Herr Leutnant? Ge- und verehrt! Fräulein?

[78] Will man bei Adressen etikettegerecht verfahren, so darf man den oder die Orden nicht vergessen, in deren glücklichem Besitz der Adressat ist. Ritter pp. ist nicht mehr üblich; früher adressirte man so an den Besitzer eines Ordens, jetzt heißt es in diesem Falle nur »Ritter«, z.B. S. H. dem Königl. Landgerichtsrat, Ritter, Herrn A. usw.; man hat das Bestreben, Fremdwörter und auch deren Abkürzungen zu beseitigen, und p. p ist eine solche Abkürzung für das lateinische »praemissis praemittendis«. Letzteres hat denselben Sinn wie p. t (Abkürzung von pleno titulo) oder etcetera, unser deutsches »usw.«. – Bei mehreren Orden adressirt man: »Ritter mehrerer Orden«, bei Orden 2. Klasse: »Ritter hoher« und bei Orden[78] 1. Klasse: »Ritter höchster Orden«. Wie der höchste unter den höchsten, der Schwarze Adler-Orden, so werden auch die Großkreuze und der Orden pour le mérite, der höchste Kriegsorden, besonders aufgeführt. Aber auch andere Auszeichnungen, wie z.B. das Eiserne Kreuz, darf und wird man besonders erwähnen, wenn man damit dem Adressaten, wie z.B. einem alten, ehrenfesten Kämpen von 1870/71, eine – doch so billige – Freude bereiten kann.

Nun zu den schriftlichen Anreden, geehrte, sehr ge-und verehrte, hochverehrte und hochzuverehrende Leserinnen und Leser! Bitte, Sich herauszusuchen, was Sie haben wollen. Als Fräulein oder Frau – »E.«,1 die Abkürzung des Vornamens in meinem Pseudonym, kann ja »Eulalia« heißen – würde ich im Allgemeinen Briefe an Herren, die durch ihre Jahre oder Würden nicht etwa besonders hoch stehen, beginnen mit »Geehrter Herr X.« In diesem »X.«, in der Nennung des Familiennamens, liegt schon ein gewisser Grad freundschaftlicher oder wohlwollender Gesinnung. »Geehrter Herr« allein, ohne Namensnennung, werde ich[79] nur schreiben, wenn ich als Dame Veranlassung habe, besonders förmlich und kühl zu sein. Noch kühler ist dann: »Herr X.«! oder »An Herrn X.« Mehr als »sehr geehrter Herr X.« oder allerhöchstens »sehr verehrter Herr X.« zu schreiben, dazu wird sich eine Dame wohl nicht versteigen, wenn sie nicht den Betreffenden seines Alters oder seiner Stellung wegen besonders feiern will. Es ist diplomatischer, wenn Damen mit ihren schriftlichen Gunstbezeugungen sparsam umgehen, um sich in denselben steigern zu können, wenn sie es für angebracht halten. Außerdem werden in kleineren Dosen verabreichte Gunstbezeugungen im Allgemeinen von Herren um so höher geschätzt. Hier eine Regel aufzustellen ist schwer. Unter Umständen wird eine Dame doch auch an einen Herrn »Lieber Herr X.« oder unter Abschwächung des vertraulichen »lieber« auch »lieber, sehr geehrter Herr X.«, schreiben können, wenn sich eben Beide gut kennen und die Dame das Vertrauen zur Vornehmheit des betreffenden Herrn hat, daß er aus den Schranken ritterlicher Höflichkeit nicht heraustritt. Wer sich überhaupt für Etikettefragen interessirt, für den wird auch die Frage wichtig sein' »Wie redet man – sei es schriftlich, sei es[80] mündlich –. die Menschen an, titulire ich sie in der Anrede mit ihrem Familiennamen oder mit ihrem Berufstitel?« Ein Standpunkt, der ja auch etwas für sich hat, ist es: Jemanden so anzureden, wie es ihm selbst am liebsten ist, vorausgesetzt, daß ich dies eben zu wissen glaube. Weshalb soll ich nicht einen frischgebackenen Leutnant – namentlich, wenn er in Mörchingen oder Inowrazlaw steht – »Herr Leutnant« anreden, noch dazu, wenn er erst so kurze Zeit Offizier ist, daß ihm die Betonung des »Leutnant« in der Anrede nicht nur im Dienst, sondern auch in der Gesellschaft ein sichtliches Vergnügen bereitet?! Als das Vornehmste allerdings gilt es schon seit vielen Jahren und kommt als solches immer mehr auf, die Herren schriftlich und mündlich – außer, wenn sie höhere Stellungen bekleiden oder wenn der Untergebene zum Vorgesetzten spricht – nicht mit ihrem Berufstitel, sondern mit ihrem Familiennamen zu nennen. Sehr oft hörte ich, wie Herren und Damen den adligen Leutnant von Prittwitz »Herr von Prittwitz«, dahingegen den Leutnant Müller, »Herr Leutnant« anredeten. Das kann doch den Verdacht erwecken: wer nur den adligen Namen ohne den Zusatz[81] »Leutnant« ausspricht, dem ist der bürgerliche Name wahrscheinlich nicht gut genug, um ihn allein auszusprechen. Es gilt thatsächlich als das Vornehmste, den Oberleutnant und Leutnant Müller mit »Herr Müller« brieflich und schriftlich anzureden und auch vorzustellen. Wer nun durchaus als Ersatz für das fehlende »von« den Leutnant einschieben will, der nenne aber wenigstens in der Anrede den bürgerlichen Familiennamen auch mit. Also für die drei Anreden »Herr Leutnant«, »Herr Leutnant Müller«, »Herr Müller« stelle ich die Zensuren aus: wenig schick, schicker, am schicksten. Da der Leutnant durch seine Uniform als solcher legitimirt und kenntlich ist, so erweise ich ihm in der Anrede durch Nennung seines Familiennamens, den ich nicht äußerlich erkennen kann, sondern den ich gehört und mir behalten habe, mehr Aufmerksamkeit Mit einer größeren Entrüstung, als sie der geringen Wichtigkeit der Sache entspricht, habe ich denn auch schon Leutnants bürgerlichen Namens unter mokantem Lächeln sich äußern hören: »Fräulein X. titulirt Einen immer Herr Leutnant, das kann ich absolut nicht hören!« – Also, meine Damen, verderben sie es mit den Leutnants nicht, denn[82] die brauchen sie zum Tanzen. Auch viele bürgerliche Hauptleute und Rittmeister wollen in der Gesellschaft mit »Herr X.« und nicht mit ihrer Charge angeredet werden, namentlich diejenigen, die besonders schick aussehen. Ein Röllchen-Widersacher sagte mir einmal: »Wenn er lose Manschetten trägt, dann nenne ich ihn ›Herr Hauptmann‹, wenn er feste Manschetten trägt, aber mit seinem Familiennamen allein.« Es ist mir oft aufgefallen, daß auf der Bühne oder auch in Erzählungen und Anekdoten Offiziere so angeredet werden, wie es in ihren Kreisen nicht vorkommt. Vom gesellschaftlichen Offiziersleben hat Der wenig Schimmer, der auf der Bühne die Gräfin A. zum Rittmeister von B. »Herr Rittmeister«, oder in einer Anekdote z.B. zwei preußische Leutnants zu einander »Herr Kamerad« sagen läßt. Auch in den Münchener sonst so vorzüglichen Fliegenden Blättern tituliren sich zwei preußische Kavallerieoffiziere öfter mit »Kamerad«, obwohl das Wort als Anrede thatsächlich in diesen Kreisen verpönt ist. Offiziere gleichen Ranges reden sich untereinander mit dem bloßen Familiennamen, und wenn sie sich ferner stehen, mit »Herr X.« an. Auch Beamte, wie Referendare und[83] Assessoren – namentlich diejenigen der Regierung – ziehen es vor, auch wenn sie bürgerlichen Namens sind, mit »Herr X.« als mit »Herr« und ihrem Berufstitel angeredet und vorgestellt zu werden, wenigstens Viele unter ihnen. Welche schriftliche Anrede geben die Herren den Damen? Es gilt da als chevaleresker, sich des Wortes »verehrt« als des ganz ähnlichen »geehrt« zu bedienen. Abstufungen sind: sehr verehrt, hochverehrt und hochzuverehrende und dahinter gnädiges oder gnädigstes Fräulein oder Frau. Es ist jetzt üblicher, die ledige Tochter eines Grafen »Gräfin« und nicht mehr Komtesse anzureden, während man die Gemahlin des Grafen »Frau Gräfin« oder auch nur gnädigste Gräfin oder Gräfin titulirt, je nach dem man ihr durch den Grad der Bekanntschaft oder auch an Altersunterschied ferner oder näher steht. Auch ist es jetzt Sitte – entsprechend dem Titel »Frau Baronin« – die ledige Tochter des Barons ebenfalls »Baronin« anzureden, statt des früher üblichen Baronesse. Es ist Sitte, im persönlichen und schriftlichen Verkehr gegenüber der Frau in seinen Höflichkeitsbezeugungen überschwenglicher zu sein als gegenüber dem Fräulein; diese Sitte ist auch eine große[84] Schmeichelei für die Herren; denn ein Herr, nämlich der Ehemann, ist es doch, dem die Frau ihre in der Gesellschaft bevorzugte Stellung verdankt. Aelteren Fräuleins wird der Kavalier im Allgemeinen zum Mindesten dieselben Höflichkeitsbezeugungen zu teil werden lassen, als einer jungen Frau. Was ein älteres Fräulein ist, weiß ich nicht; denn auch die 80 jährigen sind ja doch immer noch jüngere Fräuleins, nämlich jüngere Fräuleins als z.B. die 81 jährigen. Ich glaube, manchem älteren Fräulein, das sich selbst noch jung fühlt, erweist man keinen Gefallen damit, wenn man ihr durch zuviel Ehrerbietung ihr vorgeschrittenes Alter markirt. Uebrigens: auch ergraute Herren sehen es vielfach nicht gern, als solche behandelt zu werden.

Ich finde überhaupt nichts dabei, wenn – namentlich aber bei längerer Bekanntschaft oder auch z.B. bei einem bedeutend höheren Alter auf seiten des Herrn – dieser die Dame mit Fräulein oder Frau und ihrem Namen anredet anstatt des permanenten, leider üblichen »gnädig« oder »gnädigst«, bei dem man sich doch meist herzlich wenig denkt. Jedenfalls gilt es im Allgemeinen in Deutschland nicht für sein, eine[85] Dame in der Gesellschaft nur mit »Fräulein« anzureden, ohne entweder das »gnädig« vorangehen oder den Familiennamen folgen zu lassen. Nur am Rhein, wo der Gesellschaftston ein freierer ist, soll dies vielfach vorkommen. Vielleicht spricht da auch die Nähe Frankreichs mit; denn in Frankreich sagt man in der Gesellschaft zum Fräulein bis zu etwa 30 Jahren ohne jeden Zusatz »Mademoiselle« und zum Fräulein über 30 Jahr sowie zur verheirateten Frau ebenfalls ohne jeden Zusatz »Madame«. Sonst ist in Deutschland »Fräulein« ohne Zusatz in der guten Gesellschaft als Anrede nicht beliebt und gilt mehr als Titulatur für Verkäuferinnen und Kellnerinnen. In England und Amerika setzt man in der Anrede zur »Miß« – Fräulein – und zur »Missis« – auf deutsch: Frau – in der guten Gesellschaft ebenfalls stets den Familiennamen hinzu. Und wenn man z.B. eine englische Erzieherin in einer deutschen Familie allein mit »Miß« titulirt, ohne Hinzufügung ihres Familiennamens, so sagte mir eine Engländerin, berühre dies die Betreffende nicht angenehm, sondern sie glaube dann, daß man ihr ihre – als bezahlte Erzieherin – nicht vollgesellschaftliche Stellung markiren wolle.[86]

Uebrigens redet man in England und Amerika die Damen fast ausschließlich mit »Miß« oder »Missis« und dem nachfolgenden Familiennamen an. Man ist dort drüben weniger durch leere Worte wie »gnädigst« und »hochverehrtest« als vielmehr durch die Praxis ritterlich gegen Damen, indem man ihnen als ihr ganz selbstverständliches Recht jede Bevorzugung und Hilfeleistung seitens des Herrn zu teil werden läßt. Was vornehme Sitte anbelangt, so können wir entschieden Manches von Engländern und Amerikanern lernen.

Fußnoten

1 Diese Plaudereien erschienen in der »Deutschen Warte« unter dem Namen: E. von Thassberg.


Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907].
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