Sie befiehlt sich ihm bei angehender Nacht

[204] 1

Dieweil nunmehr die finstre Nacht

Der Sternen Heer führt auf die Wacht,

Und Phöbus seinen Glanz

Vor uns verbirget ganz,

So will ich mich zu dir,

Mein Leitstern Jesu, wenden

Und diesen Tag vollenden

Mit himmlischer Begier.


2

Ich sage dir von Herzen Dank

Mit aller Heilgen Lobgesang

Für alls, was deine Gnad

Mir heut erzeiget hat.[204]

Und so ich was vor dir,

Das sündlich ist, gehandelt

Und ärgerlich gewandelt,

Bitt ich, vergib es mir.


3

Ich lege mich mit heilger Lust

Auf deiner Menschheit offne Brust,

Damit du mir den Wein

Deins Herzens flößest ein.

Laß mich, o süßes Bild,

In deinen keuschen Armen

Entschlafen und erwarmen

Und ruhn, so lang du willt.


4

Laß meinen Sinnen für und für

Nichts anders träumen als von dir.

Bei dir, mein Schatz, allein

Laß mein Gemüte sein.

Laß deiner Engel Schar

Mein Leib und Seel bewachen,

Daß mir vom höllschen Drachen

Kein Unglück widerfahr.


5

Und so du etwan meine Seel

Willst nehmen aus des Leibes Höhl,

O allerliebstes Licht,

So denk an deine Pflicht.

Laß mich im selben Nun

Auf einem Engelswagen

Ins Paradeis hin tragen,

Daß ich mög ewig ruhn.

Quelle:
Angelus Silesius: Sämtliche poetische Werke in drei Bänden. Band 2, München 1952, S. 204-205.
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