Modell und Gliederpuppe.

[169] Das Modell ist das wichtigste Hilfsmittel, welches dem Maler zu Gebote steht.

An ihm studiert er in seinen Lehrjahren, und mit ihm werden die Gestalten seiner Einbildung auf den Bildern zur Wirklichkeit.

Für das Studium ist das Aussehen der Modelle ziemlich gleichgültig, da man an allem lernen kann. Nur wird man darauf bedacht sein müssen, wechselnd männliche und weibliche zu nehmen; ferner Kinder und Greise, rasierte und bärtige Männer, Modelle von Heller Hautfarbe und dunkler.

Die Stellung muß eine möglichst leichte sein, damit sie längere Zeit von dem Modell ausgehalten werden kann. Will man Bewegung studieren, so möge man daran denken, den ruhenden Punkt in der Bewegung zu treffen; diesen Moment wird das Modell in der Lage sein, längere Zeit auszuhalten.

Ebenso bedenke man die verschiedenen Beleuchtungen und Hintergründe; ob sich das Modell darauf hell, dunkel oder[170] gleichwertig abhebt. Besteht der Hintergrund aus farbigen Stoffen, so wähle man lieber kräftigere Farben als zu zarte, weil es für das Studium wünschenswert ist, die Unterschiede stärker differenziert zu bekommen.

Das Abstimmen der Farben soll dem Gefühl überlassen bleiben; ob die Theorie der Komplementärfarben eine Hilfe bei diesem Arbeiten ausmacht, kann ich nicht angeben, denn ich muß nur gestehen, daß ich diese Lehre nicht kenne, auch nie vermißt habe. Wer aber den Wunsch nach Kenntnis dieses Systems hegt, wird ihn sich leicht erfüllen können, da diese Sterne, in die das System hineingebracht ist, überall zu kaufen sind.

Für das Studium ist die Art der Modelle gleichgültig dagegen trifft das nicht bei dem Bildermalen zu. Hierbei sind die passenden Medien mit besonderer Geschicklichkeit wohl auszuwählen. Hat man das Glück, durch Gelegenheit eine für das Bild zutreffende Person zu finden, so soll man diese stets dem Berufsmodell vorziehen; das Konventionelle im Berufsmodell findet man auch wieder in der nach ihm gemalten Figur im Bilde, während das Gelegenheitsmodell vollständig in der Bildfigur aufgeht.

Das Modell muß im Bilde ebenfalls streng studiert werden, damit die Figuren nicht kitschig wirken sollen.

Es ist zwar löblich, den Zuschnitt der Frisur im Sinne der Mode jener auf dem Bilde dargestellten Zeit wiederzugeben, aber absolut nötig ist es nicht.

Die Menschen sind in der Hauptsache zu allen Zeiten gleich gewesen; der Ernst in der Wiedergabe über zeugt viel mehr als eine oberflächliche Andeutung der jeweiligen Zeitmode.

Ebenso ist es mit dem Kostüm. Man wird weniger auf die Richtigkeit des Schnittes und der Stoffart geben, als auf Interessantheit des figürlichen Aussehens.

Shakespeare und Rembrandt schweben uns da als glänzende Beispiele vor, wie leicht man mit der Chronologie und dem[171] Aussehen der Personen umspringen darf. Es ist etwas andres, wenn in einem Bilde gewissermaßen eine Zeitepoche rekonstruiert werden soll. In diesem Falle ist strengste Kostümform und Gesichtszuschnitt notwendig (mit Hilfe von echten Statuen, Reliefs, Miniaturen etc. zu erreichen). Wir weichen aber bei derartigen Werken schon wieder von der Kategorie des rein künstlerischen Wertes ab. Eine erklärende Notiz muß zum Verständnis darangefügt werden: das Bild wirkt »literarisch«. Hierher gehört Alma Tadema. Einen ähnlichen Sinn sprechen auch Maler aus, die die Art früherer Maler nachzubilden versuchen. Dazu kann der Lehrer Tademas gezählt werden: der Belgier Leys und unser E. von Gebhardt. Beiden ist nicht die Natur an sich die Hauptsache, sondern wie dieselbe die alten Flamen und Deutschen auf ihren Werken gesehen haben.

Die Gliederpuppe ist ein Surrogat für das lebende Modell. Im ganzen ist sie nicht viel wert, denn andere einfachere Hilfsmittel können genau denselben Dienst verrichten. Wenn sie eine Figur bedeutet, die einen Schatten auf eine andere – die gemalt werden soll – wirft, so genügt dazu auch eine Staffelei, die mit Lappen behängt ist. Sollen Hände etwa die Arme dieser Puppe greifen, so ist als Arm vielmehr eine Rolle Papier vorzuziehen. Die Größe und Steifheit der Puppe wirkt immer störend. In Gruppen, als Strohmann in der wirklichen Bedeutung des Wortes, ist sie auch kaum zu verwenden. Müssen zwei Personen durch die Handlung – z.B. ringend – zusammen gemalt werden, so ist es besser, zwei lebende Modelle zu nehmen, oder andere Hilfsmittel zum Stützen dafür zu verwenden.

Ein ganz fremder Gegenstand ist viel angenehmer zu verwerten als diese Nachbildung eines Menschen.

Einen praktischen Wert hat die Gliederpuppe für Porträtmaler, deren Auftraggeber mehr Wert auf die Muster von Spitzen und Stoffen geben, als auf den Menschen, der darunter steckt. Aber nur allein zu dieser Verwertung ist sie gut genug. Denn auf diese[172] Weise gemalt, wirkt der Stoff vollständig bewegungslos, versteinert, und das ganze hat eine tote Wirkung.

Soll ein Porträt mit der ganzen Gewandung, bis in das kleinste Detail ausgemalt werden, und macht es dabei Anspruch auf künstlerischen Wert, so muß sich der Maler schon was kosten lassen – wenn er nicht den Porträtierten selbst dazu bewegen kann – und ein der Porträtfigur ähnliches Modell für die ganze Zeit bestellen.

Selbst für das Studieren von Stoffen in den Lehrjahren ist kaum die Puppe zu gebrauchen. Der Anblick solch einer bekleideten Figur ist unästhetisch; die Kleider sitzen schlecht und formlos, und die Ernte solchen Studiums ist nicht gerade groß.

In dasselbe Niveau gehören auch ausgestopfte Säugetiere und Vögel. Will man solch Präparat als Modell für ein lebendiges Wesen darstellen, erschrickt man förmlich vor all dem Formlosen und Toten, und doch schien es vorher noch ganz lebensgetreu.

Ohne das Studium wirklicher Tiere kommt man auch hier nicht umhin.

Eins jedoch haben diese Schemen der Gliederpuppe voraus. Das wirkliche Fell oder den Glanz des Federkleides. Wenn auch das Leben längst aus diesen Haaren und Federn entschwunden ist und nur der Mensch seine konservierende Hand daran gelegt hat, so bleibt doch immer noch eine Spur von jener Schöpferkraft, die Zeichnung und Farbe diesen Wesen hineinwob, prächtiger als Salomo in all seiner Herrlichkeit.

Und deshalb werden sie als wirklich ausgestopfte Präparate für Stilleben einen gewissen Reiz haben.

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 169-173.
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