§. [158] 117.

Zu den letztern gehören die sogenannten Idiosyncrasien, worunter man eigne Körperbeschaffenheiten versteht, welche, obgleich sonst gesund, doch die Neigung besitzen, von gewissen Dingen, welche bei vielen andren Menschen gar keinen Eindruck und keine Veränderung zu machen scheinen, in einen mehr oder weniger krankhaften Zustand versetzt zu werden96.

Doch dieser Mangel an Eindruck auf einige Personen ist nur scheinbar. Denn da zu diesen, so wie zur Hervorbringung aller übrigen krankhaften Befindensveränderungen im Menschen, beide, sowohl die der einwirkenden Substanz inwohnende Kraft, als die Fähigkeit der, den Organism belebenden geistartigen Dynamis (Lebensprincips), von dieser erregt zu werden,[158] erforderlich ist, so können die auffallenden Erkrankungen in den sogenannten Idiosyncrasien, nicht bloß auf Rechnung dieser besondern Körperbeschaffenheiten gesetzt, sondern sie müssen von diesen veranlassenden Dingen hergeleitet werden, in denen zugleich die Kraft liegen muß, auf alle menschlichen Körper denselben Eindruck zu machen, nur daß wenige unter den gesunden Körperbeschaffenheiten geneigt sind, sich in einen so auffallend kranken Zustand von ihnen versetzen zu lassen. Daß diese Potenzen wirklich auf jeden Körper diesen Eindruck machen, sieht man daraus, daß sie bei allen kranken Personen für ähnliche Krankheitssymptome, als die welche sie selbst (obgleich anscheinend nur bei den sogenannten idiosyncratischen Personen) erregen können, als Heilmittel homöopathische Hülfe leisten97.


96

Einige wenige Personen können vom Geruche der Rosen in Ohnmacht fallen, und vom Genusse der Mies-Muscheln, der Krebse oder des Rogens des Barbe-Fisches, von Berührung des Laubes einiger Sumach-Arten u.s.w. in mancherlei andre krankhafte, zuweilen gefährliche Zustände gerathen.

97

So half die Prinzessin Maria Porphyrogeneta ihrem an Ohnmachten leidenden Bruder, dem Kaiser Alexius, durch Bespritzung mit Rosenwasser (το τῶν ῥόδων στάλαγμα) in Gegenwart seiner Tante Eudoxia (Hist. byz. Alexias lib. 15. S. 503. ed. Posser.) und Horstius (Oper. III. S. 59) sah den Rosenessig bei Ohnmachten sehr hülfreich.

Quelle:
Samuel Hahnemann: Organon der Heilkunst. Nach der handschriftlichen Neubearbeitung Hahnemanns für die 6. Auflage, Ulm 1958, S. 158-159.
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