26) Der Schöngeist.

[96] Der Schöngeist verabscheut Bonmots und Calembourgs, und während er beide oft nicht versteht, thut er so, als genügten sie seinen ästhetischen Anforderungen nicht.

Er hegt ebenfalls einen Abscheu vor aller Witzhascherei oder Spaßmacherei. Er ist ein ausgezeichneter Literat, ein großer Dichter – aber unverstanden und deßhalb ungewürdigt.

Er hat allen ausgezeichneten Schriftstellern Rathschläge ertheilt, – wenn man seinen Worten glauben will, –[96] und Jene waren undankbar genug, diese Rathschläge nicht einzugestehen.

In seiner Brieftasche trägt er beständig verschiedene sehr freundschaftliche Briefe bei sich, die er von den beliebtesten Literaten, von den ausgezeichnetesten Gelehrten, empfangen hat – oder wenigstens empfangen haben will.

Er wird einst durch die Herausgabe seiner unsterblichen Werke eine wahre Revolution in der Literatur hervorbringen und derselben eine andere Gestalt geben. Dazu wartet er nur auf die Gelegenheit, zu finden, was er schon lange Zeit vergebens suchte – einen Verleger.

Wer nicht für einen lächerlichen und pedantischen Dummkopf gelten will, der vermeide es sorgfältig, den Schöngeist zu machen.

Quelle:
Fresne, Baronesse de: Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt. Weimar 1859, S. 96-97.
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