Forscherblick des holden Sprößlings[320] auf die Mysterien des entfernten Alterthums, belebte das scheintodte Sanskrit durch die Kraft seiner Liebe allein. Denn nicht eine Hülfsquelle zur Erlangung der tiefsten aller Sprachwissenschaften war auf dem festen Lande Europas zu finden. Chézy hatte mit funfzehn Jahren aus unwiderstehlichem Antrieb die ebene Bahn verlassen, die sein edler Vater gebrochen. Er betrat mit vollem Bewußtsein dessen, was er opferte, den steilen Dornenpfad des orientalischen Studiums, anfangs mit behutsamem und muthigem Verfolgen der Fußtapfen seines großen Meisters Sylvestre de Sacy. Doch vergingen wenige Jahre, als der beherzte Jüngling schon seinen eigenen Weg einschlug und das Erringen des Arabischen und Persischen von einer andern Seite her erstrebte.

Geheimnißvoll und mächtig lockte ihn der berauschende Duft orientalischen Dichtens. Nicht den zierlichen Prunkgärten der orientalischen Poesie wollte er Kränze und Sträuße wie seine Vorgänger entwinden, er wollte in das Herz der Waldung dringen, auf den himmelspiegelnden Fluten wogen, die sternenflammenden Gipfel der Felsenhöhen erklimmen und alle hinter sich lassen, die jemals dorthin gestrebt. Seine ungedruckten Werke, die noch nicht ans Licht befördert worden sind und selbst diejenigen, welche er in Druck gegeben, bezeugen, daß er sein glorreiches Ziel erreicht hat. Langlois, der berühmte Indianist, Chézy's Schüler, sah eines Tags mit mir die Manuscripte seines edeln Meisters durch und rief mit bebenden Lippen: »Ein einziges dieser Werke wäre hinreichend, seinem Verfasser die Unsterblichkeit zu sichern!« Das Verzeichniß derselben wird der Leser in Michaud's allgemeiner Biographie und in meiner biographischen Notiz über Chézy's Werke finden. Ich habe dazu den Brief des Indianisten Ludwig Poley und des vortrefflichen[321] Orientalisten Samuel Munk, der in Aegypten war und dort leuchtende Spuren seines Daseins zurückgelassen hat, nun aber seit mehreren Jahren, nachdem er zwölf Jahre bei der großen Bibliothek in Paris angestellt war, das Licht der Augen verloren hat, mit der Hälfte seines Gehalts als Bibliothekar sein Leben fristet.

O Verdienst und Glück, warum seid ihr geschieden?! Soll ich es aussprechen, warum Chézy nur mich und seine Mutter in das Geheimniß seines Studiums zog? Ja, ich thue es auf die Gefahr hin, daß sein seliger Geist mir zürnt. Mit einem Herzen voll Sohnestreue und Hingebung liebte er einen Freund, der sich oft seinen Vater nannte, oft ihm weise rieth, ihm zweckmäßig beistand, allein ihm nicht verhehlte, daß es ihm das Herz brechen würde, wenn Chézy seine Laufbahn als Indianist in ihrem vollen Glanze anträte und verfolgte. Chézy nahm sich die Winke sehr zu Herzen, er hatte einen bittern Kampf zu bestehen. Seine schon vollendeten Uebersetzungen mehrerer der wichtigsten indischen Werke, seine grammatikalischen Forschungen über die Entstehung und das Wesen aller morgenländischen Sprachen und ihrer Verwandtschaft mit dem Sanskrit auf beinahe zweitausend Karten und andern wichtigen Forschungen konnten nicht an das Licht gezogen werden, ohne daß Chézy als der erste aller Orientalisten anerkannt wurde. Er fühlte, daß sein Herz brach, wenn das geschähe, und wiewol er den Ruhm ersehnte, der erste Franzose zu sein auf dem festen Lande, der das Studium des Indischen für das ganze Europa zugänglich gemacht, so wollte er das nicht auf Kosten der Ruhe und Zufriedenheit seines großen Freundes thun, und er schwieg von allen ruhmvollen Früchten seines Strebens, die schon gereift waren und that blos kund, daß er das Sanskrit aus dem Grunde[322] verstehe und im Stande sei, es zu lehren. Niemand als er kannte den Umfang seines Opfers. Er vermuthete und ich glaube mit Recht, daß es sein Freund nicht annehmen würde, wenn er es kannte. Auch nicht einmal ich, sondern seine geliebte Mutter allein kannte die Triebfeder seiner Handlungsweise. Ich würde ihm vorgestellt haben, daß er verantwortlich sei für die Hemmung, welche dies Opfer dem Fortgang der Wissenschaft und der Begründung seiner Existenz bringen müßte, weil die Werke, die er vollendet und in seinem Pulte verhehlte, sogleich bei ihrem Erscheinen eine weite große Bahn für das Studium des Sanskrit eröffnet haben würden, zugleich auch der Welt gezeigt hätten, was Chézy schon geleistet hatte. Durch dies Verhehlen blieb, was er geleistet, unbekannt und sein Ruhm mangelhaft, seine bedeutendsten Schüler kamen ihm zuvor und der Ruhm, den er selbst geerntet hätte, wenn er mit seinen Arbeiten hervorgetreten wäre, ging auf sie über. Diejenigen französischen Gelehrten, welche unter seiner Leitung die meisten Fortschritte machten, waren Loiseleur Deslongchamps und Langlois: zwei Männer von reinem Herzen, von Dank und Liebe erfüllt; Eugène Burnouf, der Sohn des berühmten Hellenisten dieses Namens, der nach Chézy's Tode seines Meisters Katheder davontrug. Wir wünschten die ganze prangende Reihe der Commilitonen dieser berühmten Schüler aufzuzählen, wollen uns jedoch hier darauf beschränken, einige ausländische Schüler des edeln Meisters zu nennen: Wilhelm von Humboldt, Bohlen, Kosegarten, Bopp, Dursch, Mitscherlich, August Wilhelm von Schlegel, Lassen, Rosen, Hirzel.

Zu Chézy's Familie gehörte die verwitwete Antoinette Legrand, eine edle, vielgeprüfte Frau, die mir herzlich[323] ergeben war, und deren Schwester, Elisabeth Quevanne, mit ihrem Gatten und zwei Töchtern; Adelheid von La Poir Fréminville; Herr Durand, Witwer einer Schwester Chézy's (sein verdienstvoller Sohn wurde in Deutschland als vortrefflicher Diplomat geschätzt); außerdem mehrere Enkel, die verwaist waren. Meine Schwägerin Quevanne wollte mir wohl. Die Rücksichten auf Katholicität, deutsche Abkunft und Vermögenslosigkeit, welche so mächtig auf meine Schwiegermutter und auf die Schwägerin Fréminville wirkten, übten keinen Einfluß auf jene zwei milden und klaren Seelen.

Der Kaiser ließ die Ingenieurschule, deren Generalinspector seit Chézy's des Vaters Tode nun sein Verwandter und Freund Baron Prony war, nach dem Palais Bourbon verlegen. Der rühmlich bekannte Ingenieur Lesage, ein ehemaliger College Chézy's und die Baronesse Prony, eine Frau von Geist und Gefühl, Schwester meines Schwagers Fréminville, beeiferten sich auf das liebevollste, die kleine Wohnung, die meine Schwiegermutter erhielt, freundlich einzurichten. Sie bestand aus drei Piècen im ersten Stockwerk des ehemaligen Palais Bourbon und drei im Entresol für uns, die nur fünf Fuß hoch und sonnenlos waren. Die Wohnung war ungesund und unfreundlich, der Umzug überaus beschwerlich, die Entfernung von der kaiserlichen Bibliothek bedeutend, der Weg über die Brücke Ludwig's XV. durch Sturm und Regengüsse oder in heißen Sommertagen sehr beschwerlich. Er mußte des Tags viermal zurückgelegt werden. Chézy mußte von zehn bis zwei Uhr Nachmittag im ersten Zimmer der Bibliothek der Manuscripte verweilen. Diese ganze Bibliothek war unheizbar. Dies war eine Ersparnißmaßregel, welche die frühern Directoren unter dem Vorwand »Feuersgefahr zu verhüten«[324] eingeführt hatten. Um so nichtiger war dieser Vorwand, als diese ganze Abtheilung des Bibliothekgebäudes bewohnt war und geheizt wurde. Chézy's Gesundheit litt empfindlich durch diese Maßregel; Herr Karl Hase und Laporte du Theil wurden minder davon angegriffen, auch waren sie nicht im ersten Zimmer, dessen Thür unaufhörlich geöffnet wurde.

Als ich 1833 im Spätherbst zum ersten mal wieder diese Räume betrat, die ich seit 1810 nicht mehr gesehen hatte, empfing mich Wärme in allen drei Stuben, wo sich die drei Employés aufhielten. Ich brach unverhohlen in heftiges Weinen aus. Warum, ach warum hatte Chézy dort aufgeopfert werden müssen? Dem Staate einige Haufen Holz erspart und unersetzliche Menschen in Gefahr gebracht! Hase traf ich lebend und ziemlich gesund, Loiseleur war kränklich und starb jung. Ich habe mich nicht erkundigt, ob die menschenfreundliche Veränderung auf der Bibliothek nicht vielleicht von Guizot herrührte, dem man sie zu trauen konnte. Nie war ein Professor mit größerer Liebe, mit väterlicherer Sorgfalt, mit tieferm Einverständniß um seine Schüler bemüht gewesen als Chézy. Und nie hat einer schnödern Undank, als er von einigen, die ich nicht nenne, erlebt. Bis über das Grab hinaus wurde sein edler Name geschmäht und verlästert, sein Verdienst verkleinert. Sogar seine unglückliche Witwe mußte unter diesem Hasse, unter diesem Neide leiden. Man nahm Familienverhältnisse zum Vorwand, um diese That zu beschönigen. Sein ältester Sohn mußte für Journale schreiben, um Brot zu essen, statt sich zu einem tüchtigen Schriftsteller und zu einem literarischen Amte heranzubilden. Sein jüngster, ein Jüngling von herrlichen Anlagen für die Kunst, empfing keine der Aufmunterungen,[325] welche wol sonst in Frankreich den Söhnen großer Männer zu Theil werden. Ungeachtet meiner Anstrengung und Opfer büßte er seine Gesundheit durch übermenschlichen Fleiß ein und starb am gebrochenen Herzen in der Blüte des Lebens. Der Witwe selbst wurde ein jährliches Almosen zugeworfen. Still davon! Es gibt ein besseres Dasein, eine göttliche Vergeltung! Sie ruf' ich an, herab auf das Haupt derjenigen, die an Chétzy moralischen Meuchelmord begangen haben.

Durch die Vorstellungen eines Prony, eines Sylvestre de Sacy und anderer großer Männer, großentheils auch durch eigene Liebe zum Orient hatte sich Napoleon bewogen gefunden, dem Studium der Sprache dieses Landes größere Aufmunterungen als bisher zu gewähren. Er setzte einen Preis von 3000 Francs auf die gelungenste Uebersetzung eines persischen Werks und ähnliche Belohnung auf verschiedene Arbeiten gleicher Art. Napoleon, dessen umfassende Plane sowenig eine Grenze kannten als der unendliche Raum, wußte und beurtheilte auf das klarste, daß der Orient in geistiger und materieller Hinsicht mit allen Beziehungen Europas verwebt werden müsse, wenn letzteres geistig und in praktischer Hinsicht wieder emporblühen sollte. Sein Zug nach Rußland hatte hauptsächlich diese Ansicht zum Grunde. Als Napoleon seinen großen unvergleichlichen Plan gefaßt hatte, dem die Wuth der Elemente Vernichtung brachte, dem aber nun die Feindseligkeit derjenigen, auf die er am meisten baute, schädlicher als diese entgegentrat, da hatte er auf Dank gerechnet und an Betheuerungen der Treue geglaubt.

Alle Großen haben mehr oder minder Ursache, die Menschen zu verachten. Napoleon hatte solange die Welt steht mehr Ursache dazu als jeder, und er war eine[326] zu edle Natur, um nicht fortan an Menschenwerth zu glauben.

Die dumpfe, erwartungsvolle Unruhe, die wie eine Wetterwolke auf der Welt lagerte, hatte auch mich ergriffen. Kein Herz schöpfte Odem, so auch das meine nicht. Meine Kinder kränkelten sehr in meiner ungesunden Wohnung; ich war von seiten des Gemüths vielfach angegriffen und erschüttert. Auch die prophetische Stimme in meinem Innern, die in jener Zeit zum ersten mal laut wurde und über die ich nicht schweigen kann, weil sie sich so oft und so glänzend bewährt hat, wurde zwar vernommen, aber übertäubt. Ahnungsschauer verhießen mir, daß entsetzliches Unglück über Paris hereinbrechen müßte. Oft sagte ich mir ganz laut die zwei Zeilen aus Schlegel's »Alarkos« vor:


Die Mauern sehn mich an wie Leichensteine,

Mir ist, als könnte hier nur Unheil hausen!


doch ich unterdrückte diese Stimme der Ahnung. Daß Napoleon, Gemahl der Kaisertochter, von allen gekrönten Häuptern gefeiert, stürzen und entthront werden könne, kam damals wol niemand in den Sinn; ihm am wenigsten. Er kannte die Geschichte und das Menschenherz, und dennoch glaubte er an die Dauer des Menschenglücks und an die Treue des Menschenherzens.

Ich hatte zur Stärkung meiner Söhne einige Sommer in Montmorenci zugebracht und uns alle sehr gestärkt und erquickt gefunden. Ich hatte gewünscht, den Winter in Palais Bourbon zuzubringen. Eines Tags kam Chézy mit ungewöhnlicher Heiterkeit nach Hause zurück. Seine Mutter bemerkte früher als ich, daß etwas Ungewöhnliches vorgegangen sein müßte. Ein heiteres Lächeln, ein flammender Blick verklärten seine Züge. Da er die Frage liebevoller Neugier[327] auf unsern Lippen schweben sah, nahm er unsere Hände in die seinigen, küßte sie und sagte: »Ihr würdet nimmer errathen, wo ich herkomme; ich war beim türkischen Gesandten, mein Weg führt an seinem Hotel vorbei. Vor dem Gitterthor des Gartens standen viel Neugierige, weil man ihn eben spazieren gehen sah; auch ich blieb nicht fern. Der freundliche Blick, mit welchem er die Menge musterte, blieb auf mir so wohlgefällig haften, daß er mir in das Herz drang. Achmet Effendi ist ein schöner Mann mit edeln regelmäßigen Zügen, hochgestaltet und seine ernste Haltung ist mit Grazie vereinigt. Seine großen feurigen Augen suchten die meinigen, er rief seinem Begleiter auf Arabisch zu: ›Diesem Gesicht gehörte ein Turban!‹ Diese Worte ergriffen mich so lebhaft, daß ich ihm unwillkürlich einige arabische Verse zurief. Dies hörend, auf die Gitterthür zueilend, daran rüttelnd, den Begleiter einen Wink gebend, sie öffnen zu lassen, antwortete er mir gleichfalls in arabischen Versen, während der Gärtner mit einem Druck der Hand die Gitterthür öffnete. Der Gesandte trat mir entgegen und führte mich in den Garten seines Hotels. Garten und Gartensaal standen voll der üppigsten Blumen; mir schwindelte vor Ueberraschung und Vergnügen. Ich mußte auf dem Divan an seiner Seite Platz nehmen. Er bestürmte mich mit schmeichelhaften Worten über mein Arabisch, dankte mir zärtlich, daß ich ihn angeredet, drückte die Hoffnung aus, mich bald und oft zu sehen, ließ Erfrischungen auftragen, verwickelte mich in ein Gespräch voll Geist und Herzlichkeit und wollte mich den ganzen Tag bei sich behalten; doch ich mußte ja nach Hause! Er hat verlangt, ich möchte dich dieser Tage zu ihm führen, ich hoffe, du gehst gern mit.« Wie freudig sagte ich ihm zu.[328]

»Das ist also Leila!« rief er Chézy entgegen, »mein schöner Metschnun; nun, ich wundere mich nicht, daß die Franken nichts nach Vielweiberei fragen, wer eine solche Schönheit besitzt, verlangt nach keinem Harem.« In diesem Augenblick kniete der galante Türke vor mir nieder, fragte mich, ob ich heute Abend nicht in die Oper ginge und ob er und seine Umgebung uns dahin begleiten dürften. Er sagte das in reinem Französisch, bot mir den Arm, um mir den Garten zu zeigen, ließ eine auserlesene Collation auftragen und ersuchte dann Chézy auf Arabisch, sein Dolmetscher bei mir zu sein, indem er es nicht wagen dürfte, ein Gespräch auf Französisch mit mir fortzusetzen. Er bat mich im Laufe des Gesprächs, seine Sache bei Chézy zu führen, um ihn zu bewegen, daß er recht oft zu ihm käme. Ehe er mich an den Wagen führte, der uns nach der Oper bringen sollte, ließ er seinen Bart mit Aloë einräuchern. Dasselbe thaten seine Begleiter. Es nahm sich ergötzlich aus. Man fuhr dann in die Oper, wo Chézy und ich zuerst in die Loge gingen, die sich bald mit einer Menge Türken füllte. Alle waren schön und wohlgestaltet. Ich bewog Chézy oft, seinen orientalischen Freund zu besuchen, der späterhin abberufen wurde. Mir ahnte nicht, welchen Schmerz dieser anmuthige Vorgang in der Erinnerung vorbereite. Wir erfuhren nicht lange nach Achmet Effendi's Abreise, daß ihm der Großherr die seidene Schnur zugeschickt habe; den Grund erfuhren wir nicht.

Wenn die jetzigen Begebenheiten auf irgendeine Weise früher oder später eine Sittigung für die Türken herbeiführen, wenn der Despotismus, das schnöde Joch, das auf ihnen lastet, abgeschüttelt wird, so wird aus dem Weh des blutigen Gemetzels Segen hervorgehen! Möge diese Zeit nicht mehr fern sein.[329]

Chézy hatte vergessen, was ich vor wenig Jahren noch seinem Herzen, seinem Geiste und seinen Mußestunden gewesen. Die Lieblichkeit seiner Kinder rührte ihn nicht mehr. Wenn irgendjemand darüber sprach, so rief er mit unverkennbarem Schmerz: »Es sind zarte Opfer, welche der Tod für sich ausgeschmückt hat!« Wer empfindet nicht mit mir, welchen Eindruck solche Worte auf ein Mutterherz machen mußten! Sie konnten meinen Lebensmuth zerschmettern; aber mein Gottvertrauen besiegte sie. Ein Lied, welches ich im Sommer 1809 sang, bezeichnet treu meine damalige Stimmung:


Einsam saß ich oft in Thränen,

Bang und starr mit trübem Sinn;

Ohne Hoffnung, ohne Sehnen

Blickt' ich stumm ins Weite hin.


Himmelslichter, Blumenauen

Glänzten, blühten nicht für mich!

Hin war Glauben und Vertrauen

Und der Hoffnungsstern entwich.


Schwebend zwischen Lust und Qualen;

Bald vom Strahl des Lichts entzückt,

Wieder bald zu finstern Qualen

Hingeschleudert, tief bedrückt!


Wer die Seufzer, die ich hehlte,

Die mein Engel nur verstand,

Wer die heißen Thränen zählte,

Zählte wol des Meeres Sand!


Hoffnung stand an Edens Thoren,

Schloß sie auf dem gläub'gen Sinn;

Bald war jede Spur verloren,

Alles stumm und Alles hin!


Labung quoll vom Himmel nieder,

Wieder ward ich noch erquickt.[330]

Bald von finstern Mächten wieder

Tief gebeugt, der Muth geknickt!


Wird denn nie die Marter enden?

Wird denn nie die Ruhe blühn?

Mußt' ich jede Kraft verschwenden?

Und die Frucht nie lohnend glühn?


Könnt' ich nur von Hoffnung lassen,

Alles ist ja todt und hin!

Muth verlassen, Kraft verlassen,

Ist Entsagung nur Gewinn!


Mehreren unserer ersten Dichter jener Tage wurde dies Lied geschickt und sie liebten es und mich in dem Liede. Die Lerche fand noch tiefern Anklang, sie war der heitere Aufschwung der gebeugten Seele. Dies Lied und andere dieser Art, dem reinsten Herzblut entquollen, werden mein Monument sein. Einen Marmor verlange ich nicht, aber Liebe über meinem Grabe, denn ich habe sie verdient. Verdient? O, Liebe kann man nicht verdienen, nur gewinnen.

Schönes Montmorenci! Anfang Winters mußte ich dich mit Paris vertauschen. Chézy hatte für mich und seine Kinder eine Wohnung ausgesucht; Rue de Lille Nr. 81, in der Nähe des Palais Bourbon. Durch eine Lücke zwischen einer nahen Gasse erblickte man einige Bäume der großen Terrasse der Tuilerien, darüber hinrauschten die Windmühlenflügel von Montmartre, wie manche Gemüther, die geflügelt sind und dennoch nicht von der Erde wegkönnen! Meine Wohnung wurde durch Luft erfrischt, doch der Durchblick nach Montmartre peinigte mich, eben weil er eckig und beschränkt war. Von süßen Kindern umgeben, von einem treuen Mädchen bedient, Chézy nahe wohnend, den ich täglich sah, aufgesucht[331] von edeln Frauen, geschätzt von ausgezeichneten Familien, die mich in ihre Kreise zogen, fühlte ich dennoch ein Misbehagen, eine Verödung, die mich unbeschreiblich drückten. Ach, ich suchte Labung, wo keine quillt. Meine Lage war drückend. Die doppelte Haushaltung in Paris überstieg unsere Mittel. Der Ertrag meiner Arbeiten war spärlich, so fleißig ich schrieb. Ich darbte mir viel ab und konnte dennoch nicht bestehen. Der Legationsrath Peucer half mir durch Vorschüsse, die er natürlich wiederbekam, ohne die ich aber dem äußersten Mangel preisgegeben gewesen wäre. Mein kleiner Max litt empfindlich durch unsere Noth. Ohne daß ich es wußte, nahm meine gute Marianne frische Eier und reine Landmilch auf Credit und rettete mir so die beiden Kinder.

Der damalige Herausgeber der »Französischen Miscellen«, Dr. Friedländer, ein geistvoller Publicist, setzte Karl Bertuch in Weimar mit mir in Verhältniß. Dieser äußerte einmal in einem Briefe: »Hätten Sie doch tausend Hände zum Schreiben!« Ich athmete wieder auf und würde noch fleißiger geschrieben haben, wenn ich Stoff gehabt hätte. Doch ich beschäftigte mich fleißig mit meinen Kindern und war so bescheiden gekleidet, daß ich nicht in große Gesellschaften gehen konnte, welche für die journalistische Laufbahn unentbehrlich sind. Auch beschäftigte Bertuch mich nicht allein, sein Correspondent, Herr Depping, welcher späterhin seine praktische Thätigkeit dem »Morgenblatt« zuwandte, füllte die meisten Blätter der Zeitschrift »London und Paris« und im »Journal für Literatur, Kunst, Luxus und Mode«.

Wie gern schrieb ich in kalten Nächten am Kamin, wo ein paar Brände eine kärgliche Wärme verbreiteten. Unerquickt durch ein warmes Getränk, ungelabt durch[332] ein kräftiges Nachtessen! Ich entbehrte für die, welche mir auf der Welt das Theuerste waren, meine lieben Kinder, für meinen Mann, der nur eine knappe Einnahme bezog. In hohem Alter sind Entbehrungen härter als in der Jugend! Ich fühlte die meinigen nur insofern, als sie meine Kinder trafen.

Zacharias Werner suchte mich auf. Sein Name war in Frankreich berühmt, seine Anwesenheit wurde gefeiert. Er war von unsern jetzigen Poeten sehr verschieden. Für das Aeußere seiner Erscheinung war er nicht im geringsten besorgt. Seine langen buschigen Augenbrauen, seine glühenden schwarzen Augen, seine schroffen Züge, seine verwirrten Locken, seine graubraune Haut schienen nach einem Bart zu schreien; aber sie schwiegen, da die Zöpfe kaum erst abgelegt worden, aus Unkenntniß der Zukunft, die einige Jahrzehnde später mit dem Barte hervortrat. Werner war schlank und hager, seine Blicke brannten, nie habe ich ihn lächeln gesehen, nie hat seine Lippe seine Gedanken verschwiegen; sein Herz war wohlwollend, glühend, ein Fremdling auf dieser Erde.

Seine erste Bitte an mich war, daß er es mir zur Pflicht mache, ihm alles zu zeigen oder doch wenigstens anzudeuten, was in Paris Sehenswerthes sei. In großer Verlegenheit wendete ich mich sogleich an Denon. Die Kunstausstellung im Louvre war eben eröffnet worden; am Freitag konnte man sie nur mit Einlaßkarten vom Director sehen. Denon schickte eine für Werner und mich zum folgenden Tage. Werner blieb einige Stunden bei mir und holte mich andern Tags ab.

Ich kam auf das einfachste gekleidet wie gewöhnlich in die Rotunde, die von oben erleuchtet ist, mein ältestes Söhnchen an der Hand, Werner am Arm. Die Elite[333] von Paris war hier versammelt. Ungeachtet der ungeheuern Menschenmasse in der Rotunde und im großen Saale vernahm man kein lautes Wort.

Wir sahen uns erstaunt um. Die ganze kaiserliche Familie war anwesend. Werner, der sie aus mehreren Bildnissen kannte, glühte vor Freude, die freilich stumm bleiben mußte, und beobachtete sie mit wahrem Genuß. Herr Lavale, ein feiner Mann, war so gütig, uns auch die Umgebungen des Hofs zu nennen. Die Schönheit der Herzogin von Bassano machte großen Eindruck auf den Dichter. Auch Talleyrand's Gemahlin hatte das Recht benutzt, das ihr der Stand gab, zu dem ihr Gemahl sie eben erhoben hatte, und erschien zwar steif und unbehülflich, doch mit sichtbarer Zuversicht in dem glänzenden Kreise, der die kaiserliche Familie umgab. Ich konnte meine Augen von der Kaiserin Josephine nicht abwenden. Sie genoß damals einer blühenden Gesundheit. Die Jugend fehlte ihr, aber man konnte den Mangel nicht bemerken. Denn mit solchen Augen bleibt man jung, und mit solcher Anmuth bleibt man schön. Untadelhaft und blendend waren Hals, Schultern und Arme der reizenden Frau, und voll Anmuth und Musik ihre Bewegungen. Die Fürstin von Borghese war nicht zugegen; sie war krank auf ihrer Villa im Dorfe Chantilly. Doch sah Werner mit Verwunderung Murat's reizende Gemahlin, auch Madam Regnault de St.-Jean d'Angely, die noch in der Fülle der Schönheit blühte. Napoleon bewegte sich heiter im Kreise seiner Familie. Werner war außer sich vor Freude, dies alles zu sehen und zwar in vollem Glanze, denn die Damen trugen Hofkleidung und Brillanten. Gern hätte ich mehr für meinen Gast gethan, aber in meinem bescheidenen Kreise fand sich keine ähnliche Gelegenheit[334] hierzu und Werner mußte fürlieb nehmen. Er that es gern.

Werner kam oft zu mir, so ungenügend ihm mein Gespräch sein mußte. Ich war nicht, wie Chamisso mich 1809 in einem Briefe an Hitzig beschrieben, »durchaus unwissend«, auch nicht, wie er hinzusetzte: »liederlich, keine Dichterin«. Unsere Tondichter freuen sich noch heute, daß ich liederlich bin, und ich glaube kaum, daß sie mit Adalbert von Chamisso sagen würden, ich sei keine Dichterin, denn mein Lied ist echt. Verse habe ich nie gemacht; sie verhalten sich zum echten Liede wie der Straß zum Brillanten!

Schon damals war Werner gesonnen, katholisch zu werden; mit einigem Scharfsinn hätte ich das aus seinen Reden errathen können. Als ich zu ihm von der Abneigung meiner Schwiegermutter sprach, äußerte er: »Wundern Sie sich nicht, da sie eifrig katholisch ist; die Scheidewand auf Erden ist wenigstens unübersteigbar!« Sowie manchem andern, der seine Religion verändert, scheint mir auch bei Werner ihm unbewußt Ruhmsucht zum Grunde gelegen zu haben, vielleicht auch das Bedürfniß, seine Lage zu verändern, doch gleichfalls unbewußt, denn Werner's Herz war treu und ehrlich. Er verließ Paris nach Verlauf einiger Wochen, und war daselbst mit seinem Aufenthalt überaus zufrieden. Der geniale Künstler Ferdinand von Olivier nannte Werner eine gebrochene Natur. Ich meine eher, daß er ein geistiger Danton war, dem sein Haupt zu schwer geworden.

Ich habe eben Ferdinand von Olivier genannt, und ich kann mich nicht enthalten, einige Erinnerungen an diesen geistreichen Künstler hier einzuschalten.

Es war im Sommer 1807, an einem schönen hellen[335] Morgen, als der Legationssecretär aus Dessau angemeldet wurde mit den Worten: er bringe einen Brief vom Geheimrath von Rode, einem Freund der Karschin. Ein Jüngling mit hoher blondumlockter Stirn, feurigen blauen Angen, scharfumzeichneten markigen Gesichtszügen, vollen Lippen, auf denen Geist, Trotz und Wärme schwebte, trat in diplomatischem Costüm herein, das ihm stand wie eine Verkleidung; er wußte es auch. Es war Ferdinand von Olivier. Ich war immer gleich seelenvergnügt, wenn so etwas von deutscher Luft die verdumpften Zimmer des Palais Bourbon, die wir bewohnten, durchzog; so empfing ich denn den Fremdling, der sich auch gleich heimisch fühlte, wie einen werthen Bekannten. Lächelnd sagte er, indem er den Claque, mit schwarzen Straußfedern verbrämt und mit funkelnder Agraffe geschmückt, auf meinen Schreibtisch niederlegte: »Den Legationssecretär, in den mich der Herzog gesteckt, werde ich nächstens wieder ausziehen, ich bin Künstler, bin nach Paris gekommen, um mich auszubilden: wenn ich nur erst wieder vor der Staffelei stände!«

Es war die Zeit, wo Napoleon die Großen der Erde zu sich lud, um Paris zu füllen, zu beleben und durch den Koloß der aristokratischen Masse die letzten Gespenster der republikanischen Schreckensnacht zu verscheuchen, die überall gern noch ihren Spuk treiben mochten. Mehr noch vielleicht, um die alte Dynastie zu kränken. Den Namen Legitimisten kannte man damals nicht, sie hießen ci-devant; vielleicht könnten sie jetzt ci-après heißen? »Gebt einem Franzosen des Tags 11/2 Pfund Weißbrot, und einige Dutzend mal das Wort Monsieur, so ist er zufrieden«, schrieb 1803 Friedrich von Schlegel, und er hatte im allgemeinen recht. Wie die Schwarzwälder geborene Uhrmacher, so sind die meisten Franzosen geborene[336] Aristokraten. Napoleon hatte das bald heraus, und versäumte nichts, um die Funken aus der Asche wieder hervor zu blasen; er wußte freilich nicht, für wen er sich diese Mühe gab, denn das alte Anhänglichkeitsgefühl für Herrscher, das er neu belebte, wollte nicht haften an dem neuen Herrn, und mit den neugegossenen Formen der Aristokratie, in die sie sein Kaiserthum knetete und buk, ging es ihm wie Werther mit den Märchen, die er Lottens Geschwistern verschönert wieder erzählt, sie beklagten sich: »Das vorige mal wär's anders gewest!« Herz und Sinn wurzeln in Gewöhnungen fest; hebt sie aus ihrem alten Erdreich, so verkümmert die Liebe. Dem General Bonaparte gehörte eine Welt, die aber schlug Napoleon in Trümmer. Todtgeboren, wie jede usurpirte Gewalt, war die des Kaisers; ohne Josephine, welche die Franzosen meisterhaft zu behandeln wußte, konnte ihr Scheinleben so wenig von Dauer sein, wie im bekannten Märchen das der Rüben, welche der Berggeist für seine schöne Geliebte in Hofdamen und Cavaliere verwandelte, die aber bald zusammenschrumpften.

Wir sprachen oft darüber. Ferdinand Olivier erlebte noch die Wiedereinführung der Asche Napoleon's in die Weltstadt, die dem Gewaltigen sklavisch gehuldigt, den abgedankten Günstling Fortuna's schmähend aus ihren Mauern gestoßen und nun aus Millionen Augen in seiner prunkbeladenen Leiche die größte Lehre aller Zeiten wie eine Hieroglyphe angaffte, zu der kein Mensch den Schlüssel hat.

Herzog Franz von Anhalt-Dessau, der hohe schöne Greis, mit den leuchtenden Augen und Wangen, kam unvermuthet mich zu besuchen. Ihn begleitete der Geheimrath von Rode, ein ehrenhaftes Stück deutscher Literatur aus der Zopfzeit, welche auch die goldene Zeit[337] hieß. Man nannte sie nicht mit Unrecht so, denn nur wenige Dichter darbten damals, wie noch vor wenigen Jahrzehnden der herrliche Wetzel, Hölderlin, der große Künstler Genelli, und viele andere. Sie werden alle noch Denkmale bekommen; die Todten kommen alle zu Ehren, aber die Lebendigen mögen sich vorsehen, daß sie nicht verhungern.

Der Herzog mußte sich tief bücken, um in unsere fünf Fuß hohen Zimmer einzutreten. Er bedauerte, Chézy nicht zu Hause zu treffen, indem dieser stets von 10–2 Uhr morgens auf der großen Bibliothek sein mußte, verhieß, ihn dort aufzusuchen, und bat mich, ihn jetzt nach der Bibliothek des Corps Législatif zu begleiten, die im Palais Bourbon befindlich.

Unter dem gewölbten Akaziengang des Hofraums wandelnd erzählte mir der Herzog von der neuesten Jagd des Kaisers, die er mitgemacht hatte. Da kein Wild aufzutreiben gewesen, hatte der Kaiser allerlei zahmes Vieh zusammenbringen lassen, und knallte nach Herzenslust hinein – die größte Ehre, die wol jemals Ochsen widerfahren. Zwei Jagdgehülfen hatten sich eines Versehens schuldig gemacht, Napoleon wollte sie auf der Stelle niederschießen lassen, der Herzog von Dessau war der einzige, der Napoleon vorzustellen wagte, daß es Menschen seien. Sein Muth gefiel dem Kaiser er gewährte seine Bitte. Ich hieß Napoleon einen Würgengel, der Herzog lächelte. »Wenn ich nicht die Jagd so liebte«, sagte er, »und kein ausgelernter Waidmann wäre, so würde er mich mit den vielen andern mediatisirt haben, denn es scheint, als hätte er uns alle nur dazu kommen lassen.«

Wir kamen auf Matthisson zu sprechen; dieser Name ist Schlüssel zu meinem ersten Jugendparadiese. Matthisson[338] ist der geläuterte Hölty, wiewohl bei diesem chemischen Proceß der Geister auch des Innigen und ursprünglich aus sich selbst Holden und Blühenden manches verloren gegangen. Matthisson's Glätte und zarter Schmelz machten mich zuerst auf das Bedürfniß zierlicher, kunstgemäßer Form aufmerksam, und der Eindruck, den ich davon empfing, wirkte auf mich wie alles Musikalische, er erweckte Fähigkeit zur Nachbildung und erschloß den Sinn für melodische Fügung der Worte; mehr als dies alles noch wirkte das Bild in meiner Seele, das Sehnsucht und Wehmuth in seinen Liedern vor meinem innern Blick mit einer Glorie umwebten. – Hölty und Matthisson, die süßen Sänger des süßesten Leides, werfen den Trauerflor über das Leben, das sich in niegestillter Sehnsucht verzehrt, und überstrahlen dafür mit allen Wonnen der Wehmuth, mit allen Himmelsahnungen hoffender Liebe das Grab, den Port des Friedens, die Regenbogenbrücke des Jenseits;

Cypressen und Rosen wehen darum, und den wirren Lärm des irdischen Daseins durchwogt die Aeolsharfe, die Geisterstimme der Liebe, die sich in einsamer Sehnsucht vernehmhar macht und die Seelennähe des Theuersten verkündet. Solche Zartheit und Keuschheit liegt nicht der neuen Poesie zu Grunde, je mehr die Fleisch ist, und je heißer sie lockt und girrt, jemehr sie gefällt. Es gab zwar noch eine Zwischenperiode, Novalis' »Blaue Blume«, und die »Blümlein« und »Vöglein« aus Ludwig Tieck's »Sternbald« hatten ungebührlich gejungt und fortgewuchert; doch mit einem mal nahm die Poesie einen Anlauf, und that mit allen zwei Füßen den Salto mortale mitten in die derbste Fleischlichkeit hinein. Sie mag sehen, wie sie wieder herauskommt.

Der Herzog von Anhalt-Dessau, mit dem ich von meiner Anhänglichkeit an Matthisson sprach, die[339] sprach, die ich mir durch Schlegel nicht hatte verkümmern lassen, freute sich darüber, versprach dem werthen Sänger meinen Gruß zu bringen, und drückte im allgemeinen seinen Antheil und seine Freude aus, daß ich so grunddeutsch geblieben. »Sie müssen zu mir kommen«, rief er aus, »dann wollen wir zusammen uns in meinem Dessau recht umsehen. Matthisson kommt indeß mit Luisen wol auch wieder!« – Der Herzog meinte die edle Herzogin, deren treuer Begleiter Matthisson auf ihren Reisen war. »Er ist recht brav«, setzte er hinzu, »er hat recht viel Geduld mit der alten Frau!« Ich meinte, Matthisson würde die hohe Ehre und das Glück einer solchen Begleitung gewiß zu empfinden und zu schätzen wissen. »Jawol, wenn Sie es so nehmen«, entgegnete der Herzog, »so muß ich bekennen, wir haben ihn alle von Herzen lieb, da mag's ihm bei uns schon heimisch sein!«

Beim Abschied empfahl mir der Herzog noch den jungen Olivier, dessen Bruder Heinrich ihm nachkommen würde. Dies geschah auch bald; beide Brüder sprachen sehr schön französisch, und Heinrich besonders arbeitete mit eisernem Fleiß. Ferdinand's Legationssecretär – ich meine den Claque mit Straußfedernverbrämung, denn das war alles Diplomatische, womit er sich befaßt – hing, wie er es gelobt, am Nagel; er lebte nun der Kunst, doch zum täglich anhaltend productiven Schaffen und Gestalten war Ferdinand zu genialisch, zu überquellend von Gedanken und Vorstellungen, zu streng und unersättlich in Anforderungen an sich selbst; denn nichts konnte dem Maßstab der Vollendung entsprechen, den er an Kunstwerke legte: die Sternenhöhen, die sein Adlerblick ermaß und erreichte, zu denen konnten die Schwingen nicht hinauf, und wenn er das fühlte, so zermalmte[340] ihn ein ungeheurer trostloser Schmerz, der ihn wie ein Orkan umherriß, bis er in einen Blumenboden erschöpft niedersank und seinem Lechzen dort Linderung zuquellen ließ. Poesie, Kunstanschauung, Geselligkeit, Studium des ästhetischen Theils der Theorien seiner Kunst, Erschaffung neuer Theorien, – dahin, wo er mit dem Pinsel nicht gelangte, wollte er nun auf rein geistigem Wege. Die Zukunft hat bewiesen, daß er sein Ziel gut ins Auge gefaßt, denn was ist in seinen Händen die Landschaft geworden: Gottes großer Gedanke in seiner tiefsten Erschauung! Seelen sind diese Felsen, diese Wipfel, diese besonnten Halme, diese fliegenden Wolken, alle diese Massen auf den Gemälden so voll Ruhe und innerer Lebensfülle, so voll strenger Wahrheit, und inniger Schönheit, so donnernd und so säuselnd, so einladend und streng mahnend! Des Meisters ganzes eigenstes Gemüth ist darin ausgeprägt, unerschöpflich neu bei jeder neuen Betrachtung jedes Bild, und kein einziges wie das andere; ja, man fühlt bei jedem, wie er gebieten mußte dem innern Drang, zurückstoßen die Fülle der Schätze, und sich beschränken, um in der höchsten Einfachheit der Darstellung die höchste Wahrheit zu erreichen. Wie von Anfang der Dinge die Seele war, die der Mensch zuerst im Werden empfängt, so war der Gedanke, ehe die Kunst ihn den Sinnen anschaulich oder zugänglich machen konnte; und lebt ein großer Meister, es lebte keiner je, der nicht geseufzt hätte, daß die Ausführung hinter dem Gedanken zurückblieb, wenn auch die Beschauenden befriedigt und entzückt waren. Ohne Poesie gibt es keinen Künstler. Alles, was selbständig der Seele und dem Gemüth entspringt, was Schöpfung, was Gedanke, was Großthat, ist Poesie. Die ganze Natur ist Poesie, sie ist auch Musik und Rhythmus, denn[341] das Auge sieht und das Ohr hört, das Herz aber hat alle körperlichen Sinne und die geistigen dazu, das Herz ist eigentlich die Phantasie. Die Kunst ist die aus Seelen- und Willenskraft hervorgehende Steigerung aller Lebenskräfte zur That, ist die Willenskraft in höchster Potenz. Sie ist's, die es entzückend beglaubigt, daß Gott den Menschen schuf nach seinem Bilde und den ewigen Funken ihm einhauchte, der schöpferisch in ihm lebt. O, wie ehrwürdig, wie groß ist die liebevolle Sorge, womit der Künstler alles Kleine bedenkt und bedenken muß, um aus dem irdischen todten Stoffe hervor zur Erscheinung zu rufen, was ihm in der Seele ringend lebt! In jeder Kunst, die der Mensch übt, wie muß er unter seligen Schmerzen streben und sinnen, bis er die Bestandtheile zum Werk beisammen hat, gesondert, gereinigt, in Einklang gebracht, und nun alle Erdenmächte zwingt, dem Gott in seiner Brust zu dienen!

Ich möchte Ferdinand von Olivier den Michel Angelo der Landschaft nennen, groß und herrlich, doch von jener Herrlichkeit, die aus der Fülle der Empfindung, der Liebeskraft hervorgeht; und von jener Größe, deren Anmuth der Schmerz ist. Sei diese Art der Kunstschöpfung nun Poesie, Musik, Plastik oder Malerei, offenbaren sie sich in Michel Angelo's Nacht, oder in Griechenlands Niobe, immer ist sie Prophetin, geweiht, unsterblich in ihren Ausstrahlungen, der Seelen höchsten Aufschwung erweckend.

Einige Zeit nach der Ankunft der Brüder Olivier in Paris begann Heinrich ein Altargemälde für eine Kirche in Dessau, ein heiliges Abendmahl, ganz im altdeutschen Stil, an welchem wir große Freude hatten; Ferdinand hingegen hatte auf einen Raum von beiläufig 21/2 Fuß[342] Höhe und verhältnißmäßiger Breite, eine anmuthvolle Parkpartie in Wasserfarben gemalt: im Hintergrunde das Schloß von Ferrara, Tasso mit den zwei Leonoren, der Dichter vor der Prinzessin kniend, den Kranz empfangend.


Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus

Schon der Citronen und Orangen ab.


Die bekränzte Büste Ariosto's, die Büste Virgil's und der andern herrlichen Geister waren umhergestellt, nichts war vergessen, alles mit echter Liebe zur Erscheinung gebracht. Ferdinand Olivier war damals zweiundzwanzig Jahre alt. Er sagte uns: »Auf diesem Bilde muß der Frühling leben, der frischeste Schmelz des grünen Rasens; das zarteste, prangendste Grün der hohen Wipfel umher muß ihn in seinem ersten Erwachen verkünden. Anemonen, Narcissen, Primeln, Veilchen sprießen im Vorgrund, ein voller Bach schlingt sich wie auf Flügeln durch die Gräser, über die bunten Kiesel, seine kräuselnden Wogen bemächtigen sich des Sonnenstrahls und gaukeln damit umher. Streiflichter des jungen Morgens auf dem Grase zwischen den Baumwipfeln hindurch; die hellsten Morgenschimmer ruhen liebevoll auf des Dichters Kranze, sein Angesicht im Helldunkel, die Prinzessin wie flammend in der rosigen Lichtverklärung, Leonore Sanvitale im Schatten, da sie seitwärts vor den beiden dem Beschauer näher steht; die Charakteristik der drei Gestalten soll auf das treueste der Dichtung entsprechen, der ganze Tasso muß darin zu lesen sein.« Ferdinand's Augen flammten, indem er dies sprach, seine Wangen glühten, war es doch, als hebe eine Flammenluft sein ringelndes Haar, denn es wogte auf seiner Stirn hoch auf, wie eine Flut, und senkte sich wieder. Das Gemälde aber blieb unvollendet.

Soll das den Künstler schmerzen? Es sollte nicht,[343] denn was der Genius im Geist errungen, das ist sein eigen, es ist geboren und lebt, und käme es nie zur Erscheinung; denn ewig ist die Welt der Ideen, und nur die Außenwelt unterliegt der Vergänglichkeit.

Ferdinand Olivier war echt musikalisch. Mancher hohe Genuß war ihm in Paris erreichbar, in seltener Vollkommenheit glänzten die Concerte des Conservatoriums, die Vorstellungen der italienischen Oper, in deren Reiche Mozart's Schöpfungen nicht fehlen durften. Ferdinand selbst sang vortrefflich und spielte ausgezeichnet schön das Pianoforte; in seinem Vortrag quoll die Tiefe und Fülle seines Wesens; wenn er irgend ein schmerzdurchglutetes Stück von Beethoven spielte, konnte er einem das Herz zerreißen. Auch in seiner frühern Jugend habe ich ihn immer ernst gesehen; doch es that einem wohl: denn dieser Ernst seines Wesens war freudig, großartig, natürlich; seine innerliche Arbeit an sich selbst war so gediegen, daß er sich unbewußt gehen lassen und geben konnte, wie er war. – Es blieb nicht so: »des Lebens bedingender Drang hat den Menschen verändert«.

Welche Tage haben wir durchlebt! Frankreich, Paris, damals der Landungsplatz der geistigen und künstlerischen Welt, der Brennpunkt jedes edeln Dranges der Zeit! Was es besaß, was es war, war vorher nie dagewesen, und wird in der ganzen Welt schwerlich einmal wieder sein. Freilich war Paris schon im Jahre 1808 nicht mehr, was es noch wenige Jahre zuvor gewesen; die frische Siegesfröhlichkeit über alles Errungene, und zwar in jedem Kreis geistigen und irdischen Wirkens, war theils abgeblüht, theils verkümmert, und im Zwielichte der Zukunft wankte, verhüllten Angesichts, die Sorge umher. Uns Deutsche aber kümmerte das nicht, wir freuten uns der anlandenden Landsleute, erneuten frühere Bekanntschaften und empfingen dankbar die[344] Himmelsgabe neuer Ankömmlinge, von denen viele der willkommensten uns schwerlich anderswo begegnet wären, als hier, wo alles hin mußte, wo hinkam, was sich regen konnte. Wie heterogen die vielen Geister des Nordens, die hier zusammenschneiten, auch sein mochten, die Flocken fügten sich ineinander, ein feines, glänzendes Ganze lagen sie zusammen, das Bewußtsein gemeinsamen Ursprungs einigte sie, die Ueberzeugung, daß sie zum pariser Wesen einen Gegensatz und eine Masse bildeten.

Die Sonnabende der Fräulein Therese aus dem Winkel boten einen meist glänzenden Centralpunkt für die Gäste aus dem Norden dar. Wir besuchten sie oft. Mein Mann war gern in deutschen Kreisen, er sprach sein gutes Deutsch zwar nicht ohne Schwierigkeit, doch er verstand alles; auch war er von mütterlicher Seite deutschen Blutes, aus Savern; die rüstige Achtzigerin betete Wilhelm noch das deutsche Vaterunser vor. Ils sont bons, ces Allemands! pflegte Chézy zu sagen; auch äußerte er bisweilen: Je crois qu'on est mieux en Allemagne qu'ici!

Oehlenschläger (Ferdinand Olivier am meisten zugethan) las uns seine Schöpfungen, eine nach der andern, wie er sie in das frischsaftige Deutsch übertrug, das ihm eigen. Welche Oasis in der Sandwüste, die geistig Paris damals für mich in poetischer Hinsicht war! Chézy hatte sein Persisch, das uralte Vordeutsch, nun durch und durch sich zu eigen gemacht, seine seligsten Schätze ausgebeutet, und pflog des Sanskritstudiums mit einer Glut, Gewalt, Ausdauer und Anstrengung, die ihn zum Ziele führen sollte; ach, aber um welchen Preis! Gesundheit, häusliches Glück, Lebensfreude, gingen dabei verloren, und die Früchte seiner Mühen sind Ernten für fremde Hände. Seit er mir nun keinen Fund aus dem Persischen mehr[345] mittheilte, und so ganz in sich selbst abgeschlossen nur seinen Studien lebte, wurde mir die Dürre des pariser Lebens unleidlich; Napoleon begünstigte keinen Aufschwung, der nicht seinen Planen und Zwecken diente. Man sollte prunken, ergötzen, den Augenblick verproviantiren, und in die alten Gleise, Fugen und Schichten säuberlich wieder einlenken; statt vorwärts sollte es zurück. Ludwig's XIV. Hof war Napoleon's Ideal, und ungefähr wie damals sollte man dichten, schreiben, Schauspiele geben und haben. Napoleon würdigte sich zum Lever herab; viele abgelebte Cidevants, sowol der Salons als der Antichambre, wurden aufgestöbert, um alle Formen eines Lever de Louis XIV. wiederherstellen zu können, bis in das Wunderwinzigste hinein; mit solchem Quark quälte sich der hervorragendste Mann und Kriegsheld seiner Zeit ab. In England haben sie auch Levers; wahrscheinlich noch in andern Königreichen; wir Deutsche können auch noch damit beglückt werden, denn die höchste Gewalt ist auf dem besten Wege, auch die kleinlichste Bezeichnung zur Wichtigkeit zu erheben. Die alten Thorheiten der Menschen sind wie die Purzelmännchen, die man auf den Kopf stellt, und die flugs wie der auf den Beinen stehen. Es sagte einmal jemand, die Dresdener kämen gleich mit Frack und Glacéhandschuh auf die Welt; man könnte von den Franzosen sagen, sie würden gleich mit dem Aristokratismus und dem Rococo-Affenthum geboren, denn wer zu jener Zeit des Kaiserthums auf dem Halme in Paris lebte, konnte es mitansehen, wie Napoleon Schritt vor Schritt auf den Thron hingedrängt wurde, und zwar durch die Massen, die alle Kleinlichkeiten der Größe ihm einbliesen; er hätte aber selbständig sein, sich selbst behaupten sollen:


Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben!
[346]

Um unsere kleine deutsche Colonie her bildeten sich bald neue Ansiedelungen. Durch den wackern Peucer wurden wir mit Pilat bekannt, in dessen gastlichem Hause heitere Stunden für uns blühten. Wer den jungen lebensfrohen, frischen, feurigen Pilat 1808 gekannt, suchte ihn wenige Jahre darauf vergebens, besonders seit er nach Wien zurückkam. Und Metternich nun gar, welch ein Verwandelter!

Mancher Staatsman wird alt geboren, Metternich war im Jahre 1808 wirklich jung; er war blond, hatte schöne blaue Augen, eine sanftgebogene Nase, einen rothen Mund, dessen feine Lippen der Widerglanz eines warmen Lächelns umschwebte; es war eine Lust, ihn mit seinen allerliebsten Kinderchen, den drei Flachsköpfchen, mit apfelrothen Wänglein in weißen Höschen zu sehen, wie sie ihn neckten und liebkosten, als wäre er ein älterer Bruder. Er schien nicht der Botschafter einer finstern Macht zu sein, sondern eine Himmelsbotschaft der Liebe und Freude zu bringen, gleichsam um die pariser Damenwelt zu trösten, daß Graf Kobenzl so manches Jahr dort gewesen. Fürst Metternich ist eine ursprünglich edle wohlwollende Natur, er meinte es ehrlich mit der Welt und der Zeit; nicht ihn darf man ihres Wehes anklagen, er fühlte bei noch heiterm Himmel das Gewitter, und wollte Blitz und Schlag vom Kaiserstaat ableiten, ja von Europa!

Talleyrand hatte nur darum größere Capacität, weil er stets nur den Zweck vor Augen behielt, die Mittel ihm ziemlich gleich waren; man konnte voraussehen, daß aus dem künstlichen subtilen Gerippe des diplomatischen Baues die Nägel krumm, die Stützen locker werden mußten, sobald Talleyrand, die Oberbindklammer, vom Rost ermürbet, herunterfiel. Die eigentlichen Grundursachen[347] der Revolution von 1789, sowie der Töchter, die sie gebar – und gebären wird, stehen in keiner Geschichte der Revolution verzeichnet; die Ansicht allein ist klar geworden, daß sie aus innerer Verdorbenheit der Säfte des gesellschaftlichen Körpers hervorging. So wurde es denen, die nur durch allgemeine Umwälzung ihre Zwecke erreichen konnten, nicht schwer die Gährung zu befördern; ihr Sieg nennt ihre Namen; welcher Bezeichnung bedarf es noch? Aber jeder, dem an Aufrechthaltung des frühern Zustandes gelegen ist, wird einsehen, daß das Heilmittel schlimmer war, als das Uebel. Zu jener Zeit hingen noch leichthin getuschte, rosige Wölkchen mit goldenen Säumen um die Sonne her; kaum Talleyrand wußte es recht, daß sie sich zum Gewittergewölk zusammenballen würden, daß dies Gewitter in

Zwischenräumen pausiren, aber nicht mehr aufhören würde. Das ahnete ihm nicht, er hätte es sonst vielleicht noch abzlueiten versucht – statt es aus kleinlicher Rache gegen Napoleon heraufzubeschwören.

Napoleon lud schweres Unrecht auf sich, indem er den Staatsmann verfeindete, der ihn eigentlich geschaffen hatte; denn man soll keine Stütze hinwerfen und mit Füßen treten, wenn man sie auch nicht mehr zu brauchen glaubt. Ueberhaupt machte sich Napoleon eines Fehlers theilhaftig, welcher doch meist nur beschränkten Geistern anklebt, den, sich die Menschen so zu denken, wie man sie eben nöthig hätte und wünschte. Er vermeinte in Talleyrand ungestraft den Priester, den Edelmann, den feinfühlenden, tiefempfindlichen Mann von Welt zu verletzen, indem er ihn zwang, seine Haushälterin, die Grand, zu seiner Gemahlin zu machen, um, wie er sagte, der Moralität zu huldigen, und wenn Talleyrand die Grand nicht wollte, sie zu entfernen. Warum Talleyrand[348] das nicht thun konnte, möge ein anderer sagen, mich kümmert's nicht. Es war nicht aus Liebe, denn die Grand war über seine Liebeleien mit ihm zugleich ergraut, ein »respectables Stück Fleisch«, nun über die Funfzig, in einen »großen Adelsbrief« gewickelt zu werden bestimmt. Ich traf sie im Jahre 1805 auf dem Museum; sie war damals nur Madame Grand schlechtweg, »qui faisait les honneurs de la maison du Ministre«. – Les honneurs! Wie die Franzosen mit der Sprache umgehen! Mit großen blauen Junoaugen, die blitzten und doch nichts sagten, gerade wie falschen Steine, sah sie die Bilder der Ausstellung an, ohne sich darüber nur mit einer Miene zu äußern. Man hieß sie dumm; sie konnte es nicht sein, da sie bei Talleyrand lebte; unwissend war sie. Es wurde erzählt, sie habe geglaubt, Denon sei der leibhaftige Robinson, und habe ihn mitleidig gefragt, was denn aus seinem armen Freitag geworden sei? Denon leugnete die Thatsache, er konnte sie ja nicht eingestehen. Schön, weiß und roth, prächtig gewachsen, mit stolzem Anstand, geputzt wie eine Fürstin, hatte sie sich, was man gut conservirt heißt; wie eine Pfirsiche in Branntwein kam sie mir vor. Diese nun heirathete Talleyrand, und brütete Rache, die leicht zu üben, weil sich Napoleon sicher glaubte.

Die Zukunft schien gesichert, man glaubte allgemein, des Adlers Blitz würde die Wolken zertheilen, die schon drohender, schwärzer heraufzogen. Schon seit Napoleon's Erhebung zum Consul auf Lebenszeit waren seine Bewunderer, mit ihnen das Herz des Volks erhaltet; darauf haßte man ihn, und hielt ihn nur für ein nothwendiges Uebel, zuletzt nur noch für ein Uebel tout court. Durch seine Nachfolger trat sein Bild hellglänzend, alles Licht auf Einen Brennpunkt vereinigend, wie ein Stück von[349] Rembrandt hervor, weil jene so mächtige Schlagschatten um sich her warfen. Haß und Unwillen waren gesättigt, und schliefen nun über seinem Grabe fest, man sah was sein Sturz nach sich gezogen hatte – armes Frankreich!

Unser kleiner, lieber deutsche Kreis empfand wol zuweilen den schwülen Hauch des Samum, aber er drang nicht mit seiner vollen Gewalt in unsere grünende Oasis, besonders nicht in den Pilat'schen Familienkreis, in welchem die herzlichste Gastlichkeit blühte. War auch Elise von Pilat nicht poetisch, so war es doch ihre Escheinung; bei ihrer Schwester Luise von Mengershausen war es umgekehrt, sie war lieblich mit ihrem nicht hohen, zierlichen Wuchs, ihren sanften braunen klaren Augen; doch der Wetteifer von Lilien und Rosen aus Elisens Stirne, Wangen und vollem Purpurmund, ihre dunkelgoldenen Locken, ihre Nymphengestalt, ihr funkelnder Blick waren entzückend, ergreifend, voller Reiz; Elise besaß alle äußere, Luise alle innere Idealität, beide Schwestern hatten etwas wie einen Duft von reiner, sittiger Weiblichkeit um sich her. Die vollkommenste von beiden war Luise. Im Lenz ihrer Jahre mußten Gatte und Freundinnen an ihrem Grabe trauern; auch Elise starb jung.

Wohl beiden, sie starben, noch ehe die entsetzlichsten Stürme der Zeit sich erhoben.

Pilats hatten zwei Töchter, Emma und Maria, zu denen späterhin noch Söhne hinzukamen. In Deutschland wurde, nicht lange nach ihrer Ankunft, die ganze Familie katholisch, zuerst Elise, dann ihre Schwestern Auguste und Luise, und deren Gemahl H. von Klinkowström. Die Convertiten bildeten in Wien einen geschlossenen Kreis mit dem verdienstvollen, edeln Freund, H. von Buchholz,[350] mit Adam von Müller's Familie, Herrn und Frau von Dorr, Friedrich und Drothea von Schlegel, Fräulein Mihes aus Breslau, der ausgezeichneten Malerin, jetzt seit 1829 Nonne bei den Salesianerinnen, nachdem sie ihren Gatten, Professor Primisser, verloren. Früherhin traf man auch Werner dort.

Ferdinand Olivier und die Seinen waren Protestanten geblieben, in Wien nicht zu ihrem Vortheil, auch in München nicht – wiewol man in beiden Städten mit der Unterdrückung der Protestanten behutsam zu Werke ging; sie ging eigentlich nur negativ vor sich, trat nur in einigen Provinzen durchaus grell hervor. Den Römlingen und Finsterlingen in beiden Städten waren Protestanten und Juden (die sie zusammen zu nennen pflegten) minder verhaßt, als erleuchtete duldsame Katholiken. Diese letztern hinwiederum sind den Convertiten nicht gewogen; allein nicht ihre Zahl ist Legion! »Pauvre humanité!« ruft Frau von Staël.

Noch sind wir in Paris, noch ist's 1808, und ich muß zu Ferdinand von Olivier zurück, dem dieser Abschnitt gewidmet ist. Seine wahre Deutschheit machte mir ihn vorzüglich werth. Das geraubte Gemälde aus Danzig, »Das Jüngste Gericht«, damals van Eick zugeschrieben, war eben im Museum aufgestellt; die Oliviers führten mich hin; Ferdinand jubelte mit feuchten Augen, seine mühsam zerdrückten Thränen galten dem Raube an Deutschland, der Jubel dem Anblick des alten Meisterwerks. Heinrich, der ältere von beiden Brüdern, oft kränkelnd, wußte seine Empfindungen fest in sich zu verschließen. Auch starb er jung; expansive Naturen dauern länger, denn die Gewalt des Zurückdrängens nagt das Herz.

Am 16. Juni 1808 mußte ich nach Montmorency, denn es war in Paris und in den niedern Zimmern im[351] Zwischengeschoß im Palais Bourbon kein Bleiben möglich, meine Kinder verquimten dort. Auch ich litt unaussprechlich.

Trübe Misverständnisse im Innern der Familie beugten mich, drückten mich nieder; ich brachte meine Tage und oft die Nächte in Thränen zu, konnte nicht leben, konnte auch den Tod nicht herbeiwünschen, weil ich meine Kinder liebte.

Schreiben mußte ich, weil unsere Einnahme knapp war. Wenn ich mich an das Bureau setzte, und das weiße Blatt vor mir lag, fühlte ich mit Entsetzen meinen Kopf so leer, wie das Blatt, und keine Kraft in mir, als zum Weinen. Wollte ich die Kinder in das Freie führen, so hatten wir nichts als die steifen Tuilerien, und die staubbeladenen Champs-Elysées. Chézy war von seinem Studium des Indischen so hingenommen, daß er nun an nichts auf Erden mehr Antheil nahm, und allenfalls mit seinen Manuscripten in die thebaische Wüste gegangen wäre. Der schöne Frühling weckte in mir nur tieferes Weh. So fremd und einsam war ich in Paris, wv ich doch Mann und Kinder hatte! Diese waren noch klein; meine liebsten Freundinnen, Therese aus dem Winkel und Elise Leuchsenring, wohnten weit; Oliviers waren beschäftigt; um mich her Verstimmung und Kummer, außen Stickluft und Staub, und statt Vogelgesang das Klopfen der Wäsche auf den Waschbänken am Ufer und das Gebrüll der Hausirer. Wenn man leidet, sind äußere Widerwärtigkeiten am unerträglichsten. Ich fühlte mein Herz mit Füßen getreten, alle emporstrebende Jugendkräfte gelähmt, den vollen Blumenflor der Seele verwüstet, die Knospen geknickt; nun wurde ich es erst recht inne, wie ekelhaft und trostlos die Capitale du monde für ein deutsches Gemüth[352] ist! Ich sehnte mich in das Grüne, in das Freie; ich schloß die Augen und sah Gewässer und Wiesen, wie der Durstige in der Wüste durch eine Spiegelung getäuscht wird, die seinen verdorrten Lippen einen Bach vorlog.

Schon lange hatte ich mich nicht mehr entschließen können, bei meiner Schwiegermutter zu Tisch zu gehen, und aß mein bitteres Thränenbrot allein. »Paris bringt Sie und Ihre Kleinen um«, sagte Dr. Harbauer, »Sie müssen sich auf dem Lande erholen!«

Chézy ging mit mir nach Chaillot und Passy: schlechte übertheuere Wohnungen, abgestandene Lebensmittel, furchtbare Theuerung, kein Waldesduft, kein Blumenodem der Wiesen, und nur alle acht oder vierzehn Tage die Gewißheit Chézy zu sehen! Letzteres war es, was mich zumeist schmerzte – ach, es erbitterte mich zugleich; aber ich habe es auch seitdem noch immer schwer zu büßen gehabt, wenn ich mich erbittern ließ, wo ich liebte; Liebe soll duldsam bleiben! Ich wollte nun weit weg, und wählte Montmorency; dort war ich schon mit Präsident von Schewe und dessen würdiger Frau gewesen, dort waren Waldungen, Felder, Wiesen und muntere Quellen! Ich eilte nun hinunter. Von der Großmutter hatten die Kleinen, die sie gerne sah, Abschied genommen. Ich hatte sie, obwohl im Hause, seit einigen Monaten nicht gesehen; die Wohlwollenden unter den Familienmitgliedern tadelten mich: mein Wegbleiben sei weder recht, noch klug, stellten sie mir mit herzlicher Wärme vor. Sie hatten recht, doch jede Natur kann nur nach Maßgabe ihrer moralischen Kraft Ungerechtigkeiten tragen, ich hatte vergessen, daß uns unsere Leiden hienieden nur dienen sollen, diese Kraft zu steigern, zu härten, zu läutern, und uns eigentlich willkommen sein sollten. Mit nassen[353] Augen ging ich die Treppe hinunter, mit heftigem Herzklopfen an der Eingangsthür der Schwiegermutter vorbei – und ich hoffte doch noch auf Ausgleichung; nur zärtliche versöhnende Worte waren je für sie über meine Lippen, aus meiner Feder gekommen, ich kannte nicht die Schroffheit eines apostolisch-römischkatholischen Sinnes. Auch stand mir bei ihr noch viel anderes entgegen, sie wollte mich weiblicher; konnte ich das sein, ich, die wie ein Mann erzogen worden war?

Da saß ich nun im Reisewagen mit der treuen Marianne, mit meinen Kleinen. Der Weg ging an Gemüsegärten und Feldern vorüber, flach und öde bis St.-Denis. Von da an athmete man erst reine Luft; bald erquickte uns der Duft der blühenden Kornfelder, Wiesen und der Schatten der hohen Fruchtbäume auf der Kunststraße.

Man war nun erst recht sicher, daß man Paris weit hinter sich hatte. Je näher an Montmorency, je heiterer und reizender die Gegend, je duftreicher die Luft von den Waldhügeln her. Montmorency trug seit 1789 im Postzeichen den Namen Emile, J.J. Rousseau zum Andenken; übrigens hieß es immer Montmorency, denn es ist leichter einem Dinge die Seele zu nehmen, als den Namen, dafern es nämlich eine Seele hat.

Schon aus der Ferne sieht man das Schloß, wo Jean Jaques mit den köstlichen Speisen der herzoglichen Tafel so manchen Bissen, in Essig und Galle getaucht, hinunterwürgen mußte. Hoch thront es mit seinem schönen Park über Rebenhügeln; zu seinen Füßen, auf den Höhen und Abhängen ringsumher schöne Dörfer, einzelne Hütten und Landschlösser, von üppiger Fülle der Obstgärten umgeben. Dort reifen die kurzstieligen Kirschen, purpurn und vollwangig, die Montmorency-Kirschen[354] heißen; keinem Menschen fiel es ein, sie Emil-Kirschen zu nennen; ia, wenn der »Émile« so frisch und saftig, so nährend und labend wäre wie solche Kirschen, so wär's gegangen. Wann werden große Männer aufhören, ihren Genius zu meistern? Wie er geboren ist, soll der Gedanke an das Licht! Der »Émile«, die »Nouvelle Héloise« sind gekünstelt, Rousseau's Briefe sind mir weit lieber. Auch seine »Confessions«, die so gut wie die Thaten jener königlichen Familie bezeugen, daß auch ihr Verfasser vom Leben nichts gelernt und nichts vergessen hatte, sind bei überschwenglicher Ausplauderei gleichwol zu sorgsam ausgefeilt. Ein Körper in einer Schnürbrust ist nichts Natürliches mehr; Goethe schrieb der Karschin: »Mir ist alles lieb und werth was stark und treu aus dem Herzen kommt, mag's übrigens aussehen wie ein Igel oder ein Amor.«

Wir gelangten beim herrlichsten Wetter erst gegen Abend nach Montmorency. Wie köstlich mundete uns die perlende Milch mit Landbrot, wie erquickend war unser Schlummer bei offenen Fenstern, in der reinen Luft, wo uns zuweilen die Nachtigallen aufschmetterten. Unsere Wohnung bestand aus einem Saal und großen Schlafzimmer, das Haus lag hoch und frei in der herrlichsten Aussich. Der Morgen nach unserer Ankunft verging mit Auspacken und Anordnen, wobei flüchtige Blicke aus den Fenstern auf Wald und See mich erquickten. Uns allen war zu Muth, wie dem Vögelchen, das nun aus dem Bauer entschlüpft ist und die Brust in den Lüften badet. Unser bescheidenes Mahl war bald bereitet und genossen. Nachmittags nach 5 Uhr ging's durch eine kleine Gasse bergunter in das Feld, nach dem Kastanienwald, auf den Weg nach Jean Jaques' Einsiedelei. Die Sonne neigte sich schon, die Weinberge hauchten Düfte,[355] Heimchen schwirrten, Nachtigallen schlugen, über den Feldern schwebten wirbelnde Lerchen. Meine Kleinen jubelten vor Lust, und mich umfing mit einem mal ein Frieden, eine Seligkeit, als wenn ich nun am Ziel aller Leiden sei. Drei Tage vergingen so, überglücklich; am ersehnten Samstagabend eilten wir, die Kinder niedlich geputzt, mit den Händchen voller Rosen, Chézy entgegen; auch er, der arme, im endlosen Paris Eingekerkerte wurde fröhlich in der schönen Luft. Zu Hause zog Chézy seine Uhr hervor, und fragte: »Mienchen, was hast du denn mit der Uhr gemacht?« Unbefangen gab ich zur Antwort, daß ich zwar um halb zwölf nach der Uhr gesehen, allein sie nicht angerührt habe. »Sieh her«, rief Chézy, »der Zeiger stand auf punkt halb zwölf!« Die Kette war zersprungen, mich durchzuckte ein Ahnungsschauer. Auch meinem Manne wurde es sichtlich bedenklich dabei. Die Uhr, sein liebstes Andenken vom seligen Vater, war stets wie ein Heiligthum gehalten worden, und im besten Stand gewesen. Chézy dachte nicht daran, daß Geisterhand die Kette gesprengt, um mir zu bedeuten: Es ist aus, eine andere Phase deiner Schmerzen beginnt, unter diesem Dach wirst du nicht wieder schlummern, du bist nun heimatlos!

Wunder geschehen nicht mehr, sagt der Unglaube, der sich in seinem Dünkel brüstet. Welche Voraussetzung! Ist denn nicht die ganze Schöpfung Geheimniß und Wunder? Was weiß der Maulwurf vom Lichte? Was der Geschaffene, dem Tode Geborene, von der Ewigkeit? Wir haben das Wort, den Begriff nicht. Erst der Tod hat den Schlüssel des Jenseits, erst die erstarrte Hand hebt der Isis Schleier.

Recht friedlich und süß verging der Sommer, meine Kinder erholten sich, ich selbst genas von meinem schweren[356] Kummer. Chézy kam fast jeden Sonnabend; Montags früh begleitete ich ihn bis zu Barre, eine halbe Stunde von Montmorency, zurück. Ich hoffte damals noch, und wußte nicht, daß für mich schon alles verloren! Wie beseligt ging ich damals noch an Chézy's Seite durch die schönen Waldungen, die Kleinen vor uns her. Wir besuchten eine gute alte Gärtnerin, die Mutter Marie, und beuteten ihren herrlichen Obstgarten, überreich an Feigen, Melonen, Mandeln und Pfirsichen, aus. Sie liebkoste die Kinder, und gab mit Freuden alles billig her. Wir irrten durch die Kastanienwälder nach den umliegenden Ortschaften, fanden uns auch wol beim Tanz auf der schattigen Anhöhe ein, wo an den Sonntagnachmittagen getanzt wurde. Abends wurden die hohen Bäume durch Festons von farbigen Glaslampen verbunden, eine fröhliche harmlose Jugend aus Paris und der Umgegend belebte das ländliche Fest. Wir, die wir schon waren wie Rosen, deren Blätter nur noch zum Schein fest sind, während der erste Windstoß sie zerstieben kann, sahen mit wehmüthiger Lust dem fröhlichen Treiben zu. Mein Indianist schüttelte auf einigen Stunden die Last seiner Forschungen ab, und wendete sich während der Ferienzeit, die er meistens hier zubrachte, zu dem schon halb verlassenen Persischen zurück. Auf meinem Bücherbret lag für mich das Manuscript von »Lancelot du Lac«, mit Miniaturgemälden auf Goldgrund, mit Deckfarben, aus alter, fleißiger, poesiegetreuer Zeit. Daneben lag Firdusi's »Schahnameh«, aus welchem Chézy die Episode von Rusthem und Sorab ausschrieb, welcher er in Paris nach Vergleichung verschiedener Texte Varianten beigesellte, die beste Lesart daraus herstellend; doch er versäumte über sein Sanskrit, sie herauszugeben, und übersetzte sie blos mündlich in unsern Gesprächen. Es war[357] eine schöne Zeit, sie war mein letztes Glück; zwar kein ungetrübtes, doch lagen noch Breter über der Kluft, die fremde Hände zwischen uns gegraben hatten. Ich fühlte das Schwanken dieser unsichern Brücke, ahnte, daß sie morsch war, und war grenzenlos betrübt in solchen Stunden. Warum mußte ich so spät, und niemals ausreichend, Kraft zum Entsagen finden?

An einem milden Nachsommertag kam Ferdinand von Olivier mit Heinrich zu uns. Sein erstes Wort war: »Freuen Sie sich, ich habe die neue Ausgabe des «Faust» in der Tasche.« Nach Tische eilten wir nach dem See, Ferdinand trug uns die ganze Dichtung vor. Er hatte noch Montmorency nicht gesehen, und bewunderte die warmen violetten und goldenen Töne des westlichen Himmels und der Waldeshöhen, so nahe beim farblosen Horizont um Paris her. Und dennoch war Paris damals noch weit minder gräßlich, als seit die Höllengeister der Industrie es verpestet! Wenn der Westwind geht, kann man es vor den Dämpfen der Gasfabrik nicht im Tuileriengarten aushalten. Bei Chaillot steigen schwarze Dampfsäulen auf, die den Odem versetzen; das Gehölz von Boulogne ist größtentheils abgeschlagen, nicht minder die Waldung von Vincennes; aus dem köstlichen Garten von Tivoli ist eine ganze Anzahl von Gassen geworden, die nicht breit und nicht hell sind, nur ein Stück des anmuthigen Gartens ist geblieben; die Gärten bei den Häusern im Innern der Stadt sind meistens zu viereckigen Höfen, zu Gassen in den Gassen verbaut; ganze Vorstädte haben sich auf den Ebenen, die früherhin noch Luft nach den alten Vorstädten brachten, erhoben; die Reinigung der Gasröhren, die oft vorgenommen werden muß, vergiftet die Luft in den besuchtesten, volkreichsten Straßen; auch der schöne[358] Garten des Luxemburg leidet von Kohlendampf; der angenehme Baumgarten des Arsenals am Ufer der Seine ist nicht mehr, an seiner Stelle steht ein gewaltiges Gebäude; die schönen Boulevards neufs mit ihren herrlichen Alleen zwischen Gärten und Kornfeldern, wo man Luft schöpfen konnte, stehen jetzt zwischen unansehnlichen Häusern, und was der Verwüstungen noch mehr sein mögen. Unerfreuliche Zeichen der Zeit!

Schon im Herbst 1808 hatten wir in Montmorency eine Verwüstung zu bedauern; einen prächtigen Kastanienwald, den man Rousseau's Andenken zu Liebe »le Monument de Jean Jaques« nannte, weil er oft dort verweilte, kaufte ein H. Bodimant, ließ ihn weghauen, ausroden, in Ackerland umwandeln; er war reich, dieser Bodimant! Die Aussicht von dieser Anhöhe ist die entzückendste der ganzen Gegend. Die Bäume waren kräftig, nie hatte die Axt sie verletzt. Weich bemooste Felsstücke bildeten Sitze. Hier pflegte Jean Jaques mit den Landleuten zu plaudern, die ihn an dieser Stelle aufsuchten und ihm ihr Herz ausschütteten. Wer selbst leidet, weiß immer den besten Trost. Das Volk liebte den Platz, wie das Andenken des Herrlichen, der unter ihnen gewandelt als Freund, als Helfer, wo er konnte. Die Betrübniß war allgemein.

Die Eremitage bewohnte jener Zeit Meister Grétry, der erste volksthümliche Tondichter in Frankreich, der wahrhaft großartig melodiös war, während seine Vorgänger keinen Stil, wenngleich ein angenehmes Talent hatten. Grétry war bedacht gewesen, Rousseau's Möbeln und Schreibpult auf der alten Stelle zu erhalten. Der würdige Meister ruhte dort behaglich auf seinen goldenen Lorbern im Keise der Seinigen, und freute sich der vielen fremden Pilger und Pilgerinnen, die tagtäglich herbeiströmten,[359] nicht allein des großen Andenkens, auch des jetzigen Besitzers wegen. Grétry war ein heiterer, lebensfroher, frischwangiger Greis, den in jener minder polemischen und in ihren Anforderungen noch nicht überspannten Zeit sein errungener Antheil von Bewußtsein und Ruhm vollgenügend erfreute. Seine Umgebungen thaten es ihm hierin noch zuvor, besonders Madame Grétry. Als ihr ein Fremder das Verbindlichste von der Welt zu sagen vermeinte, indem er äußerte, »es müsse sie sehr freuen, daß der Wohnsitz eines so großen Mannes Grétry zu eigen geworden«, erwiderte sie höchst aufgebracht: »Wie können Sie Grétry mit einem Büchermacher vergleichen, der seine Kinder ins Findelhaus geschickt hat?« (Comment osez-vous comparer Mr. Grétry à un faiseur de livres, qui a envoyé ses enfants aux enfants trouvés?)

Die dicke Flamänderin war in diesem Moment Repräsentantin des größten Theils der civilisirten Bevölkerung Europas. In den Augen der Meisten ist der herrlichste unter uns, ein Büchermacher, und die Armuth eines großen Mannes eine Schmach, nicht etwa für sein Land, nein, für sein Andenken! Armer Rousseau! Du, die liebeglühendste Seele, der Kindheit innigster Freund, schicktest deine Kinder in das Findelhaus, aus bitterer Noth, und weil du glaubtest, leichter könnten sie dort Menschen werden, als unter dem Gesindel, mit welchem du dich unvorsichtig umgeben hattest! Noch selten ist der Genius den Schlingen listiger Gemeinheit entgangen. Das erste Geschäft der Genialität ist, mit dem Leben zu zerfallen, nachher mit sich selbst. Unwillkürlich auf die Welt hin verirrt, bleibt Irren ihr Wandel, bis sie Freund Hain findet, wo Wahrheit ihrer harrt, die sie vergebens gesucht, und der sie unbewußt stets aus dem Wege gegangen.[360]

In unserer Nachbarschaft wohnte Grétry's blinder, bleicher Neffe, André Grétry, in den Blattern erblindet, fein gebildet von Gestalt und Angesicht und edel von Gemüth. Vielleicht hätte der reiche Oheim mehr für ihn gethan, wenn seine Umgebungen dafür gewirkt hätten, denn er mochte ihn wol leiden. Karl von Dalberg (meine zwei Knaben in ihrer kindischen Sprache nannten ihn statt Großherzog den Großherz; hier kann das füglich stehen) trat an des großen Componisten Stelle: er überraschte den Neffen, den er bei ihm getroffen, dem sein Elend im Gesicht geschrieben stand, im Jahre 1810 mit einem Jahrgehalt von 100 Carolin. Das erste Quartal lag zur Vorsorge gleich dem Brevet bei, und es ist dies eine Methode zu geben, die ihr Gutes für den Empfänger hat. Im Jahre 1808 war dieser goldene Regen noch nicht herabgeströmt; die enge Wohnung des Blinden umfaßte damals seine Leihbibliothek, die kümmerlich ihre Anschaffungskosten mit wenigen Procenten belohnte; den Kamin, in welchem Sommer und Winter ein knappes, saftloses Mahl gekocht wurde; das eheliche Lager, und die Wiege seines kleinen, unbändigen, hübschen Buben. Das Weibchen war nicht schön, aber frisch, freundlich und fleißig. Die Armuth hatte hier ihren Sitz aufgeschlagen und es sich bequem gemacht, als wollte sie nirgend anders mehr hin. Man fühlte sie mit allen Sinnen.

Aber eines Nachmittags sollte der Oheim kommen. Da hätte man die Anstalten zu diesem Besuch sehen müssen! Das Estrich, mit Asche und Staub ganz bedeckt, bekam unter reichlichen Wasserströmen seine Ziegelröthe zurück; die Fensterscheiben, blind wie der gute André, wurden hell, die schöne grüne Landschaft konnte lustig hindurchschauen, doch sie standen nun offen; Waldblumen, Rosenzweige in Fülle wurden davor hingestellt; frische[361] Luft und Düfte verjagten den moderigen Geruch, der, unzertrennlich vom Wohnsitz des Elends, in eingekeilten Haushaltungen vorherrscht, aus allen schlimmsten Elementen des Daseins zusammengesetzt, wo jeder Qualm und Dunst steuerpflichtig ist.

Nun wurden noch die Betten frisch bezogen, Stühle, Tisch und Bücherbreter sauber gewaschen, und es kam Wein und Kuchen auf den Tisch. Der Oheim kam nun auch, mit seinen übrigen Umgebungen, und groß waren Lust und Dank, denn er trank ein Glas Wein und aß ein Stückchen Kuchen! Das ergriff die junge Frau Grétry mehr, als selbst der Kuß, den er ihrem blonden Buben auf die Wangen drückte. Es war ein angenehmer Nachmittag. Grétry sprach mit mir von der Musik, wie ein Held von der Schlacht: hatte er doch seiner Kunst frische Bahnen gebrochen und den Impuls zur romantischen ernsten Nationaloper gegeben! Der Dichter seines »Richard Löwenherz« wird althergebrachter, in Deutschland stets beliebter Gewohnheit gemäß nie genannt; ich weiß also nicht, wer zuerst unternahm, außerhalb der Mythologie, des Schäferspiels, Zauberprunks und der Posse, ergreifende Wirkungen zu suchen und sie glücklich fand. Wie populär der »Richard Löwenherz« wurde, wie ergreifend das Lied: »O Richard, ô mon Roi, l'univers t'abandonne« wissen wir alle; aber Ludwig XIV. fand keinen Blondel.

Unsere Zeit ist wie Ludwig XIV., von dem die Maintenon klagt, daß sie einen Mann erheitern müsse, der nicht mehr zu erheitern sei. Ich meine indeß nur das vergnügungssüchtige Publikum; der gediegene, wissenschaftlich gebildete Mensch, der wirkliche Künstler steht immer noch auf der Höhe der Gennssesfähigkeit und mit der Frischheit der empfänglichen Seele da, und Strenge[362] der Sitten mit einem edeln Streben gepaart, ist der Cherub, der alle irdischen Paradiese aufschließt. »Zemire und Azor« und ähnliche Opern sind Todes verblichen, »Richard Löwenherz« lebt, so auch »Cherubini's Wasserträger«. Was wachsen und gedeihen soll, muß Grund und Boden haben.

Auch Madame Benjamin Constant de Rebecque, des Fürsten Staatskanzlers Hardenberg's Nichte, brachte mit den andern Bekannten, Koreff, Klinkowström, Hartmann, Oliviers einen Sonntag bei Pilats in Montmorency zu. Sie machte uns kein Geheimniß daraus, daß sie heimlich mit Benjamin Constant verheirathet sei. Diesen Tag, späterhin noch manchen andern, mit ihr beisammen, wurde es mir klar, wie weibliche Feinheit stets überwinden muß, wo sie mit weiblicher Genialität in die Schranken tritt. Sie war weder jung noch schön, mehrmals verwitwet, weder eine großartige, noch eine reichbegabte Natur; Verstand, Annehmlichkeit der geselligen Formen, Takt, Gewandheit sicherte ihr den Sieg über die berühmteste aller Frauen, voll Gemüth, Feuer, Geist, Seele, Großmuth und Größe. Liebe ist eine Maiblume, die keine brennende Glut erträgt, sie erschließt sich nur bei milden Strahlen und ist der Umfriedung kühler Schatten hold. Was der Mann nicht immer neu ersehnen, dem Zweifel abringen, ahnen und hoffen muß, hat keinen Werth mehr für ihn; ein weiblicher Sinn kennt die Grenzen der weiblichen Gewalt, und wird sie nie überschreiten, sich aber doch stets auf dem äußersten Rande seines natürlichen Gebiets zu behaupten wissen.

Wir alle ritten an dem schönen Sommertage, den die interessante Frau in unserer Mitte verlebte, über die Waldeshöhe durch Andilly und St.-Rid nach der Ruine des alten Jagdschlosses mitten im herrlichsten Walde.[363] Selbst die Dawkes hat sie nicht abhauen lassen, aber den schönen Wald hat sie seiner Zierden beraubt, ihn, der eine Lieblingswallfahrt der Künstler war; denn nirgend um Paris her waren noch so herrliche Bäume zu finden. Unser Landschafter Ferdinand fühlte sich hier unbeschreiblich beseligt, und niemals fehlte ihm für seine Empfindungen eine geeignete, überraschende Bezeichnung, die mit wenigen Worten wohlthat und Mitgefühl weckte. Niemandem war Wortkram verhaßter, als ihm.

In Pilat's Hause fügte sich Olivier's Ernst der vorwaltenden Heiterkeit dieses belebten Kreises, ohne daß er deshalb seinen Grundton verloren. Er nahm Antheil, wie sich die Epheuranke durch einen bunten Kranz schlingt und sich ihm wohlgefällig einigt, seine heitern Farben noch erhebend. Es blühte in Pilat's Hause eine liebliche Rose, Luise von Mengershausen, Pilat's siebzehnjährige Schwägerin, so liebenswerth durch innern Liebreiz, heitere Unschuld, zarte Güte, wie durch das, was ihre äußere Erscheinung davon offenbarte, in Gestalt und Wesen. Baron Klinkowström empfing ihre Hand – doch dies holde Geschöpf war der Erde nur geliehen; sehr jung starb sie, sanft und freundlich, wie sie gelebt hatte.

Eine Begebenheit für uns Deutsche war die Verkündigung vom nahen Erscheinen des »Don Juan« auf dem italienischen Operntheater, mit den Recitativen, und des »Figaro« ebenfalls. Ferdinand Olivier vor allen konnte den Augenblick nicht erwarten. Im Jahre 1809 kamen beide an die Reihe. War es die schöne Jugendzeit, war es die Seltenheit solcher Kunstgenüsse in einem so eingerosteten Leben? Ich weiß es nicht, und glaube noch immer, daß es die musterhafte Ausführung war, die diesen Vorstellungen einen so überschwenglichen Reiz verlieh! Unvollständig wird der Genuß bei der[364] Oper bleiben, solange sie auf der deutschen Bühne nicht vollkommen wiederhergestellt wird, wie sie ihr unsterblicher Meister schuf. In Wien, wo der »Figaro« im Jahre 1824 italienisch, in München, wo einmal im Herbst 1832 der »Don Juan« italienisch aufgeführt wurde, hatte ich wieder denselben Genuß, und schwelgte in der unvergleichlichen Anmuth der Uebergänge im Humor und in der Charakteristik des Dialogs, der in der Musik so rasch, bezeichnend und befriedigend ist. Gleichfalls war die Freude der Verehrer Mozart's, groß an dem schönen Abend, wo König Ludwig Mozart's Witwe mit zartsinniger Huld zu der Aufführung des »Don Juan« eingeladen, der genau so wie zu Mozart's Zeit dargestellt wurde, wo das Stück noch seinen Schluß hat, der wohlthuend wirkt und wo unter anderm auch der Geist zuerst im Dunkel der Gewitternacht erscheint und auf diese Weise großartig wirkt, während die ganze Schlußdecoration, von unvergleichlichem Effect, einen würdigen Rahmen zum Gottesgericht und zur Geisterscene bildet. Warum, so könnte man fragen, geschah das nur dies eine mal?

Ich will meiner spätern Begegnung mit Ferdinand Olivier, wie seines fernern Geschicks gleich hier gedenken. Als ich ihn nach unserer Trennung in Paris nach vielen Jahren zuerst in Wien wiederfand, war sein liebenswürdiger Bruder Heinrich schon jenseits; auch seinen Vater hatte er zu betrauern. Diesen lernte ich im Jahre 1814 bei Graimbergs im freundlichen Karlsruhe kennen; ihn begleitete damals seine Tochter Fanny, eine der rosigsten Holdseligkeiten, die je unter Mädchen geblüht. Olivier, der Vater, durch sein geistvolles kräftiges Zusammenwirken mit seinen Freunden Salzmann und Basedow berühmt, war im Sommer 1814 im Auftrage der Frau[365] von Krüdener nach Heidelberg gekommen, Stift Neuburg zu kaufen. Er sollte jedoch über einen gewissen Preis nicht hinausgehen. Als er der Freundin vorstellte, man würde das Stift nicht dafür hergeben, sagte sie fast schmollend: »Ich habe Gott so gebeten, daß ich es haben muß, Gott kann es mir nicht abschlagen!« Olivier's Mühen waren vergebens. Ihn schmerzte der ganze Vorgang tief, wie denn überhaupt Verhältnisse, Meinungen und Richtungen der werthen seltenen Frau seine redlichsten und schmerzlichsten Besorgnisse weckten, welche die Zeit nur zu sehr gerechtfertigt hat.

Ferdinand Olivier, den zärtlichen Bruder und Sohn, fand ich von den Tröstungen seiner neuen Familie umgeben, und ihm zur Seite eine damals noch jugendlich blühende Gattin, die, englischer Abkunft, höchst niedlich die weichen Selbstlauter mit einem h härtete, gleichsam wie an einem zierlichen Ambos glühendes Metall, und die es nicht wußte, welch unwiderstehlichen Zauber fremdartiges Sprechen rosigen Lippen leiht. Diese Engländerin mit den glänzenden weichen blonden Locken, und der durchschimmernden Lilienhaut zart getuscht mit lieblichem Roth, und mit ihren Veilchenaugen, war die schöne Mutter zweier blühenden Söhne, davon einer, der Sohn Ferdinand's, damals noch auf dem Arm getragen wurde, und zweier wunderschönen Töchter, die älteste dazumal dreizehn Jahre. Musterhaft als Hausfrau und Mutter, edel und offen, wie man sich gern eine Britin denkt, war sie den Ihren wie den Freunden schätzbar und werth in seltenem Grade. Sie vielleicht, mit dem warmen innigen Hauche ihrer Neigung, hatte Ferdinand's Selbstvertrauen belebt und erkräftigt, denn ich fand ihn rüstig bei der Arbeit, und ich gedenke mit Lust seiner tiefsinnigen glutvollen Compositionen, wie seiner Gemälde nach der Natur.[366] Eins darunter, ein Juwel von Frische und Treue, stellte eine Partie aus der Umgegend von Baden bei Wien dar, nämlich die unvergleichlichen uralten Linden unweit des Doblhof'-schen Gartens, die eine Gruppe bilden, vor der ich oft in Begeisterung verweilte; der Wiesengrund, dessen schimmerndes Grün rosige Waldnelken, goldene Arnica und leuchtende blaue Enzianen schmücken, der klare lebensvolle Bach, und der ganze friedlichholde liebkosende Reiz der Gegend umher sind ein Idyll, das einen Olivier begeistern mußte; und so treu hat er es nachgedichtet, daß es die Seele des Beschauers mit seiner süßesten Bezauberung umfängt. Es ist sein heiterstes Bild, hervorgegangen aus dem freundlichsten Eindruck der saftigen, quillenden Fülle von Reiz und Frieden jener gesegneten Gegend.

Wehmuthvoll, obgleich süß wie der Nachtigall Lied in der Wehmuth, ist die Kartause bei Salzburg, eine der hinreißendsten Schöpfungen Olivier's.

Schwer weiß sich oft das heimtückische Glück an den Edelsten und Trefflichsten zu rächen, die an seinem Altar nicht opfern wollen. Ferdinand von Olivier huldigte nicht um ein Haar breit Fortuna's Launen. Er gehörte auch zu unbedingt seinem Genius an, um pünktlich bestellte Werke zu Zeit und Stunde abzuliefern. Sowie ein neuer, großer Gedanke in seiner Seele Funken schlug, gab er sich hin; auch bedurfte er mitunter der Rast, um Neues in sich selbst vorzubereiten: denn ein schöpferischer Geist kann kein dienstbarer Geist sein, höchstens nur dann, wenn Stimmung und Gegenstand in Einklang kommen, kann einer schaffen was er nicht blos will, auch soll.

Im Jahre 1830 fand ich Olivier in München wieder, im vielfach belebten Familienkreise, unter einem Dache mit dem berühmten Künstler Schnorr von Karolsfeld, Gatte[367] seiner ältern Stieftochter, wie zugleich mit seinem verdienstvollen Bruder Friedrich von Olivier, dessen innig gemüthvolle Compositionen das Gepräge seiner Seelenanmuth, seiner Herzensreinheit, und seines echt frommen Sinnes sind; sie erinnern nicht durch Reminiscenzen, sondern durch Innigkeit und keusche, reine Formen an Rafael.

Ferdinand von Olivier's Lage fand ich im Jahre 1830 in München nicht auf der Höhe seines Ruhmes. Er lebte nicht mehr lange, ihn mußte die innere Glut, diese unaufhaltsame Heimbeförderin der Erdenpilger, verzehren. Er wurde nicht lange und noch vor seinem Hinscheiden mit einem Amt bekleidet, dessen Verwaltung er nicht besonnen genug versah; dies stürzte ihn in einen Abgrund von Sorgen. Tadelnswerther als seine Vernachlässigungen war der Misgriff, daß man dem großen Meister solche Mühwaltungen aufbürdete. Das heißt mit einem Solitär Glasscheiben schneiden!

Seit Friedrich in Dresden kannte ich keinen gedankenreichern Landschafter als Ferdinand Olivier, der durch die Seele der Wehmuth, die in seinen Werken glüht, wenn auch auf anderm Wege, lebhaft an Ruysdael erinnert. Olivier's Trauer ist trostlos, die des herrlichen Friedrich ist feierlich, innig; Ruysdael weint wie süße, einsame Liebe. Friedrich Dahl, der sinnig heitere, stets jugendfrische, verdient neben diesen Meistern genannt zu werden; wegen des Gegensatzes zu Ruysdael möchte ich Claude Lorrain den ersten Liebeskuß nennen, Ruysdael die erste Liebeszähre. Sehen wir nun von den so durchaus entschiedenen Eigenthümlichkeiten dieser vier Meister ab, und wenden uns zu all den Landschaftern hin, die Herrliches, Ansprechendes, Erfreuliches geleistet, in großem Maßstabe, in unübertrefflich technischer Vollendung, und[368] zollen wir dieser Eigenschaft allen Dank, alle Verehrung, deren sie würdig: so haben wir doch mehr für die Angen, aber weniger für das Herz; der Sinnenzauber, jetzt das eifrigste Bestreben aller Kunst, läßt das Herz leer. Ueber dies Streben geht die schöpferische Seele des Künstlers verloren. Beides ist unvereinbar. »Wer Eine dieser Schwestern fand, begehre der andern Schwester nicht.«

Mit dem eben Gesagten will ich nur den Eindruck bezeichnen, den die Werke dieser Meister auf mich gemacht, ohne mir ein geltendes Urtheil über sie anzumaßen; überdies fehlt in dieser Zusammenstellung eine Name: Krause, den ich erst im Jahre 1842 in Baden kennen lernte, und der später in Italien lebte. Er hatte einige Jahre in Südamerika zugebracht, und dort die wunderherrlichsten Landschaften ausgenommen, prangend


In einem höhern Sonnenlichte,

In einer reicheren Natur.


Nach seinen Farbenskizzen malte nun der junge geniale Meister die Bilder in größerm Maßstabe in Deutschland aus: Felsen, Waldungen, Fluren, Ströme, Bäche, und dennoch alles neu, nie zuvor gesehen, in der tiefen milden Glut, im durchsichtigen Schimmer der Farbe, in der freien Ursprünglichkeit des Baumwuchses, den nie eine Art verkümmert, in der Harmonie der Musik, der Farbengebung, deren Treue zur Seele tönt, wie ein großes entzückendes Wort aus Freundesherzen. Nie inniger, nie lieblicher waren Ernst und Anmuth, Schönheit und Trauer in Kunstwerken verschmolzen, nie die Verhältnisse in verjüngtem Maßstab entsprechender der Größe des Gegenstandes in ihrer Wirkung, als sie beim Anblick dieser Gemälde empfunden wurden.

Ferdinand's edle Gattin, meine unvergeßliche Freundin, war ihm nur kurze Zeit vorausgegangen, nicht mehr[369] jung, allein viel zu früh für alle Liebe, die sie umgab, für alle Gegenstände ihrer Muttertreue, ihrer zärtlichen Mühen und Sorgen. Eine Menge lieblicher Enkelkinder umgab sie; schöne, verheißungsvolle Geschöpfe! Die Freuden einer Großmutter, die ich zwar in meiner eigenen Familie sehr mangelhaft genossen, sind noch höherer Natur, als die einer Mutter; beim Anblick holder Enkel ist's, wie wenn in einem schönen Nachsommer die Bäume wieder blühen und noch einmal Früchte tragen; ein neuer Frühling des Daseins beginnt, indeß das Herz, schon in den Friedensport eingelaufen, nichts mehr von Täuschungen weiß, und sich ganz der reinsten Freude hingeben kann. Doch ich kehre von dieser Abschweifung zu meinen pariser Erinnerungen wieder zurück.

Pilat hatte sich das Vergnügen gewährt, uns mit Gall zusammen zu Tische einzuladen und keinem von uns beiden zu sagen, wer der andere war. Ich hatte erfahren, daß Napoleon geäußert habe, er glaube nicht, daß sich die Natur so grober Merkzeichen bediene, um die innere Befähigung eines Menschen kund zu geben. Wie dem auch sei, so muß ich einige Aeußerungen Gall's über mich hierhersetzen, mit denen späterhin Dr. Milne Edwards bei Untersuchung meines Schädels durchaus übereinstimmte. Ich hatte meinen ältesten Sohn bei mir; Dr. Gall fand seinen Kopf weit über seine Jahre hinaus ausgebildet. Bei Wilhelm wie bei mir fand er die Poesie reichhaltig bezeichnet. Pilat sagte ihm zuletzt, wer ich sei; er freute sich sehr, und sprach nun noch offener als zuvor. Er meinte, ich liebe meine Kinder unendlich, allein ich sei nicht geeignet, mich mit ihnen zweckmäßig zu beschäftigen. Es fehle mir an Geduld für das Kleine, aus welchem doch im Grund die große Hauptsumme[370] hervorginge, deren das Mutterthum bedürfe, um vollgültig zu wirken. Gall war so einfach in seinem Bezeigen, als scharfsinnig in seinen Wahrnehmungen und klar in seinen Urtheilen. Sein Aeußeres zeugte von Ernst und Lebhaftigkeit; er blieb mir unvergeßlich.

Die angenehmsten Stunden brachte ich bei Henriette Mendelssohn zu. Oehlenschläger las uns dort die Uebersetzung seiner dänischen Dichtungen; er sprach mit Liebe und Glut von unsern herrlichsten Dichtern, die nun alle vorangegangen sind. Er selbst, der Ebenbürtige, stand ihnen mit heiterer Zuversicht gegenüber.

Aus Henrietten's Kreise wie aus ihrem Wesen war jede Anmaßung, jede Halbheit verbannt. Die belebendsten ihrer Gäste waren: Dr. Klinger, Brönsted, Koes, Varnhagen, Oersted, vor allen Oehlenschläger. Die Familie Pilat war nicht in diesem Kreise, denn Pilat konnte wegen seiner vielen und vielsagenden Geschäfte nur in seinem Hause Gesellschaft sehen. Koreff, Klinkowström bewegten sich in allen diesen Kreisen. Ich war unfähig, an allem theilzunelnnen und jemand bei mir zu sehen; doch ich vermißte nichts, wenn Chézy bei mir den Abend zubrachte.

Der Winter enteilte. Es war der erste und letzte meines Lebens in Paris, den ich gern zurückgehalten hätte; mir ahnte, daß ihm kein ähnlicher je folgen werde. Man lebte damals noch wenigstens in unserm Kreise in ziemlich ungetrübtem Lebensgenuß hin. Die Sphinx zeigte noch nicht ihre Tatzen. Die Gegenwart bot so reiche Genüsse, daß wir nichts anderes ersehnten, als was sie gab. Wir fühlten uns wie in einem blumenreichen Garten, voll Duft und Nachtigallenklängen.

Frau von Wolzogen fehlte uns empfindlich. Sie war die erste deutsche Schriftstellerin, die ihren Schwung weit[371] über den Standpunkt hinaus genommen, welchen man als den des Romans bezeichnete. Anmuthig, zart und tief wie die Graffigny, wie die Lafayette, keusch wie jede Frau schreiben soll, fest und rein in den Umrissen ihrer Gestalten, in der Färbung ernst und zart, bringt sie in ihrer »Agnes von Lilien« ein treues Bild der vornehmen Gesellschaft ihrer Zeit, ihres Kreises, ihres Innern.

Es gibt noch Menschen wie damals, aber der geistige Boden der Welt hat eine andere Schicht angesetzt. Vieles, was früherhin die Menschheit erregte, beseligte, erhob, liegt als Fossil unter dieser Schicht.

Frau von Wolzogen war die Schwägerin Schiller's, prangte als Blüte des Frühlings jener schönsten Tage Deutschlands, Weimars. Neben ihr erschloß sich der Geist der Amalie von Imhof, auf welchen alle die großen Geister jener Tage mit Liebe hinblickten. Sie schrieb »Die Schwestern von Lesbos«, dann ihr zweites großes Gedicht, »Die Schwestern von Corcyra«, späterhin ihre »Legenden«, die, rein von Frömmelei, die Lesewelt erfreuten. Sie stand neben Frau von Wolzogen, wie die eben aufgeblühte Rose neben der prachtvollen ausblühenden. Die Reinheit und Würde beider Dichterinnen beurkundete ihre Seelenverwandtschaft. Beider Schicksal war lange beneidenswerth und hatte viel Aehnlichkeit miteinander. Die Arlequinpritsche der verkleinernden Kleingeister war niemals, auch in der fernsten Ferne, gegen sie geschwungen worden, und würde es auch jetzt nicht werden, wo die Verleugnung und Anfeindung der meisten Männer ihr muthwilliges Wesen treiben, um Weiber zu bestrafen, daß sie denken können. Auch Mendelssohn's älteste Tochter, Dorothea Schlegel, versteckte sich unter den Adlersfittichen ihres Mannes, wenn sie schrieb. Unter ihren Aufsätzen stand ein D.; nur ihre Freunde kannten es[372] und waren werth, seine Bedeutung zu wissen; ihre Werke waren ein köstlicher Schmuck mit Blumen verwebt, mit welchen sie Friedrich's Standbild umwand.

Friedrich Schlegel hatte von mir verlangt, ich solle mir eine Chiffre wählen, nur Dichtungen, nie in Prosa schreiben. O, wie hatte er recht! Aber er hatte sich nicht über den eigentlichen Sinn seiner Meinung ausgedrückt, um sie verstehen zu können. Der Haufen der Kläffer, die gern einen weiblichen Namen anfallen, wagt sich am liebsten dahin, wo äußerer Schutz fehlt; wenn das auch nicht edel ist, so ist es doch bequem.

Die Franzosen sind dem weiblichen Genius wenigstens minder abhold als die Deutschen. Diese Eigenschaft beweist, daß ihre Bildung harmonischer ist als die unsers Volks, und daß sie größern Nationalstolz besitzen als unsere werthen Landsleute; denn der Franzose liebt alles, was den französischen Namen verherrlicht. Ich glaube nicht, daß jemals eine Juliette Récamier in Deutschland aufblühen werde, sowenig wie es in jetziger Zeit in Frankreich geschehen könnte; denn der Sinn für eine Größe, wie die ihrige, ist verschwunden, wenn er sich auch noch bei Einzelnen findet.

Der schöne Kreis, von welchem auch Fräulein Therese aus dem Winkel eine Zierde war, verlor diese durch ihre Abreise nach Deutschland. Viele andere seiner bedeutendsten Mitglieder verließen Paris. Ich und meine Kinder waren dort sehr unglücklich, wiewol wir einen Theil des Jahres in Montmorency zubrachten; denn es war doch Deutschland nicht, wohin ich mit allen Seelenkräften strebte. Unbestimmte düstere Ahnungen weissagten mir Unglück über Paris, vielleicht weil ich selbst unglücklich war. Es gelang mit großer Mühe, Chézy zu[373] bewegen, daß er mich fortließ. Mein Jammer bei diesem Scheiden kann nicht mit Worten bezeichnet werden. Ein einfaches Lied, welches ich damals dichtete, möge ihn hier bezeichnen. Es ist kein Lied, es ist Herzblut!


Muß ich trostlos einsam scheiden,

Liebesthal, mein stilles Glück!

Bleiben alle deine Freuden

Nun in deinem Schos zurück?


Dunkel ist der Pfad des Lebens,

Keinem Ziele wall' ich zu;

Alles Streben war vergebens,

Hin ist alles, selbst die Ruh'.


Lebet wohl, ihr Blumenwiesen,

Lebe wohl, geliebter Wald,

Wo die regen Bächlein fließen,

Nachtigallenlied erschallt.


Ach, ich werd' euch nur in Träumen,

Sel'ge Schatten wiedersehn;

Werd' ich hier in stillen Räumen

Nicht ein ruhig Grab erflehn?


Ueberall gibt's Wald und Auen,

Hütten froh und frei bewohnt,

Wo mit seligem Vertrauen

Süße Liebe Treue lohnt.


Mir nur blüht auf weiter Erde

Nirgends eine Heimat mehr;

Wo ich noch verweilen werde,

Bleibt mir alles wüst und leer.


Andre Hütten, andre Auen,

Mit dir geht mein traurig Herz;

Will ich in die Ferne schauen,

Such' ich doch nur meinen Schmerz.
[374]

Thränen send' ich zu deu Sternen,

Thränen sinken in die Flut,

Gram wird sich nur dann entfernen,

Wenn mein Herz gebrochen ruht.


Und ich hatte zwei liebe Kinder, voll von geistigen Anlagen! So undankbar ist der Mensch gegen Gottes Gaben. Ich konnte sie nicht zurücklassen, wiewol Chézy meinte, es wäre besser, daß ich es thäte. Aber ich hatte viel ernste Gründe, sie mit mir zu nehmen, und Chézy, der mich weinen sah, war nicht grausam. Er fühlte, welches einige meiner Gründe sein mochten, und ehrte sie. »Du liebst mich«, sagte er, wenn ich in Thränen hinströmen wollte, und ein Strahl der frühern Innigkeit glänzte in den seinen. »Mein Herz ist einzig auf der Welt«, sagte er und umschlang mich.

Einige Wochen darauf brachte er mich an den Reisewagen nach der Vorstadt St.-Antoine, wo schon Glinz, ein geistvoller, wackerer Künstler aus St.-Gallen, bereitstand, mich zu begleiten, wie ihn Chézy gebeten hatte, da er gerade nach der Schweiz ging. Mein Reiseziel war Heidelberg. Beim letzten Kuß sagte mir Chézy mit wehmuthvoller Stimme: »So geh denn mit Gott! Wir sind nicht geschaffen, uns fern zu bleiben, du wirst wiederkommen.« – »Sobald du mich verlangst«, war meine Antwort. Der Wagen rollte fort. Glinz ehrte meinen Schmerz und schwieg. Die Kinder waren wohlgemuth und freuten sich des Reisens; sie hatten ihren Vater nur selten gesehen, oft in vierzehn Tagen nicht. Wenn wir in Paris waren, besuchte er uns auch nur sehr selten, namentlich in der letzten Zeit. Sein Herz und Wesen war uns entfremdet worden. Das Studium des Sanskrit hatte einen größern Antheil an dieser unheilvollen Veränderung, als die verblendeten Menschen,[375] welche sie veranlaßt hatten. Chézy überbot Geistes- und Lebenskraft durch eine Arbeit, die er mit zu großem Selbstvertrauen übernommen hatte. Die herrliche Grammatik von Wilkins erschien drei Jahre zu spät für ihn. Sie gelangte zu ihm, als er schon im Stande war, viele Stellen darin zu verbessern, andere mit lichtvollen Anmerkungen zu begleiten. Wilkins hatte Freude darüber. Ein großer Gelehrter kennt nicht den Neid, nicht kleinliche Empfindlichkeit, und erfreut sich der Fortschritte des Mitbewerbers auf seiner eigenen Bahn.

Chézy hatte auf dem europäischen Continent keine Mitbewerber, als nachdem er sich selbst welche erzogen hatte. Er erntete den schwärzesten Undank von mehreren. Die, welche ihm Dank und Liebe zollten, habe ich im Laufe dieses Werks schon früher genannt; ich füge ihren Namen hier nur noch die von Samuel Munk und Fauriel hinzu. Einige der berühmtesten Indianisten, für die er ein Vater war, die ihm alles verdankten, wünschte ich jener glänzenden Reihe zuzählen zu können; doch ihnen genügte der Ruhm, in ihrem Fache zu glänzen, und sie rangen nicht nach dem Bewußtsein, ihres großen Meisters Herz zu erfreuen. Ja, es gab einige unter ihnen, die sich nicht entblödeten, ihm durch Ränke zu schaden, die Bestrebungen zu seinem Emporkommen zu vereiteln, und ihrem Neid und Haß noch über seinem Grabe hinaus Luft zu machen. Eins der Mitglieder dieser schwarzen Bande – der nicht Chézy's Schüler war, ein seinwollender Orientalist, der allerdings mehr Chinesisch konnte, als z.B. ich, und vor mehreren Jahren starb – wagte es, den edeln Todten, der noch kaum erkaltet war, öffentlich im »Moniteur« mit Schmähungen anzufallen. Er sagte unter anderm in seiner Diatribe, daß die göttliche Vorsehung von Zeit zu Zeit[376] Ersparnisse für Frankreich besorgte, indem sie z.B. Chézy, der wenig Nutzen mehr stiftete, bei Zeiten von der Erde genommen habe. Silvestre de Sacy trat in demselben Blatte zum Schutze seines verklärten Freundes Chézy auf, zwar nur in wenigen Zeilen; allein diese genügten, Herrn Julius Klaproth niederzudonnern. Er wirkte seitdem nur insgeheim gegen Chézy's Namen. Er hatte sich so mit manchen andern Functionen befaßt, daß er seine chinesischen Nachforschungen nur noch lau betrieb. Man fand ihn meistens in den Kreisen der Herren, welche man die Parias der Diplomatie heißen könnte. Dies waren sehr angenehme und geistvolle Männer, welche man hier und da antraf, ohne ihre eigentliche Beschäftigung zu errathen. Man konnte sie frequentiren, ohne von ihrem Gewerbe zu sein, allein nicht, ohne in den Verdacht zu kommen, daß man zu ihnen gehörte; denn viele wußten darum.[377]


Quelle:
Chézy, Helmina von: Unvergessenes. Leipzig 1858, Band 2.
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