XIV.

§ 155. Edelmann vefällt unter die Inspirirten zu Isenburg.

[295] »Ueber der Zeit (nemlich da ich noch bei Hrn. Haugen war) war er auch mit denen Inspirirten, und besonders mit dem bekannten Hofsattler zu Isenburg, Joh. Friedrich Rock in Bekanntschaft gerathen, unter welchen Leuten er heyrathen solte, bald aber in Uneinigkeit, sonderlich wegen des, von Hrn. Dr. Herrmann vertheidigten lauten Betens geriethe, und zur Dankbarkeit schrieb: Breite Schläge auf der Narren Rücken.

§ 156. Das meiste von dieser Erzehlung hat der Leser aus dem vorigen Absatze schon vernommen, nur ist zu mercken, daß ich nicht mit den Inspirirten zu Isenburg, sondern mit den Homburghäusern, und Berlenburgern zuerst bekannt worden, und daß der Rock nicht zu Isenburg, sondern zu Himbach im Isenburgischen gewohnt: Mein Lebens-Beschreiber bricht auch bey diesem Absatze so kurz ab, daß er das merkwürdigste, was mir nach dem Abgange von den Inspirirten in Berlenburg begegnet, und welches beynahe eine Zeit von 4 Jahren ausmacht, gänzlich unberührt läßt. Ich werde also diese Lücke, so gut ich kann, zu ergäntzen suchen.

Die Inspirirten, die nunmehro gesehen hatten, daß ich im Stande war, das zu verläugnen, woran sie sich gestoßen hatten, konnten, ungeachtet ich nun weiter nichts mehr mit Ihnen zu thun hatte, doch noch nicht ruhen, sondern schickten mir, ehe ich michs versahe, wider eine Aussprache zu, in welcher ich mit dem Lucifer verglichen wurde, der sich nicht vor Gott hätte demüthigen wollen, aber eben Dieses seines Hochmuthes wegen, zur Hölle wäre verstoßen worden, und so würde mir es auch gehen.

Ich hatte damals noch nicht das Herz; diesem, aus einer puren Pfaffen-Ignoranz entstandenen Gespenste nach der Larve zu greiffen: Aber Gott lenckte meinen Gedancken auf eine etwas aufmercksamere Betrachtung des Wortes Lucifer, und da fand ich leicht, daß es seinem eigentlichen Wortverstande nach, gar nichts fürchterliches, sondern was erfreuliches bedeutete.

§ 157. Ich würde aber diese erfreuliche Bedeutung, was ich auch hätte sagen mögen, meinen beyden blöden und durch falsche[295] Auslegung nunmehro gewitzigten Glaubens-Genoßen, nimmermehr haben faßlich machen können, wenn mir Gott nicht mit einem Biblischen Spruche zu Hülfe gekommen wäre, in welchen klärlich stund, daß der Lucifer in unsern Herzen aufgehen müsse, woraus man klärlich siehet, daß alles zu seiner Zeit helfen muß, wenn man eine redliche und lautere Absicht hat. Denn

Wie ich dem Br. Langenmeyer, der zu guten Glück Lateinisch lesen konnte, den Spruch 2 Petri 1, 19 aufschlug, und er nunmehro sahe, daß würcklich in der Bibel stund, daß der Lucifer in unserm Herzen aufgehen müste, wenn es Tag darin werden solte, so wuste er nicht, ob Er seinen Augen trauen solte, und ich glaube, Er würde sich noch nicht gegeben haben, wenn nicht des andern Tages der Hr. Prätorius aus Schwartzenau zu uns gekommen wäre, der Ihm, als ein unparteiischer gestehen muste, daß eben dieses Wort auch im Grund-Texte stünde.

Es wurde aber dieser ehrliche Mann (der sonst recht froh war, daß ich nichts mehr mit den Inspirirten zu thun hatte) bey diesem unvermutheten Anblick eben so stark betroffen, als der Br. Langenmeyer, und es wuste sich keiner von beyden aus dem Hampfe zu helfen.1 Ich aber machte den Schluß: Wenn der heil. Geist das Neue Testament dictirt hat (welches wir damals alle drey noch vor bekannt annahmen) und derselbe uns durch Petrum versichern läßet, daß der Lucifer in unserm Herzen aufgehen müße, wenn es in demselben Tag werden solte; so müste der Lucifer kein so scheußlicher Teufel seyn, als wir bisher geglaubet, und es erhelle daraus, daß der Geist des Rocks, der den Lucifer als einen Rebellen Gottes vorstellete, und zur Höllen verstieß, nicht der Geist der Apostel seyn müßte.

§ 158. Sie konnten nichts darauf antworten, zumal da ich ihnen zeigete, daß die Gottesgelehrten selber, den Lucifer, der vom Himmel gefallen seyn solte, vor dem König Nebukadnezar hielten, und daß nur die Ignoranz der Pfaffen einen Teufel daraus gemacht hätte.2 Wer mir damals hätte sagen sollen, daß ich dieser so unvermutheten Lichtes-Spur bald weiter nach geben, und in der That zeigen würde, daß der Lucifer würcklich in meinen Herzen ausgegangen; und zwar dergestalt, daß ich in Kraft dieses Lichts, den Teufel und seine[296] Großmutter würde verjagen können, dem hätte ichs wohl nicht geglaubt. Es erfolgte aber doch, wie wir hören werden, wenn mich der Faden meiner Historie auf diese Umstände leiten wird.

Damals sahen dieselben gar nicht darnach aus, vielmehr hatte es das Ansehen, daß ich nicht mehr weit laufen würde. Denn mein äußerer Zustand war so armselig, als Er in meinen Leben noch nie gewesen war. Es war nicht anders, als wenn meine bisherigen wenigen und unvermögenden Freunde, deren Scherflein doch bisweilen noch etwas zu meiner Nothdurft beigetragen, alle ausgestorben, oder doch nicht mehr im Stande wären, mir weiter etwas von dem ihrigen zufließen zu laßen, und ob ich schon in meiner Arbeit unermüdet fortfuhr, so sahe ich doch keine Möglichkeit, etwas von derselben drucken zu laßen.

In der Fremde war ich, kaum ein Paar Batzen hatte ich noch; meine Kost hatte ich, bei der Schw. Schelldorfinn, weil ich nicht wuste, wo ich die Bezalung hernehmen solte, bereits aufgesagt Leben muste ich gleichwohl; keine Mittel sahe ich, wovon; keine Gelegenheit etwas zu verdienen, zeigte sich; die Prophezeyung des Rocks, daß ich nacket und bloß von Berlenburg würde weg müßen, beängstigte meine Phantasie aufs neue. Denn es hatte alles Ansehen darzu; Eine Woche hatte ich bereits nichts anders, als Wasser und Brodt genoßen; wo ich weiter was würde bezahlen können, wuste ich nicht; Schulden aufs ungewiße machen konnte und wolte ich nicht; Meinen bisherigen Kost-Leutchen (die sich meine Umstände jammern ließen, und mich baten, nach wie vor, mit Ihnen zu eßen) zur Last zu fallen, war mir unmöglich; stehlen durfte ich nicht, und dem Inspirations-Geist ums Bauchs willen zu heucheln, war mir unerträglich.

§ 159. In Summa, es waltete damals eine solche Prüfungs-Stunde über mich, daß ich mehr als einmal zu Gott seufzte: Helf mir, Gott, denn das Wasser geht mir, bis an die Seele! Diese Seuftzer nöthigte mir mehr das Gefühl meiner äußeren hülflosen Umstände ab, als das ich in meinem Gemüthe, durch alle diese Stürme, die mich fast auf einmal überfielen, hätten sollen kleinmüthig werden. Denn zum Preise meines Schöpfers muß ich sagen, daß ich nie in meinen Gedancken freudiger gewesen, als damals. Es dünckte mich immer, als wenn jemand zu mir spräche: Wenn die Noth am grösten, ist Gottes Hülfe am nächsten. Ob ich nun schon nicht sehen konnte, woher diese Hülfe kommen solte, so war ich doch in Gott getrost, und dachte, der Mensch müße erst alles mögliche[297] versuchen, ehe er sich einer außerordentlichen Hülfe von Gott versprechen könnte.

In diesen Gedancken, die mich abermal keine kleine Verleugnung meines natürlichen Hochmuths kosteten, sann ich hin und her, was ich doch, zur Fristung meines armen Lebens, ehrlicher Weise, und ohne meinem Nächsten zur Last zu fallen, wohl vornehmen könte, wenn es Gott, wie es schien, nicht weiter gefallen solte, dasjenige, worzu Er mir die meiste Geschicklichkeit verliehen hatte, ferner auszubeßern. Denn ich mochte mich untersuchen, so genau, als ich wolte, was eigentlich vor ein Talent mir gegeben sey, so konnte ich doch nichts finden, wozu ich mehr Lust und Neigung gehabt hätte, als die Mängel, die ich in der Religion entdeckt hatte, zum Nutzen meiner Nebenmenschen, in Schriften kund zu machen: Allein auch diese Neigung muste in den Tod, damit nicht mir, sondern dem großen Gott, die Ehre bleiben möchte, von allem, was nach der Zeit durch meine Wenigkeit verrichtet worden.

Es dünkte mir damals, weil ich so gar keinen Weg vor mir sahe, auf welchem ich meinem bisherigen Geschäfte hätte nachgehen können, mein Periodus in dieser Arbeit sey nunmehro aus, und Gott würde schon andere und geschicktere Werkzeuge bey der Hand haben, die das, was ich angefangen, würden ausführen müßen. Ich war auch, auf gewiße Maaße froh, daß mir Gott ein Amt abgenommen, wobey so wenig Vortheil vor das zeitliche Leben zu finden, und dachte doch, nichts desto weniger, nach meinen damahligen Begriffen von der Wiedergeburth, in welche Materie ich mich ganz verbildet hatte, Gott könne mir auch, wenn ich gleich nichts mehr schreiben solte, einen Martyrer-Tod zu erlangen, vielleicht hätte ich noch nicht Kräfte genug darzu, vielleicht war ich zu voreilig, vielleicht zu vermeßen, und was dergleichen unter einander laufende, und mir alle nichts zu eßen anweisende Phantasien mehr seyn mochten.

§ 160. Des Leibes Nothdurft lehrte mich also, mein Gemüth mit andern Gedancken zu beschäftigen, und auspfündig zu machen, wie ich mein Leben, auf eine ehrliche, und meinen Kräften gemäße Art fristen möchte; und da fiel mir ein, dem Br. Langemeyer mein Zinn, und ander Hauß-Geräthe zu geben, damit ich die Kost, auf eine Zeit lang, wider bey ihm haben möchte, zugleich aber bat ich Ihn, mich als einen Lehrling bey seinem Handwercke mit aufzunehmen. Er nahm den Vorschlag an, und ich wurde, im Ernst, ein Borten-Würcker-Junge.

Ob Paulus, wenn Er sich nicht allemal vom Evangelio nähren konnte, den Entschluß würde gefaßt haben, sein Zeltschneider-Handwerck[298] erst als ein Lehrling zu lernen, das will ich an seinen Ort gestellt seyn laßen: So viel aber ist gewiß, daß Ihm eine Arbeit, zu welcher er von Jugend auf gewöhnet war, bei weiten nicht so sauer ankommen müßen, als mir die meinige, von der ich nie den geringsten Begrif gehabt, und die, wegen der subtilen Materie, mit welcher ich zu thun hatte, um einen guten Centner mehr Phlegma erforderte, als ich von Natur besaß, denn ich kann mit Wahrheit sagen, daß mir nach der Hand mein Holtz-Hacken, graben, jäten und Garten-Wege ausstoßen, oder andere, bloß Kräfte erfordernde Leibes-Arbeiten, nie so sauer worden sind, als diese Mausel-Arbeiten.

Das erste was ich lernen muste, war, ungezwirnte Seyde wickeln, wobey ich alle, meine Gedult zusetzte, und nicht glaubte, daß ich das Tändel-Werck lernen würde. Mein Lehrmeister konnte oft das Lachen nicht laßen, wenn Er die wunderlichen Stellungen betrachtete, die ich dabei machte. Endlich begrif ichs doch, und der Muth Wuchß mir, was weiteres zu lernen. Er sezte mich hierauf an den Webstuhl, und ich muste anfangen Bändel zu machen. Diese Arbeit, wobey ich den ganzen Tag mit Händen und Füßen zappeln muste, machte mich, als ungewohnt, so müde, und grif insonderheit den Rücken und Lenden so an, daß ich des Abends, wenn ich zu Bette gieng, kaum vor Müdigkeit schlafen konnte.

§ 161. Wie ich aber von Tage zu Tage immer beßer ins Geschicke kam, und, zur Freude meines Lehrmeisters, die aufgegebene Arbeit immer förmlicher machte, so verdoppelte ich auch meinen Fleiß, und war recht im Herzen vergnügt, daß mir Gott eine so gute Gelegenheit angewiesen, mein bißgen Brodt ins künftige, auf eine ehrliche Art, ohne zerstreuende Herrschafts-Dienste, in aller Stille und Einfalt zu gewinnen.

Ich dachte nun an nichts weniger, als jemals einen Buchstaben wider, von meiner bisherigen Arbeit zu schreiben, und mein Wirth, der Becker Zepper, der das Bücher schreiben in seinen weisen Gedancken, theils vor keine, theils vor eine unnütze Arbeit hielt, kam, wie Er hörte, daß ich Bändel zu machen angefangen, voller Freuden zu mir, an meinen Webstuhl, legte seine heilige Hand auf mich und sprach: Du wirst dich nähren deiner Hände Arbeit, wohl dir, du hast es gut! Diese Worte schienen zu erkennen zu geben, daß der gute Mann nicht geglaubt, daß ich mich bisher meiner Hände Arbeit genähret; aufs wenigste dachte Er, daß diese Handarbeit beßer vor mich sey, als das Bücher-Schreiben.

Ich nahm seine Prophezeyung mit fröligen Herzen an, wuste[299] aber nicht, daß Gott meinen Händen bald wieder eine Arbeit bestimmen würde, die dem ehrlichen Zepper noch weniger, als die erste gefallen muste. Inzwischen that ich das meine, auf meinem Handwercke treulich, und lebte den Inspirirten zu Troz (die immer dachten, es würde die Weißagung ihres Propheten nun bald an mir erfüllet werden) mit meinem Lehrmeister und seiner alten Meisterin, recht vergnügt.

§ 162. Wir waren von allen Secten-Gewürcke nunmehro frey; wir lasen die Bibel allgemach mit Aufmercksamkeit und eigenen Nachsinnen; wir fanden manches, so uns bedencken machte, wir hatten aber nicht das Herz, solches aus dem Grunde zu untersuchen, wir nahmen also unsere zuflucht zu mystischen Auslegungen; Wir lasen des Mattheä Meyers, Scleys,3 Hoburgs und andere dergleichen Schriften, nirgend aber fanden wir mehr Vergnügen, als wenn wir, bey schönen Wetter, sonderlichs des Sontags, in dasigen Gegenden, über Berg und Thal Spaciren gingen, und Gott in der Natur betrachteten.

Wir wusten Anfangs nicht, daß das der beste, nützlichste und vergnügenste Gottesdienst sey, lerneten es aber bald, aus der angenehmen Empfindung, wodurch bisweilen alle Sinne auf einmal aufs süseste gerühret, und das Gemüth, in der Majestätischen Stille, die es umgab, zum Lobe des Schöpfers ermuntert wurde. Die Veränderungen, die wir bey diesem, uns mehr von Gott, als Ihm von uns erzeigten Dienste genoßen, waren unzehlig, und doch alle so reitzend, daß wir uns gegen einander rechtschafen auslachten, daß wir so lange solche Narren gewesen, das todte, einförmige und abmattende Gewürcke der mancherley Secten, vor einen Gott wohlgefälligen Dienst zu halten.

Was war doch vor ein ausnehmender Unterschied, zwischen den ungekünstelten Tönen, die uns Gott in den schattigten Wäldern, oder an schlancken Bächlein in einem anmuthigen Thale, an so vielerley Arten der Vögel hören ließ; und zwischen dem wüsten, und fast den Ohr-Zwang erweckenden Geheule der Inspirirten, welches sie Singen hießen? Ein, aus Eyffersucht brüllender Hirsch, den ich perfect reitzen konte, daß er sich mit seinen Gesellinnen aus dem Walde auf die Pläne begeben muste, rührte uns 1000 mal kräftiger[300] und vergnügender, als der stöhnende Br. Herrmann, wenn er sich gleich zu Tode geseufzet hatte.

§ 163. Saßen wir auf den hohen Bergen die grösten Theils mit dichten Wäldern und lieblichen Gebüschen (bedeckt) waren, und hatten unsere Augen gegen die, unter uns liegenden Thäler gekehret, die mit den anmuthigsten, und von lauter kleinen Strömlein gewäßerten Wiesen prangeten, auf welchen bald die muntern Heerden scherzten, bald ein scheuches Wild naschen kam, bald der arbeitsame Bauers-Mann sich mit Mähen und Heu-Machen beschäftigte, bald alles, ohne diese Veränderungen, eine königliche Stille einnahm, welch' abwechselndes Vergnügen rührte uns nicht gegen die gezwungenen, umgestalten und armen-Sündermäßigen Stellungen und Gebehrden der Inspirirten?

In ihren, ganz und gar keine Munterkeit zeigenden Versamlungen schliefen wir zwar auch: Aber dieser Schlaf war nur eine Marter gegen den, den wir bey unsern Spatzier-gehen genoßen, wenn wir uns bey dem Ausgange eines Waldes, unter die hohen schattigten Bäume, auf Ellen hohes, und wie lauter Polster verwachsenes Mooß ausstreckten, und uns von dem mancherley Gesange der Vögel einschläfern ließen. Kein Kayser kan jemals sanfter und ungestörter geruhet haben, als wir.

Wir erkanten auch alle diese Wohlthaten mit demüthigsten Danck vor Gott, und unser Vergnügen würde vollkommen gewesen seyn, wenn uns der Bibel-Götze nicht noch immer mit einem erzürnten Gott, mit so viel 1000 Teufel, und mit einer, obschon nicht mehr vor ewig gehaltenen Hölle, zu fürchten gemacht hätte. Unsere Vernunft meldete sich zwar genug, uns auch diesen Betrug zu entdecken. Allein unser Verstand war noch gar zu starck von den Vorurtheilen der Göttlichkeit dieser ungewissen Buchstaben benebelt, und es gieng noch eine ziemliche Zeit vor bey, ehe wir es wagen durften eine freye und vernünftige Untersuchung damit anzustellen.

§ 164. Was uns am meisten darzu ermunterte, war, daß wir schon lebendige Proben hatten, was vor Zufriedenheit unserm Gemüthe, durch den kurzen Gebrauch der Vernunft bereits zugewachsen war. Wie wir dieses selber an uns nicht läugnen konnten; also machte es uns auch immer dreuster, diesem göttlichen Lichte, ohne Furcht, nach zu gehen, und wie wir das einmal thaten, so währete es auch eben so gar lange nicht mehr, allen den Schröck-Bildern, womit uns die Bibel noch voppte, die Larve abzureißen, und diesen Götzen selbst an seinen Ort zu stellen.

Gott machte darzu selber Bahn, indem Er, wider alles mein[301] Vermuthen von verschiedenen Orten Briefe einlaufen ließ, in welchen die Schreiber derselben ein sehnliches Verlangen, nach der Fortsetzung meiner Schriften zu erkennen gaben. Es erweckte das zwar in mir eine Art der Freude, indem ich daraus sahe, daß ich doch nicht ganz umsonst bisher gearbeitet hatte: Allein es konte mich doch nicht bewegen, von meinem Webstuhl wider aufzustehen, indem ich keine Mittel sahe, wodurch ich dem Verlangen dieser hungrigen Gemüther hätte genug thun können. Ich blieb also bey meinem Handwercke, und dachte: Wenn Gott haben will, daß ich mein erstes Geschäfte wider vornehmen soll, so wird Er mir auch die Mittel dazu anweisen.

Nach verlauf einer kurzen Zeit geschahe es würcklich. Denn der ehrliche M. Grosch in Jena, der annoch, wie zu meinen Zeiten, Lector im Consistorio war, ließ mir nicht allein durch den H. Ludolff, der wider nach Jena gezogen war, und Medicinam Studirte, freundlich melden, daß Er einen Verleger gefunden, der 50 Thaler zum Druck des 13. Stücks der Unsch. Wahrh. geben wolte; sondern es bescherte mir auch Gott damals, einen bisher noch gantz unbekannten: aber auch zugleich den redlichsten und treuesten Freund, den ich (ohne meinen übrigen wenigen redlichen und nichts minder getreuen und verehrungswürdigen Freunden, im mindesten was nahe zu reden) in meinem gantzen Leben gefunden, und dieser muste zugleich vor meine äußerlichen Umstände Sorge tragen.

§ 165. Ich saß eben, in aller Andacht, auf meinem Webstuhl, und dachte an nichts weniger, als an Briefe, aus unbekannten Orten, als man mir einen Brief brachte, der fast durch ein Wunder-Werck in meine Hände gerith. Denn nach der Aufschrift hätte Er mir nimmermehr zukommen müßen, weil er nach Berenburg gestellet war, wohin ich nicht allein nie gekommen, sondern es lag auch wohl noch etlich und dreyßig Meilen von meinem Ort entfernt. Es hatte aber, Gott weiß wer, den Namen Berenburg ausgestrichen, und Berlenburg darüber gesezt und also krigte ich den Brief richtig.

Der Inhalt deßelben zeugete gleich von dem edlen Herzen seines redlichen Verfaßers, und es befiel mich eine solche Freude, daß ich nicht wuste, wie mir geschahe. Vermuthlich empfand mein Geist bereits, durch eine geheime Ahndung, was vor unzehlig Gutes mir die Quelle alles gutes, durch diesen Canal, auf die zukünftigen Zeiten zufließen lassen würde. Denn in der That war dieser unschäzbare Freund (den ich, seiner ausnehmenden Gutthätigkeit wegen, und weil es seine Bescheidenheit nicht erlaubte, Ihn bei seinen[302] wahren Namen zu nennen, der weile Benignus4 heißen werde) der Grund zu dem grösten und wichtigsten Bau meines künftigen Glücks, und ich muß Ihm, zum unsterblichen Ruhme, nachsagen, daß Ihn Gott mehr, als einen, meiner Freunde, gebraucht, mir die Sorgen von meinen zeitlichen Unterhalt zu erleichtern.

§ 166. Er wohnte in B–n, und begehrte dißmal weiter nichts von mir zu wißen, als, ob mir sein Brief richtig zu Handen kommen, und an wen er die seinigen inskünftige sicher, adressiren könnte. Er versicherte mich anbey, daß Er sehr vieles mit mir zu sprechen hätte, und daß mich solches nicht gereuen würde. Ich antwortete Ihm unverzüglich, mit Versicherung meiner Ergebenheit, und bat mir gleichfalls inständigst aus, mich nicht lange auf seine Antwort warten zu laßen.

Mittler Weile erhielt ich nicht allein die 50 Thaler zum Druck des 13. Stücks der Unsch. Wahrh. welches ich, nebst den 14 Thlrn., unverzüglich an Hrn. Licentiat Cramer in Offenbach sandte, der diese Sachen in Frankfurth bei Hrn. Cronauen drucken ließ, sondern es bescherte mir auch Gott, von verschiedenen andern Orten, wider so viel, daß ich, ohne weiter einen Bortenwürckerjunge zu agiren, meine ordentliche Kost, und andere Nothwendigkeiten bezahlen, und im Vertrauen, Gott würde weiter helfen, meine vorigen Geschäfte, mit desto größerer Munterkeit wieder vornehmen konnte.

Mein Bart wolte indeßen meinen Freunden gar nicht anstehen, und die Wahrheit zu bekennen, so stund er mir, im Grunde, selber nicht an; Ich dachte aber, weil ich einmal angefangen hätte, einen heiligen Narren zu agiren, so müste ich auch dabey bleiben, wenn ich mich keinen Fladder-Geist schelten laßen wolte. Der redliche Br. Cantz, der unter allen meinen Berlenburgschen Freunden am meisten bey mir galt, versuchte in der That sein äußerstes, mir diese Grillen auszureden. Mein Barbier, der Gräfliche Cammerdiener, Hr. Weil, deßen Sohn ich bisher täglich eine Stunde umsonst informiret hatte, und der mir sehr gewogen war, hatte Ihn am meisten darzu angereizt, und es stellte mir dieser ehrliche Mann, mit der grösten Zärtlichkeit vor, daß ich mich gantz unbrauchbar dadurch machen würde.

§ 167. Ich hörte alles, mit einer, allen Phantasten eigenen Frostigkeit an, und sagte Ihm, mit einer verächtlichen Mine, daß ich glaubte, nunmehro erst recht brauchbar zu werden, und daß ich mich sehr wundern müste, daß sich meine Freunde an einer Handvoll[303] Haare stoßen möchten, die ich doch bloß zu Beweiß meiner Freyheit trüge, und keinen Menschen nöthigte, mir solches nach zu thun. Wie der gute Mann meinen heiligen Eigensinn sahe, ließ er die Sache gut seyn, und blieb nach, wie vor, mein wahrer Freund.

Die Inspirirten hingegen hielten diese meine Verwandlung vor eine Verrückung meines Verstandes, und sprengeten, sonder Zweifel, andere zu warnen, daß sie sich von der Vernunft nicht verführen laßen möchten, mit der grösten Zuversicht aus, ich sey toll geworden. In der That war ich eben der klügste damals nicht, indem ich mich, gantz ohne Noth, zum Spott der Leute machte: Allein weil ich gelesen hatte, daß unser so genannter Heyland, auch ein Spott der Leute, und Verachtung des Volks gewesen, und das wir, so viel möglich, suchen müsten, Ihm ähnlich zu werden, so dachte ich, es wäre ein Zeichen der Lauligkeit der Liebe, gegen Jesum, wenn sich andere Christen nicht auch so verstelleten.

Um aber den Inspirirten, die meinen damaligen Zustand ganz gewiß vor einen Anfang der Erfüllung der Weißagung ihres Propheten angesehen haben würden, in etwas zu erkennen zu geben, daß ich eben so verrückt noch nicht sey, als sie gern gesehen hätten, ließ ich, da sie wider mit einer armen Aussprache gegen mich aufgezogen kamen, die kleine, nur 2 Bogen starcke Schrift drucken: Bereitete Schläge auf der Narren Rücken.

§ 168. Ich ließ dieselbe, weil ich wuste, daß sie sie von mir nicht annehmen würden, durch den Hrn. Licentiat Cramer, an die drey vornehmsten Glieder der Homburghäusischen und Berlenburgschen Gemeine, nehmlich, an den Br. Pfeiffer, Werlich und Keyssig, vermittelst der Post insinuiren, und sie that, außer der Bestürzung, in welche sie dadurch geriethen, zum wenigsten die Würckung, daß sie mir, mit ihren abgeschmackten Aussprachen, forthin vom Halse blieben5.

Um diese Zeit kam ein Special-Landsmann von mir, der sich Ehrlich nannte, und aus Weissenfels war, nach Berlenburg. Er gab vor, daß Er aus England käme, und zwischen Holland und England, nebst seinem Weibe Schifbruch gelitten, und alle das seinige eingebüßt hätte. Seine Frau war hoch schwanger, und Er und Sie machten eine sehr elende und erbärmliche Figur. Der Graf[304] Casimir, der ein gütiger Herr war, suchte Ihm fortzuhelfen, und wolte ihn, weil Er ein Tuchmacher war, im Lande behalten. Allein niemand fand sich, der Ihm seine Blöße bedecken, und neu kleiden wolte.

Ich hatte damals noch 2 Kleider, die ich, weil ich nicht mehr nach der Mode gieng, ohnedem nicht mehr trug. Weil ich nun in der Bibel gelesen hatte: Wer zween Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat; so dachte ich, diesem Befehl müßte ich auch, weil sich die Gelegenheit darzu ereignete, unverzüglich nachkommen. Ich gab Ihm also mein bestes Kleid, das ich mir in Form eines surtout, noch in Dreßden von dem besten Norder-Tuche hatte machen laßen, und in allen knapp ein Jahr getragen haben mochte. Ich versahe Ihn mit Wäsche, Schuhen, Strümpfen und Hut, und equippirte Ihn mit Vergnügen von Fuß auf.

§ 169. Wie er in dieser neuen Montur vor den Grafen kam, kannte Er ihn nicht gleich, fragte ihn aber hernach, wo er das her hätte. Er antwortete, von mir, und so und so hätte ich dabey gesagt. Es machte einen Eindruck in das Gemüth des Grafen, und weil Er ihn nicht mehr kleiden konnte, so schenckte Er ihn etliche Klaftern Holtz und die Gräfinn wurde seine Gevatterinn. Es war aber dieser Ehrlich in der That ein Spitzbube, und belohnte mir meine Wohlthaten sehr übel, wie wir bald weiter hören werden.

Ich wartete indeßen mit Schmerzen auf eine Antwort von meinem neuen Freunde Benignus, und sie kam kurz vor der Franckfurter Oster-Meße, des 1739sten Jahrs. Er wuste das Vergnügen, so er über meine Antwort empfunden, nicht genug mit Worten auszudrücken, und wies mir zu Bezeigung seines redlich gesinnten Herzens in Franckfurth am Mayn 10 Thaler an.

Herr Licentiat Cramer, der damahls an der neuen Auflage der Arnoldschen Kirchen- und Ketzerhistorie arbeitete, und mich gerne zum Gehülfen gehabt hätte, hatte mich eben in die Meße nach Frankfurth beschieden, um dieser Sache wegen selbst mündlich mit mir zu sprechen. Ich mochte ungefehr so viel baar Geld noch haben, daß ich die Reise zu Fuße, nach Frankfurth, noch hätte bestreiten können: Allein die Vorsicht, die wohl sahe, daß meine Kräfte so weit nicht reichen würden, schenckte mir, einen Tag vor meiner Abreise, noch eine Caroline. Sie kam von der Jungfer Schützinn aus Homburg, und ohne dieselbe würde ich nicht haben nach Frankfurth kommen können.

§ 170. Ich reiste also mit meinem Barte und schlechten Mennisten Habit, in Begleitung meines sauberen Landsmanns, der mich unterwegs hätte ermorden können, nicht per pedes Apostolorum;[305] sondern mit meinen eignen hochadelichen Füßen, nach Franckfurth. Wie wir hinter Marpurg kamen, saßen etliche Studenten, aus der besten Welt, vor der Thür eines Wirths-Hauses, wo wir vorbey musten. Meine ungewöhnliche Gestalt fiel ihnen gleich in die Augen, und einer unter ihnen sagte zu den andern, wie wir etliche Schritte weg waren, da gehen zwey nach Franckfurth, die wollen den jüngsten Tag verkündigen. Er schwur auf seine Seele darzu, die andern lachten, und ich fieng nach gerade an, Calender zu machen, was es mit meinem Barte weiter geben würde.

In der That lidte ich diese Schmach nicht um Christi, sondern um des heiligen Barts willen. Unterdeßen war doch Christus, der auch einen Bart getragen hatte, das Muster, wornach ich, ohne einen Unterscheyd zwischen den Zeiten und Ländern zu machen, meine äußere Gestalt modelte, und mir, dieser vermeinten Verleugnung wegen, nicht wenig einbildete. Ich kan nicht läugnen, daß sich, bey alle diesen Thorheiten, die Vernunft sehr oft bey mir gemeldet, und mir vorgestellt: Daß die wahre Nachfolge Christi, nicht in einer albernen Nachäffung seiner damaligen äußerlichen Gestalt bestünde. Allein ich hörte sie nicht, so lange ich die Bibel noch vor Gottes Wort hielt, und glaubte, daß Gott gleichwohl seine heiligen Ursachen gehabt haben müße, warum er den Juden verboten, den Bart abzuscheeren.

Hätte ich damahls sehen können, daß der Gott dieser armen Leute allemahl Moses, oder nur wohl Esra unter Moses Namen gewesen, so würde ich den Bart lieber selber geschohren haben, als daß ich mich um des Barts willen hätte scheeren laßen. So aber muste ich mich, da ich physice ungeschohren seyn wolte, moraliter desto beßer scheeren laßen. Und das von Rechtswegen.

Meine Reise wurde mir indeßen sehr sauer. Denn ich hatte ein ziemlich Reise-Bündel auf dem Buckel und war des starcken Gehens, seitdem ich die Oesterreichischen Jagd-Bewegungen entbehren müßen, gantz entwohnt. Ich kunte also nicht weiter, als bis Friedberg wackeln, und da kam mir die Caroline zu Paße, die mir Gott, durch die Jungfer Schützinn kurtz vor meiner Abreise aus Berlenburg, bescheret hatte. Ich mietete eine bequeme Calesche, und fuhr mit meinem sauberen Geleits-Manne vollends nach Franckfurth.

§ 171. Weil ich da eigentlich nicht bleiben wolte, so stiegen wir noch vor der Vorstadt ab, und ich gieng mit meinem Gefährten vollends nach Offenbach zum Hrn. Licentiat Cramer, der sich zwar meine ungewöhnliche Gestalt etwas befremden ließ, mich aber doch freundlich und brüderlich nebst meinem Lands-Mann aufnahm, und[306] nicht anders dachte, als daß ich auf seinen Antrag, an der Arnoldschen Ketzer-Historie mit arbeiten zu helfen, bey Ihm bleiben würde: Allein zu geschweigen, daß diese Arbeit, die, wegen des Treibens der Schaafhäuser Verleger, über Hals, über Kopf fortgehen muste, mich gewaltig an meiner Eigenen verhindert haben würde, so war sein Plan nicht allein nicht nach meinem Sinn; sondern es stund mir auch seine weichliche Kinder-Zucht nicht an, und ich sahe voraus, daß wir dieser wegen, wenn wir beisammen hätten leben sollen, an einander gerathen würden.

Ich lehnte also seinen Antrag mit Bescheidenheit ab, indem ich ihm zu erkennen gab, daß ich selber noch so viel zu thun hätte, daß ich keine andere Arbeit dabey vornehmen könnte. Wir waren also vergnügt beysammen, und ich sahe an den guten Manne ein unnachahmlich Exempel der Gedult und Gegenwärtigkeit des Geistes; denn Er arbeitete unter einem Schwarme von 6 Kindern, bey denen eben so wenig Schweigen war, als bey den Wächtern, die Gott, nach Jes. 62, 6 noch einmal auf die Mauren zu Jerusalem bestellen wird. Er aber ließ sich alle dieses, mir bisweilen unerträglich fallende Getöse, nicht im Mindesten irre machen, und es ist ein rechtes Wunder, daß der erste Theil von der Schafhäuser Auflage der Arnoldschen Ketzer-Historie (welcher eigentlich seine Arbeit ist) noch die geringste Ordnung zeiget.

§ 172. Er hatte nicht nur das 13te und 14te Stück der Unschuld. Wahrh., sondern auch die Schläge auf der Narren Rücken zum Verkauf. Da nun diese Letzteren was Neues waren, so war mirs manchmal recht lächerlich, wenn die Kinder des Hrn. Cramers immer einmahl über das Andere in die Stube kamen, und sagten: Papa, es ist jemand da, der will Schläge haben. Er theilete sie würcklich aus, und krigte noch Geld dazu, so er mir auch treulich zustellete: Mein ehrlicher Lands-Mann aber, der auch welche in Commission hatte, betrog mich um das Meiste.

Es waren mehr Separatisten in Offenbach: Aber nicht zwey waren in Erkenntniß-Puncten mit einander einig. Alle hiengen sie zwar noch an der Bibel, Aber weil ein jeder dachte, er verstünde sie beßer, als der andere, so war keine rechte Liebe unter ihnen. Einer Namens Käster, kam bisweilen zu Hrn. Kramer, weil sie Nachbaren waren. Ich merckete aber, daß sie nicht zusammenstalleten. Dieser Hr. Käster wohnte bey dem Hrn. Douzetemps, oder wie ihn andere schreiben Douzaidans, der das Mystere de la Croix geschrieben. Allein es schien das Creuz zwischen diesen beyden frommen Leuten kein Geheimnis mehr zu seyn; denn sie kreuzigten einander[307] fast täglich, weil sie beyde ein Haus und Garten bewohneten, und einander immer in die Queere kamen.

O! wie sehnte ich mich bey Bemerkung aller dieser Uneinigkeiten, wider nach Hause, zu meinen stillen und verträglichen Haus- und Tisch-Genoßen. Ich muste aber die Meße auswarten, weil ich mit Hrn. Haugen seinen Bruder reisen wolte. Mittler Zeit, da Hr. Cramer wöchentlich etliche mahl in der Stadt zu thun hatte, fuhr ich allemahl auf dem Marcktschiffe mit Ihm nach Frankfurth, wo ich ungeachtet der vielen Juden, die da sind, mit meinem Barte doch überall Aufsehen machte. Verständige Leute sahen wohl, daß ich kein Jude war, sie wusten aber doch nicht, was sie aus mir machen solten.

§ 173. Mein Landsmann logirte bey seinem Schwager, der ein Sadler war, auf der Zeil, und ich weiß nicht, was dessen Frau und Tochter an mir finden musten, daß sie sich, wie ich etliche mahl hinkam, meinen Landsmann zu sprechen, gegen denselben vernehmen ließen, daß sie sich glücklich schätzen würden, wenn ich bey Ihnen logiren möchte. Die guten Leute sahen mich, aller ihrer Stellung nach, vor einen Heiligen an, und mochten wol Wunder dencken, was ihrem Hause vor Heil widerfahren würde, wenn ich bey ihnen hätte herbergen sollen. Da das aber nicht seyn konte, unterließen sie doch nicht, mir alle Höflichkeit zu erzeigen.

Gleich in den ersten Tagen meines Auffenthalts in Franckfurth machte sich der junge Schott, ein Strumpfweber aus Hamburg mit mir bekannt. Er und sein Vater waren auch Separatisten, und hielten sich eben nicht sonderlich über meinen Bart auf. Desto mehr aber that es der D. Senkenberg, der mich ordentlich attaquirte, als ich auf der Straße bey des Br. Schotts Bude stund, deßen Vater mir ein paar Strümpfe und Camaschen zur Meße schenckte. Er schien von Br. Groß abgeschickt zu seyn, mir wegen der Vorrede des 13. Stücks der Unsch. Wahrh. ein Capitul zu lesen. Ich gab Ihm aber meine kurtze Erklärung darüber, und ließ Ihn laufen.

Hierauf führte mich der Br. Schott zum D. Ehrenreich, der eigentlich Zahn-Artzt von den Höfen Darmstadt, Würtenberg, Pfaltz etc. war, und sehr wohl stund. Seine Frau empfing uns auf der Treppe, und machte gar keine Parade; wie ich aber in die Stube tratt, und ein fast fürstliches Ameublement an allerhand Silber-Geschirr, Schildereyen, kostbaren Spiegeln, Tapeten etc. fand, wäre meine Heiligkeit bald wieder zurück getreten, indem ich diese Pracht mit der Verläugnung nicht zusammen reimen konte. Er redete mich aber gantz freundlich an, und wie Er merckte, daß ich mich an diese äußerliche Dinge stieß, entdeckte Er mir die Ursache, dieses sonst nicht[308] nöthigen Aufwandes, indem Er sagte, daß er das, wegen des öfteren Zuspruchs vieler Standes-Personen thun müßte, die sonderlich zu Meßens-Zeiten, weit und breit zu ihm kämen, sich seiner Hülfe zu bedienen etc. Ich war nicht recht damit zufrieden, doch weil ich auch nicht viel von Erheblichkeit dargegen einzuwenden wuste, schwieg ich stille und nahm, nach einen kurtzen Verweilen wieder meinen höflichen Abschied, den Br. Schott bittend, daß er mich zu so vornehmen Leuten nicht mehr führen möchte.

§ 174. Er versicherte mich, daß sie nichts weniger, als vornehm, sondern ehrliche brave Leute wären, und ich habe nach der Hand selber eine ziemliche Zeit mit dem guten Manne correspondiret, und ihn gantz vernünftig gefunden. Indessen schien es, als wenn der Br. Schott ein sonderlich Plaisir fände mich bey seinen Bekannten zur Schau herum zu führen, und ich mochte einwenden was ich wolte, so konnte ich mich nicht entbrechen, noch einen Besuch mit Ihm zu thun, der mich aber nicht gereuete.

Es ging derselbe zu einer gewißen Jungfer, Namens Grabinn, die den Br. Schott, nachdem sie vernommen, daß ich in Franckfurth war, gebeten hatte, mich zu Ihr zu führen, weil Sie, meiner Schriften wegen, gerne mit mir sprechen möchte. Es war die Person in der That, ein sehr edel Gemüth, und sahe in Ansehung der Bibel, würcklich schon viel weiter, als ich, ließ sich aber nicht viel gegen mich mercken. Br. Schott ließ uns alleine, und sie unterhielt mich mit der leutseligen Ehrerbietung eine ziemliche Zeit mit den wichtigsten Materien.

An meinen Bart wurde gar nicht gedacht, vielmehr nöthigte sie mich, nach ein und andern Discursen, die ihr gefielen, mit Ihr und Ihrer verheyratheten Schwester zu Mittag zu speisen. Sie erzeigten mir beyderseits viele Höflichkeit, allein die Jungfer nahm mich mit ihren holdseligen und vernünftigen Discursen, die alle einen großen Geist zu erkennen gaben, dergestalt ein, daß wenn sie auch nicht so schön und liebenswürdig gewesen wäre, als Sie wircklich war, ich dennoch nicht ohne Empfindung hätte bey ihr seyn können. Mein Bart schien hier abermahl nicht ohne Nutzen zu seyn; denn ich glaube, wenn ich denselben nicht gehabt hätte, wir würden einander, den Regungen nach, die eins vor das andere empfand, gefährlich gewesen seyn.

§ 175. Sie verehrte mir indeßen mit der sittsamsten Annehmlichkeit 8 Gulden, und bath mich, Sie in Offenbach (wohin sie sich, um dem Franckfurthschen Geräusche zu entweichen, in die Stille begeben hatte) zu besuchen. Ich that es auch und fand sie immer[309] liebenswürdiger. Sie lebte da, wie eine Nonne, und ich glaube schwerlich, daß ich das Glück gehabt haben würde, Sie in ihrer Clause zu sprechen, wenn ich keinen Bart gehabt hätte. Ich muß aber auch ohne Heucheley gestehen, daß, wenn ich in Offenbach hätte bleiben und weiter mit Ihr sprechen sollen, Sie die Erste gewesen seyn würde, die capable gewesen, mich aus einem Heiligen wieder zu einen galanten Phantasten zu machen.

Sie bat sich meine Correspondenz aus, und ich unterhielt sie eine ziemliche Zeit; Wie ich aber merckte, daß sie weiter zu sehen begunte, als ich noch zur Zeit konte, so hub ich dieselbe auf, welches mich diese Stunde noch gereuet. Denn sie hatte mir aus freyen Hertzen, weil sie von guten Vermögen war, allen möglichen Beystand in meinen Umständen versprochen, und ich hätte, wenn mich eine Noth angestoßen, allemal eine gute Zwick-Mühle an Ihr haben können.

Aber mein heiliger Eigensinn6 verachtete das alles, wie er merckte, daß Sie klüger seyn wolte, als ich. Sie war es in der That: Aber ich müßte kein Heiliger gewesen seyn, wenn ich es hätte sehen, und meine eigene Thorheit erkennen sollen:

Es unterließ die göttliche Weisheit gar nicht, mich genug dieserwegen prellen zu laßen. Allein alle diese Schmach, die mir in dieser thörichten Positur angethan wurde, nahm ich vor eine besondere Ehre, und Kennzeichen eines wahren Christen an.

§ 176. Ich ging einmahl in den Creutzgang bey dem Dom, der in Meß-Zeiten, wegen der vielen Kauf-Leute, die da feil haben, voller Menschen ist. Nun wuste ich nicht, daß keinem Juden erlaubt war sich in demselben sehen zu laßen, sonst würde ich, weil man mich insgemein vor einen Juden ansahe, nicht da erschienen seyn. Ich war also mit meinem Rabbiener-Barte kaum etliche Schritte in demselben eingetreten, so wurde mir der Hut, von hinten zu, vom Kopfe gerißen, daß die Mütze, die ich darunter trug, auf die Erde fiel.

Ein Bilder-Mann beging diesen Muthwillen, und fragte mich trotziglich, ob ich nicht wüste, daß kein Jude in den Creutzgang dürfte? Ich sahe ihn mit einem heiligen Zorn an, der ihm gerne die verwegene Hand verdorret hätte, wenn er gekonnt hätte. Anstatt deßen fragte ich ihn wieder, wer ihm gesagt hätte, daß ich ein Jude wäre? Der Mann, der dem Ansehen nach ein Catholike seyn mochte, sahe nicht sobald meine Unerschrockenheit, als Er mir (mich sonder Zweifel vor einen Wald-Bruder, von seiner Religion ansehend) den Hut,[310] mit bestürtzter Ehrerbietung wieder gab, und von einer Frau, die mir die Mütze wieder aufhub, noch den Verweiß einstecken mußte, daß man mit fremden Leuten nicht so umgehen solte.

Bald hätte die Vernunft, bey dieser unvermutheten Begebenheit, die in Gegenwart vieler 100 Menschen geschahe, etwas bey mir zu sprechen gehabt. Es fiel mir schon ein, daß mir ja dergleichen Schimpf mein Tage nicht begegnet, so lange ich noch wie andere vernünftige Menschen gekleydet gegangen, warum ich mich dann ohne die geringste Noth, solchen Hudeleyen Preiß gäbe? Allein in dem Augenblick war die Heiligkeit wieder da, die mir zu meiner nicht geringen Beschämung den Verweiß gab, daß ich mich, bey dieser Gelegenheit gar nicht christlich aufgeführet. Ich hätte den Mann, der mir den Hut genommen, die Mütze auch darzu geben sollen. Diß würde nicht allein bey Ihm, sondern auch bey andern Umstehenden, einen beßern Eindruck von meiner Gottsehlichkeit gemacht haben, als da ich mich gegen denselben verantwortet.

§ 177. Nach meiner damahligen Einsicht schienen diese Vorstellungen gegründet zu seyn, und ich hätte, wenn mir der Kerl eine Schelle auf den einen Backen gegeben hätte, Ihm den andern auch darbieten müßen, ohne daß sich die Vernunft hätte unterstehen dürfen, zu fragen, wie ich es aushalten würde, wenn mehrere Muthwillige Pursche auf die Art die Echtheit meines Christenthums hätten auf die Probe setzen wollen. Es hätten mir dergleichen ohne Hexerei, in dem Creutz-Gange noch mehere begegnen können. Allein die weise Vorsicht, die meinen verachteten Bart und unansehnliche Gestalt noch zu was beßern zu gebrauchen gedachte, geleitete mich, ohne die geringste weitere Anfechtung, durch den gantzen Creutz-Gang.

Ich gieng hierauf mit Hr. Haugen seinen Bruder, zum Br. Groß, um Ihm zu bezeugen, daß ich in der Liebe noch unverändert gegen Ihn sey, ob ich schon in der Vorrede des 13ten Stücks der Unsch. Wahrh. nach meiner Erkenntniß, von seinem und seines Gleichen Zustande sprechen müßen. Wie Er mich erblickte, sagte Er auf sein Elsaßisch: Wasch ischt däs vor ein fremder Mann? Komm her, känschti verläugne? I will der de Bart wieder abnehme. Ich antwortete, Er solte sich erst so weit verläugnen, und den Bart wachsen laßen, so solte Er sehen, daß ich mich auch verläugnen würde, denselben wieder abnehmen zu laßen. Er erwiderte: Dasch habi nit nöthi; und ich, weil ich sahe, daß wir in verdrüßliche Weitläuftigkeiten gerathen würden, sagte weiter nichts, als daß ich nicht gekommen wäre, mit ihm über meinen Bart zu disputiren, sondern Ihm zu zeigen, daß ich keinen Haß wider Ihn hätte. Weil ich aber sähe, daß ich Ihm zuwider[311] wäre, wolte ich Ihn weiter nicht beschwehren. Ich empfahl Ihn also Gott und gieng meiner Wege.

§ 178. Ein freundlicher Gesicht gönnete mir der ehrliche Br. Luther, den ich unverhoft wieder fand. Er beredete mich wieder, mit Ihm zum Herrn Rath Fend zu gehen: Aber, die Wahrheit zu bekennen, so schämte ich mich, diesen klugen Mann in meiner Maske zu besuchen. Es versicherte mich aber der Br. Luther, daß Er gar nichts daraus machen würde, und also ging ich mit. Es empfing mich dieser ehrwürdige Greiß, eben so leutsehlig, wie das erste Mal, fragte mich um die Ursache meiner Veränderung, und ich wuste in der That keine von Erheblichkeit anzuführen; Er sagte mit gröster Freundlichkeit, daß Er es als eine Schwachheit bey mir ansähe, die mehrern guten Gemütern begegnet wäre, und daß ich sie mit der Zeit schon erkennen und wieder ablegen würde. Zu Bezeigung seiner unveränderten Liebe stellete er mir indessen abermal eine Caroline zu, und entließ mich mit vollkommener Zufriedenheit.

§ 179. Weil ich so nahe bey Homburg war, wo die Jungfer Schützinn wohnete, die mir kurz vor meiner Abreise von Berlenburg, auch eine Caroline gesendet hatte, so hielt ichs vor meine Schuldigkeit, mich persöhnlich bey derselben zu bedancken. Ich fuhr also, weil der Weg dahin, wegen anhaltenden Regen-Wetters, zu Fuße nicht zu passiren war, mit dem jungen Schott auf der Post dahin, logirte bey demselben, besuchte des andern Tages dasige Freunde und insonderheit die Jungfer Schützinn, die es sehr wohl aufnahm, daß ich mich persöhnlich bei Ihr hätte bedancken wollen.

Ihr Vetter, der bekannte Hr. Christoph Schütz,7 von dem man mir nach der Zeit versichern wollen, daß Er ein Adeptus sey, empfing mich ziemlich gleichgültig, woran ich mich aber nicht kehrte, sondern Ihm desto freundlicher begegnete. Nur zu dem ehrlichen Hrn. Rexrad, dasigen reformirten Hof-Prediger wolte ich nicht gehen, weil ich glaubte, Er würde mich, als ein guter Freund vom Br. Grosen nicht gerne sehen, nachdem ich demselben in der Vorrede zum 13ten Stück der Unsch. Wahrh. aus Antrieb meines damahligen h. Polter-Geistes eben nicht zum Freundlichsten begegnet hatte.

Er benahm mir aber diesen Wahn, indem Er mir, durch den Br. Schott 2 Gulden zustellen ließ. Ich machte mir ein Gewißen sie anzunehmen, nachdem mir Gott nicht allein die 15 Gulden des theuren Br. Benigni in Frankfurth glücklich hatte heben laßen, sondern auch durch die Jungfer Grabinn, durch den Herrn Rath Fend und durch[312] den Herrn Licentiat Cramer bey 20 Gulden verkaufte Bücher beschehret hatte, daß ich würcklich damals über 50 Gulden reich war. Wie mir also Br. Schott die 2 Gulden von Herrn Rexrad anbot, sagte ich Ihm aufrichtig, daß ich sie gegenwärtig nicht nöthig hätte. Er mögte also den lieben Br. Rexrad hertzlich von mir grüßen, sich meinetwegen, vor seine Liebe bedanken, und Ihm melden, daß ich Ihm die 2 Gulden der Weile aufzuheben gäbe, bis ich sie nöthiger brauchen würde, alsdann solte Er versichert seyn, daß ich sie mit zärtlichster Erkänntlichkeit annehmen würde. Ich habe es auch gehalten, jedoch nicht eher, als bis ich zu einer andern Zeit fast nichts mehr im Vermögen hatte, und der redliche Mann schickte mir alsdann, anstatt der 2 Gulden einen Ducaten.

§ 180. Kurtz vor meiner dißmaligen Abreise von Berlenburg, besuchte mich ein fürstlich Darmstädtischer Violist, Namens Müller, der nicht allein vor seiner Person, einen Geschmack an meinen Schriften bekommen hatte, sondern mich auch versicherte, daß in Darmstadt noch verschiedene redliche Gemüter wären, denen sie ebenfalls anstünden. Diesem Müller hatte der Hr. Licentiat Cramer in Offenbach zu wißen gethan, daß ich dermalen bey Ihm sey. Er kam also von Darmstadt zu Fuße nach Offenbach, und bath mich Ihm die Liebe zu thun, und mit Ihm, nach Darmstadt zu gehen, um sowohl meinen leiblichen Bruder als andere dasige gute Freunde, die mich gerne sprechen möchten, zu besuchen.

Ich machte keine Schwierigkeit und weil Darmstadt nur 3 Meilen von Franckfurth und Offenbach lag, so ging ich mit Ihm dahin, unwißend, daß mir Gott auch da einen Freund beschehren würde, der seine Liebe, nach der Hand, auch nicht unbezeugt gegen mich gelaßen. Ich logirte beym Br. Müller, und der Erste, der mich von dasigen Freunden besuchte, war der alte ehrliche Capell-Meister Grünewald, der noch in Weissenfels bey meinen Eltern gewohnet, und bey denselben in die Kost gegangen war.

Weil er mich nun als einen Knaben gekannt hatte, der Ihm manchen kleinen Dienst gethan, so war seine Freude sehr groß, wie Er mich in meiner heil. Gestalt erblickte. Er umarmte mich mit der grösten Zärtlichkeit, und mochte sich in der That mehr von mir einbilden, als ich damahls werth war, desgleichen thaten auch die andern Freunde, sonderlich der Canzellist Schatte-Mann und der Herr Registrator Jawand. Mein Bruder aber blieb in Schrancken und bezeugte mir nur die natürliche Freundschaft.

Man sieht daraus, wie leicht die Menschen aufs Aeußerliche zu fallen pflegen, und wie leicht es in vorigen Zeiten einem Heiligen[313] gewesen seyn müße, die Hertzen derselben an sich zu ziehen. Es fehlte mir nichts, als ein Paulinischer Schwatz-Geist, so durfte es vielleicht zu Darmstadt nicht ohne Bewegungen abgegangen seyn, und ich, am Ende wohl die Ehre davon getragen haben, mit einem Apostolischen Staup-Besen begnadiget zu werden.

§ 181. Ich hielte mich aber still, indem ich nie an Jünger-Machen einen Gefallen getragen; Welcher Hertzen Gott nicht selber zu mir geneiget, die sind gewiß nie von mir gesucht worden. Wie ich etliche Tage in Darmstadt war, erfuhr der Hr. Hoffrath Schmidt, der aus Jena von dem Landgrafen, etlicher Chymischer Angelegenheiten wegen, dahin berufen war, auch von mir; Er schickte also seinen damaligen Mephistophilem, den Herrn Winter (deßen weiter unten in meinem Lebenslaufe, mit Mehren gedacht werden wird) zu mir, und ließ mich bitten, zu Ihm zu kommen. Ich that es, und der ehrliche Mann bekam alsofort eine Neigung zu mir, daß Er mich nicht allein (meiner jüdischen Gestalt ungeachtet) hernach mit sich nach Franckfurth nahm, sondern auch von Jena aus, mir seine Liebe auf verschiedene thätige Art zu erkennen gab.

Ich schien also recht zur guten Stunde dißmal von Berlenburg weggereiset zu seyn; denn auch die Darmstädtischen werthen Freunde suchten mir, von ihrem Vermögen Gutes zu thun. So viel ich mich aber besinnen kann, habe ich damals, bey meiner Gegenwart, nichts von ihnen genommen, ob ich schon ihre Liebe nicht verschmähen durfte, wenn sie mir nach meiner Abwesenheit etwas zusendeten, und eine Zeitlang mit zu meiner Versorgung von Gott gebrauchet wurden.

Die guten Gemüther waren am meisten dadurch so sehr erfreuet worden, daß sie aus meinen Schriften deutlich hatten erkennen lernen, daß Gott kein ewiger Verdammer sey. Sie konten mir, vor diese einzige Wahrheit, die sonderlich den Herrn Schattemann fast neu belebet hatte, nicht genug zu erkennen geben, wie zufrieden sie sich nun in ihren Gemütern befänden.

§ 182. Um uns recht mit einander zu letzen, hatte der Hr. Capell-Meister Grünewald einen gantzen Tag angesetzet, da ich, nebst meinen Bruder, und den bisher genandten Freunden (den Hrn. Winter ausgenommen, der andere Affairen vor den Hrn. Hoff-Raht zu besorgen hatte) bey Ihm seyn, und mich aufs beste von Ihm bewirthen laßen muste. Wir waren auch in der That recht vergnügt, und ich nahm mit Hrn. Müllern, erst nach 10 Uhr in der Nacht, von Ihm Abschied.

Ein oder ein paar Tage hernach reisete der Hr. Hoffrath Schmidt von Darmstadt, mit der Extra-Post, wieder nach Franckfurth, und[314] ich mit Ihm. Unterwegs hatten wir allerhand Discurse, von sehr wichtigen Materien, von denen ich dem Herrn Hofrath (weil ich meine Vernunft vom Gehorsam des Glaubens noch nicht loß zu machen vermochte) wenig zu seiner Zufriedenheit sagen konte.

Unter andern geriethen wir auf die Materie von der Unsterblichkeit der Seelen. Wir zweifelten beyderseits nicht, an der Würcklichkeit unsers Daseyns, nach dem Tode: Aber die Philosophischen Gründe, mit welchen Selbiges bisher hatte bewiesen werden sollen, schienen uns nicht genug zu thun, und wir hielten uns derweile an die sogenandte Offenbarung, die wir beyderseits damals noch vor unfehlbar ansahen, ungeachtet sie die Unsterblichkeit der Seelen weniger als irgend ein Philosophus beweiset.

§ 183. Inzwischen schien der Hr. Hofrath die Sache, sonderlich was die Auferstehung, mit sogenannten verklärten Leibern, anbetraf, aus Chymischen Gründen zu erhärten. Er sagte, es sey ihm ein gewißer Liquor bekannt (den Er mir aber nicht nannte) der, wann er bey gemäßigter Wärme, auf das Blut eines Menschen, oder Thieres gegoßen würde, die gantze Gestalt des Menschen oder Thieres, und zwar des Menschen seine durchsichtig vorstellete.

Sein Mephistophiles, Hr. Winter, der unsern Discurs mit angehöret hatte, kam dazu, und sagte, daß Ihm ein Exempel von einem gewißen Doctor oder Laboranten bekannt sey, welches sich also verhielt. Der Laborant habe aus dem Blute eines decollirten armen Sünders, etwas zubereiten wollen. Er habe also dasselbe in einen Kolben gethan, und seinem Handlanger befohlen, demselben einen gewißen Grad des Feuers zu geben, der Handlanger, der mehr Feuer-Arbeiten schon verrichtet hatte, aber diese noch nicht, habe das Feuer so gestellet, daß Er geglaubt, der Weile etliche Stunden schlafen zu können.

Er habe sich also würcklich zur Ruhe gelegt, und das Laboratorium verschloßen. Er sey aber kaum eingeschlafen gewesen, so habe er gemerckt, daß etwas an seiner Decke zupfte; Er habe sich hierauf ermuntert, und da habe er die Gestalt des enthaupteten armen Sünders vor dem Bette stehen sehen, die ängstlich geseufzet und zu Ihm gesprochen hätte? Ach, wie quälst du mich. Gehe doch, und sieh nach deinem Feuer. Der Mensch sey hierauf voller Schrecken aus dem Bette gefahren, habe seinen Herrn geweckt, und Ihm das Ergangene erzehlet. Sie wären sodann beyde mit dem Lichte ins Laboratorium gegangen, und da hätten sie zu ihrem grösten Erstaunen, in dem, auf den Feuer stehenden Kolben, wo das Blut verschloßen gewesen, die Gestalt des armen Sünders erblickt, wie sie sich ängstlich[315] bewegt, und Luft gesucht hätte; sie hätten hierauf das Feuer gemildert, und je laulichter Selbiges geworden, je kleiner sey auch die Gestalt geworden, biß sie endlich gar nicht mehr zu sehen gewesen.

§ 184. Ich kann nicht leugnen, daß vieles bey dieser traurigen Mord-Geschichte zu bedencken vorkommt, insonderheit, wie der arme Sünder, der so ängstlich in den Kolben geschwitzt haben soll, es hat möglich machen können, daß er auch außerhalb demselben, vor dem Bette des Handlangers hat erscheinen, und mit Ihm sprechen können, und ich weiß auch außerdem, das Hr. Winter eben so zuverläßig ist, als ein ander Evangelist. Indeßen wenn die Erzehlung des Herrn Hofraths Grund haben solte, so scheinet sie einen der stärcksten Beweise von unserm Daseyn nach dem Tode abzugeben, und es wäre alsdann zu wünschen, daß diejenigen, die pure Maschienen aus uns zu machen gedencken, einmal eine solche Erfahrung mit ansehen möchten.

Ich selber kann nicht leugnen, daß ich eine solche Erscheinung allen andern vorziehen, und zum Preiß unsers großen Schöpfers der Nachkommenschaft mit den glaubwürdigsten Umständen hinterlaßen würde. Es scheinet aber die göttliche Weisheit habe mit Fleiß, einen Vorhang vor die Scene gezogen, die sich nach unserm Tode erst eröffnen wird, damit wir, weil wir nicht wißen, was nach dem Tode eigentlich mit uns vorgehen werde, den Weg der Tugend als den sichersten erwählen, und es nicht darauf ankommen laßen sollen, daß es nach dem Tode vielleicht mit uns aus seyn möchte. Denn so gerne sich auch ein Theil Menschen zu bereden suchen, daß der Todt ihrem gantzen Seyn und Wesen ein Ende machen, und selbiges gänzlich vernichten werde, so wenig zuverläßige Gründe können sie doch von diesen Gedancken auftreiben, und die Frage, ob wir nach dem Tode seyn oder nicht seyn werden, muß Ihnen um so viel mehr zu schaffen machen, je weniger sie die Möglichkeit, daß es gleichwohl seyn könne, daß wir nach dem Tode noch seyn möchten, mit Verstande leugnen können.

Gesetzt also, diese Möglichkeit erreiche in der That ihre Wircklichkeit, werde ich nicht allemal sicherer handeln, und ruhiger sterben, wenn ich mich, da ich weiß, daß alle Handlungen, über kurtz oder lang, ihre gewißen Folgen haben müßen, wenn der Zusammenhang der Natur nicht zerrißen werden soll, keine verdrüßlichen Folgen meiner Handlungen wegen zu besorgen habe, als wenn ich befürchten muß, ich möchte hundertfältig erndten, was ich im Leben ausgesäet. Doch ein jeder trage diesfalls seine Last; ich wende mich wieder zu meiner Erzehlung.

§ 185. Wir gelangeten gegen den Abend glücklich und vergnügt[316] zu Franckfurth an. Weil ich nun vor Thorschluß, noch nach Offenbach muste, so beurlaubete ich mich von dem H. Hofrath Schmidt und ging meines Weges. Ich hätte zwar in meinem Interims-Quartier, bey dem Buch-Drucker Cronau bleiben können: Allein weil ich mich allgemach zu meiner Rückreise nach Berlenburg rüsten muste, so wolte ich lieber mit H. Cramern meine Zeit noch passiren. Er bezeugte mir nochmalen, daß er mich nicht gerne von sich ließe, wie Er aber sahe, daß es nicht anders seyn konte, gab er sich zufrieden.

Des andern Tages erkundigte ich mich bey H. Haugen, wann Er wieder nach Berlenburg reisen würde, weil ich mit meinem Lands-Manne nicht zurückreisen wolte. H. Haug hatte sich nebst seiner Frau auf eine Krupelfuhre verdungen, wobei wir mehr gehen musten, als wir fahren konnten, Allein um der Gesellschaft willen machte ich Mit-Compagnie, und wir fuhren, nachdem ich mich allenthalben beurlaubet hatte, Gottlob, glücklich bis nach Eyffe. Diß war ein Darmstädtisch Dorf, so nur ungefehr 2 Meilen noch von Berlenburg lag. Weil ich nun mit der Schnecken-Post zu fahren, weiter keine Lust hatte, und Weg und Wetter gut waren, so nahm ich von meiner Gesellschaft Abschied und ging vollends zu Fuße nach Berlenburg.

§ 186. Meine lieben Hauß- und Tisch-Genoßen branten vor Begierde mich wieder zu sehen, und meine Ebentheuer zu vernehmen. Ich vergnügte sie auch, und wir lebten wieder nach unserer alten Art, zumal da wir die ekelhaften Inspirations-Versammlungen nicht mehr besuchten, recht zufrieden. Es währete nicht lange, so beschehrete mir Gott noch einen treuen, und bis diese Stunde noch beständigen Freund, aus Leipzig, den ich Rectus nennen will. Er konte mir die Freude, die er aus meinen Schriften empfunden hatte, nicht genugsam zu erkennen geben, und beschenckte mich dieserwegen nicht nur mit etlichen Ducaten, sondern versprach mir auch jährlich, als was Gewißes, 20 Thaler zu übernehmen. Welches Er auch bis jetzo, nicht nur treulich gehalten, sondern wie wir bald weiter hören werden, noch viel ein Mehreres gethan.

Es gewann also je länger, je mehr das Ansehen, daß mich Gott die Früchte meiner Arbeit, Trotz meiner Neider, reichlich genießen laßen wolte, denn es fanden sich nach und nach immer mehrere Freunde, die ich vor mich nimmermehr hätte zu suchen gewust, und die doch, ohn alles mein Begehren, dann und wann zu meinem Unterhalte etwas beytragen musten; und ob sie schon nicht alle so beständig waren, wie mein Bruder Benignus und der neue Bruder Rectus, so half doch ihr Beistand auf eine Zeitlang; ja, wenn einer oder der andere mit seiner Hülfe ausblieb, so erweckte Gott bald wieder[317] einen andern, daß ich immer so viel, ja bisweilen mehr hatte, als ich brauchte, und die Hand des Herrn bey meinen Arbeiten (die manchen ein Dorn im Auge waren) recht sichtlich spüren konnte.

§ 187. Wie H. Zepper, mein Wirth, nach meiner Wiederkunft von Franckfurth, sahe, daß ich nicht mehr Bändel machte, sondern eyfriger als vorhin auf mein Schreiben erpicht war, konnte er sein Mißvergnügen nicht bergen, und gab mir selbiges auf allerley Art zu verstehen. Einstmals, wie er eben mit Einschiebung der Brodte, in den Back-Ofen, beschäftiget, und ich im Ausgehen begriffen war, wo ich vor ihm vorbey muste, ließ er sich in einen Discurs mit mir ein, und sagte unter andern: Was doch das Bücherschreiben nutzte, es wären ja Bücher genug in der Welt etc. Weil ich nun sahe, daß ich einen Naseweiß vor mir hatte, so fragte ich ihn hinwiederum: Was doch das Brodt-Backen nuzte, es wären ja auch Brodte genug in der Welt, und es hätte noch nicht das Ansehen, daß die Menschen verhungern würden, wenn gleich H. Zepper keine Brodte biecke; Ja sagte er, das wird von mir begehret. Ich antwortete, meine Schriften werden auch von mir begehret; und er konte mir kein Wort antworten, und durfte auch von dem Tage an hinfort nicht weiter fragen.

Es war dieser ehrl. Mann sonst in seinen Hauß-Geschäften ungemein arbeitsam, und lies sichs Tag und Nacht blutsauer werden, meinte also, wer nicht eben auf die Art würckte, wie er, sein Bischen Brodt zu verdienen, der wäre entweder ein Faullentzer, oder triebe Fürwitz. Wie er aber mit der Zeit immer deutlicher sahe, daß mir Gott bey meinem vermeinten Fürwitz, bisweilen dergestalt beystund, daß ich Ihm, da es Ihm, bey aller seiner Arbeit doch manchmal am Gelde fehlete, bis 20 Thaler vorstrecken konnte, so konnte man Ihm fast an den Augen ansehen, daß Er im Hertzen den Gedancken der murrenden Arbeiter im Weinberge Plaz verstattete, und sich in die Wege Gottes mit mir gar nicht zu finden wuste.

§ 188. Mein Benignus hatte indeßen in seinem letzteren Briefe eine große Begierde geäußert, mich von Person kennen zu lernen; und mich daher inständigst ersucht, Ihn auf seine Kosten in Berlin zu besuchen. Es hätte dieses Begehren, da ich nicht weniger begierig war, einen so wahren Freund gleichfals von Person zu kennen, bald gemacht, daß ich auf meine alten Tage wieder Barba zu decliniren angefangen hätte. Eine heimliche Vorsicht aber machte, daß ich dieses sonst flexible Wörtchen, zur selben Zeit vor ein Indeclinable ansahe, und man wird aus der Folge erkennen, daß mir diese Vorstellung nicht umsonst gemacht worden.

Ich meldete also meinem theuersten Benigno aufrichtig, daß ich[318] mir das gröste Vergnügen machen würde, sein Begehren zu erfüllen, wenn ich nicht besorgen müste, daß Er sich an meine Gestalt stoßen, und dieserwegen Verdrüßlichkeit haben möchte (die gewiß auch nicht ausgeblieben seyn würde, wenn ich in meiner damaligen Positur Berlin würcklich hätte betreten sollen). Ich machte Ihm auch, außerdem, diese Reise erschrecklich schwer, indem ich Ihm vorstellete, daß ich, um allerhand Spott zu vermeyden, mit der Post nicht gerne reisen möchte, und daß, eine eigene Fuhre zu dingen, gar zu kostbar fallen würde.

Er kehrte sich aber an nichts, sondern wurde noch curioser diesen heiligen Maulaffen recht in der Nähe zu betrachten. Er meldete mir also nicht allein, daß Er sich an nichts stieße, sondern, daß ich ihm nur berichten solte, wie und wann ich reisen wolte, so wolte Er mir die Reise-Kosten unverzüglich übermachen. Meine Leutchen und ich selber, konnten uns nicht genug über des theuren Bruders Gemüths-Festigkeit wundern, und mir wurde in der That, da ich keine Ausflucht zur Entschuldigung mehr fand, etwas wunderlich zu muthe. Obstupui, steteruntque comae, vox faucibus haesit.

§ 189. Es würde mich nicht das Geringste angefochten haben, wenn ich den verzwickten Bart nicht gehabt hätte; ja es schien recht, als wenn mir Gott diese Reise mit Fleiß anmuthen ließe, um diese ungewöhnliche Masque wieder abzulegen. Es würde mir auch kein Mensch vor übel gehalten haben, wenn ichs würcklich gethan hätte, und ich würde vieler Ungelegenheit überhoben gewesen seyn, wenn ich den Vorstellungen der Vernunft Gehör gegeben hätte.

Aber, wann ist ein Heiliger im Stande dieses zu thun? Die Phantasie, die Gestalt meines vermeynten Heylandes an mir zu tragen, die von so wenigen mehr geachtet würde; die Erinnerung des unbeschadeten Ausganges meiner Franckfurtschen Creutzgangs-Avanture; der freye Paß, den ich mit meinem Barte bis Darmstadt, Franckfurth, Friedberg, Giessen und Marpurg gehabt hatte, und der dringende Beruf meines Freundes, der ganz ohne mein Suchen, und wider meinen Willen an mich kam, und mich zum wenigsten versicherte, daß ich diese Reise nicht aus eigenen Muthwillen anstellete, und was mir sonst noch mehr vor Grillen damals einfielen, ließen mich zu keiner vernünftigen Ueberlegung kommen.

Ich schrieb also meinem Benigno, daß ich mit einem bedeckten Karn von Berlenburg abreisen würde, so bald ich das Geld zur Reise von Ihm kriegen würde. Er säumte gar nicht lange, sondern schickte mir würcklich eine Assignation, in Franckfurth am Mayn, 64 Reichsthaler in Franz-Gulden vor mich zu heben.[319]

§ 190. Eine geheime Vorsicht muste Ihn regieret haben, mir so viel zu schicken. Denn ich reiste zum April, und muste, ohne meinen Freund gesehen zu haben, unverrichteter Sache wieder zurück, da mir das übrige Geld, ohne welches ich meine Rückreise nicht würde haben verrichten können, treflich zu statten kam. Ich konte meine Abreise, weil ich einen auswärtigen Fuhrmann nehmen muste, so geheim nicht halten, daß nicht ganz Berlenburg hätte wißen sollen, wo ich hin reisete. Man wuste also in Berlin eher, daß ich kommen würde, als ich einmal abgereist war.

Die dasige Clerisey solte auch (wie mir Bruder Benignus hernach schrieb) bereits alle Anstalt gemacht haben, mich in Empfang zu nehmen, und mir ein Quartier auf dem Zuchthause anzuweisen. Ich war also da schon verrathen und verkauft, und diesen Liebesdienst solte mir, der Sage nach, der Bruder Tuchtfeld gethan haben, der zur selben Zeit, wohl nicht denken mochte, daß ihm ein dergleichen Quartier selber, nach 13 Jahren in Berlin würde angewiesen werden: Er muste es aber in der That erfahren, indem er Anno 1752 anfangs in den sogenannten Ochsenkopf gebracht wurde, welches ein Hauß war, wo man den Müßiggängern was zu thun verschaffte, woraus er aber nach weniger Zeit, nach der Charité wandern muste.

Es geschahe dieses eben zu der Zeit, da ich zu Berlin nicht allein in vollkommener Freyheit, sondern auch in gutem Wohlstande lebte, und die Ursache, warum der Herr ein solch Aufsehen auf diesen seinen Heiligen hatte, war folgende: Er fing an im Thier-Garten, bey Berlin, zu predigen, und seines Herrn Namen zu verkündigen. Ein Officier warnte ihn freundlich, Er möchte diese Apostolische Verrichtung einstellen, wo Er nicht haben wolte, daß Ihn die Policey beim Kopf nehmen solte. Er berief sich aber auf den Beystand seines Heylandes. Der Officier versetzte, daß er sorge, seyn Heyland möchte ihn dismahl im Stiche laßen. Und siehe der Soldat hat wahrer prophezeyet, als der Heilige. Denn nicht lange darnach muste Er, weil Er Menschen-Verstand nicht gelten laßen wolte, nach dem Ochsenkopfe reisen, und endlich wurde ihm sein Predigt-Platz in der Charité angewiesen: dahingegen mir allenthalben frey zu reden vergönnet wurde, was vernünftig und der Natur, Gottes und der Menschen gemäß war.

§ 191. Ich wuste indeßen damals, wie ich mich zu meiner ersten Reise nach Berlin rüstete, nicht allein nichts von allen, was mir bevorstund, sondern hätte mir auch eher alles in der Welt einfallen laßen, als daß ich, nach diesem, noch Zweymahl eben diese Reise und zwar mit mehrerem Vortheil würde unternehmen müßen.

Ich reisete also, kurz nach Pfingsten des 1739sten Jahres, erst[320] mit meinen Leutchen zu Fuße, bis nach Aarfeld, so ein Wittgensteinisches Dorf war, welches nur eine Stunde von Berlenburg lag. Daselbst hatte ich einen, mit einer Plane bedeckten Karn gemiethet, auf welches ich mir ein gutes Stroh-Lager hatte machen laßen, worauf ich, wann ich liegen wolte, meinen Schlafrock ausbreitete, wenn ich aber sitzen wolte, selbigen auf mein vorne stehendes Kufferchen, oder wie mirs sonst gelegen war, zusammen legte, und solchergestalt bequem und nach Belieben, sowohl sitzen, als liegen und nach Gelegenheit schlafen konte.

Meine Leutchen wünschten mir, unter vielen Thränen tausend Glück zu meiner Reise, und ich reiste in Gottes Namen, fröhlich und getrost, meine Straße. Wie es in der schönsten Jahreszeit war, da dies geschahe; also war meine Reise, da ich ganz allein, bald die schönsten und anmutigsten Gegenden betrachten, bald meinen Gedancken Audienz geben, bald gehen und mit meinen Fuhrmann sprechen, bald schlafen und bald wachen konte, überaus angenehm, und mein Bart, der allerdings nicht unangefochten blieb, muste nicht allein Gelegenheit geben, manchen ein Wort zu sagen, daß er sonst nicht gehöret haben würde, sondern er muste auch würcklich die stärckste Scheyde-Wand zwischen mir und der erbitterten Clerisey abgeben, daß sie mich nicht in ihre Clerisey kriegen konnte.

§ 192. Die erste Mittages-Station hielt ich in Wildungen, in der Grafschaft Waldeck, allwo ich mich an dem dasigen Gesund-Brunnen über die maßen erquickte, und dieses Wunder meines Schöpfers mit innigster Rührung betrachtete. Des andern Tages kam ich nach Cassel, allwo ich wieder ein Paar Freunde fand, die mich sehr wohl aufnahmen.

Der eine war der Stadt-Musicus, Pabst, deßen Sohn beim Grafen Casimir in Berlenburg, auch Musicus war, und mir einen Brief an seinen Vater mitgegeben hatte; dieser war ungemein erfreuet, mich von Person zu kennen, und schickte alsofort nach dem andern Freunde, der noch begieriger nach meiner Bekanntschaft war. Dieses war der H. Land-Fourier Kuhlmann, der mich nicht allein mit großer Zärtlichkeit empfing, sondern mir auch seine Liebe, durch Darreichung etlicher Gulden, zu meiner Reise, zu erkennen geben wolte. Ich nahm sie aber nicht an, sondern bat mir dagegen, außer dem Paß, den ich von Berlenburg mitgenommen hatte, noch einen von Cassel aus, welche Vorsicht mich vor einen sehr gefährlichen und verdrüßlichen Zufall schüzte, den ich bald erzehlen werde.

Wie ich hinter Cassel kam, verfolgte mich ein starckes Gewitter, daß ich das Dorf Landwehrenhagen, so zwischen Cassel und Münden[321] liegt knapp vor dessen völligen Ausbruch erreichen konnte: Aber auch dieses muste verhindern, daß ich diese Nacht mein Quartier nicht in der Bütteley zu Münden nehmen durfte, wie unfehlbar geschehen seyn würde, wenn ich gegen die Nacht, wie ich Willens war, zu Münden angelanget wäre. Es nötigte mich aber das Gewitter, im Dorfe zu bleiben, und ich ergötzte mich nach dessen glücklicher Endigung bey der wieder aufgehenden Abend-Sonne, an der ungemeinen Pracht, mit welcher selbiges die Gärten, Wiesen, und Felder ausgeschmücket hatte. Denn es war, bey der nunmehro, auf eine recht Majestätische Art von uns scheidenden Sonne, nicht anders, als wenn Wiesen und Felder mit lauter Perlen und Diamanten bestreuet wären, und ein Herz und Gehirn erfrischender Duft machten mich bey dem anmutigen Gezwitschere der mancherley Vögel, so aufgeräumt, daß ich wohl die ganze Nacht spaziren gegangen wäre, wenn der Leib nicht seine Ruhe gefordert hätte.

§ 193. Ich gab sie ihm also und schlief recht sanft, ohne mir im geringsten etwas träumen zu laßen, von dem Unstern, der mir des folgenden Tages erscheinen würde. Ich wäre capable gewesen, auf der Stelle gleich wieder umzukehren, wenn mir das Geringste davon hätte ahnden sollen. Es ist mir auch in meinem Leben dergleichen nicht begegnet, und mir schaudert noch die Haut, wenn ich daran gedencke.

Wir fuhren früh bey guter Zeit von Landwehrenhagen. Der steinigte und bergigte Weg, der von diesem Dorfe bis nach Münden ging, machte, daß ich meinen Weg zu Fuße nahm, und mein Gemüth bei einer Pfeife Tabac, an den anmuthigen Gegenden ergözte. Ich würde diese Stadt auch gern umfahren haben, wenn es möglich gewesen wäre; sie lag aber dergestalt zwischen Bergen und Waßer, daß man sie nothwendig passiren mußte.

Wir kamen also ungefehr um 7 Uhr des Morgens allda an. Wie ich in das Thor kam, und der Thor-Schreiber fragte, woher ich käme, und wie ich hieße, antwortete ich nach der Wahrheit. Bey Hörung meines Namens stuzte der Thor-Schreiber, und verlangte meinen Paß zu sehen; wie Er an meinen Namen kam, und vernahm, daß ich Christian hieß, sagte Er, weil er mich vor einen Juden ansahe: Das wäre ja wohl kein Nahme, den ein Jude zu führen pflegte. Ich antwortete, Ja, ich sey auch kein Jude. Ja, sagte Er, ich möchte seyn, wer ich wolte, so müste er mich bey dem Oberhauptmann melden. Denn es wären Steck-Briefe vorhanden, von einer gantzen Spitzbuben-Bande, worunter sich der Anführer Edelmann nennete.

§ 194. Ich laße meine Leser urtheilen wie mir bey diesem Morgen-Seegen[322] zu Muthe gewesen seyn müße. Ich sagte zwar, daß ich nicht davor könnte, daß ein Spitzbube meinen ehrlichen Namen führte, und Er könnte ja aus meinen Päßen wohl sehen, daß ich der nicht wäre, vor den Er mich hielte: Allein es half nichts, sondern Er schrieb einen Zeddul an den Oberhauptmann, zu welchen mich ein Soldat von der Wache, jedoch nicht als einen Arrestanten, führen muste.

Der Oberhauptmann empfing mich nicht zum freundlichsten. Wie ich Ihm aber kürzlich meine Umstände sagte, und bat, daß ich an meiner Reise nicht aufgehalten werden möchte, sagte Er: Ich müßte vor das Amt, und warten bis der Amtmann aus der Kirche käme. Hätte die dortige Clerisey ein Wort davon erfahren, daß ein solcher Kezer in ihren geheiligten Mauren wäre, so stehet zu zweifeln, ob ich wieder aus Münden gekommen seyn würde.

Ich gieng indeßen von dem Oberhauptmann wieder in mein Quartier, in welches allerhand curiöse Leute kamen, weil sich das Gerüchte, daß man einen verdächtigen Passagier erwischt, schon ausgebreitet hatte, und mich nahm Wunder, daß sich ihrer nicht noch mehr einfanden. Es verliefen fast 2 Stunden, ich wurde nicht gefordert. Darauf bat ich einen Bürger, der sich zu mir gesellet hatte, und es gut zu meinen schiene, er möchte mich, um ein Trinckgeld noch einmahl zu dem Oberhauptmann führen. Er that es zwar, ich merckte aber hernach, daß Er lieber gesehen hätte, wenn man mich beym Kopfe genommen hätte.

§ 195. Ich bat den Oberhauptmann nochmalen höflichst, mich nicht aufzuhalten, und Er hieß mich aufs Amthauß gehen; Er und der Amtmann würden gleich nachkommen. Wie ich vor das Amthauß kam, sahe ich schon eine ziemliche Anzahl Leute, worunter einer so, der andere so redete, alle aber hatten ihre Augen auf mich gerichtet. Ich grüßte sie alle freundlich, und sezte mich, ohne mich an ihre Discurse zu kehren, auf einen der steinernen Size, die vor dem Amthause waren. Sie patrouillirten auf dem Flur des Amthauses hin und wieder, und die meisten derselben schienen wohl Clauditchen, und von der ehrlichen Gesellschaft des Herrn Halt uns fest zu seyn, die sich freueten einen Braten erwischt zu haben.

Einen unter denselben hörte ich ganz vornehmlich in diese tröstlichen Worte ausbrechen: Dö schal wacker blute; und in der That war mir, troz meiner Unschuld, vor diesen Punct am allermeisten bange. Denn ich wuste, wie es gemeiniglich vor unsern christlichen Gerichten herzugehen pfleget, und es würde mir nicht leicht möglich gewesen seyn, es abzuwenden, wenn man mich, bis zur Untersuchung der Richtigkeit meiner Päße (worüber etliche Wochen hätten verlaufen[323] können) derweile in Gewahrsam gebracht und hernach allerhand Gerichts-Unkosten zu bezahlen gezwungen hätte.

Allein die Vorsicht, die mich geleitete, wendete die Sachen ganz anders. Der Oberhauptmann und der Amtmann kamen kurz nach mir, und ich bat sie im Vorbeygehen, nochmalen, mich nicht aufzuhalten. Sie ließen mich auch gleich in die Amtstube kommen, und da wartete ich nicht, bis sie mich erst anredeten, sondern ich redete sie mit aller Freymüthigkeit selber an, legte ihnen meine Päße vor, und sagte, wie sie fragten, warum ich denn einen Bart trüge, daß ich dieses zu Bezeugung meiner Freyheit thäte, und daß man in meinem Lande gar nichts daraus machte, weil mehere Leute allda lebten, die Bärte trügen, woran ich auch die lautere Wahrheit sagte, indem außer den Juden, alle Mennisten in dasigen Gegenden Bärte trugen.

§ 196. Der Amtmann, der nicht nach dem gemeinen orthodoxen Leisten zugeschnitten zu seyn schiene, that einige Fragen, im Punct der Religion an mich, und wie Er hörte, daß ich in der Lutherischen Religion gebohren und erzogen war, auch daß ich Theologicam studiret hätte, aber ein Pfarr-Amt anzunehmen Bedencken trüge, sondern mich gegenwärtig zu Berlenburg, wo einem jeden nach seinem Gewißen zu leben frey stünde, in der Stille aufhielte, und ganz und gar nach keinen Schäzen oder Reichthümern in der Welt trachtete, schien er ganz zufrieden mit mir zu seyn.

Beide Herren gaben mir also meine Päße mit aller Höflichkeit wieder, wünschten mir eine glückliche Reise, und hießen mich in Gottes Namen meine Straße zu ziehen. Ich bedanckte mich mit aller Ehrerbietung, vor geschwinde und gnädige Abfertigung, wünschte ihnen hinwiederum alles Gute, und gieng gewiß, um ein gut Theil, frölicher von des Raths Angesicht, als die Apostel, nachdem sie in der Apostelgesch. 5, 41, ihrer unbedungenen Arbeit wegen, den Staubbesen bekommen hatten.

Es hatte die Vorsicht auch dem Ansehen nach, darin über mich gewacht, daß mein Name und Schriften, die schon weit und breit in Deutschland bekannt waren, dennoch an diesen finstern Ort noch nicht bekannt seyn musten. Wäre dieses gewesen, so glaube ich nicht, daß ich ganz ungehudelt davon kommen seyn würde. So aber blieb ich unangefochten, ging wohlgemutht wieder durch die Stadt, nach meinem Wirthshause und hieß meinen Fuhrmann anspannen.

§ 197. Wie ich aus der Amtsstube wieder heraus kam, ohne daß zu einem, von denen auf mich passenden Kercker-Meistern, wäre gesprochen worden (wie geschrieben stehet) verwahre diesen Mann, da[324] hätte einer sehen sollen, was diese Engel des Bundes vor Gesichter machten. Sie steckten die Köpfe zusammen, sahen scheußlich, verstelleten ihre Gebehrden, und ihre ganze Positur gab zu erkennen, daß sie mir eben nicht die Mahanaim8 zu Geleits-Leuten wünschen mochten.

Ich ging aber, ohne mich zu verbergen, mitten durch sie weg, machte Richtigkeit in meinem Gasthofe, und zog meine Straße frölich fort.

Meine Reise ging durch das Hannöverische und Braunschweigische, über den Haartz, ganz vergnügt, und ich fuhr dem berühmten Beelzebub, der, wie man andächtig glaubt, auf dem Brockels-Berge sein Hoff-Lager haben soll, recht vor der Nase vorbey. Wie leicht hätte er mich nicht aufheben können, wenn er gewust hätte, daß ich ihm noch einmal so viel Unterthanen abspenstig machen, und ihn endlich selber aus dem Daseyn der Dinge verdringen und unter die Undinge mit rangiren würde.

Es scheinet aber, Er habe mich, dem zur völligen Gestalt eines Heiligen, weiter nichts mehr fehlte, als ein umglänztes Haupt (welches die Heiligen ohnedem, bey Lebzeiten, niemals zu tragen pflegen) vor eine, seinem Reiche recht nutzbare Person angesehen, wenn er mich als einen Heiligen betrachtet, weil er aus langer Erfahrung gewust, daß keine Art der Menschen mehr, zur Aufrechthaltung seines, sonst längst verfallenen Reichs, beygetragen, als die lieben Heiligen. Es hat sich aber dieser, sonst fast allwißende Tausend-Künstler, diesmal grob betrogen, und die Gläubigen werden zu thun haben, wenn sie sein damahliges Versehen verbeßern wollen.

§ 198. Die Städte Goßlar und Halberstadt berührte ich nur auf der Seite, durch die Vorstädte derselben, und es begegnete mir in denselben nichts sonderliches. Wie ich aber nach Magdeburg kam, sagte der Wachthabende Officier, der meine Päße untersuchte, und fand, daß ich Edelmann hieße, ich würde allhier viel Freunde antreffen. Weil aber meine Absicht nicht war, Jünger zu machen, oder auf gut Apostolisch, auf der Wurst herum zu reuten, so legte ich mich in ein abgelegen Wirthshauß, ruhete die Nacht wohl aus, und fuhr des andern Tages, ohne einen Menschen, der mich aus meinen Schriften kennen solte, gesprochen zu haben, in Gottes Namen meine Straße.

In Brandenburg gab es in dem Wirthshause, wo mein Fuhrmann fütterte, allerhand Discurse von mir: die Leute waren aber ganz artig, und erzeigten mir mehr Ehrerbietung, als ich werth war. Je näher ich Berlin kam, je mehr unterhielt ich mich in meiner Phantaste[325] mit meinem Benigno, von dem ich mir allerhand Vorstellungen machte, ob Er auch das an mir finden würde, was Er suchte. In der That würde Er es nicht gefunden haben, und es hätte leicht seyn können, daß meine persönliche Gegenwart, da ich noch ein armer Phantast war, der sich den Bibel-Gözen noch voppen ließ, alle Hochachtung, die der teure Bruder vor mich trug, mit eins zernichtet hätte: Weil aber die Vorsehung erkannte, daß wir einander beyderseits mehr nützen würden, wenn wir diesmal einander nicht zu sehen kriegten, so muste aus unserer persönlichen Zusammenkunft nichts werden.

§ 199. Ich war mir zwar nichts weniger, als dieses vermuhtend, weil der Haupt-Zweck meiner Reise kein anderer war, als daß wir einander von Person wolten kennen lernen. Allein es hieß auch hier: der Mensch denkt, Gott lenkt, und wir erkannten aus der Folge der Begebenheiten, beyderseits, daß Gott beßer, als wir Menschen, wiße, was uns gut und heilsam sey. Wären wir damals persönlich mit einander bekannt worden, und ich hätte dem lieben Bruder, der, ohne sichs gegen mir mercken zu laßen, zur selben Zeit schon weiter sahe, als ich, auf seine rechtmäßige Scrupel, und Bedencken, nicht die gehörige Genugthuung geben können, wer hätte Ihm verüblen können, wenn Er mich, wie einen andern Wäscher betrachtet, und seine Neigung wieder zurückgenommen hätte. Wäre aber dieses geschehen, so würde alle das unzählige Gute, das mir nach der Hand, durch Ihn zugewachsen, und mithin eine ganze Reihe, der merckwürdigsten Begebenheiten meines Lebens, zugleich mit verschwunden seyn. Diese also zur Würcklichkeit zu bringen, musten wir einander dißmal nicht sehen.

Potsdam war der Ort, wo sich die Scene meiner Reise auf einmal verwandelte, und mir anstat weiter zu gehen, der Rückweg anbefohlen wurde. Ich kam an einem Freytage gegen den Abend, glücklich vor den Thoren dieser Stadt an, ohne zu wißen, daß der König damals da war, inmaßen ich sonst über Spandau gereiset, und meinem Schuz-Engel aus dem Wege gefahren seyn würde. Der Grenadier, der die Wache im Thore hatte, wo er mich mit meiner Krüppel-Fuhre anrücken sahe, sagte ganz freundlich zu mir: O! Mein lieber Jude, du komst nicht herein, wie ich aber antwortete, daß ich kein Jude wäre, sagte Er, voller freundlicher Verwunderung zu mir: Nicht? Ey so muß ich euch melden.

Ich wurde hierauf in die Wachtstube der Herren Officiers geführt, welche eben speiseten. Nach kurzen Befragen, wo ich herkäme, warum ich einen Bart trüge etc., worauf ich meine nöthigen Antworten ertheilete, wurde mir ein Grenadier zugegeben, der mich also staubicht[326] wie ich war, auf das Schloß und vor den König führen muste. Dieser Grenadier schien ein frommer Mensch, und so viel ich aus dem kurzen Discurse, den ich bis zum Schloße mit Ihm hielt, abnehmen konnte, ein Gichtelianer zu seyn. Unterwegs begegnete Ihm ein Bekannter, der fragte Ihn: Du, wo willst du mit den Juden hin? Er antwortete Ihm aber: Ihr seyd Narren, Er ist ein beßerer Christ, als ihr seyd, und freuete sich recht, daß Ihn das Commando getroffen, mich zu begleiten, wäre mir auch gerne bis in mein Quartier gefolget, wenn Ihm solches erlaubt gewesen wäre.

§ 200. Er brachte mich indeßen aufs Schloß, wo ich abermal erst in die Wachtstube der Herren Officiers muste, die ebenfals speiseten, und mich ohne viel Fragens, gleich zum König führen ließen. Ich hatte bis dahin einen Haufen Begleiter, worunter einer zu mir sagte: verschweiget ja dem König nichts. Ich hatte kaum so viel Zeit, Ihm zu antworten: Ich werde Ihm nichts verschweigen, als mir die Thür zu des Königs Zimmer geöfnet und mir geheißen wurde hinein zu treten. Ich ging also hinein, und trat ungefehr ein paar Schritt von der Thür, und machte meine geziemende Verbeugung. Der König saß am Fenster allein, und rauchte Tabac, und seine Generals saßen, in Form eines Winkel-Maaßes, um Ihn herum. Wie ich, in gedachter Entfernung, bey der Thür stund, rief der König: Kommt her! Ich nahete mich demselben, mit gebührender Ehrerbietung, bis auf drey Schritte, und Er fragte weiter: Wo kommt ihr her? Die Antwort war: von Berlenburg, aus der Grafschaft Wittgenstein.

Warum laßet ihr den Bart wachsen? Antwort: Ich sehe nicht, warum sich ein Christ der Gestalt seines Heylandes zu schämen habe? Ha! sagte der König, ihr werdet wohl ein Wiedergebohrner seyn. Dieses konnte ich, weil es der König etwas unvernehmlich aussprach, nicht verstehen, und schwieg daher stille. Die Generals, die dieses merckten, widerholten die Frage, und frugen, ob ich ein Wiedergebohrner wäre? Ich antwortete hierauf: Nein! Ihro Majestät, darzu habe ich noch einen großen Sprung. Der König sagte: Er hat recht, und setzte hinzu: Da solte Massow da seyn, welcher damahls Obrister oder General seyn mochte, und mir von einigen so beschrieben wurde, als wenn Er sich unter die Wiedergebohrnen mit rechnete, weswegen allem Ansehen nach, der König gerne gesehen hätte, wenn zwischen Ihm und mir ein theologisches Kampf-Jagen vorgefallen wäre. In Ermangelung deßen, sezte der König seine Fragen fort.

§ 201. Die erste nach obigen war: Gehet ihr in die Kirche? Ich[327] antwortete: Ihro Maj. Ich habe meine Kirche bey mir! O! sagte der König, ihr seyd ein gottloser Mensch; ihr seyd ein Quäker. Ich antwortete, wir sind Narren, um Christi willen. In der That war ichs, und ich dachte, ich müste es seyn, weil es so geschrieben stünde, ungeachtet ich leicht hätte sehen können, daß auf die Art, der Gott der Gläubigen, nur ein Gott der Narren seyn müße. Allein der Bibel-Götze stund mir noch gar zu starck im Wege, muste mir aber doch, zur selben Zeit noch darzu dienen, daß mich der König nach der Positur, in welcher Er sich selber noch befand, nicht gar vor einen Atheisten ansahe. Er fragte also weiter: Gehet ihr zum Abendmale? Weil ich nun damals noch in den Gedancken stund, daß alle, die solches würdiglich genießen wolten, sich auch im Ernst entschließen musten, sich mit Christo zu gleichen, das ist, blutigen Tode pflanzen zu laßen; so antwortete ich: Wenn ich Christen finde, die sich, nebst mir, mit Christo zu gleichen Tode pflanzen laßen wollen, so bin ich bereit, Heut und Morgen, und wenn es sonst ist, das Abendmal mit ihnen zu halten.

Der König schien dieser Rede etwas nachzudencken, fragte also nach einer Weile weiter: Warum gehet ihr nicht in die Kirche, da wird es ja ausgetheilet? Ich antwortete hierauf freymüthig: O Ihro Majestädt, das halte ich nicht vor des Herrn Abendmal, sondern vor eine Anti-Christische Ceremonie; Es ist ja nicht einmahl ein Abendmal, sondern nur ein Morgen- oder Mittags-Mahl. Hierauf sahe der König seine Generalen nach der Reihe an, und diese beobachteten allerseits die gröste Stille.

§ 202. Ich muste mich in der That wundern, daß mir diese freye Rede so ungenoßen ausging. Es schien aber, als wenn sie den König mehr, als die vorhergehenden zur Aufmercksamkeit gebracht hatte, und Er frug hierauf weiter: Wovon lebt ihr? Ich antwortete kurtz: aus der Hand Gottes. Ja, sagte der König: Ihr werdet fechten gehen. Weil mir aber diese apostolische Weise, mein Brodt zu eßen, Trotz aller andern Phantasie, diesen heiligen Leuten nachzuäffen, nie angestanden hatte, so sagte ich: Nein, Ihro Majestädt, ich habe das nicht nöthig, Gott hat mir so viel gegeben, daß ich, als ein ehrlicher Mann, leben kan; Solte sich aber ja Mangel ereignen, so weis ich auch, daß Gott noch Christen hat, die der Noth ihrer Neben-Menschen unter die Arme zu greifen wißen.

Alles in der Welt hätte ich mir eher einfallen laßen, als daß seine Majestädt auch einer von diesen gutthätigen Christen hätte seyn wollen: ehe ichs mich versahe, sprachen sie zu einem der beistehenden: gebt Ihm 16 Groschen. Ich dachte nichts weniger, als daß das[328] mich angehen solte, sondern weil außer den Generalen, noch mehere Leute im Zimmer waren, die der König auch bisweilen mit einem flüchtigen Blicke ansahe, so meinte ich, es wiße der, dem dieser Befehl ertheilt wurde, schon, wem er gelten solte. Es wärete aber nicht lange, so kam einer aus dem Neben-Zimmer, und legte mir einen Franz-Gulden in den Huth.

Mein heiliger Hochmuth sah diese Königliche Gabe mit Verachtung an, und ich wäre capable gewesen, dem König, statt des einen Gulden, zwey oder mehere wieder zu geben, wenn mir die Klugheit nicht gesagt hätte, daß ich in diesen Fall, anstatt der Gabe, einen dichten Buckel voll Schläge, und wohl noch ein unangenehmer Tractament davon tragen würde. Inzwischen konnte ich doch, weil mir der Gulden, meiner damahligen Phantasie nach, eine rechte Last war, nicht unterlaßen, den König also anzureden: Ihro Majestädt, ich bitte mir eine Gnade aus. Der König fragte: Was? Ich antwortete: verschonen sie mich mit der Gabe. Er versezte etwas unwillig: Warum? Wollt ihr mehr haben? Ich antwortete mit einer ehrerbietigen Verbeugung: Nichts überall, Ihro Majestät, ich bitte unterthänigst, verschonen sie mich damit, indem ich es nicht nöthig habe. Der König versetzte nochmalen mit einem recht gutherzigen Tone: Ich schencks euch, im Namen Gottes. Und nun war es Zeit, mich länger nicht zu weigern, wo ich nicht einen gnädigen König in einen zornigen hätte verwandeln, und meine ganze Sache verderben wollen.

§ 203. So bald also der König, nach obiger Art, zu mir sprach: Ich schenks euch im Namen Gottes, machte ich meinen unterthänigen Reverenz und sagte: Im Namen Gottes nehme ichs an. Der König schien sehr wohl damit zufrieden zu seyn, und fragte weiter: Wo wolt ihr hin? Ich antwortete: Nach Berlin, wenn es Ihro Majestädt erlauben. Nein! sprach der König, nach Berlin solt ihr nicht, sondern man soll euch allhier im schwarzen Adler, ein Quartier anweisen, da solt ihr logiren.

Ich laße meine Leser urtheilen, wie mir bey der Verweigerung des Königs, mich nach Berlin zu laßen, zu Muthe gewesen seyn müße, da Berlin, und in demselben mein theuerster Bruder Benignus, der Haupt-Zweck meiner Reise waren. Es schien, aus einer flüchtigen Zwischen-Frage, die der König bey der Gelegenheit that, nemlich: Ihr werdet wohl bekehren wollen? daß Er mich vor einen umschweifenden Apostel halten muste: Wie ich aber kurz darauf antwortete, daß bekehren, ein Werck Gottes sey, und hinzusezte, daß ich mir eingebildet hätte, es wäre in Ihro Majestät Landen völlige Gewissens-Freyheit; so sagte der König: Ja, es soll euch auch in[329] eurem Gewißen nichts gekräncket werden; aber, nach Berlin solt ihr nicht kommen.

Ich versezte hierauf, ohne weitere Widerrede: Ich respectire Ihro Majestät Befehl. Aber fuhr Er fort: zu wem wolt ihr in Berlin? Ich antwortete: Zu dem und dem, und nannte meinen Bruder Benignum. Der König widerholte den Namen mit Verwunderung, und sahe seine Generalen dabey an; diese aber schienen nicht diesen rahren Freund zu kennen, indem sie mit den Köpfen schüttelten. Es fielen hierauf noch einige Fragen, in Ansehung meines Studii und der Bibel vor, deren eigentlicher Innhalt aber mir wieder entfallen ist. So viel ist gewiß, daß ich dem König in Ansehung des lezten Puncts eben nicht so geantwortet haben mochte, daß es vor orthodoxen Meistern und Gesellen hätte passiren können. Ich merckte aber doch, daß es Ihm, im Ernst eben nicht zuwider sein mochte, ob er sichs schon nicht gegen mich wolte mercken laßen, weswegen Er auch, beym Abschiede, mit einer fast lachenden Mine, zu mir sagte: Ihr seyd ein gottloser Mensch, Gott bekehre euch, worauf ich aber im Ernst versezte: Das wünsche ich Ihro Majestät auch, und ohne weitere Ceremonien nach ehrerbietigster Verbeugung, meiner Wege ging.

§ 204. Nun war aber guter Rath bey mir theur, allermeist deswegen, wie ich meinen redlichen Bruder Benigno, den ich vor diesmal zu sprechen, keine Hofnung hatte, mein Ebentheuer sicher zu wißen thun, und Ihm melden möchte, daß ich nicht nach Berlin kommen könte. Denn mit der Post getrauete ich nicht zu schreiben, weil ich besorgen muste, die Briefe möchten aufgefangen werden. Allein auch diese Schwierigkeit, hatte die Vorsicht, mir unwißend schon gehoben, und zwar auf folgende Art:

Zwischen Brandenburg und Pottsdam traf ich einen reisenden Goldschmids-Gesellen an, der einen schweren Ranzen auf den Buckel trug, und bey dem heißen Wetter, und sandigten Wege, nicht wenig schwizte. Er machte sich, weil ich ging, zu mir, und wie Er sahe, daß mein Karn nicht schwer beladen war, so bat er mich, ihm zu erlauben, daß er seinen Ranzen auflegen möchte. Ich erlaubte Ihm nicht allein das, sondern weil ich leicht vermuthen konte, daß Er müder, als ich, seyn müste, so both ich ihm auch meinen Platz auf dem Karn an, indem es mir zu gehen, beliebte. Er nahm beydes mit Danck an, und wurde mir hernach, vor diese kleine Gefälligkeit ein sehr nüzlicher Mensch. Denn, wie Er von meinem Fuhrmanne, der in der Stadt bleiben durfte, vernahm, daß ich nicht nach Berlin reisen durfte, kam er des andern Tages, von selbst, in mein Quartier, bezeugte mit vieler Zärtlichkeit, sein Mittleyd über meine Fatalität,[330] und erboth sich, wenn Er mir in Berlin was ausrichten könnte, solches treulich und mit Vergnügen zu thun. Ich ergrief diese gute Gelegenheit mit beyden Händen, schrieb dem lieben Bruder Benigno kürzlich, was mir begegnet war, mit Vermelden, daß, wenn Er mich sprechen wolte, er eilend nach Potsdam kommen müßte; und dieser Mensch bestellete alles treulich.

§ 205. Sobald ich von dem Schloße wieder an das Thor gelangte, wo ich hereingekommen war, wieß man mich nach den schwarzen Adler: vorher aber redete der wachthabende Officier noch verschiedenes mit mir, und Er schien kein unebener Mensch zu seyn, wie dann damals sehr viele unter den dasigen Grenadiern waren, die wohl ein beßer Schicksahl, als die Muskete verdienet zu haben schienen. Ich weis nicht warum mir der Gulden, den mir der König geschenkt hatte, so zur Last wurde, daß ich denselben gerne mit Manier, wieder los gewesen wäre. Ich entdeckte es dem Officier, mit Bitte, mir jemand anzuweisen, der ihn nöthiger brauchte, als ich. Er sagte aber, ich möchte des Königs Geschencke nicht verschmähen, Er möchte es erfahren, und ungnädig aufnehmen: Ich antwortete, daß ferne von mir sey, des Königs Geschencke zu verschmähen, (woran ich aber eben nicht die Wahrheit sagte) sondern weil mir es der König geschenckt hätte, so glaubte ich, daß ich damit thun dürfte, was ich wolte. Da nun leicht einer seyn möchte, der es nöthiger haben möchte, als ich, so möchte ichs ihm gerne gönnen. Er sagte aber, er wüste niemand, und dieser Gulden war meinen armen Wirth beschehrt.

Dieser war ein mühseliger Tagelöhner, der den schwartzen Adler in Pacht hatte. Er nahm mich, nebst seiner Frauen freundlich auf, gab mir ein eigen Zimmer in dem Hintergebäude und machte mir eine gute Streu. Ehe ich mich schlafen legte, ließ ich Ihn zu mir kommen, und der Discurs fiel bald auf seine eigenen Umstände, die Er mir sehr beschwerlich und armsehlig beschrieb. Da fiel mir ein: dieß ist der Mann, dem du den Gulden geben solt, und ich that es ohn Verzug. Seine Freude über dieses unvermuthete Geschencke, war größer, als die Meinige, wie es mir verehret wurde, und ich muß mich noch bis diese Stunde verwundern, daß mir der König, bey zweymahliger Verweigerung deßelben, nicht einen Buckel voll Schläge zutheilen ließ.

In der That war mein Betragen bey dieser Sache weder weißlich, noch lauter. Nicht lauter; denn es stack ein stinkender Hochmuth dahinter, kraft deßen ich mir eine Ehre draus machte, eine Königl. Gnade auszuschlagen: Aber auch nicht weißlich; indem ich[331] wohl wuste, daß Er nicht mit sich scherzen ließ. Es muste mir auch diese Thorheit nicht allein nichts schaden, sondern auch so viel noch nuzen, daß mich der König zum wenigsten vor keinen Landstreicher, oder Apostel ansehen konte, und mir geschahe, anstatt daß sichs mancher zum Schimpf gerechnet, und in heiligen Eifer, den Staub von den Füßen geschüttelt haben würde, daß er nicht in der Stadt bleiben dürfen, eine besondere Gnade, daß ich in die Vorstadt quartiret wurde, denn da war ich ungestört, konte ruhig schlafen, und in der Stille erwarten, wenn mein geliebter Bruder Benignus ankommen würde.

§ 206. Wenn mir die Umstände seiner Bedienung damals so bekannt gewesen wären, als sie mir jezund sind, würde ich auf deßen Ankunft gar keine Rechnung gemacht haben. Damals aber dachte ich, es würde Ihm eben so leicht, und noch leichter seyn, von Berlin nach Potsdam zu kommen, als mir gewesen war, von Berlenburg nach Ihm zu reisen. Ich muste aber ohne einmal eine Antwort von Ihm in Potsdam zu erhalten, nicht zwar gedrungen, dennoch weil diese außen blieb, unverrichteter Sache, wieder meinen Rückweg nehmen, nachdem ich von Freitag Abends, bis Sonntags, nach Mittag, in meinem Quartiere auf Ihn gewartet hatte.

Es besuchten mich des Sonnabends allerhand Leute, und der König lies selber zweymal nachfragen, ob ich noch da wäre. Es hieß auch, Er würde bey meinem Quartiere vorbey reuten, und mich noch einmal sprechen. Er wurde aber verhindert, daß Er nicht kommen konnte, und ich reisete des Sonntags drauf, nach Mittage gegen 4 Uhr, wie ich sahe, daß es diesmal nicht seyn konte, meinem Benignum zu sprechen, unter allerhand Gedancken wieder nach Hause.

Ueberhaupt konnte ich wohl sehen, daß eine höhere Fügung unsere Zusammenkunft diesmal verhindert hatte, was aber die eigentliche Ursache war, warum sie nicht hatte geschehen müßen, das blieb mir verborgen, bis ich nach Hause kam, und auch da, sahe ich damals nur noch einen Theil davon ein, indem mir noch nichts weniger einfiel, als daß wir einander, in der Positur worinnen wir uns beyderseits damals befanden, hätten sollen schädlich seyn können, welches doch gewiß erfolget seyn würde, wenn Gott unsere damahlige Zusammenkunft nicht weislich verhindert hätte.

§ 207. Meine Heimreise ging indeßen ganz wohl und ohne dem geringsten Anstoß von statten. In Münden kannte man mich noch, und ließ mich nunmehro ganz unangefraget passiren. In Cassel ruhte ich einen Tag und eine Nacht bey meinem lieben Bruder Chulmann aus, der mir viel Liebe erzeigte, und solche auch bey meiner Abwesenheit fortsetzte, indem Er mir noch mehrere Freunde erwarb, die[332] mir im äußeren, auf eine Zeitlang, wohl zu statten kamen, und mich dadurch immer mehr ermunterten, in meiner angefangenen Arbeit fortzufahren, welches auch geschahe, sobald ich wieder nach Hause kam.

Meine Leutchen, der Bruder Langemeyer und die Schwester Schelldorffinn, hatten sich zwar noch nichts weniger, als meine Ankunft versehen; sie wusten aber doch nicht recht, was sie von mir denken solten, weil unterdeßen, ein Brief vom Bruder Benigno, mit 2 Ducaten, an mich eingelaufen war, der sie, weil sie ihn nicht erbrechen dürfen, in nicht geringe Verlegenheit gesezet hatte. Sie waren also recht sehr erfreuet, wie sie mich gesund wiedersahen, und fragten mir bald ein Loch in den Ermel, warum ich so bald wiederkäme? Sie musten mir aber erst des Bruders Benigni Brief zu lesen geben, ehe ich ihre Curiosité vergnügte. Dieser fing nun recht beweglich also an: Zürne nicht, mein Herzens-Bruder, daß ich dich einen Weg, von mehr als 100 Meylen, umsonst reisen laßen etc. etc. Er erzählte mir hierauf umständlich, wie ich in Berlin würde seyn empfangen worden, wenn Gott den König nicht zu meinen Schutz-Engel gebraucht hätte. Ich erklärte den Meinigen dieses Räzel, durch die Erzählung meiner Potsdammischen Begebenheit, und wir wurden nicht wenig getröstet, als wir sahen, daß Gott eben den Herrn, durch welchen mich meine Feinde zu verderben gedachten, zu meiner Beschüzung und Erhaltung gebraucht.

§ 208. Nun sahen wir, daß mein Bart, der so viel Widerspruch gefunden, und vor eine unnüze Grille gehalten wurde, mir den grösten Dienst, bey dieser ganzen Reise gethan hatte. Hätte ich keinen Bart gehabt, so wäre ich in meinem gewöhnlichen Habit, mit der Post gereiset; wäre dieses geschehen, so wäre ich allem Vermuthen nach, nimmermehr vor den König gekommen; wäre dieses unterblieben, so hätte Er mich nicht wieder zurückweisen können; wäre dieses nicht geschehen, so wäre ich meinen Feinden in die Hände gereiset, und der König würde sodann wohl nicht mehr im Stande gewesen seyn, mich vor ihrer heiligen Wuth zu schüzen.

Aufs wenigste würde ich, wenn auch alles glücklich abgelaufen seyn würde, dennoch meinem lieben Bruder Benigno, vor Austrag der Sache, nicht wenig Herzeleid verursacht haben, indem Er sich, als die Ursache meines Unsterns würde betrachtet, und deswegen innigst darüber betrübt haben.

Ich selber würde Ihm zur selben Zeit, sehr wenig, oder nichts genuzet haben, indem ich noch ein armer Phantaste war, der sich von dem Bibel-Gözen, und allen seinen mit sich führenden Gespenstern, noch weit erbärmlicher umtreiben ließ, als mein lieber Bruder[333] Benignus, der überhaupt wohl sahe, daß es mit demselbigen nicht richtig stehen müste, sich aber doch selber aus dem Hanfe nicht helfen konnte, und doch glaubete, daß ich es würde thun können, welches mir aber zur selben Zeit platterdings unmöglich gewesen seyn würde. Er muste mir also selber erst auf die Spur helfen, ihn etwas in der Nähe zu betrachten, damit ich Ihm hernach wieder helfen könte, denselben in seiner natürlichen Blöße zu belachen; und zu diesem allen muste mein verachteter und verworfener Bart die benöthigten Vorbereitungen machen, und besonders verhindern, daß ich den theuren Bruder in meinem annoch unfesten Zustande nicht sprechen durfte.

Die Gelegenheit also, in meiner Erkänntniß weiter zu kommen, und nicht nur meinem lieben Bruder Benigno, sondern 1000 andern, die sich nicht zu helfen wußten, einen Dienst zu thun, den sie von keinem, ihrer sogenannten Seelsorger erwarten durften, war folgende: Ich hatte ungefehr, weiß nicht mehr wo? den Saz Spinozae gelesen: Deum essentiam rerum immanentem, non transeuntem status; das ist: Von Gott glaube ich, daß Er dergestalt das Wesen der Dinge sey, daß er denselben beständig innigst nahe, und nicht von denselben abwesend oder abgesondert sey. Dieser Satz kam mir von einem Manne, der so ein verschrieener Atheiste seyn solte, so rührend vor, daß ich in einen rechten Eyfer gerieth, daß man einen Mann, der einen, der Majestät Gottes so anständigen Satz behauptete, zu einen Gottes-Verläugner machen wolte.

Ich wurde daher, anstatt mich selbigen schrecken zu laßen, erst recht begierig den Spinozam selber zu lesen, welches vielleicht mein Lebtage nicht geschehen seyn würde, wenn deßen Saz, den ich nur im Vorbeygehen wo gelesen hatte, nicht einen so merklichen Eindruck in meinem Gemüthe gemacht, und mir Anlaß gegeben hätte, denselben ohne Vorurtheile, näher zu untersuchen. Ich konte dieses verrufenen Mannes Schriften, unter den mancherley Heyligen zu Berlenburg nirgend antrefen, muste mich also nothwendig, wenn ich sie lesen wolte, weiter darnach umsehen.

§ 209. Weil ich nun wuste, daß in Berlin öftere Auctiones gehalten wurden, so schrieb ich an meinen Bruder Benignum, der mir eben einen Catalogum geschicket hatte, in welchen des Spinozae Werke (die unter 100 Auctionen kaum einmal vorzukommen pflegen) mit enthalten waren, daß er mir solche, nebst verschiedenen andern brauchbaren Büchern, schicken solte. Denn es hatte mich dieser theure Bruder, nicht allein durch die Bekanntschaft, die Er mir, mit verschiedenen andern werthen Freunden zu wege gebracht hatte, die mir[334] alle, nach Vermögen mit ihren Mitteln beystunden, ziemlich in den Stand gesezt, etwas auf Bücher zu wenden, sondern Er hatte auch zum Behuef des Druckes 104 oder 106 Thaler zusammengebracht, die zu einem beständigen Fond dienen solten, immer etwas bey der Hand zu haben, wenn man was drucken laßen wolte.

Er hatte dieses Geld durch Wechsel an den Bruder Kuhlmann übermacht, der mir es umsezte, daß ich auf den Thaler noch ein paar Groschen profitiren konte. Der Bruder Kuhlmann that selber noch 10 Thaler, von den seinigen darzu, und überbrachte mir es in Person. Mir war seine Ankunft, wie leicht zu erachten, über die Maaßen erfreulich, und weil Er aber noch in die Erdbeeren-Zeit kam, die man bey Berlenburg, bis in den October, recht auserlesen haben konte, so erquickten wir uns, in Gesellschaft des Bruder Langemeyers, nicht allein in den anmuthigen Wäldern, mit diesen herrlichen Früchten, sondern wir genoßen sie auch, zum Preis des milden Gebers, wenn wir wieder nach Hause kamen, in einer kalten Schale. Denn es waren derselben so viel, daß man sie an manchen Orten hätte mähen können, und wenig Leute achteten sie da. Wir konten fast 2 Stunden lang in lauter Erdbeeren gehen, und bey solchem Ueberfluße nahmen wir nur die schönsten und reichsten, sammleten sie in unsere Körbchen, und verzehrten sie hernach, zu unserer großen, und mehr als Kayserlichen Erquickung zu Hause mit Wein.

§ 210. Nach etlichen Tagen reisete dieser wehrte Bruder wieder ab, und ich machte sofort Anstalt, das funfzehnde Stück der unschuldigen Wahrheiten drucken zu laßen, ohne zu wißen, was mir zwischen diese Arbeit vor andere Arbeiten kommen würden, die ich erst würde ausführen müßen. Inzwischen fand ich Gelegenheit, mit dem Gelde, so ich hatte, zwey Freunden zu dienen, die solches wohl nicht von mir vermutheten.

Der eine war Hr. Zepper, mein Wirth, der eben Korn kaufen wollte, und kein Geld hatte. Ich lehnte ihm also 30 Gulden, welches Ihn sehr in Verwunderung sezte, und Er begonnte, allmählig zu sehen, daß mein Bücher-Schreiben doch eben nicht so unnütz seyn müßte, als er bisher geglaubet hatte. Wie ich dieses Geld nicht in den Sorten hatte, die Er verlangte, ging ich zu Hrn. Haugen seinem Bruder, es umzusezen. Dieser war eben in Begrif, die Frankfurter Herbst-Meße des 1739sten Jahres zu beziehen, und eben so verlegen um Geld, als mein Wirth.

Wie Er nun hörte, daß ich dieses Geld einem guten Freunde lehnen wolte, so sagte Er: Es thäte ihm jetzt auch ein solcher guter Freund nöthig. Ich antwortete: Wenn ich Ihm auch mit[335] 30 Gulden dienen könnte, so wären sie auch so und so lange parat. Darüber wunderte Er sich noch mehr, nahm es aber mit Danck an, und beyde gute Leute haben mich ehrlich wieder bezahlt. Indem ich aber von Keinem die geringste Interesse nahm, so wurde ich in Berlenburg als ein reicher Kerl ausgeschrien, ohne daß die Leute wusten, wie es zuging.

§ 211. Meine Potsdammische Ebentheuer hatte indeßen in Berlin, bey verschiedenen Freunden, eine besondere Aufmercksamkeit verursachet. Unter andern war der damalige Provisor, in der Schloß-Apotheque, Hr. Erhart, der sich, auf Vernehmen, daß Bruder Benignus mit mir bekannt sey, auch mit demselbigen bekannt machte. Wie Er nun von ihm umständlich vernahm, was mir in Potsdam begegnet war, so konte Er sich nicht enthalten, zu sagen, daß Er es vor ein Wunder hielte, daß ich, aus des Königs-Tabacs-Zimmer, ohne Nasen-Stüber und Prügel weggekommen wäre. Er war daher begierig mich zu sehen, und gar bey mir zu wohnen, wenn mirs gefällig wäre.

Bruder Benignus that mir den Antrag, und Hr. Erhart schrieb selber ganz brüderlich an mich: Weil ihm nun Bruder Benignus das Zeugniß eines ehrlichen Mannes gab, der mir vielleicht in meinen Geschäften, weil Er studiret hatte, etwas nützen könte; so lies ich mir, nach einem kurzen Brief-Wechsel, der uns immer näher mit einander bekannt machte, den Vorschlag gefallen, und meldete Ihm, daß Er, in Gottes Nahmen kommen könnte, wenn es Ihm beliebete.

Wie wir aber alle beyde, auf dem kleinen Stübchen, welches ich bey Hr. Zeppern inne hatte, unmöglich würden Platz gehabt haben, also nöthigte mich dieser neu zu hoffende Stuben-Geselle, ein geraumer Quartier zu miethen, und da erwählte ich eben dasselbe, in welchem vor diesen der ehrliche Dippel gewohnt hatte, nehmlich bey dem Schneyder Balde, am Thore, der von des Hrn. Seebachs seiner Secte, und also ein Socinianer war.

§ 212. Mir dünkt, ich höre einige, meiner ungeneigten Leser, allhier sprechen: Der Teufel habe wohl recht in Berlenburg sein Secret gehabt, und alle seinen Unflath allda zusammen geschmißen: Sie werden aber, sonder Zweifel wohl das Sprüchwort wißen, daß der Teufel immer auf den grösten Haufen zu schmeißen pflege, und also wird nicht der unansehnliche Ort Berlenburg, der gar nicht orthodox ist, sondern der ansehnliche Haufe derer, die sich unter diesem Namen, von langen Zeiten her, schon stinckend gemacht, die Städte seyn, wo er seinen Unflath am meisten auszuschütten pflegt.

Ich begehre denselben nicht zu rühren. Ich bin froh, daß mir[336] mein Schicksahl vergönnet hat, mich von selbigen zu reinigen, welches vielleicht so bald noch nicht hätte geschehen dürfen, wenn ich nicht nach Berlenburg gekommen wäre. Meine vorzunehmende Veränderung machte alda noch mehr Aufsehen. Denn wie die Leute hörten, daß ich einen Gesellen annehmen würde, wusten sie vollends nicht, was sie von mir denken solten. Sie sahen mich vor ihren Augen wachsen, und konten doch nicht sehen, wo ich meinen Wachsthum her bekam.

Etliche der Inspirirten, die eben nicht die besten Wirthe waren, und ihren Glaubens-Brüdern mehr zur Last, als zur Erquickung gereicheten, kamen selbst, und suchten Hülfe bey mir, und ich half ihnen auch mit Kleinigkeiten, mehr, Ihnen zu zeigen, daß ich mein Brüderliches Herz gegen sie nicht geändert hätte, als daß ich hätte hoffen sollen, daß sie deswegen klüger werden würden.

Alle diese Zufälle brachten mir immer mehere Achtung zu wege, und ich kann Gott zum Preise sagen, daß Er mich immer in solchen Umständen erhalten, daß ich nie habe borgen oder Schulden machen dürfen. Die Handwercks-Leute, die mir arbeiteten, und die dort gar nicht gewohnt waren, daß sie gleich bezahlet wurden, wenn sie ihre Arbeit geliefert hatten, machten große Augen, wenn ich gleich auszahlete, und es blieb ihnen ein Geheimniß, wo ich alle diese Mittel hernehmen muste.

§ 213. Am allerunbegreiflichsten kam es den Mennisten vor, die sich es Tag und Nacht Blutsauer werden ließen, ihr bischen Brodt aus der Erde zu hacken, und doch kaum so viel erübrigen konten, sich und die Ihrigen kümmerlich zu ernähren. Einer unter Ihnen, bey dem ich meine Butter nahm, und dem ich selber einmahl eine Caroline vorstrecken muste, wie Er überall hörete, daß ich nicht allein nichts schuldig war, sondern auch andern noch mit nahmhaften Summen dienen konte, frug mich einmal, seiner Einfalt nach: Wie ichs denn machte, daß ich, mein Brodt erzwänge? Ich antwortete: Mein Freund, ich suche nichts zu erzwingen; sondern ich thue treulich das Meine, wozu mich Gott tüchtig gemacht, und laße Gott vor das Seine sorgen. Diese Antwort vergnügte ihn, und Er und seine Glaubens-Genoßen begonnten mich lieb zu gewinnen.

Mittler Zeit hatte mein sauberer Lands-Mann, dem ich immer noch Gutes that, einen Bürger, Namens Gertig, beschwazt, ihm Geld zu einer Garn-Mühle zu lehnen, und Ihm weis gemacht, daß Er einen Sayet-Garnhandel anfangen wolte, womit Er in Franckfurth seinen guten Profit zu machen gedächte. Er machte auch würklich was zusammen, und zog damit nach Frankfurt. Ich, der ich Ihn vor einen ehrlichen Mann hielt, gab Ihm 6 Gulden mit, mir[337] ein paar dicke wollene Decken davor einzukaufen, mit denen ich mich und den Bruder Erhart, wenn Er kommen würde, zu decken gedachte, denn meine Leser müßen wißen, daß ich, in meinem neu zu beziehenden Quartiere keine Betten fand.

Ich kaufte also Zwillich, aus welchen ich vor dem Bruder Erhart und mich, 2 Unter-Röcke, und 2 Kopf-Küssen-Züchen machen ließ, dieselben füllete ich mit abgefallenen Laub, und die wollenen Decken solten unsere Ober-Decken seyn. Ich soll aber diese Decken auf den heutigen Tag noch zu sehen kriegen. Mein ehrlicher Lands-Mann behielt nicht allein die 6 Gulden, sondern ging auch nach Darmstadt zu meinem Bruder und übrigen guten Freunden, die eben so einfältig waren als ich, und ihm noch 11 Gulden an mich zu bestellen mitgaben, mit denen er gleichfalls in alle Welt ging, und mir auf die Art den Dank gab, daß ich ihn den Läusen aus dem Rachen gerissen hatte.

Es war aber dieses nicht der einzige Betrüger, der mich aufmerksam machen solte, die Geister beßer prüfen zu lernen, sondern es musten derselben noch mehrere gebraucht werden. Denn ehe ich noch von Herr Zepper wegzog, kam einer, Namens Bando, ein Ertz-Schwätzer, der unter dem Vorwand, fromme Seelen kennen zu lernen, Deutschland, Holland und England etliche Mal durchlaufen hatte, und sich pur von Gottsehligen Müßiggehen nährete.

§ 214. Er hatte zwar die Kunst jedermann allerley zu werden, noch nicht so vollkommen gelernet, als Paulus. Denn wenigstens ist mir nicht bewust, daß er den Juden zu gefallen, auch ein Jude geworden. Aber er wuste doch sonst einem jeden vortreflich nach dem Maule zu reden, und tausenderley wunderseltsame Begebenheiten aus seinem Lebenslaufe zu erzehlen, daß man Ihn eine Zeitlang wohl leiden mochte, wie Er denn der Frau Gräfinn von Schwartzenau (bey welcher ohnedem vor alle gottsehliche Herumläufer immer offene Tafel war) über 2 Monathe zur Gesellschaft dienete.

Ich hielt Ihn damals noch vor einen Menschen, der in der That (wie man damals zu reden pflegte) was rechtschafnes suchte, und ich betrog mich in so weit auch nicht, nur daß Er und ich von dem Worte: Rechtschaffen nicht einerley Begriffe hatten. Er gab mir die Seinigen aber bald zu erkennen, indem Er mir unvermuthet den Antrag that, ob ich nicht einmal eine Reise mit Ihm thun, und fromme Seelen anderwerts auch kennen lernen möchte. Er sagte, daß mich solches nichts kosten solte, indem Er schon Oerter wüste, wo wir in Seegen würden aufgenommen und nicht leer wieder an andere gottsehlige Herzen recommendiret werden.[338]

Er rühmte dabey sonderlich die ausnehmende Freygebigkeit der sogenannten Mystiquen zu Sapp-Meer in West-Frießland, die er mir insgesammt, als grundreiche Leute, und die Gegenden ihrer Wohnungen wie ein Paradiß beschrieb. Er schien sie auch, ihres vielen Guten wegen, schon mehr, als einmal heimgesucht zu haben, und dachte vielleicht, wenn Er mich mitbrächte, aufs neue, nicht eines geringen Seegens von ihnen theilhaftig zu werden. Mir also einen Muth zu dieser Reise zu machen, setzte Er mit einer, diese guten Leute nur auszulachen scheinende Miene hinzu, daß man bey denselben nicht allein alles vollauf fände, und vor nichts sorgen dürfte, sondern man könnte sich auch in weniger Zeit eine Börse von etlich und 50 Gulden machen.

Diß gab mir zu erkennen, daß dieser gute Mensch keine lauteren Absichten hatte, und weiter nichts suchte, als einfältige und gutherzige Gemüther mit seiner Scheinheiligkeit und gottsehlichem Geschwäz über den Tölpel zu stoßen, ihre guten Gaben im Müßiggange zu verschwenden, und einen frommen Tag-Dieb zu agiren. Ich sagte ihm also kürzlich, daß meine Gewohnheit nicht sey, auf der Wurst herum zu reuten, daß Er, weil Er ein gelernter Kaufmann war, wohl thun würde, wenn Er sich des Herumlaufens entschlüge, und eine stäte Lebens-Art erwählete, und damit ließ ich Ihn seiner Wege gehen.

§ 215. Nicht lange hernach kam ein großer vierschrötiger Becker, Namens Brösseke, aus Berlin, und besuchte meinen Wirth; Er war eben von dem Schlage, wie der Bando. Wie Er nun auch zu mir kam, und mir unter andern abgeschmackten Geschwätz, in welchem er mir seine Bekehrung beschreiben wolte, auch meldete, wie Er mit Christo auferstanden und gen Himmel gefahren wäre, hätte ich ihn beinahe einen unverschämten Lügener geheißen. Ich unterdrückte aber meinen Affect, und fragte ihn ganz freundlich: Ob er denn auch vorher mit Christo gestorben wäre? Er stuzte zwar über diese Frage, doch erhohlte er sich gleich wieder, und sagte: Ja, geistlicher Weise! Ich versezte hierauf: Das ist, in der Phantasie und Einbildung, in welcher man mit dergleichen Dingen bald fertig werden könnte: Ich wüste aber nicht, ob das so geschwind zugehen dürfte, wenn man sich mit Christo zu gleichem, das ist blutigem Tode pflanzen laßen solte. Er war dabey wie aufs Maul geschlagen, that etliche Seufzer, und machte, daß Er wieder von mir kam.

Sonder Zweifel dachte Er: das ist eine harte Rede, wer kan sie hören? Sie war es in der That, indem keine Ursache in der Natur zu finden war, wodurch ein vernünftiger Mensch hätte bewogen werden[339] können, einen andern todten Menschen zu gefallen, sein natürliches Leben in die Schantze zu schlagen: Allein weil sich dergleichen Schwätzer rühmen, mit Christo auferstanden und gen Himmel gefahren zu seyn, da man sie doch wohlgemästet vor Augen siehet, und nichts weniger von ihnen glauben kan, als daß sie mit ihren schwehren Fleisch-Klumpen eine solche Luft-Reise, ohne Halsbrechen solten zurückgelegt haben; so kan man sie nicht beßer eintreiben, als wenn man sie fraget: Ob sie mit Christo auch gestorben wären. Denn wie dieser nicht geistlicher Weise, oder in der Phantasie nur gecreuzigt worden; Also können sie auch nicht sagen, daß sie mit ihm gestorben sind, und wenn das nicht ist, fället das öde Geschwätz von Auferstehen und Himmelfahrt von selbst dahin.

§ 216. Ich war schon in dem vorigen Jahre mit dem ehrl. Bruder Fructuosus in Hamburg in Bekanntschaft gerathen, und darzu hatte mir der Bruder Ludolph geholfen, deßen ich schon etliche mal gedacht, und der nunmehro Doctor Medicinae war. Der Bruder Fructuosus schrieb zuerst an mich, und sandte mir zugleich einen Ducaten mit. Ich danckete Ihm davor schuldigst, und wir geriethen darauf weiter in Bekanntschaft, bey welcher er mir seine Liebe noch ein oder etliche mahl durch Uebermachung einiger Ducaten bezeugte.

Wie Er aber damals noch ein starcker Anhänger der Gichtelischen Secte war, bey welcher die Vernunft unter dem Gehorsam des Glaubens eben so hart tyrannisiret wird, als bey den Inspirirten; so geriethen wir über die Begriffe, die wir beyderseits von der Vernunft hatten, mit einander in Disput, worüber Er die Correspondenz abbrach, und eine lange Zeit nichts mit mir zu schaffen hatte. Nunmehro aber ist er einer mit von meinen besten Freunden, der mir wahre Bruder-Treue bewiesen, und noch beweist, auch hoffentlich bis an mein Ende beständig seyn wird.

Inzwischen, als wir damals in den Begriffen, die wir beyderseits von der Vernunft hatten, nicht mit einander stimmen konten, und ich doch aus der Erfahrung bereits wuste, was mir dieses göttliche Licht bereits wider die Inspirirten und alle andere Secten vor unvergleichliche Dienste gethan hatte, so schien mir die Sache allerdings der Mühe werth zu seyn, in einem eigenen Tractat meine Gedancken von dieser Materie etwas näher zu entwerfen.

Alles dieses geschahe aber, ehe noch an meinen Mosen gedacht wurde, welches ich darum erinnere, weil ich fand, daß dieser Tractat, den ich unter dem Titel: Der unbekannte Gott, erscheinen laßen wolte, nach dem Plan, den ich entworfen hatte, zu weitläuftig, und eine Arbeit von etlichen Jahren werden würde, weswegen ich ihn, wie[340] die Einsicht im Mose darzwischen kam, derweile liegen ließ, und hernach das, was ich etwa schon davon aufgesetzt hatte, damit es nicht gar umsonst geschrieben seyn möchte, unter dem Titul der Göttlichkeit der Vernunft herausgab.

§ 217. Es ist dieser Umstand von darum nöthig zu bemercken, damit man das Wachsthum des Lichtes, so mir Gott von Zeit zu Zeit scheinen laßen, daraus erkennen und mich keines Widerspruchs beschuldigen möge, wenn man wahrnimmt, daß in dem Mose (der doch eher, als die Göttlichkeit der Vernunft, im Druck erschienen) ein ungleich heller Licht, als in dieser erscheinet. Die Ursache ist, weil die Göttlichkeit der Vernunft eher, als der Moses entworfen, aber später und erst nach diesem, so wie sie war, zum Druck befördert worden.

Es ist mir zwar nicht unbekannt, daß der Hr. Dr. Baumgarten bey der Recension meiner unschuldigen Wahrheiten, im 9ten Stück seiner Nachrichten von merckwürdigen Büchern p. 219. dasjenige, was ich einen Wachsthum des Lichts nenne, eine Zunahme an Irrthümern zu nennen beliebet: Allein ich kan das nunmehro nicht allein ganz wohl leiden, sondern es würde mir auch Leyd thun, wenn Er diese Zunahme nicht an mir wahrgenommen hätte. Man siehet daraus, daß auch ein Blinder, in seiner stockdicken Finsterniß hat greifen können, daß ich in meiner Erkäntniß nicht still gestanden. Ob mir das zur Ehre oder Schande gereiche, darüber müßen andere Leute, als solche urtheilen, die bis an ihr Ende auf ihren 15 Augen zu bleiben geschworen haben.

§ 218. Kurz nach der Bekanntschaft mit dem Bruder Fructuosus meldete sich auch der Bruder Fidicen aus Altona durch Briefe bey mir, und weil Er mir in dem 2ten oder 3ten Briefe auch einen Ducaten von dem ersten König in Preußen schickte, worauf ein, der Sonne entgegenfliegender Adler gepräget war, mit der Ueberschrift: Nec soli cedit, das ist: Er weichet auch der Sonne nicht, so nahm ich (weil wir auch im Punct der Vernunft nicht mit einander übereinkommen konnten) daher Gelegenheit, ihn dieses Sinnbild zu recommendiren, und Ihn zu ermahnen, daß Er gleich dem Adler, dem Lichte der Vernunft nur munter entgegen sehen solte, so würde Er finden, daß die Augen seines Gemüths mehr gestärcket, als geblendet werden würden.

Es reuete aber den armen Mann, daß Er mir just diese Ueberschrift geschickt hatte, und Er blieb lieber mit seinem vergötterten[341] Pordage9 eine Nacht-Eule, als daß Er die Eigenschaft eines Adlers hätte annehmen sollen. Was aber weiter von diesem guten Bruder zu sagen, siehe, das ist geschrieben in der Göttlichkeit der Vernunft, und vieleicht werde ich seiner, wenn ich in der Folge meines Lebenslaufs nach Altona komme, noch einmal Erwähnung thun. Hier wird genug seyn, zu bemercken, daß wie ich Ihn, seiner unbesonnenen Anmuthung nach, nicht anbeten wollen, Er sich in aller Stille gleichfals von mir abgeführet.

Er gedachte mich vornehmlich damit zu schrecken, daß ich mir durch die Gedancken von der Göttlichkeit der Vernunft, alle Fromme zu Feinden machen, und ihre Herzen gegen mich dergestalt verschlüßen würde, daß mir keiner im Aeußeren weiter beystehen, oder zu meinem nöthigen Unterhalt etwas reichen würde. Das war aber just ein verkehrter Weg vor mich, denn ich suchte die Wahrheit nicht um zeitlichen Gewinsts willen, sondern um ihrer natürlichen Schönheit willen. Daher wenn alle Fromme mir gleich alle ihre Schätze damals zu selbstbeliebigem Gebrauch eröfnet hätten, mit der Bedingung, ich solte die Vernunft, wie vordem, wieder unter dem Gehorsam des Glaubens zwingen, so würde ich sie nur ausgelacht, und meiner Vernunft den Vorzug gegönnet haben.

§ 219. Durch Br. Cuhlmann war ich indeßen auch mit einem andern redl. Bruder in Münden bekannt worden, der sich Straube nannte, und damals ein Strumpf-Fabricante war, nachher aber auf dem Meßings-Hof bey Cassel, als Verwalter zu stehen kam, allwo Er auch vor einem Jahre ungefehr gestorben. Dieser ehrl. Mann erzeigte mir auch nach seinem Vermögen viel Liebe. Unter andern schickte Er mir einmal, wie ich bereits in Hachenburg war, eine gantze Kiste recht brauchbarer Bücher, nebst einem guten Unter-Bette, weil Er bey einem Besuche, den Er mit den Br. Kuhlmann zu mir that, gesehen hatte, daß ich auf einem Laub-Sacke schlief.

Eben dieser Br. Cuhlmann brachte mir auch in Hersfeld und Quedlinburg noch andere Bekannten zu wege, die mir gleichfals dann und wann Gutes thaten, mich aber dabey mit allerhand Fragen und Zweifels-Knoten dergestalt bombardierten, daß ich meine Hände voll zu thun bekam, und doch zur selben Zeit, weil ich mich an den Bibel-Götzen noch nicht wagen durfte, den Wenigsten auf ihre Fragen[342] genug thun konnte. Inzwischen machten mich doch diese Einwürfe die fast von allen vier Winden auf mich zubliesen, nicht allein immer aufmercksamer, und begieriger, auf den rechten Grund der Wahrheit zu kommen; sondern brachten mir auch, weil ich zur selben Zeit noch keinen unbeantwortet ließ, eine immer weitläuftigere und nicht unnütze Bekanntschaft zu wege.

Es ging selten ein Post-Tag vorbey, wo nicht ein oder etliche Briefe an mich solten eingelaufen seyn und man kann leicht erachten, daß mich diese Correspondenz was ansehnl. müße gekostet haben, ob sie schon so starck noch nicht war, als sie wurde, wie ich nach Neuwied kam, allwo ich einmal über 80 Gulden in einem Jahre, damit zu stehen kam. Inzwischen hat die gnädige Vorsehung Gottes alle diese, und weit größere Ausgaben, nicht nur ordentlich bestreiten helfen, sondern mich auch von Jahren zu Jahren, alles Drucks meiner Feinde ungeachtet, im Innern und Aeußern, immer ansehnlicher und munterer wachsen laßen.

§ 220. Bisher hatte ich in Berlenburg, wegen meiner Schriften noch keine Anfechtung gehabt; der dortige Reformirte Inspector, Hr. Schäfer, sahe, als mein nächster Nachbar, meinen Wandel, und daß ich nichts weniger, als Jünger zu machen suchte, deswegen ließ er so lange fünfe gerade seyn, bis der Br. Erhart zu mir, und mein Moses zum Vorschein kam, bey deßen Auftritt sich dann bald eine ganz andere Scene von dieser Seite eröfnete.

Ehe die Ankunft des Br. Erharts erfolgte, machte ich Richtigkeit mit meinen bisherigen Wirth und bezog auf Michaelis des 1739sten Jahrs mein neues Quartier, ging aber bis zur Ankunft deßelben, noch beym Br. Langemeyer, und der Schwester Schelldorfinn in die Kost. Meine neue Wirths-Leutchen waren ungemein diensthaftig und leutsehlig, und ich fand einen solchen Unterschied zwischen Ihnen und meinen vorigen Wirths-Leuten, daß er kaum größer seyn konte. Diese thaten mir zwar nichts zu Leyde: Aber auch wenig zu Liebe und Dienst, indem sie gleich etwas in ihrem Hauß-Wesen einzubüßen glaubten, wenn mir etwa die Magd einen Gang über die Gaße gehen solte.

Hingegen mein neuer Wirth und seine Frau, sammt ihrer Schwester, ingl. meines Wirths Sohn, und deßen Frau waren alle zu meinen Diensten, und versäumten eher etwas in ihren eigenen Verrichtungen, als daß sie mich hätten sollen auf was warten laßen, und diese Leute wurden doch von dem frommen Zepper meinem vorigen Wirth und seiner orthodoxen Frau, bloß darum, weil sie Socinianer hießen, gar nicht vor voll angesehen, sondern vor Auswürflinge[343] gehalten, mit denen rechtgläubige Christen keine geistliche Gemeinschaft haben müsten. Ich kehrte mich aber an nichts. Denn diese Auswürflinge waren mir nützer, als die, ohnedem weder halb noch gantz rechtgläubigen Separatisten.

Mein Stübchen stieß an des Cantzeley-Boten Garten, und weil es eine Eck-Stube war, so hatte ich zu beyden Seiten eine recht angenehme Aussicht, denn auf der einen Seite konte ich über den halben Theil der Stadt, und zwischen denen, mit anmuthigen Wäldern bewachsenen Bergen, bis auf das nächste Dorf Raumland sehen, und auf der andern ging die Aussicht in des Cantzley-Boten Garten, der so nahe an meine Fenster stieß, daß ich ganz bequem zum Fenster hinaus, in denselben steigen konnte. Weil mir nun der Eigenthümer dieses erlaubte und meine Wirths-Leutchen nicht weit davon auch einen Garten an diesem Berge hatten, in welchem ein Sommerhäuschen war, auf welchen ich theils den Schloß-Garten, theils die Stadt, theils die umliegenden Gärten, Felder und Wälder übersehen konte, so bediente ich mich dieses Vergnügens hernach mit dem Br. Erhart gar oft, und ich kan mit Wahrheit sagen, daß ich in meinem Leben nie zufriedener unschuldiger und vergnügter gelebt, als bey diesen Leutchen. Ich würde auch nimmermehr von ihnen weggezogen seyn, und Berlenburg verlaßen haben, wenn mich die Vorsicht nicht selber meinen Stab hätte weiter setzen heißen.

Es war dieses Jahr nicht nur in dem, ohne diß mageren Berlenburgschen Ländchen, sondern auch in den benachbarten Heßen-Caßelschen und Darmstädtschen Landen, ein Miß-Jahr gewesen, und das Getrayde stund nicht nur in einem ziemlich hohen Preise, sondern es wurde uns auch die Zufuhr aus dem Heßischen gesperret, daß eine recht sehr große Noth vor das arme Ländchen vor der Thür zu seyn schiene. Ich berichtete diese Umstände nach Leipzig an den Br. Rectus, nichts weniger vermuthend, als daß mir von dort aus, und also wohl von 50 Meilen her, ein so ansehnl. Proviant zukommen solte, als doch würcklich geschahe, zu meiner sowohl, als meiner guten Wirths-Leutchen recht erstaunender Verwunderung.

Denn kurz vor Br. Erharts Ankunft, schickte mir der liebreiche Br. Rectus nicht allein eine Tonne des feinsten Weitzen-Mehls, sondern auch eine solche Menge an allerhand der herrlichsten gebackenen Früchte, als Pflaumen, Aepfel, Birnen etc. sammt einem trefflichen Vorrath an allerhand Gewürz, und trockenen Zugemüße, als Pfeffer, Ingber, Mußcaten-Blumen und Nüße, Würtz-Nelcken, Cordemommen, Zimmet, Zucker, Schwaden, Weitzen-Grieß, Perlen-Graupen, Nudeln, Thee, Caffe, Tabac, eingemachte Pomerantzen-Schaalen etc.[344] daß wie diesen Vorrath meine Leutchen sahen, und hörten, daß mir dieses alles ein eintziger Bruder, und zwar, ohne Entgeldt, schickte, sie sich der Tränen kaum enthalten konnten, und nicht wusten, was sie dazu sagen solten.

§ 222. In der That war der Ausfluß dieser Liebe, so ausnehmend, daß mein Hertz selber in Freuden-Trähnen dabey schwamm, und die unvergleichliche Huld des großen Gebers nicht genugsam preisen konnte. Sie wurde aber noch mehr verherrlicht, wie ich diesen Seegen nicht vor mir allein behielt, sondern sowohl meinen Wirths-Leutchen als der Schwester Schelldorfinn und dem Bruder Langemeyer, reichlich davon mittheilete, und ihnen dabey zu erkennen gab, daß Gott noch tausend dergleichen Hände hätte, die alle offen, und zu geben, bereyt seyn müsten, wenn denen, die auf Ihn trauen, was von nöthen sey.

Wie ich also durch diesen unvermutheten Seegen in ziemlichen Vorrath gesetzt war, einen Kost-Gänger ohne Beschwerde anzunehmen, erhielt ich Briefe, die mir meldeten, daß Br. Erhart nun bald kommen würde. Ich ging ihm also, weil das Wetter noch ziemlich angenehm war, mit dem Br. Langemeyer etliche mal bis Schwartzenau entgegen, aber vergebens, weil Er sich mir unwißend, in Leipzig beym Br. Rectus etwas aufgehalten hatte. Endlich aber kam er doch im späten Herbst, und gelangte eben in der Nacht gegen 9 oder 10 Uhr in Berlenburg an. Er frug nach dem Br. Langemeyer, bey welchen er mich noch zu finden vermeinte: aber niemand wolte wißen, wo der wohnte. Meine Leutchen, die auch befragt wurden, wusten es eben so wenig, (denn man wuste wohl, wo der Schnührmacher wohnete, aber nicht, daß er Langemeyer hieß) sie kamen also zu mir, und fragten, ob ichs nicht wüste, indem eine Kutsche mit Fremden vorhanden wäre, die es gerne wißen möchte.

Sogleich fiel mir ein: das wird der Br. Erhart seyn; Ich ging Ihm also auf die Straße entgegen, fragte nach seinem Namen, und wie Er sich zu erkennen gab, empfingen wir einander sehr zärtlich. Br. Langemeyer, der seinen Namen ungefehr aus dem Fenster gehöret hatte, kam mit der Schw. Schelldorfinn auch herbey, und wir geleiteten unsern neuen Gast mit großen Freuden in mein Quartier.

§ 223. Die ersten Unterredungen, nachdem wir einander bewillkommet, waren wie leicht zu erachten, von unserm beyderseits geliebten theuresten Bruder Benigno, von deßen redlichen und wahren Naturell der Br. Erhart nich Worte genug machen konnte, indem ihm derselbe, da er 100 Thlr. zu seiner Reise von ihm borgen wollen, dieselben nicht allein freundlichst bewilliget, sondern gar geschencket.[345] O! wie rar sind dergleichen Freunde, und wie glücklich ist der, dem Gott solche gönnet.

Meine dienstbaren Geister, der Wirth und seine Familie kannten sich kaum vor Vergnügen über unser brüderlich Betragen, und thaten alles was sie konnten, uns unsere Sächelchen mit einander in Ordnung bringen zu helfen. Die Schwester Schelldorfinn machte ein Klein-Abend-Essen, etwa von Cartoffeln, oder einem andern Zugemüße zu rechte, welches wir unter mancherley Discursen, ungeacht wir, meines Behalts, nur Wasser dabey truncken, mit großer Zufriedenheit verzehrten. Nachdem sich unsere Helfer von uns beurlaubet hatten, blieben wir bey einer Pfeiffe Taback noch bis Mitternacht beysammen, und redeten von allerhand, die damaligen fast in ganz Deutschland der Religion wegen, sich regenden Bewegungen, betreffenden Materien. Endlich wieß ich ihm seyn, aus Laub-Säcken gemachtes Lager an, welches Er aber, da ich eben dergleichen hatte, mit Vergnügen bestieg, und auf demselben noch bald bis gegen den Tag von mancherley merckwürdigen Dingen mit mir discurirte.

Wir überließen uns hierauf der benöthigten Ruhe und schliefen beyderseits sowohl, daß es, weil der dicke Nebel in dasigen Gegenden, zu Herbst- und Winterszeiten, vor 9 Uhr nicht viel Tag werden läßet, fast 10 Uhr war, wie wir aufstanden. Ich hatte meine Leute schon gewöhnt, daß sie eher nicht in unser Revier kommen durften, als bis wir ihnen klopften, und also konten wir unsere Ruhe, die wir nachher gemeyniglich erst gegen 3 Uhr des Morgens einnahmen, ungestöhrt, und so lange wir wolten, genießen. Es kam auch dem Br. Erhart diese freye, unschuldige und ruhige Lebensart gegen die gezwungene, zerstreuende und unruhige Zeit, die Er in Berlin hatte aushalten müßen, so reitzend vor, daß Er sie gegen kein König reich würde vertauscht haben.

§ 224. Wir fingen nun an, unsere Haußhaltung ein wenig einzurichten, und auf jeden Tag zu bestimmen, was für ein Zugemüse unsere Kost seyn solte. Denn Fleisch schien sich nach der Phantasie, in welcher wir damals stunden, mit der Verläugnung, die wir auszuüben Willens waren, nicht wohl zusammen zu reimen. Wenn wir uns also doch des Sonntags, wenn andere Leute Braten aßen, etwas zu Gute thun wolten, so muste uns die Schwester Schelldorfinn einen Eyerkuchen und Kartoffel-Sallat machen, wobey wir vergnügter, als manche bey ihren Delicatessen waren. Die übrige Zeit waren Kraut, Kohl, Erbsen, Linsen, Graupen, Grieß, gebacken Obst und andre Zugemüße, unsere tägliche und vergnügte Kost, welche[346] Lebens-Art wir auch, so lange wir in Berlenburg waren, und also über 2 Jahr, mit guter Gesund- und Zufriedenheit fortsetzten.

Bruder Erhart war nun zwar ein ehrlicher und gutherziger Mann; aber was Gefälligkeit und ein guter gefälliger Umgang war, das schien er nicht gelernet zu haben, und hatte ich in diesem Punct einen sehr unbequemen und beschwerlichen Stuben-Gesellen an Ihm. Ich konte zum Exempel, durch kein Bitten von Ihm erhalten, daß er sich nur die eine oder andert Stundchen, in welchen ich meine Nachmittags-Ruhe zu halten gewohnt war, in der Stube und Küche stille gehalten hätte: vielmehr schien es als wenn Er mit Fleiß darauf ausgewesen wäre, mir diese längst gewohnte, und meinem armen Cörper nöthige Ruhe, wieder abzugewöhnen. Denn wenn Er den gantzen Tag noch ziemlich stille gewesen war (welches doch selten an ihm kam, indem Er des Lauffens und Polters, von der Schloß-Apotheque her, gewohnt war) so fing Er, so bald ich mich nur in mein Kämmerlein zur Ruhe begeben hatte, dergestalt an zu lermen, zu hanthieren, zu laufen und zu rennen, und die Thüren so geflißentlich zuzuschlagen, als wenn Er expresse zu dieser unangenehmen Bemühung wäre verdinget gewesen.

Zu einer andern Zeit, da Er wuste, daß mir die vielen Fliegen eine sehr unangenehme Gesellschaft waren, machte Er Thüren und Fenster auf, und konte nicht einmal leiden, daß ich dieselben in der Gegend wo Er saß, und auf seinem Tische, todt schlug. Mit einem Wort, Er that nicht anders, als wenn nicht ich, sondern Er, Herr von meiner Wohnung gewesen wäre.

§ 225. Ich sahe diese unbescheidene Aufführung, wie leicht zu erachten, eine ziemliche Zeit mit vielen Verdruß an, und fing schon an, zu bereuen, daß ich meine Ruhe dergestalt gestöhret, und mir ohne Noth eine solche Ruthe auf den Rücken gebunden hatte. Endlich aber muste ich mich doch, um nicht gar von Ihm untertreten zu werden, in etwas rühren, und Ihm die wenige Achtung, die Er vor mich bezeigte, in aller Liebe vorhalten. Allein Er hatte noch Recht übrig, und mein Eigensinn sahe sich genöthiget dem Seinigen zu weichen, wo wir nicht in Unfrieden hätten auseinander pritzschen wollen.

Es trug zu diesem Nachgeben (welches ich sonst vermöge meines hitzigen Naturells gar nicht gewohnt war) vieles mit bey, daß ich damals noch dachte, ich müste mich in allen Stücken verläugnen, und alles mit mir machen laßen, was andere, die ich vor beßer hielt, als ich selbst, nur mit mir machen wolten. Wie ich aber sahe, das Br. Erhart, der doch damals mein Brodt aß, nicht dergleichen that,[347] so gingen mir nach und nach die Augen auf, daß ich sehen konnte, daß mein Eigensin, allenfalls so gut als der Seinige sey, und daß mir, zum wenigsten ohne Sünde, frei stünde, in meinen 4 Pfählen nach meiner, und nicht nach eines andern Caprice zu leben, und wem dieß nicht anstünde, daß demselben gleichfalls nicht gewehret werden müste, sich nach einer andern Gelegenheit umzusehen.

Es würden diese Gedancken auch unfehlbar zum Ausbruch gekommen seyn, wenn ich sie nicht aus Hochachtung gegen meinen allerliebsten Bruder Benignum, unterdrückt hätte. Denn da mir dieser redliche Mann (der wie ich in der Folge melden werde, in Gefälligkeit des Umgangs, das gerade Gegen-Bild von dem Br. Erhart war) diesen heiligen Polter-Geist aufs Beste recommandiret hatte, und ich außer dieser seiner, Ihm zur andern Natur gewordenen, und in der That höchst unangenehmen Aufführung, doch sonst ein redlich, und bey andern Gelegenheiten dienstfertiges Gemüth bey Ihm fand, so lidte ich von Ihm, was ich konnte, und was ich von einem andern sonst so leicht nicht würde gelitten haben.

§ 226. Der Grund dieser Leydsamkeit war, daß ich, wenn die Affecten bisweilen bey mir rege werden wolten, dachte: Vielleicht ist deine Lebensart dem Bruder Erhart ebenso unangenehm, als dir die Seine, und Er begehrt deswegen doch nicht, von dir wegzuziehn. Ich war aber zu einfältig, einzusehen, daß Er das damals nur darum that, weil Er, ohne meinen Beystand nicht wohl würde haben leben können. Denn wie Er nur ein wenig zu Kräften kam, und mit mediciniren was verdiente, worzu doch meine Gelder, im Anfange, ein Ansehnliches mit beytragen musten, da war Er der Erste, der sich unter allerhand Vorwand von mir zu trennen suchte, ungeachtet Er mir, von freien Stücken, heilig versprochen hatte, mich mein Lebtage nicht zu verlaßen.

Ich schreibe dieses dem guten Bruder nicht aus Haß nach. Denn ich liebe Ihm noch, bis diese Stunde von Herzen, sondern nur zu zeigen, daß auch rechtschafne Gemüther, selten mit beyderseitiger Zufriedenheit, bey einander zu wohnen taugen, wenn sie nicht in allen Stücken einerley gesinnet sind. Wir schlepten uns indeßen doch ziemlich lange mit einander, unter mancherley Proben, wobey wir uns bisweilen rechtschaffen mit einander berochen, welches aber allemal im Geheim geschahe, daß andere von unsern etwanigen Mißhelligkeiten wenig oder gar nichts mercken konnten.

Mit einem Worte, wir wurden einander nach und nach immer beßer gewohnt, und Er, damit mir die Last der Haushaltung allein zu tragen, nicht endlich zu schwer fallen möchte, fing an, Arzeneien[348] auszugeben, und that glückliche Kuren, die aber theils wegen Armuth, theils wegen Undank und Grobheit der dortigen Art von Menschen schlecht bezahlt wurden, so, daß mein Beutel, unter der gnädigen Vorsicht des Allmächtigen immer noch das Beste bey unserm Unterhalt thun muste.

§ 227. Ich ließ Ihm, zum Behuef seiner Arbeit, in Marpurg eine Destillier-Blase mit einem Balneo machen, und der, so sie besorgte, hieß Tiele, war Br. Erharts guter Freund, und hatte in Berlin in der Hof-Apotheqen, zu Br. Erharts Zeiten in der Lehre gestanden, war aber nunmehro in Marpurg Provisor, und wurde durch vermittlung Br. Erharts auch mit mir bekannt, laß meine Schriften fleißig und wurde uns so lange Er sich alda aufhielt, in der That, zu allerhand Bestellungen ein sehr nützlicher Bruder.

Wir arbeiteten also, unter Gottes Beystand beyde mit einander um die Wette; Er in seiner Medicin, und ich in meiner Theologie, unsre Hausarbeiten aber, worunter das Holzsägen und Legen die schweresten waren, verrichteten wir gemeinschaftlich und dergestalt ämsig, daß sich unsre Haußleutchen oft darüber verwunderten, und sich recht glücklich schäzten, so ordentliche, verträgliche und nutzbare Leute im Hause zu haben. Denn wir ließen sie selten einen Gang vor uns umsonst thun, ungeachtet sie es gern und willig thaten. Wir hatten sie aber auch vor diese kleine Gefälligkeiten, bey Tag und Nacht, zu unserm Winck und Willen parat, und lebten in der That immer vergnügter.

Br. Erhart ließ seinen, gewiß nicht unansehnlichen Bücher-Vorrath von Berlin kommen, und wo ich mich recht besinne, so geschahe dieses auch auf meine Kosten. Ich selber, weil mir noch verschiedenes von diesen Meubeln, zu meinem Vorhaben fehlete, hatte nicht nur dem Br. Cuhlmann aufgetragen, mir in Cassel eine ziemliche Anzahl brauchbarer Bücher, in der Auction zu erstehen, sondern Br. Benignus hatte eben diese Commission, in Berlin dergleichen mit noch einer größern Anzahl zu thun, und es schien, als wenn die Vorsicht recht mit Aemsigkeit daran arbeitete, mich in den Stand zu setzen, das mir verliehene Pfändlein, sowohl mir, als meinen Neben-Menschen, immer brauchbarer zu machen.

§ 228. Den 1sten May des 1740sten Jahrs erhielt ich den ersten Transport dieser Bücher, aus Cassel, und den 24sten Jun. erfolgte der zweite aus Berlin, von Br. Benigno. Der Werth der Letztern belief sich auf etliche und dreißig Thaler: Sie wurden mir aber von dem, im Punct der Generosité wohl unvergleichlichen Br. Benigno, eben, als wenn Er noch gar nichts an mir gethan gehabt hätte,[349] abermal zum Präsent übermacht, ohne, daß Er, oder ich damals noch wusten, daß diese Bücher, den Anfang würden machen müßen, uns zu ermuntern, dem Aberglauben, der uns unter der scheinbaren Masque der Religion, beyderseits, jedoch mich mehr, als Ihn, auf mancherley Art, noch ängstigte, immer näher zu treten, und ihm endlich, zu unserm unaußsprechlichen Vergnügen völlig zu demasquiren.

So bald waren diese Bücher nicht angekommen, als ich suchte, mir dieselben auf alle mögliche Art zu Nuze zu machen. Das Erste, worauf mein Gemüth durch einen starcken innerlichen Zug gelencket wurde, war des Spinozae Tractatus Theologico-Politicus; das scheußliche Portrait, das mir meine Lehrer von diesem Buche und seinem Verfaßer gemacht hatten, würde vielleicht vermögend gewesen seyn, mich zu bewegen, es ungelesen wieder von mir zu legen, wenn ich nicht bereits aus der Erfahrung gewust hätte, daß in alle den Schriften, wovor diese Herren am meisten zu warnen pflegen, das meiste Gute stecke.

Ich nahm also den ehrlichen Spinozam, deßen bloßer Name mir in meinen Universitätsjahren schon ein Schaudern verursachte, nunmehro nicht nur ohne Furcht in die Hände, sondern ich laß ihn auch mit großer Aufmerksamkeit durch. Und obschon des Regneri a Mansvelt10 Widerlegung mit dabey gebunden war, die ich ebenfals durchzulesen vor mich nahm; so fand ich doch bald in den ersten Capituln, wie wenig Spinoza in denselben widerlegt war.

§ 229. Ich widerkäuete also fleißig, was ich bey Ihm gelesen hatte, nahm meine Vernunft, die ich nun schon beßer, als vor diesen brauchen konnte, selber dabei zu Rathe, untersuchte die Beschaffenheit der Sache, so gut es mir, in meiner damaligen Positur möglich war, zog andere Schriftsteller mit zu Rathe, die bald vor, bald wider das erschröckliche Ansehen der Bibel geschrieben hatten. Je mehr ich aber suchte, je mehr fand ich, auf was für einem elenden Grunde dieses fürchterliche Götzen-Bild stund, und bekam immer mehr Muth, demselben etwas näher zu treten.

Ich läugne nicht, daß es mir damals eben wie den Kindern ging, die den Knecht Ruprecht in Verdacht zu ziehen anfangen, und doch noch zu furchtsam sind, demselben hertzhaft nach der Larve zu greifen. Denn ich dachte noch immer, Andere ehrliche Leute, die tausendmahl gelehrter und belesen ersind, als du, und die du doch eben[350] nicht durch die Banck, vor wißentliche Betrüger halten kanst, fechten doch gleichwohl aus allen ihren Kräften, vor das göttliche Ansehen der Bibel, und man kan sehen, daß sie es nicht bloß zum Spectacul, sondern im Ernst thun. Wenn sie also überzeugt wären, daß es so schlecht um die Bibel stünde, wie Spinoza anmerckt, so würden sie ja nicht so leichtfertig seyn, dieselbe noch vor das Wort des lebendigen Gottes auszugeben.

Es fiel mir aber, vor großen Freuden über das wenige Licht, das ich in dieser Sache bereits erhalten hatte, nicht ein, daß ich vielleicht selber ganz anders dencken würde, wenn ich Superintendens, Abt oder Inspector über ein zahlreich Kirch-Spiel wäre, und von der Bibel, Ehre, Ansehen und meinen zeitlichen Unterhalt nehmen müste; Genug, der Trieb, den ich zu näherer Untersuchung dieses berufenen Buchs bei mir spührte, und den die Verehrer deßelben nothwendig einem widrigen Wesen zuschreiben musten, machte mir immer mehr Hertz, mich an nichts zu kehren, was mir bey diesem Geschäfte in den Weg kommen möchte, und die Erfahrung hat gelehrt, daß die Vorsehung, wenn sie das Ansehen eines Götzen stürtzen will, nicht Leute darzu erwehlen könne, die ihn, um ihrer zeitlichen Vortheile willen, noch anzubeten genöthiget werden.

§ 230. Mir, den eine höhere Hand in die Umstände gesetzet hatte, daß ich, ohne Furcht mein Brodt zu verlieren, nach der wahren Verhältniß der Sachen, meine Gedancken sagen durfte, war also schon genug, nur eine einzige Blöße an diesen vergötterten Buchstaben zu erblicken, so war mir schon der gantze Krahm verdächtig,11 und gab mir immer neuen Muth, denselben immer genauer zu untersuchen. Ich ließ mir die Freude, die meinem Gemüthe (Trotz aller Gefahr, die mir bisweilen vor den Augen schwebte) dißfalls aufstieg, gegen den Br. Erhart nicht mercken, weil ich ihn noch nicht vor starck genug hielt, etwas dergleichen an mir ertragen zu können. Inzwischen unterließ ich doch nicht, Ihn bisweilen Discurs-Weise über das Ansehen der Bibel auszuholen, gab Ihm auch (weil Er gut Lateinisch verstund) den Spinozam selber zu lesen, und da fand ich gar bald, daß Ihm nicht unangenehm seyn würde, wenn sich einer einmal, im Ernst, an diese Materie wagen solte. Denn es war uns armen, in der Finsterniß erzogenen Gemüthern, damals noch wenig wißend, daß das erleuchtete Männer, schon lange vor uns, auf verschiedene Art gethan hatten; ja Br. Erhart wuste in diesem Puncte, ungeachtet[351] Er eines Priesters Sohn war, noch mehr als ich, weil ich den Zweifel an der Göttlichkeit der Bibel beständig bey mir unterdrückt, und mir das gröste Gewißen gemacht hatte, Bücher, die das Ansehen der Bibel, von langen Zeiten her bestritten hatten, nur den bloßen Namen nach, bekannt zu machen.

Es war also keineswegs ein lange eingewurzelter Trieb zur sogenannten Freygeisterey, die Ursache meiner damaligen Untersuchung. Denn ich kann mich nicht mit Ueberzeugung meines Gemüths, besinnen, daß ich das Wort Frey-Geist jemals, auf Universitäten hätte nennen hören; oder, wo es ja geschehen, so mus der Abscheu, den man insgemein mit diesem, an sich unschuldigen Wort zu verknüpfen pflegt, das Andencken deßelben gäntzlich bey mir verdrungen haben; ja, ich erinnere mich, daß, als mein Successor bey dem Hrn. Grafen von Kornfeil, der Hr. Ehrlicher, der doch auch eines Priesters Sohn, und sonst mein guter Freund war, nur einmal Discurs-Weise etwas vorbrachte, wodurch Er sich über die Göttlichkeit der Bibel zu moquiren schien, ich dergestalt gegen Ihn aufgebracht wurde, daß ich Ihm mit ziemlicher Heftigkeit zu verstehen gab, daß Er, wo Ihm anders an meiner Freundschaft was gelegen wäre, inskünftige dergleichen Discurse nicht mehr gegen mich führen müßte, und ich glaube, wer mir damals hätte sagen sollen, daß ich über 10 Jahr, ungleich mehr in dieser Sache thun würde, als Er, der hätte mich auf den Hals gekricht.

§ 231. Ich war des heiligen Geistes, in der damaligen Stellung, so voll, daß ich mich mit Freuden, würde haben steinigen laßen, wenn ich gewußt hätte, daß ich dadurch die Bibelverächter würde haben bekehren können; und ist es wohl glaublich, daß mich derselbe, da ichs so redlich mit ihm gemeinet12, wenn die Bibel sein Werk wäre, dergestalt solte verlaßen haben, daß ich endlich genöthiget worden, ihm diese Arbeit gänzlich abzusprechen?

Da von den Verehrern dieser todten Buchstaben so viel Aufhebens von der innerlichen Kraft der Bibel, oder des sogenannten Wortes Gottes gemacht wird; so hätte es billig diese seine Kraft, zum wenigsten so weit bey mir beweisen sollen, daß sie die bisher mit gröstem Ernst bewahrte Hochachtung gegen dasselbe bey mir erhalten, und verhindert hätte, daß ich nicht von derselben hätte entfallen können13. Es erfolgte aber bei immer aufmercksamerer Betrachtung[352] dieses, bisher, nur auf Treu und Glauben meiner Lehrer vor Göttlich gehaltenen Buches, gerad das Gegentheil, und dieses anhaltende Nachdencken erweckte in mir den Trieb: die bekandte Schrift: Moses mit aufgedecktem Angesichte zu verfertigen.

Ich nahm mir vor, diesen berüchtigten Juden-Führer in 12, auf einander folgenden Anblicken, etwas näher, als bisher geschehen war, unter die Decke zu gucken: Allein die Blödigkeit meiner Brüder, hat bekannter maaßen, kaum 3 derselben öffentlich vertragen können, und es ist glaublich, daß sie die übrigen, fals sie sie nach meinem Tode zu sehen bekommen solten, noch tausendmal mehr in Verlegenheit setzen dürften.

§ 232. Wie ich den ersten Anblick fertig hatte, zeigte ich ihn dem Br. Erhart. Dieser brandte sogleich vor Begierde, denselben zum Druck zu befördern. Wir wurden also schlüßig, daß Er selber nach Büdingen reisen, und diese Schrift allda drucken laßen solte. Er trat diese Reise auch ungesäumt ungefehr im November des 1740sten Jahres an, konnte aber in Büdingen, weil das Werck vom Hrn. Magister Stockfinster censiret werden solte, nicht zu seinem Zweck gelangen. Er wandte sich daher nach Frankfurth am Mayn, allwo der Buchdrucker Eichenberg gar keine Schwierigkeit machte, das Werk in Druck zu nehmen, ungeachtet an diesem Orte wegen Wachsamkeit der Wächter Zions, tausendmal mehr Gefahr zu besorgen war, als in Büdingen.

Es scheinet aber, es müße damals eben ein recht tiefer Schlaf vom Herrn auf diese guten Leute gefallen gewesen seyn, denn sonst wäre es, allem Menschlichen Ansehen nach, ganz unmöglich gewesen, daß ein Blat von diesem, nach der Hand so viel Lerm machenden Buche, hätte zum Vorschein kommen können. Denn ungeachtet der Drucker seinen Leuten ernstlich, und bey Verlust ihrer Dienste, verboten hatte, nichts auszuplaudern, sondern alles in höchster Geheim zu halten, so wurde doch Bogen vor Bogen unter der Preße weg partiret, und in der Stadt hin- und her verbreitet, und die Person des Br. Erharts dadurch in der That keiner kleinen Gefahr ausgesetzet.

Er hielt aber standhaft aus, und berichtete mir fleißig alles was passirete. Mittlerweile hatte ich auch den 2ten Anblick fertig gemacht, und auf Ersuchen Br. Erharts, ohne Verzug, eingesandt, Br. Groß, der wohl am meisten seine Spions in der Druckerey hatte, und alles Brühwarm aus derselben erhielt, was gedruckt wurde, erklärte bey der Gelegenheit, seinem heiligen Eifer zufolge, diese, dem Teufel offenbar die Feigen zeigende Schrift, doch vor eine Teufels-Schrift, und dieses gab Gelegenheit, daß ich auch in möglichster Eil, den 3ten Anblick fertig machte und einsandte.[353]

§ 233. Mit demselben war es aber auch hohe Zeit, vor dißmal diesem Geschäfte einen Anstand zu geben, wonicht Br. Erhart und ich mit Ihm, in die gröste Ungelegenheit hätte gerathen sollen. Denn man fing in Frankfurth schon hier und da an zu munckeln, daß man Ihn nächster Tage nach dem Kopfe greifen, und mithin das gantze Werck im ersten Grase ersticken würde. Man kan sich leicht vorstellen, daß ihm dergleichen Evangelia eben keine sonderliche Freude erweckt haben müssen: Weil wir aber beyderseits damals noch dachten, daß wir uns, um der Wahrheit willen, müßten hinrichten laßen, und Br. Erhart in diesem Puncte, keinen geringern Muth wolte blicken laßen, als ich in meinem Mose gezeiget hatte, so hielt er männlich auß, und brachte auch den 3ten Anblick glücklich zu Stande.

Er packte ohne Zeitverlust, alle Exemplarien, deren 500 waren, zusammen, brachte sie zum Br. Roth, aus der Druckerey, in so weit in Sicherheit, daß der Drucker Eichenberg, wenn ja nachgefraget werden solte, wo die Sachen hinkommen wären, mit guten Gewißen schwöhren konte, daß Er solches nicht wiße. Denn sonst wäre nach Br. Erharts Abzuge von Frankfurth, kein Blat davon in unsere Hände gekommen. Damit aber auch der Br. Roth, unsertwegen nicht etwa unversehens ins Gedränge gerathen mögte, so hatte ich ihm durch Br. Erharten die Oerter anweisen laßen, wo jedes Hundert hingesandt werden solte, und sie kamen gutentheils auch aus der Stadt, ehe Br. Erhart selber noch fort kam.

Er säumte nunmehro aber auch keinen Augenblick länger, sondern machte sich kurz vor den Weynachts-Feyertagen, bey den grösten Sturm und Regen, der damals einfiel, und ganz außerordentlich war, glücklich und zu rechter Stunde aus dem Gedränge. Denn wir erfuhren hernach, daß man eben an dem Tage, an welchem Er, nach glücklicher Endigung seines Geschäftes, Frankfurth verlaßen hatte, scharf nach Ihn gefragt, und Ihn allenthalben aufgepaßt hatte. Es brachte Ihn aber der Herr, am Weynachts heiligen Abend, eben als ich seinetwegen allerhand sorgsame Gedanken hatte, unverletzt zu mir.

§ 234. Er trat mit den Worten zu mir: Friede mit Dir, mein Bruder! Und ich wurde durch diesen unvermutheten Gruß, und seine glückliche Ankunft ungleich mehr erfreuet, als ich mich über sonst etwas an diesem Tage hätte erfreuen können. Er erzehlte mir hierauf umständlich in was vor Gefahr Er sich befunden hätte, und wir konnten aus allen dabey vorgefallenen Bewegungen, augenscheinlich sehen, daß der Herr, unser Gott, an dem wir mit gantzem Vertrauen hingen, eine mächtige Hand über uns armen, bey dieser gefährlichen Arbeit[354] gehalten hatte. Denn vor Menschlichen Augen schien es gantz unmöglich zu seyn, daß Br. Erhart gantz unangerufen, vor der geistlichen Schild-Wache solte vorbeykommen, und erst, nach seinem glücklichen Abzuge, ihnen sehen laßen können, was vor einen Vortheil Er ihnen abgelaufen.

Wir konten indeßen doch aus den ängstlichen Bewegungen, die die zu späth munter gewordenen Seelen-Wächter des Frankfurthischen Zions, bald nach der Entweichung Br. Erharts, äußerten, uns leicht die Rechnung machen, daß es dabey nicht bleiben, sondern der Lerm erst recht angehen würde, wenn sich mein Moses, der sich auf eine kurze Zeit vor ihnen verborgen hatte, bald hier und da öffentlich würde sehen laßen, und wir machten uns, unter der Hand gefaßt, gelaßentlich zu erwarten, was der Herr über uns verhängen würde, und männlich dabey auszuhalten.

Es wärete auch nicht lange, so hörten wir die Sturm-Glocken an allen Orten läuten, die Zeitungs-Schreiber schlugen einen Lermen über den andern, und man that uns zu wißen, daß der Reichs-Fiscal hinter den armen Mosen her sey, und den Verkauf deßelben bey hoher Strafe verboten haben solte.

Dieses Gerüchte, das durch die Engel des Friedens, an meinem Orte noch größer gemacht wurde, machte unsern lieben Grafen aufmercksam; Weil Er sich also zu schwach fand, wider den Strom zu schwimmen, und nicht gerne den Namen haben wolte, daß Er Dinge gut hieß, die das gesammte Reich vor gefährlich vor die Religion ausgab; so ließ Er heimlich auf uns Achtung geben. Daher, als ich eine Anzahl Exemplarien, wo mir recht ist, hundert, von Marpurg kommen ließ, wurde es gleich verrathen, und des andern Tages der D. Korthold, als Deputirter von der Cantzeley, zu uns geschickt, mit dem Befehl, diese Sachen auf die Cantzeley zu liefern.

§ 235. Er traf uns eben über dem Einpacken des 2ten und 3ten Anblicks an, die ich nach Leipzig an den Br. Rectus schicken wolte, und diese Stücke wurden alsofort confisciret, und dem Mosi dadurch ein neuer Glanz, mir aber das Recht gegeben, die noch vorräthigen Exemplaria noch einmal so theur zu verkaufen. Die Buchführer hingegen, die vor der Confiscation etwas davon erwischet hatten, bekamen nachher wohl 10 und mehr mal so viel davor, und es wurde in gewißer Maaße erfüllet, was geschrieben stehet: je mehr Er aber verboth, je mehr sie es ausbreiteten.

Der D. Korthold meinte würcklich alles gefischet zu haben, wir hatten aber noch 50 complete Exemplaria in der Kammer, unter unsere Laubsäcke verbreitet, und diese entgingen ihren Räubern dißmal[355] glücklich, ob wir schon nicht wusten, wie wir dieses gar zu laut schreiende Kind weiter würden verbergen können. Wir überließen indeßen dem D. Korthold willig, was Er fand, und waren froh, daß uns der Graf nicht selber nach den Köpfen grif, oder wenigstens zu verstehen gab, daß wir Ihm einen Gefallen thun würden, wenn wir von seiner Gräntze weichen wolten.

In der That war dieser Moses, in Ansehung der heftigen Schreib-Art, nicht allein dem Hrn. M. Stockfinster unerträglich; sondern es fanden auch verschiedene meiner Freunde, und ich nachhero selber, daß Er eben noch nicht so glänzete, als Er gethan haben würde, wenn ich deßen Decke mit etwas reineren Händen aufgehoben hätte. Ich wuste aber damals selber nicht, daß ich noch so viel Schmutz an mir hatte, indem ich, in der reinen Lehre erzogen zu seyn glaubte, und Exempel genug vor mir hatte, von Leuten, denen ich im Punct einer unanständigen Schreib-Art nicht das Wasser zu reichen vermochte.

§ 236. Ich dachte also, was solchen großen Männern erlaubet wäre, das könnte man mir kleinem Lichtlein auch wohl zu Gute halten. Ich urtheilte aber falsch, und der Br. Benignus war der erste, der mir diese Unanständigkeit auf eine recht liebreiche Art zu verstehen gab. Br. Erhart und ich, hielten diese brüderliche und allerdings gegründete Erinnerung, unsrer damaligen noch nicht gäntzlich entwichenen Verblendung nach, vor eine sogenannte Creutz-Fluchtigkeit, und suchten uns dagegen zu entschuldigen, so gut wir konten: Ich kan aber nicht läugnen, daß mir heimlich mein Gewißen sagte, daß Br. Benignus, und andere meiner rechtschaffenen Brüder, Recht hatten, nur schämte ich mich, solches damals zu gestehen, und zu dieser heiligen Hartnäckigkeit thaten, theils der Br. Erhart, durch sein unzeitiges Nachgeben, theils ein anderer, nach der Hand von uns deutlich, als ein tückischer Heuchler erkannter Schweitzer, Namens Friedenreich, nicht wenig.

Letzterer hatte sich, wie mein Moses zu lermen anfing, von Neuwied aus, durch Briefe mit mir bekannt gemacht, und in denselben nicht allein meine Schriften sehr gerühmt, sondern auch gemeldet, daß Er aus St. Gallen, um des Bekänntnißes der Wahrheit willen, wäre verjagt, und beynahe, zum Märtyrer gemacht worden. Wie ich nun damals selber noch in diesem Narren-Hospital krank lag, und Br. Erhart durch mich mit inficiret worden war. Also dachte ich, ich müste Leuten von dieser Gattung, alles nur mögliche Gutes thun, und sie in den Trübsalen, die sie um der Warheit erlidten, nicht ungetröstet laßen. Da Er mir also seine armsehligen Umstände[356] nicht undeutlich zu verstehen gegeben hatte, hielt ichs vor meine Schuldigkeit, ihm, nach meinem Vermögen unter die Arme zu greifen.

Ich sandte Ihm also etliche mal etwas zu seiner Nothdurft, indem mir noch nicht wißend war, daß Er ein Tag-Dieb war, der nur von anderer Leute Gütern unter dem Schein der Gottsehligkeit zu schmarotzen suchte. Dieser unrichtige Bruder, der seines Handwercks ein Gürtler war, und sich zu Neuwied wohl von seiner Hände Arbeit hätte nähren können, besuchte uns also eben, als Briefe vom Br. Benigno eingelaufen waren, in welchen Er sein und anderer Berliner Freunde Mißfallen über die unanständige Schreib-Art meines Mosis zu erkennen gab. Anstat nun daß Er, wenn Er rechtschaffen hätte seyn wollen, diesem wahren und ächten Freunde hätte Recht geben, und mich selber auf eine vernünftige Art, überführen sollen, daß ich allerdings in dieser Schrift sehr ausgeschweift, schrieb Er, um dem Br. Erhart und mir, in unsern schwärmerischen Märtyrer-Gedanken zu schmeicheln, einen ziemlich plumpen Brief an den Br. Benignum, in welchem Er ein langes und ein breites von deßen vermeinter Zaghaftigkeit philosophirte, und mich dagegen, über die Gebühr, als einen heroischen Glaubens-Helden heraußstrich.

§ 237. Bruder Erhart, der nach seiner Wiederkunft von Franckfurth auch angefangen hatte, sich den Bart wachsen zu laßen, gleich wie der Schweitzer auch vorher schon gethan hatte, daß also damals 3 heilige Bart -Narren beysammen waren, that das seine auch mit dabey, weil Er, als der Beförderer des Moses, nicht gerne einen Fehler begangen haben wolte, und damit schadeten mir diese beyden Brüder nicht wenig, indem ich sie beyde vor rechtschaffen hielt, und das Zeugniß, so sie mir, wegen meines sogenannten Helden-Muthes beylegten, vor keine geringe Sache ansahe.

Wäre Br. Benignus nicht verständiger bey diesem Handel gewesen, als wir alle drey, so hätte Er uns als eigensinnige Phantasten leicht unsern Grillen überlaßen, und seine uns so nutzbare Freundschaft, gänzlich zurückziehen können. Was aber daraus insonderheit mir, vor ein empfindlicher Schade erwachsen seyn würde, den mir, weder der ehrliche Erhart, noch der unrichtige Friedenreich, jemaln würde haben ersetzen können, das wird der Leser aus der Folge meiner Schicksahle sonnenklar ersehen.

Es war aber das Hertz dieses theuren Bruders viel zu edelmüthig gesinnet, als daß es unsere Schwachheit nicht hätte sollen übersehen können. Denn Er beantwortete des plumpen Schweitzers Brief gar nicht; des Br. Erharts seinen aber so, daß wir wohl sehen konten, daß Er ohne mit uns schwärmen zu wollen, dennoch, nach wie vor,[357] unser treuer und redlicher Freund zu bleiben gedachte, welches Er auch in der That, bis diese Stunde, mehr, als zu überflüßig bewiesen.

§ 238. Ehe noch mein Moses heraus kam, hatte sich die Frau eines reichen Wechslers in Straßburg, Namens Evald durch Briefe mit mir bekannt gemacht, und eine ungemeine Begierde, nach der Fortsetzung meiner Schriften blicken laßen. Ihr Mann kam, nach einem oder etlichen Brief-Wechseln auch darzu, und sandte mir würcklich 100 Thaler zum Behuef des Drucks. Diese Leutchen würden ihre Freundschaft auch gewiß fortgesetzt, und mir im äußeren noch manchen wichtigen Dienst gethan haben, wenn mir der tückische Friedenreich, deßen unredliche Absichten, mir zur selben Zeit noch gäntzlich verborgen waren, nicht in die Queere gekommen, und die Neigung dieser guten Gemüther, auf einmal von mir abwendig gemacht hätte.

Ich habe daraus, obschon mit Schaden, erkennen lernen, daß man allemal beßer thue, wenn man den Leuten, ehe man sie recht kennet, lieber zu wenig, als zu viel traue. Jenes hat mich, meines Wißens, noch nie, dieses aber schon gar oft betrogen, und ich muß gestehen, daß ich in diesem Puncte, noch bis dato, nicht klug genug bin. Denn ich bin gar zu sehr geneigt, die Leute nach meinem eigenen Naturell zu beurtheilen, von dem ich, nach dem Zeugniß meines Gewißens, versichert bin, daß es niemanden wißentlich zu betrügen, oder eine Falschheit, und Tücke zu beweisen, im Stande ist; Und da meine ich immer, ich thäte meinem Nächsten, wenn Er sich freundlich gegen mich anstellet, groß Unrecht, wenn ich Ihn nicht vor eben so ehrlich hielte, als ich weiß, daß ich gegen Ihn gesinnet bin.

Ob mich nun schon die vielfältige Erfahrung das Gegentheil gelehret, so fällt mir doch sehr schwer, mischtrauisch zu seyn; und ich werde es in diesem Stücke, wohl nie zu einer Vollkommenheit bringen. Damals, wie ich mit dem Friedenreich bekannt wurde, war ich es noch gar nicht; doch machte seine grobe Heucheley, und unlauteres Betragen, daß ich nach und nach anfing mich beßer vorzusehen.

§ 239. Ich war so einfältig gewesen, und hatte diesem falschen Bruder meine Bekanntschaft mit dem Br. Ewald entdecket. Dieses schien also ein sehr vortheilhaftes Wasser auf seine versiegene Mühle zu seyn und Er wuste durch allerhand Schmeicheleyen mich so treuherzig zu machen, daß ich Ihn einen Brief an dem Bruder Ewald in die Franckfurther Meße mitgab, in welchem ich ihn, den guten Mann, als einen theuren Zeugen der Wahrheit aufs beste recommandirte, welche gar zu übereilte Lobes-Erhebung mir aber sehr übel bekam.[358]

Mein Schweitzer dachte indeßen, wie aus seinen nachherigen Betragen zu urtheilen: Nun hast Du einen tüchtigen Fisch gefangen. Ein solcher reicher, und vor die Ausbreitung der Wahrheit so geneigter Mann wird es vor ein Geringes halten, Dir aus seinem Ueberfluß etliche 100 Gulden zuzuwerfen, wenn Du Ihm erzehlest, daß Du um der Warheit willen alles hattest verlaßen müßen, und nun kein Mittel hättest, dich wieder in eine ehrliche Nahrung zu setzen. Es schlug ihm aber seine Rechnung gäntzlich fehl und sein Bart mußte ihm eben so viel hindern, als mich der Meinige gefördert hatte.

Er zeigte sich dem Br. Ewald würcklich in demselben und übergab zugleich meinen Brief. Br. Ewald nahm alsofort einen Anstoß an seinem Aufzuge, jedoch weil ich ihn recommandiret hatte, wolte Er ihn nicht gleich abweisen, sondern gab nur sein Mißfallen wegen des Barts zu erkennen. Wie dieser Schlucker merckte, daß ihm der Bart im Wege war, den Schlüßel zu des Br. Ewalds Geld-Casse zu finden, ließ Er sich denselben ohne Bedenken abscheren, und ging des andern Tages wieder zu Ihm: Allein, anstatt daß ihm Br. Ewald, wie der Schweitzer hofte, offenhertziger hätte begegnen sollen, erkannte Er seine tückische Heucheley und unlautere Absicht, und ließ Ihn, ohne mir eine Antwort durch ihn mitzugeben, gantz kaltsinnig seiner Wege gehen.

§ 240. Ich wuste von allen diesen Commedien nichts, wunderte mich aber, daß ich wider die Gewohnheit meiner lieben Straßburger, in langer Zeit keine Briefe bekam, und noch mehr, daß mir der Friedenreich so gar mit keinem Worte meldete, ob er den Br. Ewald in Franckfurth angetroffen oder nicht. Ich frug Ihn also, nachdem mir Br. Ehrenreich aus Franckfurth sein gantzes Betragen gegen den Br. Ewald, zu meinem nicht geringen Verdruß, bereits entdecket hatte, schriftlich, wie Er den Br. Ewald gefunden hätte? Da muste er nun wider Willen beichten, doch war seine Beichte mehr zu des Br. Ewalds Verkleinerung eingerichtet, als daß er seine tückische Heucheley hätte bekennen sollen.

Weil er sie aber nicht gäntzlich leugnen konnte, so suchte Er sie mit dem Jedermann allerley werden Pauli zu bemänteln, und meinte, weil dieser theure Rüst-Zeug bisweilen auch einen Tockmäuser agiret, wenn er seinen Vortheil dabey zu machen verhoffet, so könte ihm diese Apostolische Aufführung unmöglich ungleich ausgedeutet werden, und es fehlte nicht viel, daß er nicht den guten Br. Ewald aus Apostolischem Eifer dem Satan übergab. Zum wenigsten zog er gegen deßen vermeynte Lieblosigkeit und frostige Aufnahme seiner heiligen[359] Person, dergestalt los, daß ich gantz leicht sehen konte, wo der Haß bei ihm im Pfeffer lag.

Ich laß ihm also sein gebührendes Capitul, und ließ ihn von nun an, seiner Wege gehen; dem Br. Ewald aber bezeugte ich meine Unschuld und ernstliches Mißfallen über des Friedenreichs krumme Sprünge, so aber wie leicht zu erachten, keine Würckung that, indem Er mich, obschon ohne Grund, vor eben einen solchen Parthey-Gänger ansahe, wie der Friedenreich war, und von der Zeit an nicht weiter an mich schrieb.

§ 241. Hätte mich nun aber dieser Heuchler durch sein, dem Paulinischen, in der That, nicht unähnliches Betragen14 auf einmal um 2 redliche Freunde gebracht, und mir dadurch, in Wahrheit, keinen geringen Schaden gethan, so muste Er mir hingegen wider seine Absicht, auf eine andere Art wieder nutzen, indem ich durch seine Vermittlung mit einem wohlhabenden Hütten-Inspector von Mörsfeld, in der Pfalz bekannt wurde, der mir, bis zu meinem Abzuge von Neuwied, und so lange Er ledig blieb, vortreffliche Dienste gethan.

Dieser ehrl. Br. nannte sich Schüttenhelm, war aus der Maaßen begierig nach meinen Schriften, und half dieselben in dortigen Gegenden nicht allein zu meinem Vortheil vertreiben, sondern übermachte mir auch einmal 50 Gulden zum Druck, zu meiner Nothdurft aber jährlich 6 Ducaten, ohne daß ich ihm je mit einem Worte darum gebeten: Da hingegen der Friedenreich, dem Er in der That auch 50 Gulden zu seiner Nahrung geschenckt hatte, und der Ihm doch dem ungeachtet, immer auf dem Halse lag, gar bald vor einen frommen Bettler von Ihm erkannt wurde, und seine Schwelle endlich nicht weiter betreten durfte.

So läßet es denn Gott den Aufrichtigen immer noch gelingen; da hingegen diejenigen so mit Tücken umgehen, nicht lange bestehen können, und sich selber überall im Wege stehen müßen. Zu alle dem Guten, das mir die Güte meines Schöpfers, durch mancherley Arten von Menschen, in meinen damaligen, gewiß bedencklichen Umständen, von Zeit zu Zeit, zufließen laßen, habe ich nicht das Geringste gethan. Es ist alles von sich selbst gekommen, wie denen bekannt seyn wird, die Gott zu Werckzeugen meiner bisherigen Versorgung gebraucht hat. Gelobet sey seine unermeßliche Güte.

§ 242. So lange mein Brief-Wechsel mit dem Br. Evald noch[360] daurete, wurde mir zu wißen gethan, daß Er einen gewißen Studiosum Theologiae, Namens Lüneburg, mit 50 Thalern von den Soldaten loßgemacht. Weil nun dieser Mensch, der meine Schriften gleichfals starck laß, eine Begierde bezeugte, bey mir zu wohnen, so bath mich Br. Ewald, der Ihn ein gut Zeugniß gab, Ihn aufzunehmen, mit dem Versprechen, jährlich etwas zu seiner Erhaltung mit beyzutragen. Ich hätte billig bedencken tragen sollen, mir eine neue Last aufzubürden. Weil aber Gott die bisherigen so gnädiglich hatte tragen helfen, und Br. Lüneburg selber flehentlich um seine Aufnahme bat, so war ich nicht im Stande es abzuschlagen.

Hätte ich voraussehen können, daß mir der Schweitzer bey dem Br. Ewald in die Queere kommen, und seine Neigung von mir abwendig machen würde, so würde ich mich in nichts eingelaßen haben: Allein so war die Sache schon zu weit gekommen, und ich erwartete den neuen Gast alle Tage. Ich hatte, weil in unserer Cammer nicht mehr, als 2 Bett-Stellen stehen konten, über meine eigene, noch eine neue Bettstelle machen laßen, in welche man auf einen Tritt von 3 Stuffen steigen muste, ich hatte auch noch einen Laubsack zum Unterbette, einen dergleichen zum Kopf-Küßen, und eine wollene Decke, zur Bedeckung angeschaft, und Br. Erhart und ich, sammleten uns das federichte Wesen von den Disteln, um uns mit der Zeit, die noch bald verfloß, etwas weichere Kopf-Küßen zu rechte zu machen, als die Laub-Säcke waren, auf welchen wir wegen der unter dem Laube mit zusammengeharckten kleinen Aestchen (die uns auszulesen, viel zu viel Zeit weggenommen haben würden) die Warheit zu bekennen, eben nicht gar zu sanft lagen.

In Summa, wir bereiteten uns, diesen neu zu erwartenden Bruder, nach Vermögen gütlich zu bewirthen, ungeachtet wir gar nicht sehen konnten, worzu wir Ihn gebrauchen solten. Er kam also endlich würcklich an, und ich bekam damit eine Last mehr, als ich vorher gehabt hatte.

Er war zwar würcklich ein ehrlicher und arbeitsamer, auch munterer und umgänglicher Mensch, der würcklich in vielen Stücken damals schon weiter sahe, als Br. Erhart und ich, aus Hochachtung gegen uns aber, von denen er wohl merckte, daß wir noch ziemlich begeistert waren, wenig von seinen Einsichten äußerte.

§ 243. Ich kan also wohl sagen, daß wir die zwey Monathe, die Er bey uns zubrachte gantz vergnügt gelebt: Allein weil Br. Erhart an ihm einen Compagnion bekommen hatte, der Ihn nicht allein im hebräischen Informiren, sondern auch in seinen Medicinal-Angelegenheiten mit an die Hand gehen muste, so wurde meine Ruhe[361] dadurch mehr als jemals gestöhret, und gleichwohl sahe ich doch nicht, wie ich diese Last, ohne die Liebe zu beleydigen, wieder los werden solte.

Ich hatte täglich drey gangbare Mäuler zu versorgen und Br. Erharts Verdienst reichte nicht zu, nur das Brodt dazu anzuschaffen. Wir behalfen uns zwar nur mit Zugemüse, als Kraut, Rüben, Kohl, Kartoffeln, Erbsen, Linsen, Grieß etc. etc. und unser Geträncke war ein, von Süßholtz, Anies und Fönchel zubereitetes abgesottenes Waßer, welches wir im Keller kalt werden ließen, und hernach trancken; aber ich muste doch alles mit barer Münze bezahlen, den Brüdern waschen laßen, und andere Nothwendigkeiten anschaffen, die die nie genug zu preisende Vorsicht des Höchsten, doch allemal dergestalt wunderbar und ungesucht bescherete, daß wir nie haben Mangel leiden dürfen, und ich viel zu weitläuftig fallen würde, wenn ich alle Wege, wodurch uns Gott beygestanden, bemercken wolte.

Br. Erhart, der Br. Lüneburg und ich, waren wohl die einzigen in der gantzen Grafschaft, die sich damals rühmen konten, daß sie als Freyherrn lebten. Denn wir waren nicht allein von allen Auflagen und Abgaben frey, sondern wir hatten auch keine Treiber hinter uns, die uns zur Arbeit antrieben, wenn wir vor gut fanden spatziren zu gehen. Dieses konten wir thun, wenn andere arbeiten musten, ob wir schon hernach wieder arbeiteten, wenn andere schliefen. Es geschahe aber alles in der Freyheit, ohne Frohn-Voigte auf dem Nacken zu haben, wodurch wir dann nicht allein am Leibe gesund, sondern auch am Gemüthe immer frölig und munter blieben, und mit Warheit sagen müßen, daß diese Zeit die vergnügtste, in unserm ganzen Leben gewesen.

§ 244. Nach Verlauf zweyer Monathe beschied sich endlich der Br. Lüneburg, daß er uns, in die Länge zur Last werden würde und suchte daher seinen Abschied zu nehmen. Wir ertheilten Ihm denselben in Liebe, und ein jeder von uns gab Ihm, nebst einen guten Proviant noch einen Ducaten mit auf den Weg, geleiteten Ihn bis auf das nächste Dorf, und überließen Ihn der göttlichen Führung. Er war aus Königsberg in Preußen, und gedachte wieder dahin, ob Er aber seine Absicht erreicht hat, weiß ich nicht, indem ich seit der Zeit nichts weiter von Ihm vernommen habe.

Die Armuth, die in dasigen magern Gegenden sonderlich in der eigentlich sogenannten Grafschaft Witgenstein, unter den bedrückten Landleuten herschete, gab uns Gelegenheit, nach unserm Vermögen, manchen Dürftigen Gutes zu thun. Unter andern ging ich einmal mit den Br. Langemeyer (mit dem ich, ehe Br. Erhart noch ankam, schon fast die gantze Grafschaft durchstrichen hatte;) nach Aarfeld,[362] weil Er allda, bey dem Pfarrer oder Küster, einige Bändel zu verkaufen hatte. Ich setzte mich derweile vor dem Dorfe auf einen Hügel gegen die Eder über, urn mich bey einer Pfeiffe Taback, an der anmuthigen, obschon, in ihrer Art, rauhen Gegend zu ergötzen. Indem kam eine Bauers-Frau aus dem Dorfe, mit 2 kleinen Kindern. Die 7 magren Kühe, die Pharao ehedem im Traum gesehen haben soll, können kaum so verhungert ausgesehen haben, als diese verhungerten Menschen.

Die Frau hatte ihr Angesicht gegen den Himmel gewandt, und schien mehr droben als auf Erden zu seyn. Die 2 armen Würmerchen konten noch kriechen, und ihre klägliche Gestalt gab mir genugsam zu erkennen, daß zwischen ihnen und mir ein großer Unterschied war. Ich redete die Frau, die unter Seufzen und Händeringen bey mir vorbey ging, und weil sie mich vor einen Juden ansahe, wol an nichts weniger, als an eine Hülfe gedencken mochte, freundlich an, und fragte, was ihr fehlete. Ach! sagte sie, mit den erbarmungswürdigsten Gesichts-Zügen, ich habe nun in 8 Tagen keinen Bißen Brod gesehen, und gehe jetzund hin, etwas Graß und Kraut zu sammlen, damit meine Kinder was zu eßen haben.

§ 245. Da ein Seelen-Hirte in dem Dorfe war, den die armen unter Ihm hungernden Schaafe von seinem Unterhalt nichts abgehen laßen durften, so würde ich mich gewundert haben, warum man nicht zuförderst, einen Leibes-Hirten allda bestellet hätte, wenn mir nicht der jämmerliche Anblick der betrübten Frau gantz andere, und ihr nutzere Gedancken eingeflößet hätte. Ich rief sie also zu mir, und gab ihr anfangs nur einen Batzen. Da fiel sie vor mir nieder, auf die Knie, umarmte, meiner Weigerung ungeachtet, meine Füße, und wuste nicht Worte genug zu finden, wodurch sie ihre Erkenntlichkeit gegen Gott und mich ausdrücken solte. Ich beschied sie hierauf wöchentlich auf einen gewißen Tag, nach Berlenburg zu mir zu kommen, und jedesmal 2 Batzen abzuholen, worauf sie vollends vor Freuden, fast außer sich kam, und es war kein Seegen des Allerhöchsten, der ihr einfiel, den sie mir nicht anwünschte.

Es mag den Spruch: Wer sich des armen erbarmet, der leihet dem Herrn etc. gemacht haben, wer da will, so ist er eine Warheit, die ich nie falsch befunden, und es ist mir das wenige, was ich den Armen, von denen, mir verliehenen Gütern genießen laßen, warhaftig tausendfach vergolten worden. Ich that es zwar, wie Gott bekannt, niemals in der Absicht, um, wie man im Sprüchwort zu reden pflegt, eine Wurst nach der Speck-Seite zu werfen, oder etwa Creutzer und Batzen auszusäen, um Thaler und Ducaten wieder davor[363] zu erndten. Allein Gott that doch dieses würcklich, indem Er mir noch verschiedene Freunde erweckte, denen meine Schriften ein Hertz zu mir machen musten, welches sie nicht gegen mich verschloßen.

Durch diesen Beistand wurde ich also in den Stand gesetzt, meine Bibliothec, zum Behuef meiner Arbeit, immer vollständiger zu machen, wie ich mir dann auf einmal wieder vor 50 Gulden Bücher von Herr Haugen kaufte, und nach dem wegen des Moses entstandenen Lerm, der sich guten Theils wieder gelegt hatte, auf den Druck neuer Schriften bedacht war.

§ 246. Es würde das zwar, alles dieses Lerms ungeachtet, noch eher geschehen seyn, wenn ich nur einen Drucker gewust hätte, der es hätte wagen wollen, weiter was von meinen Schriften zu drucken. Denn die Franckfurther Drucker, waren durch das Fegefeuer, welches der unschuldige Moses in Strasburg hatte ausstehen müßen, so schüchtern worden, daß Keiner von meinen Sachen was zum Druck übernehmen wolte; und ich hätte in der That nicht gewust, wo ich mich damit hätte hinwenden sollen, wenn mir die Vorsicht nicht selber einen Weg gewiesen hätte.

Der Drucker in Neuwied Hr. Haupt, ließ sich durch den Friedenreich selber bey mir anbieten, daß Er meine Schriften drucken wolte; und wer war da froher als ich, daß mir dadurch aufs neue Gelegenheit gegeben wurde, denen, die eine wahre und ernstliche Begierde nach der so sehr versteckten Warheit hatten, weiter etwas von meiner immer zunehmenden Erkänntniß, mitzutheilen.

Die Zinzendorfer, die damals in und um Franckfurth groß Aufsehen machten, und deren unredliche Stückchen unter den besten Schein, doch weit und breit schon dergestalt bekannt waren, daß ein Herrnhuter und ein unverschämter Leute-Betrüger, schon bey vielen, die sie kannten, gleich bedeutende Wörter waren, musten die erste Gelegenheit geben, mich wieder öffentlich auf diesen wunderlichen Schau-Platze sehen zu laßen, und dieses ging also zu.

§ 247. Bruder Lintrup war dasige Gegenden durch apostoliret, und schrieb mir, aus einem Dorfe bei Marpurg einen Brief, darin Er mir, nach seiner Art, seine Liebe zu erkennen gab. Ich that dergleichen in einer Antwort, nach meiner Art, und weil ich wuste, was der Graf von Zinzendorf allenthalben, vor eine gefährliche Beschreibung von mir zu machen gewohnt war, so fand ich vor gut, der Welt meinen mit Ihm geführten Brief-Wechsel vor Augen zu legen. Ich that das Anno 1741 in derjenigen Schrift, welcher ich den Titul: Christus und Belial damahls beylegte, die aber, wenn sie nun gedruckt werden solte, wohl unter einer andern Rubric erscheinen[364] dürfte, indem uns diese scheinheilige Secte von Tage zu Tage deutlicher sehen läßet, durch was Kunst-Griffe die ersten Christen den unverständigen Pöbel an sich zu locken, und unter dem Schein der Demuth und Verläugnung aller zeitlichen Vortheile, sich zu unumschränckten Herren über ihre untergebenen Schöpse zu machen gewust.

Indeßen machte diese Schrift damals doch auch nicht wenig Aufsehen; absonderlich war der Hr. D. Fröreisen15 in Straßburg, eben nicht zum Besten damit zufrieden, weil ich in dem Anhange eine kleine Vergleichung zwischen ihm und den Grafen von Zinzendorf angestellet hatte.

Es hätte noch eine andere zwischen dem Grafen von Zinzendorf und dem Apostel Paulo angestellet und gezeiget werden können, wie beyde zwar einerley Verwegenheit und Räncke gebraucht, ihren Anhang zu vergrößern, und sich, es koste, was es wolle, zu souverainen Herren über die Gewißen zu machen: Aber wie der Graf von Zinzendorf darinnen vor Paulo was voraus habe, daß er sich weder mit Wunderthun behänget, noch darin eine Ehre sucht, wenn Ihm um des Heylandes willen, ein gnädiger Staub-Besen zugemeßen werden solte.

Es würde aber diese Schrift, auf die Art, theils zu weitläuftig worden seyn, theils würde ich sie, zur selben Zeit selber noch nicht gebührend, nach diesem Plan haben ausführen können, weil ich Paulum damals noch immer mit dem Kringel um den Kopf betrachtete, und nicht wuste, daß man sich vor dergleichen gezeichneten Leuten mehr, als vor gemeinen Betrügern in Acht zu nehmen habe. Ob nun schon dieser Schrift wegen, so viel mir bekannt worden, nirgendwo ein Verboth, oder Confiscation geschehen; so waren doch die 500 Stücke, die ich hatte drucken laßen, vergriffen, ehe ich es vermuthete, und es schien, der Graf von Zinzendorf habe sie selber aufkaufen, und auf gut Jesuitisch, so viel an Ihm war vertilgen laßen.

§ 248. Es sey diese Muthmaßung gegründet, oder nicht, so ist diese Art, sich verhaßte Warheiten vom Halse zu schaffen, an sich mehr als zu bekannt, und zeiget uns beyläufig, was die Ursache sey, warum wir so wenig Nachrichten von den Räncken der ersten Christen finden. Denn das kan man sich leicht an den Fingern abzählen, daß die vielen Schutz-Schriften, die die Christen zu Beschönigung ihrer schädl. Irrthümer, von Zeit zu Zeit, zu schreiben genötiget worden,[365] nicht wenig Auflagen zum Grunde gehabt haben, gegen welche sie sich zu vertheidigen gedrungen worden.

Ob ich nun schon nicht sagen will, daß sie alle Grund gehabt, so hat doch das nachfolgende und noch gegenwärtige Betragen der Christen, überhaupt genugsam gelehret, daß auch nicht viel an den ehemaligen Beschuldigungen müße erlogen gewesen seyn, und daß sie mithin, alle ihre Kräfte haben anwenden müßen, alles zu vertilgen, was sie bey der Nach-Welt verhaßt machen können. Es ist ein rechtes Wunder der Vorsicht, daß wir noch beym Tacito, Suetonio, Zosimo, Eunapio, Luciano und etl. wenigen alten Scribenten, noch einige Spuren von der damaligen sauberen Aufführung der ersten Christen finden, und es ist kein Zweifel, daß, wenn uns noch mehere von dergl. Uhrkunden übrig geblieben seyn solten, sich eine gantz andere Abbildung derselben zeigen würde, als der Hr. Arnold aus ihren eigenen Schriften zusammengetragen.

Die Heyden waren damit nicht zufrieden, daß die Christen zum Schein, allerhand Tugenden lehreten; sondern sie sahen, wie sie lebten, und wenn sie ihren Wandel nicht mit der Lehre conform fanden, so hielten sie sie mit Recht, vor Betrüger, und mahlten sie ihrer wahren Gestalt nach ab, welches sie dann, wie leicht zu erachten, eben so wenig, als die Herrnhüter vertragen konnten, und ehrenhalber, alles Mögliche thun musten, zu verhüten, daß den Nachkommen nichts von dem Löbchen ihrer Vorfahren kund werden möchte.

Wenn die Zinzendorfische Secte, da Gott vor sey, das Alter der Christl. Religion erreichen solte, so würden diejenigen, die uns jetzund als die grösten Spitzbuben unter ihnen bekannt sind, in der Entfernung, worin sie die Zeit gestellet, als die grösten Heiligen aussehen. Aber eben dieses giebt uns zu erkennen, was wir uns vor ein Portrait von den alten Heiligen machen müßen, wenn wir sie ihrer wahren Gestalt nach betrachten wollen.

§ 249. Ich machte mich hierauf an die Göttlichkeit der Vernunft, um zum wenigsten etwas von den Gedancken zu entwerfen, die ich in den Tractat vom unbekannten Gott, weiter auszuführen Willens war. Weil mir aber auch zugleich das 15te Stück der Unschuld. Warh. noch im Wege lag, welches ich, ungeachtet, des hellers Lichtes, das mir seit der Zeit aufgegangen, doch zu Vollendung dieses Werks, nicht gerne unterdrücken wolte; so nahm ich auch dieses vor die Hand. Es konte aber weder die erste, noch die letzte Schrift, soviel ich mich besinnen kan, bey meiner nun nicht lange mehr daurenden Anwesenheit in Berlenburg, zum Druck kommen, weil der Drucker andere Sachen zu drucken hatte, die keinen Verzug lidten, und also[366] rüstete ich mich derweile zu andern Arbeiten, und sammlete einen guten Vorrath von allerhand Materien, die mir in der Folge der Zeit wohl zu Paße kamen.

Mittlerzeit lebte ich in guter und erwünschter Ruhe, unterhielt meine Correspondenz, die immer weitläuftiger wurde, und sahe meine Sachen, unter göttlichem Beistand, von Tage zu Tage glücklicher gehen, ungeachtet ich viele Neider hatte, die mir gerne in die Haare gewesen wären, wenn sie Freyheit gehabt hätten. Sie konnten aber ihre Zähne bey Lebzeiten des Graf Casimirs nicht an mich setzen, und es war kein geringes Herzeleid vor sie, daß sie auf keine Weise Gelegenheit finden konten, unter dem Scheine des Rechten an mich zu kommen.

Endlich aber geboth der Herr über Tod und Leben über diesen gütigen Regenten, und das geschahe meines Behalts 1742. Sobald hatte Er nicht die Augen zugethan, und sein unholder Sohn, der Graf Ferdinand, die Regierung übernommen, so wurde von deßen unholderen und sonderlich den dasigen Fremdlingen aufsetzigen Räthen, und deren Helfers-Helfern, ein Anschlag gemacht, die Fremden in Contribution zu nehmen. Es wurde ihnen also angedeutet, pro Receptione, das ist, vor die Ehre, die sie hatten ihre baaren Gelder in des Grafen Lande zu verzehren, und seine ohnedem genug gedrückten Unterthanen, mit in den Stand zu setzen, die übermäßigen Forderungen an Ihn abzutragen, etwas Gewißes zu geben, und dadurch stillschweigend zu gestehen, daß sie hierdurch das Recht erkauft, seine immerwährende Sclaven zu seyn, die Er, wenn es Ihn einfiel, um ihr Vermögen schneutzen könnte.

§ 250. Bruder Erhart und ich beschieden uns soweit zwar wohl, daß es billig sey, der Obrigkeit, unter deren Schutz wir stille und sicher leben konnten, von unserm Vermögen was mit abzugeben, und wir würden uns im Geringsten nicht entbrochen haben, unsere Schuldigkeit in diesem Puncte, nach aller Treue zu beobachten, wenn man die Sache nur mit Manier angegriffen, und uns nicht gleich anfangs, mit einer ungeheuren, und mehr sagen wollenden Forderung vor den Kopf gestoßen hätte. Allein so hielt man uns vor reich, und dachte, man könnte uns schon was meheres, als andern anmuthen.

Diesem nach wurde einer von den damaligen Finanzen-Freßern, Nahmens Buchner an mich abgeschickt, der, so viel ich urtheilen konte, etwa Cammer-Speichel-Treter, oder Cantzley-Dinten-Rührer am dasigen Hofe seyn mochte. Denn meines Wißens hatte er keinen Titel, wodurch man Ihn von andern entbehrl. Bedienten hätte unterscheyden können. Er war zwar mein Landsmann, indem Er aus Eysenach[367] war. Allein der ehrl. Br.Canz gab Ihm das Zeugniß, daß, wenn Christus noch einmal zu verkaufen wäre, Er sich kein Bedenken machen würde, dieses Geld zu verdienen.

Dieser gewißenhafte Mann war also derjenige, der mir im Namen des Grafen ankündigen muste, daß ich, pro Receptione, 15 Thaler geben solte. Wenn nun Br. Erhart, den man mir gleich schätzete, (der aber eben nicht zugegen war) auch so viel hätte geben sollen, so wären wir auf einmal, um 30 Thaler leichter worden; und da das nur pro Receptione seyn solte, so konte ich mir leicht die Rechnung machen, was man uns, nach Maaßgebung dieses Einschreibe-Geldes vor ordentl. und außerordentl. Abgaben würde aufgelegt haben.

§ 251. Da ich es also nicht vor rathsam hielt, mich auf Conto meiner Wohlthäter, von unbarmhertzigen Frohn-Voigten, nach Belieben schätzen zu laßen, und das, was mir zu meiner Nothdurft gereichet wurde, dergleichen Schlemmern in die Gurgel zu jagen; so fertigte ich den Buchner mit dieser Antwort ab: daß ich Ihn dermalen nicht sowohl als einen Abgesandten des kleinen Herrn betrachtete, von dem Er an mich abgeschickt würde, sondern ich sähe Ihn vielmehr als einen Engel, oder Boten des großen Herrn an, der unser aller Herr sey, und mir durch Ihn andeuten ließe, auszugehen aus Babel, damit ich nicht etwas von ihren Plagen empfinge. Ich sey nicht im Stande das zu geben, was man von mir fordere, und sähe mich also genöthiget, meinen Stab weiter zu setzen.

Mein sauberer Landsmann war sich nichts weniger, als eines solchen Compliments von mir vermuthen, und ob Er schon meinen Ernst sahe, so schien Er doch gar nicht zu glauben, daß ich thun würde, was ich gesagt hatte. Er sahe sich daher in meiner Stube um, und wie Er fand, daß alles sauber und in guter Ordnung war, und insonderheit unsere Bibliothec, die aus etl. 100 Büchern bestund, der Stube kein geringes Ansehen gab, so sagte Er, wir wären doch gleichwohl hübsch eingerichtet, und es würde uns doch ungleich mehr kosten, wenn wir wegziehen wolten, als das betrüge, was wir jetzo geben solten.

Das alles war zwar würcklich war, allein ich sahe daraus zugleich, den Grund, aus welchen man glaubte, daß wir eher alles geben, als mit großen Kosten, entweder an einen gäntzl. Abzug dencken, oder gar heimlich davon gehen, und alle das Unsere im Stiche laßen würden. Das Erste, dachte Er, würde Er uns, als ein Ertz-Spion, ohnedem schwer genug, wo nicht unmöglich machen können, und das andere mochte wohl seines Hertzens innigster Wunsch seyn, weil Er in solchem Fall, von unsern nachgelaßenen Meublen auch eine ansehnliche[368] Beute zu machen gedachte, wie wir dann hernach hören werden, daß Er vor Gift hätte platzen mögen, wie ich Ihm, mit sammt dem Br. Erhart und allen seinen und meinen Sachen, so zu reden, vor den Augen verschwand.

§ 252. Damit aber dieser Fuchs auf eine gewiße Art geludert und sicher gemacht werden möchte, so mußte ich Ihm freylich nicht aus die Nase briefen, daß ich schon Rath wißen würde, mich Trotz meiner Aufpaßer, dennoch mit meinen Sachen, aus dem Gedränge zu machen; sondern ich mußte ihm glaubend zu machen suchen, daß mir mein Haußrath nicht ans Herz gewachsen, und daß ich lieber alles verlieren und meine Freyheit erhalten wolte. Wie Er also mit der tückischen Flatterie aufgezogen kam, daß wir doch gleichwohl hübsch eingerichtet wären, und daß sich nicht so leicht fortziehen ließe, so drehete ich mich um, wieß auf meine Sachen, und sagte: Alles dieses ist nicht vermögend, mich zu halten, und der Herr soll hiermit wißen, daß wenn ich auch angenagelt wäre, ich mich loßreißen, und meine Freyheit suchen würde. Er schmutzerlachte dabey, wie ein Advocat, der einen Bauer beluxt, und mochte wohl heimlich dencken, bleibe nur bey diesen Gedanken, so wird es desto beßer vor mich seyn. Allem Ansehen nach muß Er mich auch vor desperat genug gehalten haben, daß ich würcklich so zu Wercke gehen würde, weil Er es, nach den Umständen, in welchen ich mich befand, vor eine wahre Unmöglichkeit halten muste, daß ich, mit sammt meinen Sachen, ohne daß Er es mercken sollen, würde unsichtbar werden können. Allein die Vorsicht hatte ein anders beschloßen, und ich dencke noch mit Vergnügen dran, wenn ich mich meines damaligen Auszugs aus diesem kleinen Egypten erinnere.

Zwar habe ich niemanden dabey bestohlen, wie die Juden (wer es glauben kan,) bey ihrem Auszuge aus dem großen Egipten sollen gethan haben; vielmehr habe ich nicht allein meine hinterlaßenen Freunde noch beschenckt, sondern auch den Raub-begierigen Buchner noch zwei große gantz neue Bücher-Repositoria zurück gelaßen, die ich, weil ich ohne dem schon schwer genug beladen war, nicht mitschleppen können, und die Er gleich an dem Tage meines Abzugs, wie Er vernahm, daß ich ausgeflogen war, zu verarrestiren befahl, woraus genugsam abzunehmen, daß es mir und allen meinen Sachen nicht beßer ergangen seyn würde, wenn man mich auf der Flucht ertappt hätte.

§ 253. Ich hatte also diesem unangenehmen Zuspruch kaum seine Abfertigung gegeben, als ich sofort mit dem Br. Erhart, Abrede wegen unserer, in der That schwer vorzunehmenden Veränderung, nahm. Wir sannen hin und her, wo wir uns hinwenden wolten, und weil[369] das vornehmste auf meine Person ankam, indem dieselbe unter den Leuten, die so viel Prahlens von der Liebe gegen ihre Feinde machen, nicht so leicht, wie Br. Erhart, aller Orten freyen Paß fand; so mußte auch ich das vornehmste Trieb-Werck abgeben, daß diese gewaltsame Veränderung unserer bisherigen Scene in Gang brachte.

Ich ging also ohne Zeit-Verlust mit dem Br. Langenmeyer, der ebenfals in Berlenburg nicht länger bleiben mochte, unter Gottes Geleite und nach zärtlich genommenen Abschiede, von Br. Erhart, nach Hachenburg auf den Wester-Wald, um dasigen Grafen um Erlaubniß zu fragen, ob uns vergönnet seyn möchte, in seinem Lande, wo es auch seyn möge zu wohnen. Dieser Ort lag 8 starcke Meilen von Berlenburg, und der Weg, der fast über lauter jähe und hohe Gebürge ging, wurde mir, da ich mein Bißchen Reise-Geräthe und etwas Proviant in einem Reise-Sack auf dem Buckel tragen mußte, ziemlich sauer: doch war ich mit meinem Reise-Gefährten, in Hofnung, daß Gott Gnade zu unserer Reise geben würde, gantz vergnügt.

Auf der Litzel, welches ein Jäger-Hof im Siegischen war, hielten wir unsere erste Mittags-Station mit Lust, weil wir ein gut Glaß Wein alda zu unserer Erquickung haben, und uns an der dasigen fast fürchterlich-angenehmen Gegend, auf welcher wir eine Menge theils rauher, theils bewachsener Berge und Thäler übersahen, nicht wenig ergötzen konten. Nach genugsamer Erquickung gingen wir deßelben Tages noch bis Hilgenbach, einem ansehnl. Siegischen Dorfe, allwo Br. Langenmeyer etwas von seiner Waare zu verkaufen Gelegenheit fand.

§ 254. Wir ruheten die Nacht wohl aus, und machten uns des andern Tages von diesem Dorfe vollends nach Siegen, als bis dahin Br. Langenmeyer den Weg wuste. Von diesem Lande kan man mit Warheit sagen, daß es ein Land sey, des Steine Eysen sind, indem man fast alles, was anderer Orten von Holtz, Dohn, oder anderer Materie gemacht ist, alda von Eysen verfertiget findet, wie ich dann in den Thälern vor Siegen, in einer Weite von nicht gar 2 Stunden, über 20, theils hohe Schmeltz-Oefen, theils Grob- und Zinck-Eysenhämmer gezählet, deren Inhaber lauter vermögende Leute waren, und nach Holland starcken Vertrieb hatten.

Wie wir hinter Siegen kamen, ging unsere Sorge an, wie wir den Weg vollends bis nach Hachenburg finden würden. Denn die Straßen sind in dasigen Gegenden gar nicht so von Menschen angefüllt, wie in andern Volkreichen Ländern, wo man selten eine halbe Meyle gehen kan, daß einem nicht Leute begegnen solten; und also[370] machten wir uns allerhand Gedancken, daß wir uns etwa verirren, oder sonst zu Schaden kommen möchten. Allein Gott hatte schon einen Raphael bestellet, unter dessen Geleite wir sicher, richtig, gemächlich und vergnügt unsern Ort erreichen konten.

Gleich hinter Siegen kam ein Mann starck hinter uns hergegangen, den wir um die Beschaffenheit des Weges zu fragen gesonnen waren. Wie Er an uns kam, grüßte Er uns freundlich, und fragte zugleich, wo unsere Reise hinginge? Wir sagten: Nach Daden, denn diesen Ort, der nur noch drey Stunden von Hachenburg lag, mußten wir berühren. Wir gaben aber zugleich zu erkennen, daß wir den Weg nicht wusten, und daß er uns einen Gefallen thun würde, wenn Er uns ein wenig Bescheid sagen wolte. Der Mann, welcher Schöff oder Schultheiß in Hilgenbach war, und Kohl mit Namen hieß, sagte, Er ginge auch dahin, und wenn es uns nicht zuwidern wäre, wolte Er in unserer Gesellschaft bleiben.

§ 255. Wer war froher, als wir, indem wir an dem gantzen Betragen dieses Mannes sehen konten, daß Er ein grund-ehrl. Mann war: Wir sagten Ihm aber, daß wir so starck nicht gehen könten, als Er, weil wir schon eine Tage-Reise gemacht hätten; Er antwortete aber, daß Er sich nach uns richten würde, und also gingen wir frölich, und unter mancherley Zeit kürtzenden Gesprächen, unsere Straße, bis um den Mittag, da wir eins wurden, etwas zu uns zu nehmen. Wir setzten uns also zusammen, auf das Ufer des Weges, den wir gingen, und ein jeder theilte dem andern aus seinem Magazine mit, was Er hatte. Wir ließen es uns sämmtlich recht wohl schmecken, und wie wir fertig waren, truncken wir vom Bach auf dem Wege, und kamen endlich gegen den Abend, glücklich, aber ich meines Orts, auch wohl ermüdet, nach Daden.

Es war eben Jahr-Marct an dem Orte, und die Menge der Gläubigen, die zwar eben nicht aus Ponto und Asia, Phrygia und Pamphilia, sondern nur aus den umliegenden Dörfern da zusammenkommen, und des h. Geistes, grösten Theils, schon ziemlich voll war, hatte alle Wirths-Häuser dergestalt besetzt, daß wir mit genauer Noth unterkommen konten, und vielleicht hätten Br. Langenmeyer und ich, unser Nachtlager wohl gar unter freyen Himmel aufschlagen müßen, wenn wir unsern Raphael nicht bey uns gehabt hätten, der es mit vielen Bitten, bey seinem bekannten Wirth endlich so weit brachte, daß Er uns aufnahm, und in die allgemeine Gast-Stube verwieß.

In derselben hörten wir nun zwar von der allda gegenwärtigen Versammlung der Begeisterten, auch ein jechlicher seine Sprache: Wir konten aber wegen Zertheilung ihrer Zungen, die wir mehr hören,[371] als sehen konten, keinem vor den andern recht verstehen. Ueberhaupt vernahmen wir wol so viel, daß sie eben nicht die großen Thaten Gottes damit priesen. Sie weißagten zwar alle, das ist, sie redeten unordentlich und unverständlich Zeug unter einander, aber wir konten weiter nichts daraus nehmen, als daß wir sagen musten: Sie sind, wo nicht voll süßes Weins, doch voll betäubenden und halb rasend machenden Bieres.

§ 256. Wir krochen in einen Winckel der Stube zusammen, aßen ein wenig Abend-Brod aus unsern Dornistern, und verlangten nach nichts mehr, als daß nur die Streu bald möchte gemacht werden, um unsere ermüdeten Knochen nur ein wenig der Ruhe genießen zu laßen. Denn an einen Schlaf war die gantze Nacht durch nicht zu gedencken, sintemal gleich oben, über unserer Stube, ein mit dünnen Brettern gedielter Tantz-Saal war, auf welchem die Gläubigen aus allerley Volck, ihre Freude in dem Herrn, dergestalt mit Jauchtzen, Tantzen und Springen ausließen, daß ich immer dachte, sie würden uns, mit samt dem Boden, auf die Köpfe fallen. Denn sie tantzten aus aller Macht vor dem Herrn, und zwar ohn Unterlaß, bis fast an den Morgen, daß kaum etwa ein Stündchen, bis zum anbrechenden Tage, zu unserer Ruhe übrig blieb16.

Es war derselbige kaum angebrochen, so wurde schon wieder Lerm, indem diejenigen, die der Rausch neben uns, auf die Streu geworfen hatte, und die, Trotz des gräulichen Tumults, der über ihren Köpfen getrieben wurde, dennoch wie die Ratzen schnarchten, wieder munter wurden, und sich zu ihrer Abreise anschickten. So müde als wir waren, so musten wir doch mit auf, weil wir gerne mit der Gesellschaft, die aus verschiedenen Bürgern und Hof-Bedienten aus Hachenburg bestund, gereiset wären, indem wir noch nicht wusten, daß unser Raphael auch vollends bis dahin mitgehen würde. Er entschloß sich aber darzu, und wir waren froh ihn bey uns zu behalten.

Ein Catholischer Laquay von dasiger Herrschaft, der mit unter dem Haufen war, verständigte uns, daß die Herrschaft dermalen nicht in Hachenburg, sondern auf dem nächsten Jagd-Schloße sey, und daß wir sie da sprechen müsten, wenn wir sie sprechen wolten. Dieses war mir, der ich schon unvergleichlich müde war, eben keine fröliche Botschaft. Es half aber nichts, und ich muste, um den Endzweck meiner Reise zu erreichen, mich keine Müdigkeit anfechten laßen.

§ 257. Wir kamen ungefehr gegen 11 Uhr vor Mittag, zu Hachenburg[372] an, und gedachter Laquay wieß uns in ein gutes Wirths-Hauß, zum güldenen Engel, bey einer alten Wittwe, Namens Halsbachinn, sagte auch, daß er uns einen andern Laquay von unserer Religion zusenden wolte, der uns näheren Bescheyd sagen würde, was wir zu thun hätten. Er hielt auch sein Wort, und der Herr Weil, ein starcker Anhänger vom Hrn. v. Marsay, kam bald nach ihm, zu uns ins Wirthshauß, und sagte uns, daß wir die Herrschaft auf dem Jagd-Schloße gar wohl würden sprechen können. Wir säumeten daher nicht, sondern machten uns, sobald wir zu Mittag gespeiset hatten, mit unsern Bündeln auf dem Buckel, auf den Weg, den Er uns selber zeigete, und bis in den Wald mitging, wo wir den Weg, der durch eine lange Allee nach dem Schloße führte, weiter nicht verfehlen konnten.

Unterwegs hatten wir allerhand Gedancken, was wir thun wolten, wenn uns der Grafe nicht erlauben würde, in seinem Lande zu wohnen, und unser Schluß fiel, in diesem Falle, dahin aus, daß wir vollends bis nach Neuwied wandern wolten, welches noch vier starcke Meylen von Hachenburg lag, und in dem Ruf stund, daß, im Fall einer seine Religion verlohren haben solte, Er sie allda würde wiederfinden können. Wir hatten aber diesmal noch nicht nöthig so weit zu gehen; denn Gott regierte das Hertz des Grafen, daß Er uns gantz gnädig empfing, und uns erlaubte in Hachenburg zu wohnen.

Wir kamen unter diesen Gesprächen endlich vor dem Schloße an, und der Graf, der uns auf der Zug-Brücke mit der Schild-Wache sprechen sahe, ließ uns gleich vor sich kommen, und fragte, was unser Begehren wäre? Ich sagte hierauf kürtzlich, daß uns dermalen gar bedrängte Umstände in Berlenburg beträfen, die uns nöthigten diesen Ort zu verlaßen, weswegen wir anfragen wolten, ob uns erlaubt seyn möchte, in seinem Lande zu wohnen. Er fragte nach den Umständen, warum wir diese Veränderung vorzunehmen gedächten, und ich sagte sie Ihm, ohne Hinterhalt. Inzwischen hatte Er die Gräfinn rufen laßen, welcher es mit mir, eben wie dem Herode mit Christo erging. Denn sie hatte viel von mir gehöret und hätte mich also längst gerne sehen mögen.

§ 258. Sie war keine unvernünftige Dame, sondern curiös auf alles, und hatte die ersteren von meinen Schriften auch gelesen. Wir geriethen alsobald in ein Gespräch von Theologischen Materien, und sie schien nicht übel mit meinen Discursen zufrieden zu seyn. Sie redete hierauf heimlich mit dem Grafen und der Graf gab uns endlich auf unser Ansuchen den Bescheid: Leuten, die sich still und ehrlich aufführen, denen können wir wohl vergönnen, bey uns zu wohnen.[373] Er wolte uns hierauf diese Erlaubniß schriftlich geben laßen; Ich sagte aber, daß uns sein hohes Wort schon genug wäre, worauf wir uns zu beharrl. Gnaden empfahlen, mit Freuden wieder zurück nach Hachenburg gingen und um unsere Rückreise ungesäumt wieder anzutreten, uns zeitig zu unserer Ruhe begaben.

Diese war diesmal angenehmer, als die vorige Nacht. Denn unsere Wirthin hatte uns ein gut Bette zu rechte gemacht, auf welchem wir in einer stillen Gast-Kammer, bis an den Tag gantz vergnügt schliefen. Sobald wir merckten, daß die Leute im Hause munter waren, erhuben wir uns auch, nahmen unser Frühstück ein, und gingen, in Begleitung unsers Raphaels, getrost unsere Wege; Er nöthigte uns, mit ihm biß nach Hilgenbach zu gehen, und diese Nacht bey Ihm verlieb zu nehmen. Wir machten keine Complimenten, weil der Ort eben nicht viel aus dem Wege lag, und wir kein beßer Nacht-Quartier, als bey diesem ehrl. Manne, vermuthen konnten.

Er hatte eine krancke Frau, die von verschiedenen weiblichen Zufällen übel genug geplaget wurde. Wie sie nun hörte, daß ihr Mann gerne Fremde mitgebracht hätte, unter denen der eine ein Gelehrter wäre, mußte ich wider meinen Willen ein Doctor seyn. Sie erzehlte mir ihren gantzen Zustand und verlangte Hülfe. Ich mochte protestiren was ich wolte, daß ich weder ein Artzt, noch Arzeneyen bey mir hätte, so blieb sie noch dabey, ich würde wohl was haben. Weil ich nun sahe, daß sie ein besonder Vertrauen auf meine Hülfe gesetzt hatte, so gab ich ihr, weiß nicht mehr was, von dem ich doch wuste, daß wenn es ihr nicht helfen könnte ihr doch gewiß auch nicht schaden würde, und war froh, daß meine Reise des andern Tages weiter ging.

§ 259. Wir traten dieselbe bey guter Zeit an, nachdem wir wohl ausgeruhet hatten, und in allem recht gut und freundlich und ohne Entgeld waren bewirthet worden. Der ehrliche Mann unser Wirth brachte uns noch darzu wieder auf den rechten Weg, und wir nahmen endlich unter vielen Danck vor seine Liebe, aufs freundlichste von Ihm Abschied, und kamen noch denselben Tag, gegen den Abend, glücklich wieder zu Berlenburg an. Ich hatte dem Br. Erhart nicht so bald von meinen Verrichtungen Part gegeben, als ich Anstalt machte, Ihn voraus zu senden, ehe man noch dachte, daß ich im Ernst, auf meinen Abzug bedacht seyn würde. Er muste also seine nothwendigsten und brauchbarsten Sachen zusammenpacken, damit Er mit einem zweyspännigen Karn vorausgehen und in Hachenburg derweile Quartier machen möchte, bis daß Er mir melden könnte, wenn ich mit den übrigen Sachen nachkommen solte, und zu dieser Reise[374] musten uns des Grafen eigene Unterthanen behülflich seyn, ohne daß unsere Feinde das Geringste eher davon wusten, als bis wir beyde mit samt unsern Sachen, über alle Berge waren, die zwischen Berlenburg und Hachenburg liegen.

Wären unsere Wirthsleutchen nicht so treu und verschwiegen gewesen, als sie würcklich waren, so wäre aus unsern Abzuge nimmermehr was worden. So aber handelten sie als wahre Freunde an uns, wie wehe es ihnen auch that, daß Br. Erhart fortging; denn von mir waren sie das noch nicht einmal vermuthen. Wir hatten aber unsere Sachen schon mit einander abgeredet, nemlich daß, sobald Er in Hachenburg ein Quartier haben würde, Er mir solches unverzüglich zu wißen thun solte, damit ich mit den übrigen Sachen nachkommen könte. Er reisete also in Gottes Namen, unvermerckt von Berlenburg ab, und ich wartete von nun an, mit Verlangen auf baldige Nachricht von Ihm, weil ich alle Stunden gewärtig seyn muste, daß ich wegen der angekündigten Receptions-Gelder executive würde gemahnt werden.

§ 260. Ich hatte meine bevorstehende Veränderung mit allen Umständen dem ehrlichen Br. Chulmann zu wißen gethan, der mich kurtz vor dem Tode des Graf Casimirs, mit dem werthen Br. Strauben, noch besucht, und die noch vorhandenen und der Confiscation entgangenen Exemplaria von Mose mit sich genommen hatte. Ich bat ihn, in dem Schreiben ausdrücklich, daß Er gegen die Berliner und Leipziger Brüder nichts von meinem Abzuge gedencken solte. Es trieb Ihn aber die Liebe (die wohl einsahe, daß mich ein solcher Sprung was rechts kosten würde) daß Er meine Bitte damahls nicht gelten ließ, sondern alles sowohl nach Berlin als nach Leipzig berichtete: Er selber aber schickte mir gleich etwas namhaftes zu meiner Reise, und dergl. thaten auch unverzüglich sowohl die Berliner, als Leipziger Brüder, daß mir also zum würcklichen Aufbruch weiter nichts mehr fehlete, als eine Nachricht vom Br. Erhart, wie seine Reise abgelaufen und wie Er in Hachenburg aufgenommen worden.

Es verstrichen wol 14 Tage, ehe ich das Geringste von Ihm hörete, welches mich, da mir seine genaue Beflißenheit, in Sachen von Wichtigkeit sonst bekannt war, in nicht geringe Verlegenheit setzte, weil ich nicht wuste, was ich von seinem ungewöhnl. Stillschweigen dencken solte, theils keine Stunde sicher war, daß mir nicht neue Frohn-Voigte über den Hals kommen möchten. Es ließ ihnen aber solches die über mich waltende Aufsicht meines treuen Führers nicht zu, und es war nicht anders, als wenn sie alle mit Blindheit wären[375] geschlagen worden, daß sie so gar nichts von meinen Bewegungen gewahr werden müßen.

An einem Abend, da ich eben mein Geträncke brauete, und an nichts weniger dachte, als daß mein Abschied so nahe sey, kam der Br. Langenmeyer, wider seiner Gewohnheit, ziemlich spät zu mir, und wie er mich mit Abkühlung meines Trancks beschäftigt fand, sprach Er, er brauet, und morgen soll er reisen. Ich meinte, Er verirte mich, weil solches meinen Umständen nach, sowohl vor seinen als meinen Augen, eine wahre Unmöglichkeit seyn muste. Er brachte mir aber einen Brief von Br. Erhart, welchen Er einen Laquayen des jungen Grafen von Hachenburg, an mich mitgegeben hatte, der wohl vor 10 Tagen schon nach Berlenburg gekommen war, den dasigen neuen Herrn zu besuchen.

§ 261. Br. Erhart hatte dadurch, in der That einen sehr unüberlegten Streich begangen, und von seiner sonst nicht unwachsamen Vorsichtigkeit damals gewiß die schlechteste Probe abgelegt, die Er ablegen können. Denn nicht zu gedencken, daß der unachtsame Laquay diesen Brief länger als 8 Tage bey sich behalten, und dadurch ihn und mich, in nicht geringe Verlegenheit gesetzet hatte, so hätte mein gantzer Anschlag dadurch zu Waßer gemacht, und mir der Abzug dadurch wohl verwehret werden können, wenn der Brief in unrechte Hände gerathen, und meinen Aufpaßern kund worden wäre, daß ich, ohne mir ein ansehnliches abzwacken laßen zu wollen, Berlenburg zu verlaßen gedächte.

Allein ich muste nicht allein den Brief, ob schon etwas zu spät, richtig in meine Hände bekommen, sondern der junge Graf von Hachenburg, der doch gegenwärtig war, wie ich mit seinem Hrn. Vater auf oberwehnten Jagdschloße sprach, und alles mit anhörte, wie ich, wegen der Berlenburgischen Bedrückungen, um Erlaubniß bat, in seinem Lande zu wohnen, muste auch nicht ein Wort von diesen allen gegen den Grafen zu Berlenburg erwähnen, sonst ist gewiß daß ich ohne tüchtig gerupft zu werden, nicht davon gekommen seyn würde; Ich sahe also aus allen diesen Vorspielen, daß der Herr Gnade zu meiner Reise geben wolte, und dachte nun auf nichts anders, als wie solche mit möglichster Klugheit und Vorsichtigkeit anzustellen, damit meine Feinde meine Bewegungen nicht gewahr werden und mir Hinderniße in den Weg werfen möchten.

Es schien fast unmöglich zu seyn, die Sachen so anzufangen, daß nicht das Geringste davon meinen Feinden, insonderheit dem Rentmeister und seinem Mephistophiles, dem falschen Buchner, zu Ohren kommen sollen. Denn ich hatte gar zu vieler Leute von des Grafen[376] eigenen Unterthanen nöthig, die mir zu meinem Vorhaben mit behülflich seyn musten. Zum Er. Tischler, Schlößer, Seiler, Bötticher, Kramer, Bauern und verschiedene Weibs-Leute, so, daß der Br. Langemeyer selber an einem glücklichen Ausgange zweifelte.

§ 262. Ich verließ mich aber auf Gott, der mich bisher so wunderbar geführet hatte, und legte mich, unter tausenderley Gedancken, wie ich meine Sachen anstellen wolte, getrost und frölich zur Ruhe, schlief auch wohl, bis gegen 8 Uhr, da stund ich auf, und ging nach dem Dorfe Raumland, zu dem Bauer, der den Br. Erhart nach Hachenburg gebracht hatte, und fragte, ob er nicht morgen noch eine Fuhre dahin bringen wolte. Denn ich war noch nichts weniger willens, als selber mitzureisen, sondern dachte nur unsere Sachen nach und nach erst fortzuschaffen, und hernach gantz in der Stille zu verschwinden. Allein dieser Anschlag (der freilich eben nicht der klügste war, weil er zu viel Zeit erforderte, zwischen welcher ich tausendmal hätte verrathen und fest genug gehalten werden können, einen Tritt, mit meinen Sachen weiter fortzusetzen). Dieser Anschlag, sage ich, wurde mir durch des Bauren Knecht gäntzlich, und zwar zu meinem Besten zu nichte gemacht.

Es weigerte sich derselbe durchaus, diesen höchst beschwerlichen Weg noch einmal allein zu fahren: Weil Er doch aber auf der Reise mit dem Br. Erhart, keine Noth gelidten, und ein gut Trinck-Geld bekommen hatte, so wäßerte dem armen Schlucker das Maul, bey mir auch was zu verdienen. Er that also den Vorschlag, ich solte 2 Karren nehmen, damit einer dem andern, bey dem grundbösen Wege zu Hülfe kommen könte. Denn es sey an manchen Orten unmöglich, alleine fort zu kommen. Ich hörte zwar hoch auf, weil ich wohl wuste, daß alle unsere Sachen unmöglich auf 2 Karren fortgebracht werden konten, und den 3ten darzu zu nehmen, würde schwerlich so stille haben abgehen können, daß meine Feinde nicht hätten sollen Wind davon bekommen. Indeßen, da an der Eil jetzt alles gelegen war, so muste ein geschwinder Entschluß gefaßet werden, der diesmal um so viel leichter war, je mehr mir des Bauren Vorschlag, sobald er ihn nur that, gleich einen besondern Eindruck in meinem Gemüthe machte, ungeachtet ich noch gar keine Möglichkeit sahe, daß ich selber würde mitreisen können. Ich entschloß mich also kurtz, 2 Karren zu beladen, derselben Rückkunft zu erwarten, und sodann mit dem Rest der übrigen Sachen, selber fortzugehen. Allein es war im Rath der Götter gantz anders beschloßen. Denn ich muste würcklich dißmal, und zwar zu meinem großen Glück, selber mit fort, und das übrige von unserer Verlaßenschaft, worunter über 50 Thaler Materialien-Waaren[377] vom Br. Erhart mit waren, unsern ehrl. Wirths-Leutchen aufzuheben geben, welcher Einfall mir doch erst kam, wie ich mit Einpackung meiner eigenen Sachen fast zu Ende war, und in Sorgen stund, was ich mit den übrigen anfangen solte.

§ 263. Ich verließ also mit dem Bauren, daß sie des andern Tags, früh um 2 Uhr, unfehlbar mit 2 Karren, vor meinem Hause seyn, genugsame Mannschaft zum Aufpacken mitbringen, und sodann, in Gottes Namen reisen solten. Hierauf ging ich eilend nach Hause. Es war schon über 10 Uhr am Tage, und meine ehrl. Wirths-Leutchen wusten noch kein Wort von meinem Vorhaben; Sie wurden also sehr betrübt, wie ich ihnen solches entdeckte, und thaten allerhand Vorstellungen, erboten sich auch, mich gern ein halb Jahr umsonst in der Miethe sitzen zu laßen, wenn ich da bleiben wolte. Ich sagte aber: Lieben Leute, haltet mich nicht auf. Es ist ein Treiber hinter mir und ihr werdet am Ende sehen, warum ich so eile. Indeßen bitte ich mir von Euch nichts mebr, als Treu und Verschwiegenheit aus, die ich nicht unbelohnt laßen werde.

Es kam unter diesem Gespräche 11 Uhr heran, und war nicht nur noch kein Stück von allen meinen Sachen eingepackt, sondern es waren auch weder Bretter, noch Nägel noch Tischler vorhanden, der die benöthigten Verschläge machen solte, und dennoch solte gegen 2 Uhr kommenden Morgens, alles zum Aufpacken parat seyn. Ich schickte ungesäumt nach dem Tischler, und siehe, der war nicht daheim, sondern zu Homburghausen, und ohne demselben konte ich nichts anfangen. Alsofort erboth sich eins von meinen Wirthsleuten, denselben zu holen, und der Br. Langenmeyer, die Schwester Schelldorfin, und die übrigen von meinen Wirths-Leutchen halfen mir derweile unter vielen Trähnen, meine Sachen so weit in Ordnung bringen, daß sie ohne Verzug eingepackt werden konten, wenn der Tischler mit seiner Arbeit fertig seyn würde.

Gegen 3 Uhr nach Mittag, kam Er, und arbeitete bis des Morgens um 2 Uhr, da er mit dem Glocken-Schlage fertig wurde, und ich nun alle Augenblicke meine Bauren erwartete. Es schlug aber 3 Uhr, und es war noch kein Bauer zu höhren, oder zu sehen. Es ist leicht zu erachten, wie mir dabey müße zu Muthe gewesen seyn. Denn je näher es gegen den Tag kam, je mehr lief ich Gefahr, verrathen zu werden. Das Beste war zwar, daß es Winter war. Denn meine Flucht geschahe im November, wo in dasigen Gegenden ein jeder gern so lange in den Federn bleibet, als es möglich ist, widrigenfalls, und wenn es im Sommer gewesen wäre, würde ich nicht unentdeckt aus der Stelle haben kommen können.[378]

§ 264. Wie ich indeßen sahe, daß meine Bauren ausblieben, machte ich mich auf die Beine, um nach Raumland zu gehen, und sie aufzusuchen. Der ehrl. Tischler, ungeachtet Er von der Arbeit so müde war, daß er wohl einer Ruhe bedurft hätte, wolte mich nicht allein gehen laßen, weil es stockfinster und grundböser Weg war, daß ich leicht zu Schaden hätte kommen können. Er ging also mit, und zwar zu guten Glück. Denn ich würde die Bauern, die schon unter wegs waren, gantz gewiß verfehlet, sie in Raumland nicht mehr angetroffen, mich durch den beschwerlichen Hin- und Her-Weg ungemein ermüdet, wo nicht gar in der blindfinster Nacht verirret, und meinen Abzug also noch länger verzogen und wohl gar vereitelt haben. Wir trafen sie aber noch auf halben Wege an, und ich trieb, was ich konnte, daß sie sich fördern musten.

Wie sie nur hörten, daß ich selber mitreisen würde, waren sie lustig und guter Dinge, ungeachtet die Pferde mit den leeren Karren, an manchen Orten genug zu arbeiten hatten, sie durch den strengen Koth zu ziehen. Wir kamen also, da noch alles im tiefen Schlafe begraben lag, glücklich vor mein Hauß, und die schwehre Bagage wurde, ohne Schrot-Leitern, in der Geschwindigkeit, dergestalt wohl und bequem auf die Karren gebracht, als wenn sie hinauf geschraubet würde. Alles was um mich war, legte mit Hand an, doch musten die Bauren, deren 4 oder 6 waren, das Beste dabey thun; Sie thaten es auch mit Freuden. Denn sie wusten, daß sie ein raisonnable Frühstück bekommen würden, welches ihnen auch wurde, und ich fuhr, so bald alles in Ordnung war, nach zärtlich genommenen Abschiede, von meinen ehrlichen Wirths-Leutchen, dem Br. Langenmeyer und der Schwester Schelldorfinn, endlich dem Rentmeister und seinem Spion, dem Buchner mit denen beyden recht schwer beladenen zweyspännigen Karren, unter Gottes Schutz und Geleite, recht dichte vor der Nase vorbey.

§ 265. Wir waren kaum vor die Stadt in einen etwas tiefen Weg gerathen, so sagte der Knecht, der zu dem gantzen Zuge Anlaß gegeben hatte: Wir haben zu schwer aufgeladen, wir werden schwerlich fortkommen. Ich sagte aber: Seyd getrost, lieben Leute, ich will euch Vorspann schaffen, machet nur, daß wir aufs nächste Dorf kommen. Denn mir war es am meisten darum zu thun, daß ich nur erst die Berlenburgische Grentze hinter mir haben möchte, damit, wenn Lerm in Berlenburg werden solte, daß ich ausgezogen wäre, man mich auf einer andern Grentze unangetastet laßen müßte.

Es war auch diese Vorsicht höchst nöthig. Denn der Rent-Meister hatte sich, nach meinem Abzuge, der wenig Stunden hernach schon[379] ruchbar wurde, verlauten laßen, Er solte nur gewust haben, daß ich weggezogen wäre, Er wolte mir schon nachgeschikt, und mich mit samt meinen Karren, gar fein wieder haben zurückbringen laßen.

Wenn ich an diesen Zug gedencke, so ist es wie ein Traum vor mir. Denn, menschl. Ansehen nach, schien es schlechterdings unmöglich zu seyn, daß ich diesen feindsehl. Manne, und seinem, alles ausspürenden Handlanger, dem Buchner, ungerauft entgehen würde. Denn es wuste es fast die halbe Stadt, daß ich fort wolte, und die Krämerin, bey der ich noch eine große Kiste kaufte, ließ mir durch die Schwester Schelldorfin ausdrücklich sagen, sie sähe es gar nicht gern, daß ich fort wolte, und sie solte mir noch eine Kiste darzu geben.

§ 266. So ungerne ich dieses Compliment hörte, und schon dachte, Wie wird das immer und ewig ablaufen, da dein Abschied schon Weibs-Bildern bekannt ist, die von Natur entschuldigt sind, wenn sie aus dem, was sie einmal wißen kein Geheimniß machen; so wenig muste mir doch ihre angebohrne Geschwätzigkeit diesmal schaden, vermuthlich weil ich (außer meinen vertrauten Wirthsleuten) eben kein Verboth gethan hatte, daß sie von meinem Vorhaben nichts ausplaudern solten. Denn sonst dürften sie wohl schwerlich unterlaßen haben, ihre Gefreuntinnen und Nachbarinnen, bey einem Täßchen Caffee, im Vertrauen zu erzehlen, was passirete.

Das Vornehmste kam hier auf die Eil und schleunige Ausführung meines Entschlußes an, den sich die Berlenburger, die von Natur etwas schwerlötig sind, nicht bey mir vorstellen konten, sonst würde ich ganz gewiß verrathen worden seyn; So aber, obschon ein Theil wuste, daß ich Anstalt zum Abzuge machte, so dachten sie doch ihrer Art nach, das werde so geschwind nicht gehen, und das half mir, daß sie sich mit weiterer Ausbreitung meines Vorhabens eben nicht übereilten, und wie sie damit aufgezogen kamen, so war ich schon über alle Berge, die mir zu passiren nöthig waren.

Meine Fuhrleute waren indeßen ungemein froh, daß sie nicht alleine fahren durften, wie sie sich eingebildet hatten, und das half mir so viel, daß ich das wenige, was ich sie unterwegs genießen ließ, (denn ich hielt sie in Eßen und Trincken, und wo ich mich recht besinne, auch im Futter frey) durch die Sorgfalt, die sie vor mich und meine Sachen trugen, reichlich ersetzt bekam, indem sie, des überaus schlimmen Weges ungeachtet, doch kein Vorspann begehrten, außer hinter Daden, wo ich selber das arme Vieh, mit der ungeheuren Last, nicht die hohen Berge wolte hinauf seufzen laßen.

§ 267. Wir fuhren von Berlenburg aus, nicht den geraden Weg nach der Wittchensteinschen Grentze, sondern der Knecht des einen[380] Bauers, der Br. Erharten schon gefahren hatte, fuhr querfeld ein, nach dem Dörfchen, wo er zu Hause gehörete, um alda noch etwas mitzunehmen; Wir kamen eben dahin, wie die armen Leutchen ihr Frühstück einnahmen, und da sahe ich, daß sie mit ungleich mehrerer Warheit, als David sagen konten: Ich eße Asche wie Brodt. Denn ihr Brod war nicht anders anzusehen, als eine zusammengeklümperte Asche; es hielt nicht zusammen, wie ander Brod, sondern sie mußten es Stückweise, auf Tellern auftragen, und ich bin versichert, daß es in meinem Lande kein Hund gefreßen hätte. Ich hatte meine sonderl. Betrachtungen darüber, daß diese armen Leute, die das Feld selber mit sauren Schweiß und unsäglicher Arbeit bauen musten, daß sie nur einen guten Bißen Brod hätten zu genießen gehabt. Denn ich versuchte etwas davon zu eßen, aber es war mir nicht möglich, es hinunter zu würgen, es war eben, als ob ich Kratz-Bürsten fräße, so sehr stachen mich die Speltzen davon in den Hals. Mein Gott, dachte ich, da alle Dinge in der neu erfundenen besten Welt ihren zureichenden Grund haben sollen, so erkenne ich zwar überhaupt auch, daß die ungleichen Schicksahle der Menschen, nicht ohne hinlängliche Ursachen über sie verhänget werden können. Ich gestehe aber offenhertzig, daß ich die, von tausend andern Dingen, oft hinlänglich genug angegebenen Ursachen, gerne entbehren, und mein Lebtage ein Ignorante in demselben bleiben wolte, wenn mir einer nur auf eine deutliche und überzeugende Art, den Grund von den gar zu ungleichen Schiksalen der Menschen zeigen könnte.

Ich, vor meine Person, finde zwar in der, von den meisten annoch verlachten Gedancken der alten klugen Heyden, von der sogenannten Seelen-Wanderung, noch die hinreichendsten Gründe zur Rechtfertigung dieses so gar ungleichen Betragens des Schöpfers gegen seine Creaturen. Allein da ich den Beweiß von diesen Gedanken, wegen der, sie noch umgebenden Dunkelheit, noch nicht in das Licht setzen kann, das sie nöthig haben, wenn auch andere davon überzeugt werden sollen, und doch das, was ich bisher bey andern in dieser Materie gelesen, noch weit unzureichender ist; so wünschte wohl, daß Gott uns armen Menschen, in dieser schwer zusammen zu reimenden Sache, noch ein heller Licht aufgehen laßen möchte.

§ 268. Die Christl. Religion, die die naseweiseste unter allen ist, und den Geist der Warheit, wo nicht gepachtet, doch geerbet zu haben vorgiebet, läßt uns in dieser wichtigen Sache, nicht allein in völliger Unwißenheit, indem sie nicht die geringste hinlängliche Ursache anzugeben weiß, warum ein Theil der sogenannten Adams-Kinder zu Speltzen-Brodte verdammt worden, derweile daß dem andern kaum[381] Raspel-Semmeln gut genug sind; sondern sie bestehet auch offenbar mit Lügen, wenn sie behauptet, daß sich ein jedes Adams-Kind, mit Kummer von dem Acker nähren, und im Schweiß seines Angesichts seyn Brod eßen müße. Denn das Gegentheil liegt jedermann vor Augen17. Ich that indeßen in Ansehung des Elendes der armen Leute, die ich dermalen vor mir hatte, was die Pflicht der Menschlichkeit von mir erheischte, und reichte ihnen etwas zu ihrer Erquickung, wovor sie mir hertzlich danckten und mir eine glückliche Reise wünscheten. Wie ich auf die Höhe der Wittgensteinschen Grentzen kam, begunte der Tag anzubrechen, und ich sahe, das hinter mir liegende Berlenburg noch in einer düstern Nacht und dicken Nebel verhüllet. Wenn ich mich der guten Zeit und erwünschten Freyheit erinnerte, die ich, unter der sanften Regierung des gütigen Graf Casimirs, genoßen hatte, so kan ich nicht leugnen, daß ich diesen, obschon an sich rauhen, dennoch auch seine vielen Annehmlichkeiten habenden Ort, sehr ungern verließ. Denn ob ich schon an den Oertern, wo mich die Vorsehung nach der Hand hingeführet, auch gantz wohl und vergnügt gelebt, so habe ich doch die unschuldige Freyheit und ungezwungene Lebens-Art, die ich in Berlenburg gehabt, nirgend widergefunden.

Indeßen dankte ich Gott hertzlich, daß Er mich, mit dem grösten Theil meiner Sachen, nicht allein, zur grösten Bestürzung meiner Neider, ihnen, so zu reden, vor den Augen verschwinden laßen; sondern auch so weit schon in Sicherheit gebracht hatte, daß mir ihr Nachsetzen aufs höchste, nicht weiter würde haben schaden können, als daß sie mir meine guten Bauren und Fuhr-Werck hätten wegnehmen, und mich mit meiner schwehren Bagage, entweder unter freyen Himmel, oder sonst an einem Orte hätte liegen laßen können, wo ich ohne schwehre Kosten, nicht so leicht hätte weiter kommen können.

§ 269. In der That würde mich dieser Zufall, wenn er sich hätte ereignen sollen, in eine Verlegenheit gesetzt haben, woraus ich mir so leicht nicht würde zu helfen gewust haben. Allein meine Gehäßigen mußten schlafen, wie ich wachte und so entrann ich ihnen glücklich. Meine Fuhrleute wurden auch getroster, wie sie sahen, daß der Weg, auf der Höhe, wegen des festen Bodens, beßer wurde, und[382] ob er schon gegen Siegen wieder schlimmer wurde, so hatte ich doch in dem Wittgensteinschen Städtgen Berghausen, zu Mittage gut füttern, und die Pferde, über das, noch ein paar Stunden ruhen laßen, daß wir also bey guter Zeit Abends ins Quartier rücken und Roß und Mann der benöthigten Ruhe genießen konte. Ich legte mich in ein Wirthshauß dißeit Siegen, nicht weit von der Stadt, befahl, die Pferde tüchtig zu füttern, und sie so viel freßen zu laßen, als sie möchten, welches dann auch von den Fuhrleuten, die dergl. Passagier wohl noch nie gefahren haben mochten, treulich befolget wurde. Ich weis nicht mehr, was uns in den Weg kam, daß wir des andern Tages nicht eher aus unserer Mittags-Station wieder wegfahren konten, als gegen 4 Uhr nach Mittage, wodurch ich genöthiget wurde, in Daden, so nur noch 3 Stunden von Hachenburg lag, noch ein Nachtlager zu machen. Es war mir aber nicht zuwider, weil ich selber, von dem langsamen Gehen sehr müde war, und nicht gerne in der Nacht nach Hachenburg kröpeln wolte.

Zwischen Siegen und Daden hatten wir zwey Striche Waldungen zu passiren, vor denen meinen Fuhrleuten, wegen des fast unbrauchbaren Weges, am meisten grauete. Ich selber muß bekennen, daß ich mein Tage keine schlimmere Wege gereiset. Denn die Räder musten über abgehauene Baumstöcke, ungeheure Steine, und bis an die Achsen ausgefahrene Felsen-Klippen gehen, daß oft das eine Rad von dem Karren, in der Luft stund, und wir alle unsere Kräfte anzuwenden hatten, zu verhüten, daß die Karren mit der Last nicht umschlugen. Wir würden es aber, mit alle unsere Mühe, doch nicht haben verhindern können, wenn der Weg nicht zu beyden Seiten Höhen gehabt hätte, daß wir den schwankenden Karren mit unsern Gegenstreben, wieder ein Gleichgewichte hätten geben können.

§ 270. Gott half aber auch diese schlimmen Oerter, die uns mehr als die gantze Reise zu schaffen machten, glücklich und ohne Schaden überstehen, welches meine Fuhrleute so lustig machte, daß sie vor guten Muthe jauchzeten. In Daden nahm ich mein Quartier wieder in eben dem Wirthshause, wo ich bey meiner ersten Durchreise so wenig Ruhe gehabt hatte. Dißmal aber war es desto stiller, und wir thaten uns, nach gehabten Ermüdungen, sämtlich was zu Gute, ruheten wohl aus, und zogen des andern Morgens unsere Straße frölich fort.

Weil sich nun mit diesem Zuge mein Berlenburgischer Lebenslauf endiget, so will ich auch den 2ten Theil deßelben damit beschlüßen, wenn ich nur vorher mit wenigen, noch werde berichtet haben, was sich nach meinem Abzuge in Berlenburg zugetragen.[383]

Eben an dem Morgen, da ich, nach obiger Beschreibung, meinen Auszug aus diesen, in ein Diensthaus verwandelten kleinen Gosen, gehalten hatte, kam der Frohnvogt Buchner zu meinem Wirth, und fragte, ob ich zu Hause wäre? Der Wirth (der mir dieses selber hernach nach Hachenburg schrieb) gab mit Betrübniß zur Antwort: daß ich diesen Morgen, in aller Frühe abgereiset.

Darüber wolte der Buchner, vor Unmuth, aus der Haut fahren, und fragte gleich, ob ich nichts da gelaßen hätte. Denn daran war ihm am meisten gelegen, weil Er von meiner Habseligkeit auch was in seine Klauen zu kriegen, und insonderheit meinen schönen Nußbaumen Schreibe-Schranck (der ihm gleich bey seinem ersten Besuch, treflich in die Augen stach) zu erbeuten gedachte.

§ 271. Nun hatte ich zwar nicht nur noch eine gantze Ladung von unsern Sachen da, sondern ich hinterließ auch, zum wenigsten noch vor 10 Gulden des schönsten buchenen Holtzes, welches mir und dem Br. Erhart, zu sägen und zu legen, sauer genug worden war, und dieses würde zum wenigsten diesem Schlucker manchen Braten haben schwitzen machen können, wenn ich nicht schon andere Anstalten damit gemacht, und zu Erhaltung unsrer übrigen Sachen dasselbige in die Rappuse gegeben hätte. Es konnten dieselbigen wie leicht zu erachten, nicht auf meiner Stube, oder Kammer stehen bleiben, weil beyde meinen Nachforschern geöfnet werden musten. Damit sie also, zum wenigsten, so viel ich darzu thun konte, geborgen, und der Aufmerksamkeit meiner Treiber aus den Augen gebracht werden möchten, so gab ich sie dem Wirth aufzuheben, der sie auf dem obersten Boden seines Hauses, unter das Holtz verpackte, und zu Vergeltung dieser Treue schenckte ich ihm nicht allein mein schönes Holtz; sondern damit auch das Weibl. Geschlecht in seinem Hause, reinen Mund halten, und meine verborgenen Sachen nicht verrathen möchte, so gab ich nicht allein allem im Hause, nehmlich des Wirths Sohne, deßen Frauen und der Wirthin Schwester, bei meinem Abzuge, raisonnable Trinck-Gelder, sondern ich verehrte auch der Wirthin noch à part eine halbe Pistole, und verband mir dadurch dieses Völckchen dergestalt, daß sie eher selber Schaden gelitten, als meine Sachen verrathen haben würden. Wie demnach der Buchner auf den Flur von meiner Stube kam, und das trefliche Holtz stehen sah, fragte Er gleich, Wem das Holtz gehörete? Der Wirth gab mit seiner natürlichen Gelaßenheit zur Antwort: Das gehöret mein. Da wurde mein Buchner noch toller, und fragte, ob ich denn gar nichts da gelaßen hätte? Noch ein Paar Bücher-Bretter, sagte der Wirth und zeigte ihm zugleich das leere Nest, wo dieselben stunden. Sie sollen verarrestiret[384] seyn, sprach er, im Zorn, und ihr, sagte er weiter zu dem Wirth, seyd straffällig, daß ihr nicht angezeigt, daß der Edelmann Willens war, wegzuziehen.

§ 272. Der Wirth sagte, daß er mit Recht und Billigkeit deswegen nicht gestraft werden könnte, weil Ihm nicht die geringste Andeutung geschehen wäre, daß Er meinen Abzug hätte anzeigen sollen, und dieses half ihm auch durch, zumal, da er sagte, daß wenn er gestraft werden solte, die Bauren, die mich fortgebracht hätten, auch gestraft werden müsten. Der Buchner frug, was das vor Bauren gewesen wären, und wie Er vernahm, daß es eigene Unterthanen des Grafen waren, wolte Er, über dem ihm gespielten und seiner sonst bekanten Naseweisheit so nachtheiligen Streich, fast die Krause zerreißen. Er muste aber dißmal mit den 2 Bücher-Brettern (die doch auch hätten gerettet werden können, wenn ich darauf geachtet hätte) vorlieb nehmen, und meine zurückgebliebenen Sachen kamen, durch die Treu meiner Wirthsleute, nach Verlauf ungefehr 4 oder 5 Monathe, endlich glücklich nach Hachenburg.

Inzwischen kostete mich dieser Zug, wenn ich alles rechne, was ich theils im Stich gelaßen, theils zu arbeiten gegeben, theils spendiret, theils mit meinen Fuhrleuten verzehret, über viertzig Thaler, denn 24 Rthl. muste ich bloß vor die 4 Fuhren geben, über10 Gulden Holtz ließ ich meinem Wirth, über 5 Thaler kostete mich die Tischler-Arbeit und Trinck-Gelder im Hause; 4 Gulden die Bücher-Bretter, ein Gulden eine Bettstelle, die über einer von des Wirths seinen festgemacht war, und nicht mit fortgebracht werden konnte, und unter 6 Gulden bin ich mit Zehrung und Trinck-Geldern vor meine Fuhrleute, zwischen Berlenburg und Hachenburg nicht ausgekommen.

Wenn ich diesen meinen Zug betrachtete, und an die Weißagung dachte, die der Prophet Rock seinen blinden Anhängern, meinetwegen gestellet hatte, nehmlich, daß ich endlich doch, nacket und bloß, von Berlenburg würde weg müßen; so freuete ich mich eines Theils, daß der Herr die Weißagung dieses Lügeners, vor aller Menschen Augen, so offenbar zu Schanden gemacht hatte; Anderntheils betrübte ich mich auch über die noch anhaltende Blindheit meiner Brüder, die aller dieser kundbaren Mißsichten ihres Propheten ungeachtet, doch nicht sehen konten, daß er ein Betrüger war.

Hier schlüße ich aber den 2ten Theil meines mühsehl. Lebens, mit innigsten Lob und Preiß, meines Schöpfers, vor deßen wunderbare, gnädige und liebreiche Führung. Das wichtigste derselben ist noch dahinten, und ich werde so viel Gott Kräfte und äußere Ruhe verleihet, nicht ermangeln, den Rest derselben, so, wie das Vorhergehende[385] nach aller Warheit, umständlich, und ohne Bemäntelung meiner Fehler, zu beschreiben. Solte mich der Herr über Tod und Leben, vor Endigung dieser Arbeit, aus dieser Zeit abfodern, so trage das Vertrauen zu meinen, alsdann hinterlaßenen werthen Freunden, daß sie das, was ihnen etwa von mir bekannt worden, gleichfals, ohne Schmincke, vollends bis an das Ende meines Lebens, fortzuführen sich gefallen lassen werden. Ich endige dieses, in der Königl. Preußischen Residentz-Stadt Berlin, am funfzehnden Tage des Monaths Novembris, im 1752sten Jahre.


G. A. D. E.

Fußnoten

1 Als wenn ein und dasselbe Wort nie in zweierlei Bedeutung in der heil. Schrift vorkäme; hätten sie nur Jef. 14, 12 verglichen.


2 Obschon sie doch bei dieser Ignoranz die Schrift tiefer und richtiger auffaßten, als Edelmann mit all seiner Klugheit.


3 Unter Matthäus Meyer ist wohl der Pfarrer Meier zu Oberbiele gemeint, der 1671 seinen Verstand verlor und 1683 starb. Bartholomäus Scleus war ein Mystiker gegen Ende des 16 Jhrhdts. in Klein-Pohlen, dessen Werke unter dem Titel: theosophische Schriften 1686 gedruckt wurden.


4 Es war dies ein Kaufmann Pinell in der Brüderstraße in Cölln an der Spree, cf. Pratjes Edelmann p. 32 u.d. Anm. dazu.


5 In dieser Zeit schrieb Edelmann einen Brief an den Bruder des Dr. Herrmann, auf daß dieser seinen Bruder von den Inspirirten abzöge und sandte ihm seine Schrift: Bereitete Schläge etc. Der Brief steht in Schelhorns Ergötzlichkeiten aus der Kirchenhistorie und Literatur Bd. 1 p. 365 sqq., Ulm und Leipzig 1762.


6 Oder richtiger der Stolz des Herzens.


7 cf. Walchs Religionsstreitigkeiten der Lutherischen Kirche Thl. 5 p. 1062.


8 1 Mos. 32, 2 Mahanaim Gottes Heere.


9 John Pordage war ein englischer Prediger zu Reading, hernach zu Bradfield in Berckshire, abgesetzt wegen der Beschuldigung, daß er Gemeinschaft mit bösen Geistern habe und wegen Gotteslästerung. Er trieb auch Arznei-Kunst und wird von Einigen zum Haupt der neuen Böhmisten gemacht. Man hat von ihm 2 Tractate: Theologia mystica und sophia. Er starb um 1698.


10 Reg. a Mansveld geb. 21. October 1639 wurde 1660 Professor der Metaphysik und Ethik zu Utrecht, † 29. Mai 1671. Nach seinem Tode 1674 kamen seine lucubrationes oder liber singularis adversus anonymum theologico-politicum seu in Ben. Spinosae discursum theologico-politicum heraus.


11 Deutlicher kann Edelmann es wohl nicht aussprechen, wie gern er auch von dieser Autorität frei seyn will und wie er darauf ausgeht, Schwächen zu suchen; dann bildet man sich auch bald ein, sie gefunden zu haben.


12 Der h. Geist zwingt nicht und Edelmanns Hochachtung war denn doch nur sehr oberflächlich seiner Seele eingedrückt mit innerem Widerstreben.


13 Wenn Edelmann sich nur nicht unter die Autorität der Bibel hätte fügen sollen!


14 Nur mit dem Unterschied, daß Paulus in an sich gleichgültigen Dingen »Jedermann alles war« nicht aus Eigennutz und ohne Lüge, sondern aus Liebe zu den Menschen und Gott.


15 Joh. Leonh. Froereisen, geb. 9. Mai 1694 bei Straßburg, wurde 1724 Professor in Straßburg und starb 13. Jan. 1761.


16 Welche elende Anspielungen und Vergleichungen enthalten diese letzten §§. mit der Biblischen Geschichte, Zeichen einer niedrigen, gemeinen Seele.


17 Wenn Edelmann etwas genauer zugesehen hätte, möchte er doch wohl gefunden haben, daß nicht leicht ein Adams-Kind von Kummer frei, und ohne Schweiß seinen Weg zurückgelegt hätte. Die christl. Religion lehrt uns aber glauben, daß es für den Einen heilsam ist, Spelzen-Brot zu eßen, für den Andern Raspel-Semmel, und was der Eine auf diese Weise habe, habe der Andere auf jene. etc. etc.


Quelle:
Edelmann, Johann Christian: Selbstbiographie. Berlin 1849 (Faksimile-Nachdruck Stuttgart, Bad Cannstatt 1976), S. 386.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Selbstbiographie
Joh. Chr. Edelmann's Selbstbiographie Geschrieben 1752: Herausg. Von C. R. W. Klose (German Edition)
Selbstbiographie: Geschrieben 1752 (German Edition)

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