Mineralwasser

[93] Mineralwasser (Aquae minerales, medicatae, soteriae) sind diejenigen mit Arzneistoffen geschwängerten Wasser, welche die Natur aus ihrem Schoße hervorbringt, und deren Heilkräfte man empirisch kennen gelernt hat. Diejenigen, die sich durch ihre Arzneikräfte am meisten bewährt, und einen hohen Ruf in der kultivirten Welt erlangt haben, werden zwar, von ihren Quellen aus, möglichst wohlbehalten in die entferntesten Gegenden verschickt, aber es fehlet doch viel, daß man sie wie andre Arzneien überall und zu allen Zeiten des Jahres bekommen, geschweige in voller Güte und zu mäßigem Preise bekommen könnte. Es war also löblich, daß man versuchte, sie künstlich zu bereiten.

Da die Scheidekunst in Zerlegung und Aufschließung dieser köstlichen Heilmittel es jetzt so weit gebracht hat, so ist es kein Wunder, daß sie sich auch tüchtig fühlte, dieselben künstlich nachzumachen, und dieß hat sie auch mit Glück unternommen, wiewohl die Handgriffe nicht deutlich beschrieben worden sind.

Die am meisten gebräuchlichen, auch in entfernten Gegenden verlangten Trinkmineralwasser sind das Selterswasser, das Seidschützer Bitterwasser, das Spaawasser, das Pyrmonter Wasser, das Egersche, das Schwalbacher, das Biliner Wasser. Einige andre berühmte sind noch nicht so genau untersucht, daß man sie nachmachen könnte, z.B. das Fachinger und das Roitscher.

Zur Verfertigung dieser arzneilichen Wasser ist ein möglichst reines, helles, und geruch- und geschmackloses Quellwasser erforderlich. Dieses schwängert man mit den Bestandtheilen, die die vorzüglichsten Scheidekünstler in jedem dieser Wässer gefunden haben.

Um Selterser Wasser zu verfertigen, werden 20 Civilpfunde reinen Quellwassers mit 2182/11 Kubikzollen Luftsäure gesättigt und in diesem angesäuerten Wasser 619/11 Gran Kalkerde, 1073/11 Gran Bittersalzerde, 873/11 Minerallaugensalz und 3982/11 Gran Kochsalz bis[93] zur völligen Helligkeit aufgelöset.

Zu dem Seidschützer Bitterwasser kommen in 20 Civilpfunden 146/11 Kubikzoll Luftsäure, 164/11 Gran Kalkerde, 455/11 Gran Bittersalzerde, 891/11 Gran Gyps, 31205/11 Gran Bittersalz und 791/11 Gran Magnesiekochsalz.

Zu dem Spaawasser kommen in 20 Civilpfunden 1637/11 Kubikzoll Luftsäure, 3010/11 Gran Kalkerde, 728/11 Gran Bittersalzerde, 119/11 Gran feine Eisenfeile, 3010/11 Gran Minerallaugensalz, und 37/11 Gran Kochsalz.

Zu dem Pyrmonter Wasser kommen in 20 Civilpfunden 600 Kubikzoll Luftsäure, 693/4 Gran Kalkerde, 674/5 Gran Bittersalzerde, 211/10 Gran feine Eisenfeile, 574/5 Gran Glaubersalz, 1733/5 Gran Gyps, 1092/5 Gran Bittersalz, 242/5 Gran Kochsalz und 264/5 Gran Magnesiekochsalz.

Zu dem Egerschen Sauerbrunnen kommen in 20 Civilpfunden 3382/11 Kubikzoll Luftsäure, 273/11 Gran Kalkerde, 146/11 Gran feine Eisenfeile, 17010/11 Gran Minerallaugensalz, 1000 Gran Gyps, und 1655/11 Gran Kochsalz.

Zu dem Schwalbacher kommen in 20 Civilpfunden 325 Kubikzoll Luftsäure, 181/3 Gran Kalkerde, 111/9 Gran Bittersalzerde, 161/9 feine Eisenfeile, 31/3 Gran Minerallaugensalz, 88/9 Gran Gyps, und 27/9 Gran Kochsalz.

Zu dem Biliner Wasser kommen in 20 Civilpfunden 980 Kubikzoll Luftsäure, 6545/57 Gran Kalkerde, 4947/57 Gran Bittersalzerde, 61040/57 Gran Minerallaugensalz, 9133/57 Gran Glaubersalz, und 3414/19 Gran Kochsalz.

Der Zusatz dieser festen Bestandtheile macht weiter keine Umstände, aber die Schwängerung des Wassers mit der nöthigen Menge Luftsäure ist von Schwierigkeit.

Es kömmt drauf an, ob man nur kleine Quantitäten Mineralwasser zu verfertigen hat, oder ob man sie in Menge bereiten will.

Will man nur kleine Quantitäten, so darf man nur über den Hals der Flasche, die die gewogene Menge Quellwasser und andern Ingredienzen in genauer Proportion enthält, eine wohl mit Weizenkleie ausgeriebene Schweinsblase binden, welche gerade die nöthige Menge Luftsäure enthält, und die Flasche so lange in den Händen sanft schütteln, bis die Blase ganz luftleer geworden und zusammengefallen ist. Dann bindet man die Blase ab, verstopft die Flasche wohl und überzieht den Kork mit geschmolzenem Pech oder Siegellack.

Daß aber die Blase die nöthige Menge Luftsäure enthält, erfährt man dadurch, wenn man sie in ein gläsernes walzenförmiges Gefäß etwa halb mit Wasser angefüllt völlig eintaucht. Die Menge Wasser, die sie da verdrängt und höher steigen macht, wird angeben, wieviel Kubikzoll Luft sie enthält. Aeußerlich an diesem Glase angezeichnete Striche (Grade) deuten an, wie hoch das Wasser von jeden zehn oder zwanzig Kubikzollen steigt; 261/2 rheinische Kubikzoll Raum nehmen 16 Unzen Wasser (köllnisches Gewicht) ein.

Man bedient sich, um die Blase mit Luftsäure anzufüllen, einer Flasche (Fig. I.) mit doppeltem[94] Halse. Die angefeuchtete und ganz ausgedrückte Schweinsblase (c) wird fest an den schiefen (b) Hals angebunden, indeß man in die mit kleinen Stücken Marmor oder salzsäurefreiem Kalkstein angefüllte Flasche durch die senkrechte Mündung (a) eine verdünnte Vitriolsäure (einen Theil Vitriolöl mit 16 Theilen Wasser gemischt) theilweise eingießt und jedesmal den Pfropf (i) fest darauf drückt. Ist die Blase voll Luft, so wird sie dicht über dem schiefen Halse abgebunden, das erstere Band (e) aber gelöset.

Bei so kleinen Arbeiten kann man nicht das genaueste Produkt verlangen.

Ganz anders ists, wenn man im Großen arbeitet. Man richtet (Fig. II.) eine Tonne (D) von tannenem Holze vor, und wässert sie vor dem Gebrauche öfters mit kochendem Wasser aus. Man stellt sie auf einen niedrigen (E) Tisch dergestalt, daß die im untern Boden befestigte, senkrechte, hölzerne (i) Röhre auf der einen, der hölzerne wagerechte (d) Hahn aber auf der andern Seite hervorragt. Auf dem niedrigen (F) Schemmel wird zuerst die Mischung von gröblichen Stücken Marmor oder Kalkstein und wie oben gesagt verdünnter Vitriolsäure in der Flasche (A) vorgenommen, und nach jedem Zugießen der Säure der Pfropf fest aufgedrückt. Die entwickelte Luftsäure dringt durch die im schiefen Halse befestigte krumme (l) Röhre bis auf den Boden der kleinern Flasche (B), welche zum dritten Theile mit reinem Wasser angefüllt ist, durch welches die Luftsäure emporsteigt und hier ihren etwanigen Antheil Salz- oder Vitriolsäure absetzt, und ganz rein durch die wie ein S gebogene Röhre dringt und sofort durch die in den mit Wasser angefüllten (g) Kasten eingetauchte hölzerne Röhre (i) des Fasses aufsteigt, und das reine Wasser, womit letzteres angefüllt ist, zu dem Zapfen (d) auf der andern Seite herausdrängt, nachdem die aufsteigende Füllröhre (f) abgenommen worden ist.

Soll nun das Wasser z.B. mit einem gleichen Umfange Luftsäure geschwängert werden, so wird die Tonne völlig mit Luftsäure angefüllt, dergestalt daß die vorher völlig mit reinem Quellwasser angefüllte Tonne ihr ganzes Wasser durch den Zapfen (d) gehen läßt. Läuft nichts mehr heraus, so nimmt man die ganze Vorrichtung (A, B, l, k, g) auf dem niedrigen (F) Schemmel hinweg, verstopft die Röhre (i), befestigt die aufsteigende (f) gläserne oder zinnerne Füllröhre in dem (d) Hahne und füllt durch sie von oben hinein allmählich alles das Wasser, was man aus der Tonne hat laufen lassen, indeß man mittelst der Kurbel (h) die hölzerne (a) Spindel und mittelst dieser die vier hölzernen Flügel (e, e, e, e) langsam in Bewegung setzt. Diese Bewegung wird nicht wie ein anderes Drehen vollführt, sondern nur in halben Zirkelwendungen, etwa ein halbes Mal herum jedesmal bald links, bald rechts. Denn nur etwa so viel Bewegung verstattet die theils oben an der Spindel, theils an der hölzernen am obern Boden befestigten (c) Röhre zur Zurückhaltung der Luftsäure fest gebundene gegerbte Blase (b), an deren[95] Stelle man auch einen von weichem Leder verfertigten luftdichten Schlauch nehmen kann.

Diese Bewegung setzt das Wasser in Stand, die Luftsäure schnell in sich zu nehmen, und zugleich die (vorher in die Tonne geschütteten) Ingredienzen aufzulösen.

Ist dieß geschehen, so drehet man den Hahn (d) zu, nimmt die aufsteigende Füllröhre (F) hinweg, bindet die Blase (b) etwas ab, damit die äußere Luft von oben herein dringen kann, und zapft, vermittelst des Hahns (d) das fertige Mineralwasser auf Flaschen.

Soll das Wasser weniger als einen gleichen Umfang an Luftsäure enthalten, will man zum Beispiele Schwalbacher Wasser machen und ist der Inhalt der Tonne 200 Pfund, so läßt man so viel entbundene Luftsäure in die mit Wasser angefüllte Tonne gehen, daß unten aus dem Hahne (d) 1222/3 Pfund Wasser ausgetrieben werden, so wird die Luftsäure darin den hier verlangten Umfang von 3250 Kubikzoll haben, (weil 261/2 • 1222/3 = 325 • 10 = 3250 ist). Ist dieß geschehen, so wird die Kurbel langsam in Bewegung gesetzt und das vorher herausgedrängte Wasser (1222/3 Pfund) so wie die Einsaugung der Luftsäure vor sich geht, allmählich durch die herabsteigende Röhre (f) wieder eingefüllt. Ist das Wasser wieder völlig in die Tonne getreten, so ist auch die Einsaugung aller Luftsäure geschehen, und wenn zugleich auch die festen Bestandtheile mit aufgelöset worden (welches während dieser Bewegung leicht geschieht), ist auch das Mineralwasser fertig und braucht blos auf Flaschen gezapft zu werden.

Mir deucht, diese Vorrichtung hat Vorzüge vor den bisher üblichen.

Bei einer andern Methode, wo man (Erden), Laugensalze und Säuren, jedes besonders in die Mineralwasser bringt, damit sie darin sich zusammensetzen und Luftsäure entbinden, erhält man gewöhnlich einen fremden Geruch und Geschmack.

Ich rathe auch nicht, irgend ein bekanntes Ingredienz der jedesmaligen Mineralwasser aus denselben wegzulassen. Bei Beurtheilung der Kräfte so zusammengesetzter Heilmittel als die Mineralwasser sind, kann man nicht anders als empirisch verfahren; blos die Erfahrung, nicht das hier unzulängliche Vernünfteln, entscheidet über ihren Nutzen. Daß uns z.B. die besondern Heilkräfte des Gypses in ihnen nicht bekannt sind, daraus folgt nicht, daß er keine, oder nur schädliche Kräfte habe –

Ueberhaupt muß jeder, der Zutrauen bei Verfertigung der Mineralwasser erlangen will, (bei deren Wahl der Eigensinn und die Bedenklichkeit des Publikums sehr weit geht) äußerst genau der Natur nacharbeiten, und entweder ein vollkommnes Produkt dieser Art, oder gar keins liefern.

Das Vorurtheil, daß solche Mineralwässer, wenn sie auch vollkommen den natürlichen entsprechen, doch nicht ächt wären, wie sich zuweilen ununterrichtete Aerzte und Halbgelehrte einbilden, fällt hinweg, wenn ein Apotheker von Ansehn und von bekannter[96] Rechtschaffenheit, Einsicht und Genauigkeit sie zu verfertigen unternimmt.

Die Luftsäure vereinigt sich zwar auf oben angegebne Weise mit dem Wasser bald, aber die Auflösung wird erst nach Verfluß mehrerer Tage innig. Es ist daher nothwendig, daß man die damit gefüllten Flaschen erst wenigstens vierzehn Tage im Keller stehen läßt, ehe man sie verkauft. Geschmack und Geruch und Ansehn wird in dieser Zeit vollkommen, wenn bei der anfänglichen Bereitung gehörig verfahren worden ist.

Man muß das reinste Quellwasser dazu nehmen, welches nicht nur ganz ohne allen Geschmack, Geruch und Farbe, sondern auch möglichst frei von allen mineralischen Bestandtheilen ist.

In kühlen Werkstäten geht die Verfertigung am besten von statten. Die Wärme hindert die Vereinigung der Luftsäure mit dem Wasser; bei Frostkälte aber entweicht sie wieder völlig aus demselben. Die Flaschen müssen in einem reinlichen, kalten, aber frostfreien Keller aufbewahrt werden.


Vorrichtung zur Verfertigung der künstlichen Mineralwasser.
Vorrichtung zur Verfertigung der künstlichen Mineralwasser.

Vorrichtung zur Verfertigung der künstlichen Mineralwasser.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 2. Abt., 1. Teil, Leipzig 1798, S. 93-97.
Lizenz:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Sechs Erzählungen von Arthur Schnitzler - Die Nächste - Um eine Stunde - Leutnant Gustl - Der blinde Geronimo und sein Bruder - Andreas Thameyers letzter Brief - Wohltaten Still und Rein gegeben

84 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon