c) Krankenbesuche.

[51] Helga hatte in dem Horst-Wessel-Roman von Hanns Heinz Ewers das ergreifende Kapitel von dem Krankenlager des tapferen Kämpfers gelesen. Sie kam an die Stelle, wie seine braunen Kameraden leise an der offenen Tür vorbeizogen, um den todwunden Führer noch einmal zu sehen. Wie rücksichtsvoll diese einfachen Männer waren! Nur kein Geräusch! Nur keine Aufregung für den Kranken!

Ebenso rücksichtsvoll verhielt sich auch Dr. Goebbels am Krankenbett. Er erzählte von heiteren Dingen draußen, von Erfolgen der Bewegung. Mit seinem Zartgefühl vermied er es, auf den ernsten Zustand des Leidenden auch nur hinzudeuten. Das tat Horst Wessel wohl, denn er bat den Doktor, doch bald wiederzukommen. –[51]

Am Krankenbett spricht man möglichst nicht von Krankheiten. Ja, man versucht, wenn der Kranke selbst anfängt, ihn immer wieder geschickt abzulenken.

Man erzählt dem Leidenden auch nicht Dinge, über die er sich aufregt, z.B. Zwistigkeiten in der Familie oder von wirtschaftlichen Sorgen. Solche Aufregungen zögern die Heilung hinaus und können manchmal schlimme Folgen haben. Ganz selbstverständlich ist,


daß man im Krankenzimmer nicht raucht,

den Besuch nicht zu lange ausdehnt,

die Unterhaltung im ruhigen, leisen Ton führt,

von den Speisen, die der Kranke berührt hat, nichts genießt,

dem Patienten keine Nahrungsmittel zusteckt, die ihm verboten sind,

sich nach dem Besuch die Hände gründlich wäscht.


Nach dem Befinden eines Kranken hat man sich nach Möglichkeit mündlich zu erkundigen, um in so schweren Tagen den Angehörigen nicht noch die Last eines Antwort schreibens aufzubürden.

Den Angehörigen soll man die Hoffnung auf einen guten Ausgang nicht durch unbedachte, oft herzlose Aeußerungen rauben, wie: »Der Herr M. ist auch an dieser Krankheit gestorben«, oder »Gegen dieses Leiden haben die Aerzte immer noch kein Mittel.«

Ich selbst habe einmal einen schlimmen Augenblick an dem Krankenbett eines schwer herzkranken Mannes erlebt: Eine Bekannte kam herein, und fast ihr erstes Wort war: »Nun ist ja der Kupferschmied Albert N. auch tot!« Der Kranke richtete sich auf: »Auch tot? Auch tot? – Was soll das heißen?« Seine Augen starrten die Besucherin entsetzt an, und ein schwerer Anfall war die unmittelbare Folge dieser Erregung, die die plappernde Frau durch ihre unbedachte Aeußerung verursacht hatte. Das kleine Wörtchen »auch« war dem Kranken nicht entgangen. Kranke Menschen achten auf alles, empfinden alles viel stärker und denken lange darüber nach. Das bedenke stets, wenn du einen Kranken besuchst. Sei schonend und rücksichtsvoll!


Quelle:
Schütte, Carl: Willst du erfahren was sich ziemt? Caputh-Potsdam [o. J.], S. 51-52.
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