Sechstes Kapitel.

Der späte Gast.

[54] Die Hunde klafften und der Thürmer stieß ins Horn. Ein einzelner Reiter hielt vor der Zugbrücke. Kaum daß er den Namen genannt, als man sich fast übereilte das Gatter aufzuziehen und die Zugbrücke niederzulassen, derweil Andere ins Herrenhaus liefen, den unerwarteten, seltenen und wie es schien, vornehmen Gast anzumelden.

Die brennenden Kienspähne beleuchteten eine nicht unedle, hohe ritterliche Gestalt. Auf einem schönen Rappen ritt er jetzt, etwas gebückt, durchs Thor. Dem Reiter und seinem Thiere sah man es an, daß Wald und Nacht für gewöhnlich nicht ihr Nachtquartier waren, daß der Reiter auch gewohnt sein mochte in stolzeren Schlössern einzureiten und sein Roß in besseren Ställen zu nächtigen. Sichtlich hatten beide mit Wind und Wetter zu kämpfen gehabt, und es brauchte kaum beim Willkomm ausgesprochen zu werden, daß er verirrt war und Sturm und Nacht ihn in diese abgelegene Burg verschlagen hatten.

Als ihn die Burgfrau sah, kannte man kaum Brigitten von vorhin wieder. So verwundert war sie, so tief neigte sie sich vor dem Herrn, und in einem ganz an deren Tone sprach sie:

»Gottes Wunder, Herr von Lindenberg, wie kommen wir zu der Ehre?«

»Alle Heiligen mit Euch, liebe Base, daß weiß ich selbst nicht.«

»Und ganz allein?«

»Mutterseelenallein. Wenn der Teufel die Andern nicht holt, so thut's der Sturm und das Wetter.«

»Und Seine –« der Ritter errieth das Wort, das auf den Lippen der Edelfrau erstarb.

»Der Himmel und der heilige Johannes wird Seine kurfürstlichen Gnaden, hoffe ich, besser nach Berlin bringen, als mein Gaul mich durch die Heiden und Sümpfe der Zauche hierher jagte. Ihr seht, ich bin verwirrt. Auf der Jagd war ich in der Belziger Forst mit dem Kurfürsten. Zur Jagd kann ich nicht zurück, denn die Jagd ist aus. Zum Kurfürsten kann ich auch nicht, denn da dies Haus, wie ich mit Vergnügen sehe, Hohen-Ziatz ist, bin ich ganz aus der Richte gekommen und mein Herr ist, aller Vermuthung nach schon über den Teltow[55] nach Berlin geritten. Ich muß den nächsten Weg wählen über Potsdam. Da aber weder ich dazu Lust, noch mein Pferd die Kräfte hat sogleich aufzubrechen – auch meine liebe Base ein so freundlich Gesicht macht, muß ich es schon vorziehn, ihre Gastfreundschaft auf ein Paar Stunden anzusprechen.«

»Konrad, Ruprecht! Ihr seid recht müde! Ach und Euer Roß, was ist's im Schweiß!«

Konrad und Ruprecht griffen ihr zu ungeschickt zu. Die Edelfrau stieß Hans Jürgen heran, daß er dem edlen Gast die Steigbügel halte, was in der That nöthig schien, denn als er vorhin den Versuch machte am Prallstein abzusteigen, war das Thier störrig oder dem Reiter versagten nach dem langen Ritte die Kräfte. Auf Hans Jürgens Schulter sich stützend, schwang er sich aber jetzt mit ritterlichem Anstand auf die Erde.

Der Fackelschein fiel gerade auf Hans Jürgens gar nicht vergnügtes Gesicht, weil er zu einem Dienst gezwungen war, der ihm für eines Ritters Sohn und noch dazu gegen einen Hofmann, nicht sehr ehrbar schien. Der Ritter sah ihn flüchtig, aber scharf an.

»Ei welchen vornehmen Dienstmann meine Base die Güte hat, mir zu bestellen. Der Junker von Selbelang, wenn ich recht sehe. Wie geht es, Herr von Bredow?«

»'S ist nur Hans Jürgen,« flüsterten die Leute, der vornehme Herr reichte ihm aber doch verbindlich die Hand und neigte sich freundlich zu ihm, ehe er die der Base ergriff und schöne Worte ihr sagte von alter Freundschaft und den guten Zeiten, die gewesen und nicht wieder kämen. Als sie ihn neckisch schalt, daß er so lange schon in Hohen-Ziatz sich nicht blicken lassen, antwortete er, wenn Einer dabei verloren, sei er es. »Ach diese guten, alten Zeiten, als ich noch ein freier Mann war!« Er seufzte und nun sah er den Junker Peter Melchior. »Welche Freude, einen so alten Freund zu sehen!« Er ließ es nicht bei einem Händedruck genügen. »Und welche Ueberraschung, auch den würdigen Dechanten von Alt-Brandenburg! Ist's doch fast, als hätten die Hexen mich in ein Zauberschloß geführt, wo ich lauter alte, liebe Bekannte finde.«

»Sprecht nicht von Hexen, Herr von Lindenberg,« sagte Peter Melchior. »Mit denen ist nicht zu spaßen.«

»Ihr habt recht,« lachte der Gast. »Es wär übel, wenn ich plötzlich erwachte, Alles wäre verschwunden, und ich läge allein im Moor. Aber wo ist unser biederer Wirth? Ei, wo versteckt sich Herr Gottfried!«[56]

Die Edelfrau schlug die Augen nieder: »Ach Herr von Lindenberg, seit er aus Berlin kam –«

Er ließ sie nicht aussprechen: »Richtig, ich entsinne mich, er kommt vom Landtage.«

»Und da ist er noch etwas angegriffen.«

»Er that dem Landmarschall Bescheid, Base, Bescheid wie ein Edelmann, das kann ich versichern. Ein wackerer Ritter, recht aus der alten Zeit. Will keinen über sich kommen lassen. Man lobte ihn allgemein in Berlin, als er in den Wagen gehoben ward. Der Kurfürst, darf ich Euch vertrauen, war sehr zufrieden, wie er sich beim Landtage benommen. Das ist ein braver Mann, sagten Seine Gnaden, der gehört nicht zu den Stänkerern, die alles besser wissen wollen als ich.«

Nach einem langen Ritt durch Nacht und Wald war auch ein Hofmann jener Tage hungrig und durstig; darum nahm er gern den Arm der Hausfrau, als diese ihn aufforderte, unter ihrem schlechten Dach vorlieb zu nehmen, mit was der Tisch und Keller noch biete. Aber an der Schwelle wandte er sich rasch um: »Mein Pferd!«

»Für das ist gesorgt.«

»Nicht wie es sollte!«

Leicht gegen die Edelfrau sich verneigend, sprang er rasch zurück auf den Hof, wo Hans Jürgen, der nur einem Wink seiner Verwandtin, diesmal minder verdrossen, gefolgt war, eben im Begriff stand, den Rappen des Herrn von Lindinberg in den Stall zu führen.

»Ihr irrt, Junker Bredow, es ist mein Pferd.«

»Weiß wohl; ich thät's in den Stall führen.«

»Das ist Knechtes Arbeit, nicht eines Adligen. Ein Edelmann darf nur für sein eigen Roß sorgen.«

Ehe er's ausgesprochen, hatte er Hans Jürgen den Zügel entnommen, ihn mit einem Wurf und einem herrischen Blick dem nächststehenden Knecht über den Arm geworfen, dem Rappen einen liebkosenden Schlag auf den Hals gegeben, und dann wieder vertraulich die Hand auf Hans Jürgens Schulter gelegt:

»Nun Junker von Selbelang, wollen wir miteinander einen Humpen leeren aufs Andenken Eures Vaters. Das war ein lieber Mann, mein Freund, ein wahrer Edelmann, der wußte zu leben. Schade um ihn, daß er so früh das Zeitliche gesegnen mußte.«

Die Halle war schnell erhellt von Fackeln und Lichtern. Was hatte die Hausfrau zu sorgen, zu klingeln, rufen, schelten,[57] flüstern, daß ihr Haus Ehre habe vor dem späten Gast. Fast war es zuviel Sorge und Arbeit, noch in die Nacht hinein nach einem Sturm und einer großen Wäsche.

Doch der Gast verdiente es. Er war ein Mann etwa in den Vierzigern, hoch und stattlich gewachsen; im Gesicht den Hofmann und den Ritter nicht verleugnend. Sein Tritt, seine Bewegungen waren sicher und fest, aber dabei fein und geschmeidig; seine Tracht der Sitte der Zeit, wenigstens in Brandenburg, um etwas vorangeeilt. Das schon besprochene Kleidungsstück, welches damals anfing, so viel Gerede zu machen, würde auch seinem Körper wohl gestanden haben, aber er kam nicht vom Hofgelage, sondern von der Jagd. Ueber den hohen braunen Stiefeln mit Silbersporen, die bis über die Knie reichten, schmiegten sich engere Hosen an den markigen Wuchs, die nur am Leibe, nach der burgundischen Mode, in leichte Puffen ausgingen. Nach derselben Mode war auch sein gesticktes Tuchwams, welches sich in einer Spitze tief zum Nabel senkte und von einem ausgelegten Gurt festgehalten wurde. Daran hing der kürzere Jagddegen, auch ein feines Stück Arbeit. Um den Hals schmiegte sich eine Krause, die den Hofmann, der das Ausland gesehen, deutlicher noch verrieth und selbst den Stürmen des nächtlichen Rittes widerstanden hatte. Seine Stirn war nicht zu hoch, sein Bart nicht zu lang, aber sorgfältig gekräuselt, und die ins Röthliche spielenden Haupthaare waren fast glatt geschnitten. Locken, die in wildes Haar ausarteten und struppige Bärte galten in jener Zeit noch als ein Zeichen männlicher Kraft und adligen Muthes in diesem Lande.

Wenn er sich durch diese Kennzeichen merklich von allen hier Anwesenden unterschied, so war er's noch weit mehr durch sein einnehmendes Wesen und die feine Art, wie er mit jedem sprach. Wie verbindlich reichte er dem Hans Jochem die Hand, sich entschuldigend, daß er ihn vorhin nicht gleich erkannt. Zur Wirthin redete er so traulich und scherzhaft, wie Einer, der eine Frau, die ihm nicht gleichgültig war, nach langen Jahren wiedersieht, und es tauchen allerhand liebe Erinnerungen auf, so süß und schön, daß beide darüber die Jahre und Runzeln vergessen. Was sie erzählte und erwähnte, wie bald entsann er sich der geringfügigsten Kleinigkeit; wie hörte er mit anscheinender Aufmerksamkeit zu, und wußte immer dem, was trübe klang, eine freundliche Wendung zu geben. Wie schlug er auf ihre Hand und tröstete, wo es des Trostes bedurfte, nicht wie ein[58] Liebhaber, wie ein alter Freund, der es bleiben wird, trotz der Jahre und Widerwärtigkeiten.

Aber wieder ein anderer ward er, als die Töchter eintraten und mit verschämter Anmuth den vornehmen Gast und Verwandten bewillkommten. Eva Bredow wurde fast roth, daß sie ihm so bäuerisch grob die Hand geboten. Er hatte nicht eingeschlagen, sondern die Finger zart fassend sie an seine Lippen gebracht, und auf ihr: »Gott grüß Euch, Vetter von Lindenberg!« hatte er eine Weile wie verwundert sie angeschaut.

»Ei das schöne Fräulein soll meine Muhme sein!«

»Gewiß, Herr, es ist die Eva«, sprach die Mutter erfreut, »so Ihr damals bei der Huldigung auf den Knien schaukeltet. Ihr sagtet noch, sie würde der Mutter gleichen.«

Der Gast schien sich noch von seinem Staunen zu erholen: »Wahrhaftig, ich glaube doch am Ende, ich bin hier in einem verzauberten Schloß. Fürchte, wenn ich ihre zarte Hand nicht festhalte, sie wird mir wie eine Nix verschwinden.«

»Macht sie doch nicht verschämt. Das dumme Ding ist schon puterroth und wagt nicht die Augen aufzuschlagen.«

Eva hatte wohl die Augen aufgeschlagen; sie schämte sich ihrer Hände; die waren noch roth vom Waschen. Und als er weiter sprach von einer Rose, die er in der Haide gefunden, die aber eines Fürsten Garten zieren würde, ward sie ganz ängstlich und hätte fortlaufen mögen, wäre die Mutter nicht gewesen, die ihm auch ihre zweite Tochter vorstellte.

»Welch ein Reichthum von Blumen im Walde! Rosen und Lilien, wie kommen die unter die Kiefern.«

»Wir denken so, die Agnes zu Unseren lieben Frauen nach Spandau zu bringen.«

»Ein frommes Gemüth sehnt sich nach dem Himmel. Doch nicht zu früh, Frau Muhme. Mit der Frömmigkeit muß man nicht gar zu sehr eilen, die Zeit ist lang.«

»Wie's der Herr schickt! Sind schlimme Zeiten, Herr von Lindenberg. Aussteuer können wir doch nur einer geben. Und weil sie so still ist, und so vor sich hinschafft, da meint mein Gottfried, und der Herr Dechant hats auch gemeint, sie schickt sich nicht für die böse Welt, und wie das wirsche Volk hier ist. Unser Herrgott nimmt die Stillen am liebsten. Der sieht nicht darauf, wie das Mannsvolk, ob die Backen roth oder blaß sind.«

»Aber«, flüsterte schelmisch der Herr von Lindenberg, »er sieht auf die Grübchen neben den Lippen, ob sich ein Schelm da versteckt hat. Der Schelm ist ein böser Schelm und neckt alle[59] Evas. Keine ist davor sicher und mögen sie so still und sittsam aussehen, als Eure Tochter.«

»Ja die Evas, lieber Herr von Lindenberg«, lachte die Mutter, »aber die heißt Agnes. Dummes Ding, was erschrickst Du Dich!«

»Sie wird nicht erschrecken, liebe Base«, lachte der Gast, »wenn der arglistige Schelm kommt, dem kein Menschenkind widersteht.«

Der Schelm kam nicht, aber Knechte und Mägde um den Tisch noch einmal zu füllen mit Allem, was das Haus und der Keller auftreiben konnte. Da sah man den Herrn von Lindenberg abermals ein ganz anderer werden. Hunger ist der beste Koch, heißt es, aber Hunger und Durst sind auch Fechtmeister, die den gesattelsten Ritter und Hofmann aus dem Steigbügel werfen. Der Herr von Lindenberg aß, daß es eine Freude für die Hausfrau war, so oft sie einschenkte, schenkte der freundliche Gast ihr einen freundlichen Blick.

»Daß solchem Herrn, der an besseres gewohnt ist, unser schlechter Wein mundet!«

»In solcher Gesellschaft!« sagte der Gast und reichte auf der einen Seite der Edelfrau, auf der anderen dem Junker Peter Melchior die Hand. Dabei wiegte er sich auf dem Schemel mit einem gar vergnügten Gesicht. »Ihr glaubt vielleicht, daß ich scherze. Denkt Euch Einen, der die ganz Woche im Block lag und am Sonntag wird er frei! Das Hofleben ist –«

Er hielt plötzlich inne. »Wir vergaßen auf die Gesundheit unseres durchlauchtigsten Kurfürsten und Herrn zu trinken, wie es guten brandenburgischen Edelleuten bei jeder Mahlzeit geziemt.«

Die Pokale klangen, und der Hofmann hielt es für angemessen, viele Worte zum Lobe seines jungen Fürsten zu sprechen. Da war keine Tugend, die er ihm nicht beimaß. Er sprach so lange, bis er den Pokal sich von Neuem füllen ließ. Diesmal galt sein Spruch dem Wohl der tugendsamen, sittigen Hausfrau, seiner lieben guten Base und Wirthin, dann den zarten Fräulein.

»Und daß der Bärenhäuter, der Gottfried, mein alter Freund, nicht zu uns kommt. Ich wollt' ihm einen Trunk bringen, daß er mir Bescheid thun müßte, als säße er noch an der Landtafel.«

Des edlen Gastes Heiterkeit theilte sich den andern mit. Man machte den Vorschlag, zum Langschläfer, wenn er nicht herunterkomme, hinaufzusteigen.[60]

»Wir wollen ihn wecken!« jauchzte Peter Melchior, der auch des süßen Weines schon viel getrunken hatte.

»Das überlassen wir seiner lieben Frau,« entgegnete der Ritter, welcher das bedenkliche Gesicht der Edelfrau bemerkt. »Frauen wissen immer am besten, wann es Zeit ist, daß die Männer aufwachen sollen.« Die Frau ging, die Töchter nahmen die Gelegenheit wahr mit ihr zu entschlüpfen.

»Eingeschänkt!« rief der Gast, der selbst einen Becher nach dem andern hinunterstürzte. »Herr Gott im Himmel und Sanct Petrus am Höllenthor, wie ist mir eigentlich wohl unter Euch.«

Der Dechant hob lächelnd den Finger: »Sanct Petrus, Herr Ritter, steht am Himmelsthor.«

»Wer da Wache hält ist mir gleich. Ich bin raus aus dem Himmelreich oder der Hölle, wie Ihrs nehmen wollt. Sanct Christoffel, der doch gewiß eine große Ehre hatte, als die ganze Welt ihm auf den Schultern saß, war gewiß auch froh, als der Heiland absaß. So ist mir heut in den Gliedern.«

»Wie Manche, Herr Ritter, möchten Eure Last mit Freuden auf ihre Schultern laden.«

»Freunde, ich sage Euch, 's ist ein – Doch davon nachher. Mir träumte heute eigentlich nicht, daß mir's so wohl werden würde.« Auf der Stirn des Gastes lagerte sich ein Anflug von Ernst; er strich mit der Hand darüber, wie um die Gedanken fortzustreichen, sie schwebten aber schon als Worte auf seiner Zunge. Es giebt Gedanken, die man aussprechen muß, um sie los zu werden.

»In Todesangst wachte ich heute Morgen auf. Die ganze Nacht hatte es vor mir getaumelt wie etwas am Strick. Schwipp, schwapp. Ich stieß es fort und immer kams wieder. Als ich nun endlich aufwachte, da die Hörner schon nach dem Gesinde riefen, packte ichs. Es war die Schellenschnur über meinem Bett, sie war vom Draht losgegangen.«

Die Zuhörer lachten.

»Lacht nicht zu früh! Die Hexerei kommt noch. Joachim war noch nie so gnädig, als den Tag zu mir. Ich spreche sonst gern und viel mit ihm. Einen Hecht an der Angel muß man nicht loslassen, auch Fürsten, so viel es geht, nie selbst denken lassen. Wer's los hat, muß ihnen die Gedanken, die sie denken sollen, in die Hand geben. Ich kann mich rühmen, daß ichs verstehe, sie so handrecht ihm zu drechseln, daß er damit spielt, als wären es seine eigenen lieben Einfälle. Nur heute gings[61] nicht. Er sprach gelehrt, wie seine Lust ist. Weiß der Geier, was meine Zunge lähmte; ich hörte schon wieder auf, wenn ich anfing. Mein Auge war wie mit einem Nebelflor umstrickt. Bisweilen kam es mir vor, als ritte neben mir der Scharfrichter.«

»Der Kurfürst!«

»Er hat manches Mal ein so strenges Gesicht, daß man daran gemahnt wird.«

»So erklärt mein Herr von Lindenberg selbst, was seine bösen Gesichter bedeuten«, sagte der Dechant. »Es war ein neblichter Morgen, und die Stimmungen, welche er von einer schlechten Nacht mit brachte, wurden in seiner Einbildungskraft zu Gespenstern.«

»Es bedeutet nichts etwas, es ist alles dummes Zeug«, fiel der Gast rasch ein. »Wir werden gestört durch die Dünste aus unserem dicken Blut. Aber als ich von der Jagd abkam und in die Richte zu jagen glaubte, stutzte am Waldeck mein Thier und steifte die Ohren. Mir surrte und schwirrte es auch ums Ohr, wie in der Nacht. Ich hätte nicht vorwärts mögen, aber Sporen klirrten, wie mich an meine Pflicht zu mahnen. Mein Rappe bäumte sich unter dem Druck, und als ich um den Eck war, stand ich auf einer wüsten, verbrannten Haide, in der Mitte ein Galgen, und dran hing Einer.«

Er schwieg einen Augenblick.

»Ihr werdet wieder sagen, ich hätte Gespenster gesehen. Ich glaubte es auch, da ich meinem Thier den Willen ließ und die Zügel schießen. Und noch mehr, das Gespenst verfolgte mich. Ich sah es vor mir mit geschlossenen und offenen Augen; ich war doch schon eine Viertel Meile fort und hinter jeder Kiefer baumelte es; Sporen an den Stiefeln, einen Federhut auf dem Kopf; ich sah jede Bewegung, die blassen, gekniffenen Finger, die blauen Lippen, das rothe, aufgeschwollene Gesicht.«

Der Junker Peter Melchior kreuzte sich. Alle waren still.

»Ich hielt an, ich schlug mich auf die Brust, ich rieb mir die Stirn. Nun betete ich ein Ave Maria und den Rosenkranz ab. Dann kehrte ich um, und ich kann Euch morgen den Weg wieder zeigen, den ich zurückthat, indem ich der Spur meines Pferdes folgte. Jede Fichte, jede Birke, selbst die Hollundersträucher merkte ich mir. Da kam das Waldeck, da die verbrannte Haide, der branstige Geruch, Raben und Krähen am Himmel, der Galgen, der Mann daran, Sporen an den Stiefeln, eine Federkappe auf dem Kopf – und ich war es, mein Gesicht.«

Lauter blasse Gesichter schauten sprachlos auf den Redner.[62]

»Da verging's mir,« fuhr er nach einigem Schweigen fort. »Es ward mir blau und roth um die Augen, alles drehte sich um, und lenkte nicht mehr mein Pferd. Ich weiß nur, daß es durch dick und dünn flog. Die dürren Aeste knackten, es rauschte in den Wolken, Ketten klirrten, Sporen klirrten, die Eulen krächzten. Dazwischen Waldhörner, Hussaruf, ich weiß nicht was. Ich weiß auch nicht, ob ich durch die Jägerhaufen flog, ob ich noch einmal an dem Galgen vorüberkam, mir war's so. Zur Besinnung kam ich erst, als es schon dunkelte, und mein Rappen keuchend, athemlos in einem blauen dunstigen Moor nach einer Wegspur suchte. Wie viele Stunden ich da noch in der Irre ritt, weiß ich nicht. Mir war kalt, mir war heiß zu Muth, wenn ich an daß zurück dachte, bis ich endlich Licht sah. Wär's ein Irrwisch gewesen, eine Teufelsküche, mich hätt's nicht gewundert; nun war's meines Freundes Götze Hohen-Ziatz. Ich bin hier und was denkt Ihr davon?«

»Ihr hattet vielleicht vergessen, den Abendsegen zu beten?« bemerkte der Dechant.

»Pah! Da müßt ich oft Galgenmännlein sehen.«

Peter Melchior hatte während der letzten Erzählung, die Hände unterm Tisch faltend, eine ganze Reihe von Gebeten zwischen den Zähnen gemurmelt.

»'S ist was nicht richtig in der Luft,« sagte er leise, »ich hab's von Anfang an gesagt. Die hagern Frauen an der Bleiche, der Krämer und sein verhextes Zeug, der Sturm, es geht was vor. Niemand weiß, wo's hinausläuft. Zwischen Gallus und Allerheiligen thut's nimmer gut, was vornehmen, aber Frau Brigitte hat keine Gottesfurcht, keinen rechten Glauben. Was mußte sie jetzt gerade die große Wäsche halten. Die hat's aufgerührt.«

Der Ritter hatte wieder sein vornehm stolzes Gesicht. Er saß im Stuhl zurückgelehnt, ein verächtliches Lächeln schwebte über seine Lippen:

»Auf eine Wäsche läuft's hinaus! Es thut mir leid, so ich Wäsche gestört hätte.«

Peter Melchior erzählte. Der Ritter hörte bei einigen Punkten aufmerksam zu, bis der Junker plötzlich mit den Fingern schnellt: »Nun hab' ich's, das Galgenmännlein! Claus Hedderich erzählte ja davon. Nicht der Ritter war's der Schneider Wiedeband. Richtig, der hängt noch am Galgen bei Beelitz in der Haide.«

Der Herr von Lindenberg lehnte sich über den Tisch. Es[63] war, als ob ihm mit dem frohen Gesicht des Junkers ein bleierner Bann auf der Brust sprang. Aber der Zweifel meldete sich wieder.

»Ein Schneider in Sporen!«

»O das ist eine lustige Geschichte. Hättet Ihr nichts davon gehört? Die von Beelitz zankten schon seit einem Jahre mit dem Schneider. Er war ein Gewandschneider, ein kleiner Mann nur, aber er hatte es dick sitzen im Kopf. Sagte es laut bei allen Zechen: ›Kleider machen Leute, also da der Schneider die Kleider macht, macht der Schneider auch die Stände.‹ Schneiderte sich selbst Kappen und Mäntel und Hosen, wie Rathleute und Junker; so oft ihn auch der Rath darum strafte, er stolzirte darin um, und sie brauchten ihn, denn Keiner verstand besser mit der Scheere umzugehen. Sonst hätten sie ihn längst in's Elend geschickt, aber er sagte, seine Amme hätt's ihm an der Wiege prophezeit, daß er als Ritter sterben würde. Nun hatte er den Rathsherrn ihre Mäntel zugeschnitten; aber ehe ein halb Jahr um war, wurde das Tuch mürbe und riß. Die von Beelitz machten ein furchtbar Geschrei, aber er schrie wieder. Die sagten, er hätte das Zeug mit dem Bügel verbrannt, er sagte, sie hätten ihm verbranntes Tuch geliefert. Getagefahrtet ward von einem Schöppenstuhl zum andern bis die Köpfe lichterloh brannten. Die Zeugen schlugen sich schon, die von Treuenbrietzen, von Jüterbock, selbst die von Wittenberg mischten sich drein. Endlich waren sie einig, die Justiz könne das nicht abthun, und Wiedeband sagte den Beelitzern ab. Das kam vielen damals curios vor, daß ein Schneiderlein einer Stadt dürfte einen Fehdebrief schicken. In Leipzig und Wittenberg haben sie darüber vor der Facultät gestritten, ob es ging. Aber es ging. Das Schneiderlein hatte seinen Anhang, und mit seinen Gesellen von der Scheere that er ihnen manchen Schnitt, wo sie sich's gar nicht versahen. In Jüterbock hatte er ein festes Haus und saß wie ein Ritter, und, was wirklich eine Schande ist, die sächsischen Herren drüben, weil sie den Beelitz'schen übel wollten, aus purer Scheelsucht, hielten ihn, als wär er zu ihnen. Er dürft' in Sporen und Federhut aus-und einreiten auf ihren Schlössern, und liehen ihm manches Stück Roß und Zeug zu Schaden der von Beelitz. Hätte er sich nur begnügt, ihnen aufzulauern und ihre Leute zu werfen, so hätte er's manches Jahr treiben können, aber der Kamm schwoll ihm, und eines Morgens rückte er mit einem hellen Haufen vor ihr Thor. Da rief er 'nein, der Schneiderritter: als sie ihm[64] hätten gebrannt Tuch geliefert, und dadurch gebranntes Herzeleid gemacht, so wollte er ihnen auch 'nen Brand zu riechen geben, daran Kind und Kindeskind denken sollten. Und gesagt, gethan, vor ihren Augen steckt er ihnen ihre Haide an, und ehe sie nur aus dem Schlaf in Hemde und Haube kriechen konnten, brannten zehn Morgen weg. Es wär' noch mehr Unglück geschehen, wäre kein Regen gekommen. Nun aber wurden die von Beelitz fuchswild und lauerten ihm auf, wo sie konnten. Sie bestachen eine fahrende Frau, zu der er hielt, in Jüterbock in der Vorstadt, die ließ Nachts die Knechte der Beelitzer in's Haus, und am Morgen, als er aufsprang, griffen ihn die Knechte, stellten ihn in ein Betttuch und warfen ihn auf 'nen Heuwagen. Ehe seine Freunde es merkten, waren sie mit gestreckten Zügeln über die Grenze, und Ihr mögt Euch denken, was das für Lust gab, als sie ihn im Sack durch's Thor fuhren. Ein Loch hatten sie 'nein geschnitten, da steckte er den Kopf raus, und hatte noch die Frechheit die Zunge rauszustrecken. Solchen Spaß haben sie in Beelitz ihr Lebelang nicht gehabt. Sie wollten ihn schnell judiciren; aber da gab es neuen Spectakel. Hatte die Frechheit, er wollte sich nicht hängen lassen als ein Dieb und Mordbrenner, da er in offener Fehde mit ihnen gewesen, und von den Sächsischen Herren kamen ihm einige zu Hülfe. Die zeigten eine Urkunde vor, daß sie ihm ein verfallen Burgrecht geschenkt oder verkauft; also wäre er ein freier Mann von drüben, und hätte Recht gehabt ihnen Fehde zu machen. Die Beelitzer, wie man sich denken kann, bestritten's, er sei ein Stadtkind gewesen und geblieben, also in ihrem Bann. Das gab ein neues Geschrei und Geschreibe. Endlich kam man überein, er sollte judicirt werden als ein Stadtkind, aber gehenkt als ein Ritter und da gab er sich drein. So hat das Schneiderlein bis auf die letzt seinen Willen gehabt und hat's durchgesetzt, der Kerl, wer sollt's glauben, daß sie ihn henken mußten mit Sporen und Federhut. Ja, wär's nach ihm gegangen, er hätte noch den Degen an der Seite behalten. Das war denn doch zu viel, auch die Sächsischen Herren wollten's nicht. Nun baumelt er so in der Haide, die er angesteckt. Hat's aber wohl nimmer gedacht, daß ihm noch im Tode die Ehre würde, daß unser Herr von Lindenberg den Schneider Wiedeband für sich ansähe.«

Alle lachten von Herzen über die lustige Geschichte; der edle Gast, der sich ihrer wohl entsann, war sichtlich aufgeheitert.

»Das ist nur dumm Zeug,« sprach er, indem er noch einen[65] vollen Zug aus dem Becher that, »was sie von dem Wafeln1 oder dem doppelten Gesicht reden. Wer in's volle Glas sieht, sieht sich auch doppelt, und er schlürft nicht den Tod daraus, sondern helle Lustigkeit. Weil's mir heute Abend so wohl gehen sollte, darum schauerte's mich so grauslich am Morgen. Das ist die Deutung: Glück, Glück! Wie wär's Ihr Herren die Becher klingen so hell, wenn wir sie noch anders klingen ließen. Hätte Lust ein Stündlein zu doppeln!«

Peter Melchior schielte den Dechanten an. Der zuckte die Achseln und hob drohend den kleinen Finger:

»Ei, mein Herr Ritter von Lindenberg, Ihr so vom Glück ohnedies begünstigt, was wollt Ihr's noch suchen gehen?«

»Immerzu!«

»Die Kirche verbietet auf Spuk und Deutungen etwas zu geben. So ich aber als Laie dächte; wäre es, das mein Herr Ritter gut rechnete. Auf böse Träume folgen Hochzeiten und Kindtaufen. Rabensteine und Leichen bedeuten Glück im Spiele. Wollt Ihr uns durchaus die Taschen leer machen?«

Der Ritter von Lindenberg warf einen vollen Beutel, auf den Tisch:

»Bis der leer ist nicht von der Stelle.«

Peter Melchior faßte leise an den vollen Beutel, er gab einen Klang.

Die Tische wurden abgetragen und drei Schemel herangerückt. Der Dechant nahm den Becher in die Hand und schüttelte ihn mit einem stillen Seufzer und niedergeschlagenen Augen: »Nun denn, um kein Spielverderber zu sein!«

»Nehmt Euch vor ihm in Acht!« flüsterte der Junker Peter Melchior.

Fußnoten

1 Wafeln heißt noch auf der Insel Rügen das Schottische zweite Gesicht, welches sich auch dort in Familien und Individuen zeigt.

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3.
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