Zehntes Kapitel.

Knecht Ruprecht im Walde.

[103] Wir verließen Hans Jürgen, wie er ein Kreuz schlug, und der Schattengestalt, die ihm gefolgt war, ein:»Gelobt sei Jesus Christus!« entgegen rief. Aber der lange, hagere Spuk war davon nicht entwichen, und nun sehen wir ihn sogar an der Seite des jungen Menschen durch den dunklen Wald schreiten.

»Wo kommst Du her, Ruprecht?« hatte Hans Jürgen gefragt, als das Blut ihm wieder durch die Adern schoß.

»Aus'm Schloß, Junker,« lautete die Antwort, die Hans Jürgen sich freilich selbst geben können.

»Und wohin sollst Du?«

»In den Wald.«

Das konnte Hans Jürgen sich auch sagen, aber er fragte nicht weiter, denn Ruprechts Anwesenheit war ihm nicht ganz unlieb, wenn er es sich auch nicht gestand. Wahrscheinlich ging der Knecht nach dem Dohnenstrich und ihr Weg führte sie da auf eine ziemliche Strecke zusammen. Hans Jürgen sprach nicht und Ruprecht auch nicht.

Nun aber trennte sich der Weg. Hans Jürgen mußte links, rechts zogen sich die Dohnen hin. Eine »Gute Nacht, Ruprecht!« rief er und bog links um. – »Ei sie könnte schlimmer sein,« antwortete der Knecht und folgte ihm.

So konnte er nur nach den Holzschlägen gehen zum Mühlenbau. Dann mußte er aber jetzt links durch die Brüche sich wendet. Hans Jürgen winkte ihm einen Guten Morgen! zu und ging raschen Schritts gradaus. »Ist weit vom Morgen,« murmelte der Knecht, und als Hans Jürgen sich umwandte, war er wieder hinter ihm.

Es war ihm lieb, und es war ihm wieder nicht lieb. Knecht Ruprecht galt für einen finsteren, mürrischen Kumpan, der seine Schuldigkeit that, aber nicht mehr. Den Scherz liebte er nicht, auch bei andern, und manchem verdarb er ihn. Aber bös war er darum nicht; wußte er doch die schönsten Märchen zu erzählen.[103] Und wenn man ihn nur darauf brachte, da ging es wie ein Uhrwerk los, Abends in der Volkstube, wenn das Gesinde beim brennenden Kienspahn am Spinnrade saß. Da war kein grauer Stein, kein alter Baum, kein dunkler Winkel, von dem er nicht Geschichten wußte, daß den Zuhörern das Blut kalt wurde. Im Kreise von Vielen, beim warmen Feuer hört sich das hübsch an, aber wer allein mit ihm über die Haide ging, bei grauen Wettern, der war nicht sehr begierig, daß Ruprecht den Mund aufthat.

Aber der Wald war auch unheimlich, und Ruprecht ein Mensch. Doch was sucht er hier? Auch auf dem Fußpfad, der nach Brandenburg führte, ging er nicht ab. Kräuter suchen war nicht die Zeit. War er etwa Hans Jürgens wegen hier? Wollte er ihm nachschleichen? Doch in welcher Absicht konnte das sein? Hans Jürgen wandte sich seitwärts in's Dickicht, rief dem Knecht ein Glück auf den Weg zu, und meinte, als er auf einem Umweg wieder auf derselben Stelle heraus kam, Ruprecht werde weit vorauf sein. Aber er stand noch da, auf seinen Stab gelehnt, und gaffte in's Blaue oder in die Krähennester.

»Warum stehst Du noch hier?«

»Ich wußte doch, Ihr würdet hier wieder rauskommen.«

»Woher wußtest Du's?«

»Weil Ihr da in's Moor geriethet.«

»Und wohin gehst Du denn?«

»Ich meine da, wo Ihr.«

»Hat's die Frau Dir geheißen, des Herrn Kleid suchen? Bat Dich nicht drum, mir auf Schritt und Tritt zu folgen.«

»Weiß es wohl.«

»Wer hieß Dich's, Ruprecht?«

»Ach Ihr wollt's wissen, Junker?«

»Will's!«

Hans Jürgen meinte, es sei vielleicht die Vorsorge seiner Muhmen gewesen. Er hoffte, es sei so, aber Ruprecht sagte trocken:

»Die Frau.«

»Die Frau hat Dir gesagt –«

»Lauf ihm nach, daß er sich nicht verirrt, und wenn ihm was begegnet, sieh zum Rechten, daß er nicht zu Schaden kommt; er ist ungeschickt und weiß sich nicht zurecht zu finden.«

Nun kam er sich erst recht gedemüthigt vor. Man traute ihm nicht einmal in den Wald zu gehen, gab ihm einen Aufseher[104] mit! Er schluckte an seinem Schmerz, aber dann und wann brach es aus den Augen, und er wischte mit der Hand das Feuchte fort.

»Ich brauche Dich nicht,« sprach er plötzlich. »Will allein meines Wegs gehen.«

Ruprecht blieb auch zurück, aber nur scheinbar. Hans Jürgen sah ihn immer wieder hinter den Büschen folgen, bis er selbst stehenblieb und ihn erwartete.

»Bleib nur bei mir. 'S ist mir am Ende lieber, daß ich Dich sehe, als Dich heimlich um mich weiß.«

Ruprecht nickte mit dem Kopf. »Ihr habt auch Recht, Junker. Wer da noch so heimlich geht, es schleicht ihm Einer nach, der alles aufmerkt. Aufseher und Aufpasser haben wir allzumal, bei allem was uns in den Kopf steigt. Die Priester sagen, das ist der liebe Gott und seine Engel. Die Priester wissen mancherlei, was wir nicht wissen; aber ich meine so, der liebe Gott und seine Engel hätten mehr zu thun, und das Aufpassen überlassen sie anderen. Und so Jedermann immer an die dächte, die heimlich um ihn sind, und als wie Ihr mich ruft und's nicht mögt, daß ich Euch so heimlich nachschleiche, wie's eigentlich die Frau wollte, ich meine, wenn er sie sich so dächte, offenbar, wie sie um ihn heimlich sind, dann mein' ich, wäre Manches besser als es ist.«

»Wer sind die?« fragte Hans Jürgen.

Der Knecht warf ihm einen eigenen Blick zu: »Meint Ihr, Junker, Ihr wärt allein, wenn's um Euch schwebt und schwirrt? Das trockene Blatt, das Euch der Wind nachfegt, das Reisig, das knistert, wenn Ihr's zertretet, der Leuchtwurm, der Käfer, der im Holze bohrt, die Luft, die in den Büschen spielt bei stiller Nacht. Ach du mein Gott, wo hätt's Worte, daß ich Euch all das nennte, was um Euch ist und Euch auf Schritt und Tritt begleitet.«

Sie waren an die Stelle gekommen, wo vorhin die große Wäsche war, wo noch eben die Reiter still gehalten, und wo jetzt, so wenig als damals, die Elennshaut hing. Vergebens blickte Hans Jürgen in die Kieferbäume, schüttelte an den Stämmen und suchte auf dem Boden, während Ruprecht ruhig dabei stand und seine eigenen Betrachtungen anzustellen schien.

»Gebt Euch nicht Mühe hier, Junker. Ich wußt es schon dort an der Koppelwiese. Wie's da durch die Stämme huschte, Ihr wart nur zu verloren in Eure Gedanken, und saht es nicht, die alte Frau mit der weißen Hucke. Wo die sich zeigt, ist's richtig. Da ist was gestohlen.«[105]

»Ich muß es finden, Ruprecht, und sollt ich –«

Ruprecht war so schweigsam geworden. Er sah, die Arme auf seinem langen Stock, ruhig den hastenden Bewegungen zu, die Hans Jürgen machte; er lief fast wie ein Hund im Kreis, der nach einer Fährte schnuppert.

»Nun, ich denke, mich braucht Ihr nicht. Bis hier nur hieß mich die Frau gehen.«

»Sagt Allen Ade im Schloß, wenn ich nicht wiederkehre.«

»Da geht's nicht rüber,« rief der Knecht, als Hans Jürgen eine Stange ergriff und einen Ansatz nehmen wollte, um über das Fließ zu springen. »Die Spur führt falsch.«

»Weißt du, wo sie zurecht führt, so sprich.«

»Bin nicht der kluge Schäfer aus Spandow, aber wer mit Siebenmeilenstiefeln geht, kommt nicht von Jeserich nach Brandenburg.«

»Ach Ruprecht, die Nacht ist so finster. Wo soll ich suchen?«

»Geht über die Brücke. Gott befohlen, Junker.«

Ueber der Brücke lag Nacht und Wald. Hans Jürgen blieb auf der Mitte stehen und sah sich nach Ruprecht um, der auch noch stand. Es ward ihm schwer, es kam nur leise heraus die Bitte: »Willst Du nicht ein Stück Weges noch mit mir gehen?«

»So macht' es Euer Ahn, der Wusso auch,« hub nach einer Weile, daß sie schweigend neben einander gingen, der Knecht Ruprecht an, »der meinte auch, er brauche Niemand und könne es allein finden, bis er den heiligen Johannes doch anrief, der hier zu Land der beste Führer ist.«

»Sieh mal da Ruprecht, zwischen der Lichtung, da liegt was.«

Ruprecht schüttelte den Kopf: »Das wird Euch noch oft so sein; Ihr glaubt was zu sehen, und wenn Ihr hingreift, ist's eitel Trug. Das ist die Frau Harke. Wo die Frau Hucke vorauf ging und wittert, wo was genommen wird, da kommt die Frau Harke nach, das ist das tückischste Weib, die streut hin, daß die Leute, die nachsetzen, geblendet und getäuscht werden. Mancher sah schon den Beutel mit Gold liegen, den er verlor, und wenn er zugriff, war's Pferdekoth. Die sind noch glücklich, die ihr Zeug zu finden meinen, und 's sind Kiefernnadeln oder ein Ameisenhaufen; aber wie viele verlockt sie in Bruch und Sumpf, und je weiter sie gehen, um so tiefer versinken sie. Hier thäte es Noth, daß man immer mit der Lampe und denn Crucifix die Höhen suchte, weil allerwegs Sumpf ist und offenen See. Seht, da blitzt schon der Gohlitz durch. Trau Einer[106] dem Wasser, so silberklar es aussieht. Jedes Jahr muß er ein Opfer haben, und ist's lange her, daß Keiner ertrank, so ruft und lockt ordentlich eine Stimme aus dem Wasser, und es währt nicht lange, so geht doch Einer hin, und sie sagen dann, er hat sich baden wollen, aber er ist ertrunken. Wen sie runter zogen, der plaudert nicht aus, was er sah.«

Hans Jürgen hörte in der Ferne Glocken. Er glaubte sie wären von Kloster Lehnin. Der Knecht lächelte.

»Habt Ihr sie auch gehört? Ich hörte sie schon lange. Die Glocken von Lehnin dringen hier nicht herüber. Das sind die Glocken aus dem Gohlitz: doch das hat nichts Böses zu bedeuten. Die unten denken nur an ihre eigene Noth.«

Hans Jürgen hatte wohl von dem versunkenen Dorf im Gohlitzsee gehört.

»Die mußten mal ihre Hoffahrt büßen,« fuhr der Knecht fort, »die stolzen Bauern. So viel Brod hatten sie, und Waizenbrod, daß sie die Schweine mit fütterten, und damit nicht genug, nein, sie haben den kleinen Kindern mit der Krume den Schmutz abgerieben. So gingen sie mit der lieben Gottes Gabe um. Da ist denn eines Tages der kleine Spring an der Höhe losgezogen mit Gepolter, und goß so viel Wasser in einer Stunde als in Jahren nicht, daß der Boden weichte. Und das Volk sah noch nicht Gottes Finger, es lachte und meinte, es müsse endlich aufhören, und gingen nicht von ihren Häusern und Schätzen, bis es zu spät ward. Da sank bei Sonnenuntergang das ganze Dorf ein, mit Mann und Maus, mit Vieh und Gärten und kein Einziger ist entkommen. Das soll ein Schreien und Blöken gewesen sein, und die Glocken klungen dazu, daß man es bis über die Havel gehört.«

»Das waren doch alles Heidenmenschen.«

»Seht, Junker, das ist's, was mir nicht recht ein will. Den Pfarrer darf man nicht fragen. Wo kriegen denn die Heidenmenschen die Glocken her? Denn das ist das Christenthum, daß wir Glocken haben. Wenn wir keine Glocken hätten, dann stünd es schlimm mit uns. Die Glocken verscheuchen die bösen Geister. Das fühlt auch jedes Kind, wenn's durch den Wald geht; das ist so was eigenes, wenn die Luft zittert. Dann zittert die Seele mit, und man weiß doch, was man ist.«

»Das sehnt sich nun alles nach der Erlösung«, fuhr der Knecht Ruprecht nach einer Weile fort. »Daher läuten sie um Mittag und Mitternacht; es hilft ihnen aber nichts; sie haben sich schon zu schwer versündigt. Manchmal zogen auch die[107] Fischer, die im Gohlitz fischen, so schwer mit den Netzen, daß es gar kein Zweifel war, sie hatten die Glocken darin, die 'raus wollten; doch sobald das Erz an's Licht kam, sank es unter. Da ist schon mehr als ein Netz verloren gegangen. An einem heiligen Weihnachtsabend, das ist aber schon sehr lange her, hat ein Fischer, der sie im Netz hatte, sie sprechen gehört. Die eine sagte zur andern:


›Anne Susanne,

Willte mett to Lanne‹,


als ob sie mit ihr zu Lande wollte; aber die andere sagte:


›Anne Margrete,

Wii willn to Grunne schete!‹


und da schossen sie gleich wieder zu Grunde.«

Sie stiegen jetzt aus einem tiefen und weiten Sandkessel, in dessen Mitte nur ein schwarzes Moor mit einigen dürftigen Lehmhütten lag, wieder in den höheren Kieferwald. Im Sande hatte Ruprecht die Spuren gefunden, denen er folgte; auf der Höhe verloren sie sich wieder in der Waldfinsterniß. Er richtete seine Blicke nur nach oben, wo der schmale Luftstrich zwischen den Wipfeln den einzigen Weg durch das Dickicht anzeigte.

»Hier seht Euch vor«, flüsterte der Knecht zum Junker, »und betet drei Paternoster, das ist die schlimmste Stelle. Da haben die Unholden recht ihr Wesen, und wer nicht muß, geht nicht zu Nachtzeiten.«

Und doch entsann sich Hans Jürgen, daß es ja der Weg nach dem Kloster sei.

»Ihr habt schon Recht. Eine halbe Stunde nur ist's bis hin, und doch hört Ihr nicht mal die Glocken. In der Niederung verklingen sie, daß die Töne nicht bis her dringen. Der Weg, auf dem wir gehen, ist nur ein schmaler Bergkamm, und bald werdet Ihr's zu beiden Seiten flimmern sehen. So, da blickt links schon der Gohlitz vor, aber rechts kommt gleich der Mittelsee, und drüben liegt das Nest Schwina, Gott sei bei uns! Wenn Ihr ein altes Weib seht, mit 'ner weißen Hucke auf dem Rücken, drückt die Augen zu und antwortet ihr nicht. Das ist die Frau Hucke, und ist der Korb braun, dann ist's die Frau Harke. Die treiben hier ihren Spuk; aber wer thut, als merkt' er sie nicht, dem thun sie nichts. Das ist noch kein Menschenalter her, daß ein Britzke und ein Hagen hier geritten kamen. Sie hatten einen reichen Kaufmannssohn aus Magdeburg bis auf's Hemd ausgezogen beim Würfelspiel; dort im Kruge von Jeserich, und hatten noch nachmals beim Abt in[108] Lehnin eingesprochen und stark getrunken. Der Abt hatte ihnen gesagt, sie möchten bei ihm nächten, weil's im Wald duster ist, und mit ihm, dem Abt, auch eins würfeln; wenn es Sünde wäre, käme das auf eins raus, und am Morgen könnten sie zur Beichte gehen, dann wär's rein gewaschen, eins und das andere. Sie aber lachten, sie wollten sich's im Wald überschlagen, ob das bischen Sünde den Beichtschilling lohne. Eigentlich fürchteten sie sich mehr vor'm Abt als vor'm Walde, denn es hieß, er hätte 'ne glückliche Hand. Kaum waren sie ein Paar Hundert Schritt vom Kloster im Elsenbruch, so wußten sie schon nicht mehr, wo sie waren. Sie drehten sich links und rechts und dachten, nun wollen wir doch umkehren. 'S ist besser Geld lassen und beichten beim Pfaffen, als das Leben lassen im Sumpf. Da sahen sie ein Licht und meinten es wär aus dem Kloster, aber das Licht ging immer weiter, und endlich sahen sie, es war eine Laterne, die ein Weib vor sich trug und auf dem Rücken hatte sie eine Kiepe, die war voll weiß Zeug gepackt. Sie gaben ihren Pferden die Sporen, doch je schneller sie ritten, um desto schneller trippelte die Alte fort, und sie hörten sie keuchen und husten, bis sie mal stille stand, und rief: ›Herr Jemine, ich glaube, da ist Jemand hinter mir her.‹ –

›Freilich du Wetterhexe‹, rief der Britzke, ›wir haben den Weg verloren.‹ – ›Wo wollt ihr denn hin, gnädige Herren?‹ rief sie wie ganz erschrocken. – ›Nach Kloster Lehnin zum Abt.‹ – ›Ach du meine Güte‹, sprach das Weib, ›da muß ich ja auch hin; da können wir eines Weges gehen.‹ – ›So führe uns‹, sagte der Hagen, ›und Du sollst den Lohn haben, den Du verdienst.‹ – Da trippelte sie vor ihnen her, berg auf, bergab, und um sie her ward alles dunkel, daß sie nicht einen Schritt sehen konnten; nur allein das Licht von der Alten. Nun riefen sie ihr zu, sie sollte doch nicht so schnell gehn, denn sie fürchteten sie zu verlieren. Da lachte sie – und schwor bei einem Heiligen, den beide Herren nicht kannten, das sei doch kurios: die Herren wären ja zu Roß, und sie zu Fuß, und sieben und achtzig Jahr alt! Der Britzke rief ihr zu, sie möchte wenigstens nicht so springen, das Licht in der Laterne könnte ausgehen, dann säßen sie ganz im Dunkel. ›Ach‹, sagte sie, ›dann leucht' ich mit meinen Augen, ich habe Katzenaugen.‹ Den beiden Herren war's doch nun ein bischen unwirsch, zumal, da sie immer tiefer in die Elsen und in die Brüche mußten, und gar kein Weg mehr unter ihren Füßen war. ›Wer bist Du denn, wo kommst Du denn her?‹ rief endlich der Britzke, da die Alte sich auf eine der[109] trockenen Palten im Moor niedergesetzt, und schnaufte wie nach Luft. ›Kennt Ihr mich denn nicht?‹ rief das Weib. ›Ich bin ja die alte Pracherfrau, die humpelt durch's Land, und sammelt, was die Leute zu viel haben. Wovon soll unsereins leben? Gestern war ich in Kemnitz, da hatte die gnädige Frau Wäsche. Da hat mir der liebe Gott manch Hemde und manchen Strumpf bescheert. Sie hatten ja viel zu viel.‹ – ›Warst Du nicht in Hohenauen auch?‹ fuhr der Hagen drein, denn er war von Hohenauen, wie der Britzke von Schloß Kemnitz, und dem Britzke war schon die Ader geschwollen bei der Frau ihren Worten, denn mit der Wäsche bei ihm zu Haus war's richtig, seine Frau durfte sich aber nicht unterstehen, auch nur ein Tüchlein fortzuschenken. Also hatte es die Alte aufgerafft. – ›Freilich war ich auch in Hohenauen‹, kicherte sie böslich. ›Ach da hab' ich erst hübsche Sachen eingepackt. Das war ein gesegneter Tag.‹ – Nun mußte der Hagen den Britzke ordentlich festhalten, daß er nicht lospolterte: ›Warte nur bis Lehnin, lieber Bruder. Hier hat sie uns, das Diebsmensch; da haben wir sie. Ich lasse sie peitschen.‹ – ›Mit den Hunden hetzen‹, kreischte der Britzke. – ›Das steht dann bei uns,‹ meinte der Hagen. ›Jetzt aber laß nichts merken, bis wir raus sind.‹ Aber die Alte hatte Alles gemerkt. Wie sie nun wieder vor ihnen lief, und die andern dicht hinter ihr her, warf sie ein Stück aus dem Korbe, und dann noch eins und so streute sie links und rechts in den Moor die feinsten Hemden, Tücher, Strümpfe und Laken. Dem Britzke kribbelte es in den Fingern, daß er's auflange. Das schönste, feinste Weißzeug ging so verloren. Aber der Hagen kniff ihn in den Arm: ›Bei Leibe nicht, das ist ja ihre Tücke. Wenn wir uns dabei aufhalten, entwischt sie uns. Nur darauf los!‹ Und so ritten sie darauf los, bis sie nicht weiter konnten, bis der Moor um ihre Augen spritzte, und das helle Wasser den Thieren bis an die Halfter ging. Ja ihr Schreien hörte Keiner als die Hexe. Die hielt ihre Laterne hoch: ›Nur ein bischen weiter noch, Ihr lieben Herren, da findet Ihr's wieder fest unter Euch.‹ Der Britzke riß auch sein Pferd noch einmal los, bis Mann und Roß in ein tiefes Loch stürzten: ›Hilf mir, Bruder Hagen!‹ schrie er, bis am Hals im Wasser. ›Hilf Dir selber!‹ rief es wieder aus allen Waldecken, und es lachte wie zehntausend Teufel. Da seht Junker, das ist der Mittelsee. Dahin hatte sie die beiden Herren verlockt, und nun ging der Mond auf und mitten auf dem See fuhr ein Kahn, ohne Ruder und Segel, ganz von[110] selbst, und drinnen ein weißer Bock, der meckerte. Und den Kahn und den Bock drin sieht man noch oft, Mittags, bei hellstem Sonnenschein über den See fahren; kein Wind bläst, und kein Mensch rudert.«

»Und die beiden Herren, Ruprecht?«

»Sind ertrunken und erstickt. Keine Seele hat sie wiedergesehen, und sie liegen noch im Moor. Da wagt sich auch kein Mähder hin, auf die falsche grüne Decke. Der Storch selber, wenn er sich niederläßt, wippt er sich erst mit den Flügeln, traut dem Frieden nicht.«

»Mann und Roß, das ist schrecklich.«

»Der Hagen hatte noch Zeit drei Vaterunser zu beten, und rief zum heiligen Rochus, seinem Patron, und davon mag's gekommen sein, daß sein Pferd sich durcharbeitete, nämlich in den See, es schwamm rüber, und dann fuhr es durch den Wald wie der Satan, und stand nicht eher still, als vor der Klosterpforte. Da wieherte es und schlug mit den Hufen dran, daß der Abt und die Mönche in Todesangst waren. Und davon erfuhren sie's, was vorgegangen war, und der Abt ließ Seelenmessen –«

»Konnte denn das Pferd sprechen?«

Der Knecht Ruprecht sah ihn groß an: »Solch ein Pferd Junker! – ein Pferd, mein' ich – nun Junker, das mein' ich, ist gottlos so zu fragen.«

»Herr Gott, was ist das!« rief Hans Jürgen.

Es schnaufte heran, durch die Büsche knisterte es, und ein wildes Pferd mit schnaubenden Nüstern, funkelnden Augen und zottigen Mähnen fuhr wie im Nu an ihnen vorüber. Laub und Erde stoben unter seinen Hufschlägen.

Ruprecht stand, die Arme auf der Brust gekreuzt, die Augen niedergeschlagen. Jürgen aber, so schnell es ihm auch aus den Augen war, hatte sich doch nicht enthalten können, dem Ungethüm nachzublicken.

»Ruprecht, sahst Du's?«

Ruprecht nickte mit dem Kopf.

»Das war Hans Jochem's Pferd. Ritt er nicht auf dem Falben vom Hof? Ja, ja, und das war auch sein Sattel.«

»Gelobt sei Jesus Christ, in Ewigkeit!« schloß der Knecht und schüttelte mit zufriedenem Lächeln den Kopf. »Das ist alles Satans Blendwerk, um uns zu irren. Und hättet Ihr Eure Schecke gesehen, sie wär's doch nicht. Das soll uns nur täuschen, Ihr glaubt, der Sattel war ledig. Ich sah aber einen reiten,[111] quer saß er drauf und schaukelte die Beinchen. Einer von den kleinen Leuten war's. Er grinste und steckte die Zunge raus; kreuzt Euch nur noch ein Mal. Sind auf dem rechten Wege und lassen uns nicht irren.«

Das Pferd wollte Hans Jürgen nicht aus dem Sinn, und er hörte nur halb auf die andere Geschichte, die Ruprecht erzählte: von der Hebeamme aus Kloster Lehnin, die sich eines Abends bei der alten Ziegelei verirrt und ein kleines Männlein war auf sie zugetreten und hatte sie gebeten, ihm zu einer Wöchnerin zu folgen, und auf seinen Ruthenschlag hatte sich das Wasser des Gohlitz wie eine Fallthür geöffnet, und sie war mit ihm hinuntergestiegen in das Reich der Kleinen, wo sie eine Frau glücklich entbunden, wofür der kleine Mann ihr erlaubte, vom Kehricht so viel zu nehmen, als ihre Schürze faßte, und als sie nach Haus gekommen, war das Müll eitel Gold geworden. Und daß die Nachkommen der Frau noch heute lebten und reiche Leute wären. Auch vom Klostersee drüben und dem grünen Hut, der drauf schwimmt, aber den Fischer, der ihn greifen will, zieht er in den Abgrund. Und von den Unterirdischen im Mittelsee, was ein gar wunderbar Geschlecht sei von schönen Seejungfern, die in Krystallpalästen wohnten, und wo Noth wäre, den kreisenden Frauen zu Hülfe kämen.

Hans Jürgen grauselte; sein Zittern und die kurzen Schritte, die er that, verriethen, daß er der Furcht war, hinter jedem Baumstamm könne ein neues Ungethüm vorschießen. Da wandte sich Ruprecht, der itzt ihm vorausging, mit langen Schritten zu ihm und er blieb bei ihm:

»Junker Hans Jürgen!« sprach er, »nur noch eine kleine Weile das Herz zusammengehalten. Dort am Waldrand, wenn wir in die Niederung kommen, da hören wir schon die Klosterglocken wieder, da müssen die Spukbilder weichen. Wer nicht auf bösen Wegen geht, hat sich nicht zu ängsten. Glaubt Ihr denn der Britzke und Hagen wären in den Sumpf gegangen, wie die blinden Heiden, wenn sie nicht schon dem Teufel den Finger hingehalten hätten? Der Spaß in Jeserich und der Soff im Kloster, und daß sie nicht zur Beichte gehen wollten, da hatte der Böse schon Quartier in ihrer Seele. Ihr seid doch noch jung und ohne Sünde. Dankt Gott, daß Ihr nicht reitet, wo der Hans Jochem reitet.«

»Ruprecht, Du glaubst doch nicht –«

»Bin nur ein schlechter Knecht und darf mich so was nicht[112] unterstehen zu denken. Aber der Teufel versteht keinen Spaß, der fragt auch nicht –«

»Ruprecht, der Herr von Lindenberg –«

»Ist ein gar feiner und vornehmer Herr, der weiß gewiß Alles besser als ich, und solchem schlechten Krämer auf den Kopf schlagen, das geschieht ihm im Grunde schon recht, aber Junker, ich weiß doch nicht, mir ist lieber, daß Ihr nicht dabei seid, und ich auch nicht dabei bin. Paßt mal acht, wenn Ihr zurückkehrt, und die Herren auch, Ihr habt's gefunden, was Ihr suchen ging't, und 's war Euch aufgetragen; und die haben gefunden, was sie suchen gingen, und kein Mensch trug's ihnen auf, paßt mal acht, wenn Ihr beide vor dem Muttergottesbilde am Dorf vorbei kommt. Ihr werdet dreist auf der Straße gehen, Eure Mütze ziehen und Eure Knie beugen. Die Herren, wett' ich, wenn sie das Bild sehen, meinen, der Weg sei zu sandig, und der eine schwenkt durch den Wald, wo der Sand noch viel tiefer ist, und der andere quetscht sich hinter dem Bilde durch den Moor. Sie wagen nicht der Mutter Gottes in das Antlitz zu sehen. Und nun denkt Euch, wenn Ihr zurückkehrt nach Ziatz!«

Das Bild, das der Knecht andeutete, trat Hansen mit einem Male vor das innere Auge, so hell, als der Wald dunkel war. Da kam er stolz über den Damm, und stieß in seine schrillende Pfeife vor dem Burgthor im Morgenroth. Die Zugbrücke war gefallen, die Edelfrau öffnete selbst das Thor und sah ihn fragend an. Ihr strenger Blick verzog sich in ein freundliches Lächeln. Sie hielt die Hand ihm entgegen: »Das ist brav von Dir, Hans Jürgen!« und hinter ihren Schultern blickte Eva's noch freudeglänzender Gesicht. – Wäre er aber zu Roß mit den Andern zurückgekommen, wie langsam, däuchte ihm, hätte er den Damm entlang reiten müssen, den Schatten der hohen Ulmen hätte er gesucht, sich und was er trug, unter dem Mantel verborgen. Was hätte der Wetterhahn auf dem Thurm verzweifelt gekräht, wie würde der Thorflügel geknackt, welche fragenden, scharfe, durchbohrenden Blicke würde die Burgfrau ihm entgegen geworfen haben. Ihm war so leicht, eine Centnerlast fiel ihm von der Brust, er schritt muthig zu und sah keine Gespenster mehr.

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 103-113.
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