Besuch Kaiser Wilhelms I. und der Kaiserin Augusta

[178] Um diese Zeit waren die meisten Tafeln des großen Frieses vom Pergamenischen Altar so weit gereinigt und in dem östlichen Flügel des Alten Museums am Boden provisorisch zusammengestellt, daß sie dem Publikum zugänglich gemacht werden konnten. Zur Vorbesichtigung hatte sich der alte Kaiser angemeldet. Er kam am 5. Januar 1880, begleitet von seinen Adjutanten, dem Kultusminister von Puttkamer und dessen[178] Unterstaatssekretär von Goßler. Nachdem S. Majestät die Friesskulpturen eingehend besichtigt hatte, verlangte er auch den neuen Michelangelo zu sehen, der vorübergehend im Direktorzimmer aufgestellt war. Der Kaiser sah sich die Statue aufmerksam an. »Komisch«, meinte er, »den Prediger in der Wüste als schlanken Tänzer aufzufassen, der Rüben verzehrt!« Der Minister stimmte ihm bei und fügte hinzu, es sei doch ein merkwürdiger Ankauf, und dafür der Riesenpreis! »Warten Sie doch, lieber Puttkamer«, fiel der Kaiser ein, »die Auffassung kann uns mißfallen und doch kann die Figur sehr schön sein. Ich finde die Bewegung und Durchführung sogar reizend, ich möchte sie gern in der Nähe sehen.« Dabei versuchte er auf eine der Kisten neben der Statue zu klettern, aus denen diese eben ausgepackt war, aber die Kiste kam ins Wanken, und wir konnten den alten Herrn gerade noch auffangen. Er ließ sich aber nicht abschrecken. Wir halfen ihm wieder auf die Kiste hinauf, von wo aus er die Figur genau besah und sich von mir über die Erwerbung das Nähere berichten ließ.

»Das haben Sie gut gemacht, junger Herr«, sagte er zum Schluß zu mir, »100000 Mark sind ein schönes Geld, aber die Statue ist auch schön. Hoffentlich haben Sie eine hübsche Tantieme damit verdient.« Auf diese etwas eigentümliche Frage, zu der der Kaiser vielleicht, weil er mich für einen Unterhändler hielt, veranlaßt war, oder mit der er scherzhaft auf einen Orden anspielen wollte, antwortete Geheimrat Schoene, ohne mir Zeit zur Erwiderung zu lassen: »Eure Majestät, das ist bei uns an den Museen nicht Mode.« Der Kaiser schwieg auf diese für ihn wie für mich gleich peinliche Antwort, sagte dann aber kurz zu mir, obgleich er von seinen Adjutanten schon wiederholt an eine Audienz im Schloß erinnert war: »Junger Mann, kommen Sie mit, ich möchte Ihre Abteilung sehen, von der Sie mir eben erzählt haben.« Damit ging er mit mir rasch voraus nach dem nahegelegenen dunklen Saal, der damals noch die italienischen Skulpturen beherbergte. Hier fiel ihm zuerst die Büste der Marietta Strozzi[179] auf. »Hat die einen schrecklich langen Hals«, meinte er, worauf Herr von Puttkamer sofort einfiel: »Ja, es ist eine schreckliche Büste.« »Aber, lieber Puttkamer, warum immer so eilig mit dem Urteil; der Künstler konnte doch nichts dafür, daß das junge Mädchen einen so mageren, langen Hals hatte. Soviel ich davon verstehe, scheint mir die Büste ganz besonders gut zu sein; sie ist ja reizend lebendig! Sehen Sie mal den halboffenen Mund; ich möchte wohl den netten Witz kennen, den sie gerade aussprechen wollte.« In ähnlich anspruchsloser, aber treffender Weise äußerte er sich über mehrere andere Skulpturen, namentlich über die Strozzi-Büsten, auf die ich ihn als unsere neuesten Erwerbungen aufmerksam machte. Diese Bemerkungen wie der Umstand, daß der Kaiser nur bei den wertvollen Stücken verweilte, bewiesen einen starken künstlerischen Sinn, der mir bei einem Laien, der nie Gelegenheit genommen hat, sich in der Kunst umzusehen, selten in ähnlichem Maße vorgekommen ist. Niemand hat ihn im alten Kaiser je vermutet, und am wenigsten war er selbst sich dessen bewußt. Beim Abschied dankte er auch mir persönlich und sagte, meine Abteilung habe ihm so gefallen, daß er bald einmal wiederkommen wolle.

In der nächsten Zeit mußten wir auch der Kaiserin und allen anwesenden Fürstlichkeiten und Ministern die neuen Erwerbungen zeigen, aber von ihnen äußerte niemand ein ähnliches Verständnis für die künstle rische Bedeutung. Die Kaiserin war sehr einsilbig, ebenso in der Galerie, die sie bald darauf einmal besuchte. Nur vor dem Bildnis des jungen Karl II. von Spanien blieb sie stehen und fragte mich: »Ist das nicht das Porträt eines spanischen Königs?« Als ich es bejahte, sagte sie: »Wie kommt es, daß das Bild so hoch hängt?« Ich erwiderte, es habe den Platz bekommen, weil es eines der schwächsten Gemälde unserer spanischen Abteilung sei, worauf sie im Fortgehen kurz bemerkte: »Aber es ist doch das Porträt eines Königs!« Als sie mehrere Jahre später in die Galerie kam, warf sie unglücklicherweise wieder einen Blick auf das Bildnis, das noch an der gleichen Stelle hing. »Aber Sie haben ja[180] Karl II. noch immer nicht herabgehängt, ich sagte es Ihnen doch neulich ausdrücklich.«

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 178-181.
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