August Macke 05.02.1912

[101]  

BRIEF AUS BONN


5. Febr. 1912


Lieber Franz!


Ich hab furchtbar viel zu tun und gerade sechs Seiten an Onkel Bernhard geschrieben. Helmuth hat sich gegen mich in manchem übel benommen und schreibt jetzt so seltsam ratend in Bezug auf mein Verhalten. Der Kniess, den Ihr mit Dr. Reiche[101] habt, geht mich nichts an. Kandinsky schickte mir den schnoddrigen Brief von Reiche. Ich kann mich aus Sonderbundgründen unmöglich mit Reiche überwerfen. Ich sage ihm still meine Meinung, beim Bier, ebenso wie manchem anderen und erreiche so mehr, wie Ihr mit eventueller brieflicher Krachschlägerei. Das erste, was ich von Dr. Reiches Verhalten zur Blauen-Reiter-Ausstellung hörte, war Kandinskys Brief. Jetzt schreibt Helmuth grossmächtig, man sei in Sindelsdorf der Meinung, ich hätte bei Dr. Reiche mein Herz auf der Zunge hängen lassen. Das habe ich und hätte ich nicht getan. Im Gegenteil suche ich aalglatt den Leuten alles zu erklären und habe den Gereons-Club zu einem lebendigen Betrieb gebracht. Interesse Ia. Verständnis teilweise. Liebe zu den Bildern auf Frl. Worringer, Oppenheimer und mich fast beschränkt. Im übrigen habe ich über den Sonderbund nicht zu klagen. Meine Vorschläge sind im ganzen angenommen. Kandinsky schrieb mir von Abmachungen mit Hagelstange, über geschlossene Kollektivausstellungen des ›Blauen Reiters‹, ›C.B.‹, ›M.B.‹, ›Brücke‹ etc. Auch Heckel schrieb mir. Hagelstange sagte mir auf meine Vorhaltung, er könne allein nichts definitiv abmachen. Immer bleibt die Möglichkeit, durch meinen Vorschlag in der Sitzung, die Gruppenleute einzuladen und nachher die juryrten Sachen zusammen in Räume zu hängen und auch die Bezeichnungen der Gruppen anzubringen. Müssen denn die Kinder all einen Namen haben? Seien wir zufrieden, dass alle die Einladungen erfolgen, die gut sind und die in unser aller Sinne sind. Die Leute im Sonderbund haben soviel Arbeit geleistet, auch der fiese Flechtheim, der von allen genau so taxiert wird wie von uns. Als einer, der oft eins aufs Dach haben muss.

Irren tut jeder. Der Blaue Reiter ist ›Künstler‹gruppe, der Sonderbund besteht aus Kunstfreunden.

»Eine Komission ist eine Gesellschaft von Individuen, deren gemeinsame Dummheiten einem einzelnen Individuum billigerweise nicht zugestanden werden können«. Das kommt überall vor. Blaue Reiter, Futuristen, die feierlich in ihrem Prospekt erklären, zehn Jahre auf Aktmalerei zu verzichten, »Epoche des grossen Geistigen«. Kinder sind wir alle, gutgläubig und das Herz auf der Zunge. Im Sonderbund hab ich alles erreicht, was mir am Herzen lag und Euch. Ich erreiche langsam noch mehr. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass ich von Publikum, Kunstliebhabern, Museumsleuten ziemlich viel Ahnung habe. Vielleicht mehr wie Kandinsky und Du. Und wenn die Leute nach München kommen, werdet Ihr persönlich genügend Gelegenheit finden, das, was Euch noch nicht passt, gut zu machen. Nur nicht zu schroff. Ich bin der Überzeugung, dass man sich nicht zu arg aufregen soll und dass alles Gute langsam wird in dieser Sache. Mir ist natürlich recht, was Ihr tut, aber der Erfolg ist mir nicht gleichgültig. Ich mische mich nicht zwischen Euch und Reiche. Mein Einfluss im Sonderbund ist denkbar gross und verläuft ganz günstig.[102]

Mit dem Sturm bin ich einverstanden. Ich erwarte noch eine andere Photographie, die ich, sobald ich sie habe, schicke. Wartet aber nicht darauf. Es ist mir nicht so furchtbar wichtig. Druckt nur, damit man den Blauen Reiter bald sieht. Ich bin vor Arbeit ein bisschen müde und komme zu wenig zu eigener Arbeit. Wenn ich mal was vergesse oder vergesse, alles zu beantworten, so seid nicht bös. In den wichtigen Sachen und in den Sitzungen vergesse ich Eure Sachen nicht. Schreib doch bitte an Kandinsky im Sinne dieses Briefes. Kandinsky schrieb wegen der Stimmung gegen den Blauen Reiter. Ein äusserlich starker Erfolg und starkes Interesse. Schreib ihm das und wegen der ›Vereine‹ auch. Gegen das Prinzip der Nichtvereinseinladerei ist scheinbar nichts zu machen. Es braucht auch nicht jeder Neusezessionist z.B. da zu sein, nicht wahr? Auch Schönberg nicht. Kandinsky soll sich nicht so aufregen. Ich rege mich allein hier schon zuviel auf. Kriege es beim Festessen. Er ist Asiate, der unanständige, sehr interessante, anderen Leuten aber gänzlich schleierhafte Bilder malt. Ich schätze ihn sehr. Doch fehlbar ist auch dieser Papst. Und er tut oft wie ein Papst.

Grüsse die liebe Maria und sei selbst herzlich gegrüsst

Euer August und Lisbeth


Der Brief von Weiss liegt bei. Er ist zu fad. In Bezug auf die Hirsche hat er recht. Ich hab sie sehr, sehr gern, lieber wie die Blauen-Reiter-Bilder. Ich werde auch mit der Zeit nicht mehr darauf hinarbeiten, in den Augen der Kunstmenge ausgerechnet als Schüler von Marc und Kandinsky zu gelten. Das ist mein Erfolg.

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 101-103.
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