»Von Mitternacht bis morgens«

[110] »Wenn der Vater mit dem Sohne ...« zieht nicht mehr. Es könnte besser heißen: »Wenn die Tochter mit der Mutter!« Sie dürfen jetzt, alle beide zusammen, getrennt, in Begleitung, ganz wie sie wollen – in das Ziel und die Sehnsucht der Backfische und Halberwachsenen – in: die Nachtlokale.

Es hat so einen vielversprechenden Timbre, dieses ehemals beinahe »obszöne« Wort, man stellt sich die unwahrscheinlichsten, verlockendsten Dinge in ihnen vor, Venusberg ein Kinderheim dagegen – und ähnliches mehr oder weniger! Obwohl diese Orte fast alle die gleichen Tendenzen, die ähnlich verführerisch von lachs- bis sonnengoldschimmernden Lämpchen, die weinrot gepolsterten Sessel mit Goldlehnen, die dazugehörigen Teppiche, Blumenschalen, Sektkelche und Bardamen haben, bleiben sie nach wie vor anziehend – die Nachtlokale.

Der Reiz liegt wahrscheinlich in der Stunde. Die anderen schlafen, man ist wach, angeregt, in Stimmung versetzt und sensationslustig. Man weiß zwar genau, was kommt, was man trinkt, wenn man in die Bar geht, wenn man wieder zu essen anfängt, wenn man aufbricht, Müdigkeit markiert und doch weiterzieht, weil nebenan ein neuer Revuestar oder gegenüber ein argentinischer Mixer oder um die Ecke zwei angewachsene Zwillingsschwestern auftreten, man weiß alles ganz genau und lacht doch, wird munter, fröhlich und guter Laune.

Die Amüsierkurve hat ihre Höhepunkte. Ihre beste Zeit liegt zwischen eins und drei. Die Gefahrenzonen tauchen gegen elf, halb eins und ab halb vier Uhr auf. Macht mit, solange Ihr hübsch, frisch und fröhlich ausseht, aber verschwindet heimlich und leise, wenn Ihr euch zwingen müßt, Spaß zu haben. Wir befinden uns aber in einem guten Training, und seitdem wir es »dreizehn« schlagen hören, spielen die restlichen elf Stunden kaum eine Rolle mehr![110]

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 110-111.
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