260 [213] Brief an Elisabeth Macke

5.10.1915


Meine liebe, gute Lisbeth, wie lieb von Dir, immer wieder so freundlich meiner zu gedenken; ich bin sehr schreibunlustig geworden – die Welt, die Arbeit und die Liebe, alles rückt so traumhaft fern in diesem endlosen, lieblosen Kriege!! Ich schrieb in den letzten Monaten fast nur mehr Maria und meiner Mutter, aber meine Gedanken waren eigentlich in einem Nirgendwo, unstet, unproduktiv, voll Haß gegen diesen Krieg; und was mir diesen Zustand besonders unheimlich macht: ich werde ein immer besserer Soldat! Ich kenne mich oft nicht wieder; wir Männer sind ein merkwürdiges Geschlecht. Der Krieg vermännlicht uns leider noch mehr; ich kann mir Euch Frauen kaum mehr vorstellen; und daß es Kinder gibt und Kinderleben!! – Wie mag es dem armen Helmuth gehen? Er ist in gefährlicher Nähe der großen Offensive. Ich selbst kann über nichts klagen; ich bin jetzt Offiziersstellvertreter und werde in Bälde Offizier sein; das erleichtert natürlich mein Leben äußerlich sehr; aber die geistige Luft, in der ich nur mühsam atme, wird dadurch nur dicker. Dabei ›genieße‹ ich den unbestrittenen Ruf eines ›vorzüglichen‹ Soldaten! Ich bin es sogar, das ist das Groteske meines jetzigen Lebens. Sei nicht ungehalten und erschrocken, daß ich Dir nichts Lieberes, Ruhigeres zu sagen habe; ich möchte Dein liebes Gesicht streicheln und Wolfgängchen auf den Knien haben; hoffentlich kommen für uns Männer auch solche Zeiten wieder, nach diesen Jahren des gemeinsten Menschenfangs, dem wir uns ergeben haben. Wie haltet Ihr Frauen eigentlich diese tolle Epoche aus? Das frag ich mich oft. Du Ärmste hast das größte Opfer gebracht – Deine Ruhe kann ich verstehen, – aber so viele andere?? Maria leidet sehr bitterlich, und ich wage ihr kaum zu sagen, wie gut ich sie dabei verstehe, um ihre Seele nicht noch mehr gegen diesen Krieg aufzubringen. Das soll nun ein Brief an Dich sein!! Verzeih mir ihn. Ich bin zu keinem anderen fähig. Mit herzlichem Händedruck Dein Franz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 213-214.
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