Der Trommler Belin

[76] Er sass mit seinem jungen Weibe bei »Ronacher«, Vergnügungs-Etablissement. Er sagte Leuten, welche darüber Bemerkungen machen: »Warum nicht?! Mich interessiren die Zwischenglieder der Kunst. Und dann, giebt es nicht auch Prater-Buden?! Nun also!?«

Um acht Uhr beginnt die Vorstellung. Tausend Glühlampen werden aufgedreht.

»The Pickwick's.« Fette Männer in hellblauen Tricot's springen übereinander, schwitzen.

Man hört gleichsam diese Lungen schreien: »Oh, genug, lass' mich – – –.«

Alles applaudirt. Die junge Frau denkt: »Mühselige – – – Müh – unseelige!«[76]

Ein kleines Mädchen wie ein rosa Zwirn arbeitet auf dem weissen Telephon-Draht.

Ein Dünnes im Kampfe mit einem Dünneren!

»Müh – unselige!« sagt die junge Frau.

Drei Bären aus dunklen Wäldern produciren sich. Einer singt Etwas in seinen Heimathstönen. Niemand versteht es. Es heisst: »Ich war wild, wild, houuuuu ich war wild – – –!«

Alles applaudirt.

»Wie müh – unseelig!« denkt die junge Frau.

Eine Pantomime »La Puce.« Es ist die »stummer Geist gewordene Gemeinheit.«

»Eine junge Dame in einem hellgrünen Seidenkleide entkleidet sich, um ›la puce‹ zu suchen, versäumt die Zeit zum ›Rendez-vous.‹ La puce als Ehrenretter. La puce bekommt die Medaille. Hó, la puce – – –!«

Alles applaudirt.

Die junge Frau fühlt: »Mühselige – – –!«

Der Trommel-Virtuose Belin.

»Ein passendes Stück, ein Trommler – –« sagt Jemand, »ist es amüsant?! Was kann er?! Trommeln?!«

Das Publikum ruft ihm gleichsam entgegen: »Ah, bonjour Herr Trommler – – –!«

Auf einem kleinen Gestelle liegt schief eine kleine Trommel.

Er kommt herein, in Frack und weisser Kravatte. Er hat ergrauende Locken.

»Die Schlacht!«:

Rataplán ra ra ra ra – – – von ferne ziehen[77] unabsehbare Schaaren in Eilschritt heran, Millionen, immer noch, immer noch, noch, noch, noch. Noch –! Sie schleichen, gleiten, huschen, fliegen – – –. Pause.

Geschütz-Salve – ratá! Pause. Salve, Salve, Salve – – – ratatatá!

Die Schlacht singt ihr Lied, jauchzt, kreischt, brüllt, stöhnt, athmet aus – – – – –. Pause. Plötzlich beginnt ein furchtbarer Wirbel – – – – Rrrrátaplan rrrráta rrrráta rrrráta rrratatatá tá tá tá tá – – – trrrrrrrrrá! Der Todeskampf dieses Lebens »Schlacht«!

Orkan-Wirbel!

Er nothzüchtigt das Ohr, spannt es, treibt es auseinander, schüttelt es, bricht es, dringt in die Seele ein und macht erschauern – – –! Ein fürchterlicher Wirbel, ein entsetzlicher, nachsichtsloser, grausamer, blutohriger Wirbel! Wird er nicht aufhören?! Er hört nicht auf, rrrratá, prasselt herum, zerfetzt die Nerven, rrrrátatatá! Wirbel! Wirbel – –!! Rrrratá! Alles wird über den Boden geblasen, gemäht, vertilgt!

Schuss – – Schuss – – – – – – Schuss!

Rrrrrrrrrát – – – – –. Die Schlacht ist gestorben.

Stille.

Der Mann im schwarzen Frack steht da, verbeugt sich, geht – – –.

Niemand applaudirt.

»Ein schrecklicher Trommler – –« denkt man, »er zerreisst das Trommelfell.«[78]

»Ein Genie des Handgelenkes ganz einfach – –« sagt ein Aristokrat in einer Loge.

Die junge Frau sitzt da, bleich – – –.

»Du bist ganz geschreckt – –« sagt der Gatte, legt seine Hand sanft auf ihre Hand.

»Napoleon – – –!« sagt sie.

»Wie?!« sagt der Gatte.

»Er hat wenig Applaus gehabt – – –«, sagt sie, »er wird vielleicht entlassen werden – – –.«

»Nein – – –«, sagt der Gatte, »sie sind fix engagirt – – –. Wie bleich Du bist – –«.

Die junge Frau fühlt: »Napoleon – – –!«

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 76-79.
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