Abgang von Stedten

[119] Das herzogliche Oberkonsistorium in Weimar, bei welchem ich um Erlaubnis zur Kopulation mit meinem Mädchen nachgesucht hatte, weil der Herr Pastor Pflug zu[119] Ottmannshausen sich weigerte, ohne dessen Einwilligung die Kopulation vorzunehmen, verlangte, nebst der fehlenden Einwilligung meiner Eltern, auch gerichtliche und geistliche Zeugnisse, weshalb ich zu einer Nachhausereise genötigt wurde.

Da mein Vater, folglich auch seine Familie, gewissermaßen leibeigen war, so hielt es bei meiner Ankunft schwer, mir die verlangten Attestate zu verschaffen, um so mehr, da meine beiderseitigen Eltern wünschten, mich lieber in ihrer Nähe verheuratet zu sehen; endlich gelang es meinem Bruder, welcher unterdessen Schulmeister in Kuhlrade geworden war, den Herrn Magister Schuricht zur Ausstellung folgenden geistlichen Zeugnisses zu vermögen:


Im Namen Jesu Christi


Es wird hiermit unter zuverlässiger Pastoraltreue und -glauben versichert, daß Vorzeiger dieses, Johann Christoph Sachse, des Johann Georg Sachse, Deputatistens auf dem adeligen Hofe Niendorf am Schaalsee, ehelicher zweiter Sohn, zweiter Ehe, sich zur evangelisch-lutherischen Religion bekennet, in welcher er am 13. November 1761 geboren und am 14. April 1776 hieselbst öffentlich eingesegnet worden und sich verpflichtet hat, nach dem göttlichen Inhalte ihrer Lehren zu wandeln und fromm zu sein, weshalb wir ihm die Gnade und den kräftigen Beistand Gottes und seines Geistes zu seiner vorhabenden Verehelichung, welcher bei uns nichts im Wege stehet, von Herzen erbitten und anwünschen.

Urkundlich meiner eigenhändigen Namensunterschrift und beigedruckten Pastoralinsiegels.


Gegeben, Seedorf, den 20. April 1784.

(L.S.)

Gottlieb Lebrecht Schuricht,

Pastor zu Seedorf

bei Ratzeburg im Herzogtum

Sachsen-Lauenburg
[120]

Mit diesem Zeugnisse trat ich die sechsundvierzig Meilen weite Rückreise an, in dem Glauben, daß ich nun ohne weiteres damit meinen Zweck erreichen würde. Sooft ich ausruhete, las ich es durch und brachte mir den Inhalt dadurch so in das Gedächtnis, daß ich es dem Herrn Generalsuperintendenten Herder auswendig hersagen konnte, als ich es ihm überreichte. Und doch sollt ich so geschwinde nicht zu meinem Ziele kommen, denn da ich zu meinen künftigen Schwiegereltern nach Weimar gezogen war, hatte der hochedle Stadtrat daselbst meinen Aufenthalt erfahren und nahm daher keinen Anstand, mich und meine Braut vor die Schranken zu fordern, worin Herr Bürgermeister Schmidt mit mir ohngefähr folgendes Verhör anstellte: »Wie heißt Er? – Wie alt ist Er? – Was ist sein Stand und Gewerbe? – Wo und wie lange hat Er gedient? – Wer war sein letzter Dienstherr? – Warum ist Er aus dessen Dienste gegangen?«

Antwort: »Aus Heuratslust!«

Herr Burgermeister: »So so! – Hat Er noch Eltern?«

Antwort: »Ja!«

Herr Burgermeister: »Wo leben sie? – Was ist sein Vater? – Hat derselbe Vermögen? – Hat er Ihm seine Einwilligung zur Verheuratung gegeben?«

Antwort: »Ja!«

Herr Burgermeister: »So zeige Er den Konsens seiner Eltern!«

Antwort: »Ich habe weiter nichts aufzuweisen als meinen Abschied vom Herrn Rittmeister von Seebach und mein Geburtszeugnis, das ich, auf Befehl des Herrn Generalsuperintendenten, auf das Oberkonsistorium habe tragen müssen.«

Herr Burgermeister: »Gut, das eben ist es, was wir wissen wollen! Jetzt kann Er abtreten!«

Nachdem man auch meine Braut zu Protokoll vernommen hatte, wurd ich wieder in die Ratsstube gerufen und mir folgende Geldbuße zuerkannt: Fünf Reichstaler –[121] ohne Anmeldung meine Sachen in die Residenz geschafft zu haben; acht Reichstaler, achtzehn Groschen, sechs Pfennige für eingestandene zu frühzeitige Bekanntschaft und unerlaubte Vergehung; überdies vierzehn Tage Gefängnis.

Bei Anhörung solcher Sentenz macht ich große Augen und wäre für Schrecken fast unter den Tisch gefallen; endlich faßt ich mich und sagte, ersteres wollt ich mir gefallen lassen, aber letzteres müßt ich mir verbitten, das wäre zu hart. Alle lachten laut auf, dennoch sagte der Herr Bürgermeister, er könne an der Strafe nichts erlassen, und frug mich, ob ich die Kosten gleich erlegen könne. Auf meine Verneinung wurde der Ratsdiener in meine Wohnung abgefertigt, um Arrest an meine Sachen zu legen, und mir angedeutet, daß ich nun gehen könne. Nach meinem Abtritt wurde meine Frau vorgenommen und ihr die Bezahlung auferlegt, im Fall ich sie nicht leisten könnte; ich fügte mich daher und leistete noch an demselben Tage Zahlung, worüber mir mit dem Bedeuten Quittung erteilt wurde, daß ich dreihundert Taler müsse herwenden können, wenn ich mich in der Residenz niederlassen wolle. Ganz offenherzig gestand ich, daß ich so viel nicht besäß; man entließ mich, und bis jetzt hat mir der hochedle Stadtrat in der Art nichts weiter abgefordert.

Da das Oberkonsistorium darauf bestand, daß ich die Einwilligung meiner Eltern schriftlich beibringen müsse, sah ich mich genötigt, deshalb wieder nach Hause zu schreiben; unterdessen brachte es der Advokat Lindener dahin, daß ich vor Eingang der fraglichen Einwilligung mit meiner damals weder mehr jungen noch vermögenden Geliebten kopuliert wurde.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 119-122.
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Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers