Zutrinken. Anstoßen der Gläser. Tischreden. Das Hoch auf den Landesherrn. Hochzeitsreden.

[257] Das Zutrinken, burschikoser ausgedrückt: Anprosten, ist eine studentische Sitte und namentlich von der rauhen Soldateska in die Offizierskasinos übernommen; auch unter Herren überhaupt trinkt man sich vielfach einander zu, um sich dadurch eine Aufmerksamkeit zu erweisen. Ein Uebertreiben dieser Sitte, das dann meist gedankenlos geschieht, ist entschieden eine Unsitte. Auch das sogenannte Vorkommen eines bestimmten Quantums, eines Halben oder eines Ganzen, sollte man aus Studentenkreisen nicht heraus tragen, im Gegenteil auch in diesen Kreisen lieber für eine schädliche als für eine verzeihliche Jugendthorheit erklären. Man braucht[257] kein Asket zu sein, sondern kann gehörig – allerdings auf Kosten seiner Gesundheit – den Humpen schwingen und doch einsehen, daß es widersinnig ist, ein größeres Quantum auf einmal herunterzugießen, als Einem angenehm ist. Wer einen Halben oder einen Ganzen vorkommt, beansprucht in der Regel auch, daß der Andere, dem man diese kolossale Ehrung zugedacht hat, in derselben Weise »nachkommt«, also ein gleiches Maß des bösen Alkohols verschlingt. Die eigene Gesundheit durch Alkohol zu ruiniren ist schließlich Privatsache, aber die Gesundheit des Nächsten soll Einem dann wenigstens so heilig sein, um ihn nicht zu etwas Schädlichem zu verleiten. In diesem Fall ist das Alter der Sitte kein Zeichen ihrer Güte. Wenn es auch immer so gewesen ist, dann ist es eben immer widersinnig und unrecht gewesen und ist es noch, wenn ältere Studenten von den jüngeren, oder Offiziere von den Avantageuren beim Zutrinken verlangen, daß diese, als Gegenleistung, ihr Glas leeren. Dieser Unsitte wird man am besten dadurch steuern, daß man beim Zutrinken in jenen Kreisen dem an Alter oder Würden tiefer Stehenden ausdrücklich erklärt: »Bitte, trinken Sie nicht aus!« Diesem aber sollte zum[258] Mindesten das Recht eingeräumt werden, nötigenfalls selbst eine solche Bitte aussprechen zu dürfen, ohne in den Ruf eines »Schlappschwanzes« zu kommen. So milde ich auch über vieles Zechen urteilen muß, für ein Zeichen von Mut oder sonst etwas Lobenswertes habe ich es weder bei mir, noch bei meinen Leidensgefährten gehalten. Wie kann man aber von einem Anderen verlangen, mehr auf einmal zu trinken als ihm angenehm ist, also selbst das liebliche Nashorn an Unvernunft zu überbieten!

Bei Diners gilt es als vornehmer, namentlich wenn Damen daran teil nehmen, sich wenig zuzutrinken. Wenn keine Tischreden gehalten werden, so genügt es schon, daß die Gastgeber mit dem ersten Glas Sekt oder bei einfacheren Diners mit dem ersten Glase des den Sekt vertretenden besseren Weines oder Bowle den Gästen zutrinken. Gewöhnlich geschieht dies unter allgemeinem gegenseitigen Ansehen und Zunicken aller Tafelgenossen. Ist man so glücklich, irgend einen triftigen Grund zu haben, oder hält man schon den Grund eigenen Durstes für triftig genug, um seiner Tischdame zuzutrinken, so sagt man nicht etwa »Profit, es lebe der Deibel!«, sondern man leitet diesen Vorgang mit[259] einigen passenden Worten ein, etwa: »Gestatten Sie, meine Gnädigste, daß ich auf Ihr Wohl trinke!« Die also Gefeierte hat keineswegs die Verpflichtung, nun auch zu trinken. Wenn sie hierzu eben keine Luft hat, so genügt vollkommen eine freundliche Antwort darauf, etwa mit den inhaltsschweren Worten »Ich danke sehr!« Der Ausruf »Wohlsein« beim Zutrinken macht auf mich – es mag dies vielleicht individuell sein – einen spießerhaften, pedantischen Eindruck; ich bin der Ansicht, daß das lateinische Wort »Prosit«, auf Deutsch »Es möge nützen« vollständig Bürgerrecht bei uns erlangt hat und halte den Gebrauch des Wortes »Prosit« auch Damen gegenüber für statthaft. Den burschikosen Anklang dieses Wortes kann man ja mildern durch den unvermeidlichen Zusatz »gnädigste Frau« oder »gnädiges Fräulein«.

Wenn in militärischen Kreisen der Untergebene dem Vorgesetzten zutrinkt, so erhebt er sich vom Platze oder bei geringem Rangunterschiede markirt er dies Erheben wenigstens. Der Vorgesetzte, der besonders höflich sein will, wird – namentlich bei geringem Rangunterschied – sich als Quittung gleichfalls erheben. Auch in Zivilkreise ist dieser Gebrauch übernommen, wenn[260] Jemand einen Herren wegen seiner sozialen Stellung oder seines hohen Alters besonders ehren zu müssen glaubt. Diese unter Herren übliche Achtungsbezeugung fällt – auch zwischen Offizieren – im Allgemeinen fort, sobald Damen anwesend sind; denn man müßte ja dann nach unseren gesellschaftlichen ritterlichen Anschauungen den Damen zum Mindesten dieselbe Ehrenbezeugung erweisen; es ist aber nicht üblich, sich vor Damen, denen man zutrinkt, zu erheben. Wenn einem preußischen Offizierkorps der Kaiser die Ehre erweist, an seinem Mittagstisch teilzunehmen, so wird die Sitte des Aufstehens ausschließlich dem Kaiser gegenüber beobachtet, sobald er Jemanden durch Zutrinken auszeichnet.

Ueber die Sitte, beim Zutrinken oder bei Toasten mit den Gläsern anzustoßen, sind die Ansichten verschieden. Da es im Allgemeinen vornehmer ist, sich möglichst geräuschlos zu benehmen, da ein Anstoßen auch die Gefahr, das edle Naß zu verschütten oder besonders seine Gläser zu beschädigen, einschließt, so wird man wohl jene Sitte als die vornehmere anerkennen müssen, statt des Anstoßens nur die Gläser ohne Berührung mit einander zu erheben. Aber die[261] Sitte des Anstoßens ist noch sehr verbreitet; und auch mit Rücksicht darauf, um eben nichts zu verschütten, wird man die Gläser nur mäßig vollgießen – letzteres um so mehr, wenn man durch das Anstoßen auch einen angenehmen Klang erregen will; hierzu ist aber auch erforderlich, das Glas lose in den Fingern zu halten. Diese etwas schwierige Manipulation sieht oft recht geziert oder auch ungeschickt aus, wenn Jemand eben nicht mit natürlicher Grazie ein Glas lose zu halten versteht. Gerade Leute von besonders vornehmem Aeußern sieht man vielfach das Glas beim Anheben einfach und bieder mit der Hand umspannen; namentlich seitens der Herren ist wohl in der vornehmen Welt diese Haltung des Glases gebräuchlich, man ist so bequem, daß man darauf verzichtet, durch abgespreizte Finger eine besondere Grazie entfalten zu wollen.

Unter zwei guten Tischreden ist die kürzere gewöhnlich die bessere. Man verlangt nicht von Jedem, daß er ein guter Redner ist, aber so viel Selbsterkenntnis, so viel Eigen- und Nächstenliebe darf man von Jedem beanspruchen, daß er, als schlechter Redner, seine Sache – diese Qual für sich und für die Anderen – wenigstens[262] kurz macht. Wer keinen Toast ausbringen muß, und wer nicht ganz sicher ist, daß seine Tischrede außer ihm selbst auch den Anderen Vergnügen bereitet, der beeinträchtige sich doch nicht unnötig die materiellen Tafelfreuden durch das Präpariren auf seine Rede, das sogenannte »Maikäfern«, durch das Reden selbst und durch das nachwirkende unsichere Gefühl eines Reinfalles. In einer Sitzung der berühmten »Schlaraffia« zu Berlin lernte ich folgende zwar etwas derbe, aber entschieden praktische Sitte kennen: Wer dort die Anderen durch einen Vortrag ergötzen will, aber nach Urteil eines strengen Richterkollegiums eben nur will und nicht kann, wird mitleidslos in seinem Vortrag unterbrochen durch zwei auf ein geheimes Zeichen erschienene Dunkelmänner, die ihn in einen Karren setzen und von dannen fahren. Schade, daß man dies durchgreifende Radikalmittel nicht auch gegen langweilige Tischreden anwenden kann. Ein schlechter Dauerredner züchtet die gesellschaftliche Lüge. So oft er einen beabsichtigten Witz durch Lächeln markirt, ist man doch meist so höflich mitzulächeln, auch wenn man tiefes Mitleid mit dem Redner und mit seinem erfolglosen Bemühen, zu interessiren, empfindet.[263]

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, und zwar um so mehr Gold, wenn man als Redner nicht nur Silber, sondern sogar Blech produziren würde. Wer eine Rede halten will, weil es die Umstände von ihm verlangen, oder weil er weiß dadurch zu erfreuen, der hat hierzu die Erlaubnis der Frau des Hauses einzuholen und sodann sich möglichst kurz zu fassen, um den Verlauf des Diners oder Soupers nicht aufzuhalten, und weil er ja vielleicht Manche in einer Unterhaltung stört, die ihnen mehr Vergnügen bereitet, als das Anhören einer oder speziell seiner Tischrede.

Bei Hochzeitsdiners in den vornehmsten Gesellschaftskreisen, namentlich in Offiziers- und Beamtenkreisen, gilt der erste Toast gewöhnlich dem Landesherrn. Der an sozialem Rang oder an Lebensalter erste Herr, vielfach auch der höchste anwesende Offizier, hat die Ehre, dies Hoch ausbringen zu dürfen. Dem loyalen Gefühl der Hochachtung vor dem Landesherrn entspricht es, ohne jede rednerische Auslassung, hierbei die Damen und Herren aufzufordern, sich von ihren Plätzen zu erheben und mit wenigen Worten unter Bezeichnung des Landesherrn kurz das dreifache Hoch oder Hurra auszubringen. Ist Tafelmusik zur Stelle, so ist es[264] Sitte, eine Strophe der Nationalhymne spielen zu lassen und eventuell auch zu singen, hiernach das erhobene Glas zu leeren und sich dann erst niederzusetzen. Der Trunk auf das Wohl des Landesherrn ist die einzige Gelegenheit, wo man in den vornehmsten Gesellschaftskreisen ein Austrinken vielfach, wenigstens seitens der Herren, verlangt. Es gilt sodann als vornehmste Sitte. beim Toast aufs Wohl des Landesherrn sein Glas auszutrinken, ohne – wie bei anderen Toasten – vorher mit seiner nächsten Umgebung anzustoßen oder ohne vorher unter gegenseitigem langsamen Zunicken das Glas nach verschiedenen Richtungen hin emporzuheben. Man sagt damit, daß dieser Trunk eben dem Landesherrn allein gelten soll, und daß man dabei nicht auch zugleich anderen Sterblichen Aufmerksamkeit erweisen darf, wie dies durch ein Anstoßen mit Gläsern oder Zutrinken sonst geschieht. Außer dem Hoch auf das Wohl des Landesherrn gilt es in den ersten Gesellschaftskreisen im Allgemeinen bei Hochzeiten als vornehmste Sitte, noch zwei offizielle Tischreden zu halten. Zunächst läßt man das junge Ehepaar leben, und später heißt der dem Ehemann nächste Anverwandte oder der Familien-Aelteste die junge[265] Frau in ihrer neuen Verwandtschaft willkommen und bringt ein Hoch auf die bisherige Familie der jungen Frau, besonders auf ihre Eltern aus, die in der Regel doch auch die Hochzeitswirte sind. Meist wird nun vor Schluß der Tafel noch auf das Wohl der Brautjungfern getoastet. Dies liegt dem ältesten Brautführer ob, dem ältesten derjenigen Junggesellen, die eine Brautjungfer als Dame am Hochzeitsfeste zugeteilt erhalten haben. Auch für diesen Toast ist Kürze zu empfehlen; vor Wortspielen, zu denen der Ausdruck »Brautjungfer« verleitet, ist, als ein gefährlicher Quell rednerischer Entgleisungen, ungewandten Rednern dringend abzuraten. Alle Tischreden sollten auch schon deshalb möglichst kurz gefaßt werden, weil es Sitte ist, daß die übrigen Tischgenossen das Zuhören wenigstens markiren und jede eigene Mundthätigkeit, sowohl eigenes Sprechen als auch Essen und Trinken, während der Tischrede einstellen. Dadurch empfiehlt sich als passendste Zeit zur Tischrede der Augenblick vor dem Präsentiren eines neuen Gerichtes. Der Redner spreche im Allgemeinen nicht lauter, als dies nötig ist, um verstanden zu werden, und in seinem natürlichen Unterhaltungston, indem er nur hin und wieder[266] einzelne Stellen durch besonderen Nachdruck oder ein besonderes Pathos hervorhebt. Hat man eine triftige Veranlassung zu einer zielbewußten Tischrede, so macht man bekanntlich den größten Eindruck, wenn man selbst warm empfindet, was man sagt. Auf dem Wege der Suggestion bewirkt Ueberzeugungstreue oft sicherer als rednerische Begabung, daß die Zuhörer dem Redner nachfühlen. Eine anscheinend auswendig gelernte und wie beim Vorlesen aus einem Buch heruntergesprochene Rede macht bei Weitem weniger Eindruck, als die freie aus dem Stegreif gehaltene Rede. Aber weshalb soll man Rednertalent heucheln, wenn man es nicht besitzt! Wer einen Toast ausbringen muß und trotz der geringen an eine Tischrede gestellten Anforderungen Gefahr läuft, stecken zu bleiben, der lese seine Rede doch einfach ab. Auch einer unserer ersten Diplomaten, Reichskanzler Fürst Hohenlohe, genierte sich nicht, dies zu thun. Allerdings machten Bismarcks Reichstagsreden einen bei Weitem gewaltigeren Eindruck; durch ihre frische Ursprünglichkeit an Ton und Inhalt schienen die Reden des Altreichskanzlers der jedesmaligen momentanen Eingebung und Anregung zu entspringen.[267]

Quelle:
Pilati, Eustachius Graf von Thassul zu Daxberg: Etikette-Plaudereien. Berlin 3[1907], S. 257-268.
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