Zwölftes Kapitel.
[147] Meine Wanderjahre. – Engangements und Gastspiele. – Besuche bei Goethe. – Bekanntschaft mit Tieck. – Gespräch mit Goethe über den »Götz«. – Baron von L. – Der Großherzog als mein Kurier. – Letzte Begegnung mit ihm und sein Tod. – Rückkehr nach Weimar. – Tod der Großherzogin. – Wilhelmine Schröder-Devrient bei Goethe. – Tod meines Vaters. – Goethes Tod und Leichenbegängnis.

Meine Lehrjahre waren zu Ende, meine Wanderjahre begannen. Mehrfach hatte ich das Glück, länger an einem Orte weilen zu dürfen, aber Schicksal und Laune trieben mich doch wieder von dannen, und ich habe die Marterfahrten der Postkutschenzeit gründlich ausgekostet. Manchen Ort von Deutschland habe ich namentlich auf meinen Gastspielfahrten kennen gelernt, daneben auf manches lustige Abenteuer erlebt. Mein erstes Engagement war, wie ich schon erzählt habe, in Dresden, von dort ging ich wegen ungenügender Beschäftigung nach Hannover, doch kennte ich mich in dieser Stadt nie behaglich fühlen, besonders des unleidlichen Kastengeistes wegen, der in der dortigen Bevölkerung herrschte. Da auch andere Unannehmlichkeiten hinzutraten, so machte ich kurzen Prozeß und ging durch, zunächst nach Prag. Auf der Reise dorthin sah ich meine gute, geliebte Mutter zum letztenmal; bald darauf wurde sie mir durch den Tod genommen.

In doppelter Hinsicht glückbringend und bedeutungsvoll für mich war ein Engagement in Leipzig, dessen Theater im Hofrat Küstner einen ausgezeichneten Leiter besaß. Zuerst beschäftigte er mich hauptsächlich in der romantischen Tragödie im älteren Fach, machte dann aber im Jahre 1823 einen Versuch mit mir im bürgerlichen Drama und teilte mir den[147] Stadtmusikus Miller in »Kabale und Liebe« zu. Da der Versuch gelang, wurden mir nunmehr Rollen wie der Oberförster in den »Jägern« und der alte Feldern in »Hermann und Dorothea« übertragen, und ich rückte allmählich auch in das Fach der Heldenväter und komischen Charakterrollen ein. Das Publikum hatte Nachsicht mit meinen anfänglichen Leistungen und behandelte mich mit Liebe und Auszeichnung. So kann und muß ich mit Recht sagen, daß ich dem Vertrauen Küstners und dem Wohlwollen der Leipziger die Entwickelung meines Talents großenteils zu danken habe. Neben jener Tätigkeit füllte ich in der Oper das ganze erste Baritonfach aus, und so kam es, daß ich bei 220–30 Vorstellungen im Jahre durchschnittlich 130mal spielte. Freilich hatte ich dort in Leipzig auch in meinem Privatleben eine so glückliche Zeit, daß mir die angestrengteste Tätigkeit leicht erschien. Dort war es, wo ich meine spätere Frau kennen lernte, wo ich mit ihr eine an Liebe und Freude reiche Ehe schloß. Als Christine Böhler war sie nebst ihrer Schwester Doris – nachmals die Gattin von Emil Devrient – dort engagiert, sie selbst für ernstere, die Schwester für heitere Rollen. Sie war eine ausgezeichnete, feinsinnige Künstlerin, und auch ich verdankte bei meinem Studium das meiste der tieferen Einsicht meiner geliebten Frau. Sie war es, die mich auf alle meine Fehler, auf alle feinere Nüancierung aufmerksam machte, die alle gekünstelten Effekte verwarf und jeden Charakter naturgemäß und psychologisch entwickelt wissen wollte. Diese Grundsätze betätigte sie selbst überall auf das trefflichste, und ihre Darstellungen sowie ihr hohes Verständnis und ihre Gabe klarer Auseinandersetzung wurden mein Leitstern in der dramatischen Kunst. Sie war es, die nicht allein mein häusliches Glück gründete, sondern mich auch auf der künstlerischen Bahn weiter leitete und mich meinem erstrebten Ziele näher brachte.[148]

Wir verlebten wunderschöne Jahre in Leipzig, und allgemeine Trauer herrschte unter den Theatermitgliedern, als Hofrat Küstner 1828 durch verschiedene Unglücksfälle gezwungen wurde, seine Direktion niederzulegen. Diese wurde nun meinem Schwager und mir angeboten, aber wir besaßen leider nicht die ausreichenden Mittel, um sie zu übernehmen. Dagegen ging ich auf einen von Magdeburg aus mir gebotenen Vertrag ein und führte dort zehn Monate lang die Oberregie, bis ein lebenslänglicher Engagementsantrag meine Frau und mich in die alte Heimatstadt Weimar zurückrief. Unsere Fächer waren durch den Abgang der Frau von Heygendorf und Stromeyers erledigt worden, und da man uns dort sehr glänzende Anträge machte, auch unsere Aufnahme beim Hof und beim Publikum die freundlichste war, so gaben wir alle anderen Pläne auf. Meine Frau begleitete mich freudig in meine Geburtsstadt, in die ich 1829 zurückkehrte, und wir haben unseren Entschluß niemals bereut.

In all den Jahren war ich mit Weimar und mit Goethe vielfach in Verbindung geblieben, hatte auch besuchsweise ein paarmal in der Heimat geweilt. So sind mir aus dieser Zeit, obwohl ich meistens fern war, doch verschiedene Erinnerungen an die Hauptpersonen des klassischen Weimar geblieben, und ich will sie hier zusammenstellen, da ich nun bald über den Tod unseres größten Dichters und seines fürstlichen Beschützers zu berichten habe.

Eine der Begegnungen mit Goethe fand statt, als ich mich mit meiner Braut nach Weimar begeben hatte, um dort meine Verlobung zu feiern. Den andern Tag empfing uns Goethe im Kreise seiner Familie, zu dem noch einige Freunde seines Hauses gezogen waren. Meine Schwägerin Doris hatte während unserer Reise das große Wort geführt und in mutwilliger Laune geäußert, was sie alles mit Goethe über seine Werke zu sprechen gedächte; als wir aber die[149] Treppe zu ihm hinausgingen, wurde sie ganz kleinlaut und flüsterte mir zu, daß sie gewaltige Kopfschmerzen hätte und lieber wieder umkehren wolle; ich hielt sie jedoch fest. Sein Kammerdiener, der gute Karl, begrüßte uns mit einem herzlichen Glückwunsch und öffnete uns die Tür des Empfangszimmers. Goethe trat uns mit liebenswürdiger Freundlichkeit entgegen. Er war in seinem langen blauen Überrock und hatte ein weißes Halstuch leicht umgeschlungen. Nachdem ich meine Braut, ihre Mutter und Schwester ihm, seiner geistreichen Schwiegertochter und den anderen Herrschaften, die mir alle bekannt waren, vorgestellt hatte, nahmen wir Platz, wobei Goethe meiner Braut den ihrigen an seiner Seite anwies. Goethe war kein Freund von langem Sitzen. Nachdem einige Erfrischungen herumgereicht waren, stand er auf und trat mit meiner Braut ans Fenster, wo er sich lange mit ihr unterhielt, und ich bedauerte nur, daß die Schicklichkeit es nicht erlaubte, mich zu ihnen zu gesellen, um der Unterredung beizuwohnen. Frau von Pogwisch, die Mutter der Schwiegertochter des Hauses, eine vortreffliche Dame, knüpfte mit mir ein Gespräch an, wobei meine Augen immer nach dem Fenster schielten, wo er und sie standen, um zu sehen, welchen Eindruck Christine auf Goethe mache. Es mußte ein günstiger sein, denn seine Züge wurden immer wohlwollender und seine Augen immer lebhafter, was das beste Zeugnis seiner Zufriedenheit war. Dann sprach er mit meiner Schwiegermutter, meinem Vater und mir, wobei er sagte: »Du kannst dich glücklich schätzen, dieses liebenswürdige Mädchen, das durch seine geistige Kapazität und ihr edles weibliches Wesen mein ganzes Wohlwollen erworben hat, inskünftige die Deine zu nennen. Nun möchte ich auch mit ihrer Schwester, von deren neckischer Laune mir dein Vater so manches erzählt hat, einige Worte sprechen, aber ich kann der Kleinen nicht habhaft werden.«[150]

Ja, die war in alle Ecken gekrochen, um nur aus der Nähe Goethes zu kommen, solchen Respekt hatte ihr seine Persönlichkeit eingeflößt. Ein Mädchen, das durch Witz und Munterkeit die Männerwelt bezauberte, war hier zum schüchternen Kinde geworden; ihre Schüchternheit verschwand indes doch nach und nach, als Goethe sie so freundlich ansprach, und bald lugte ihr glückliches Naturell hervor, an dem Goethe sich höchlich ergötzte, denn er sagte zu mir: »Auch die Kleine ist allerliebst.« Hierauf forderte er meine Braut auf, ihm etwas zu rezitieren. Bereitwillig deklamierte sie ihm einige seiner Gedichte und die Rede der Prinzessin aus »Tasso«. Als sie geendet hatte, nickte er mit dem Kopfe und sagte: »Brav, mein Kind, sinnig und charakteristisch vorgetragen; ich wünschte mir wohl das Vergnügen, Sie auf der Bühne zu sehen.« Beinahe zwei Stunden brachten wir in seiner Gesellschaft zu, und meine Braut war entzückt über den Meister. Soviel ich ihr auch von ihm, dem Herrlichen, erzählt hatte, so war doch ihre Erwartung weit übertroffen, denn nicht allein seine imposante Persönlichkeit, auch seine herzgewinnende Art und Weise hatte sie bezaubert.

Das nächstemal, als wir nach Weimar fuhren, schloß mein Freund Koch, unser trefflicher Komiker, sich unserer Partie an, da er ein großes Verlangen trug, Goethe kennen zu lernen, wozu ich ihm sichere Aussicht gemacht hatte.

Hoch erfreut empfing uns mein guter Vater und bedauerte nur, daß wir nicht länger bei ihm verweilen könnten. Den andern Tag ließ ich bei Goethe anfragen, ob ich ihm einen Leipziger Schauspieler vorstellen dürfte. Mein Gesuch wurde gewährt und ich nebst meinem Freunde nach Wunsch empfangen.

Im Gespräche fragte Goethe, welchem Fach Koch sich gewidmet, und als dieser erwidert hatte, daß er hauptsächlich im Lustspiel und der Posse wirke, bemerkte Goethe: »Nun,[151] das ist eine ganz schätzenswerte Aufgabe, anderen Menschen heitere Stunden zu bereiten!« Dann wandte er sich zu mir und fragte, was jetzt meine Beschäftigung im Schauspiel wäre. Ich sagte ihm, daß ich wohl noch hier und da ernstere Liebhaber spielte, der Hofrat Küstner mir aber zumeist Charakterrollen übertrüge, und so hätte ich denn vor kurzem den König Philipp in »Don Carlos« mit Erfolg gegeben, wozu ich ein treffliches Vorbild an dem Schauspieler Kühne von Hamburg gehabt, der in dieser Rolle ganz unvergleichlich sei und den ich darin sogar noch über Eßlair stelle. »Ich habe schon viel Gutes von diesem Manne gehört, und er soll ein ganz tüchtiger Charakteristiker sein, mit einem kräftig schönen Organ und entsprechender Persönlichkeit,« sagte Goethe. Dann fragte er nach meiner Frau, ob sie mitgekommen sei, was ich bejahte, aber sogleich hinzufügte, daß sie sich nicht mit der nötigen Toilette versehen habe, um Sr. Exzellenz aufwarten zu können. »Ei was,« rief er, »sie ist mir in jedem Kostüm willkommen.« Abends kamen wir seiner Einladung nach, und er begrüßte sie mit großer Herzlichkeit.

Koch war ganz entzückt über die freundliche Aufnahme von seiten Goethes, den er sich mit steifer Haltung und einem ernsten, auf das Gewürm herabblickenden Gesichte gedacht hatte.

Eine höchst freudige Überraschung wurde meiner Frau an ihrem Geburtstage, dem 31. Januar 1822, zuteil. Goethe sandte ihr zum Andenken ein Stammbuchblatt mit folgendem Glückwunsche:


Treu wünsch' ich Dir zu Deinem Fest

Das Beste, was sich wünschen läßt.

Doch wünsch' ich mir zum Lebenskranze,

Dich anzuschau'n in Deinem Glanze,

Dich selbst in Handeln, Worten, Blicken,

Mir und den Freunden zum Entzücken.


Zu meiner nächsten Fahrt nach Weimar trieb mich ein[152] besonderes Anliegen. Der »Wallenstein« sollte in Leipzig gegeben werden, und die Titelrolle war mir übertragen worden. Ich fuhr daher nach Weimar, um Goethe zu bitten, sich meiner bei dieser großen Aufgabe freundlich anzunehmen. »Ich will dir recht gern in diesem Vorhaben behilflich sein,« sagte Goethe, »und dir im allgemeinen meine Ansichten über den Charakter mitteilen; um dir aber wahrhaft förderlich bei deinem Studium dieser schwierigen Rolle zu sein, werde ich dir einen Brief an Tieck mitgeben und ihn ersuchen, daß er die Rolle mit dir durchgehe. Er hat Fleck in dieser Rolle gesehen, den besten Wallenstein, wie er mir selbst sagt, den je die deutsche Bühne besessen.« Diesen Empfehlungsbrief sandte mir Goethe durch meinen Vater im Anfang des Jahres 1824 zu.

Der Geheimrat von Könneritz, damaliger Intendant des Dresdener Hoftheaters, hatte im Anfang des eben genannten Jahres mich, meine Frau und Schwägerin zu einem Gastspiel dahin eingeladen, und am 28. Mai reisten wir ab. Ich war äußerst gespannt auf Tiecks persönliche Bekanntschaft und schob meinen Besuch nicht auf. Obgleich man mir gesagt hatte, Tieck nehme fast niemals in den Vormittagsstunden Besuche an, wagte ich es dennoch und ließ mich mit dem Bemerken melden, daß ich einen Brief von Goethe zu übergeben habe. Ich wurde angenommen und in ein elegantes Zimmer geführt, das reich mit Sofas und Stühlen aller Art besetzt war, woraus ich sah, daß dies das Zimmer sein mußte, worin er seine Vorlesungen hielt. Nicht lange darauf trat er aus einer Seitentür. Obgleich ich vorbereitet war, einen Mann zu sehen, den die Gicht nach der rechten Seite zu gekrümmt hatte, so überraschte mich doch sein Anblick. Der Rücken war ganz gebogen, und die herabhängende Hand berührte das Knie; sein Kopf ruhte beinahe auf der Schulter. Aber welch ein Kopf war das! Die hohe Stirn, das feurig leuchtende Auge, die schöngeformte Nase, der[153] etwas aufgeworfene Mund, das alles bildete ein Ganzes von imponierender Schönheit. Ich hatte erwartet, er würde sofort Goethes Brief erbrechen und mich dadurch der Verlegenheit überheben, ihm selbst mein Gesuch vortragen zu müssen; da er es aber nicht tat, blieb mir nichts anderes übrig als ihm zu sagen, daß Goethe ihn in dem Schreiben ersuche, sich meiner bei dem Studium des Wallenstein freundlichst anzunehmen; auch teilte ich ihm die Äußerung Goethes über Fleck mit. Tieck antwortete darauf: »Ja, dieser Fleck war ein wunderbarer Mann; der trefflichste Schauspieler, den ich je im Heldenfach gesehen. Nicht nur für jeden Darsteller, selbst für jeden dramatischen Dichter war er in der Auffassung und Wiedergabe der Charaktere belehrend und errang sich durch seine meisterhaften Gebilde die Bewunderung des Laien wie des Kenners!«

Wie er so sprach, wurden seine Züge immer lebendiger, und ein jugendliches Feuer leuchtete aus seinen Augen. Sein Organ kam mir noch schöner vor als das Goethes, bei dem doch zuweilen eine gewisse Härte fühlbar wurde, während hier alles ebenso wohltönend und weich wie kräftig und klangvoll war. Er gewährte freundlichst mein Gesuch und bestimmte mir mehrere Tage in der Woche, an denen ich in den Morgenstunden zu ihm kommen sollte; schließlich lud er mich, meine Frau und Schwägerin ein-für-allemal zu seinen abendlichen Vorlesungen ein. Noch denselben Abend kamen wir seiner Einladung nach, und er empfing auch meine Damen auf das herzlichste. Nachdem die üblichen Vorstellungen stattgefunden, wurde der Tee von der Gräfin Finkenstein, Tiecks langjähriger Freundin, bereitet. Dann nahm man Platz, und Tieck setzte sich an einen kleinen Tisch, der in der Mitte des Salons stand. Er hatte die Freundlichkeit, meiner Frau die Entscheidung zu überlassen, was er lesen sollte; diese wählte »Romeo und Julia«.[154]

Was war das für ein Hochgenuß, in solcher Vollkommenheit dieses Meisterwerk vorlesen zu hören, wie man es nie so vortrefflich in allen Teilen auf der Bühne darstellen sehen konnte. Schon bei dem Vorlesen des Personals wußte er mit Virtuosität in jeden Namen den charakterisierenden Ton und das Tempo zu legen, mit dem er später die Person las, so daß er im Verlauf seines Vortrags nicht nötig hatte, die Namen wieder anzuführen. Capulet, Lorenzo, Mercutio und die Amme wurden unübertrefflich von ihm gezeichnet. Obgleich Tieck selbst oft behauptet hat, daß er keine Liebesszenen lesen könne, so bewies er hier doch das Gegenteil, denn sowohl Juliens wie Romeos Reden trug er mit einer Schwärmerei und Glut vor, wie ich sie auf der Bühne nie besser gehört habe.

Den andern Tag ging ich um die bestimmte Stunde zu ihm, und mein Studium des Wallenstein begann. Wie machte er mich mit allen Abstufungen des Tons und der Charakteristik dieser Rolle vertraut, bei welchen Momenten der Astrolog, bei welchen der Feldherr, bei welchen der Zweifler hervortreten müsse! Mehrere Szenen spielte er mir sogar vor und geriet dabei in solches Feuer, daß der gichtbrüchige Mann verschwand und Wallenstein lebendig vor mir stand. Als feinere Nüancierungen Flecks bezeichnete er unter anderen die Stelle in der Szene mit Questenberg, wo Fleck bei den Worten: »Tod und Teufel, ich hatte, was ihm Freiheit schaffen konnte,« aufgesprungen sei und den Kommandostab ergriffen habe. Dann die Stelle, wo Wallenstein, nachdem er die aufrührerischen Truppen vergebens angeredet, in den Saal zurückkehrt, in Gang und Haltung zwar noch ungebeugt, wo aber aus den wenigen Worten: »Terzky, laß unsere Regimenter sich fertig halten,« hervorgeleuchtet habe, daß sein Mut gebrochen und daß er in wenigen Minuten um zehn Jahre älter geworden sei.

»Fleck,« fuhr Tieck fort, »hatte diesen wunderbaren Charakter[155] des Wallenstein in allen seinen Tiefen psychologisch erschöpft.« Nachdem er oft die Rolle mit mir durchgegangen, spielte ich sie ihm in seinem kleinen Arbeitszimmer vor. Er war mit meinem Fleiß und Streben nicht unzufrieden und stellte mir die aufmunternde Aussicht, daß ich mit der Zeit ein guter Wallenstein werden könnte.

Aus ähnlichem Anlaß wie damals beim »Wallenstein« ging ich im Anfang des Jahres 1826 nach Weimar, um Goethe zu bitten, mit mir die Rolle des »Götz von Berlichingen« durchzugehen, der in Leipzig zur Aufführung kommen sollte, und er gewährte mir meine Bitte. Er machte mich mit seinen Intentionen ganz vertraut und stellte mir ein so lebendiges Bild vor Augen, daß ich nicht fehlen konnte und mutigen Herzens an die Aufgabe ging.

Leider ist es mir nicht mehr vergönnt gewesen, die Rolle unter den Augen des Dichters zu spielen. Als ich wieder in Weimar engagiert war, fand allerdings eine Aufführung des »Götz« zur Feier von Goethes Geburtstag statt, aber er wohnte der Vorstellung, wie sehr ich ihn auch bat, nicht bei, weil eben sein Geburtstag war und er in seinem hohen Alter Akklamationen vermied. Den andern Tag ging ich zu ihm, um ihm den Erfolg mitzuteilen. Er sagte: »Nun, ich habe schon von Eckermann viel Gutes über deinen Götz gehört! Du sollst dich sehr wacker gehalten haben. Die letzte Redaktion dieses Schauspiels, die ich eigentlich auf Veranlassung Schillers unternommen habe, will mir durchaus nicht behagen. Durch die Hinweglassung des bischöflichen Hofs wird das Ganze nur eine Ritterkomödie, und meine ursprüngliche Idee, das damalige Hof- und Ritterleben zu schildern, zerspaltet sich. Man könnte wohl den Versuch machen, es in der Form wieder zur Darstellung zu bringen, in der ich es im Jahr 1809 dem Publikum vorführen ließ!« – –

Auch auf dem Rückwege von einer Gastspielreise nach[156] Kassel hielt ich mich einige Tage in Weimar bei meinem Vater auf, dem Goethe bereits hatte sagen lassen, daß wir bei ihm zu Mittag essen sollten. Ich hatte ihn seit fast zwei Jahren nicht gesehen und fand ihn sehr wohl auf. Bei Tafel war er äußerst heiter. Er liebte es, mit Schauspielern über das Theater zu sprechen, und so mußte ich ihm von meinen jüngsten Kunstreisen alles erzählen, was ich Anerkennungswertes bemerkt und getroffen hatte. Besonderen Spaß machten ihm meine Erzählungen über den originellen Baron v. L., den er in Lauchstädt kennen gelernt und den ich bei einem Gastspiel in Breslau wieder gesehen hatte. Er wohnte dort mit einem Hauptmann zusammen in einem Logis. In der Stube stand L.'s Bett, in dem Alkoven schlief D.; dies gab letzterem Gelegenheit, folgende drollige Szene zu belauschen, die er mir dann in L.'s Gegenwart erzählte. L. kam meistens spät in der Nacht äußerst weinselig nach Hause. D. erwacht von dem Lärm und dem Lichtschein und sieht, daß L., nur mit dem Hemd bekleidet, zwei Kerzen in den Händen haltend, vor dem großen Wandspiegel steht und mit sich folgendes Zwiegespräch hält.

Baron Ferdinand von L., was bist du für ein S....? Jeden Abend kommst du betrunken nach Hause. Deine Ahnen müssen sich im Grabe deiner schämen. Solch ein Verworfener wie du gehört auch in kein anständiges Bett, sondern unter dasselbe, also hinunter mit dir!

Darauf setzt L. die Lichter hin, wirst sich zur Erde und kriecht unter das Bett. So liegt er eine ganze Weile still, dann steckt er den Kopf hervor und eröffnet folgendes Gespräch mit seinem besseren Doppelgänger, der im Bette liegt.

L. Ferdinand Baron von L., ich sehe ein, daß ich bisher ein ruchloses Leben geführt habe, und verspreche dir, mich zu bessern.

Doppelgänger. Das hast du schon oft gesagt und[157] versprochen, aber es niemals gehalten! Also bleib' nur unten!

L. (nach einer Pause). Ferdinand Baron von L., der Ungar und Oeil de Perdrix sind meine ärgsten Verführer! Hiermit entsage ich ihrem Umgang auf immer, wenn du mir noch einmal vergibst.

Von oben. Nein! Schweig und erdulde deine wohlverdiente Strafe!

Nun mochte es aber doch dem guten L. etwas zu kalt unter seinem Bette werden, und er ließ sein besseres Ich die Unterhandlungen wieder anknüpfen.

Von oben. Ferdinand Baron von L., ist es dein ernster Wille, dich zu bessern?

Von unten. Ja, lieber Ferdinand.

Von oben. Dann magst du noch och einmal in deinem Bett schlafen.

Darauf kroch er hervor und schlüpfte in sein Bett. Ich hätte das Ganze für erfunden gehalten, wenn L. nicht dieser Erzählung D.'s beigewohnt und sie lächelnd bestätigt hätte. Mein Bericht über dieses Abenteuer belustigte Goethe höchlichst, und er erzählte nun auch seinerseits, auf welche Weise er in Lauchstädt die Bekanntschaft dieses Originals gemacht habe. Auf einem einsamen Spaziergang durch die Felder war ihm auf einem Rain ein langer Mann im Militärrock, mit verschränkten Armen begegnet, dicht vor ihm stehen geblieben und hatte, statt der üblichen Begrüßung, eine Strophe aus dem Lied der Parzen nicht ohne Geschick rezitiert. »Das ist unter allen Schöpfungen die schönste, womit Ew. Exzellenz die Welt beglückt haben. Weder Tasso noch Ariost haben ähnliches geschrieben, und selbst Schiller, den ich so hoch verehre, läßt öfter seiner Phantasie in seinen Dichtungen zu freien Spielraum, wodurch er die Wahrheit hier und da beeinträchtigt; aber Ew. Exzellenz halten in beidem das richtige Maß. Ich habe die Ehre, Ew. Exzellenz in mir den Baron[158] Ferdinand von L. vorzustellen.« – »So sprach der Mann,« fuhr Goethe fort, »und ich wandelte längere Zeit mit ihm in der schattigen Lindenallee auf und ab, mich an seinem Urteil über die alten und neuen Dichter ergötzend.«

Goethe war in solch vertrautem Kreis niemals der Minister, sondern stets der heitere, liebenswürdige Greis, aus dessen Augen jugendliches Feuer glühte, aus dessen Zügen das herzlichste Wohlwollen sprach.

Beim Abschied drückte er mir die Hand und fügte hinzu: »Grüße herzlichst dein liebes Weib, und mag dich dein Weg bald wieder über Weimar führen.«

Meine Frau erhielt von ihm zu ihrem Geburtstag am 31. Januar 1828 eine Tasse, worauf sein Gartenhaus am Stern gemalt und in die Unterschale die Worte »Gruß und Heil!« eingebrannt waren. – –

Eine andere von meinen Fahrten nach Weimar ist mir darum besonders im Gedächtnis geblieben, weil bei ihr kein Geringerer als unser allverehrter Großherzogin Person den Kurier für mich machte. Er war gleich uns – meine Frau, meine Schwägerin und mein Knabe befanden sich bei mir – auf der Rückreise von Darmstadt nach Weimar begriffen, doch waren wir etwas zeitiger abgereist und bereits in Fulda angelangt, als er vor der Post vorfuhr. Ich hatte zwei Zimmer daselbst in Besitz genommen, worin es sich meine Familie bequem machte, da mein Knabe durch die schnelle Fahrt etwas unwohl geworden war. Karl August machte stets seine Reisen in offener Kutsche und hatte selten mehr als einen Kavalier bei sich. Ich trat an die Droschke heran und half ihm beim Aussteigen; seine Begleiter, der General von Seebach und sein treuer Kammerdiener Hecker, erkannten mich recht gut und ließen mich gewähren, er aber erkannte mich nicht und fragte Seebach etwas mürrisch: »Wer ist denn das?«

[159] Seebach. Kennen ihn denn Eure königliche Hoheit nicht mehr? Es ist ja Eduard Genast.

Großherzog. Ich habe Sie nicht erkannt.

Ich. Eure königliche Hoheit haben, solange ich noch in Ihren Diensten stand, die Gnade gehabt, mich du zu nennen, und ich bitte untertänigst, mir diese Gunst nicht zu entziehen.

Großherzog. Nun, wenn du willst, recht gern. Wo sind denn deine Frauen? Ich habe so viel Schönes in Darmstadt von ihnen gehört, daß es mir angenehm sein würde, sie kennen zu lernen. Darf man ihnen die Aufwartung machen?

Ich. Wenn Eure königliche Hoheit gestatten, so hole ich sie herunter.

Als ich dies getan und der Großherzog meine Frau und Schwägerin auf das freundlichste begrüßt hatte, führte er sie zu einer vor dem Posthause stehenden hölzernen Bank und nahm dort an ihrer Seite Platz, seine Zigarre – denn er rauchte den ganzen Tag, wenn er im Freien war – in der Hand haltend. Meine Frau bemerkte es und sagte: »Gnädigster Herr, die Zigarre wird Ihnen ausgehen,« worauf er versetzte: »Ich weiß ja nicht, ob die Damen Tabaksrauch vertragen können.« – »Ach,« erwiderte meine Frau, »das sind wir von unserem seligen Vater gewohnt.« Lächelnd rief er: »Hecker, so gib mir ein bißchen Feuer, da die Damen der Rauch nicht geniert.«

Die Pferde waren längst vorgelegt, aber er brach die Unterhaltung nicht ab und sagte endlich zu mir: »Weißt du was? Der Abend ist erst angebrochen, laß anspannen, wir essen zusammen in Buttlar und übernachten in meinem Lande.« – Wie glücklich hätte es mich gemacht, der Aufforderung des gütigen Fürsten nachkommen zu können, doch ich mußte ihm sagen, daß mein Knabe auf der Reise krank geworden sei.[160]

»Das tut mir leid,« erwiderte er, »aber du hast recht, daß du ein krankes Kind nicht der Nachtluft aussetzest.«

Als eben die Pferde anziehen wollten, rief er noch von der Droschke herab: »Mit wieviel Pferden fährst du?«

»Leider ist der Wagen so schwer, daß ich vier nehmen muß.«

»Ich werde Dittmar sagen, daß er dir morgen sichere Pferde gibt; gute Nacht!« – Da fuhr er hin, der unvergleichliche Mann und Fürst; nur noch einmal, kurz vor seinem Dahinscheiden, sollte ich das Glück haben, ihn zu sprechen.

Den andern Morgen waren die ersten Worte, die mir der Postmeister Dittmar in Buttlar zurief: »Nun, Herr Genast, Sie haben einen seltenen Kurier gehabt; der Großherzog hat mir gleich bei seiner Ankunft gesagt: ›Morgen kommt Genast mit seiner Familie, daß du ihm ja vier sichere Pferde gibst!‹« Solche Herablassung und Güte gewannen dem Großherzog aller Herzen, nicht bloß die seiner Untertanen, sondern überhaupt aller, die das Glück hatten, in seine Nähe zu kommen.

Meine letzte Begegnung mit dem geliebten Herrscher fand während meines Wirkens in Magdeburg statt. Er war in seiner gewöhnlichen Reisedroschke in einem Tag dorthin gefahren und abends gegen elf Uhr angekommen. Seine Begleiter waren der Major von Germar und der preußische Major von Geisau, ebenfalls Adjutant von ihm, beide Freunde und Gönner von mir. Der Großherzog wollte nur den darauf folgenden Tag, der eigentlich kein Theatertag war, in Magdeburg verweilen, darum ließ mich der Generalleutnant von Jagow schon früh um sechs Uhr durch den Major Haak fragen, ob es nicht möglich sei, eine außerordentliche Vorstellung zu veranstalten. Ich sandte sogleich meinen Diener zu dem Oberbürgermeister Franke und ließ fragen, ob die Herren vom Komitee nichts dagegen hätten, wenn ich für den Abend[161] eine Vorstellung ansetzte, und erhielt natürlich eine zustimmende Antwort, denn überall war ja der unvergleichliche Fürst geliebt und geehrt. Darauf bat ich das ganze Personal um neun Uhr zu einer Versammlung ins Theater und setzte ein Repertoire von verschiedenen Stücken und Opern auf, welches ich selbst nach »Stadt London«, wo der Großherzog abgestiegen war, brachte, um es ihm zur Auswahl vorlegen zu lassen. Herr von Geisau bat mich ein wenig zu warten, da er mich dem Großherzog melden und dieser mich gewiß selbst sprechen wolle. So war es auch. Ich fand den verehrten Fürsten in seiner preußischen Generalsuniform am offenen Fenster stehen; unten vor dem Hause hatte sich eine große Menge Menschen versammelt und schwenkte, so oft er freundlich grüßend hinabschaute, die Mützen.

Aber wie verändert sah er aus! Grau war seine Gesichtsfarbe, sein Auge wie erloschen und seine Züge schlaff. »Komm näher,« sprach er wohlwollend; »wir haben uns das letzte Mal in Fulda gesehen. Was macht deine Frau und Schwägerin? Damals hattest du einen kleinen Jungen, der schuld war, daß wir in Buttlar nicht zusammen übernachten konnten – hast du seit der Zeit Zuwachs erhalten?«

»Noch zwei Mädchen,« erwiderte ich, »und ein viertes Kind erwartet meine Frau in kürzester Zeit.«

»Dann kann ich also deine Frau heute abend nicht im Theater sehen, das tut mir leid. Grüße sie von mir!«

Darauf legte ich ihm das Repertoire vor. »Spielst du den Barbier von Sevilla?« Ich bejahte. »Dann gib diese Oper, ich möchte gern sehen, was du geworden bist, da ich manches Rühmliche von dir gehört habe.«

Um sieben Uhr sollte die Oper beginnen, aber erst um acht Uhr kam der Großherzog, der von dem zahlreich versammelten Publikum, trotz des langen Wartens, mit einem ungeheuren Jubel empfangen wurde. Im Zwischenakt kam[162] er mit Jagow und dem Minister von Kleewitz auf die Bühne mit den Worten: »Ich muß mir euer Theater doch einmal ansehen!« Da war er wieder der kräftige Greis mit roten Wangen, frisch in Sprache und Haltung. Nachdem ich ihn herumgeführt, sagte er: »Höre, das ist eine schlechte Bühne, da ist ja hinter den Kulissen gar kein Raum! Ihr müßt euch ein anderes Theater bauen!« Ich erwiderte in Gegenwart des Generals von Jagow und des Ministers von Kleewitz: »Ja, Königliche Hoheit, ich habe das den Exzellenzen auch schon gesagt, aber den Bescheid erhalten, daß weder Geld, noch ein Platz dazu da wäre!« – »Das ist leider wahr!« bestätigten beide Herren. Der Großherzog sagte nun noch, daß ich ihm, wie überhaupt das ganze Ensemble, gefallen, und daß es ihm leid täte, das Ende nicht abwarten zu können, da er zu ermüdet sei.

Das war das letztemal, daß ich meinen gütigen Landesfürsten sah. Ungefähr vierzehn Tage danach kam der Major von Haak, abermals schon früh um sechs Uhr, an mein Fenster und brachte mir die Nachricht, daß der Großherzog tot sei.

So weilte der geliebteste Herrscher nicht mehr unter den Lebenden, als ich nach zwölfjähriger Abwesenheit in meine Vaterstadt zurückkehrte. Ich betrat als engagiertes Mitglied zum ersten Male als »Vampyr« die Bühne, meine Frau zwei Tage darauf als Prinzessin im »Tasso«.

Wir fanden ein herrliches Ensemble. Die alten Schüler Goethes: Graff, Haide, Lortzing, waren noch ziemlich kräftig. Oels hatte am Schmelz seines Organs nichts verloren, und es war ein wahrer Hochgenuß, ihn, den unübertrefflichen Rhetoriker, in den Raupach'schen »Hohenstaufen« zu hören und zu sehen. Durand hatte sich in seiner Kunst sehr vervollkommnet und spielte eifersüchtige Ehemänner mit vollendeter Wahrheit und sprudelndem Humor; darin war er Wolff weit überlegen, während er ihm in der Tragödie nicht[163] weit nachstand. Laroche war, was das Charakterfach im Lustspiel anlangt, wohl das bedeutendste Talent der Weimarschen Bühne, obgleich diese nicht der Boden war, worauf er sich völlig frei und natürlich bewegte. Seidel war ein ganz ausgezeichneter Komiker, und Rollen, wie Habakuk im »Alpenkönig«, Valentin im »Verschwender« und besonders sein »Bauer als Millionär«, waren ganz vortreffliche Charakterbilder. Frau Durand (früher Engels) und Frau Seidel waren beide höchst verdienstvolle Schauspielerinnen, Fräulein Lortzing eine jugendliche Liebhaberin mit einem wunderschönen Organ und reizender Persönlichkeit, wie man wenige auf der deutschen Bühne fand. Ihr Gretchen im »staust« war ein Bild voll Seele und Unschuld und namentlich dadurch vorteilhaft ausgezeichnet, daß sie es in diesem Charakter bis zum Schluß durchführte, auch in der Kerkerszene nicht zur tragischen Heroine werden wollte. Die Oper hatte allerdings in Stromeyer den trefflichsten Bassisten jener Zeit verloren, besaß aber in Moltke einen lyrischen Tenor mit einer Stimme, die man zu den schönsten zählen konnte. Buffo- und zweite Baßpartien waren durch Laroche und Franke sehr gut besetzt. Frau Eberwein sang und spielte Rollen wie Klytämnestra, Elvira im »Don Juan« usw. sehr brav. Fräulein Schmidt übertraf in Partien wie Zerline, Rosine usw., besonders im Spiel, manche berühmte Sängerin. Ein sehr guter Chor von zweiunddreißig Stimmen und ein treffliches Orchester, an dessen Spitze unser unvergeßlicher Hummel stand, waren in würdigem Einklang mit dem Ganzen. Der Oberhofmarschall von Spiegel behielt als Intendant die strenge, fast pedantische Ordnung bei, die von Goethe eingeführt worden war. Kein Schauspieler durfte im Mantel oder mit bedecktem Haupte probieren, wenn es nicht seine Rolle mit sich brachte. Der Oberhofmarschall selbst nahm seinen Hut ab und stand, bei jeder Probe gegenwärtig, im[164] Frack am Souffleurkasten. Er sprach nie in die Anordnungen des Regisseurs auf der Bühne; hatte er diesem je eine Bemerkung zu machen, so geschah es unter vier Augen; er schloß nie ohne Zustimmung seiner Regisseure ein Engagement ab, machte diese aber dann auch mit verantwortlich, wenn ein Fehlgriff begangen worden war.

Zu Goethes Geburtstag wurde nach der Sommerpause das Theater in Weimar mit »staust« wieder eröffnet. Er selbst hatte sich um die Bühnenbearbeitung seines Werkes nicht weiter bekümmert, als daß er sich mit der Klingemannschen einverstanden erklärt und Riemer Machtvollkommenheit zu einigen Abänderungen übertragen hatte. Laroche war ein ganz vortrefflicher Mephisto, die Schülerszene gab er unnachahmlich schön. Sehr brav war Durand als Faust. Eberwein hatte eine sehr sinnige, ansprechende Musik dazu geschrieben.

Am 13. Februar 1830 starb unsere allverehrte Großherzogin Louise und wurde nach ihrer Bestimmung ohne alles Gepränge früh um 5 Uhr in der Fürstengruft an der Seite ihres ihr vorangegangenen Gemahls Karl August beigesetzt. Das Theater wurde, weil die hohe Frau es so verlangt hatte, nur auf drei Wochen geschlossen. – –

Wilhelmine Schröder-Devrient besuchte auf ihrer Kunstreise nach Frankreich auch Weimar. Voll Freude eilte ich zu Goethe, um ibn zu fragen, ob er die Schröder-Devrient empfangen wolle? »Es wird mich freuen, diese Künstlerin, von der ich schon so Treffliches gehört, kennen zu lernen,« erwiderte er. Ich fragte ihn noch, ob sie ihm etwas vorsingen dürfe, da er ja wegen der Trauer das Theater nicht besuche. »Das wird meine Freude nur noch erhöhen,« sagte er. Ich bemerkte, daß er dazu keinen Akkompagnisten bestellen möge, dieses Amt könne meine Frau übernehmen, und er versetzte lächelnd: »Ei sieh, da lerne ich ja ein weiteres Talent an deiner lieben Frau kennen.«[165]

Am andern Tage empfing er die Devrient höchst freundlich und liebreich. Sie sang ihm unter anderem auch die Schubertsche Komposition des »Erlkönig« vor, und obgleich er kein Freund von durchkomponierten Strophenliedern war, so ergriff ihn der hochdramatische Vortrag der unvergleichlichen Wilhelmine so gewaltig, daß er ihr Haupt in beide Hände nahm und sie mit den Worten: »Haben Sie tausend Dank für diese großartige künstlerische Leistung!« auf die Stirn küßte; dann fuhr er fort: »Ich habe diese Komposition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bild. Auch Ihnen, meine liebe Frau Genast,« wandte er sich zu meiner Frau, »danke ich für Ihre charakteristische Begleitung.«

Wilhelmine war entzückt über sein Lob und über die Aufnahme, die ihr von ihm wie von seiner Schwiegertochter zuteil geworden war. Beim Nachhausefahren sagte sie: »Das ist der schönste alte Mann, den ich je gesehen, in den könnte ich mich sterblich verlieben.« – –

Am 4. März des nächsten Jahres sollte mich ein harter Schlag treffen; mein geliebter Vater starb nach langen, schweren Leiden, und nur die Liebe meiner Frau und meiner Kinder kennte meinen Schmerz lindern. Erst nach mehreren Tagen ließ Goethe mich zu sich kommen. Er empfing mich mit ernstem Gesicht und sagte: »Ich habe einen alten Getreuen, du hast einen trefflichen Vater verloren. Genug!« Und mit einem Händedruck und raschem Lebewohl entließ er mich. Wie hätte ich denken können, daß er, der noch in voller Kraft dastand, schon ein Jahr danach, in demselben Monat, auch von dieser Erde scheiden würde!

Ehe wir ihn verloren, wurde mir aber noch die Freude zuteil, von ihm um ein Bild für sein Album gebeten zu werden. Ich hatte einen Antrag aus Paris auf Gastrollen[166] in der deutschen Oper, und da ich nur in Rollen wie Kaspar, Lysiart, Pizarro beschäftigt sein sollte, wo ein Schnurrbart ganz am Platze war, ließ ich mir einen solchen wachsen. Ehe ich diese Reise antreten sollte, kam der Maler Schmeller im Auftrag Goethes zu mir, um mich noch vor meiner Abreise für sein Album zu zeichnen. »Ich muß Ihnen nur bemerken,« sagte Schmeller, »daß ich dem Herrn Geheimrat mitgeteilt habe, daß Sie jetzt einen Bart tragen, und wie Ihnen bekannt ist, mag er das bei Schauspielern nicht leiden.« Ich erwiderte, daß ich die hohe Ehre, in Goethes Album aufgenommen zu werden, sehr anerkenne, aber den Bart ließe ich mir vor der Pariser Reise nicht abschneiden; nach dieser stände ich nach Wunsch zu Diensten. Die Verhandlungen wegen des Bartes gingen einige Tage hin und her, bis ich mich entschloß, selbst mit Goethe darüber zu sprechen und ihm meine Gründe dafür in aller Untertänigkeit darzulegen. Als ich bei ihm eintrat, musterte er mich vom Kopf bis zu den Füßen und ich fragte: »Nun, wie gefalle ich Ew. Exzellenz im Schnurrbart?« – »Ich finde, daß er dir nicht übel steht,« antwortete er. »Na, so mag er denn meinetwegen mit abkonterfeit werden.« Noch an demselben Nachmittag saß ich dem Herrn Schmeller, und er stellte ein Porträt von mir her, bei dem es gut war, daß mein Name auf der Rückseite verzeichnet war, denn von meinem Gesicht war fast nur der anstößige Bart getroffen.

Das Theater wurde zu Goethes Geburtstag mit Chelards »Macbeth« wieder eröffnet. Es war der letzte Geburtstag Goethes, den wir im Freundeskreise feierten. Dieser Kreis bestand stets aus dem Geheimrat von Müller, Stephan Schütz, Riemer, Peucer, Eckermann und Goethes Schülern. Auch diesmal hatte ich – wie es schon 1829 und 1830 mit Gedichten von Riemer und Friedrich von Müller geschehen war – ein Gedicht von Eckermann zu dieser Feier komponiert,[167] da meine Versuche auf diesem Gebiet mehrfach Beifall gefunden hatten.

Am 22. März 1832 schied Goethe von dieser Erde. Das Theater wurde auf Befehl des Großherzogs geschlossen. Die Leiche des großen Toten war am 26. von früh acht Uhr an ausgestellt, wie ein Dichterfürst in weißen Atlas mit Purpursaum gekleidet, den Lorbeerkranz auf dem Jupiterhaupt. So lag er wie schlafend in seinem Sarkophag, neben welchem acht Kandelaber mit brennenden Kerzen standen und seine Orden auf samtnen Kissen lagen. Gelehrte, Künstler, Beamte und Handwerker hielten abwechselnd die Leichenwache. Zunächst verrichteten dies Amt die Gelehrten, dann die Mitglieder des Theaters (worunter Oels, Graff, Lortzing, Durand und ich, als seine Schüler, Laroche, Seidel, Franke, Winterberger), die sich untereinander ablösten. Diesen folgten die bildenden Künste und dann die Gewerbe. Tausende von Menschen waren herbeigekommen, den Unvergleichlichen noch einmal zu sehen. Nachmittags fand die Beerdigung statt. Mehr als zehntausend Menschen wogten durch die Straßen nach dem Kirchhof, der bereits mit Menschen angefüllt war. Neben dem Leichenwagen, welcher mit vier schwarz behangenen Pferden bespannt war, gingen zwölf Marschälle, und hinter demselben folgten die Staatswagen der allerhöchsten Herrschaften; dann schloß sich der Zug der Leidtragenden an, an deren Spitze die ersten Staatsbeamten und Hofdiener gingen; diesen folgten die Brüder der Loge Amalia. Vor dem Wagen gingen die Mitglieder des großherzoglichen Hoftheaters und der Hofkapelle und vierundzwanzig Bürger, die, als der Trauerwagen an der Fürstengruft angelangt war, den Sarg herunterhoben und ihn an der linken Seite Schillers beisetzten. Die Hofsänger fangen das Lied, von Hummel komponiert: »Laßt fahren hin das allzu Flücht'ge«. Darauf hielt der Generalsuperintendent Dr. Röhr die Leichenrede.[168]

Dienstag den 27. wurde »Tasso« mit einem Epilog vom Kanzler Friedrich von Müller gegeben, den Durand als Tasso ganz vortrefflich sprach. Die Prinzessin spielte meine Frau, die Sanvitale Frau Seidel, den Alfonso Oels, den Antonio ich.

Nach den Worten des Tasso:


Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht

Das Schiff an allen Seiten – –


begann der Epilog, bei dessen ersten Versen die Prinzessin und Leonore mit übergeworfenen Trauerschleiern, zwischen ihnen Alfonso, langsam hervortraten; an den Kulissen stellte sich das ganze Personal in altitalienischen Trauerkostümen auf. Die Gedächtnisfeier endete mit folgender Strophe des Epilogs:


Ja, heilig immerdar bleibt jede Stelle,

Wo edle Menschen menschlich schön gewaltet.

Den Augenblick entführt die flücht'ge Welle,

Das Große nicht, was sich aus ihm entfaltet;

Und immer lichtverklärter, ätherhelle

Wird, was die Macht des Genius gestaltet:

Nur sein Erscheinen kann vorübergehen,

Sein Wirken muß für Ewigkeit bestehen![169]


Quelle:
Genast, Eduard: Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit. Erinnerungen eines alten Schauspielers. Stuttgart 1919, S. 147-171.
Lizenz:
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