Interviewer.

[37] Allerdings fürchtet man beide ungemein und man weicht mit Begeisterung der Gelegenheit aus, mit jenem und diesem beruflich zu tun zu haben, aber der Interviewer hat dennoch unwillkommenere Eigenschaften als der Staatsanwalt. Wenn man ein reines Gewissen hat, so kann man nur durch einen unglücklichen Zufall oder durch eine fatale Verkettung von Irrtümern in die traurige Lage kommen, einer Einladung des Staatsanwalts folgen zu müssen, welche man niemals mit dem besten Dank und dem Ausdruck des Bedauerns, schon anderweitig durch eine Einladung verpflichtet zu sein, ablehnen kann. Aber dieses reine Gewissen schützt niemals vor dem Besuch des Interviewers. Man braucht nur eine berühmte, oder bekannte, oder interessante politische, künstlerische, litterarische, finanzielle Persönlichkeit zu sein, um vom Interviewer überfallen zu werden.[37]

Über die Peinlichkeit der Besuche des Interviewers ist schon viel veröffentlicht worden. Auch der moderne Knigge hat sich schon bemüht, allerlei zur Abwehr derselben anzugeben. Da aber das Übel, statt beseitigt zu werden, immer weiter um sich greift, so scheint es nötig zu sein, auf neue Mittel zur Linderung zu sinnen, wie dies sich bei anderen grassierenden Krankheiten als nötig erwiesen hat.

Wenn man sich einbildet, recht klug zu handeln, indem man in einer von Interviewern nicht freien Stadt die Adresse der Wohnung, welche man bezieht, verheimlicht, so täuscht man sich wie jeder, der sich etwas einbildet. Man wird vom Interviewer gefunden. Jede Vorsicht ist völlig unwirksam.

Schon auf der Reise des berühmten, bekannten u.s.w. Mannes macht sich der Interviewer in drohender Weise geltend, indem ihn die Konkurrenz zwingt, den Kollegen zuvorzukommen. Aus diesem Grunde besteigt er auf irgend einer Station den Eisenbahnzug, mit dem man sich dem Ziel der Reise nähert. Man sei also gegen Einsteigende sehr mißtrauisch.

Wird man von einem der Eingestiegenen mit den Worten: Habe ich die Ehre, den berühmten (folgt der Name) vor sich zu sehen? angeredet, so markiere man eine Eigenschaft, die man nach der jedenfalls vorhandenen Biographie nicht haben kann: Taubheit, den Taubstummen, Grobheit, den Deutschamerikaner, Blindheit, Gichtleiden. Ist man kein Darsteller solcher Eigenschaften, so ist fester Schlaf anzuraten, welcher leicht darzustellen sein wird.

Ist man eingetroffen, so sagt man, den Interviewer fürchtend, dem Portier, man sei für niemand zu sprechen. Man lasse für strikte Erfüllung dieser in Form einer Anordnung vorgebrachten Bitte ein Trinkgeld durchblinken. Alsdann wird der Portier[38] außer dem Interviewer jeden abweisen, und er wird dies später dadurch erklären, daß er doch den Vertreter einer dem Hotel so wichtigen Zeitung nicht abweisen könne.

Will man dem Portier ein Lächeln, sowie ein Achselzucken entlocken, so sage man ihm, daß man eine solche Erklärung absolut nicht begreife.

Hat man den Interviewer empfangen müssen, so beantworte man dessen Fragen mit Redensarten, die zu ihnen nicht passen. Man wird am anderen Tag dann lesen, daß man außergewöhnlich passend geantwortet habe. Gleiches wird man auch lesen, wenn man garnicht geantwortet hat.

Hat man diskret zu sein und darf man dem Interviewer nichts sagen, was nicht für die Öffentlichkeit paßt, so wird man am anderen Tag lesen, daß man ihm erstaunlich viel und nur gesagt hat, was verschwiegen bleiben sollte. Erklärt man dann, daß die Mitteilungen, welche der Interviewer veröffentlicht habe, aus der Luft gegriffen seien, so schadet dies der betreffenden Zeitung nicht, sondern es bleibt ihr der Ruhm, geistvoll redigiert zu sein und ihre Leser vortrefflich zu bedienen. Man unterlasse daher jede Erklärung, wenn man für die Zeitung nicht obenein Reklame machen will. Man begnüge sich damit, von dem Interviewer genau so geschildert zu sein, wie man nicht ist: als genial, zuvorkommend, liebenswürdig, schlagfertig, faszinierend, geistreich und von der Natur verschwenderisch ausgestattet.

Da bisher kein Mittel gegen das Übel, interviewt zu werden, gefunden worden empfehle ich den Männern, welche interviewt werden, als letztes Mittel einmal das von mir ausgedachte zu versuchen. Hier das Rezept.

Man empfange den Interviewer überaus freundlich, biete ihm einen Stuhl an und lade ihn zu einer[39] Flasche Wein ein. Nun warte man ruhig, bis er zu arbeiten beginnt. Aber in dem Augenblick, wo er die erste Frage laut werden läßt, fange man an, ihn auszufragen. Man frage ihn: Rauchen Sie? Antwortet er: Ja (er antwortet: Ja), so offeriere man ihm eine Zigarre und frage ihn über die Wirkung aus, die das Rauchen auf seinen Körper und seine Seele ausübe. Antwortet er: Nein (er antwortet nicht: Nein), so frage man ihn, weshalb er nicht rauche. Dann frage man ihn, ob er verheiratet sei, Familie habe, oft ins Theater gehe, gut bezahlt werde, radle, Wanzen, guten Appetit und ein Telephon habe. Auf diese Weise drängt man den Interviewer in die Rolle des Ausgefragten und ist selber der Interviewer, der ihm zugleich zeigt, wie man durch das Ausfragen belästigt werde. Merkt man alsdann, daß er die Geduld verliert, so bitte man ihn, doch noch einen Augenblick zu verweilen, da man doch so selten das Vergnügen habe, mit einem so hervorragenden Vertreter der Journalistik zu plaudern, von einem solchen ein maßgebendes Urteil über die politische Lage, über Kunst, über Litteratur, über Taktik, über Maschinenwesen, über die Börse zu hören, je nach der Stellung, die man als Staatsmann, Künstler, Schriftsteller, Feldherr, Großindustrieller oder Finanzmann einnimmt. Ist dies geschehen und hat man die gleichgültigsten Antworten erhalten, dann zieht man die Uhr, erschrickt und bedauert, nicht länger sich des Besuchs erfreuen zu können. Der Interviewer geht, man ist gerettet. Am anderen Tage erscheint ein Bericht, aus welchem man erfährt, wie viele unpassende Antworten man dem Interviewer gegeben hat, und ferner, wie wenig auch dies letzte Mittel nützt.

Wir wollen dieses Mittel trotz seiner Nutzlosigkeit nicht verlassen, ohne zu prüfen, ob es denn nicht seinem Wesen nach doch noch anderweitig zu verwenden[40] sein wird. Man wird gleich sehen, daß dies wenigstens versucht werden sollte.

Eine der verehrungswürdigsten, edelsten und erfreulichsten Erscheinungen der Frauenwelt ist


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 37-41.
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