Fünfzehntes Kapitel.

Kläger und Günstling.

In dem Kabinet des Kurfürsten waren nur der Krämer Hedderich und der Fürst. Dieser stand mit untergeschlagenen Armen; jener lag ausgestreckt auf dem Boden vor ihm.

»Schnell!« sagte Joachim. »Wenn Jemand einträte, könnte er denken, daß ich einen Sultan spielen wolle.«

»Durchlauchtigster Herr! so lag ich.«

»Das Uebrige magst Du stehend beschreiben.«

»So lag ich, als er mir den Stoß gegeben, von hinten; und eh' ich mich umdrehen konnte, war er vom Pferd und mir auf dem Rücken, daß ich glaubte, mir soll der Rückgrat brechen[171] von seinen Knieen. Die Ringe von dem Eisenhemd sind noch auf meiner Haut zu sehen.«

»Das Eisenhemd ward eingebracht. Was weiter?«

»Die Hände hatte er mir auf dem Rücken gebunden, als ich noch lag und nicht wußte, wie mir war; mochte auch glauben, da ich gar nichts vorher gesehen, es seien ihrer mehr. Nun aber, da er mich knebeln wollte und die Knie ein weniges losließ, kam ich freier zu liegen, so wie jetzt, und da ich sah, daß er allein war, und mich ungebärdig hätte, fluchte er; denn, wenn er die Riemen einthun wollte, schloß ich die Kiefern zu, und wenn er die Hand fort hatte, schrie ich. Also, da er's mit den schweren Handschuhen nicht zwingen konnte, warf er sie ab, und nun er mir nahe kam, biß ich ihm in den Daumen bis auf's Blut. Das kann noch nicht vernarbt sein.«

»Ein neues Indicium«, sprach der Kurfürst etwas in seiner Schreibtafel notirend.

»Und da er mich nun geknebelt und hitzig war, von wegen was es ihm gekostet und von wegen dem Biß, der ihm weh that, gab er mir Katzenköpfe mit dem Eisenhandschuh, daß mir das helle pure Blut floß, und schüttelte mich an der Gurgel, und da sprang ihm das Kinnband und die Büffelhaube rutschte in den Hinterkopf. –«

»Auch diese fand man im Schilf.«

»Es war ja schon ziemlich hell, und wir sahen uns Gesicht gegen Gesicht.«

»Und Du getraust Dich ihn wieder zu erkennen?«

»Und hätte ich ihn da zum ersten Mal gesehen. Wer sich so sah, vergißt sich nicht. Aber wie ich schon sagte, allerdurchlauchtigster Herr und Kurfürst, ich habe ihn schon oft gesehen in Eurer Gnaden Gefolge.«

Der junge Fürst sah mit verschränkten Armen vor sich nieder und schüttelte unwillig den Kopf: »Verflucht der Gedanke, der edle Namen bestecken will, verflucht die Phantasie, die nach Opfern sucht, ohne andere Leitung, als eine krankhafte Lust, vielleicht eine stille Abneigung, die ein Fürst bekämpfen sollte, statt gierig nach Nahrung dafür zu suchen.«

Indem er unruhig einige Schritte auf und abging, fuhr er im Selbstgespräch so laut fort, daß der Krämer es hörte:

»Und am Ende doch nur ein Stallmeister, ein Büchsenspanner, dessen schillernder Rock diesem für Zeichen von Würde, galt.«

Hedderich schüttelte den Kopf: »Wir Geringe, durchlauchtigster[172] Fürst, haben gelernt, die geputzten Diener von den großen Herren zu unterscheiden.«

»Und dessen bist Du gewiß, daß der Dich warf, nicht der Ritter Gottfried Bredow war?«

»So gewiß, Herr, die gebenedeite Jungfrau Maria in unbefleckter Empfängniß unseren Herrn und Heiland geboren hat. Das mögen seine Handschuh, seine Haube, sein Kettenhemd gewesen sein, er selbst war's nicht. Ich kenn' ihn gar gut, da ich alljährig wenigstens einmal nach Hohen-Ziatz komme.«

»Und doch lautet Deine Aussage anders im Protokoll des Schreibers vom Werder.«

»Gnädigster Herr Kurfürst, was so ein Schreiber schreibt, mag ganz gut sein, aber das ist's nimmer, was unsereins aussagt. Sie schreiben, was sie hören wollen, das weiß bei uns jedes Kind.«

Es trat ein Kammerherr ein und überreichte dem Fürsten ein versiegeltes Schreiben. Joachim öffnete und las es. Sein Gesicht drückte ein unverkennbares Erstaunen aus. Abwechselnd blickte er den Krämer und die Schrift an: »Lügst Du, oder dies Geständniß? Unmöglich! Wer könnte etwas eingestehen, was er nicht beging. Und alle Beweggründe mit logischer Ordnung aufgeführt. Hörst Du, Gottfried Bredow bekennt, daß er es war, der Dir nachjagte, Dich hinter Ferch einholte und warf. Er bittet um gnädige Strafe und will Dir Alles zurückgeben. Was sagst Du darauf?«

»Herr, mein Kurfürst,« sprach der Krämer, der sich aufgerichtet hatte und gebeugten Leibes auf das Papier schielte, wie auf eine Zauberrolle. »Da steckt der Teufel drin, wenn das drin steht.«

»Seine Namensunterschrift! Vom Voigt vom Mühlenhof beglaubigt.«

»Gnädigster Herr, werft das Papier fort.«

»Sein Wort gegen Deines. Er, ein Edelmann, klagt sich selbst an, Du willst ihn freisprechen. Die Präsumption ist, daß Niemand gegen sich selbst zeugt.« – Immer schärfer bohrten des jungen Kurfürsten Blicke auf den Mann. – »Seine Aussage klagt auch Dich an, Du hast also Grund, die Sache zu verdrehen. –«

»Herr, 's ist wahr, ich nahm die Hosen von der Leine, aber nur, weil sie vergessen waren und weil ich fror, knöpft' ich mich drein. Sie waren nicht werth des Mitnehmens; man hatte mir am Fließ zu arg mitgespielt. Das war doch nichts.«[173]

»Genug Dich zu verdächtigen. Wer bürgt mir, daß Du nicht bestochen bist vom Feinde eines meiner Hofleute, auf ihn auszusagen? Die Arglist unter den Menschen ist groß. Hier ein geständiger Verbrecher, der meiner Gnade sich unterwirft, und auf der andern Seite –«

Der Fürst ging, in sich versunken, auf und ab. Das Geräusch der Kommenden in dem Fürstensaale daneben begleitete seine ernsten Gedanken, wie das Rauschen eines Flusses. Es war eine schwere Sorge gewesen. Er glaubte sie Alle zu kennen, und traute Keinem. Nun war es gelöst, die Last zu strafen von seinen Schultern genommen. Was ging der Ritter von Hohen-Ziatz ihn an! Da war auch kein böser Ausgang, der ihn erschreckte, und Alle, zwischen denen sein Argwohn geschwankt, waren nun gerechtfertigt! – Waren sie es? Er brauchte, nur zu wollen. Der Elende vor ihm lauerte schlau auf seine Blicke, seine Worte würden der Widerhall der Wünsche seines Fürsten geworden sein. – Und warum konnte er sich noch nicht entschließen zu wollen?

»Der ist ein schlechter Gärtner, der das Unkraut nur mit den Füßen niedertritt, weil es ihm unbequem ist, sich zu bücken, daß er es mit der Wurzel ausreiße. Ich bin jung, und wenn die Nesseln auch brennen, meine Gärten sollen rein werden!«

Er winkte dem Krämer, vor dem Crucifix auf dem Betpulte niederzuknien.

»Es bleibt bei der Anweisung, die ich Dir gab. Du hältst Dich hinter dem Teppich; jene kleine Wandthür führt Dich dahin. Fasse ihn wohl in's Auge, aber prüfe ihn und Dich bis zu dem Augenblick. – Wirst Du in der strengsten Untersuchung, die ich anordnen will, als boshafter, falscher Ankläger erfunden, wehe Dir. Der Weg zum Galgen geht über Martern. Doch auch den guten Menschen können die eigenen Sinne täuschen, und schon die Anklage eines Schuldigen ist ein Makel, die keine Buße wieder abwäscht. Deshalb bete zu Deinem Schutzpatron, daß er Deine Augen hell sehen lasse, und hier schwöre bei dem Bilde des hochheiligsten Gottseibeiuns, daß Deine Blicke und Deine Reden Wahrheit seien.«

Der Krämer schwor. Der Fürst winkte ihm zu gehen. Die kleine Thür führte in einem engen, dunklen Gange durch die dicke Mauer bis in den Fürstensaal, wo die schweren Teppiche zu Seiten des Thronhimmels ausgespannt waren. Schon nach wenigen Augenblicken kam Hedderich mit offenem Munde, mit glänzenden Augen:[174]

»Er ist da, Herr, ich sah ihn!«

»Wen?«

»Ich weiß seinen Namen nicht. Aber ich könnte ihn malen. Er steht im violetten –«

Ein Zornblick des Fürsten wies den Ungerufenen fort: »Auf Deinen Platz! Ich will nicht Deine vertraulichen Hinterbringungen, ich will Deine feierliche Anklage, die Du den Muth haben sollst, vor meinem ganzen Hofe auszusprechen. Zwischen uns Beiden ist nichts mehr.«

Im Fürstensaale war der Hof schon lange versammelt; Räthe, Ritter, Geistliche, auch die Bürgermeister von Berlin und Köln. Vielen der Herren sah man es an, daß sie hier ungern waren. Der Lederkoller, der Pelz und der Harnisch war ihnen lieber als der geschlitzte Wamms von Tuch. Solche von Sonne und Trunk geröthete Gesichter mit buschigtem Bart, mit wild schielenden Blicken! Einige hatten sich schon gewöhnt; sie standen manierlich da in schön gepufften Hosen mit knapp anschließendem Wamms, mit Halskrausen und einem wohlgekämmten Bart, gewärtig das Baret, das etwas schräg auf dem Lockenkopf schwebte, beim Eintritt des Kurfürsten mit leichtem Griff zu lüften. Diese traten unwillkürlich mehr in den Vordergrund, während die Andern ganz zufrieden schienen, hier in den Hintergrund gedrängt zu sein, wo für sie keine Ehre war. Der Edelmann, der noch trotzig, seine Knechte vorauf, durch das Oderberger Thor gesprengt, und dem Wirth zur Herberg, dessen Blicke ihn vielleicht gefragt: »Ei in dem langen Waffenrock zu Hof?« geantwortet hatte: »Hauskleid ist Ehrenkleid, so trugen's meine Väter, ehe die Hohenzollern wie Pilze im Sand wuchsen!« Dieser Edelmann war doch andern Sinnes, als er die Treppen heraufkam, und Alle um ihn hatten den gesteppten Faltenrock zu Haus gelassen, und das geschlitzte Wamms, das nur bis zur Hüfte reichte, anzogen. Er fluchte für sich über die Affen, aber er ließ sich gern hinter die Affen drängen, daß sie vor ihm ein Schirm würden.

Niemand sah aber stattlicher aus in dem feinen Hofkleide, als der Ritter von Lindenberg, Niemand bewegte sich leichter darin, Niemand schien wohlgemuther und war die Freundlichkeit selbst gegen Jedermann, der sich an ihn drängte, und deren waren Viele. Doch hätte man bemerken können, daß er alles dies erst im Verlauf geworden, denn als er unter den ersten, die sich eingefunden, allein war, war er einsilbig, er schien von Unruhe geplagt, und gab solche Antworten, daß die, welche mit[175] ihm sprachen, zu bemerken glaubten, als habe er, was sie fragten, gar nicht gehört. Erst seit der Dechant von Alt-Brandenburg sich unter den geistlichen Herren eingefunden und ihm aus der Ferne zugenickt hatte, war sein Gesicht verändert. Da wurde er Liebe und Sanftmuth selbst, und obwohl der, mit dem er gerade redete, ihm bemerkt, daß der geistliche Herr am andern Ende ihn sichtlich zu sprechen wünsche, hatte er gesagt, das habe wohl keine Eil, er stehe mit den Pfaffen nicht in so guter Freundschaft, um andere liebe Freunde, die ihm Theilnahme schenkten, darum zu verlassen. Auch redete er noch mit dem und jenem auf dem Wege und wechselte dann mit dem Dechanten nur kurze Worte; doch von dem ab war der Herr von Lindenberg so freudig geworden, wie wir sagten, und selten hatte man ihn so bei Hofe gesehen.

Da trat er in den Kreis, den viele Herren um den alten Geheimrath von Schlieben bildeten, welcher ein Minister des Kurfürsten war, und für einen sehr vorsichtigen Staatsmann galt, welcher sein Gesicht und noch mehr seine Worte bewachte. Die Herren wünschten zu horchen, wie denn wohl der Landtagsabschied lauten würde, und ob der Kurfürst wohl heut schon, beim großen Hoftage, etwas davon werde verlauten lassen, wenn er rede, wie er pflegte. Der von Schlieben sagte mit einer sehr wichtigen Miene, er wisse zwar nichts, glaube indessen doch, daß getreue Stände sehr dankbar mit dem gnädigen Bescheide sein dürften.

Kurt Schlabrendorf sah den Herrn von Lindenberg an: »Ist's so? Das wär's erste Mal.«

»Es ist eine Freude, den Abschied zu lesen, mein theurer Herr von Schlabrendorf. Man kann sagen, man konnte ihn ordentlich sich so denken.«

»Die sieben Propositionen wegen der Bierziese?« fragte Ewald Schenk.

»Die sind abgelehnt.«

»Das konnte man sich freilich denken. Aber unsere Anträge?« sagte Kurt von Schlabrendorf, »die der Marschall nach dem heftigen Tage verglich?«

»Sind auch abgelehnt.«

»Aber die Punkte wegen des Rezeßgeldes unserer altmärkischen Städte,« fragte Wigand Alvensleden, »und die Auseinandersetzung mit der Hanse?«

»Abgelehnt.«

»Na die werden spuken und fluchen in Stendal und Salzwedel!«[176]

»Ach aber in so väterlichem Tone!«

»In Summa also Alles abgelehnt,« rief der von Schlabrendorf. »Wozu waren wir denn beisammen?«

»Na, was denn noch!« sprach ein Bardeleben, als der von Lindenberg dazu abwehrend ein erschrocken Gesicht gemacht.

»Die Hundebrücke erklärt Kurfürstliche Gnaden sich bereit, aus höchsteigener Kasse neu aufzimmern zu lassen.«

»Die Hundebrücke!« wiederholten viele Stimmen auf einmal.

»Ueber die der Prozeß neun und dreißig Jahr schwebt zwischen Kämmereikasse und Ritterschaft von Teltow. Versteht wohl, Ihr Herren, diesmal, ohne Präcedenz für künftige Fälle, will Kurfürstliche Gnaden die neue Bohlenlage und den Strauchzaun auf eigene Kosten fertigen lassen; aber aus freien Stücken, nicht in Erwägung Eurer Gründe. Die Ritterschaft in Teltow kann dies als ein besonder Zeichen fürstlicher Huld und Gnade betrachten.«

»Auch gut!« sprach Fritz Kröcher und strich sich den rothen Bart. »Werden Kurfürstliche Hunde nicht mehr Gefahr laufen, zu ersaufen.«

Ein ehrwürdiger Greis, der auf einen Stock sich stützte, schien etwas von dem Gespräch gehört zu haben und wandte unwillig den Kopf. Mehrere jüngere umstanden ihn, in ehrfürchtiger Anhänglichkeit, wie Stammgenossen ihr Altershaupt. Es war der Senior der Bredow. Die Familie stand hier fast allein. Einige waren der Meinung, die Bredow hätten sich gar nicht zeigen sollen. Der Herr von Lindenberg aber trat auf den alten Bodo zu und machte eine Bewegung, als wolle er die Hand zum Druck ergreifen; doch als verstände er es nicht, hielt der Greis seine Hände fest auf den Stockknopf.

»Die Sache wird sich ohne merklichen Schaden für uns alle ausgleichen,« sprach Lindenberg. »Wie ich eben höre, hat Euer guter Vetter von Ziatz schon eingeräumt, und was ist denn nun eigentlich so gefährliches in der Sache? Er hat sich sein Recht verschafft, nur ein wenig zu rasch.«

»Und ward in Ketten eingebracht,« knirschte der Senior.

»Seine Durchlaucht,« sagte der Geheimrath leise, »wird zuerst auffahren. Da können wir uns gefaßt machen auf sehr schöne Reden. Er wird uns den Justinian auseinandersetzen, die Gränzen der erlaubten und unerlaubten Selbsthülfe. Er wird die Sache drehen und wenden, die Juristen des Alterthums citiren, uns deutlich machen, was davon auf ein christlich Reich paßt und was nicht, und wenn er sich gesonnt hat in unserer[177] Verwunderung über seine Gelehrsamkeit, übergiebt er die Sache dem Geheimrathe zur Begutachtung. Dann wird unser Herr von Schlieben das Ganze erwägen und überdenken und mit höherer Weisheit in's rechte Schick bringen, das heißt, er wird mit andern und vielen Worten das für Recht erklären, was der Kurfürst will.«

Der alte Bodo stieß mit seinem Stock auf die Diele: »Daß Gott erbarm, Herr! Ich wünschte – der Kurfürst hätte nicht so kluge Räthe,« setzte er in den Bart murmelnd hinzu.

»Der Kurfürst!« es rauschte durch die Versammlung, die Federhüte und Barette flogen von den Köpfen. Joachim schritt durch die Reihen, die sich theilten, nach dem Thronsessel. Er musterte eine Weile die Anwesenden. Sein Gesicht war blaß, sein Auge so ernst und forschend, als man es lange nicht gesehen. Er sprach dann in wohlgesetzter Rede über Vieles, aber nicht mit dem jugendlichen Feuer, das man an ihm gewohnt war. Er sprach, wie von der schmerzlichen Ueberzeugung durchdrungen, daß was vor seiner Seele leuchtend stand, den Andern fremde, ferne, gleichgiltige Dunstbilder seien, daß seine tönenden Worte nur dumpfe Klänge für die Mehrzahl blieben; er sprach für sich, nicht für die Andern, wie vor einer unsichtbaren Macht, welche von ihm Rechenschaft forderte.

Er sprach von der Universität, die er zu Frankfurt gründen wolle, daß nun endlich alle Hindernisse gehobelt seien, die diesem hochwichtigen Werke im Wege gestanden. Sie solle das Siegel werden, so hoffe er zu Gott, gedrückt auf die Mission seines Hauses: die Mark Brandenburg, dieses alte, durch theures Blut dem deutschen Gesammtvaterlande erworbene, dieses ehemals blühende, reiche, herrliche Land, wieder zu erheben aus der Verwilderung und Zerrüttung zu einem gesunden kräftigen Gliede des deutschen Reiches. Nicht durch Fehde und Krieg, nicht durch wilden Trotz und gesetzlose Freiheit, nicht durch Festhalten an der alten Unsitte werde der Märker aus der Barbarei sich erheben, sondern durch friedfertige Unterwerfung unter das Gesetz und durch liebevolle Aufnahme der Männer, welche er berufen, durch Lehre und Wort, durch Beispiel und edle Sitte die alte Unwissenheit und böse Art zu bändigen und den Geist zu lösen, daß er auf edleren Bahnen vorschreite. Er nannte die Männer, die er gewonnen, deren Ruf durch ganz Germanien strahle. Er hoffe, daß ihr Licht von den Wellen der Oder über Spree, Havel und Elbe nur heller in das Reich zurückstrahlen werde. Vor allem sei er bedacht gewesen, Männer zu finden, in denen der[178] Geist der heiligen Kirche lebendig, und die durch tiefe Gelahrtheit das Licht des allein selig machenden Glaubens nur heller leuchten machten in dieser Finsterniß. Denn dieses Licht sei vor allem nöthig, und der Geist, der durch die umnachtete Wildniß allein seinen Weg sich suche, verirre und gerathe auf gefährliche Abwege. So hätten es auch die Väter der Väter erkannt, die alten Regenten, unter denen Milch und Honig in der Mark geflossen und die Rebe geblüht und Früchte getragen. Er wies hin auf die hohen Thürme und ehrwürdigen Kirchenbogen, die für die Ewigkeit in den lockeren Fußboden gesetzt, auf die stolzen Klöster von Chorin und Lehnin, auf die Münster und Dome von Brandenburg, Angermünde, in Prenzlow, Havelberg, Tangermünde und die Andern. Gedächtnißsäulen wären sie der gottergebenen Kunst, der frommen Wissenschaft, die noch den späten Enkel in Erstaunen setzen würden; diese Kunst und Wissenschaft sei erloschen seit zwei Jahrhunderten. Nun sei es die Aufgabe derer, die leben, mit dem zurückgekehrten Frieden seine Künste zu pflegen, das Verfallene wieder aufzurichten und Neues zu bauen, damit auch sie der Nachwelt Zeugnisse und Documente ihres edlen und gottgefälligen Daseins hinterließen.

»Denn eine Zeit, die nichts an Werken hinterläßt zur Erbauung und Stärkung und Nacheiferung denen, die nach ihr leben, ist wie ein todtes Glied an einem gesunden Körper, es wäre besser, wenn es ausgeschnitten würde. Wer nur Gott lebt und seinem Erlöser in der Stille hin, den darf ich nicht tadeln, denn er lebt für das Himmelreich; aber wen Gott niedersetzte auf dieser Erde und gab ihm Stärke und Ansehen und Mittel, der soll es nicht verprassen und vergeuden, sondern schaffen für sein Reich auf dieser Erde, und seine Stunden, seine Worte, seine Gedanken und seine Handlungen sind gezählt, wie die Haare auf seinem Haupte.«

Wie suchten da umher des Fürsten Blicke! Einige schlugen die Augen nieder, Andere sahen ihn groß an; sie verstanden nicht, was er meinte.

Er sprach weiter. Loben konnte er seine getreuen Märker nicht, aber schelten mochte er sie auch nicht, daß sie nicht eifriger ihn unterstützt. Etwas Bitteres kam über seine Lippen aber er verschluckte es wieder. Denn wozu Bitterkeiten; sie sind Gift, das nicht heilt, das die Wunde nur schlimmer macht und ein eignes feines Gift, das meist dem mehr schadet, der es ausstreut, als dem, welchem es zugedacht ist.

Er sprach auch von dem neuen hohen Gericht, das er mit[179] des Kaisers Willen in seinen Erblanden stiften werde, allwo in der Kammer alle Streitigkeiten, die früher an Kaiser und Reich gingen, sollten geschlichtet werden, die Schöffen, die er setzen werde, halb aus Gelehrten, halb aus Edelleuten, sollten dort Recht sprechen, sonder Ansehen von Stand und Person, ja gegen ihn selber, wenn sie ihn im Unrecht befänden. Und er gelobte für sich und hoffe es zu Gott für all' seine Nachkommen, daß er keinen darum absetzen wolle, noch entfernen, weil er ein Urtheil gefunden, das ihm, dem Fürsten, mißbehage, und weil er das für Recht gehalten, was er, der Fürst, für Unrecht halte. »Denn wo der Richter dienstbar würde eines Menschen Willen, und sei es des Kaisers selbst, das ist kein Recht mehr, das vor Christus bestehen kann, noch ist es dann ein deutsches Recht, sondern ein türkisch Recht, davor uns Brandenburger der liebe Gott bewahre! Es soll aber ein wahrer Richter fest stehen und unantastbar wie der Priester des Herrn, und wie der soll er vor keinem gewaltigen schrecken. Aber« rief er mit kräftiger Stimme und stand von seinem Sessel auf – »ich will auch, daß die Richter gegen jedweden Uebertretenden der Gesetze, die da sind, sprechen nach ihrem vollen Klang. Der Wahlspruch des gelehrten Henning Göde, der in Wittenberg das Recht lehrt, ist auch meiner: ›Gesetze, auf welche nicht gehalten wird, sind Glocken ohne Klöppel1‹! Wie ich nicht dagegen fehlen darf, soll es keiner meiner Unterthanen, er stehe so hoch und fest er will, und meinem Herzen so nahe, als mein liebster Blutsfreund.«

Darauf war er von den Stufen des Thrones herabgestiegen und winkte Einigen näher zu treten, darunter auch dem alten Bodo.

»Was mir die Stirn in Falten legt, was meinen Sinn vergiftet, Ihr wißt es. Es ist was Arges geschehen, Gott verzeihe mir, wenn ich dem nimmer verzeihen kann, der es that. Wer es auch sei, ausgestrichen sei er aus dem Buche der Gnade. Denn mit der Schande keinen Vertrag und gält es mein Leben! Doch wen es traf, und er wird überwiesen, den allein straf ich[180] nicht sein Blut und seine Sippschaft. Darum braucht keiner die Augen niederzuschlagen, der einen Blutsfreund in der Schuld weiß; wenn er ein guter Mann ist vor dem Recht, ist und bleibt er auch vor mir ein guter Mann.«

Auf seinen Wink nahte sich ihm ein Edelknabe mit einem Kissen und ließ sich vor dem Fürsten nieder auf die Knie.

»Die Kettenträger unsrer lieben Frauen treten vor!« sprach der Fürst.

Nur drei oder vier alte Männer traten vor.

»So wenige nur, und es war ein so guter Orden! Ist die Zucht so schlecht worden, daß meine Väter so Wenige werth hielten, oder ist die Zeit eine andere worden, daß was gut war, jetzt nicht mehr gut ist; und es sind noch nicht achtzig Jahre um, daß mein erlauchter Großohm, Friedrich der Andere, den Schwanenorden gestiftet! Wo sind die Burgsdorfe,« rief er, sich umschauend, »die Hoym, die Arnim, die Bartensleben und Bodenteich, die Bredow, die Jagow, Schlieben, Kerkow, die Alvensleben, Krummensee, die Schenk, die Waldow, die Schulenberg und Schlabrendorf, die so oft gewürdigt waren das Bild der allerheiligsten Jungfrau mit den Sonnenstrahlen um ihr Haupt, den Mond zu Füßen, auf ihrer Brust zu tragen? Ist Keiner mehr, der trachtet, daß er sich ›ehrlich und füglich für schämliche und schändliche Missethaten, für Unfug und Unehre treulich bewahre, verschwiegen sei und der Mitgenossen Ehre auf alle Weise rette‹? Möchte Keiner mehr geloben, daß er, so oft die Sonne aufgeht und untergeht, zur Mutter Gottes bete, trachtet Keiner mehr nach dem Bilde, das ihn erinnere, dankbar zu sein zu jeder Stunde für die Gnade Gottes, der ihn durch seinem Sohn Jesum erlöset hat?«

Es war still umher.

»Da sei Gott für,« hub er weiter an, »daß die Zeit um sei und nicht wiederkehrte daß meine Ritter nach christlicher Ehre trachten! Ist die Stiftung veraltet, stifte ich sie neu.« Und er winkte dem Kanzler. Der alte Schlieben entrollte ein Pergament und verlas die Urkunde.

Joachim schaute sich wieder um und winkte den Bürgermeister von Berlin zuerst heran.

»Knie nieder!« sprach er. »Dein frommes Walten ist mir nicht entgangen. Ein Siechenhaus hast Du gestiftet und ewige Renten geschenkt den Spitälern zu St. Georg und an den drei Linden. Da nun die Zacken, die zusammengepreßten Herzen in dieser Kette die mancherlei Gebreste des menschlichen Lebens vorstellen,[181] so muß der sie tragen, der täglich den Gebrestigen den Arm reicht und den Hungrigen Brod giebt. Stehe auf Mathias, als Ritter des Schwanenordens.«

Ein Murmeln ging durch den Saal: »Wo sind seine vier Ahnen!« – »Er ist kein Edelmann.«

»So sind meine Ritter,« sprach Joachim, »doch noch vertraut mit den Satzungen des Ordens. Aber Ihr vergeßt, daß ich die alte Stiftung neu gemacht. Meine im Uebrigen, daß der ein besserer Schwanenritter ist, der die Geschlagenen am Wege aufhebt, als der sie schlug und liegen ließ.«

Da ward es wieder still, Mancher ließ den Kopf sinken. Der Kurfürst winkte den Altermann der Bredows:

»Die Ernte war schlecht im Havelland?«

Bodo sah ihn verwundert an, die Andern auch.

»Und Deine Aussaat gut,« fuhr der Fürst fort. »Du kannst nicht dafür, daß sie nicht aufging.«

»Der Roggen trug gut aus, gnädigster Herr, und wenn Nässe und Stürme den Hafer und die Gerste verdarben –«

»Du sätest Besseres aus als Roggen und Hafer«, fiel Joachim ein und legte seine Hand auf des alten Bodo Schulter. »Wenn Zucht und Sitte nicht aufgingen, ist's nicht Deine Schuld. Der beste Vater kann nicht dafür, wenn nicht alle seine Söhne gerathen. Und doch entging mir's nicht, wie Du in Deinem Haus gewaltet, wie Du der rohen Lust der Deinen gewehrt hast. Bodo Bredow knie nieder,« sprach der Fürst und nahm die zweite Kette vom Kissen.

Wie da Aller Blicke auf dem alten Bodo und dem Fürsten hafteten; das hatte Keiner erwartet. Der polnische Abgesandte hatte vorhin, da er die vielen Bredows im Saal gesehen, verwundert gefragt, ob man ihnen denn die Waffen nicht abnehme; wenn so etwas bei ihm zu Haus sich ereignet, daß ein Glied eines großen Hauses gekränkt worden, wie hier, würde man sich vorsehen, die Sippschaft nur zu Hof zu lassen. Fritz Rohr, der ihn herumführen mußte, hatte gelacht: »So schlimm ist's bei uns nicht;« jetzt aber flüsterte er dem polnischen Herrn in's Ohr: »Paßt Acht, er will ihn kirr' kriegen. Bin doch neugierig, ob der Alte in die Falle geht.«

»Durchlauchtigster Herr Markgraf, ich bin zu alt zum Knieen,« sprach der Senior.

»So neige deinen Hals, ich weiß keinen würdigern Kettenträger.«[182]

Der Alte blieb aufrecht stehen; ein leises Zittern sah man doch an den magern Händen, die den Stock hielten.

»Hilf mir Gott, mein Markgraf, ich kann nicht. Spare die Kette für die, so nach Ehre dürsten. Liegt doch meine im Grabe. Wie soll ich sie tragen, sonder Scham, die mir's zur Pflicht macht, der Mitgenossen Ehre auf alle Weise zu retten, derweil ich meinen nächsten Blutsfreund in Ketten und Schmach weiß und darf ihn nicht retten.«

Vorhin waren die von der Sippschaft gemieden worden, wie man solche meidet, die mit Aussätzigen zusammenkommen. Als der Fürst Bodo vorrief, trat Mancher an die Vettern und drückte ihnen verstohlen die Hand und sie nickten ihnen zu mit freundlichen Blicken. Jetzt fuhren sie zusammen und ängstlich schauten sie auf den Fürsten und auf den alten Mann. Die Reden hatten die Wenigsten gekümmert; sie nahmen sie hin wie etwas, das sein muß, weil es eine Mode ist; auch daß er den Matthias zum Ritter gemacht, kümmert sie eigentlich wenig. Er war ein Ritter des Fürsten, aber nicht ihrer. Aber, daß ein Vasall sich unterstand, Ehren auszuschlagen, die ihm sein Fürst bot, das, meinten sie, würde den Zorn des Markgrafen wecken. Aber Joachim sah den Alten nur ernsthaft an, dann winkte er ihm fast freundlich:

»Du thust Recht. Der gute Mann muß froh sein mit den Seinen, und wenn sie traurig sind, mit ihnen trauern.«

Er legte die Kette wieder seitwärts auf das Kissen, als wolle er sie für den noch aufheben, der sie von sich wies.

»Wilkin Lindenberg!« rief er, das dritte Band aufnehmend. Ein leises Athmen ging durch die Versammlung, als habe man's erwartet. Schwer wär's zu sagen gewesen, ob auf den Gesichtern nur lauter Freude oder auch der Neid mitsprach.

»Was lächelt Ihr?« fragte leis sein Nachbar den Dechanten von Altenbrandenburg, der mit einer eigenen Bewegung die Hand über das Gesicht brachte.

»Ich lächeln!« und die Hand fuhr schnell zur andern, und beide hoben sich gefaltet zur Brust. »Das Glück lächelt so selten denen, die es verdienen, sagen die Kinder der Welt; wir Andern freuen uns daher, wenn es einmal nach Gottes unerforschlichem Rathschluß einen Würdigen trifft.«

»Das ist der Lindenberger.«

Ein stiller Händedruck bestätigte es: »Wenn Ihr ihn erst kenntet, wie ich ihn kenne. – Still, er redet.«

»Lindenberg, ich will Dich nicht erröthen machen, noch die[183] Andern, indem ich Dich vor ihnen lobe. Was Deine Stimme im Rathe gilt, was Du gethan für Deinen Fürsten, das mögen sie sich sagen lassen von denen, die in meinem Rathe oft auf Deine Worte lauschten. Aber was Du mir gewesen bist, die Säule, an die ich in den Stunden der Mutlosigkeit lehnte, der frische Lufthauch, wenn des Tages Hitze mich niederwarf, der kalte Wind, der mich aufrüttelte, wenn ich ermattend in Schlummer sank, wo ich wachen sollte, der einzige Geist,« setzte er leiser hinzu, »unter so vielen Schemen, der mich versteht, das mögen sie Alle hören, mögen sie Dich darum neiden, solcher Neid ist gut, er weckt Nachahmung. Du, der einzige, den ich ganz wahr erfunden, weil Du mir Wahrheit, die volle Wahrheit ins Gesicht sagtest. Das ist Rittertugend, die nicht der Ehrenketten bedarf, sie lohnt sich selbst. Darum schlinge ich diese hier um Deinen Hals, nicht als Lohn, sie soll die Kette sein, die Dich und mich, will's Gott, auf ein langes Leben zusammenfesselt. Knie nieder, Freier von Lindenberg.«

Auf des Fürsten Lippen schwebten noch die Worte: »So gedenke ich der Stunde gestern,« aber er sprach sie nicht aus; denn Lindenberg kniete nicht vor ihm. Er war vorhin um einen Schritt näher getreten, aber plötzlich war er stehen geblieben, und blaß, mit halb übergebeugtem Oberleibe, stierte er, nicht auf Joachim, sondern wie auf einen Geist, der, aus der Erde aufgeschossen, ihm den Weg verträte.

Die Andern sahen einen kleinen, nicht schönen Mann, von gemeinem Wesen und niederer Tracht, der hinter dem Fürsten stand, sein Gesicht wie der Hahn, dem der Kamm schwillt, seine Augen funkelten, und aus dem grinsendem Munde leuchteten Zähne wie die eines Raubthiers, das sich zum Sprunge anschickt. So stand er da, halb gebückt, und streckte die Fäuste aus:

»Er ist's!«

»Was ist Dir, Linderberg?«

»Ein Schwindel – Die zu große Gnade meines Herrn. Es ist nichts.«

»Du zitterst. – Meinen Leibarzt!«

»Er ist's!« kreischte der Krämer, »der mich fing, warf, band. So wahr Gott im Himmel lebt, der ist's, Herr Kurfürst.«

Joachim erblickte jetzt erst den Mann, der wie ein Unhold aus der Erde geschossen, dessen Stimme wie Rabengeschrei in einer frohen Musika tönte.

»Elender! Du lügst –« Aber plötzlich verstummte er, als fehle ihm der Athem. Das dunkle Blut, das ihm ins Gesicht[184] gestiegen, verschwand, und das Antlitz ward einen Augenblick weißer als seines Günstlings. Er brachte die Linke an seine Brust, er athmete auf und seine Augen hafteten auf dem Ritter, der seine niederschlug.

»Das ist zu arg!« schrieen viele Stimmen. – »Den Arzt! Der Markgraf wird unmächtig!« – »Bei den Haaren, bei den Füßen ihn rausgeschleift!« schrieen Andere.

Der Mann erhob sich auf seinen Zehen, er streckte die Arme in die Höh', er rieb die Hände, er zitterte. Aber da er den Kurfürsten ansah, sank er auf die Knie und faltete die Hände: »Laßt mich zerreißen, wenn ich nicht die Wahrheit rede.«

»Dem Kurfürsten vergeht die Sprache.« »Er ist ein Hexenmeister!« schrieen Andere. »Den Büttel her!«

Joachim winkte mit dem Arm. Er hatte die Sprache wieder gewonnen: »Gieb Antwort dem Manne!«

»Gottes Donner und Blitze!« schrie Otterstädt, der das Schwert halb gezückt hatte. »Dem!«

»Der Dich verklagt.«

»Soll der Mond antworten, wenn der Hund ihn anbellt?« rief Otterstädt.

»Ich entsinne mich nicht, den Mann gesehen zu haben,« stotterte Lindenberg.

»Wilkin Lindenberg! Drei Jahre meines Lebens d'rum, wenn es so ist. Sieh' ihn scharf an.«

»Er hext, die Natterbrut!« schrie Otterstädt. »Sieh' ihn nicht an.«

»Verschluck Deine Zunge, Hund, wo Dein Fürst spricht!« schrie ein Anderer den Krämer an, der eben den Mund öffnete.

»Du kennst ihn nicht, Lindenberg?«

»Nein.« Es kam wie ein hohler Ton heraus, der sich Luft macht nach langer Anstrengung.

»Die Hand darauf!«

Da der Geheimrath nicht allzu rasch, schien es Einigen, den Arm erhob, wendete sich der Krämer mit einer sonderbaren Bewegung zum Fürsten. Er sprach kein Wort, aber öffnete den Mund und steckte den rechten Daumen hinein.

»Den Handschuh aus!« gebot der Kurfürst. »Deine Rechte wie Gott sie gemacht, leg' in meine.«

Der Ritter zog. Schien es doch als schüttele ihn ein Krampf; der Handschuh flog ab und mit ihm ein blutiger Verband. Auch der Daumen blutete auf. Ein stiller, kichernder[185] Schrei, wie aus einer höllischen Pfeife, wie aus einer Brust, krank von satanischer Lust, gellte durch die Luft.

»Die blutende Hand in Deines Fürsten!«

Einen Augenblick schauten sich Beide an: dann schreckte der Ritter zusammen, wie ein von Gottes Strahl Getroffener. Er öffnete die Lippen, aber er brachte keinen Ton hervor.

»In Ketten! Zum Gericht!« rief Joachim, und ohne Jenen eines Blickes zu würdigen, schritt er aus dem Saal.

Fußnoten

1 Das Bild dieses ausgezeichneten Rechtsgelehrten, noch durch Meisterhand erhalten, fand ich in der Schloßkirche zu Wittenberg in der in Erz gegossenen Votivtafel: Die Krönung der Maria von Peter Vischer, m.E. einem der schönsten Werke des großen Künstlers. Henning Göde, als Votant, kniet mit seiner Familie zur Linken vor Gott. Vater, Sohn und Maria. Gestalten, in denen man Raphaelischen Adel und Schönheit zu erblicken glaubt.


Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3.
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