Hochzeit

[108] In der Kirche brannten riesig lange magere Kerzen an dicken goldenen Stämmen. Neben dem Trauhimmel standen zwei kleine französische Cherubim in langen Princessekleidern aus Seide und mit rosaseidenen Handschuhen, welche auf dem Unterarme viele Falten machten.

Die Eine hatte das Antlitz für das Leben ... »C'est drô1e« und »je m'amuse pas mal«, fühlte sie. »Wie komisch, zwei Menschen heiraten ...«

Die Andere aber war schon wie das Schlachtopfer des Lebens. Man zieht es herein, unerbittlich und giebt den Genickstich ... Spiele »Kranzel-Jungfrau«!

»Notre cousine n'a pas pleuré ...,« sagte Diese nach der Ceremonie.

»Warum hätte sie weinen sollen?! Sie ist ja sehr glücklich ...!?« erwiderte die Andere.

»Mais oui. Pourtant on peut pleurer ...«

Ein junger Mann sagte zu dem weltabgewandten französischen Cherubim: »Vous aimez les bonbons, mademoiselle ...?!«

»Oui, monsieur ...,« sagte sie. Sie dachte: »Was geht es übrigens Dich an ...?!«[108]

Nach Jahren schrieb sie ihren Roman:

»Le Roman de ma vie.

Einmal, als ich noch ganz klein war, trat Einer zu mir heran und sagte sanft: »Vous aimez les bonbons, mademoiselle ...?!«

Er kommt mir jetzt vor wie ein Professor der Menschheit! ...

Er trat so nobel, so freundschaftlich zu mir..!

Wir Kinder standen da beim Büffet, erdrückt von der Fremde, in welcher wir uns befanden und diesen kalten pompösen Menschen, die gleichsam über uns hinwegstiegen, stolperten . ...

Da trat Er zu mir und sagte sanft: »Vous aimez les bonbons, mademoiselle?« ...

Es klang wie; »Merke auf! Das ist Dein Lebens-Ton! Niemand darf anders mit Dir sprechen!«

Ja, es war der Second-Part zur Melodie meiner Seele . ...

Nie hat man ihn gespielt ...

Und es schien doch so einfach gesetzt, wie wenn es Jeder könnte vom Blatte: » ... Vous aimez les bonbons, mademoiselle?! ...«

Aber Niemand konnte es ...[109]

Quelle:
Peter Altenberg: Was der Tag mir zuträgt. Berlin 12–131924, S. 108-110.
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