Die Preußen und die beiden Ateliers

[119] Es war eine große, herzerhebende Zeit, der wir entgegengingen, das Aufleuchten eines unvergleichlich herrlichen Morgens. Die ersten Strahlen deutscher Freiheit flammten blutigrot im Osten auf, begeisternde Verheißung spendend, und wie auf den Ruf der letzten Posaune regten sich die weiten Totengefilde des großen deutschen Vaterlandes zu neuem Leben, aber auch zu blutiger Arbeit. Das Wort Friedrich Wilhelms hatte sein scheintot darniederliegendes Volk aus schwerem Traum erweckt, und in frisch erstarkender Kraft schüttelte es die mächtigen Glieder und zersprengte seine Ketten, um wie ein einziger Mann zu seinem Könige, zur deutschen Sache und zu sich selbst zu stehen.[119]

Ich war ein Kind und meiner kindlichen Meinung nach ein Russe, aber dennoch fühlte auch ich mich von dem gewaltig heranbrausenden Sturm berührt, in welchem sich das Erwachen des nationalen deutschen Geistes damals so herrlich manifestierte. Das deutsche Blut in meinen Adern behauptete sein Recht, und mit Entzücken sah ich das erste freie deutsche Heer in Dresden einziehen.

Auf Wintzingerode folgte Blücher mit den Preußen, und waren die Russen von der Bevölkerung gut empfangen worden, so freute man sich jener doppelt, da man sie mit Recht als die Repräsentanten neu erstehender Ehre und Selbständigkeit des allgemeinen deutschen Vaterlandes ansah. Besonders erweckte gerade in dieser Beziehung das Erscheinen der Lützowschen Jäger den größten Enthusiasmus. Ein solches Korps aus lauter gebildeten, für nationale Freiheit glühend begeisterten jungen Männern hatte die deutsche Welt kaum je gesehen. Diese frischen Jünglinge schienen den Freiheitskämpfern des alten Griechenlands zu gleichen, denn wie jene zogen sie jung und heiter, schön und todesfreudig in den Kampf fürs Vaterland und seine Ehre. Man schwärmte laut für sie, und da sie nicht für die Sonderinteressen irgendeines deutschen Stammes, sondern für die allgemeine deutsche Sache streiten wollten, so fehlte es nirgends, und auch in Dresden nicht, an jungen Helden, die sich in ihre Reihen drängten. Unter diesen, mochte der damals schon in weiten Kreisen bekannte und persönlich so beliebte junge Dichter Theodor Körner eine der glänzendsten Erscheinungen sein. Den sehe ich noch, wie er, Abschied nehmend, vor meinen Eltern stand. Seine schöne Gestalt im Schmuck der Waffen, der begeisterte Blick seines Auges, sein freundliches Wesen sowie die gute Meinung, die jeder von ihm hatte, das alles machte in mir den lebhaftesten Eindruck, und dankbar empfand ich's, daß er auch mich in seine Arme schloß.

Näher als Körner, den wir wenig kannten, stand uns ein anderer Freund, der jetzt ebenfalls im Begriff war, Dresden mit den Lützowern zu verlassen. Es war dies ein junger Maler, von Geburt ein Pommer, namens Kersting, ein frischer, jovialer, für seine Kunst begeisterter Mensch, der soeben angefangen hatte, durch eigentümlich ansprechende Bilder die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er malte nämlich in kleinem Format auf Holztafeln sehr saubere Porträts, ganze Figuren und in einer Umgebung, die ebenfalls Porträt war.

Es ist von unleugbarem Interesse, geliebte oder ausgezeichnete und denkwürdige Personen in der ihnen eigentümlichen und ihrem Berufe[120] angemessenen Umgebung zu sehen, die, wo sie sich auf charakteristische Weise gestaltet hat, keine Zufälligkeit mehr ist, so wenig als das Haus der Schnecke, das aus ihr selbst hervorgeht. Dies aber war in hohem Grade der Fall bei meinem Vater, wie auch bei dem schon früher genannten Freunde unseres Hauses, dem Landschaftsmaler Friedrich, welche beide Kersting in seiner Weise malte.

Das eigentliche Arbeitszimmer meines Vaters, das jedoch fremden Besuchern, die er im Vorzimmer unter seinen fertigen Bildern zu empfangen pflegte, verschlossen blieb, enthielt eine Welt der verschiedenartigsten Gegenstände. Die Wände waren hageldicht bedeckt mit Gipsen, mit Studien und allerlei künstlerischen Kuriositäten, mit seltenen Kupferstichen, Handzeichnungen berühmter Meister und dergleichen mehr. Aber auch Handwerksgeräte, wie jeder es im Hause brauchen kann, parodierte über einer Hobelbank in reicher Auswahl, als Sägen, Beile, Feilen, Meißel und anderer Utensilien. Desgleichen fielen die vielen Waffen auf, für die mein Vater große Liebhaberei hatte. Da sah man Armbrüste, Kugelbüchsen, Pistolen, Flinten und sehr kostbare Windbüchsen von verschiedener Konstruktion, auch Hieb- und Stichinstrumente bis zum Stockdegen herab. In den Ecken saßen oder hockten Gliederpuppen von verschiedenen Größen; hoch aufgerichtet aber stand unter Schädeln und Gebeinen ein vollständiges menschliches Skelett, das Entsetzen der Dienstmädchen, wenn sie mit Aufträgen von der Mutter durch die halbgeöffnete Türe schauten. Endlich türmten sich reiche Sammlungen von Kupferstichen und Pasten nebst selbstgefertigten Modellen aus Ton oder Wachs in Schränken wie auf Tisch und Stühlen auf, zwischen Farbenkästen, Reibsteinen, Paletten, Staffeleien und künstlerischem Geräte aller Art.

So mochten Maler, Bildhauer, Kupferstecher, Architekten, Archäologen, Zimmerleute, Tischler, ja auch Krieger hier das meiste finden, was sie brauchten, mit Ausnahme von Büchern, denn mein Vater hatte niemals weder Zeit noch Lust zum Lesen und hatte es auch nicht nötig, da Böttiger für ihn Gelehrtes, meine Mutter Belletristisches und Theologisches und Pönitz das Politische las. Denn dazu habe man Freunde, pflegte er zu sagen, daß sie für einen läsen.

In jenem chaotischen Arbeitszimmer war indessen dennoch keine Unordnung, da jedes Ding sich so ziemlich immer wieder auf demselben Platze oder Stuhle fand und mein Vater, was er brauchte, im Finstern greifen konnte. Er fühlte sich aber behaglich in solcher Anhäufung und behauptete, daß bei leeren Wänden und in aufgekramten Zimmern jede Phantasie verkümmern müsse.

Friedrichs Atelier dagegen war von so absoluter Leerheit, daß Jean[121] Paul es dem ausgeweideten Leichnam eines toten Fürsten hätte vergleichen können. Es fand sich nichts darin als die Staffelei, ein Stuhl und ein Tisch, über welchem als einzigster Wandschmuck eine einsame Reißschiene hing, von der niemand begreifen konnte, wie sie zu der Ehre kam. Sogar der wohlberechtigte Malkasten nebst Ölflaschen und Farbelappen war ins Nebenzimmer verwiesen, denn Friedrich war der Meinung, daß alle äußeren Gegenstände die Bilderwelt im Innern stören.

Ebenso verschieden als die Arbeitszimmer war denn auch das Aussehen der beiden Arbeiter selbst. Mein Vater, brünett mit glattrasiertem Kinn, war stets sehr ordentlich gekleidet, während der hochblonde und kosakenbärtige Friedrich sich bei der Arbeit mit einem langen, grauen Reisemantel zu begnügen pflegte, der es zweifelhaft ließ, ob er sonst noch etwas darunter habe; und wer ihn kannte, wußte, daß dies nicht der Fall war.

Somit war es ein glücklicher Gedanke, diese beiden namhaften Männer mit ihren Ateliers als Gegenstände zu behandeln und auszustellen. Die Bilder verkauften sich auf dem Flecke, und andere Bestellungen folgten, so daß der wackere Kersting allerdings ein großes Opfer brachte, gerade jetzt seine künstlerische Tätigkeit zu unterbrechen. Indessen freute sich mein Vater seines Entschlusses und schenkte ihm nicht nur die Kugelbüchse zu seiner Equipierung, sondern übte ihn auch täglich im Schießen, bis er abzog.

Bald hörten wir, daß er beim Sturme der erste auf der Schanze gewesen, daß er Offizier geworden und das Eiserne Kreuz erhalten habe. Oh, wie begeisterten mich dergleichen Berichte! Ich wäre gar zu gern auch mitgezogen; aber ich war zu klein und hatte mich vorderhand nur mit Grammatik und Vokabeln herumzuschlagen.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 119-122.
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