LX.

[56] 1. Der wechter verkündiget uns den tag,

an hoher zinnen da er lag,

wol auff geselle es mus gescheiden sein,

wo nun zwey bey einander sein,

die scheiden sich bald,

der mond scheint durch den grünen wald.


2. Merck auff feins lieb was ich sag,

es ist noch fern vor jenem tag,

der mond scheint durch den wolckenstern,

der wechter betrübte uns beyde gern,

das sage ich dir,

die halbe mitternacht ist noch nit für.


3. Er trückt sie freundlich an jhr brust,

er sprach du bist meines hertzen eine lust,

du hast erfrewt das hertze mein,

verschwunden ist mir alle pein,

zu dieser frist,

auff erden mir kein lieber ist.


4. Was zog er von den henden sein,

von rotem gold ein ringelein,

sih da feins lieb das rote gold,

ich bin dir von grund meines hertzen hold,

das glaub du mir,

für dich so wolt ich sterben schier.


5. Fraw nachtigal sang uberall,

wie sie vormals mehr hat gethan,[56]

darbey spürt man des tages schein,

wo nun zwey liebe bey einander sein,

die scheiden sich bald,

der tag scheinet durch den grünen wald.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 56-57.
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