Liebe gnädige Frau!

[151] »Nichts schriftlich«, war das Motto galanter Kavaliere. »Wenig schriftlich« des Gentleman Parole aus Bequemlichkeit. Wenn aber doch schriftlich, dann hand-und nicht maschinenschriftlich!

Es geht nämlich um den Liebesbrief. O ja, trotz Radio und Fernsprecher, Diktograph und Telegrammboten, trotz Expreßzügen und Flugzeugen führt er weiterhin ein munteres, kerngesundes Dasein.

Heiße Briefe in Weißglut zu verfassen, die aus dem Augenblick und der Leidenschaft geboren zu sein scheinen, ist eine Kunst. Eine noch größere jedoch die treffsichere Abwägung des Hitzegrades, das Gefühl, wie weit man gehen darf und wieviel verschwiegen bleiben muß. Mancher Zerberus überwacht eifersüchtig Korrespondenzen – ein wahrer Kavalier wird niemals eine Dame unnötig in Konflikte und peinliche Situationen bringen. Man braucht ja nicht gerade mit der Tür ins Haus zu fallen, die Frau von Welt versteht auch zwischen den Zeilen zu lesen. Auf alle Fälle aber verschließt euch nicht der Erkenntnis, daß eine selbstgeschriebene Epistel mit werbenden Worten auch die Mondänste des zwanzigsten Jahrhunderts, die noch so sehr blasiert tut, in Erregung versetzen und ihr Blut in Wallung bringen kann. Sie wird es euch nur nie zugeben.

Technik und Kriegslist sind grundverschieden. Der eine bleibt im verborgenen und verschweigt Namen, anfangs wenigstens. Der andere geht direkt auf sein Ziel los, ohne vom Pfad abzuweichen. Beides kann richtig sein. Romantische Naturen, zur Extravaganz neigend, berauschen sich an außergewöhnlichen Begebenheiten.[151] Ihnen wird zum Beispiel der anonyme »Mann im gelben Sechszylinder« mehr Illusionen vorgaukeln als der artige »stud. jur. Wolfgang Scheuer, der seine Aufwartung machen zu dürfen bittet«.

Kleine Kniffe beugen vor, Pedanten unterlassen vorsichtshalber den Absendervermerk auf dem Umschlag. Unangenehm kann für den Partner auch ein Verwechseln der Kuverte werden, wenn die Korrespondenz umfangreich ist. Wenn schon Aufheben, dann bitte restlos diebessicher. Vor fremden Augen schützt wirklich nur Vernichtung!

Als Randbemerkung: Nicht einmal für Liebesbriefe darf der Herr vom Prinzip des vornehmen, kaum getönten Briefpapiers in männlichem Format abweichen. Eigenheiten können sich im Inhalt ausleben und in der flüssigen, eleganten Gestaltung mittels markanter Handschrift in »fleckenloser Reinheit« die geschriebenen Worte zum lebenden Bild werden lassen, das in den meisten Fällen zu unterzeichnen sein wird mit den Worten: »... und es küßt Ihnen in wahrer An dacht die Hände


der Ihre ...«


Liebe gnädige Frau!

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 151-153.
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