Neu-Romantik

[97] Heinrich Frauenlob, Walther von der Vogelweide, Hölty, Hölderlin, wo weilet Ihr?!?

Sind eure Sammet-Wamse von den Schaben zerstückelt, hat eure Locken der Sturm zerzaust?!

Hier stehe ich, Siebzehnjährige, Nachts am Balkone der Land-Villa, in offenem Nachtgewande, bereit, meinen Haarkamm hinabfallen zu lassen, dass Ihr ihn an eure Lippen drücktet und voll innerer Gesänge dahinwandeltet in die dunklen Strassen –!

Wo seid Ihr?!? Träumerische?! Von uns Träumende!?


*


Meine Herren, ich tanzte heute nachmittags auf der Wiese im alten melancholischen Herzogs-Parke, hielt mein Kleid mit beiden Händen und tanzte –.

Werden Sie, bitte, davon träumen heute nachts, dass ich auf der Wiese im alten melancholischen Herzogs-Parke tanzte und mein Kleid mit beiden Händen hielt?!?

Will Niemand heute nachts davon träumen?!?

Träumet, träumet doch davon! Traumlose!


*
[97]

Höret, ihr Herren! Ich tanzte heute nachmittags auf der Wiese im alten melancholischen Herzogs-Parke, splitternackt; und ich hielt kein Kleid mit beiden Händen, denn ich hatte keines an und war nackt!

Träumet davon! Traumlose!


*


Ah, Verdammte, höret! Ich sass in meiner Stube, spielte und sang Grieg-Lieder. Da kam der grosse Hund des jungen Grafen, kroch unter das Clavier, unter mein Kleid und leckte meine Kniee – – –

Träumet davon!

*


Elender, Elender! Da hast du mich ganz, ganz – – –!

Aber träume davon! Träume davon, ich flehe dich an, wenigstens heute und morgen nachts!

*


Aber er träumte nicht davon, sondern schlief fest und tief wie ein sattes Thier – – –.[98]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 97-99.
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