X. Ein Tugendbund. – Wilhelm von Humboldt

[147] Die Kinderjahre der Brüder von Humboldt waren nicht eben heiter zu nennen. Sie hatten den Vater früh verloren. Die Mutter war eine kränkliche Frau, die durch ihren leidenden Zustand öfter verstimmt wurde, und zu einer lebendigen Unterhaltung wenig geeignet war. Auch der Erzieher der Knaben, Kunth, später Geheimer Staatsrath und als tüchtiger Beamter wohlverdient, Freund und Gesellschafter der sehr zurückgezogen lebenden Mutter, und von großem Einflusse im Hause, war ein ernster, dem regsamen Geiste seiner Zöglinge wenig entsprechender Mentor. Doch mußten die Knaben jeden Abend mehrere Stunden in der Gesellschaft Beider zubringen, Stunden, welche besonders dem lebhaften und geistreichen Alexander langsam genug vergingen.

Auf ihren Unterricht wurde von früh an große Sorgfalt verwendet. Außer mehreren anderen Notabilitäten gehörten Campe und Engel zu ihren frühesten Lehrern. Kunth selbst ertheilte ihnen wenig Unterricht, und war auch bescheiden genug, sich nur geringen Antheil an der geistigen Höhe zuzuschreiben, welche sie später erreichten. Als Alexander von Humboldt im Winter von 1827 auf[148] 1828 hier vor einem gemischten Publikum dem Inhalte wie der Form nach bewundernswerthe Vorträge hielt, und einmal die Blicke aller Zuhörer mehr als je von freudiger Befriedigung erstrahlten, flüsterte mir Kunth in's Ohr: »Von mir hat ers wahrhaftig nicht!« –

Die Zurückgezogenheit seiner früheren Jahre hatte die lebhafte Empfänglichkeit Wilhelms von Humboldt für den Umgang mit Frauen nicht unterdrücken können. Er schloß sich sehr bald nachdem wir uns kennen gelernt hatten an mich an. Er war damals etwa 17 Jahre alt, und obgleich ich nur einige Jahre mehr zählte, so war ich Frauenzimmer und Ehefrau, und daher doch um vieles älter als er. Heute mag es anmaßend klingen, wenn ich es ausspreche, aber ich übte damals, ganz ohne es zu beabsichtigen, eine gewisse Superiorität über ihn. Ich führte ihn gewissermaßen in die Welt ein, und bald war er der Freund aller meiner Freundinnen geworden, deren Mehrzahl allerdings durch Geist und Herz hervorragte.

In dem Kreise der Bekannten wurde bald darauf ein Bund gestiftet, in welchen wir nach und nach auch uns persönlich Unbekannte, deren ernstes Streben und deren Bedeutung uns durch gemeinschaftliche Freunde kund geworden war, hineingezogen. Der Zweck dieses Bundes, einer Art Tugendbund, war gegenseitige sittliche und geistige Heranbildung, so wie Uebung werkthätiger Liebe. Es war ein Bund in aller Form, denn wir hatten auch ein Statut und sogar eigene Chiffern, und ich besaß noch in späteren Jahren manches von der Hand Wilhelms von Humboldt in diesen Chiffern Geschriebene. Zu den Mitgliedern gehörten unter Anderen Carl von Laroche, Sohn der trefflichen Sophie[149] von Laroche, – mit welcher ich mich auf Anlaß ihres Sohnes in briefliche Verbindung setzte, aus der eine langjährige Correspondenz erwuchs, – Dorothea Veit und ihre Schwester Henriette Mendelssohn1, aber auch die uns persönlich unbekannten: Caroline von Wolzogen, Therese Heyne, die Tochter des berühmten Philologen, später Gattin des unglücklichen Georg Forster und dann L. Fr. Hubers, und Caroline von Dacheröden, mit welchen ein brieflicher Austausch von Gedanken und Gefühlen stattfand. Meine nur kurze Beziehung zu Therese Heyne wurde durch Wilhelm von Humboldt von Göttingen aus veranlaßt, wo der etwa siebzehnjährige Jüngling die Bekanntschaft der drei Jahr älteren Jungfrau gemacht hatte, und in dem Maße ihr Verehrer geworden war, daß ich damals die feste Ueberzeugung hegte, er werde niemals eine Andere als sie die Seine nennen. Ja ich darf sagen, daß als ich mehr als dreißig Jahre später (1819) in Gesellschaft seiner nachherigen Gattin und seiner Kinder in Stuttgart ihre persönliche Bekanntschaft machte, es mir noch befremdend erschien, mich mit einer anderen Frau von Humboldt bei ihr zu sehen. – Ich will hier noch als ein eigenthümliches Zusammentreffen bemerken, daß ich damals acht Tage später[150] und zwar in Frankfurt, eine andere der mir bis dahin persönlich unbekannt gebliebenen früheren Bundesschwestern kennen lernte, Caroline von Wolzogen. Sie gefiel mir, ich darf es sagen, besser als Therese Huber, in welcher jedoch vielleicht eben durch unseren Besuch manche Erinnerungen an frühere herbe Schicksale auf eine verstimmende Weise rege geworden sein mochten. –

Unser Bund mußte in der That ganz achtunggebietend sein. Wir wollten auch Wilhelm von Humboldt in denselben aufnehmen, dieser kam jedoch an einem Sonnabend Vormittag zu meiner Mutter um mich dort aufzusuchen – ich weiß den Tag genau, denn ich brachte den Vormittag des Sonnabends stets bei ihr zu – und erklärte mir mit sehr zerknirschtem Gemüthe, er fühle sich nicht würdig in unseren Kreis einzutreten! – Aber wir rechneten dem Jünglinge die Reue und die Strenge gegen sich selbst, vielleicht auch den Respekt vor unserer sittlichen Größe, hoch genug an, um ihn dennoch aufzunehmen. – Dieser Bund gab auch später Anlaß zu seiner Heirath. Der Briefwechsel mit Caroline von Dacheröden, in welchem sie uns Herz und Sinn auf die gemüthvollste und geistreichste Weise eröffnete, hatte sie uns als seiner völlig würdig kennen gelehrt. Therese Heyne hatte bereits Forstern geheirathet, und so konnten wir ihm rathen, die Bekanntschaft dieser ihm geistig Ebenbürtigen zu machen. Er befolgte den Rath, fand sie unserer Schilderung mehr als entsprechend, und sie wurden ein Paar. –

Wir Bündner dutzten einander. Jedoch machten hinsichtlich Mehrerer derselben spätere Lebensverhältnisse in Beziehung hierauf ihre Rechte geltend. Als Wilhelm v. Humboldt[151] mit seiner jungen Frau nach Berlin kam, wo ich sie dann zum ersten Male sah, nannte sie mich »Sie«, und als fast nothwendige Folge hörte später auch das »Du« zwischen ihrem Gatten und mir auf.

Mein Mann sah dem bündnerischen Treiben lächelnd zu, ohne jedoch irgend störend einzugreifen. Als ich jedoch in tugendhafter Werkthätigkeit ein wunderschönes Kind, Tochter jüdischer Bettler, an mich nahm, welches ich auf der sogenannten Landwehr gefunden hatte, (einem Hause außerhalb der Stadt, welches als Herberge für fremde Juden der ärmeren Klasse diente, die damals nicht in der Stadt übernachten durften), um es, wenngleich für den dienenden Stand, jedoch sehr zur Tugend zu erziehen, war er höchlich dagegen, ließ es jedoch am Ende geschehn. Aus meiner Erziehung ging aber leider ein Erztaugenichts hervor. Das Mädchen war mir, weit über das Bestehen des Tugendbundes hinaus, eine sehr herbe Frucht desselben. Sie machte mir vielen Kummer, und der Zögling der Tugend starb zuletzt, als Dienstmädchen, in der Charité im Wochenbette. –

Doch zurück zu einer für mich erfreulicheren Frucht dieses Bundes, meiner näheren Beziehung zu Wilhelm von Humboldt. Auch in Rom brachte sie mir viele Annehmlichkeiten zu Wege, denn die Aufmerksamkeit für seine Familie während ihres mehrjährigen Aufenthaltes daselbst, mit welchem der meine zum Theil gleichzeitig fiel, war überaus groß, und ich hatte mich der daraus hervorgegangenen Vortheile oft wenigstens mittelbar zu erfreuen. Pius VII. und der Cardinal Consalvi wußten nämlich sehr wohl, was Rom Wilhelm von Humboldt zu danken hatte. Denn sehr zu bezweifeln ist es, ob überhaupt noch ein[152] Kirchenstaat existirte, hätte nicht er auf dem Wiener Congresse sich so lebhaft dafür verwendet, dem Papste das frühere Gebiet zurückzugeben. Die meisten anderen Mächte waren dieser Restitution eher entgegen, keine eigentlich dafür, selbst die beiden einflußreichsten Katholischen nicht. Ich betrachte Frankreich, wenn gleich damals besiegt, als die eine derselben, weil es durch Talleyrand repräsentirt wurde, dessen Klugheit dem Schwerte eines Siegers gleich in der Waage der Unterhandlungen wog. Frankreich hatte jedoch in Wien zu viel um andere, ihm, und zumal dem Sinne seines Vertreters näher liegende Interessen zu kämpfen. Oesterreich aber, die andere dieser Mächte, würde in dem Kirchenstaate ein gänzliches oder theilweises Besitzthum für sich oder doch für einige Fürsten seiner Dynastie nicht verschmäht haben. Ob jedoch die geistliche Macht ohne den Rückhalt und Stützpunkt einer weltlichen und politischen wieder festen Fuß hätte fassen können, steht dahin.

Preußen wähnte kein unmittelbares politisches Interesse zu haben, welches gegen die Herstellung des Kirchenstaates spräche, und der milde Sinn des an trüben Erfahrungen reichen Pius VII. machte vergessen, daß er anders gesinnte Nachfolger haben könnte. Auch kamen mittelalterliche Ideen, zu welchen man sich nach den Befreiungskriegen bei uns, und zumal in höheren Kreisen, hinzuneigen anfing, dem historischen Humboldt entgegen, welchem es unmöglich war, sich, während Alles ringsumher in geschichtlich begründete Rechte und Besitzthümer wieder einzutreten strebte, den Kirchenstaat als Besitzthum einer weltlichen Macht, und dadurch seine mehr als tausendjährige Färbung immer mehr einbüßend zu denken.[153]

So habe ich diese Verhältnisse aus bester Quelle kennen gelernt, und so kannte man sie auch in Rom noch während meiner dortigen Anwesenheit. Sehr betrüben mußte es mich daher, als man später von dort aus so eifrig bemüht war, Preußen Verlegenheiten zu bereiten, und sich jedes Dankes gegen dasselbe überhoben glaubte. –

Alles hat seine Kehrseite. Auch die Annehmlichkeiten, welche mir aus der Geltung Humboldts in Rom erwuchsen, schlugen bei einer Gelegenheit in das Gegentheil um. Frau von Humboldt hatte nämlich für sich und ihre älteste Tochter Caroline am Frohnleichnamstage 1818 Eintrittskarten zu dem Balkon eines Hauses auf dem Petersplatz erhalten, von welchem aus die Prozession sich sehr gut und bequem ansehen ließ. Sie wurde unwohl, ihrer Tochter kam eine Hinderung, und so bot sie mir die Billets an. Ich wollte sie nicht annehmen, weil sie auf ihren Namen lauteten. – »Nehmen Sie sie!« – rief sie in ihrer Freundlichkeit – »Sie sehn das so nicht wieder!« – Endlich nahm ich sie an, und ließ mich von einem Dänen nach dem bezeichneten Hause begleiten. – Bald trat ein Hauptmann von der Schweizergarde auf den Balkon, und fragte laut nach Eccellenza Umbolde. Als die Frage öfter wiederholt wurde, sah ich mich, wie ungern auch, endlich genöthigt, Eccellenza Umbolde zu spielen, worauf denn die Mittheilung erfolgte, daß Eminenza Cardinale Consalvi sich erkundigen ließen, ob Eccellenza Umbolde von ihrem Platze aus gut sähen. – Aber damit war es nicht abgethan. Als die Prozession der Geistlichkeit vorüber war, und nur noch das Militär vorüberzog, ertönte wieder die Frage nach Eccellenza Umbolde aus dem Munde eines Officiers, welcher uns dann hinuntergeleitete,[154] und uns vier Schweizergardisten übergab, um uns nach der Peterskirche zu escortiren. Der Zug des Militairs mußte Halt machen um uns durchzulassen, und unsere Begleiter trieben und stießen dann mit solchem, ihnen ohne Zweifel zur Pflicht gemachten Eifer, alles was von Zuschauern irgend unserm Vordringen hinderlich war, auseinander, daß dagegen meine lebhaftesten Vorstellungen vergeblich waren. Ja ich bot ihnen zuletzt Geld, wenn sie uns nur verlassen wollten, aber auch dies Erbieten blieb fruchtlos. – Ich nahm mir heilig vor, niemals wieder eine andere Person darzustellen als meine eigene, am wenigsten aber in Rom jemals wieder die Eccellenza Umbolde, vor welcher auf höchsten und heiligsten Befehl alles mit Kolbenstößen aus dem Wege getrieben wurde. –

Fußnoten

1 Sie übernahm später in Paris die Erziehung der Kinder des Grafen Sebastiani, und nach dem Tode der Gemahlin des Grafen die Leitung seines Hauses. In der ersten dieser Eigenschaften war sie auch die Erzieherin der Herzogin von Praslin, welche vor einigen Jahren so unglücklich endete, und nach dem Zeugnisse Mehrerer welche sie kannten, eine in vielen Beziehungen ausgezeichnete Frau war. – Henriette Mendelssohn kehrte später nach Berlin zurück, wo sie in den dreißiger Jahren starb.

Anm. des Herausgebers.


Quelle:
Herz, Henriette: Ihr Leben und ihre Erinnerungen.Berlin 1850, S. 155.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Ihr Leben und ihre Erinnerungen
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