das Hochzeitsfest

das Hochzeitsfest

[53] noch Überraschungen aller Art bringen kann, wenn auch die Furcht vor solchen fortwährend geringer zu werden pflegt.

Die Braut wird auch heute noch durch ihr Benehmen in dem Zukünftigen die Meinung befestigen, daß er sich für ewig den Besitz aller weiblichen Tugenden gesichert hat. Sie wird zärtlich, zuvorkommend, schweigsam, gehorsam, nachgiebig, sanft, unrechthaberisch, widerspruchslos, in ihren Ansprüchen bescheiden, immer heiter, nicht nervös, haushälterisch, Feindin der Klatschsucht und Kaffeekränzchen, nicht kokett, friedliebend und geduldig sein. Ebenso wird der Bräutigam seiner Zukünftigen keinen Augenblick die Überzeugung rauben, daß sie einem Mann die Hand reiche, der in sie verliebt, galant, gebildet, solide, treu, liebenswürdig, ein Charakter, besonnen, ein Meister in der Kunst, ihr alles von den Augen abzulesen, fleißig, gewissenhaft, voll Vertrauen, ein Gegner der Bier- und Spielbank und ein Feind aller Herrschsucht ist.

Beide werden behaupten, daß es geradezu lächerlich sei, anzunehmen, daß mit dem Gürtel und dem Schleier der schöne Wahn irgendwie beschädigt werde.

Die Braut hat natürlich niemals vorher einen Mann geliebt. Das heißt: einmal doch, aber es war kein Mann, sondern ihr achtjähriger Cousin.

Der Bräutigam bemeineidet etwas Ähnliches. Niemals hat er etwas gehabt, was man ein Techtelmechtel nennen könnte. Ihm war das weibliche Geschlecht merkwürdigerweise immer gleichgültig. Nur ein einziges Mal folgte er beseligt den Spuren eines Mädchens, als er Quartaner war und mit seiner neunjährigen Cousine Tanzstunde nahm. Sie wird[53] heute mit ihrem Mann und ihrer ältesten Tochter die Festtafel dreifach schmücken.

Wenn die Zukünftige klug ist, so glaubt sie ihm nicht, sagt aber nichts.

Wenn der Zukünftige ein ganzer Mann ist, so glaubt er ihr alles, namentlich das, was in dem ersten Trinkspruch über seine junge Frau gelogen wird. Er unterscheidet sich dadurch von ihr, die von dem, was die Tischredner von ihm lobqualmen, absolut keine Silbe glaubt.

Wenn das junge Paar sich in den Festsaal begiebt, so vermeide es bis dahin und auch, wenn möglich, im Festsaal selbst, jede Meinungsverschiedenheit.

Aus verschiedenen triftigen Gründen. Dergleichen wird sich ja früh genug ereignen, da schon die Flitterwochen es nicht ausschließen, auch ist die Uneinigkeit eine eheliche Eigenschaft, und der Hochzeitstag ist eigentlich noch nicht Ehe und also ein Zank noch nicht völlig am richtigen Platz.

Für den Fall, daß der Wortschatz der jungen Gatten nicht reich an Kosenamen sein sollte, empfehle ich: »mein Engel«, »mein Schatz«, »mein Kind«, »mein Liebster« und »meine Liebste« als besonders beliebte, nichtssagende und später leicht abzulegende auf das Wärmste. Dagegen warne ich vor: »mein Kätzchen«, »mein Brummbär«, »mein Hexchen« und »mein Blaubart«, denn sie könnten doch später leicht einen gewissen Grad von Wahrheit erreichen und dann durch ihre ursprüngliche Bestimmung unbequem werden.

Ist der junge Ehemann etwas naiv, so glaubt er seiner Schwiegermutter, wenn diese noch in den besten Frauenjahren ist, daß sie ihre Tochter mit schwerem Herzen scheiden sehe. Dies drückt sie durch Thränen während der Tischlieder aus, welche allerdings ohnedies häufig recht traurig sind. Im Grunde[54] aber ist die bezeichnete Dame ganz froh, daß ihr die Ballmutterrolle ganz oder teilweise abgenommen wird.

Wenn der junge Gatte nicht sprechen kann, so ergreife er mutig das Wort, um für die Toaste in seinem und seiner Gattin Namen zu danken. Denn es sprechen ganz sicher auch andere, die es eigentlich gleichfalls nicht können.

Ich mache an dieser Stelle die Ehemänner darauf aufmerksam, daß sie Unrecht thun, wenn sie nicht bei Tisch eine Rede halten, sie möge nun mangelhaft oder noch mangelhafter sein. Denn bei Tisch kann der Ehemann ganz ungestört und ohne Befürchten reden, daß ihm wie in seinem engeren Familienkreise entweder das Wort entzogen oder ihm mit aller Schärfe darein geredet wird. Es giebt nach meiner Meinung deshalb so viele verheiratete Tischredner, weil die Gatten das Bedürfnis haben, dann und wann ohne Unterbrechung zu reden, wozu sie zu Hause in Gegenwart ihrer Frau so selten oder nie Gelegenheit haben. Ich gehe sogar so weit, zu meinen, daß die fleißigsten Tischredner gewöhnlich unter dem Pantoffel stehen und bei Tisch, namentlich wenn auch ihre Frau anwesend ist, mit einer wahren Wollust reden, weil sie hier unter dem Schutz der Redefreiheit sprechen können. Hoffentlich erobert die Frauenbewegung nicht so bald auch das Wort bei Tisch, wodurch dem Gatten viel von dem angedeuteten Vergnügen verloren gehen würde: ein Grund mehr für ihn, die schöne Zeit noch gehörig auszunützen.

Befürchtet das junge Paar, daß die Tischgesellschaft zu lange beisammen bleibe, oder sich am Schluß nur ungern erhebe, so versäume es nicht, rauschende Musik stattfinden zu lassen. Solche verträgt auf die Dauer keine Tafelrunde, und jeder, der halbwegs Nerven hat, weicht ihr gerne aus.

Das junge Paar sei auch gegen solche Gäste, wel che anstatt etwas in den neuen Hausstand sehr[55] schöne Blumenarrangements geschenkt haben, höflich, indem es sie mit herzlichem Dank begrüßt. Denn sie hatten nicht die Absicht, das junge Paar zu verletzen, und die leeren Körbe lassen sich auch in der Wirtschaft ganz gut verwenden, entweder zum Aufbewahren von Eßwaren, Bindfäden und Handwerkszeug, oder zu irgend einer passenden Gelegenheit neugefüllt als Nachgeschenk an die betreffender Geber.

Um zu verhüten, daß die Festteilnehmer übermütig werden, hat sich außer der Tafelmusik das ausführliche Verlesen der einlaufenden Telegramme außerordentlich bewährt. Auch das Abfeuern der Knallbonbons kann nach der angedeuteten Richtung hin reichlichen Nutzen stiften, reichlicheren das Einschieben von Gesangsvorträgen namhafter Dilettantinnen und berühmter Dilettanten der Familie.

Findet die Hochzeit in einem öffentlichen Etablissement statt, so achte man auf solche Flaschen, welche die Lohndiener heimlich forttragen. Solche nehme man ihnen ab und leere sie, denn dies sind die süssigsten Weine.

Flüstere deiner jungen Gattin bei Tisch nichts ins Ohr. Sie ist ohne Zweifel sehr gut erzogen und hat eine höhere Töchterschule besucht. Sie weiß also schon, was du ihr sagen wirst, und errötet nur aus Gefälligkeit.

Aus demselben Grund ist der Mutter und Schwiegermutter zu raten, ihr keine Weisungen auf die Hochzeitsreise mitzugeben.

Ist man zufällig ein Dieb, so beeile man sich, an die Cigarrenkisten heranzugehen, welche im Speisesaal oder in einem benachbarten Raum geöffnet stehen und der Raucher harren. Denn wenn du den Anschluß versäumst, so kommen dir deine Kollegen zuvor, und du könntest nur leere Kisten oder minderwertige Sorten finden.[56]

Sollte der junge Gatte vernünftig sein, so hat er vorher mitgeteilt, er trete nach Tisch die Hochzeitsreise an, und fährt nun mit seiner jungen Frau nach Hause, wo er bald nachher eintrifft. Denn nichts eignet sich für eine beginnende Ehe weniger als die Strapazen und Unbequemlichkeiten einer Reise. Sollte aber, wie es anzunehmen ist, der junge Gatte unvernünftig sein, so eilt er mit seiner Neuvermählten zum Bahnhof und trifft mit ihr fahrplanmäßig in dem Hotel einer nahen oder entfernten Stadt ein, wo sie von dem Wirt und den Kellnern als ein hochzeitsreisendes Pärchen begrüßt werden.


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 53-57.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wilbrandt, Adolf von

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Gracchus der Volkstribun. Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Geschichte des Gaius Sempronius Gracchus, der 123 v. Chr. Volkstribun wurde.

62 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon